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Ihr, entrückt dem Vaterhause,
Fern dem frischen Stromgebrauje,
Rastet noch ein lektes Mal,
Bis ihr aus dem Sonnenstral
Wiederkehrt in eure Klause.
Wir, die noch das arge, süße
Leben warm am Busen hält,
Wir bestellen eure Grüße
An die Heimat, an die Welt.

UM

Voßstraße 86.

Von

Georg Freiherr von Ompteda.

Ahnungslos saß ich bei der Arbeit an meinem Schreibtisch, als mein Freund Gall hereinplakte. Er war vollkommen außer Atem:

passirt!

Du höre mal, mir ist was Blödsinniges wieder
Was denn?

Mein Vetter Zostenn, Jobst von Zostenn, hat

sich verlobt!

Ich fand darin nun nichts so gar „Blödsinniges" und meinte deshalb:

Na, da gratulire ihm also!

Das kann ich doch unmöglich auch noch!
Warum denn nicht?

der Toilette, die Herren wegen
na weswegen
man sich eben umsieht! Sie geht nach den Linden zu.
Ich nach. An der Behrenstraße biegt sie ein, dann die
Wilhelmstraße weiter, aber zurück nach der Leipziger.
Endlich schwupp ist sie in der Voßstraße. Dort tommt
sie bis Nr. 86, und ist verschwunden. Voßstraße?
Hinterhaus is nicht. Nur drei Parteien, wie es scheint,
im Hause! Da ist nichts zu wollen, denke ich. Aber
wer nicht wagt, auch nicht gewinnt. Ich gehe also ins
Bellevuekaffee am Potsdamerplatz und lasse mir einen
Kaffee schwarz geben. Dann sage ich dem Kellner:

"

Bitte bringen Sie mir das Adreßbuch!" „Teil 1 oder 2?"

„Wo die Straßen drinstehen!"

Im Adreßbuch blättere ich nun umher. Endlich habe ichs. Voßstraße 86. E. = Eigentümer: Wirklicher Geheimrat von Hildebrandt, dann „von Harries", dann „Köhner, Direktor der havelländischen Boden-Kredit-Bank“, und „Müller". Sie war also entweder Frau Köhner oder Frau von Harries oder Frau von Hildebrandt oder Frau Müller. Aber Müller hieß wol der Portier. In der Voßstraße wohnt kein „Müller" ohne irgendwas. An dem Abend war es nun nichts mehr, aber ich konnte ja warten. Am nächsten Tage erschien ich also gegen Dunkelwerden in der Voßstraße. An allen Fenstern von Nr. 86 waren die Jalousien dicht geschlossen. Das Haus machte eigentlich den Eindruck von unbewohnt. Ich lief zwei Stunden auf der gegenüberliegenden Seite auf und ab. Kein Mensch zeigte sich.

Zweimal wurde ich gestört und zwar sehr unan genehm. Zuerst kam mein Onkel Ernst weißt du der aus dem Kultusministerium. Ich wollte auf die

Deswegen komme ich ja. Ich will dich ja eben andere Seite gehen, aber er erkannte mich. um Rat fragen!

Da schieß doch los!

Er zog sich einen Stuhl heran und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann hielt er mir die Rechte entgegen:

Wort, daß du schweigst!
Wort!

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Wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Endlich kam er in das richtige Fahrwasser:

Also mir fiel auf der „rue Frédérique" ein Frauenzimmer auf. Hübsch selbstverständlich. Schwarzes Haar. Vor allem aber ein so außerordentlich vornehmes Gesicht. Du weißt, ich liebe das. Dann ganz erste Klasse angezogen. Uebrigens war es abends. Das ist aber ganz Wurscht. Jedenfalls konnte sie auch das Licht vertragen. Ich also natürlich stiefele ihr nach. Warum auch nicht? Ich wollte blos mal sehen, welchen Eindruck sie so auf die Leute machen würde. Natürlich blieb alles stehen und drehte sich um. Die Damen wegen

„Was machst du denn hier?"

„Ich warte auf meinen Hund!“

Kann man was Blödsinnigeres antworten? Aber so ist man in solchen Lagen. Onkel Ernst war nicht dumm. Er ging sofort weiter und meinte nur augenzwinkernd:

„So! Dem hast du wol hier Rendezvous gegeben?" Und nun kommt das ganz Verdrehte: kaum ist Onkel Ernst in der Königgräßerstraße verschwunden, als wahrhaftig meine große Dogge „Lümmet" auftaucht, und mich so lange umspringt und umbellt, bis die ganze Straße voll Menschen steht. Mir blieb garnichts übrig, als den Köter nach Haus zu bringen. Natürlich gab ich nun die Geschichte verloren. Aber dennoch versuchte ich mein Glück nochmals und lief so gegen 9 wieder durch die Voßstraße. „So blos mal durch" dachte ich. Hilfts nichts, schadets auch nichts. Doch es half. Wahrhaftig ich traf_sie. Ganz anders angezogen, aber wieder erste Klasse. Sie schien even auszugehen. Natürlich ich nach. Sie ging diesesmal anders rum, nämlich nach der Tiergartenstraße, und an der Lennéstraße bog sie rüber nach dem Tiergarten zu. Gerade vorm Lessingdenkmal dreht sie sich plötzlich um und fragt mich:

„Wünschen Sie etwas?"
Ich ganz erschrocken antworte nur:
„Nein, warum?“

„Weil Sie mir fortwährend nachlaufen!"

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dabei."

o?"

„Ia!"

Dann schwiegen wir, aber ich ging nun einmal neben ihr, also konnte ich doch nicht so mir nichts dir nichts abreisen. Das wäre unartig gewesen und ich bin immer artig gegen Damen, das weißt du ja! Wäre ich nun einfach so weiter gelaufen, so wäre es unschicklich gewesen. Wenn man einer Dame aber bekannt ist.. ist ja garnichts dabei. Ich stellte mich also vor:

„Gnädige Frau, darf ich mich bekannt machen..." Dann sagte ich meinen Namen, aber so, daß man statt „Gall" ebensogut „Bum" oder „Mumm" verstehen konnte. Weißt du, man muß vorsichtig sein. „Name | ist Schall und Rauch" sagt wol. Schiller

....

oder wars Goethe? ... Genug sie nickte und nun war ja unsere Stellung zu einander selbstverständlich eine ganz andere. Wir waren ja bekannt. Ich fragte sie also, ob ich sie bis zu ihrem Ziel begleiten dürfe? Sie nahm das gern an. „Bei der Unsicherheit hier am Tiergarten", meinte sie. Und ich fügte hinzu:

„Allerdings, denn neulich sing die Polizei im Tiergarten einen Strolch, der sich nach eigenem Geständnis seit einem halben Jahre nicht mehr gewaschen hatte!"

„Das habe ich auch gelesen. Sogar seit dreiviertel

Jahren!"

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, seit einem halben

Jahre."

Sie versteifte sich plötzlich darauf, es seien dreiviertel Jahre gewesen. Nun kennst du mich: Wider spruch von Weibern kann ich nicht vertragen. Dazu_ist in solchen Lagen der Gesprächsstoff schwierig. Ich machte also eine Riesengeschichte, ereiferte mich kolossal und rief: „Das weiß ich nun ganz bestimmt! Ein halbes

Jahr!"

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„Nun ja!"

mentalitäten in solchen Lagen. Nur nicht die Damen unterschätzen. Tatkraft imponirt immer. Als wir längst den Linden zurollten, fragte sie:

„Ist es nicht eigentlich Unrecht, was ich tue?"
„Warum denn nur, gnädige Frau?"
„Ich kenne Sie doch eigentlich garnicht!"

„Aber wir sind ja gesellschaftlich mit einander bekannt geworden! Das verpflichtet. Es wäre doch geradezu unartig von mir, einer mir bekannten Dame nicht behilflich zu sein!"

Das leuchtete ihr vollkommen ein. Nur auf der großen Treppe im Royal zögerte sie noch einmal. Doch meine Beruhigung half:

„Es handelt sich ja nur um einen Augenblick!" Oben an den Stufen, wo die Ausstellung lieblicher, gaumenreizender, exotischer Früchte einen anlacht, empfing uns sofort der Diener, um die Garderobe abzunehmen. Ich winkte ab. Halblaut wandte ich mich an meine bekannte Unbekannte:

„Gnädige Frau, gesellschaftlich richtig wäre es natürlich, wir gingen vorn in den allgemeinen Eßsaal, aber... iwissen Sie, dort könnten wir doch anstandshalber nicht anders, als etwas genießen. Wenn es Ihnen recht ist, treten wir für eine Minute hinten in eines der kleineren Zimmer. Das verpflichtet zu nichts.

..

Sie war offenbar sehr gerührt über mein Zartgefühl und der Kellner, mein alter Freund Horn - übrigens der beste cabinet particulier-Kellner in Berlin öffnete uns schweigend Nr. 7. Er ließ das elektrische Licht er. stralen. Ich begann:

„Es handelt sich nämlich um eine Wette. Vor einiger Zeit stand in den Blättern eine Notiz, es sei im Tiergarten bei einer Razzia auf Gesindel ein Mensch aufgegriffen worden, der sich seit langer Zeit, wie er gestand, nicht gewaschen hatte."

Horn verbeugte sich verständnisinnig:
„Sehr wol, Herr ..."

Horn ist nämlich sehr diskret. Er sagt nie einen Namen, und tut nie, als ob man in den cabinets particuliers bekannt sei. Das ist ja in der Tat manchimal störend. Ich fuhr fort:

„Nun behauptet die gnädige Frau, der Mensch habe sich seit dreiviertel Jahren nicht gewaschen, ich behaupte, nur seit einem halben Jahre."

Horn dachte einen Augenblick scharf nach, dann sagte er:

„Ah so, richtig. Ich erinnere mich. Das kann vielleicht vor einem Monat in den Blättern gestanden haben." „Ia so etwa. Nicht wahr, gnädige Frau?"

Sie hatte sich neugierig umgesehen und vor allem

„Wohin befehlen Sie dann, daß ich Sie geleite?" den großen, namenbekriketten Pfeilerspiegel des Zimmers

„Oh, ich wollte nur mal Luft schnappen!"

„Sie haben also kein Ziel?"

„Ich werde bald heimkehren."

„Aber unsere Wette?"

„Ia so!"

nach!"

„Wenn Sie erlauben, sehe ich sofort in der Zeitung

„Gut!"

Nun erzählte ich ihr, daß im Restaurant Royal „Unter den Linden" die alten Zeitungsnummern aufbewahrt würden. Dort könnte ich suchen. Ich sei da bekannt, da ich täglich dort äße. Ich schloß:

„Sie müßten also so gut sein, gnädige Frau, mir zu erlauben, daß ich Sie dahin brächte."

Da zögerte Sie doch. Aber ich ging garnicht darauf ein, sondern rief sofort eine Droschke erster Güte an. Man muß männlich auftreten. Wer viel fragt, wird viel berichtet. Nichts ist törichter als lange Senti

lange Zeit eifrig studirt, nun fuhr sie auf mit leichtem Anflug von Verlegenheit:

Jawol, vor vielleicht einem Monat!"

Horn sagte, wieder sich verbeugend:
„Sehr wol, gnädige Frau!"

Und dann:

„Ich werde sofort in den Zeitungen nachsehen. Wenn die Herrschaften vielleicht sich einen Augenblick gedulden wollen."

Der Kellner war hinaus. Ich bat die gnädige Frau Platz zu nehmen. Wir unterhielten uns immer noch über das Problem des Waschens. Sie sah dabei so reizend aus, daß ich ihr am liebsten um den Hals gefallen wäre. Doch ich erinnerte mich rechtzeitig unserer gesellschaftlichen Stellung zu einander. Endlich begann der Stoff mager zu werden und als sie auf meine letzte Zuflucht:

„Man behauptet, daß die Höhe des Seifenverbrauchs ein Kulturmesser sei", gar nicht antwortete, beschloß ich ein anderes Thema zu wählen:

„Gnädige Frau, wollen Sie nicht für den Augenblick lieber Ihre Pellerine ablegen? Es ist hier sehr warm, draußen kühl. Sie werden sich erfälten."

Gerührt durch meine Fürsorge, erlaubte sie mir, ihr den Umhang abzunehmen. Nun erst bemerkte ich ihre enge Taille und ihre köstliche Figur. Wahrscheinlich machte ich diese Bemerkung zu ausfallend, denn sie fragte:

"

„Was haben Sie denn?"
„Interesseloses Wolgefallen!"

Damit warf ich meinen cover coat ab und legte

ihn auf einen Stuhl. Sie meinte nur:

„Kann bei einem Manne ein Wolgefallen wirklich interesselos sein?"

Ich hatte die Frechheit zu antworten:

„Das sehen Sie doch an mir!"

Und diese Beruhigung gab ihr wahrscheinlich den

Mut, sich ihres Schleiers zu entledigen: „Es ist unerträglich heiß."

Sofort machte ich ein Fenster auf. Dann sekten wir uns an den Tisch einander gegenüber. Sie stöhnte plöklich:

„Mein Gott, ich denke daran, wenn uns jemand

hier sähe."

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Horn verschwand.

Durch meine bestimmte Ablehnung des drohenden Soupers hatte ich augenscheinlich ihr volles Vertrauen gewonnen, denn sie sagte:

„Der arme Mensch. Alle die Mühe, die er sich für uns giebt..."

Und nun faßte ich einen Entschluß:

„Gnädige Frau, wissen Sie, eigentlich geht es doch nicht so.. Einfach so'n Taler in die Hand drücken für sein Suchen, das geht nicht. Der Mann ist hier sozusagen Geschäftsführer. Bezieht seine Prozente. Es wäre im Grunde genommen nur recht und billig, wenn ich was bestellte."

Sie erschrak:

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Als wir allein waren, machte ich ihr ernstliche Vorwürfe, so schroff gesagt zu haben, daß sie nichts tränke. Sie brauche es ja einfach stillschweigend nicht zu tun. Ich guckte sie mir wieder dabei an. Wahrhaftig, sowas hatte ich doch bisher nicht gesehen. Ich zitterte förmlich vor innerer Erregung, was nun eigentlich werden würde. Das war ja ganz das, was ich mir immer geträumt. „Ein feiner Coup" wie man sagt. Aber bei dieser Sicherheit, die sie hatte, die doch vornehm dabei blieb, war eben wol nichts zu wollen.

Horn brachte den Pommery.

„Haben Sie die Zeitung gefunden?" fragte ich ihn,

während er die Flasche entkorkte.

„Verzeihung. Ich habe schon die Nummern von zwei Wochen durchgesucht. Ohne Erfolg bisher."

Er ging sofort wieder, um zu suchen, nachdem er mir mein Glas eingeschenkt. Es perlte so schön auf dem Tisch, dazu die Farbe. Du kennst mich ja Pommery extra dry vor sich und stehen lassen? Nee. Dazu fiel mir ein, daß ich doch unhöflich war, wenn ich nicht den lockenden Schaumwein auf die Gesundheit meines schönen Gegenüber getrunken hätte. Ich hob also die Schale:

„Gnädige Frau. Ich fürchte, Sie möchten mich für wenig galant halten, wenn ich nicht wenigstens einen Schluck auf Ihr Wol tränke."

Sie verneigte sich ein wenig und schien unschlüssig zu sein, was sie antworten sollte, schließlich meinte sie schelmisch.

„Da müßte ich Ihnen wol eigentlich Bescheid tun?" „Aber mit Vergnügen."

Das war ein Wort. Augenblicklich füllte ich ihr ein Glas und „Kling" klirrten die Schalen aneinander. Uebrigens hatte sie einen guten Zug, der Wein war herunter,,wies Donnerwetter". Er war vorzüglich und eiskalt.

„Bravo gnädige Frau!" sagte ich, das war ein Schluck. Allerhand Hochachtung!"

Sie lächelte nur, dann aber wurden ihre schönen Züge plötzlich ernst und sie griff sich an die Taille. Besorgt sprang ich auf. Sie war ganz blaß geworden. „Was ist Ihnen denn, gnädige Frau?" „Ach

Nur eben..."

nichts. Es wird schon vorüber gehen.

„Kann ich irgend etwas tun?"

Sie lächelte blos ein wenig wie in Schmerzen, schüttelte ihr süßes, feingeschnittenes, vornehmes Köpfchen und antwortete:

„Der kalte Champagner ist es in dem leeren Magen!" „Essen Sie doch eine Kleinigkeit! Sie müssen eine

Spur genießen..." „Danke wirklich. Das will ich ja gerade nicht. Es geht schon vorüber!" Aber ich beruhigte mich nicht dabei, sondern klingelte sofort dem Kellner:

„Der gnädigen Frau ist der Sekt nicht bekommen." „Vielleicht Natron gefällig? Wir haben immer welches vorrätig!"

„Das geht doch nicht gut." „Warum nicht? Einfach pro forma! Nur um was

zu tun! Wir brauchen ja nichts zu genießen."

„Ja, das wäre vielleicht ganz gut."

Sofort klingelte ich:

„Eine Flasche... Sekt... Was denn gleich..." Horn schlug vor:

„Nein, nein lieber was zu essen!" Sie wehrte sich nochmals, aber mir lag ihre Gesundheit natürlich mehr am Herzen als oberflächliche Galanterie. „Schlagen sie mal was zu essen vor!"

„Ein süßer Champagner vielleicht? Damenwein?" Sie wehrte sich:

Horn war sofort entschlossen: eine „Brüsseler Poularde" sei das einzige in solchen Fällen. Aber darüber war sie ganz außer sich. So schlug er denn einen „Timbal von Krebsen" vor. Da sie aber auch das nicht wollte, so machte ich kurzen Prozeß und sagte dem Kellner einfach:

„Ich überlasse es Ihnen." Horn verbeugte sich.

„Sehr wol. Ich werde ein kleines Souper arrangiren."

Ihr Zetergeschrei über diesen Gedanken verhallte wirkungslos, denn der Kellner war längst draußen. Nun aber hielt ich es an der Zeit energisch zu werden. Einer eigensinnigen Kranken gegenüber muß man andere Saiten aufziehen. Ich hielt ihr also eine fulminante Rede. Du weißt ja, das kann ich. Ich sagte:

„Gnädige Frau! Jekt warten sie mal ganz ruhig | ab, wie die Dinge sich entwickeln werden. Wenn Sie krank sind und durch meine Schuld - da es Ihnen doch so schlecht bekommen ist auf mein Wol zu trinken also wenn Sie krank sind, dann müssen Sie sich auch pflegen lassen und die konventionellen Rücksichten hören dabei auf. Wenn es auch noch so unpassend sein sollte. Jetzt wird gegessen und zwar ordentlich. Das sage ich Ihnen. Uebrigens sind Horns „kleine Soupers" einfach großartig!"

(Schluß folgt.)

Litterarische Chronik.

„Das Recht auf Glück" von Olga Wohlbrück. (Berliner Theater, 24. Januar.) „Gisela" von Else von Schabelsky (Neues Theater, 29 Januar.)

Die Stücke dieser beiden Frauen haben einen Verührungspunkt: es wird kein wahres Wort darin gesprochen. Schwerlich tritt hier eine weibliche Rasseneigenschaft hervor: zahlreiche deutsche Dramatiker, die nach ihrer anatomischen Beschaffenheit zu den Männern gezählt werden müssen, schreiben grundsätzlich Stücke von gleicher Verlogenheit.

Spezifisch feminin scheint eher die ungewöhnliche Redseligkeit, die sich in beiden Schauspielen peinvoll breit macht. So etwas von Mangel an Konzentration ist selten dagewesen. Auffallend in beiden Fällen ist das gänzliche Fehlen von dramatisch Packendem. Am ausfallendsten, daß die Vertreter einer im Leben feinfühligeren Rasse in allen Einzelheiten ihrer Stücke von so knüppeldicker Plumpheit sind. Die Schabelsky ist unzweifelhaft die Bedeutendere von beiden. Die Voraussetzung der Wohlbrück ist die Lektüre von Weiberromanen, die Voraussekung der Schabelsky immerhin die Kenntnis sozialer Satiren. Die eine ahmt elende Muster gut nach und schreibt „das Recht auf Glück", die andere ahmt gute Muster elend nach und schreibt „Gisela“.

Das Schauspiel der Frau Wohlbrück enthält eine Szene, die stofflich interessant ist. Es handelt sich um die Darstellungen der kleinen Beinlichkeiten, welche durch die Einführung einer sehr jungen Stiefmutter in ein Haus mit erwachsenen Kindern entstehen können. Hier glaubt man einen Augenblick, Frau Wohlbrück werde künstlerisch ernst sein; man merkt aber sofort, daß es ihr um lustspielhafte Wahrheitsentstellungen zu tun ist: sie läßt die beteiligten Personen über das Wetter sprechen, um ihre Verlegenheit anzudeuten,

ein Vorgang, der in den Augen vaterländischer Komödiendichter heillos komisch ist, sie läßt einen albernen Sohn noch alberner werden, kurz sie macht sich vor der Aufgabe unbedenklich aus dem Staube. Schlimmer aber als im Scherz ist sie in ihrem Ernst. Welcher achtungfordernde Aufwand an falscher Sentimentalität! Ein Aschenbrödel mit lahmem Bein steht im Vordergrund; sie soll verbittert sein, aber die Verbitterung macht sie nicht einsilbig und verbissen, sondern rührselig-schwakhast; sie redet spaltenlang und im fatalen Stil einer theatralischen Schriftstellerin über ihren Stolz,

über ihre Abneigung, bemitleidet zu werden, über das Verlangen nach Liebe und das Recht auf Glück, sie fällt von Zeit zu Zeit jemanden um den Hals und macht durch ihrer Tränen vergeblichen Lauf die van Borckensche Wohnung, um mit Gustav von Moser zu reden, zur Weinstube. Hübsch sind die Beziehungen der Gestalten zu einander erfunden: drei Freunde leben in Düsseldorf, ein Mädchen, ihr Bruder Professor und ein Maler; der Maler kommt nach Berlin und verlobt sich in eine „Großindustriellenfamilie" hinein, und zufällig tut dasselbe die düsseldorfer Freundin: sie verlobt sich, von Düsseldorf aus, mit keinem anderen als ausgerechnet jenem Großindustriellen in Berlin. Wie sinnig!

Elsa von Schabelsky verwendet schöne Namen wie „Kurt von Thalberg" und „Waldau“ und läßt die verheiratete Favoritin eines Fürsten in mehreren Reden sehr gedruckten Tharakters auf die anständigen Leute schimpfen. Sie giebt eine theatralische Apologie ihrer Sünden, unter Zuhilfenahme von Darwinschen Entschuldigungsgründen, und lehnt sich in ihrer Erregung nach Kräften an die Tochter des Oberstlieutenants Schwarze an. Wie diese einen korrekten Streber, hat sie einen streberhaften Feigling sich gegenüber, ihren Gatten, den sie gegen den Schluß hin mit ähnlicher tötlicher Verachtung straft, wie jene den Regierungsrat Keller. Der Mann Giselas, welcher ihr rentables Freundschaftsverhältnis mit dem allergnädigsten Landesherrn duldet, hätte eine psychologisch reizvolle Bühnengestalt werden können; aber die Dramatikerin entkleidete ihn aller Feinheit und machte ihn zu einem plnmpen Theaterjämmerling. Der Kampf zwischen den Anständigen und den Unanständigen in diesem Stück dreht sich im wesentlichen um ein junges Mädchen, dessen Hand ein Abgeordneter begehrt. Es ist ein Mädchen, das recht oft von den kleinen Hühnern auf dem Lande spricht und niemals von den großen Gänsen, denen sie innig nahe steht. Um ihretwillen wird die äußerlich einträchtige Che zwischen dem Hofbaumeister und Gisela zerstört, um ihretwillen läßt sich der anständige liberale Rechtsanwalt und Abgeordnete verleumden, um ihretwillen zerwirft er sich mit Gisela, um ihretwillen muß er sich unverschämte Zumutungen von ReptilienJournalisten gefallen lassen. Der Preis für diese großen Umstände, die er sich und anderen macht, ist ein Mädchen von ungewöhnlicher Dummheit. König Wiswamitra, o welch ein Ochs bist Du! Alfred Kerr.

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Frankfurt a. M.

م

Herold, H.: „Gustav der Dritte". Charaktertragödie in 5 Akten. Erstaufführung in Altenburg.

Jacobi, I.: „Prinz Louis Ferdinand". Drama in 5 A. Erfolgreich aufgef. in Köln.

Kreker, M.: „Hochzeitsflammen". Volksstück. Dreimal aufgeführt Centraltheater. Berlin. Krumbhaar, E.: „Friedrich Wilhelm I. und Kronprinz Frik". Schauspiel in 5 Akten. Locella, Baron v: „Der Friedensstifter". Einakter angen. Dresden. Hostheater.

Lothar, R.: „Der Wunsch". Märchenspiel. Erfolgreich aufgef. im Burgtheater. Wien.

geführt in Mailand.

Lopiz, S.: „Das Geheimnis", (Il segreto) erfolgreich aufLubliner, H.: „Die hohe Schule". Lustspiel, 4 Akten. Angen. Deutsch. Theater (Berlin). Meischeider: „Graf Bernhard Lippe". Volksdrama. Vorbereitet von den Bürgern Neuhaldenslebens.

Burgtheater. Wien.

Meyer, W.: „Eine schlechte Nacht". Lustspiel. Aufgeführt Moser, G. v. und Trotha: „Nur kein Leutnant". Lustspiel. Erfolgreich aufgeführt. Görlik. „Der Taugenichts". Lustspiel.

Erfolgreich aufgeführt in Zittau. Stadttheater.

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„Der Windhund". Schwank. 4 Akte. Erfolgreich aufgef. Detmold. Hoftheater.

Desterhaus, W.: „Hermann der Cheruskerfürst". Erfolgreich | zeitig wiederfahren, und zwar von zwei von einander unabhängigen

Ompteda, G. v.: „Nach dem Manöver". Angenommen, Lessingtheater. Berlin.

Praga, Marco: „Der Erbe" (l'Erete). Schauspiel. Mit Erfolg ausgeführt. Teatro Gerbino. (Turin).

Rhangabé: „Die Herzogin von Athen" Erf. aufgef. in Lübeck. (Stadttheater). Reuling, C. G.: „Der Mann im Schatten". Komödie. Angenommen, Deutsches Theater. (Berlin).

Sardou, Vict.: Madame Sans-Géne. Komödie, 4 Akten und Vorspiel. Aufgeführt, Lessingtheater. (Berlin).

Schabelski, E. v. Gisela. Schauspiel. Neues Theater. (Berlin).
Schaumberger, F.: „Die neue Che". Angen., München.
Schönthan, Fr. v. und Gustav Kadelburg: „Der Herr

Hoftheater.

Senator". Erfolgreich aufgef., Deutsches Theater. (Berlin).

Siking, Fr.: „Beatrice". Histor. Drama. Erfolgreich aufgeführt, Mannheim. Hoftheater.

Stempel, M: „Licht". Ausgef, Neues Theater. (Berlin).
Staack, S.: „Die Else vom Erlenhof". Volksstück, 5 Akten.

Erfolgr. aufgef., Hamburg. Volkstheater.

Wolters, Wilh. und Karl Gjellerup: „Eine Million". Drama. An die Bühnen versandt. Angenommen, Dagmartheater. Kopenhagen.

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Ein Hering liebt eine Auster.... Möge es Scheffel nicht für ein freventliches Attentat halten, wenn ein Philologe sich erdreistet, eines seiner prächtigsten Stücke, das Heringslied, in die Behandlung zu nehmen und ihm gar einen Vorgänger nachzuweisen, bei dem des guten Herings Stelle ein armseliges Mäuschen einnimmt. Milderungsgrund für dies Unterfangen mag sein, daß auf diese Weise zwei niedliche Gedichte des sechszehnten Jahrhunderts zum ersten Male wieder seit ihrem Erscheinen gedruckt und so eigent lich erst bekannt werden.

Zwei Jahrtausende müssen wir uns zurückversehen, in eine Zeit, wo man freilich auch die Natur betrachtete, auch mit Vorliebe die Tiere und Pflanzen in allen ihren Lebensäußerungen beobachtete und, was man Seltsames gesehen, in kleinen kleinen Erzählungen und Gedichten den anderen berichtete, aber doch noch nicht dazu gelangt war, sentimentale Liebschaften den Tieren anzudichten, sie gar nach einem Kusse sehnsüchtig schmachten zu lassen. In dieser Zeit nun, in der ersten Hälfte des ersten christlichen Jahrhunderts lebte in Rom ein Dichter Antiphilos aus Byzanz, von dem wir eine ganze Anzahl Epigramme besitzen, die sich auf Vorgänge in der Natur, in der belebten wie in der unbelebten, beziehen. So weiß er auch folgendes von einem gefräßigen Mäuschen zu erzählen: „Einst sah der alles beleckende Vielfraß, im Haus umherschleichend, ein Müschelchen, wie es die Schalen lüftete, hurtig knuspert er an dem herausguckenden vermeintlichen Fleische. Aber, o weh! Es klappte das kalkscherbige Schneckengehäus und schlug vor Schmerzen zusammen. Ach, so hast du dir nun, im unentfliehbaren Kerker Tod und Begräbnis zugleich, naschhaftes Mäuslein, ernagt." Mit Behagen haben die lateinischen Poeten der Renaissance dieses kleine Geschichtchen übersekt, ja Andr. Mciato (1492-1558) hat es der Chre gewürdigt, es seinen bekannten lateinischen Emblemen (1534) einzuverleiben, die, mit bemerkenswerten Holzschnitten versehen, unzählige Male_aufgelegt wurden im sechszehnten, aber auch noch im siebenzehnten Jahrhundert. Während der erste Holzschneider noch nicht wagte, den schwer darstellbaren Vorgang zu illustriren, vielmehr naiverweise einfach ein Mäuschen in einer hölzernen Falle darstellte, haben alle folgenden das wunderbare Ereignis an die Meeresküste verlegt und in eine besonders große Auster den Delinquenten schlüpfen und dort, im dunklen Kerker, sein armes Leben beschließen lassen.

Aber nicht nur der Illustration ist so das Gedichtchen teilhaft geworden, auch die Uebertragung in deutsche Reime ist ihm früh

Dichtern. Wolfgang Hunger (geboren 1511 in Wasserburg in Baiern, gestorben 1555 als Kanzler des Bischofs von Freisingen, längere Zeit Professor des Rechts in Ingolstadt) hat im Jahre 1539 die Emblemata des berühmten italienischen Suristen übersekt. Als Nummer 86 findet sich bei ihm mit dem oben beschriebenen Holzschnitt das Emblem:

Gefangen um den Fraß.
Ein schleckhaft und gefräßig Maus
Ein Meerschneck in der Küch' ersach,
Der halb geöffnet hätt sein Haus.
Darein stieß sie ihr Moul mit Gach,
Das ihr der Schneck knirscht und zerbrach,
Wie er sich einzog und beschloß.
Mancher kumbt noch in Ungemach,
Der alles Frah will sein genoß!

Das Guillotiniren, Zeile 5, ist eigentlich nicht genau der Vorlage entsprechend: ist es schon beim Hering schwer denkbar, so erst recht bei einer Maus, sie wird nur eingekerkert. Die anderen in weniger kunstvoller Rhythmik gegebene Uebersetzung von Ier. Held aus Nördlingen (Frankfurt a. M. 1566) ist korrekter, dichterisch freilich geringer.

Ein Gefangener von wegen des Geschlecks.
Ein Maus, die in ein Gemach voll Speis

War, beschnarscht's und big an all Tracht leis,
Sticht ein Muschel, ein wenig erkreckt,
Daraus gucket ein Osterschneck,
Läuft bald herzu, versucht sein Heil,
Ob ihr davon möcht werden ihr Theil.
Als aber sie den Schnecken anrührt,
Thut er sich in sein Haus und wird
Die Maus erhascht und beschlossen ein
In das finster Gefängnis sein.

Also in ein finster Grabstatt

Die Maus sich selbst geführet hat.

Hier haben wir eine gauz exakte Wiedergabe des lateinischgriechischen Gedichts, denn Held hat auch den griechischen Text verglichen, wie er versichert.

Ganz anders Hunger! Mit einer nicht geringen Freiheit hat er die Erzählung umgeformt, und er hat ihr nach der Sitte der Zeit entsprechend eine Moral angehängt (übrigens mit Benutzung einer französischen Uebersetzung). Scheffel hat nun in genialer Kühnheit und in übermütiger Laune die Szene ins Meer verlegt und statt der schleckhaften Maus den Harung eingeführt. So kam er denn auf das urkomische Liebesmotiv, wodurch das Gedichtchen stets so drastisch wirkt. M. R.

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Das Deutschtum in Amerika hat durch den Tod Dr. Oswald Seidenstiders einen schweren Verlust erlitten. Der Verstorbene war der Sohn Georg Friedrich Seidenstickers, der in der Reaktionszeit revolutionärer Umtriebe halber aus Deutschland verwiesen wurde. Seit 1867 war er Prosessor der deutschen Sprache an der Universität Philadelphia und Vorsitzender der dortigen „deutschen Gesellschaft."

Seine Verdienste um das Deutschtuni in den Vereinigten Staaten sind mannigfaltige und tiefgehende. Er war der Gründer des,,deutschen Pioniervereins von Pennsylvanien" und hat damit das Studium der deutsch-amerikanischen Geschichte wesentlich gefördert. Seine eigenen Schriften ließ er in dem Organ des Vereins, dem,deutschen Pionier", erscheinen. In seiner „deutsch - amerikanischen Bibliographie von 1723--1830" hat er ein Werk von bleibender Bedeutung geschaffen.

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