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vor bei der Geschäftsempfehlung seines Elixirs. Er zweifelte keinen Augenblick, daß sein in New-Lanark erfundenes und erprobtes Wundermittel alsobald von sämtlichen Regierungen approbirt werden würde, daß die Welt auf dem Wege des Vernunftimpfzwanges ein einziges großes New-Lanark werden würde, und die Menschen lauter saubere, schön gemalte, fleckenfreie Ziffern auf dem Maschinenkonto. Die Großen dieser Welt, Diplomaten und Fürsten, erwärmten sich für die angeblich so rentablen Ideen des tatkräftigen Mannes, da traf ihn mitten ins Herz die freche Ehrlichkeit eines Angehörigen des Dichter- und Denkervolkes, das Wort des Herrn von Genk, des staatsmännischen Roués: „Wir wünschen garnicht, daß die Massen wolhabend und unabhängig werden. Wie könnten wir sie sonst beherrschen?!"

Robert Owen war ein praktischer Realpolitiker, ein derber Utilitarist, und die Männer auf der Höhe nahmen Anteil an seinen Experimenten mit der Produktivkraft der Humanität, und dennoch war seine Wirksamkeit erfolglos. Der Glaube, daß man in aller Gemütlichkeit die Vernunft erhandeln könne, erwies sich als Wahn: Londons Ostend, Siziliens Hungerhölle sind immer noch nicht vernünftig geworden, und die Zahl der Sozialglücklichen beträgt immer noch weniger als vier Prozent. Herr v. Egidy ist kein Utilitarist, kein Großindustrieller der Humanität, kein Praktiker, auch hat ihn bisher keine Regierung meines Wissens zu ihrem Berater erkoren, und doch vermißt er sich, die Menschen auf dem Wege der Versöhnung zum Allglück zu führen. Ihn widert das Grobe, Gehässige, Mörderische der Parteien an, die den Gegner zu vernichten streben, um selbst zu herrschen. Mit sanften Vernunftsgründen und zärtlichen Liebesworten will er die Menschen ins goldne Zeitalter locken, aber mit all dem ernsten und reinen Wollen bleibt dieser Adelsmensch ohne mächtiger als der kleinste Schreier vom Bund der Landwirte, der die Güte hat, der Welt den Untergang zu profezeien, sofern er nicht aus seiner höchsteignen Notlage gerissen wird. Unser politisches Klima ist jekt weniger denn je geeignet, daß wir auf den wärmenden Fusel des Hasses verzichten, daß wir in scheuem Temperenzlertum mit der Milch der bekannten frommen Kuh eine runde, rotwangige Zukunft aufpäppeln könnten. Wir Parteilosen bilden nichts als das unnüze Premierenpublikum der neuen und großen Ideen.

Das Wort des Herrn von Genk ist noch immer das geheime Dogma der Erbschleicher der Macht und des BeFikes. Der Selbsterhaltungstrieb der Junker begnügt sich nicht mit dem Existenzminimum, nicht einmal mit dem Existenzmaximum, erheischt überdies die imaginäre Steigerung durch die Erniedrigung der andern. Freilich spricht man es jekt nicht mehr so keck aus: „Wir wünschen gar nicht, daß die Massen wolhabend und unabhängig werden. Wie könnten wir sie sonst beherrschen." Aber im Grunde ihrer herrischen Seelen fühlen sies, dies Gefühl und dieser Gedanke leitet insgeheim ihr Tun, und nur schlimmer und würdeloser wird ihre Selbstsucht, da sie nicht mehr den Mut des offenen Bekennens hat, sondern in ekler, feiger Heuchelei mit den „lieben Kleinen" Brüderschaft trinkt. Und die Kleinen, die ihr bischen Daseinsglück in blutenden Feken durch jahrhundertelange Mühen den Großen aus dem starken Gebiß entwunden haben, sie sollen in ihnen plöklich die Retter der Ordnung, die Schüßer der Kultur sehen. Nein, wahrlich es gibt keine Versöhnung zwischen diesen und uns.

Herr v. Egidy mag sich in den Bund der Landwirte aufnehmen lassen und auf dessen im Februar zu Berlin tagender Generalversammlung folgende Versöhnungssätze der zweiten Nummer seiner Zeitschrift wiederholen: „Es

sonst anderen Völkern, die wir als natürlich, als vernunftgemäß, somit: als unserem religiösen Bewustsein entsprechend, als Gottgewollt, als christlich, als evangelisch, auch als deutsch, kurz: mit dem Worte bezeichnen dürfen, das jeder selbst wählen wird, um sein Höchstempfinden zu treffen. Diese Vereinbarung lautet: uneingeschränkter, durch keinen Zoll oder Abgabe oder sonst wie belasteter Austausch aller Natur- und Arbeits-Erzeugnisse. Also: Freihandel in des Wortes und Begriffes umfassendster Bedeutung. Keine noch so peinlich erdachte, noch so sorgsam erwogene Abmachung kann jemals dem All-Interesse in dem Maße entsprechen, als der uneingeschränkte WarenAustausch es tut. Nicht, daß eine Beseitigung des Grenzzolls im Moment der Beseitigung dem Interesse aller, oder gar dem Interesse aller gleichmäßig entspräche. Wir müssen eben unterscheiden: All-Interesse, und: gleiches Interesse für alle, das heißt für jeden zum Volke gehörigen. Weil kein Handelsvertrag heutiger Art je dem Interesse aller gleichmäßig entsprechen kann, wird keiner je das Interesse der Gemeinsamkeit voll vertreten; keiner auch ist geeignet oder läßt voraussehen, daß die Gemeinsamkeit, das heißt, daß alle Glieder derselben, jemals sich derart in einen und denselben Schutz - Vertrag einleben werden, daß man ihn eiwa im Vertrauen auf die Zukunft gutheißen könnte u. s. w."

Ich fürchte, die Bundesherren werden die Versöhnungsworte des Herrn v. Egidy sehr sonderbar finden und nach kurzer Verlegenheitspause ich setze den gnädigsten Fall - fortfahren, zu beweisen, daß sie durchaus ans öffentlichen Mitteln erhalten werden müßten.

Oder er halte in selbiger Versammlung über die Verschuldung des Großgrundbesikes etwa folgende Rede:

„Die Tendenz, die auf Schuldenentlastung zielt, weist deutlich den Weg zu Versöhnung der schroffen Gegensätze unserer Zeit, und damit den Weg zur Erlösung. Ihr Streben nach Einführung der Doppelwärung, die mir allerdings vom Standpunkte der gegenwärtigen finanzpolitischen Lage sehr bedenklich erscheint. Ihre Forderung auf_Abänderung des Schuldrechtes, sind die unbewusten Anfänge einer Gewissensänderung in den Eigentumsanschauungen. Das Eigentumsrecht, wie es heute noch geltend ist, widerspricht dem modernen religiösen Bewustsein, das keine Institution dulden will, welche die Menschen auseinandersprengt zur Höhe, in den Abgrund. Indem Sie die Brutalität des Besikrechts mit Ihren Forderungen durchbohren, töten Sie das ganze System. Sie werden die Konsequenzen dieser ersten Forderungen nunmehr ziehen, zum Heile der Gesamtheit."

Ich fürchte, die Herren würden auch solche Worte sehr, sehr sonderbar finden.

Vielleicht bemüht sich Herr von Egidy auch einmal ins Herrenhaus und bekehrt einen der ausgewählten Volksverfreter zu seinen Anschauungen. Und dieser Bekehrte soll dann nur bei der Beratung der neuen Landwirtschaftskammer die kleine Forderung aussprechen, daß das Wahlrecht zu diesen Kammern den Bauern gleichen Einfluß gewähre wie dem Großgrundbesiker. Herr von Egidy wird dann zweifellos von seinem Tribünenplak bemerken, daß man den Sprecher mit besorgten Mienen am Weiter= reden zu verhindern sucht. Im glücklichsten Falle wird das Entmündigungsverfahren wieder eingestellt, eingeleitet wird es gegen den bekehrten Herrenhäusler unter allen Umständen.

Auch ein Besuch beim Herrn von Stumm wäre lohnend, um den sich ja jetzt anscheinend die konservative Regierungsschustruppe sammelt - ein sicheres Zeichen, daß die verstummte Sozialpolitik in nächster Zeit die Sprache nicht wiederfinden wird. Es wäre eine schöne Aufgabe, Doch genug der satirischen Ausmalungen! Bedarf es wirklich eines Beweises, daß die Versöhnungsidee des Herrn Egidy eine Utopie ersten Ranges ist? Der Mann der „ernsten Gedanken", der so viel Arbeitskraft, Begeisterung und Opferfähigkeit an ein Fantom verschwendet, wird eines Tages, sofern er fortzuschreiten vermag, ohnehin zur Erkenntnis gelangen, daß alle Fragen in der Stunde der Entscheidung Macht- und Interessenfragen sind. Freiwillig haben noch nie die Hemmer des Fortschritts den Hämmern der Zukunft ihre Köpfe dargeboten. Und am Tage dieser Erkenntnis wird Herr von Egidy das sensible Temperenzlertum aufgeben und - Parteimann werden, Anhänger der Partei, bei der er die gröste Wahrheit und die gröste Macht sieht.

gibt nur eine Vereinbarung mit unseren Nachbar- und | den Mann mit den Sozialdemokraten zu versöhnen ....

Feind bleibt Feind. Versöhnung stiften soll man unter den Freunden, die Gleichfühlenden bilden zu Gleich denkenden und Gleichhandelnden. Die freien und feinen, über engem Fraktionsgeist schwärmenden Ideen seien Werber und Bildner schaffensstarker Mächte, nicht Sekten gründer voll eigensinniger Ohnmacht! Herr von Egidy, der Utopist der Versöhnung, ist einer nur von vielen bei Seite stehenden Feingeistern. Sie mögen aufhören, den Fusel zu scheuen!

Sperans.

Verse 1893. Besprochen von Otto Ernst. III. *)

Richard Schmidt - Cabanis**) reitet in seinen „Lachenden Liedern" seinen Pegasus mit dem bekannten equilibristischen Geschick und der bekannten guten Laune. Es ist kein großgeistiger Humor in dem Buche, der die lächerlichen und lustigen Dinge der Welt von einem einheitlichen Gesichtspunkte aus betrachtet; auf poetische Bedeutung macht es auch wol keinen Anspruch. Schmidt Cabanis sieht sich vielmehr jeden einzelnen Gegenstand darauf hin an, wieviel gute Scherze - zuweilen sind es auch nur Späße sich über ihn machen lassen; dieses Bemühen hat zuweilen etwas von unverkennbarer „Krampfhaftigkeit"; aber gleichviel - er führt alles zum guten Gelingen hinaus, und das Büchlein amüsirt, solange man es in der Hand hält.

Mehr aus einem Gusse und aus einer Lebensauf fassung herausgeschaffen sind die „Schelmenlieder eines fahrenden Komödianten" von Georg Kleinecke.***) Diesen Liedern eines echten Schelmen merkt man nichts Gezwungenes und Gemachtes an; sie sind überraschend scharf pointirt; aber die Pointen sind keine Wike, sondern drollige, trocken-komische Bemerkungen, die dem Verfasser sozusagen beiläufig entfallen: er trifft so ganz en passant den Nagel auf den Kopf, so, wenn er das köstliche Liedchen „Oberammergau" beginnt:

„In Oberammergau hört man

Vom Leiden des Gottessohns viel;
Sie haben es auf die Bühne gebracht
Und nennen es das Passionsspiel.
Sie haben es glänzend inszenirt
Aus drei besonderen Gründen:

Aus Frömmigkeit, aus Künstlertrieb,

Und um die Fremden zu schinden.“

Ganz im alten Geleise fahrend, zeigt sich Christoph Nickwik in seinen „Gedichten", doch als eine viel frischere, dem Leben inniger zugewante Natur. 343 Seiten sind allerdings für dieses Buch ein viel zu anspruchsvoller Umfang. Bemerkenswert ist die Ballade „Tannhäuser", und schön sind einige Uebersehungen aus Puschkin und Lermontow, an denen der Verfasser hat sehen können, wieviel orgineller man sein kann, als er es in der Regel ist. Wenn ich mir ein Gedicht von Nickwik zurückrufen wollte, mußte ichs immer zum zweiten Male von Anfang bis zu Ende lesen; bei den beiden Russen und ähnlichen guten Musikanten genügt eine Zeile, und man weiß schon: Aha, das ist das.

Die Dichtungen, welche auf dem „Vormittag im Königlichen Odeon zu München"*) bei Gelegenheit des Journalisten- und Schriftstellertages vorgetragen wurden, sind in einem Hefte vereinigt erschienen. Es finden sich darunter schöne Gedichte von Bierbaum („Die Herberge") und von Maurice v. Stern („Sängers Tod“); zwei herrliche Sachen von Ernst v. Wildenbruch (Andree Hofer" und „Die Linde Tandaradei"), ein bis auf den etwas saloppen Eingang brillantes Gedicht von Liliencron (Chrischan Schmeer") und ein nicht minder schönes von Georg v. Ompteda („Biwakabend"). Max Haushofer, von dem ich sonst sehr viel halte, hat mir mit seinem „Chernen Messer" nicht imponirt. Zu erwähnen ist noch eine drollig-lehrhafte Fabel von O. E. Hartleben: „Der bunte Vogel“.

Eine frische, muntere, harmlose Natur ist Johannes Schürmann;**) seine „Gedichte" sind zum größeren Teile Uebersehungen nach Prudhomme, V. Hugo, Musset, Michelangelo Buonarotti, Carducci, Stecchetti u. a.; diese Verdeutschungen bewahren den Charakter der Originale und lesen sich fließend; aus Eigenem bietet der Dichter u. a. ein wunderschönes „Herbstlied", das ich leider seiner Länge wegen nicht hierhersehen kann.

soweit er Humor ist

Eine ebenso liebenswürdige, im guten Sinne liebenswürdige Natur ist Eduard Paulus,***) der in seinen „Gesammelten Gedichten" zwar manches bringt, das er besser behalten hätte, andernteils aber eine Reihe echter, tief inniger Lieder singt, wie man sie seit Uhland und Mörike nicht oft gehört hat. Der Schwabe Paulus hat überhaupt manches von diesen seinen Mitschwaben; sein Humor erinnert auch an F. Th. Vischer. Die „Humoristika" überschriebene Abteilung enthält freilich fast ausschließlich höchst flaue Sachen, ich hätte nicht einmal was dagegen, wenn der Druckfehlerteufel statt „flaue" „faule" sekte. Die Schwäche dieser Abteilung befremdet umsomehr, als der Autor in dem Cyklus „Krach und Liebe" durch 22 Gedichte hindurch einen trefflichen Humor behält.

Eines Autodidakten Gedichte sind die „Fallenden Blätter" von F. Bopp, der sich bedauerlicherweise nicht zur vollen Verstandesklarheit und Denkschärfe durchgerungen hat. Verstandesklarheit und Denkschärfe zieren aber auch den Lyriker, wenns auch vielen Leuten, besonders Lyrikern nicht so scheint. In Bopp, einem schweizerischen Bauern, steckt viel gute poetische Kraft, aber es ging mir bei ihm ähnlich wie bei Hango. Als ich auf Seite 2 las:

Wohl möcht ich kühn durch alle Lande,

Ein leuchtend Hochgewitter, zichn
Und auf die große Brut der Schande

Des Geistes Blike niedersprühn;

*) Der Jahresrevuen achtes Stück

**) Berlin, R. Boll.

***) Hamburg, A. Goldschmidt.

*) Berlin. Deutsche Schriftstellergenossenschaft.

**) Berlin. Fontane.

***) Stuttgart. Frommann.

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da saßt ich die „Fallenden Blätter" unwillkürlich fester. Ich fand auch hier noch manches Starke und Frische; aber auch viel Schwächliches, Gemachtes, Gedrechseltes. Wenn der schlichte Mann mit „Helios", „Horen" und „Musen" sein Feld beackert, fliegt ihm immer die Pflugschar aus der Scholle heraus. Er, von Beruf ein Antäus, sollte doch wissen, daß der reale Boden Kraft giebt. Wo er aus diesem seine Nahrung zieht, leistet er Tüchtiges, ja Eigenartiges, in seiner Schlichtheit Ergreifendes, so z. B. in dem Gedicht „Ich bin allein". Die längeren Gedichte sind immer nur stellenweise gelungen; sie zeigen oft Schwulst und Mangel an Sprachbeherrschung. So fleißig wie sein berühmter Namensvetter hat der Dichter sich nicht mit der Sprache abgegeben. - Dic Sammlung „Dämmerlicht" macht ganz denselben gemischten Eindruck wie die „Fallenden Blätter". Neben sehr schönen Gedichten und einzelnen Strophen höchst Verworrenes und Unzulängliches. Der Dichter redet uns viel Schwer mütiges von einem trüben Verhängnis; aber wir erfahren nie so recht, was es damit auf sich hat. Endlich aus Seite 77 scheint es, daß sich das Dunkel lichten soll. Da steht ein achtzeiliges Gedicht „Mein Verhängnis“. Aha, nun wirds kommen.

Immer schwebt die trauerdunkle

Wolke banger Furcht um mich,
Mein beschlossenes Verhängnis

Reife und es nahe sich.

Mein Verhängnis? Kommts von außen?

Ists ein schwarzer Feindesplan?

Oder ist es meine Furcht nur?

Hab ichs selbst mir angetan?

Aus ists! Und wir armen Toren stehen da mit einem langen Gesicht und sind so klug als wie zuvor.

Wenn man die Verse: „Aus wachen Träumen" liest, könnte man fast auf den Gedanken kommen, daß der Verfasser (Theodor Lasius)*) schon konfirmirt wäre. Womit ich nicht sagen will, daß ers schon ist. Jedenfalls hat er das „Magazin" mit der „Kindergartenlaube" verwechselt, die vielleicht geneigt ist, auf Verse der reiferen Jugend einzugehen.

„Ich bin ein Mensch, ein sündges Kind der Zeit", sagt Herr Hugo Jüngst mit Karl Busse auf dem Um schlag seines Buches.

„Es ist der Mensch durch seines Wirkens Spur
Die Dissonanz zur göttlichen Natur"

sagt er selbst auf S. 66. In beidem muß man ihm recht geben. Auf S. 6 redet er von einer „jasminschwangeren Nacht", wonach diese Dame denn wol nächstens mit einem gehörigen Bündel jener wolriechenden Pflanze in Wochen kommen wird. Das Scheußliche an dem Schwulst dieses und ähnlicher Büchermachwerke ist ja, daß er nicht aus gesunder jugendlicher Raserei und Verrücktheit resultirt, sondern wolbedachte und wolkonstruirte litterarische Großmäuligkeit ist. Ich muß aus besonderen Gründen das Gedicht „Verzweiflung" hier herseßen.

Ich war hineing.stürmt ins Leben,
Von Hoffnungen stralend umgaukelt;
Oh! wie glücklich wollte ich sein;

Die Fülle des Glückes wollt ich genießen!

*) Dresden, Mbanussche Buchdruckerei.

Da kams heran, das Schicksal;
Hohngellend griffs mich,
Und stieß mich hinab,
Schadenfroh grinsend!
Zerschmettert lag ich am Boden,
Zu Tode getroffen, zu Tode.
Doch der Tod floh jauchzend,
Und ich, ich lebte!

Winselnd r rang ich am Boden,
Hal ich winselte heulte!
Und das Schicksal grinste;
Triumphirend lugts hinter den Wolken,
Den heuchlerischen, hervor!
Ha! daß ich gelacht hätte,
Gellend gelacht, wie ich jetzt lache! -
Zu früh gejauchzt, Schicksal!
Siehe, ich lache!

Dank, Tod, daß du mich schontest!
Sekt will ich leben, ja leben,
Dir zum Hohn, Schicksal,
Leben und hassen!

Dieses geschwollene Scheusal von einem Gedicht wäre ja wahrhaftig den Platz nicht wert, wenn es nicht so drollig charakteristisch wäre. Ich kenne die Lebensschicksale des Herrn Jüngst und der ungeheuren Zahl von geistesverwanten Jüngsten natürlich nicht; aber die poetische Wirkung dieses verzweifelt gräßlichen Mach werks auf mich ist die Vermutung, daß die Möglichkeit des Sterbens dem Verfasser nie anders nahegetreten ist, als in Form eines gelinden Darmkatarrhs, und daß der furchtbarste Schlag des hohigellenden Schicksals darin bestand, daß eine für drei Mark erstandene Barterzeugungstinkur ohne Wirkung blieb. Herr Jüngst kündet für die nächste Zeit ein Buch „Aus allen Mappen" an. Wenn der Verfasser bei der Zusammenstellung dieses Buches in alle Mappen greift, so war es sein Bestreben, ein möglichst abgerundetes Bild seiner litterarischen Tätigkeit zu bieten. Er will gleichsam das Programm für seine zukünftige Wirksamkeit geben und seine Stellungnahme in der zeitgenössischen Litteraturbewegung charak terisiren, lekteres namentlich durch den kritischen Teil des Buches." Das ist ja nun glücklicherweise nach all dem widerwärtigen Bombast ein Stück frischester, urwüchsiger Komik. Das litterarische Deutschland wird also endlich erfahren, in welcher Richtung Herr Jüngst nichts leisten wird. Wir raten ihm, nur noch Bücheranzeigen zu dichten.

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Weise immer „Wagrin" nennt, ist der Hessenstein ein schöner Punkt.

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Wie hat so gesegnet mit Reizen
Verschwendrisch dich die Natur:

Wie schweist von des Hessensteins Burgwall
Hernieder der Blick auf die Flur."

Ach ja, das muß man gesehen haben, wie son Blick schweift. Das hat man nur im östlichen Holstein in dieser Großartigkeit. Der beweglichste Kuhschwanz ist nichts dagegen. Und ach, wie haben Sie so gedichtet, Herr Dichter. Man möchte in die Hände schlagen vor Bewunderung. Merkwürdiger Weise enthält das Heftchen einige hübsche Uebersekungen fremder Gedichte, außerdem aber auch einige Verballhornungen nach Klaus Groth.

Einen treffenden Titel zu wählen, ist auch eine Kunst, und diese Kunst hat Herr F. G. A. Weiß wenigstens zur Hälfte verstanden, als er sein Buch „Lieder und Fanfaren" nannte. Seine politischen Gedichte sind leider fast nichts als Fanfaronaden. Ich bin wahrhaftig kein Feind der politischen Dichtung und habe schon früher in diesen Blättern ausgesprochen, daß der Dichter zwar kein Parteimensch sein dürfe, daß er aber Parteimeinungen habe und haben müsse, wie jeder Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht. Wenn die Kunst nur das sagen darf, was 50 000 000 Landeskindern „gemein" ist, so muß sie rettungslos verfaulen und zum stehenden, stinken

Geschichtliche Zeitbilder.

Von

A. G. von Suttner.

Eine stattliche Anzahl von Männern, die sich in der Revue des deux mondes ihre litterarischen Sporen verdient haben, genießen heute das vielbeneidete Vorrecht, ihren Namen den Beisak zuzufügen: „de l'Académie française", und ich sehe mit Befriedigung, daß ich manchen von ihnen, deren Wirken ich durch Jahre verfolgt und deren Horoskop ich gestellt, richtig profezeit habe. Unter diesen war auch Vicomte E. Melchior de Vogüé, ein feinsinniger Kenner und Beobachter, ein Mann, der es meisterlich verstand, trockene Themata zu behandeln, daß sie zu höchst interessanten, lesenswerten Darstellungen wurden.

Er hat zwar auch in der schöngeistigen Richtung gewirkt, ich erinnere mich mit Vergnügen einzelner an das Novellistische streifender Skizzen aus Rußland, in denen er sich dem König der Steppe, Turgenjew, würdig zur Seite stellt, aber sein Hauptfach bleibt doch das des zeitgenössischen Historiographen, des Politikers, der mit richtigem Scharfblick die Situationen der Gegenwart aufzufassen weiß, die Persönlichkeiten, die eine Rolle spielen, mit Fleiß und Verständnis studirt, so daß er nicht selten in die Lage kommt, Schlüsse auf die Zukunft zu ziehen und Konjunkturen zu stellen, die für die Zeugnis ablegen.

den Wässerlein werden, an dem die Philistertöchter | Richtigkeit seines Urteils und für seine Menschenkenntnis

Sonntags nachmittags spazieren gehen und sich Blümelein pflücken. Damit ist aber nicht gesagt, daß man versifizirte Leitartikel schreiben darf. Wenn Herr Weiß auf Seite 99 singt:

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so können wir dem Herrn Verfasser versichern, daß jede Tageszeitung von seiner Parteirichtung das „voll und ganz" und unentwegt" unter „Politische Rundschau" aufnehmen würde. Zu seinem Glück zeigt der Dichter in seinen „Liedern" wesentlich mehr Talent, wenn es auch Glück.

Er scheut sich durchaus nicht, gelegentlich persönliche Bemerkungen anzubringen, die auf seine politische Konfession schließen lassen, allein er überläßt es dem Leser, sich zu ihnen zustimmend oder ablehnend zu verhalten, ohne ihm seine Ansicht als alleinseligmachende aufzudrängen.

Sein lekt erschienenes Buch „Spectacles contemporains"*) enthält eine Sammlung von teils politischen, teils ethnographischen Studien, die früher vereinzelt in Revuen und Journalen erschienen waren. Der erste Artikel ist dem gegenwärtigen Papsttum gewidmet, und da kehrt er allerdings mehr, als manchem Leser erwünscht ist, den guten Sohn der Kirche heraus, ohne indes die

Tatsachen zu entstellen und sich durch seine päpstliche Gesinnung zu Ungerechtigkeiten hinreißen zu lassen. Er bedauert für seine Person den Sturz der weltlichen Macht, erkennt jedoch darin einfach ein Naturereignis, eine lekte Folge der Evolution, durch welche alle die Duodez

noch nicht so viel ist, daß wir sagen könnten: zu unserm fürstentümer in den größeren Völker-Agglomerationen

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Die Verswut scheint bei uns eine Art Nationalwahnsinn, eine Art von deutschem Spleen zu sein. Sie reiultirt aus dieser komischen Ideologie, die auch die ein fachsten und gewöhnlichsten Dinge „vom idealen Standpunkt aus" betrachten, mit Schwung" behandeln und zu diesem Zweck vermeintlich in Verse bringen muß. In der Politik, in der Philosophie und in der Kunst sind Anzeichen dafür vorhanden, daß wir von dieser Krank heit geheilt werden können; mein frömmstes Gebet an das Schicksal geht dahin, daß es nicht durch die Antiideologen und Realphilosophen geschehen möge, deren typischer Vertreter der Gymnasiallehrer-Reserveoffizier ist; ein Exemplar hiervon ist mir zwölfmal so schrecklich wie ein ganzes Dukend Dichterlein mit je einem Dukeud „Gedichtbüchern" unterm Arm.

aufgesangt worden sind. Ganz richtig giebt er zu verstehen, daß in den Augen der ferner lebenden katholischen Nationen das Papsttum viel mehr als unantastbares, unverletzliches Heiligtum galt, als in den Augen der unmittelbaren Nachbarn und der Untertanen selbst, die sich ebenso als Italiener fühlen wie die anderen Eingeborenen der Halbinsel und demzufolge naturgemäß dem großitalischen Mittelpunkte zustreben.

Wenn nach Herrn von Vogüés Beobachtungen im Schoße der Kirche selbst drei Parteien sich scharf von einander scheiden, - die Unversöhnlichen, die Opportunisten und die Friedensstreber, so herrscht doch in allem, was die äußere Politik betrifft, bis jetzt noch eine musterhafte Disziplin. Und darin liegt heutzutage eine größere Macht in den Händen Leos XIII., als wenn er über eine Miniatur-Armee und ein Häuflein Untertanen verfügte. Er läßt gebeten und ungebeten sein Wort erschallen und entiche det in der gleichen selbstherrischen Weise über die verschiedensten Fragen wie seine Vorgänger, die sich nicht häupter unfehlbar genug dünkten, um sich über alles, alles ein Urteil anzumaßen. Von dort aus geht es die ganze Stufenleiter herunter bis zum kleinsten Kaplänchen, auf dessen Tonsur auch ein Tröpfchen Unfehlbarkeit herabgeträufelt ist, so daß man von dieser Seite wol nie die Antwort „das weiß ich nicht" erhält, wol aber immer eine solche, aus welcher der Gläubige schließen kann: der Mann weiß eben alles!

*) Paris. Armand Colin & Co.

allein als kirchliche, sondern auch als weltliche Ober- | sage ich, da die soziale Frage sich die Frage des Sozia

Darin mag auch der Grund des Einflusses der Missionen liegen, für die Herr von Vogüé entschieden Partei ergreift; er ist sogar der Meinung, daß dieselben unentbehrliche Verbündete für jeden Staat seien, der sich in irgend einem unzivilisirten Lande festseken will.

Das ist wol auch Ansichtssache. Viele von den heutigen Afrikaforschern versichern, daß die Missionen eher einen schädlichen Einfluß ausüben. Es kommt eben auf den Standpunkt an, den man solchen Wilden gegen über einnimmt, ob man ihr Glück sieht, unter die Oberherrschaft irgend einer der europäischen Nationen einge schachtelt zu werden, oder, ohne Rücksicht auf Grenzpfähle und Flaggen, aus dem tierischen Zustande, in dem die meisten leben, zu einem menschenwürdigen, nüklichen herangezogen zu werden. Der schwarze Kontinent ist durch blaue, gelbe, rote, grüne Linien abgegrenzt, tout comme chez nous, die schwarzen Kerle marschiren im Paradeschritt, handhaben statt Speere und Feuersteinäxte die neuesten Schnellfeuergewehre und spendiren ihrem Fetisch Brokatgewänder, die aus „von europäischen Herrschaften abgelegten" Kirchenparamenten bestehen, allein damit hat man vorderhand nichts anderes erreicht, als daß dem Lande ein europäischer Anstrich verliehen wurde; ebensogut könnte man noch ein Stück weiter gehen und den Schwarzhäuten eine bleichende Tünche geben, aber damit hätte man das Innere ebenso wenig getüncht, wie dadurch, daß man die Bewohnerschaft mit Uniformen, Meßgewändern und Mordwaffen ausstattet.

Eine Armee von Schullehrern wäre weit mehr am Plaße, denn nicht die Alten sind zu erziehen, sondern die Jungen, die ganz Jungen besonders, da man erst hoffen kann, in den Jüngsten und in den kommenden Generationen jenes lenkbare Material zu finden, an dem nichts, als das Aeußere von den ältesten Zeiten geblieben ist.

Was de Vogüé von dem „vorgeschrittenen" amerikanischen Klerus sagt, klingt recht schön, allein in Er ziehungsfragen hat bisher die Kirche doch immer ihre ganz eigene Bahn eingehalten. Sie war wol genötigt, den galileischen Lehrsak nachdem sie den Urheber schlimm genug hergenommen anzuerkennen, und so wird sie auch in der Zukunft der Entwickelungstheorie nicht ausweichen können. Diese Theorie braucht indes keine Katholisirung von seiten der Bischöfe. Damit entfällt auch die Notwendigkeit der speziell katholischen Universitäten, die der amerikanische und auch der europäische Klerus anstrebt. Die echte Wissenschaft ist kon fessionslos; das liegt im Worte selbst: Wissen, - nicht glauben.

Der Verfasser bringt auch in der Folge die soziale Frage zur Sprache und zitirt das Wort des Deputirten von Mühlhausen, des Abbé Winterer: „Die soziale Frage ist innig mit der Religionsfrage verbunden. Der Kirche ist die soziale Frage nie fremd geblieben. Sie ist ihr nicht fremd geblieben, als sie sich Sklavenfrage benannte. Sie ist ihr nicht fremd geblieben, als sich die soziale Frage die Frage der Leibeigenschaft benannte. Sie kann ihr jetzt nicht fremd bleiben, da sie Lohnfrage, die Frage der Mittelklassen, die Agrarfrage heißt; jekt,

lismus nennt. Damit sie der Kirche fremd bliebe, müßte man aus dem Evangelium das unauslöschliche Wort tilgen: „Misereor super turbam“.

Worte, nichts als Worte! Die Kirche hat sich gleich einem anderen Gutsherrn die Leibeigenschaft vortrefflich behagen lassen; insofern ist sie ihr in der Tat nicht fern geblieben. Aus ihrem Schos ist nie der erste Befreiungsruf hervorgegangen. Die jüngsten - sehr politischen Bestrebungen des verstorbenen Kardinals Lavigerie können alte historische Tatsachen nicht annuliren und ungeschehen machen. Allerdings beschäftigt man sich in Rom mit der sozialen Frage, aber mit Enzykliken ist sie nicht gelöst; die alten Schlagworte eines sozialen Christentums packen nicht mehr, denn man ist längst darauf gekommen, daß der einzige redliche, aufrichtige und uneigennükige Sozialist in dieser ganzen Körperschaft der Stifter alleinwar, während seine Nachfolger nur mit Worten, nie aber mit Taten eintraten und ersteres auch nur so weit, als die tote Hand nicht dadurch in Verpflichtungen gebracht wurde.

Für die Behauptung kann auch nichts deutlicher sprechen als die Aeußerung des Kardinals Gibbons, die Herr von Vogüé wörtlich zitirt. Dieser Kirchenfürst warnt vor der Verdammung des Sozialismus und der Arbeiterschaft und sagt:

„Die Einkünfte der Kirche, die bei uns gänzlich durch freiwillige Geschenke des Volkes einlaufen, würden ungemein leiden, und dasselbe wäre mit dem Peterspfennig der Fall." Da liegt eben der Hund begraben, und dieses Prinzip, diesen Beweggrund, aus dem die Kirche mit dem Sozialismus Hand in Hand gehen will, kann ich nichts weniger als altruistisch finden.

Immerhin ist das Kapitel über das Papsttum ein interessantes Stückchen Zeitgeschichte, aus dem man viel Anregung gewinnt, und in dem das starke Talent des Autors scharf hervortritt.

Die zweite Studie, dem Tode des Kaisers Wilhelm gewidmet, ist voll von schönen, packenden Stellen, aber am liebsten begegne ich doch dem Autor auf seinen Streifzügen im fernen Osten, in der weiten, unendlich scheinenden Steppe, unter dem Sternengefunkel des orientalischen Himmels, wo der Geschichtsforscher und Ethnograph ganz unbewust zum Poeten wird.

Die Eröffnung der Bahnstrecke nach Samarkand giebt ihm den Stoff zu diesen Berichten, in welchen er Meister ist. Freilich war auch keiner wie er in der Lage, überall Einsicht, überall Aufklärung, überall Gastfreundschaft zu finden, da kein Geringerer, als der geniale Schöpfer dieses Wüstenwerkes, General Annenkow, sein Schwager ist. Herr von Vogüé sagt: „Annenkow zeigte uns tausend und eine Nacht in der Laterna magika!" Nun, der Berichterstatter hat die Bilder in der Schrift so festzuhalten verstanden, daß wir die optische Demonstration leicht entbehren können; Lokalfarbe, Leben, täuschende Wirklichkeit zeigen sich in glänzender Weise in diesen Briefen, die seinerzeit das „Journal des Débats" gebracht hat; und in kurzen Schlagworten weiß der Verfasser die politischen Zustände so treffend und charakteristisch einzuflechten, daß uns scheinen möchte, wir seien längere Zeit dort gewesen und hätten das alles bis in die kleinsten Einzelheiten aus eigener Wahrnehmung kennen gelernt.

Ich hatte schon anderswo Gelegenheit, über das System zu schreiben, das Rußland mit viel Glück bei seinem Vormarsche gegen Osten beobachtet: Erstlich sprechen die Kanonen und schießen Bresche, denn diese halbwilden Nomadenvölker und Gebirgsräuber, die von Kindheit auf das Fehdehandwerk lernen, beugen sich durchaus nicht anderen Vernunftsgründen, als dem einen: „Der Stärkere hat recht!"

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