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vor bei der Geschäftsempfehlung seines Elixirs. Er zweifelte keinen Augenblick, daß sein in New-Lanark erfundenes und erprobtes Wundermittel alsobald von fämtlichen Regierungen approbirt werden würde, daß die Welt auf dem Wege des Vernunftimpfzwanges ein einziges großes New-Lanark werden würde, und die Menschen lauter saubere, schön gemalte, fleckenfreie Ziffern auf dem Maschinenkonto. Die Großen dieser Welt, Diplomaten und Fürsten, erwärmten sich für die angeblich so rentablen Ideen des tatkräftigen Mannes, da traf ihn mitten ins Herz die freche Ehrlichkeit eines Angehörigen des Dichter und Denkervolfes, das Wort des Herrn von Genz, des staatsmännischen Roués: „Wir wünschen garnicht, daß die Massen wolhabend und unabhängig werden. Wie könnten wir sie sonst beherrschen?!"

sonst anderen Völkern, die wir als natürlich, ale vernunftgemäß, somit: als unserem religiösen Bewustsein entsprechend, als Gottgewollt, als christlich, als evangelisch, auch als deutsch, kurz: mit dem Worte bezeichnen dürfen, das jeder selbst wählen wird, um sein Höchstempfinden zu treffen. Diese Vereinbarung lautet: uneingeschränkter, durch keinen Zoll oder Abgabe oder sonst wie belasteter Austausch aller Natur- und Arbeits-Erzeugnisse. Also: Freihandel in des Wortes und Begriffes umfaffendster Bedeutung. Keine noch so peinlich erdachte, noch so sorgsam erwogene Abmachung kann jemals dem All-Interesse in dem Maße entsprechen, als der uneingeschränkte WarenAustausch es tut. Nicht, daß eine Beseitigung des Grenzzolls im Moment der Beseitigung dem Interesse aller, oder gar dem Intereffe aller gleichmäßig entspräche. Wir müssen eben unterscheiden: All-Interesse, und: gleiches Interesse für alle, das heißt für jeden zum Volke gehörigen. Weil kein Handelsvertrag heutiger Art je dem Interesse aller gleichmäßig entsprechen kann, wird keiner je das Intereffe der Gemeinsamkeit voll vertreten; feiner auch ist geeignet oder läßt vorausschen, daß die Gemeinsamkeit, das heißt, daß alle Glieder derselben, jemals sich derart in einen und denselben Schuß-Vertrag einleben werden, daß man ihn etwa im Vertrauen auf die Zukunft gutheißen könnte u. s. w."

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Robert Owen war ein praktischer Realpolitiker, ein derber Utilitarist, und die Männer auf der Höhe nahmen Anteil an seinen Experimenten mit der Produktivkraft der Humanität, und dennoch war seine Wirksamkeit erfolglos. Der Glaube, daß man in aller Gemütlichkeit die Vernunft erhandeln könne, erwies sich als Wahn: Londons Oftend, Siziliens Hungerhölle sind immer noch nicht vernünftig geworden, und die Zahl der Sozialglücklichen beträgt immer noch weniger als vier Prozent. Herr v. Egidh ist kein Utilitarist, fein Großindustrieller der Humanität, kein Praktiker, auch hat ihn bisher keine Regierung meines Ich fürchte, die Bundesherren werden die VersöhnungsWissens zu ihrem Berater erkoren, und doch vermißt er worte des Herrn v. Egidh sehr sonderbar finden und fich, die Menschen auf dem Wege der Versöhnung zum nach furzer Verlegenheitspause ich sehe den gnädigsten Auglück zu führen. Ihn widert das Grobe, Gehäffige, Fall fortfahren, zu beweisen, daß sie durchaus aus Mörderische der Parteien an, die den Gegner zu veröffentlichen Mitteln erhalten werden müßten. nichten streben, um selbst zu herrschen. Mit sanften Vernunftsgründen und zärtlichen Liebesworten will er die Wienschen ins goldne Zeitalter locken, aber mit all dem erusten und reinen Wollen bleibt dieser Adelsmensch ohnmächtiger als der kleinste Schreier vom Bund der Landwirte, der die Güte hat, der Welt den Untergang zu profezeien, sofern er nicht aus seiner höchsteignen Not lage geriffen wird. Unser politisches Klima ist jest weniger denn je geeignet, daß wir auf den wärmenden Fusel des Haffes verzichten, daß wir in scheuem Temperenzlertum mit der Milch der bekannten frommen Kuh eine runde, rotwangige Zukunft aufpäppeln könnten. Wir Parteilosen bilden nichts als das unnüße Premierenpublikum der neuen und großen Ideen.

Das Wort des Herrn von Genz ist noch immer das geheime Dogma der Erbschleicher der Macht und des Befites. Der Selbsterhaltungstrieb der Junker begnügt sich nicht mit dem Existenzminimum, nicht einmal mit dem Existenzmaximum, erheischt überdies die imaginäre Steigerung durch die Erniedrigung der andern. Freilich spricht man es jetzt nicht mehr so keck aus: „Wir wünschen gar nicht, daß die Maffen wolhabend und unabhängig werden. Wie könnten wir sie sonst beherrschen." Aber im Grunde ihrer herrischen Seelen fühlen sies, dies Gefühl und dieser Gedanke leitet insgeheim ihr Tun, und nur schlimmer und würdeloser wird ihre Selbstsucht, da sie nicht mehr den Mut des offenen Bekennens hat, sondern in efler, feiger Heuchelei mit den lieben Kleinen" Brüderschaft trinkt. Und die Kleinen, die ihr bischen Daseinsglück in blutenden Feben durch jahrhundertelange Mühen den Großen aus dem starken Gebiß entwunden haben, sie sollen in ihnen plöglich die Retter der Ordnung, die Schüßer der Kultur sehen. Nein, wahrlich es gibt keine Versöhnung zwischen diesen und uns.

Herr v. Egidh mag sich in den Bund der Landwirte aufnehmen lassen und auf deffen im Februar zu Berlin tagender Generalversammlung folgende Versöhnungsfäße der zweiten Nummer seiner Zeitschrift wiederholen: „Es gibt nur eine Vereinbarung mit unseren Nachbar- und

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Oder er halte in selbiger Versammlung über die Verschuldung des Großgrundbesiges etwa folgende Rede:

„Die Tendenz, die auf Schuldenentlastung zielt, weist deutlich den Weg zu Versöhnung der schroffen Gegensätze unserer Zeit, und damit den Weg zur Erlösung. Ihr Streben nach Einführung der Doppelwärung, die mir allerdings vom Standpunkte der gegenwärtigen finanzpolitischen Lage sehr bedenklich erscheint. Ihre Forderung auf Abänderung des Schuldrechtes, sind die unbewusten Anfänge einer Gewissensänderung in den Eigentumsanschauungen. Das Eigentumsrecht, wie es heute noch geltend ist, widerspricht dem modernen religiösen Bewustsein, das keine Institution dulden will, welche die Menschen auseinandersprengt zur Höhe, in den Abgrund. Indem Sie die Brutalität des Besitzrechts mit Ihren Forderungen durchbohren, töten Sie das ganze System. Sie werden die Konsequenzen dieser ersten Forderungen nunmehr ziehen, zum Heile der Gesamtheit."

Ich fürchte, die Herren würden auch solche Worte sehr, sehr sonderbar finden.

Vielleicht bemüht sich Herr von Egidy auch einmal ins Herrenhaus und befehrt einen der ausgewählten Volksvertreter zu seinen Anschauungen. Und dieser Bekehrte soll dann nur bei der Beratung der neuen Landwirtschaftskammer die kleine Forderung aussprechen, daß das Wahlrecht zu diesen Kammern den Bauern gleichen Einfluß gewähre wie dem Großgrundbesizer. Herr von Egidy wird dann zweifellos von seinem Tribünenplaß bemerken, daß man den Sprecher mit besorgten Mienen am Weiterreden zu verhindern sucht. Im glücklichsten Falle wird das Entmündigungsverfahren wieder eingestellt, eingeleitet wird es gegen den befehrten Herrenhäusler unter allen Umständen.

Auch ein Besuch beim Herrn von Stumm wäre lohnend, um den sich ja jezt anscheinend die konservative Regierungsschußtruppe sammelt ein sicheres Zeichen, daß die verstummte Sozialpolitik in nächster Zeit die Sprache nicht wiederfinden wird. Es wäre eine schöne Aufgabe, den Mann mit den Sozialdemokraten zu versöhnen...

Doch genug der satirischen Ausmalungen! Bedarf es wirklich eines Beweises, daß die Versöhnungsidee des Herrn Egidh eine Utopie ersten Ranges ist? Der Mann der ernsten Gedanken", der so viel Arbeitskraft, Begeisterung | und Opferfähigkeit an ein Fantom verschwendet, wird eines Tages, sofern er fortzuschreiten vermag, ohnehin zur Erkenntnis gelangen, daß alle Fragen in der Stunde der Entscheidung Macht- und Intereffenfragen find. Freiwillig haben noch nie die Hemmer des Fortschritts den Hämmern der Zukunft ihre Köpfe dargeboten. Und am Tage dieser Erkenntnis wird Herr von Egidh das sensible Tempe renzlertum aufgeben und — Parteimann werden, Anhänger der Partei, bei der er die gröfte Wahrheit und die gröste Macht sieht.

Feind bleibt Feind. Versöhnung stiften soll man unter den Freunden, die Gleichfühlenden bilden zu Gleich denkenden und Gleichhandelnden. Die freien und feinen, über engem Fraktionsgeist schwärmenden Ideen feien Werber und Bildner schaffensstarker Mächte, nicht Sekten gründer voll eigensinniger Ohnmacht! Herr von Egidy, der Utopist der Versöhnung, ist einer nur von vielen bei Seite stehenden Feingeistern. Sie mögen aufhören, den Fusel zu scheuen!

perans.

Verse 1893. Besprochen von Otto Ernst. III.*)

Richard Schmidt-Cabanis**) _reitet_in_seinen Lachenden Liedern" seinen Pegasus mit dem bekannten equilibristischen Geschick und der bekannten guten Laune. Es ist kein großgeistiger Humor in dem Buche, der die lächerlichen und luftigen Dinge der Welt von einem einheitlichen Gesichtspunkte aus betrachtet; auf poetische Bes deutung macht es auch wol feinen Anspruch. Schmidt Cabanis sieht sich vielmehr jeden einzelnen Gegenstand darauf hin an, wieviel gute Scherze zuweilen sind es auch nur Späße fich über ihn machen lassen; dieses Bemühen hat zuweilen etwas von unverkennbarer Krampfhaftigkeit"; aber - gleichviel -er führt alles zum guten Gelingen hinaus, und das Büchlein amüsirt, solange man es in der Hand hält.

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Mehr aus einem Guffe und aus einer Lebensauf faffung herausgeschaffen sind die Schelmenlieder eines fahrenden Komödianten" von Georg Kleinecke.***) Diesen Liedern eines echten Schelmen merkt man nichts Gezwungenes und Gemachtes an; sie sind überraschend scharf pointirt; aber die Pointen sind keine Wiße, sondern drollige, trocken-komische Bemerkungen, die dem Verfaffer sozusagen beiläufig entfallen: er trifft so ganz en passant den Nagel auf den Kopf, so, wenn er das föstliche Liedchen „Öberammergau“ beginnt:

"In Oberammergau hört man
Vom Leiden des Gottessohns viel;
Sie haben es auf die Bühne gebracht
Und nennen es das Passionsspiel.
Sie haben es glänzend inszenirt
Aus drei besonderen Gründen:
Aus Frömmigkeit, aus Künstlertrieb,
Und um die Fremden zu schinden.“

*) Der Jahresrevuen achtes Stück

**) Berlin, R. Boll.

***) Hamburg, A. Goldschmidt.

Ganz im alten Geleise fahrend, zeigt sich Christoph Nickwit in seinen „Gedichten", doch als eine viel frischere, dem Leben inniger zugewante Natur. 343 Seiten find allerdings für dieses Buch ein viel zu anspruchsvoller Umfang. Bemerkenswert ist die Ballade „Tannhäuser", und schön find einige Uebersetzungen aus Puschkin und Lermontow, an denen der Verfasser hat sehen können, wieviel orgineller man sein kann, als er es in der Regel ist. Wenn ich mir ein Gedicht von Nickwiß zurückrufen wollte, mußte ichs immer zum zweiten Male von Anfang bis zu Ende lesen; bei den beiden Ruffen und ähnlichen guten Musifanten genügt eine Zeile, und man weiß schon: Aha, das ist das.

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Die Dichtungen, welche auf dem Vormittag im Königlichen Odeon zu München"*) bei Gelegenheit des Journalisten- und Schriftstellertages vorgetragen wur den, find in einem Hefte vereinigt erschienen. Es finden sich darunter schöne Gedichte von Bierbaum („Die Herberge") und von Maurice v. Stern (Sängers Tod"); zwei herrliche Sachen von Ernst v. Wildenbruch

Andree Hofer" und „Die Linde Tandaradei"), ein bis auf den etwas faloppen Eingang brillantes Gedicht von Liliencron (Chrischan Schmeer“) und ein nicht minder schönes von Georg v. Ompteda („Biwakabend"). Mar Haushofer, von dem ich sonst sehr viel halte, hat mir mit feinem Chernen Meffer" nicht imponirt. Zu erwähnen ist noch eine drollig-lehrhafte Fabel von O. E. Hartleben: Der bunte Vogel".

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Eine frische, muntere, harmlose Natur ist Johannes Schürmann;*) seine Gedichte" sind zum größeren Teile Uebersetzungen nach Prudhomme, V. Hugo, Musset, Michelangelo Buonarotti, Carducci, Stecchetti ut. a.; diese Verdeutschungen bewahren den Charakter der Originale und lesen sich fließend; aus Eigenem bietet der Dichter u. a. ein wunderschönes „Herbstlied“, das ich leider seiner Länge wegen nicht hierherseßen kann.

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würdige Natur ist Eduard Paulus,***) der in seinen Eine ebenso liebenswürdige, im guten Sinne liebensGesammelten Gedichten" zwar manches bringt, das tief inniger Lieder singt, wie man sie seit Uhland und er besser behalten hätte, andernteils aber eine Reihe echter, Mörife nicht oft gehört hat. Der Schwabe Paulus hat überhaupt manches von diesen seinen Mitschwaben; sein Humor soweit er Humor ist - erinnert auch an F. Th. Vischer. Die Humoristika“ überschriebene Abteilung enthält freilich fast ausschließlich höchst flaue Sachen, ich hätte nicht einmal was dagegen, wenn der Druckfehlerteufel statt flaue" „faule" seßte. Die Schwäche dieser Abteilung befremdet umsomehr, als der Autor in dem Cyflus Krach und Liebe" durch 22 Gedichte hindurch einen trefflichen Humor behält.

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Eines Autodidakten Gedichte sind die Fallenden Blätter" von F. Bopp, der sich bedauerlicherweise nicht zur vollen Verstandesklarheit und Denkschärfe durch gerungen hat. Verstandesklarheit und Denkschärfe zieren aber auch den Lyriker, wenns auch vielen Leuten, besonders Cyrifern nicht so scheint. In Bopp, einem schweizerischen Bauern, steckt viel gute poetische Kraft, aber es ging mir bei ihm ähnlich wie bei Hango. Als ich auf Seite 2 las:

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In meinen Zornesflammen möcht

Ich Babylon verderben sehen

Und neue Saat für Goit und Rech In seine Aschenfelder fäen!

da faßt ich die Fallenden Blätter" unwillkürlich fester. Ich fand auch hier noch manches Starke und Frische; aber auch viel Schwächliches, Gemachtes, Gedrechseltes. Wenn der schlichte Mann mit „Helios“, „Horen“ und „Musen“ sein Feld beackert, fliegt ihm immer die Pflugschar aus der Scholle heraus. Er, von Beruf ein Antäus, follte doch wissen, daß der reale Boden Kraft giebt. Wo er aus diesem seine Nahrung zieht, leistet er Tüchtiges, ja Eigenartiges, in seiner Schlichtheit Ergreifendes, so z. B. in dem Gedicht „Ich bin allein". Die längeren Gedichte sind immer nur stellenweise gelungen; fie zeigen oft Schwulft und Mangel an Sprachbeherrschung. So fleißig wie sein berühmter Namensvetter hat der Dichter sich nicht mit der Sprache abgegeben. Die Sammlung,,Dämmerlicht" macht ganz denselben gemischten Eindruck wie die Fallenden Blätter“. Neben sehr schönen Gedichten und einzelnen Strophen höchst Verworrenes und Unzulängliches. Der Dichter redet uns viel Schwermütiges von einem trüben Verhängnis; aber wir erfahren nie so recht, was es damit auf sich hat. Endlich auf Seite 77 scheint es, daß sich das Dunkel lichten soll. Da steht ein achtzeiliges Gedicht „Mein Verhängnis". Aha, nun wirds kommen.

Immer schwebt die trauerdunkle Wolke banger Furcht um mich, Mein beschloffenes Verhängnis Reife und es nahe sich.

Mein Verhängnis? Kommts von außen? Ists ein schwarzer Feindesplan? Oder ist es meine Furcht nur? Hab ichs selbst mir angetan?

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Aus ists! Und wir armen Toren stehen da mit einem langen Gesicht und find so klug als wie zuvor.

Wenn man die Verse: „Aus wachen Träumen" liest, könnte man fast auf den Gedanken kommen, daß der Verfaffer (Theodor Lasius)*) schon konfirmiri wäre. Womit ich nicht sagen will, daß ers schon ist. Jedenfalls hat er das Magazin" mit der Kindergartenlaube" verwechselt, die vielleicht geneigt ist, auf Verse der reiseren Jugend einzugehen.

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„Ich bin ein Mensch, ein fündges_Kind_der Zeit“, sagt Herr Hugo Jüngst mit Karl Busse auf dem Umschlag seines Buches.

„Es ist der Mensch durch seines Wirkens Spur
Die Dissonanz zur göttlichen Natur“

sagt er selbst auf S. 66. In beidem muß man ihm recht geben. Auf S. 6 redet er von einer „jasminschwangeren Nacht", wonach diese Dame denn wol nächstens mit einem gehörigen Bündel jener wolriechenden Pflanze in Wochen kommen wird. Das Scheußliche an dem Schwulst dieses und ähnlicher Büchermachwerke ist ja, daß er nicht aus gesunder jugendlicher Raserei und Verrücktheit resultirt, sondern wolbedachte und wolkonstruirte litterarische Großmäuligkeit ist. Ich muß_aus besonderen Gründen das Gedicht „Verzweiflung" hier herseßen.

Ich war hineing.stürmt ins Leben,
Von Hoffnungen stralend umgautelt;
Ohl wie glüdlich wollte ich sein;

Die Fülle des Glückes wollt ich genießen!

*) Dresden, Albanussche Buchdruckerei.

Da kams heran, das Schicksal;
Sohngellend griffs mich,
und stieß mich hinab,
Schadenfroh grinsend!
Zerschmettert lag ich am Boden,
Zu Tode getroffen, zu Tode.
Doch der Tod floh fauchzend,
Und ich,
ich lebtel -
Winselnd rang ich am Boden,
Hal ich winselte heulte!
Und das Schicksal grinste;
Triumphirend lugts hinter den Wolken,
Den heuchlerischen, hervor! -
Ha! daß ich gelacht hätte,
Gellend gelacht, wie ich jezt lachel
Zu früh gejauchzt, Schicksal!
Siehe, ich lache!

Dank, Tod, daß du mich schontest!
Jest will ich leben, ja leben,
Dir zum Hohn, Schicksal,
Leben und haffen!

Dieses geschwollene Scheusal von einem Gedicht wäre ja wahrhaftig den Plag nicht wert, wenn es nicht so drollig charakteristisch wäre. Ich kenne die Lebensschicksale des Herrn Jüngst und der ungeheuren Zahl von geistesverwanten Jüngsten natürlich nicht; aber die poetische Wirkung dieses verzweifelt gräßlichen Machwerks auf mich ist die Vermutung, daß die Möglichkeit des Sterbens dem Verfasser nie anders nahegetreten ist, als in Form eines gelinden Darmkatarrhs, und daß der furchtbarste Schlag des hohrigellenden Schicksals darin bestand, daß eine für drei Mark erstandene Barterzeugungstinkur ohne Wirkung blieb. Herr Jüngst kündet für die nächste Zeit ein Buch „Aus allen Mappen" an. Wenn der Verfasser bei der Zusammenstellung dieses Buches in alle Mappen greift, so war es sein Bestreben, ein möglichst abgerundetes Bild seiner litterarischen Tätigkeit zu bieten. Er will gleichsam das Programm für seine zukünftige Wirksamkeit geben und seine Stellungnahme in der zeitgenössischen Litteraturbewegung charakterisiren, letteres namentlich durch den kritischen Teil des Buches." Das ist ja nun glücklicherweise nach all dem widerwärtigen Bombast ein Stück frischester, urwüchsiger Komik. Das litterarische Deutschland wird also endlich erfahren, in welcher Richtung Herr Jüngst nichts leisten wird. Wir raten ihm, nur noch Bücheranzeigen zu dichten.

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Als die Herbstfäden" von Herrn Albert Weiß*) gedruckt wurden, find ohne Zweifel aus einem halben Dußend Druckereien die Gedankenstriche zusammengeborgt worden. Herr Weiß macht nämlich alles mit Gedankenstrichen.

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Wie hat so gesegnet mit Reizen
Verschwendrisch dich die Natur:

Wie schweift von des Heffensteins Burgwall
Hernieder der Blick auf die Flur.“

Ach ja, das muß man gesehen haben, wie son Blick
schweift. Das hat man nur im öftlichen Holstein in
dieser Großartigkeit. Der beweglichste Kuhschwanz ist
nichts dagegen. Und ach, wie haben Sie so gedichtet,
Herr Dichter. Man möchte
Man möchte in die Hände schlagen
vor Bewunderung. Merkwürdiger Weise enthält das
Heftchen einige hübsche Uebersetzungen fremder Gedichte,
außerdem aber auch einige Verballhornungen nach
Klaus Groth.

Einen treffenden Titel zu wählen, ist auch eine Kunst, und diese Kunst hat Herr F. G. A. Weiß wenigstens zur Hälfte verstanden, als er sein Buch Lieder und Fanfaren" nannte. Seine politischen Gedichte sind leider fast nichts als Fanfaronaden. Ich bin wahrhaftig kein Feind der politischen Dichtung und habe schon früher in diesen Blättern ausgesprochen, daß der Dichter zwar kein Parteimensch sein dürfe, daß er aber Parteimeinungen habe und haben müffe, wie jeder Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht. Wenn die Kunst nur das sagen darf, was 50 000 000 Landeskindern gemein" ist, so muß fie rettungslos verfaulen und zum stehenden, stinkenden Wäfferlein werden, an dem die Philistertöchter Sonntags nachmittags spazieren gehen und sich Blümelein pflücken. Damit ist aber nicht gesagt, daß man versifizirte Leitartikel schreiben darf. Wenn Herr Weiß auf Seite 99 fingt:

„Des Volkes beste Kraft

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Die Verswut scheint bei uns eine Art National wahnsinn, eine Art von deutschem Spleen zu sein. Sie reiultirt aus dieser komischen Ideologie, die auch die einfachsten und gewöhnlichsten Dinge vom idealen Standpunkt aus" betrachten, mit Schwung" behandeln und zu diesem Zweck vermeintlich in Verse bringen muß. In der Politik, in der Philosophie und in der Kunst find Anzeichen dafür vorhanden, daß wir von dieser Krankheit geheilt werden können; mein frömmstes Gebet an das Schicksal geht dahin, daß es nicht durch die Antiideologen und Realphilosophen geschehen möge, deren typischer Vertreter der Gymnasiallehrer-Reserveoffizier ist; ein Exemplar hiervon ist mir zwölfmal so schrecklich wie ein ganzes Dußend Dichterlein mit je einem Dußend Gedichtbüchern“ unterm Arm.

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Geschichtliche Zeitbilder.

Von

A. G. von Suttner.

Eine stattliche Anzahl von Männern, die sich in der Revue des deux mondes ihre litterarischen Sporen verdient haben, genießen heute das vielbeneidete Vorrecht, ihren Namen den Beisaß zuzufügen:,,de l'Académie française", und ich sehe mit Befriedigung, daß ich manchen von ihnen, deren Wirken ich durch Jahre verfolgt und deren Horoskop ich gestellt, richtig profezeit habe. Unter diesen war auch Vicomte E. Melchior de Vogüé, ein feinsinniger Kenner und Beobachter, ein Mann, der es meisterlich verstand, trockene Themata zu behandeln, daß sie zu höchst interessanten, lesenswerten Darstellungen wurden.

Er hat zwar auch in der schöngeistigen Richtung gewirkt, - ich erinnere mich mit Vergnügen einzelner an das Novellistische streifender Skizzen aus Rußland, in denen er sich dem König der Steppe, Turgenjem, würdig zur Seite stellt, aber sein Hauptfach bleibt doch das des zeitgenössischen Historiographen, des Politikers, der mit richtigem Scharfblick die Situationen der Gegenwart aufzufaffen weiß, die Persönlichkeiten, die eine Rolle spielen, mit Fleiß und Verständnis studirt, so daß er nicht selten in die Lage kommt, Schlüsse auf die Zukunft zu ziehen und Konjunkturen zu stellen, die für die Richtigkeit seines Urteils und für seine Menschenkenntnis Zeugnis ablegen.

Er scheut sich durchaus nicht, gelegentlich persönliche Bemerkungen anzubringen, die auf seine politische Konfeffion schließen lassen, allein er überläßt es dem Leser, sich zu ihnen zustimmend oder ablehnend zu verhalten, ohne ihm seine Ansicht als alleinseligmachende aufzudrängen.

Sein lett erschienenes Buch „,Spectacles contemporains"*) enthält eine Sammlung von teils politischen, teils ethnographischen Studien, die früher vereinzelt in Revuen und Journalen erschienen waren. Der erste Artikel ist dem gegenwärtigen Papsttum gewidmet, und da fehrt er allerdings mehr, als manchem Leser erwünscht ist, den guten Sohn der Kirche heraus, ohne indes die Tatsachen zu entstellen und sich durch seine päpstliche Gefinnung zu ungerechtigkeiten hinreißen zu lassen. Er bedauert für seine Person den Sturz der weltlichen Macht, erkennt jedoch darin einfach ein Naturereignis, eine letzte olge der Evolution, durch welche alle die Duodezfürstentümer in den größeren Völker-Agglomerationen aufgesaugt worden sind. Ganz richtig giebt er zu verstehen, daß in den Augen der ferner lebenden katholischen Nationen das Papsttüm viel mehr als unantastbares, unverleßliches Heiligtum galt, als in den Augen der unmittelbaren Nachbarn und der Untertanen selbst, die sich ebenso als Italiener fühlen wie die anderen Eingeborenen der Halbinsel und demzufolge naturgemäß dem großitalischen Mittelpunkte zustreben.

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Wenn nach Herrn von Vogüés Beobachtungen im Schoße der Kirche selbst drei Parteien sich scharf von einander scheiden, die Unversöhnlichen, die Opportunisten und die Friedensstreber, so herrscht doch in allem, was die äußere Politik betrifft, bis jetzt noch eine musterhafte Disziplin. Und darin liegt heutzutage eine größere Macht in den Händen Leos XIII., als wenn er über eine Miniatur-Armee und ein Häufleiu Untertanen verfügte. Er läßt gebeten und ungebeten sein Wort erschallen und entscheidet in der gleichen selbstherrischen Weise über die verschiedensten Fragen wie seine Vorgänger, die sich nicht

*) Paris. Armand Colin & Co.

allein als kirchliche; sondern auch als weltliche Oberhäupter unfehlbar genug dünkten, um sich über alles, alles ein Urteil anzumaßen. Von dort aus geht es die ganze Stufenleiter herunter bis zum kleinsten Kaplänchen, auf deffen Tonsur auch ein Tröpfchen Unfehlbarkeit herabgeträufelt ist, so daß man von dieser Seite wol nie die Antwort „das weiß ich nicht“ erhält, wol aber immer eine solche, aus welcher der Gläubige schließen kann: der Mann weiß eben alles!

Darin mag auch der Grund des Einflusses der Missionen liegen, für die Herr von Vogüé entschieden Partei ergreift; er ist sogar der Meinung, daß dieselben unentbehrliche Verbündete für jeden Staat seien, der sich in irgend einem unzivilisirten Lande festseßen will.

Das ist wol auch Ansichtssache. Viele von den heutigen Afrikaforschern versichern, daß die Missionen eher einen schädlichen Einfluß ausüben. Es kommt eben auf den Standpunkt an, den man solchen Wilden gegen- | über einnimmt, ob man ihr Glück sieht, unter die Oberherrschaft irgend einer der europäischen Nationen eingeschachtelt zu werden, oder, ohne Rücksicht auf Grenzpfähle und Flaggen, aus dem tierischen Zustande, in dem die meisten leben, zu einem menschenwürdigen, nüßlichen herangezogen zu werden. Der schwarze Kontinent ist durch blaue, gelbe, rote, grüne Linien abgegrenzt, tout comme chez nous, die schwarzen Kerle mar schiren im Paradeschritt, handhaben statt Speere und Feuersteinärte die neuesten Schnellfeuergewehre und spendiren ihrem Fetisch Brokatgewänder, die aus „von europäischen Herrschaften abgelegten" Kirchenparamenten bestehen, allein damit hat man vorderhand nichts anderes erreicht, als daß dem Lande ein europäischer Anstrich verliehen wurde; ebensogut könnte man noch ein Stück weiter gehen und den Schwarzhäuten eine bleichende Tünche geben, aber damit hätte man das Innere ebenso wenig getüncht, wie dadurch, daß man die Bewohnerschaft mit Uniformen, Meßgewändern und Mordwaffen ausstattet.

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Eine Armee von Schullehrern wäre weit mehr am Plaße, denn nicht die Alten sind zu erziehen, sondern die Jungen, die ganz Jungen besonders, da man erst hoffen kann, in den Jüngsten und in den kommenden Generationen jenes lenkbare Material zu finden, an dem nichts, als das Aeußere von den ältesten Zeiten geblieben ist.

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Was de Vogüé von dem „vorgeschrittenen" amerikanischen Klerus sagt, klingt recht schön, allein in Erziehungsfragen hat bisher die Kirche doch immer ihre ganz eigene Bahn eingehalten. Sie war wol genötigt, den galileischen Lehrfaß nachdem sie den Urheber schlimm genug hergenommen anzuerkennen, und so wird sie auch in der Zukunft der Entwickelungstheorie nicht ausweichen können. Diese Thecrie braucht indes feine Katholisirung von seiten der Bischöfe. Damit entfällt auch die Notwendigkeit der speziell katholischen Universitäten, die der amerikanische und auch der europäische Klerus anstrebt. Die echte Wissenschaft ist kon- | feffionslos; das liegt im Worte selbst: Wissen, nicht glauben.

Der Verfasser bringt auch in der Folge die soziale Frage zur Sprache und zitirt das Wort des Deputirten von Mühlhausen, des Abbé Winterer: „Die soziale Frage ist innig mit der Religionsfrage verbunden. Der Kirche ist die soziale Frage nie fremd geblieben. Sie ist ihr nicht fremd geblieben, als sie sich Sklavenfrage be nannte. Sie ist ihr nicht fremd geblieben, als sich die soziale Frage die Frage der Leibeigenschaft benannte. Sie kann ihr jest nicht fremd bleiben, da sie Lohnfrage, die Frage der Mittelklassen, die Agrarfrage heißt; jeßt,

|

sage ich, da die soziale Frage sich die Frage des Sozialismus nennt. Damit fie der Kirche fremd bliebe, müßte man aus dem Evangelium das unauslöschliche Wort tilgen:,,Misereor super turbam".

Worte, nichts als Worte! Die Kirche hat sich gleich einem anderen Gutsherrn die Leibeigenschaft vortrefflich behagen lassen; insofern ist sie ihr in der Tat nicht fern geblieben. Aus ihrem Schos ist nie der erste Befreiungsruf hervorgegangen. Die jüngsten sehr politischen Bestrebungen des verstorbenen Kardinals Lavigérie können alte historische Tatsachen nicht annuliren und ungeschehen machen. Allerdings beschäftigt man sich in Rom mit der sozialen Frage, aber mit Enzykliken ist sie nicht gelöst; die alten Schlagworte eines sozialen Christentums packen nicht mehr, denn man ist längst darauf gekommen, daß der einzige redliche, aufrichtige und uneigennüßige Sozialist in dieser ganzen Körperschaft der Stifter allein war, während seine Nachfolger nur mit Worten, nie aber mit Taten eintraten und ersteres auch nur so weit, als die tote Hand nicht dadurch in Verpflichtungen gebracht wurde. Für die Behauptung kann auch nichts deutlicher sprechen als die Aeußerung des Kardinals Gibbons, die Herr von Vogüé wörtlich zitirt. Dieser Kirchenfürst warnt vor der Verdammung des Sozialismus und der Arbeiterschaft und sagt:

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„Die Einfünfte der Kirche, die bei uns gänzlich durch freiwillige Geschenke des Volkes einlaufen, würden ungemein leiden, und dasselbe wäre mit dem Peterspfennig der Fall." Da liegt eben der Hund begraben, und dieses Prinzip, diesen Beweggrund, aus dem die Kirche mit dem Sozialismus Hand in Hand gehen will, kann ich nichts weniger als altruistisch finden.

Immerhin ist das Kapitel über das Papsttum ein interessantes Stückchen Zeitgeschichte, aus dem man viel Anregung gewinnt, und in dem das starke Talent des Autors scharf hervortritt.

Die zweite Studie, dem Tode des Kaisers Wilhelm gewidmet, ist voll von schönen, packenden Stellen, aber am liebsten begegne ich doch dem Autor auf seinen Streifzügen im fernen Often, in der weiten, unendlich scheinenden Steppe, unter dem Sternengefunkel des orientalischen Himmels, wo der Geschichtsforscher und Ethnograph ganz unbewust zum Boeten wird.

Die Eröffnung der Bahnstrecke nach Samarkand giebt ihm den Stoff zu diesen Berichten, in welchen er Meister ist. Freilich war auch keiner wie er in der Lage, überall Einsicht, überall Aufklärung, überall Gastfreundschaft zu finden, da kein Geringerer, als der geniale Schöpfer dieses Wüstenwerkes, General Annenkow, sein Schwager ist. Herr von Vogüé sagt: „Annenkow zeigte uns tausend und eine Nacht in der Laterna magifa!" Nun, der Berichterstatter hat die Bilder in der Schrift so festzuhalten verstanden, daß wir die optische Demonstration leicht entbehren können; Lokalfarbe, Leben, täuschende Wirklichkeit zeigen sich in glänzender Weise in diesen Briefen, die seinerzeit das „Journal des Débats" gebracht hat; und in kurzen Schlagworten weiß der Verfasser die politischen Zustände so treffend und charakteristisch einzuflechten, daß uns scheinen möchte, wir seien längere Zeit dort gewesen und hätten das alles bis in die kleinsten Einzelheiten aus eigener Wahrnehmung kennen gelernt.

Ich hatte schon anderswo Gelegenheit, über das System zu schreiben, das Rußland mit viel Glück bei seinem Vormarsche gegen Osten beobachtet: Erstlich sprechen die Kanonen und schießen Bresche, denn diese halbwilden Nomadenvölker und Gebirgsräuber, die von Kindheit auf das Fehdehandwerk lernen, beugen sich durchaus nicht anderen Vernunftsgründen, als dem einen: „Der Stärkere hat recht!"

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