Billeder på siden
PDF
ePub

ist die gefährlichste Form teleologischer Weltanschauung, die wir bisher erlebt haben, die weiter existirt, obwol ihre Anhänger tagtäglich in die unangenehme Zwangslage geraten, wie jene alten Lobredner der besten aller Welten, die nügliche Notwendigkeit der Flöhe, Klapperschlangen und Krebsgeschwüre zu erweisen. Man darf an die Vernunft der Dinge glauben, man darf sich aber nicht auf sie verlassen. Jene Ausnahmemenschen, welche die Vernunft der Dinge zu preisen Anlaß hatten, würden auf die Dauer nimmermehr als Künder einer allgemein giltigen Wahrheit anerkannt worden sein, wenn nicht die kapitalisirte Vernunft der Dinge ihnen eine tüchtige Preise bescheert hätte, die aber nicht wegen der Weltanschauung des freien Kräftespiels, sondern wegen der raschen und ausführlichen Berichterstattung über die Unvernunft der Dinge Geltung und Verbreitung fand, über jene Unvernunft, wie sie sich in politischen und unpolitischen, finanziellen und ideellen Schiffbrüchen, Mordtaten, Grubenkatastrophen, Skandalereignissen äußert. Daß sich die durch die geschickte Preßvertretung vergrößert erscheinende Sefte dieser sonderbaren Teleologen als einflußreiche Partei erhielt, war, wie gesagt, das Verdienst des Fürsten Vismard. Der neue Kurs hat die Halluzination dieser Größe gründlich zerstört.

Das

[ocr errors][merged small][merged small]

Zu feinen, seelenkundigen Reden
Berspinn ich die Gedankenfäden,

Gewonnen durch herzlos kaltes Zergliedern
Von warm gefühlten lebendigen Liedern

[ocr errors]

zur

gliederungen sind wirklich viele dieser Gedichte; es fehlt stimmt aufs Haar: psychologifirende Zerihnen das Notwendigste: die Plastik, die sich aufdrängende, greifbare Stimmung. Wer aber in die Tiefen seiner Seele steigen und danach etwas Künstlerisches heraufbringen will, muß recht sehr ein Künstler sein; es gehört dazu noch mehr gestaltende Leidenschaft als Schilderung einer Blumenwiese oder eines Käsehökerladens. Freilich geht es ganz gut ohne die unerträgliche und die es ohne blausamtene Gefühle und orangenduf Veranschaulichungswut, die einige Moderne ergriffen hat tige Stimmungen nun einmal nicht tut. Oswald Alving mag ja bei einer gewiffen Vorstellung die Hallucination haben, daß er über kirschrote Draperien striche Jungen sein wollen, kommen in eine schiefe Lage, wenn aber Naturalisten, die erfreulicher Weise gesunde Eine weise Regierung kann in diesen Zeitläuften fie zugleich die Paralytiker spielen. Herrn Bergers Genur eine Regentschaft sein, deren unbewuste und wider dichte sind wirklich warm gefühlte, lebendige Lieder" willige Aufgabe es ist, bem kommenden Fürsten Luft gewesen; er macht den Eindruck eines Mannes, der willige Aufgabe es ist, dem kommenden Fürsten Luftreiche, vollwertige poetische Stimmungen hat, bei ihrem und Licht und Ruhe zu reifender freier Entfaltung zu Ausdruck aber zu flug, zu fein sein will und dabei gewähren. ängstlich und unsicher wird. Bei einer ganzen Reihe Ergüffen die nötige Fülle zu wahren, und diese von Gedichten ist es ihm aber doch gelungen, seinen (wie z. B. Erste Liebe" Im Korn" „Schlafog „Nach Hause" „Märchenglaube“ u. a. m.)

Caprivi soll auf die im Februar 1890 an ihn gerichtete Aufforderung, Nachfolger Bismarcks zu werden, geantwortet haben: „Wenn Ew. Majestät mich morgen in den Krieg schickten und mich auf den gefährdetften Punkt des Schlachtfeldes stellten, so würde ich ohne Bedenken gehorchen und auch für Ew. Majestät auf dem Schlachtfelde zu sterben wissen. Anders ist es mit Ew. Majestät jeßigem Anfinnen; aber wenn es sein müßte, nun, so würde ich auch dies als mein Schlachtfeld ansehen, auf dem ich ein ehrenvolles Ende finden kann.“

Kein Zweifel, daß Caprivi über kurz oder lang sein Ende finden wird, zum Jubel der Genialitätsbedürftigen. Der kommende Regent aber wird mit freundlicher Anerkennung die Verdienste des Mannes ohne Genie und seinen Aufwuchs preisen.

Inzwischen aber sind geniale Bürgermeister und geniale Volksschullehrer nötiger, als geniale Kanzler. Denn jene könnten schaffen und wirken schon in der Gegenwart, während dieser Veruf es ist zu warten.

[ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small]

"

gewähren einen vollen Genuß.

[ocr errors]
[ocr errors]

Ach, wie waren wir im flaren, Da wir trüb als Most gebraust —! Voll von Rätseln und zerfahren Ist der zweite Teil des Faust." sagt Herr Berger. Richtig! Also etwas mehr von der flaren Unklarheit wäre zu wünschen.

Wohin ist der Maurice von Stern*) geraten! Er verzettelt sein schönes Talent in endlosen, weichlichen Stimmungsdüfteleien. Das wogt und wallt und glüht und blüht und singt und summt; in vier Zeilen kommen alle fieben Regenbogenfarben daran, und am Ende giebts doch kein Bild, das irgendwie und irgendwo in unserer Seele haftete. Der Dichter soll sich doch nicht einreden, wenn er hundert Farbenbezeichnungen durcheinanderwühlt, daß das farbig schildern heiße, oder wenn ebensoviele Male von Glut, Flammen und Hiße die Rede ist, daß das uns erwärmen müsse. Fast in jedem dieser Gedichte kommen sämtliche Blumen, die die Jahreszeit bietet, mit ihren Farben und Düften zur Verwendung: der Wald, das Meer, der Himmel schießen noch ein Erfleckliches an Düften und Farben zu. Ich gestehe, mir ist von alledem so dumm geworden, wie dem bekannten jungen Manne; aber Bilder hab ich nur selten, fast nie gesehen. Ich glaube, Herrn von Stern wird das Versemachen ganz verhängnisvoll leicht; ich habe das Gefühl, daß sich ihm Worte und Reime zu jeder Zeit in beliebiger Anzahl einstellen; aber ich habe nicht immer das Gefühl, daß Begriffe, daß Vorstellungen dabei gewesen sind. Es giebt ja gegenwärtig Dichter, und zwar bedeutende Dichter, die die Poesie so sehr zur Plastik, zur Malerei und Musik machen, daß ein Goethe mit einem Faust verlegen vor ihnen stehen und stammeln müßte: Entschuldigen Sie, daß ich beim Dichten mit

*) Nebensonnen. Dresden und Leipzig, Pierson.

16

L

[blocks in formation]

Das Frührot brennt, die müde Welt_erzittert
In Wonneschauern bei verworrnem Schall
Züküth! Züküth! von Morgenluft_umwittert,
Schlägt tauberauscht der Neuzeit Nachtigall.
Sie war nicht tot, sie schlief nur in den Blättern
Des ewig-grünen Maienbaums der Zeit;

Nun schlägt sie süß nach Stürmen und nach Wettern
Den Frühlingspsalm des Friedens in den Streit.

Friede, Friede! Süße Schauer künden
Ein stürmisches Versöhnungsweh dem All.
Die qualzerriffnen goldnen Töne münden
Ins alte Lied der jungen Nachtigall.

So saug dein Herz von all dem Weh der Erde
Und ihrer Wonne zum Zerbrechen voll!
Ertling mein Lied zum Frühgeläut der Herde
Und lös in Wollaut deiner Seele Groll!

Der Maiwind spielt; ein Hauch zerweht der Sterne
Erblaffend Licht ins sanfte Morgengrau.
Ich tauch den Schild ins Morgenrot der Ferne
und bad mein Schwert im blanken Morgentau.
Heil sei dem Kampf um Recht und Brot und Ehre!
Ihm schlug der Lerche erster muntrer Schall;
Doch in den Frührauch schönerer Altäre
Schlägt wollautsatt das Lied der Nachtigall.

[ocr errors]

Ich kann mir nicht helfen: mir ist das Schwulst. Was Herr v. Stern sich unter den „süßen Schauern" denkt, die dem All ein stürmisches Versöhnungsweh künden", wie er es sich vorstellt, wenn man den Schild ins Morgenrot der Ferne taucht" ich weiß es nicht. An einigen schönen Gedichten erkennt man mit Wehmut, was Herr v. Stern leisten könnte, wenn er seinen Pegasus nicht zum frömmsten Damenreitpferd herunterdresfirt hätte. Diesem Buche gegenüber können wir nur mit Bedauern sagen: Es war die Nachtigall und nicht die Lerche. Wir raten dem Dichter, deffen frühere Leistungen zu großen Hoffnungen berechtigten, wieder mehr Lerche und nur ab und zu, an schönen Sonn- und Feiertagen Nachtigall zu sein. Wir haben die Lerchen wahrhaftig noch sehr nötig. M. v. Stern scheint immer auf der Hut zu sein, nur ja nichts Einfaches oder gar Gewöhnliches von sich zu geben; von Richard Zoozmann) kann man das nicht sagen. Er ist oft mehr als anspruchlos in seinen Stoffen wie in ihrer Behandlung. Auch ihm scheint das Versemachen zu leicht zu werden, oder er macht es sich zu leicht. Einige seiner Gedichte haben für das, was sie bieten, eine ganz unbescheidene Länge; und fehlt es einigen charakteristisch und satirisch sein sollenden Schilderungen überhaupt an Salz, so wird es in anderen seitenlangen Dünnflüssigkeiten soweit aufgelöst, daß sie nüchtern bleiben. Einige Salop perien in der Form erinnern nicht an Heine. „Kaum einer sieht den Krüppel man begnaden" -Er Er starrte auf Weib und Kinde" (muß auf Blinde" reimen) „dem je verliehn ein Szepter wurd" das streift an das Unverzeihliche. Der Plural von „Klowns" heißt unter allen Umständen,,Klown", selbst wenn dieser Plural auf „Fraun“ reimen soll, und die Verse

[blocks in formation]

Der an der mishandelten Gerechtigkeit euch rächen soll."

enthalten doch ein gar zu konfuses Quidproquo. Am besten ist Zoozmann da, wo er Frauenschönheit mit sinn licher Glut besingt, überhaupt wenn echte Leidenschaft

*) Episoden. Berlin, Conradsche Buchhdl.

|

"

bei ihm zum Durchbruch kommt. Der Cyflus „Ein Dichter“ enthält nur die bekannte, zum Cliché gewordene Dichtertragödie, die von den Dichtern zu oft erlebt wird, um nicht schon so oft behandelt worden zu sein, daß eine neue Behandlung große Ansprüche befriedigen müßte. Auch Zoozmann leistet sich zuweilen etwas Schwulst, namentlich im Punkte der Neologismen. Ein durchleidenschafteter Leib" mag noch hingehen; aber eine gramverdichtete Luft" ist nicht zu genießen und ein paar Augen als luftdurchdampfte Sonnen" find geradezu schauderhaft. Ein weißgetünchtes Zimmer geht nicht an; es muß durchaus ein,,weißtünchiges Zimmer" sein, und doch unterscheidet sich dieses von jenem nur insofern, als es ein Unsinn ist. Ein seltsames Beispiel von Anlehnung oder Entlehnung muß ich noch anführen. Im XXII. Stück des Cyklus Ein Dichter" heißt es:

"

"

[blocks in formation]

Sollte dies Gerippe nicht Edgar Allan Poe gewesen sein, der seinen, Raben" reklamierte? Ich möchte was darum ich nicht bei einem Dichter, der selbst etwas Lüchtiges wetten! Was solche Anleihen bedeuten sollen, verstehe kann. Daß er etwas kann, ist doch wol außer Zweifel.

Hans Hoffmann*) bietet uns in seinen Gedichten Schriftstellerpoesie. ,,Vom Lebenswege" im großen und ganzen die bekannte Mann sieht auf seinem Lebenswege einen imposanten Ein gebildeter und feinfühliger Berg oder ein liebliches Tal, und da ihm das über die Maßen gefällt, sagt er sich: Donnerwetter, sollten sich auch, und mit einemmale klingt ihm etwas in den Ohren darüber nicht Verse machen lassen? Der Dichter sieht das

ja ja, gleich in den Ohren! Und er sagt sich: Donnerwetter, das sind ja Verse! Unmittelbarkeit, meine Herren Schriftsteller, wenn Sie dichten wollen! Sonst entstehen so blaffe Reimereien wie diese:

„Mittsommernacht auf den nordischen Höhn,
Oleuchtende Dämmrung, du schattest so schön!
Noch ruht auf den Gletschern ein Abendrotschein,
Schon strahlet der lichte, der Morgen herein;
Im schweigenden Tal den unsterblichen Tag
Einwiegen die Nacht nicht, die schmeichelnde, mag."

Zwar ich wäre fast erschrocken,

Wie das Kind so sittsam tut:
Nur die luftig losen Locken
Aeußern eingen Uebermut."

(S. 5.)

(S. 64.)

Auf Seite 246 erzählt uns Hoffmann von einem Manne, der die Welt betrachtet, indem er den Kopf durch die Beine steckt und dadurch allerdings ein Bild mit neuen Effekten erhält. Und der Verfasser meint:

*) Leipzig, Liebeskind.

[ocr errors][merged small][merged small][ocr errors]

Einer, der, wie es scheint, grundsäßlich nichts in die ihn umgebende Welt hineinsieht, ist H. v. Reder,*) der sich in seinem „Lyrischen Skizzenbuch" fast gänzlich darauf be schräuft, Situationen und Tatbestände mit musterhafter Objektivität festzustellen, und die poetischen Zutaten uns überläßt. Ich finde das etwas gar zu billig. Die Objeftivität wollen wir doch lieber der Wissenschaft überlaffen und uns für die Kunst die Subjektivität reserviren. Der Dichter soll allerdings verstehen, vielsagend zu schweigen; aber um eine ganz kleine Anregung möchte ich denn doch bescheidentlich gebeten haben, wenn ich überhaupt etwas empfinden soll. Die gereimten Wald- und Heideinventarien des Herrn v. Reder machen mir aber den Eindruck, daß er nichts zu verschweigen hat.

Vielleicht tu ich dem Dichter unrecht; vielleicht ist seine Nüchternheit höchstes Raffinement eines überreizten, an redseligen Ueberschwänglichkeiten übersättigten Geschmacks: ich weiß es nicht. Aber ich weiß jedenfalls, daß ich mich bei den 223 Seiten grenzenlos gelangweilt habe, und das genre ennuyeux ist für mich das allerunerlaubteste. An einigen wenigen Stellen gelingt es dem Verfasser, eine rein gedankliche, epigrammatische Pointe wirksam herrauszuarbeiten.

[ocr errors]

Albert Geiger,*) soviel ich weiß ein homo novus, giebt in seinem Buch „Im Wandern und Stehenbleiben“ zunächst „Vorflänge zu einer fünftigen Tristan- und IjoldeDichtung", dann einen „Faust" und endlich einen Ahas ver". Also das Menu ist einladend genug, und ich könnte die geehrten Leser mit bestem Gewissen zu Tische rufen, wenn die späteren Gänge hielten, was das Vorgericht verspricht. Leider ist das nicht der Fall. Wenn „Faust" und Ahasver" auf dem Zettel stehen, dann erwarte ich etwas Kompaktes: rotes, saftiges Fleisch, versteht fich: mit dem nötigen Burgunder dazu, aber nicht das aller landläufigste Kartoffelpürée mit weltschmerzlicher Buttermilch! Glücklicherweise sind die Tristangedichte die zulet entstandenen; es ist also Hoffnung vorhanden, und ich füge hinzu: nicht geringe Hoffnung. Wären die übrigen Leistungen diesen gleichwertig, so hätte Herr Geiger uns ein vorzügliches Buch gegeben. Sein Faust und sein Sein Fauft und sein Ahasver haben nichts neues gelernt und sind schwülstige Gesellen. Das unterscheidet eben den echt pathetischen Dichter von dem schwülstigen, daß jener etwas zu sagen hat und dieser nichts; bei jenem reißt das bewegte Herz die Worte fort zu leidenschaftlicher Bewegung; bei diesem sollen ungeberdige Worte das schlaffe Herz fortreißen. Aber mit lautem Anschreien ruft man die Muse nicht herbei. Als Claus Harms einst einem visitirten Pastor über dessen phrasenreiche und inhaltsarme Predigt Vorhaltungen machte und dieser entgegnete, daß er vor jeder Predigt den heiligen Geist um Kraft bitte, sagte Harms: Mein lieber Freund, wenn ich nicht präparirt habe, dann sagt der heilige Geist zu mir: „Clas, du weetst nix!"

[ocr errors]

*) München. Dr. E. Albert u. Co.

*) Carlsruhe. Bielefelds Hofbuchhandlung.

[merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small]

Einen Erfolg wie Busch hat wol schwerlich schon einBon seiner Frommen Helene" ist vor kurzem das 100000. mal ein Künstler oder Schriftsteller in Deutschland erlebt.. Exemplar gedruckt, und ein Teil seiner übrigen Schriften dürfte bald eine ähnliche „Jubiläums-Ausgabe" erleben Und dieser Erfolg ist durchaus keiner besonderen Reklame zu verdanken, er ist ganz frei entstanden. Nur einmal oder sonstigen Machenschaften und besondern Umständen haben äußere Umstände dem Erfolg gedient, als in den fiebziger Jahren Bismarck den Kulturkampf inszenirte und das ganze protestantische Deutschland gegen den Katholizismus auf die Beine gebracht wurde. Damals erschienen Buschens antikatholische Schnurren unter großem Aufsehen und wurden wegen der herrschenden politischen Strömung wol eiiriger gelesen, wie das sonst der Fall gewesen wäre.

alt

In der Jubiläumsausgabe der Frommen Helene" hat Busch eine reizende autobiographische Skizze gegeben. Er ist geboren 1832 — ist also jezt schon über 60 Jahre zu Wiedensahl, einem hannöverschen Dorf als das erste von sieben Kindern eines Krämers. Mit nenn Jahren kam er zu einem Onkel, der Pfarrer in einem nicht weit entfernten Dorf Ebergölzen war, und wo er auf die polytechnische Schule in Hannover vorbereitet wurde. Nach einigen Jahren Studium dort ging er nach Düsseldorf, dann nach Antwerpen, wo die alten stammverwanten holländischen Meister einen tiefen Eindruck auf ihn machten. Einige Zeit verweilte er wieder in Wieden sahl, ging dann nach München, wo er im Künstlerverein die entscheidende Anregung zur Karrikatur erhielt; um 1859 erschien in den Fliegenden“ die erste Zeichnung von ihm; auch in München würde er nicht heimisch; er kehrte bald wieder zurück in das Heimatsdorf, wo er noch heute wohnt, als alter Junggeselle und Sonderling. In Wiedensahl ist der gröfte Teil seiner Werke entstanden.

Dieses hartnäckige Festhalten an der engsten Heimat ist gewiß bezeichnend genug für den Künstler. Denn wie mit seinem Leben, so wurzelt er auch mit seiner Kunst fest in dieser Heimat. Was sind seine Typen? Der behagliche und zufriedene Spießbürger, meistens rund und wolbeleibt, wie Herr Knopp nebst Gemalin, oder Tante Nolte, zuweilen auch nicht so „komplet" wie Onkel Nolte; der ungezogene Dorfjunge, der auf lauter dumme Streiche denkt, wie das berühmte Paar Mar und Morit; die hannöverschen Bauern, wie Hans Dralle oder die „Partitularisten"; die naive Unschuld vom Lande, wie Dralles Christine oder Knoops Julchen, und so fort. In den ersten Produktionen Buschens finden sich noch fremde Elemente; so in Kunterbund“, Reminiszenzen an süddeutsche ländliche Verhältnisse und eine Reihe Schnurren, die nicht zu lokalisiren find. Nur, was dem Künstler ja doch stets nahe liegen wird, aus der Künstlersphäre, ist noch ab und zu auch in den spätern Werken ein Motiv genommen, wie im Maler Klecksel, auch im Dichter Bählamm.

[ocr errors]

Und es ist nicht die Gegenwart des niedersächsischen Dorfes, in welcher Buschens Geschichten spielen; diese Bieder

[ocr errors]

männer haben in vergangenen Zeiten gelebt. Das geht so weit, daß selbst das Schwein, das wir in „Schnurrdiburr" zu sehen bekommen, der gewiß seit nunmehr drei Jahrzehnten ausgestorbenen Raffe der alten Landschweine angehört; es war unansehnlicher, aber ferniger als das heutige Schwein ein rührendes Symbol für die Veränderung des Menschen. Die Behaglichkeit von damals, die ehrliche Treuherzigkeit und Naivität schwindet immer mehr, und nach einigen weiteren Jahrzehnten werden die Werke von Busch bereits kulturhistorische Bedeutung haben. Es liegt wol nahe, Busch mit Töpffer zu vergleichen, und gewiß hat die Manier Töpffers bis zu einem gewissen Grade auf Busch eingewirkt. Aber bei Töpffer finden wir nur eine Reihe von fantastischen, willkürlichen Situationen, in den Einzelheiten oft fein beobachtet, oft sehr wißig und geistreich, aber niemals das, was uns bei Busch so reizt: jenen Humor, welcher die fürchterlichsten Dummheiten erklärt, jene drollige Naivetät, jene ruhige Behaglichkeit, man möchte sagen, jene tiefe Philosophie, | welche alles durchdringt. Töpffer liebt langgezogene, dünne Figuren; bei Busch geht alles in die Breite; Weisheitssprüche, wie: „Entsagung nennt man das Vergnügen an Dingen, welche wir nicht kriegen", fie paffen genau zu der phlegmatischen, sinnigen Rundung seiner Helden.

Busch ist Dichter und Maler zugleich. Eine Anzahl seiner Verse sind geflügelte Worte geworden und werden im täglichen Leben gebraucht, ohne daß man sich ihres Ursprungs erinnert. Das ist ein Erfolg, den nur ein großer Künstler hat; er sett voraus, daß Wort und Gedanke so innig zu einander passen, daß sie, einmal vereinigt, nicht anders gedacht werden können. So schmiegen fie sich dem Ohr an und bleiben ohne weitere Mühe im | Gedächtnis. Man lese einmal flüchtig eines seiner Bändchen durch und achte dann darauf, welch eine Menge von Versen man wörtlich auswendig behalten hat! Es giebt nur einen deutschen Dichter, der darin mit ihm rivalisirt, das ist Heine.

Das bevorzugte Versmaß von Busch ist der Trochäus; wie er selbst in der autobiographischen Skizze sagt: „Gui schien mir oft der Trochaus für biedere Reden". Schon vor ihm hatten Dichter die komische Kraft des deutschen Trochäus geahnt; aber so glänzend wie Busch hat sie feiner entfaltet. Man versuche einmal, heute die teilweise ausgezeichneten älteren Ueberseßungen spanischer Dichter zu lesen; immer klingt es einem im Ohre: Mar und Morit, diese beiden, konnten ihn darum nicht leiden", oder ein ähnlicher Vers von Busch.

"

Und wie natürlich und familiär ist die Rede in seinen Trochäen! Ab und zu merkt man ihr ja einmal den Zwang an, wenn einmal des Reimes wegen ein Wort oder zwei genommen werden, die eigentlich nicht so recht passen. Aber wenn man sich erst daran gewöhnt hat, so gehört auch das zum Stil, ähnlich wie bei Kortüm, der freilich seinen Knittelvers doch noch viel meisterhafter handhabt. Auch hier hat Busch einen Einfluß gehabt, der sich weithin geltend macht. Unsere jüngere Dichtergeneration hat in der Lyrik durchgängig ein größeres Streben nach natürlichem und einfachem Ausdruck. Buschens Werke find so populär und allbekannt, daß es wol den meisten gar nicht zum Bewustsein gekommen ist, daß sie dieses Streben seiner meisterhaften Versbehandlung verdanken.

"

In jener Skizze fährt er nach der Erwähnung des Trochäus fort: Stets praktisch ist der Holzschnittstrich für stilvoll heitere Gestalten. So ein Konturwesen macht sich leicht frei von dem Geseße der Schwere, und kann, be sonders wenn es nicht schön ist, viel aushalten, ehe es uns wehe tut. Man sieht die Sache an und schwebt derweil in behaglichem Selbstgefühl über den Leiden der Welt, ja, über dem Künstler, der gar so naiv ist.“

[ocr errors]
[ocr errors]

|

[ocr errors]

"

Töpffer hat sich dieses Privileg in viel höherem Grade zu nuße gemacht als Busch. Für seine Figuren existiren überhaupt keine physikalischen Geseze mehr. Sie sind auch fast sämmtlich rein willkürliche Fantasiegestalten, selten durch Karrikirung von wirklichen Figuren des Lebens entstanden, sondern meistens einfache Schöpfungen des auf dem Papier umherirrenden Griffels. Bei Busch steht alles viel solider auf der Erde, find auch alle Typen mehr oder weniger aus der Natur entnommen, wenn sie auch stets durch den Destillir-Kolben des Karrikaturisten gegangen find. Ja, oft ist er von einer verblüffenden Eraktheit der Beobachtung. Am auffälligsten sind in dieser Hinsicht die Haarbeutel- und Katerstudien, für die er von Anfang seiner Laufbahn an eine besondere Vorliebe zeigt. Die betreffenden Bildchen vom Morgen nach Sylvester", in den „Bilderbogen“, „der hastige Rausch", in Kunterbunt", „den Haarbeuteln" nnd die Szenen im „Knoop“ sind von verblüffender Naturtreue. Aber auch sonst finden wir in der kleinsten Zeichnung nirgends etwas Gemachtes oder Konstruirtes, überall stoßen wir auf wahre und feine Züge, die der Natur entnommen sind, und sie sind mit einer Leichtig feit gegeben, die nur in den flüssigen und einfachen Versen ihres Gleichen hat. So die Behandlung der kleinen Kinder im Schreihals", "Knoop" u. a., so jene Mimik des Schmerzes in allen Nüancen, bis zur Verkrümmung und Verschlingung aller Gliedmaßen; wo man auch blättern mag, überall die feinsten Züge: mag er den Candidaten Jobs durch die einzelnen Teile seiner Predigt begleiten, oder die verschiedenen Examinatoren je nach ihrer Individualität ihre besonderen Examinaforenmienen machen_lassen, im Maler Klecksel" den braven Meister Quast durch alle Empfindungen von der tiefsten Seelenruhe, durch Aerger, Hohn und Ironie hindurchführen, oder uns in der „Prise“ die wechselnden Gefühle des Schnupfens widerspiegeln.

Es giebt nur Einen, der Busch in dieser treuen Beobachtung und sichern Naturwahrheit kongenial ist, das ist Hogarth. Aber unserm modernen Geschmack sagt Hogarth nicht mehr so zu; er ist zu absichtlich und gemacht; nicht allein, daß seine Blätter allzusehr mit Wiz, oft gesuchtem und dunklem, überladen find, auch seinen Gestalten fehlt oft die göttliche Naivität, die wir bei Busch so bewundern. Und wie viel größer ist der künstlerische Apparat des Kupferstechers, welcher alles bis ins Kleinste ausarbeitet und fast mit der Lupe studirt werden muß, gegen den schlichten Zeichner Busch, der nur ein paar fece Konturen aufs Papier wirft.

Wir verstehen jene merkwürdige Liebe Buschens zu seiner Heimat, einer Heimat, die noch dazu auf den ersten Blick so sehr wenig Anziehendes bietet. Jene Kunst des Details ist das Produkt einer innerlichen und vertieften Natur, eines jener Menschen, die, für den oberflächlichen Beobachter Pedanten, immer in derselben Stube sißen, bei denselben Möbeln und denselben Nachbarn gegenüber; denn ihnen hat jede Kleinigkeit im Zimmer etwas zu er zählen, an dem tausendmal Gesehnen beobachten sie täglich Neues und Interessantes, in den alten Gesichtern kennen sie jede Runzel und jede Bewegung, und auf dem Weg, den fie nun schon seit Jahrzehnten jeden Tag zu derselben Stunde gehen, studiren sie immer neue Lichteffekte, Bewegungen des Laubes im Winde, Töne, die über die Wiese und vom Dorf herklingen. Der scheinbar so enge Kreis ihrer Erfahrungen ist doch so weit; was sie gesehen haben, haben sie auch erlebt, sie haben es sich angeeignet und laffen es in sich ein eigenes Leben führen. Wenn sie die Augen schließen, so sehen sie alles, ihre Stube, die Nachbarn, den Weg; sie sehen die Sonnenstäubchen in der Stube spielen und den Wind über das Gras der Wiese

[ocr errors]

am Wege hinwehen. Und wenn sie sich dann hinsehen | ihren Gefühlen und Handlungen den Stempel der Rasse und Feder oder Stift zur Hand nehmen, so kommt aufgedrückt haben, welcher sie angehören. alles ganz getreu auf das Papier, ja, „eraft“ und Und da die Raffe für jedes Volk das ist, was das ,,naturwissenschaftlich" sogar, viel mehr als bei jenen | physiolo-psychologische Temperament für das einzelne Inextensiven Naturen, die mit dem Notiz- oder Skizzen- | dividuum, so ist es leicht, sich zu überzeugen, daß die buch überall umherirren und notiren und aufzeichnen. These von Cosmopolis" mit der fundamentalen FolgeEs ist weniger bewuste und mehr unbewuste Arbeit, die rung der Kriminal-Anthropologie übereinstimmt, nämlich, in den Werken dieser Leute steckt; und in der langen daß das Verbrechen ein Phänomen ist, welches nicht nur unbewusten Arbeit, die dem Wert vorhergegangen ist, durch die Beschaffenheit der Umgebung bedingt ist, sondern hat sich ihr Eigenes innig mit dem Fremden ver auch, und zwar gleichzeitig, durch die biologischen Eigenschmolzen ihr Eigenes das heißt, ihr goldenes schaften der Raffe und der individuellen Gemütsart. poetisches Gemüt. Deshalb erfreuen ihre Werke die Menschen und haben einen Erfolg, von den sich der mühsame Arbeiter nicht träumen läßt, der doch auch Künstler ist.

*

Ein kriminal-anthropologischer Roman.

Von

Enrico Ferri*)

[ocr errors]

Nachdem Zola in seiner,,Bête humaine" zum ersten Male die pathologische Gestalt des Delinquenten verwertet hatte (wie Zola selbst eingestand, hatte er seinen Typus Lombrosos Uomo delinquente" entnommen) und durch diese den Typus des Verbrechens aus Irrfinu oder Leidenschaft ersetzt hatte, wurde die Aufmerksamkeit der Romanschriftsteller auf die neuen Forschungen der Wissenschaft gelenkt; hierin fanden sie eine lebensfähige Gruudlage für die Schöpfungen der künstlerischen Fantasie. Ohne von Dostojewsky zu sprechen, der in seinem Totenhause“ und in seinem „Schuld und Sühne“ sogar der Kriminal-Anthropologie zuvorgekommen war, ist es interessant zu sehen, wie ein hochmoderner Romanschrift steller, als Spiritualist aber eifriger Freund der experi mentalen Wissenschaft, in seinem jüngsten Romane „Cosmopolis" zur Quelle der normalen und kriminalen Anthropologie seine Zuflucht genommen hat.

Schon in seinem ,,Disciple" hatte Paul Bourget seine außergewöhnlichen Gaben als analysirender Psychologe beim Studium des Verbrechens verwertet.

[ocr errors]

Und auch in „André Cornélis" zergliederte er (wie ich bereits in meinem Werke über Mord und Selbstmord bemerkt habe) allerdings mit einer übergroßen Weitläufigkeit und dabei doch nur oberflächlich die Gemütsverfassung, den Wankelmut, den Parorismus eines Normalmenschen, der durch den langsamen Verlauf einer Reihe von Leidenschaften zum Verbrechen gebracht wird; ein Beweis für die irrtümliche Meinung jener, die den Vorbedacht für unvereinbar halten mit der Heftigkeit der momentanen Gemütsbewegungen, bei der strafgerichtlichen Feststellung der Verantwortlichkeit bei Begehen von Verbrechen.

In Cosmopolis" stellt Paul Bourget haarscharf die anthropologische These in der Einleitung (pag. 27) und im Epilog (pag. 465) auf und zwar:

Daß ungeachtet der Gleichheit des physischen und sozialen Ideen- und Wirkungskreises, in welchem sich der Schwarm der Kosmopoliten bewegt, diese stets in allen

[ocr errors][merged small]
[ocr errors]

"

In Bezug auf diese sehr genaue wissenschaftliche These hat einer unserer bedeutendsten Litteratur-Kritiker, Enrico Panzacchi, in der „Nuova Antologia" bemerkt, die künstlerische Darlegung sei in Cosmopolis“ vollständig verfehlt, obwol dieses Werk, seiner Ansicht nach, einer der besten Romane Bourgets ist. Und er fügt hinzu, die Kunst sollte doch endlich einmal diese wiffenschaftliche Fabrikmarke" lassen, der man schon von weitem das Willkürliche und Gefünftelte ansieht."

Ich bin nicht dieser Meinung, weil ich nicht glaube, daß die Kunst zu einer Art fantastischen Abklatsches von Dingen und Personen herabsinken soll, die der Künstler geschaut. Die Kunst kann und darf die wissenschaftlichen Grundsäße weder ignoriren noch ihnen widersprechen, und in Italien wird uns stets eine sehr instruktive Polemik zwischen dem großen Psychiater Andreas Verga und dem berühmten Dramendichter Ferrari in Erinnerung bleiben, welche diese beiden Männer gelegentlich dreier Ausrufe hatten, die der lettere in seinem Drama „Der Selbstmord“, der Frau des Selbstmörders in den Mund legt.

[ocr errors]

Und ich, der ich Cosmopolis" vor Panzacchis Aufsat gelesen und bei der Lektüre dieses Buches den freudigen Eindruck vollkommener Uebereinstimmung der Ideen des Autors mit den Grundsäßen der KriminalAnthropologie empfangen habe, glaube, daß es leicht ist zu beweisen, wie in zu beweisen, wie in Cosmopolis" die wissenschaftliche These getreulich angewendet ist, im Organismus des Romans selbst wie in dessen Einzelheiten.

Die

Wie Bourget selbst sagt (pag. 465), handelt jede Person aus „Cosmopolis" gemäß dem anthropologischen Faktor ihrer Raffe und ihres Temperaments. Komtesse Steno hat ihrem Liebhaber gegenüber gehandelt wie eine Venezianerin aus den Zeiten des Aretino; Chapron mit der ganzen blinden Selbstverlengnung des Abkömlings einer unterdrückten Rasse.... Gorka war unsinnig tapfer wie alle Polen und seine Frau unbeugsam und offenmütig wie alle Engländer, Maitland fährt fort, positiv und unempfindlich (?) und von einer eisernen Willenskraft wie alle Amerikaner zu sein.“

Außerdem erklärt Bourget in vielen Einzelheiten ausgezeichnet auf Grund wissenschaftlicher Sätze, die Handlungsweise dieser oder jener Person.

Auf pag. 367-368 sagt er von der jungen Fanny Hafner, daß sie, obwol protestantischer Religion, jüdischer Abstammung sei, also von einer verfolgten Raffe stamme, welche nicht nur die den verbannten Völkern eigenen Fehler zeige, sondern auch die im Laufe der Zeit zur Entwickelung gekommenen Tugenden. . . . Und das ist das Wiedererscheinen irgend eines unserer Ahnen in uns, nach hundert oder tausend Jahren.“

Und mit dem Atavismus und der Erblichkeit erklärt er neuerdings (pag. 437, 449, 467) die Episoden des Romans, wie den Selbstmord Albas, der natürlichen Tochter des Selbstmörders Werekiew und auch den ganzen Roman in seiner Gesamtheit, denn diese Cosmopoliten," sagt Bourget, indem er die wissenschaftlichen Folgerungen Jacobys über die menschliche Selektion und die Ent

« ForrigeFortsæt »