Goethe's Werke, Bind 9–10J.G. Cotta, 1828 |
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Side 158 - Und soll ich dir gestehen wie ich denke, Die goldne Zeit womit der Dichter uns Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war, So scheint es mir, so wenig als sie ist, Und war sie je, so war sie nur gewiß Wie sie uns immer wieder werden kann. Noch treffen sich verwandte Herzen an Und teilen den Genuß der schönen Welt; Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund, Ein einzig Wort: erlaubt ist was sich ziemt.
Side 89 - Es fürchte die Götter Das Menschengeschlecht! Sie halten die Herrschaft In ewigen Händen Und können sie brauchen, Wie's ihnen gefällt. Der fürchte sie doppelt, Den je sie erheben! Auf Klippen und Wolken Sind Stühle bereitet Um goldene Tische. Erhebet ein Zwist sich, So stürzen die Gäste, Geschmäht und geschändet, In nächtliche Tiefen Und harren vergebens, Im Finstern gebunden, Gerechten Gerichtes.
Side 212 - Allein ich fühle schon Den langen ausgedehnten Schmerz der Tage, wenn Ich nun entbehren soll, was mich erfreute. Die Sonne hebt von meinen Augenlidern Nicht mehr sein schön verklärtes Traumbild auf; Die Hoffnung, ihn zu sehen, füllt nicht mehr Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht; Mein erster Blick hinab in unsre Gärten Sucht ihn vergebens in dem Tau der Schatten. Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch, Mit ihm zu sein an jedem heitern Abend!
Side 293 - O diese Zeit hat fürchterliche Zeichen, Das Niedre schwillt, das Hohe senkt sich nieder, Als könnte jeder nur am Platz des andern Befriedigung verworrner Wünsche finden, Nur dann sich glücklich fühlen, wenn nichts mehr Zu unterscheiden wäre, wenn wir alle, Von Einem Strom vermischt dahingerissen, Im Ozean uns unbemerkt verlören.
Side 158 - Willst du genau erfahren was sich ziemt, So frage nur bei edlen Frauen an. Denn ihnen ist am meisten dran gelegen Daß alles wohl sich zieme was geschieht. Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer Das zarte leicht verletzliche Geschlecht.
Side 259 - Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll, So ist das Leben mir kein Leben mehr. Verbiete du dem Seidenwurm, zu spinnen, Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt: Das köstliche Geweb entwickelt er Aus seinem Innersten und läßt nicht ab, Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen.
Side 272 - Und bin ich denn so elend, wie ich scheine? Bin ich so schwach, wie ich vor dir mich zeige?
Side 263 - Ich schone dich; denn sonst würd' ich dir sagen: Ist's edel, so zu reden, wie du sprichst? Ist's edel, nur allein an sich zu denken, Als kränktest du der Freunde Herzen nicht? Ist's dir verborgen wie mein Bruder denkt? Wie beide Schwestern dich zu schätzen wissen? Hast du es nicht empfunden und erkannt? Ist alles denn in wenig Augenblicken Verändert?
Side 94 - Hat denn zur unerhörten Tat der Mann Allein das Recht? Drückt denn Unmögliches Nur er an die gewaltge Heldenbrust?
Side 96 - Es hört sie Jeder, Geboren unter jedem Himmel, dem Des Lebens Quelle durch den Busen rein Und ungehindert flieht. — Was sinnst du mir, O König, schweigend in der tiefen Seele? Ist es Verderben? so tödte mich zuerst! Denn nun empfind' ich, da uns keine Rettung Mehr übrig bleibt, die gräßliche Gefahr, Worein ich die Geliebten übereilt Vorsätzlich stürzte.