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Kaufleute und die rasirten Tschinnownits.") So war es auch bei Manzoff. Die Bärtigen saßen, von Silbers und Banko Rubeln schwagend, bei einander, tranfen Thee und rauchten wenig. Die Uns bärtigen rauchten viel, die Meisten Pfeifen, Einige sogar Zigars ren und lasen sogar auch in den Zeitungsblättern, d. h. in den,,Mos tauschen Neuigkeiten" und den,,Literarischen Notizen", den beis den in Moskau verbreitetsten Blättern. Peter I. schien also dennoch Recht zu haben, wenn er den Bart als ein so großes Hinderniß der Civilisation betrachtete und ihn, wo möglich, bei den Russen völlig auszurotten strebte.

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An das andere Ende meines Tisches ließen sich auch bald drei Barte nieder; ein goldbrauner und zwei mattbraune, wie man diese denn unter den Ruffen am häufigsten findet. Sie nah men das andere Ende des Tisches für sich und ließen sich natürs lich Thee geben. Denn wenn anderswo die ganze Welt Geld schreit, so schreit die echt Russische „tschai.".. Und tschai ist bei Vornehm und Gering ein so ungemein in Rußland verbreitetes Getränk, daß jeder Russe sich sehr unglücklich halten würde, wenn er es sich versagen müßte, während ich mich sehr glücklich schaßte, als ich hier zum ersten Male genau und im Detail bes obachten konnte, wie die National, Russen dieses Getränk zu sich nehmen.

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3wei Spültümpe von Porzellan stehen beständig zum belies bigen Gebrauche auf der Mitte jedes Tisches. Es wird ein Theetopf, ein Topf mit heißem Wasser, ein Schälchen mit Zucker, auf dem die Stücke genau gezählt sind, und ein anderes Schal chen mit Citronenschnittchen - mit Milch vermischen die Ruffen ihren Thee nie servirt. Dies Alles nun wurde auch meinen drei Nachbarn auf eine schmußige Serviette gefeßt — denn was diesen Artikel in den Russischen Kaffeehdusern betrifft, so find auf ihnen gewöhnlich schon so viele Diners und Frühstücke abge gehalten, daß die Phantaste in ihren gelben, grünen und braunen Flecken und anderen Reminiscenzen hinreichende Unterhaltung findet. Es bemächtigte sich dann einer von den drei Bärten des Waffertopfs und machte den Wirth, schwenkte zuvor jede Taffe forgfaltig aus und warf dann in jede ein Stück Zucker, während augleich Jeder von den Dreien auch ein Stück zum Zubiß in die Hand nahm. Dann schenkte der Wirth den Thee ein, und zwar so, daß er den Theetopf immer über allen drei Laffen freifen und dabei jedes Mal ein paar Tropfen fallen ließ; natürlich, um Niemanden Unrecht zu thun, damit Jeder gleich viel vom oberen und gleich viel vom unteren Thee belam. Dann goß er sogleich wieder Wasser auf den Thee. Darauf warf sich Jeder ein Citro nenschnittchen in die Taffe, drückte es ein wenig mit dem Löffel aus und schüttete sich das Getränk ins Untertäßchen, indem er den füßen Zuckerrest dazu sorgsam nachspůlte, knupperte dann an seis nem Stückchen Zucker, stellte beide Arme auf den Tisch und ließ aus dem Unterschälchen den warmen Trank seine bekannten Wege weiter gehen. Sie tranken ihre Taffen nie ganz leer, sondern ließen, auch wenn der Thee, noch so lauter war, einen kleinen Rest, den fie in den Spüllump schütteten, welche allgemeine Sitte wahr scheinlich mit einem kleinen Aberglauben zusammenhängt. Darauf teckten sie sich den Bart aus, strichen und bearbeiteten ihn mit den Fingern, wie die Vögel ihre Federn mit dem Schnabel. Der Wirth hatte schon längst wieder Thee gebraut. Alle Drei waren zugleich fers tig, und alle Drei bekamen auf dieselbe Weise, wie vorher, ihre Las dung, die sie auf dieselbe Weise mit Zuckerknacken, Ausspülen u. f. w. wieder leerten. Sie saßen so brauend eine halbe Stunde lang zus sammen, bis von allem heißen Wasser fie selber wie Theekeffel dampften und ihre Angesichter im Schweiße badeten. - Dies Leßtere ist nun eigentlich weit mehr der Zweck dieser Art von transpirirender Berauschung, als das Trinken selbst, und gewiß würde ein Chinese großes Aergerniß daran nehmen, sein edles Blüchengetränk bloß als schweißtreibendes Mittel verwandt zu fehen. Das Schwißen d. h. nicht eben das, welches von angeftrengter Arbeit herrührt ist den Russen ein Genuß, daher fie es auch in allen möglichen Krankheiten so heilsam halten. Daher auch ihre Schwißbäder und manches Andere.

Es ist wunderbar, daß die Russischen Kaufleute nicht nur in Moskau, sondern auch in allen anderen Städten Rußlands, haars Plein auf dieselbe Weise Thee trinken und haarklein so genau dasselbe wiederholen, als geschähe es aus einer Naturnothwendigs keit, wie z. B. ein Ahorn nicht runde, sondern gelappte Blätter macht. Das Ganze hat um so mehr Interesse, als sich so viel Charakteristisches der Russischen Nation darin abspiegelt.

Auf eine für uns sehr auffallende Weise seßen sich die Russen in diesen Kaffeehdusern über gewisse Vorurtheile hinweg in Bes zug auf das Rauchen. In jedem Kaffeehause nämlich giebt es eine Partie von Pfeifen mit langen Röhren und kleinen Tür lischen Köpfen, die dem ganzen Publikum gemeinschaftlich dienen. Sie gehen von Munde zu Munde, und es wird Einem zum Thee eine Pfeife præfentirt, wie bei uns eine Zigarre. Die Bedienten haben nicht nur das Geschäft, fie zu stopfen, sondern auch, fie ans surauchen und so fir und fertig dem Gast in den Mund zu stecken. Man sieht fie oft mit fünf bis sechs brennenden Pfeifen laufen, die fie abwechselnd rauchen und zwischen den Tischen vertheilen. Ich möchte einmal einen Englischen Schiffs Capitain sehen, wenn ihm ein Russischer Diener eine solche Pfeife anbietet!

*) Beamte der niederen Klassen.

Uebrigens giebt es auch manches Hübsche in den Kaffees häusern Moskau's. Die Ruffen lieben Musik und Nachtigallen oder andere Singvögel werden daher erheitern, wie die Raufs Kaffeehausern ger halten, die sie mit ihrem Gezwitscher

buden und andere öffentliche Drte, wo sich Ruffen begegnen. Fast in jedem dieser Kaffeehauser findet sich auch ein Schrane mit einer Spiel Uhr, die den ganzen Tag über musiziren muß. Wenn auch nicht immer Mufit, so wollen die Ruffen doch immer Gellimper haben und angenehmen Ohrenkisel, daher denn alle die verschiedenen von uns erfundenen Harmoniken fie so sehr ergößen.

Wie gesagt, diese Nationals Russischen Kaffeehauser find uns gemein zahlreich in Mostau, und im Alexander Garten findet fich ihrer eine ganze Reibe, das eine wie das andere eingerichtet. Für die West Europder, die in Mostau wenig häufig find, giebt es nur ein Franzöfifches Kaffeehaus an der Schmiedebrücke, o man für gutes Geld gut Franzöflich gespeist und bedient wird. Für die Reichen und Vornehmen aber exiftirt Deenannte Englige at often denen darbietet, bie fich nichts daraus machen, der seine prachwollen Zimmer in herrs lichen Palast

wenn sie Abends am Whistisch einige tausend Rubel verlieren, die dort zu Zeiten ein Frühstück oder Souper geben, deffen Depensen allein einen bankerott machen würden und tausend Arme fatt machen könnte.

mit deffen Speisestoff man ta

Mannigfaltiges.

Romantische Schlösser in Frankreich. Herr Leon Goslan, der zu den talentvolleren jungen Schriftstellern des beus tigen Frankreichs gehört, hat die Bargen und Schlöffer feines Vaterlandes zum Gegenstande und sur scenischen Grundlage einer historischen Darstellung gemacht, die so eben unter dem Titel Les Tourelles erschienen ist. Bekanntlich hat Walter Scott an Schloß Kenilworth und an die Feste, die dort der Königin Elifas beth gegeben wurden, den Faden zu einem seiner schönsten histos rischen Romane geknüpft; ein ähnlicher Gedanke scheint auch uns serem Franzosen vorgeschwebt zu haben, denn die glänzenden Bus fammenkünfte der Fürsten und der Barone auf ihren Befißungen und Luftschlössern find es hauptenien su ichildern und zugleich die dem Verfaffer Geles genheit verschaffen, Zeiten und

mit der Geschichte em Geschichtchen zu geben. Chantilly, das großartige und lururidse Schloß des Fürsten von Condé, ist der Schauplaß der ersten Darstellungs demnächst folgt Ecouen, bekannt durch die grandiose Mädchen Erziehungsanstalt, an deren Spiße Madame Campan stand, die auch in diesem Gemälde eine Hauptrolle spielt. Vaur, Villeroi, Voifenon und Petits Bourg endlich heißen die Schlösser, die in dem zweiten Theile dieser Bildergalerie Namen und hintergrund zu den Landschaften geliefert haben, in denen die Staffage meistens die Hauptsache und oft auch mannigfaltiger und interessanter ist, als die scenische Decoration.

Neue Theorie von Sonne, Mond und Erde. In England ist eine Schrift erschienen, die in vollem Ernste zu bes weisen sucht, daß es mit dem Kopernikanischen Weltsysteme Nichts sen, und daß die Sonne wirklich um die Erde sich bewege. Der Mann, der dies beweist und damit gegen alle Astronomen von Galilei bis Herschel zu Felde zicht, heißt Francis Eagle und ist Wundarzt in London. Seine mit einem etwas fonfusen Titel in die Welt geschickte Schrift *) stüßt sich hauptsächlich auf folgendes Argument: Wir wissen durchaus gar nichts von der Natur, dem Wesen, der Beschaffenheit, der Dichtigkeit oder Zusammens feßung von Sonne, Mond, Sternen und Planeten, von ihrer Größe und wirklichen Entfernung, von der Atmosphäre, in der fie eingehüllt sind, von der Wirkung der Strahlenbrechung, wahe rend wir sie von der Erde aus sehen, und von allem sonst auf fie Bezug habenden, was uns zu einer kategorischen Entscheidung befähigen könnte: ist es darum nicht ein merkwürdiges Beispiel von Demuth und Weisheit, daß unsere Astronomen, die faum über ihre eigenen Nasen deutlich hinweg zu sehen vermögen, über viele Millionen Meilen hinaus zu schauen und zu urtheilen wagen?" Unser Wundarzt verwirft nicht allein die bisherigen Ansichten vom Weltfysteme, sondern er hat auch seine eigenen: er behauptet, Sonne, Mond und Sterne seyen keinesweges fo weit von uns entfernt, als die Leute glauben; er halt die Plas neten und Sterne überhaupt nicht für dichte und solide Körper, fondern für,,Lichts Tropfen", wie er denn auch von der Sonne bezweifelt, daß sie eine feste Maffe fen, der Erde, daß

fie eine runde Form habe. Der Mann, der dieses schreibt, ist übrigens weder ein religiöser Rostiter, noch sonst überspannt; feine Schrift ist vielmehr die Nüchternheit selbst und ein neuer Beweis, daß in dem praktischen England eben so gut, wie in dem theoretißirenden Deutschland, ein mittelmäßiger Kopf, der fich mit Dingen beschäftigt, die über seinem Horizont liegen, das abgeschmackteste Zeug zu Tage fördern kann.

*) Remarks on the laws of distance, magnitude, shadows and parallax, as opposed to modern astronomy and in favour of the Mosaic account of the creation.

vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er : höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No133.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohlsbl. Post-Nemtern,

Literatur des des Auslandes.

Berlin, Mittwoch den 6. November

Frankreich.

Die Schreckenszeit in der Bretagne. *)
Das Schloß La Hunaudaic.
Bon E. Gouvestre.

Das Gefeß, welches die Güter der Emigranten mit Beschlag belegie und ihren Verlauf anordnete, wurde in der Bretagne zuerst im September 1793 zur Ausführung gebracht. Dasselbe hatte, wie man sich leicht denken fann, eine Reihe unheilvoller Scenen zur Folge. Die meisten Edelleute waren ins Ausland geflohen oder schürten im Innern das Feuer der Empörung; nur die Frauen und Kinder waren in den Schlössern surudges blieben. Jeßt erklärte man ihnen, daß ihre Güter der Nation verfallen senen, und nahm unter ihren Augen das Inventarium der Möbel, der Bibliotheken und Kostbarkeiten auf. An einigen Orten übertrug man den Frauen die Aufsicht über ihr samme liches Eigenthum, jedoch mit der Verpflichtung, nichts zu ents fremden; anderswo ging ihnen der Befehl zu, ihre Befizungen in der fürzesten Frist su raumen. Im letteren Falle führten die erwachsenen Töchter ihre alten Vater, die Mütter die kleinen Kinder; ein Kommiffarius, den Departements Beschluß in der Hand haltend, übergab ihnen beim Abzuge, was der vertriebenen Familie als Almosen zugestanden worden war. Es war nicht viel: ein Bett, zwölf Stühle, ein Schrank und für jedes Kind drei Hemden und seine Wiege. Was den Unterhalt der Vers jagten betraf, der aus den Einfünften der fonfiszirten Besißungen bestritten werden follte, so behielt sich die Verwaltung vor, dar über noch weiter zu verfügen. Fragte ein bejahrter Edelmann auf der Schwelle seiner Wohnung die Kommiffarien, wo er ein Obdach für sich und seine Familie finden würde, so wiesen diese lachend auf den Freiheitsbaum, der vor seinem konfissirten Schloffe gepflanzt worden war. Die damalige Zeit brachte es so mit fich. Die Revolution hatte bereits alle Stadien durchlaufen und war auf ihrem Höhepunkt angelangt. Das manarchische Europa hatte dem revolutionairen Frankreich den Fehdehandschuh hingeworfen; Frankreich hatte die Herausforderung angenommen, indem es sich eine Verfassung und neue politische Intereffen gab. Die Republik war ausgerufen worden, und der Tod des Königs folgte bald darauf. Ein Rückschritt auf diesem Wege war noch nicht möglich; man muste vorwärts.

Die Städte der Bretagne schlossen sich, mit Ausnahme von zweien oder dreien, der Revolution an und unterwarfen sich ihren Folgen; der Haß der Royalisten wurde dadurch noch gesteigert. In Poitou, Maine und Anjou drohte Aufruhr; Morbihan und die untere Loire waren in gehrender Bewegung. Im Finistère hatte die Wachsamkeit der Behörden noch jede laute Aeußerung der Unzufriedenheit verhindert, aber der Zustand des Departes ments flößte doch Besorgnisse ein. Der Hauptfig der Aufregung waren die Departements Ille-et-Vilaine und die Côtes-du-Nord. Man nannte hier die Anführer, ohne jedoch sichere Beweise zu haben. Es waren die Picor's de Limoëlan, die Dubuat's, die Molien's, die Loquer's de Granville, die Desilles', die Gunomas rais', vor Allen aber Tuffin de la Rouerie, in deffen Händen alle einzelne Fdden zusammenliefen.

Diefer Mann, der in der Bretagne dieselbe Rolle gespielt haben würde, wie Charette in der Vendee, wenn er etwas ipdter gestorben wäre, war anfangs Offizier in den gardes françaises gewesen. Dem Ungewöhnlichen nachjagend, nie um die Mittel zur Ausführung feiner Plane verlegen, von verderbiem und romanhaftem Charakter, war er nahe daran gewesen, wie Rancé au enden, nachdem er wie Faublas gelebt hatte. Er wollte seine Tage in einem Trappisten Kloster beschließen, als die Nachricht vom Ausbruche des Krieges in Nord Amerika zu seinen Ohren drang. Augenblicklich warf er das Mönchsgewand bei Seite, ließ sich die Haare wieder wachsen und focht gegen die Eng lander unter dem Namen des Oberst Armand. Als er nach Frankreich zurückkehrte, bereitete ihm die öffentliche Meinung einen glänzenden Empfang, aber der Minister ließ ihm offiziell

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1839.

den Befehl zukommen, nicht bei Hofe zu erscheinen, und unter der Hand den Rath, sich still au verhalten. Im Jahre 1787 fendere ihn der Adel der Bretagne nach Paris, um bier die Aufrechterhaltung der Vorrechte der Proving zu verfechten. Diese Sendung verschaffte ihm den Ruhm der Verfolgung: er wurde in die Bastille gesperrt. Seine revolutionairen Anwandlungen dauerten indeß nicht länger als bis zu dem Tage, an welchem die Rechte des Adels in Frage gestellt wurden. In Rennes und Saint-Brieur hatte er gegen die Ansprüche des dritten Standes proteftirt; als diese Ansprüche zu Gefeßen erhoben worden waren, beschloß er, sie zu bekämpfen, und rastete sich in seinem Schloffe La Rouerie.

Luffin war wie zum Parteihaupte gemacht. Nicht nur bes faß er alle Eigenschaften, die zu einer folchen Rolle erforderlich find, sondern auch alle dazu nöthige Lafter. Er war fühn, ges wandi und zu unstat, um in lange Muthlosigkeit zu verfallen; dabei vereinte fein leicht erregbarer Charakter Begeisterung und luge Berechnung, Aufrichtigkeit und Verstellung. Seine vielen Liebes Intriguen hatten ihm die Kunft gelehrt, der Eigenliebe au schmeicheln; man konnte ihn überraschen, nie ihn außer Saffung bringen. Ausgezeichner durch einen unbeswinglichen Muth, selbst in einem Stande, der diese Tugend als gemeinsames Erbtheil empfangen hatte, war er hierdurch in den Stand ges feßt, seine kühnen Entwürfe zur Ausführung zu bringen. Webers dies war er stolz und jeder schlechten Handlung fähig, wenn sie ihn zum Ziele führte, aber auch geduldig, wie alle hofleute, und heiteren Temperaments, wie alle Wüftlinge; dem Hunger, der Ermüdung, der Kälte bot er Tros, ohne sich zu beklagen oder niederschlagen zu laffen.

Schon gegen Ende des Jahres 1791 hatte Tuffin de la Rouerie in den bedeutendsten Städten der Bretagne royalistische Ausschüsse gebilder und Werbungen angestellt. Als er im Mai 1792 in feinem Schlosse angegriffen wurde, entfloh er wie durch ein Wunder und brachte eine erste Empörung zum Ausbruch, welche ohne Resultat blieb und nur seine Helfershelfer Elliot und Maloeuvre auf das Schaffot führte. Seitdem durchstreifte er unter beständigen Verfolgungen die Bretagne, von Schloß au Schloß, von Hütte zu Hütte fliehend; aber auf feinem Wege führte er überall der Unzufriedenheit neue Nahrung zu, streute Versprechungen aus und legte an allen einzelnen Punkten Zünds stoff nieder, um einen allgemeinen Brand anzufachen, wenn die Zeit gefommen seyn würde.

Jest war aber offenbar die Stunde gekommen. Die Lage der Republik forderte zum Angriff auf. Der Februar 1793 mar abs gelaufen, und die Spaltungen im Nationals Konvent nahmen einen immer heftigeren Charakter an. Die Jakobiner, welche fich auf die Sectionen und die Kommune ftusten, klagten die Girondisten monarchischer Umtriebe an; die Girondisten gaben ihnen die Anflage zurück und nannten sie Anarchisten, so daß es den Patrioten in den Departements, die ungewiß zwischen diesen entgegengeseßten Beschuldigungen schwankten, schwer werden mußte, die Wahrheit zu entdecken. Indeß führte doch der Eins fluß einiger bedeutender Manner und ein angeborener Hang aur Mdßigung die meisten Republikaner in der Betragne der Partei der Girondisten su. Die Verwaltung des Departements Finis stère hatte sich entschieden für diese erklärt und schon im Ottos ber 1792 eine Adresse eingefendet, in welcher fie die 48 Secs tionen aufforderte, die Freiheit der Deputirten der rechten Seite nicht zu beschränken.. Bedenket", hieß es in der Adresse,,,daß der dreiundachtzigste Theil der Republik einer Nation, welche die Anarchie verabschent, keinen Schrecken einflößen kann. Frank reich wird sich nicht der Herrschaft einer Stadt unterwerfen. Erinnert Euch doch, wem der Ruhm des 10. August gebührt. Der National Konvent muß mit Rube an dem Verfassungswerke arbeiten können; findet er diese nicht bei Euch, so werden andere Städte sie ihm zu verschaffen wissen."

Ueberdies bedrohte fast ganz Europa unsere Gränzen, die nur durch Freiwillige ohne Schuhe und ohne alle uebung in den Waffen vertheidigt wurden. Die Staatskassen waren leer, die Industrie lag danieder, der Handel war vernichtet. Alle Bestes hungen waren unterbrochen, selbst der Familienumgang hatte aufgehört; die Beamten in den Siddien, welche bendndig von Aufruhr oder von den Unternehmungen der Royalisten auf dem Lande bedroht wurden, sahen ihre Frauen und Kinder nicht mehr;

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Be aßen und schliefen in den Konferens Zimmern, und unter den Defreien des Konvents lagen bestandig ein Paar geladene Pistolen.

Troß dieses schwankenden Zustandes überließ sich das Voll weder der Furcht noch der Verzweiflung. Jedem Unfalle seßte es einen unerschütterlichen Muth entgegen. Alle Küsten der Bres tagne waren von Soldaten entblößt, die festen Plage waren vers fallen; ein Aufruf wurde erlaffen, und es stellten sich 6000 Frei: willige und 1000 Schanzgraber. Die Verschanzungen wurden wieder aufgerichtet, Kanonen mit den Händen auf die Gipfel der Felsen getragen; von den Wänden der Keller fragte man den Salpeter ab und fabrizirte Pulver; aus den bleiernen Rinnen der adeligen Schlösser wurden Kugeln gegoffen. Die Frauen ndhten Kamaschen, welche sie auf den Altar des Vaterlandes niederlegten, die Kinder zupften Charpie, die Greise traten in die Veteranen Compagnieen und lernten das Exercitium. Das ganze Land erhob sich und rüstete sich zum ausbrechenden Kampfe.

Diese allgemeine Gährung hatte indeß meinen Handel nicht unterbrochen, der diese gerade zur Grundlage hatte. Ich hatte keine bestimmte Speculation, sondern ich spürte den Geschäften nach, wie die Abenteurer der neuen Welt den Bibern nachjagen. Immer im Besiß von einigen hundert Louisd'ors, einer damals ganz bedeutenden Summe, da das baare Geld sehr selten war, benußte ich alle Umstände, die sich mir darboten. Heute machte ich in Tréguier einen Handel mit Fayence Geschirr, welches den Englandern abgenommen worden war, morgen erstand ich in Lorient 6000 Paar Handschuhe, welche bei irgend einer Gelegen, heit konfiszirt worden waren und nun in den Magazinen vers schimmelten. Der Umsaß der Assignaten, welche nicht überall gleich niedrig standen, gewährte mir ebenfalls einige Vortheile. Nur hütete ich mich wohlweislich, die Lebensmittel in den Kreis meiner Geschäfte zu ziehen; hier hätte ich fürchten müssen, durch einen Misgünstigen als Spekulant und Wucherer verschrieen zu werden. Ich verzichtete auf den leichten Gewinn, zu dem die Confiscation und das öffentliche Elend so vielfältige Gelegenheiten boten, und ich hatte mich darein ergeben, nichts weiter als eine Art von Haufirer zu seyn. So zog ich von einem Orte zum ande ren, indem ich hier kaufte, was dort fehlte, indem ich die Bes dürfnisse der Reichen für Geld, die der Armen umsonst befries digle, wobei ich allerdings auf jedem einzelnen Markte nicht viel verdiente, aber doch beständig mein Kapital umseßte.

Dieser Handelsbetrieb that meinem Eifer als Bürger keinen Abbruch. Kam ich irgendwo an, wo die Patrioten aufgerufen wurden, so seßte ich alle Geschäfte hintenan und stellie mich. Das Gefühl der brüderlichen Gemeinschaft war damals so stark ausgebildet, daß man sich nirgends für einen Fremden_hielt. Man gehörte nicht der National Garde dieser oder jener Stadt, fondern der Republik an, und wenn die Trommel gerührt wurde, so stellten sich die Patrioten, ohne an etwas Anderes zu denken. So kam es, daß ich den Gefechten bei Fouesnant und Saveney beiwohnte.

Der Mars 1793 hatte begonnen; ich kehrte von einer Wandes rung, die sich bis Nantes erstreckt hatte, nach Guingamp zurück. Zufällig hörte ich zu Dinan, daß ein Theil der Waldung von La Hunaudaie zu verkaufen sey. Ich hatte Auftrdge von Ports Brieur und von Vannes erhalten und beschloß deshalb, mich nach den näheren Bedingungen des Verkaufs zu erkundigen.

Als ich durch Lamballe fam, stieg ich vom Pferde, um dem procureur-syndic einige Briefe zu übergeben. Ich fand ihn im Gespräche mit einem Fremden, Beide umgeben von Schreibern, welche unausgefeßt Schriften ausfertigten. Nach einer kurzen Unterhaltung schichte ich mich an, Abschied zu nehmen, als plößlich Schritte und Stimmen ertönten, unter denen ich die eines Freundes meiner Familie, des Arztes Launay, zu erkennen glaubte. Wirklich trat derselbe, gefolgt von zwei Sans-Culotten, ein. hast Du schon gehört, Bürger?" sagte er zum Prokurator, ohne zu grüßen. Die Bauern sind gestern nicht nach Saints Brieur auf den Markt gekommen; es ist Hungersnoth zu fürch. ten; die Fanatiker rotten sich überall zusammen, und vor Ende des Monats werden sie bewaffnet gegen uns ausziehen.".

Er war im Begriff, fortzufahren, als seine Blicke auf mich fielen.,,Du hier, Baptiste?" rief er aus. ,,Was führi Dich hierher? Wohnst Du nicht mehr in Guingamp?" Ich wollte ihm den Grund meiner Anwesenheit in Lamballe mittheilen, aber er hörte nicht. Ich habe gehört, daß Dein Vater gestorben ift. Ein großer Verlust, mein Freund - ein großer Verlust für uns Alle. Bei Allem war es etwas schwer, mit dem guten Manne auszukommen; er war ein bischen hartnäckig, ein bischen geizig, ein bischen aristokratisch. Dennoch habe ich den herzlich: ften Antheil genommen. Aber ich wußte nicht, daß Du mit uns serem Syndikus bekannt wärst.“ Ich habe nicht die Ehre." ,,Dann muß ich Dich ihm vorstellen; Ihr seyd Beide für eins ander geschaffen."

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Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern nannte dem Prokurator meinen Namen. Für den stehe ich Dir, Bürger", fagte er, indem er mich auf die Schulter klopfte;,, der ist von Kindesbeinen an ein echter Republikaner gewesen; er lag mit Jedermann in den Haaren. Erinnerst Du Dich noch, Baptiste, wie fle Dich zum Pfaffen machen wollten? Er hat freilich eine geistliche Erziehung erhalten, aber er glaubte schon als Kind wes ber an Gott, noch an den Teufel; es ist ihnen nicht gelungen, ihn im Aberglauben zu verdummen."

Ich fand während dieser lächerlichen Anrede wie auf der Folter; ich wollte derselben dadurch ein Ende machen, daß ich

rief er,,,wir effen zusammen Abendbrod."Ich reise augenblicks lich ab.",,Aber es wird schon dunkel, und die Wege sind unsicher." -,,I kann durchaus nicht bleiben.“ ,,Es ist also ein wichs tiges Geschäft.” ,,Ja." —,,Und wohin willst Du?“ — „Es ist nicht weit von hier." „Plancoër?“

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im Walde." ,,la Hunaudaie?" So ift's." Du die Guyomarais besuchen?" Nein." ,, Uebrigens" fuhr er fort, ohne weiter auf mich zu hören und zum Syndilus gewendet,,,Pennt dieser Sansculotte alle Aristokraten. Er hat uns ter ihnen gelebt, und ich, der ich hier stehe, habe gesehen, wie er in rosaseidenem Rocke, den Claque unter dem Arme, bei den vornehmen Damen von Kerjeau ben Angenehmen spielte; er wohnte allen Jagdpartieen bei und hat vielleicht auch Tuffin de la Rouerie gesehen. Das ist nun so einer, dem ich von Herzen gern den Strick drehen möchte. Er ist die Seele der royalistischen Verschwörung, und überall hört man nur seinen Namen. Fragt man den Bauer, warum er die Abgaben nicht bezahlt, so heißt's: Herr de la Rouerie har's verboten; warum er fein Getraide auf den Markt bringt: Herr de la Rouerie har's verboten; wer ihnen gesagt hat, daß die Preußen in drei Monaten in Paris seyn wers den: wiederum Herr de la Rouerie. Er ist überall, leitet Alles, und dennoch sieht man ihn nirgends. Wenn man abergläubisch wdre, follte man glauben, er wäre der Teufel. Uebrigens soll es ein schmucker Mann feyn. Aber Du mußt ihn jedenfalls bei Frau von Coatansecours gesehen haben."

Ich verseßte ziemlich trocken, daß dics nicht der Fall sen. ,,Da Du die Guyomarais besuchst", fuhr er fort,,,so wirst Du von ihm sprechen hören; sie gehören auch zu der Bande, sie sowohl wie ihr Schwiegervater Micant de Mainville." Ich wollte ihm noch einmal bemerken, daß ich mich nicht aufs Schloß begebe, aber er ließ mir nicht Zeit dazu. Jedenfalls", sagte er,,,boffe ich, daß wir auch nächstens einen Besuch auf dem Edelhofe abstatten und Alles mit dem Bajonette durchstöbern werden, besonders da seit einiger Zeit das Gerücht geht der Herr Tuffin

könnte schon da verborgen seyn. Sage doch den Guyomarais, daß sie sich vorsehen.“ – „Ich werde es ihnen sagen", erwies derte ich ungeduldig. Hierauf zum Syndikus tretend, der in lebs haftem Gespräche mit dem Fremden begriffen war, grüßte ich und entfernie mich. (Schluß folgt.)

Der Spekulant. (Schluß.)

, wie herrlich ist der Spekulant anzusehen, wenn er sich nachlässig in einem Lehnstuhl à la Voltaire ausstreckt und in wollüftiger Behaglichkeit den Prospektus einer neuen kolossalen Unternehmung liest, zu welcher er seine Fähigkeit, seine Freunde aber ihr Gold hinzubringen! Wie finnt er über alle Wechselfälle nach! Je unpraktischer die Speculation ist, desto besser. Man schlage doch in Paris den höher begabten Geistern ein einfaches und vernünftiges Unternehmen vor, welches nur einen anständigen Gewinn verheißt, und man wird sehen, wie sie die Schultern zucken werden. Ein anständiger Gewinn! Lieber Gott! das ist To gut wie betteln. Wer würde seinen Namen zu einer solchen Kinderei hergeben? Ein anständiger Gewinn! Ein Mann, der gut gestellt ist, wird sich nie einer solchen Lächerlichkeit schuldig machen. Man muß in vier und zwanzig Stunden oder spätestensin einem Vierteljahre ein Vermögen erwerben können, und wenn man warten foll, so müssen gleich starke Dividenden gezahlt werden. Wäre es sonst wohl der Mühe werth, fich darauf eins zulassen? Man erfinde Wagen, welche ganz allein, ohne Pferde und ohne Dampfkraft über Berg und Thal rollen; man erfinde Gläser, vermittelst welcher man Actionaire auf einem geschwänzs ten oder ungeschwänzten Kometen entdecken kann; man erfinde Zaubergewebe aus Jasmin und Rosen, die erst zu einem dicken, Brei zusammengerührt, dann durch ein unbegreifliches Verfahren" zu Faden verarbeitet werden. Das läßt sich hören! Das bes schäftigt die Einbildungskraft! Der Erfolg dieser Wunderdinge ist zum voraus gesichert, nicht troßdem, daß sie lächerlich sind, sondern eben weil sie lächerlich sind.

Der Spekulant, oberster Beherrscher des Landes der Chimas ren, verbringt einen Theil seines Lebens, eingewiegt vom füßen Klange der Täuschungen. Im Traume ergießt sich der goldene Regen auf seine Speculationen, in Gedanken erobert er das goldene Vließ, welches am Baume der Industrie aufgehängt ist. Beständig schwebt ihm das Beispiel dieses oder jenes Millios nairs vor Augen, der damit anfing, daß er Vieh verkaufte, und das mit aufhörte, daß er Völker verkaufte, zwischen welchen beiden Dins gen unser Spekulant keinen großen Unterschied fieht. Er citirt eine Menge feiner Kameraden, welche im Beginn ihrer Laufbahn mit dem Pöbel durch einander liefen, und welche jest mit den Machtis gen der Erde umgehen. Freilich giebt es Unglaubige, welche seine Plane und Träumereien belächeln, weil sie mehr als einen dieser Apostel des Goldes von Erfolg zu Erfolg, von Gewinn zu Ges winn, bis zu einem Zimmer in Sainte-Pelagie oder einem Bette im Hôtels Dieu oder gar einer Zelle in Bicêtre haben fortschwin deln sehen. Aber über Lasterungen ist unser Spekulant erhaben. Mögen die Prophezeiungen zutreffen oder nicht, sie werden dens noch für unmöglich erklärt. Die Notabilitdten unserer Zeit haben das schöne Vorrecht, selbst durch, ihre Niederlagen berühmt zu werden; der Kampf, welcher mit den Waffen der Speculas

Die Speculationsmuth verzehrt indeß nicht bloß die Zeute Dem Spekulanten einer niederen Art ist ebenfalls sein Weg vor in den höheren Sphärens fie ergreift alle Stände, alle Klassen. gezeichnet. Wenn im Theater etwas Besonderes gegeben wird, To lauft er die Billette zum voraus auf, um sie mit Gewinn wiederzuverkaufen. Er weiß, daß zur Zeit der Industries Aus Rellung Gelegenheitsstücke gegeben werden, in welchen der Name diefes oder jenes Fabrikanten ehrenvoll erwähnt wird. Was thut der Spetulant? Er sucht die Kaufleute auf, welde gern öffent, ihnen getroffen, bringt er es bei den Dichtern, Schauspielern und Schauspiel's Direktoren dahin, daß sie in das Stück Lobesers hebungen für diesen oder jenen Herrn, die Zeile oder das Couplet für so und so viel, einschalten. Dabei findet Jeder seine Rech nung; die Dichter Schauspieler und Schauspiel Direktoren gewinnen die gepriesenen Fabrikanten als Zuhörer; dieser übers giebt dem Publikum auf folche Weise einen Prospektus, und das Publikum hat den Vortheil, mit dem Stücke zugleich eine Ans nonce au erhalten.

nun beflatscht oder ausgezischt werden, so folgt nicht minder eine Menge von Industries Rittern diesen Paladins des neunzehnten Jahrhunderts. Zimmer aufsuchen, wo er unter Wir wollen ihn in seinem Papieren und Briefen vergraben ist, welche er methodisch ordnet. hat er unter seinen Handen. Wählen wir nach Gurdinken einige aus und lefen fie. Nr. 3, Waggons, welche auf fast unsichtbaren Eisendrahten einige Fuß über der Erde forts rollen. Nr. 8, Kohlen, Kupfer, Asphalts und Quecksilber Minen, welche in kurzem vor einem der Thore von Paris werden entdecktlich genannt fenn möchten, und nachdem er ein Abkommen mit werden; Nr. 9, Anstalt, welche wohlhabende Männer solchen jungen Damen verschafft, die es nicht find. NB. Es werden ernsts hafte Nachweisungen gegeben; Nr. 17, Musils und Langs Associas tion zur Entschädigung für Erdbeben, Feuersbrünste und Vestfalle; Nr. 18, Gesellschaft zur Sicherstellung des Publikums gegen alle Zwangssteuern, welche gewöhnlich Billette zu Benefiz-Vorstelluns gen, Armen Lotterieen und Subscriptionen für milde Zwecke ges nannt werden; Nr. 33, Wissenschaftliche Gesellschaft für die Seis denwürmerzucht, nach der Methode des wechselseitigen Unterrichts. Das sind noch Ideen! Der Spekulant führt sie alle aus; er ers klärt eine jede für eine Nationalfache, und eine jede trägt für ihn goldene Früchte. Verlust ist für ihn gar nicht möglich, denn wenn die Sache gelingt, fpekulirt er auf den Erfolg, wenn sie fehlschlägt, auf das Mislingen; er fpekulirt auf das Gebäude, welches im

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Der Spekulant hat eine Familie: Nichten, Neffen, Brüder. Unumgänglich nöthig ist es freilich nicht, aber es fann doch seyn; im lesteren Falle kömmt es darauf an, den gehörigen Nugen von ihnen zu ziehen. Einige von ihnen können sterben, und dann würde der Spekulant, der sich zum Oberhaupt und Schußherrn der Familie aufgeworfen hat, fie beerben. D, wie füß würde es dann für ihn seyn, am Grabe der Verklärten zu weinen, die ihm, außer dem Beispiel ihrer Tugenden, noch etwas Substans tielleres für feinen Körper hinterlassen haben. Der Spekulant nimmt den höchsten Antheil an dem Schicksal seiner Verwandten. Den Einen bringt er im Militair unter und macht ihm die edle Reizbarkeit der Franzöfifchen Tapferkeit zur Pflicht, welche nicht die leisefte beleidigende Anspielung hinnimmt, ohne Rechenschaft zu fordern und den Degen zu ziehen; es ist dies ja die erste Pflicht des Handwerks, das erste Gefeß der Ehre. Einem Anderen flößt er die Leidenschaft zu abenteuerlichen Reisen, zu überseeischen Expeditionen ein. Nur in Indien, Brasilien, in China oder Persien findet man jetzt noch ein frisches und Präfti ges Leben. In Europa ist Alles schwindsüchtig und verkammert. Einen Dritten veranlaßt er, sich dem religiösen Stande zu wids men; derselbe ist dazu berufen, und die Seele dieses fromm ge finnten Verwandten sehnte sich nach den Freuden eines gottger weihten Lebens. Gott ruft ihn schon lange zu sich, in ein Trap: pisten Kloster; dies ist die Varhalle des Himmels, der Wohnsit der Glückseligen. Der Leßte endlich ist für die Welt und ihre Freuden gemacht; der Spekulant übernimmt es, ihn in diefelben einzuweihen. Er führt ihn der Wollust in die Arme, er zieht ihn au feinen Schwelgereien, und der Lehrmeister ist stolz auf den Schüler. Nur Schade, daß dieser zu schwach ist, um so viele Genüsse zu ertragen. Mit einem Worte, alle diejenigen, mit deren Erziehung und Leitung sich der Spekulant befaßt, treten all: malig vom Schauplaze ab. Und was sagt der große Mann hers nach,,Ich", ruft er aus,,,habe meine Familie unterstüßt, ich mich für fie aufgeopfert! Der Himmel hat mich dafür belohnt. Indem ich das Wohl meiner Verwandten förderte, ist es auch mit meinen Angelegenheiten nicht schlecht gegangen. Gott sen Dank! Alles ist gut ausgeschlagen."

Es leider wohl keinen Zweifel, daß der Spekulant sich wie jedes andere Mitglied der menschlichen Gesellschaft verheirathen Fann; aber die Liebe hat keinen Antheil daran, und nur die Mits gift fällt ins Gewicht. Auf Schönheit sieht er nicht, wenn nicht etwa die Schönheit ihm einen Weg zu seinem Glücke eröffnet und ihn mit leidenschaftlichen Liebhabern des Schönen in Verbindung bringt. Auf das Alter fömmt es ihm auch nicht an, und eine reiche Frau fann im Gegentheil nie zu alt für ihn seyn. In dem Augenblicke, wo sich das Grab öffnet, klappt auch der Deckel des Geldkastens auf. Der alte Engel, mit welchem der Spekus lant einen Handels Traktat abgeschloffen hatte, dessen wichtigster Artikel der der Erbschaft war, wird dann auf das rührendste beweint. Er würde nicht minder ein Kind heirathen, wenn die Gelegenheit sich günstig zeigte, und sollte er auch verbunden feyn, mit der Puppe zu spielen. Die Unschuld hat für ihn so viele Reize." Die Unschuld muß indeß eine reiche Erbschaft zu erwarten haben und die Gütergemeinschaft im Kontrakt ausbes dungen feyn.,,Der Mann ist das Haupt der Familie."

3ft der Spekulant verheirathet, so versichert er das Leben feiner Frau, damit, wenn sie aus dem Leben scheiden sollte, er doch für diesen Verlust entschädigt wurde. Auch das Leben feiner Kinder versichert er; die Früchte seiner Liebe können am Zahnen, an den Pocken, an der Cholera oder woran sonst sterben, so daß er bei jedem Leichenbegangniß in feiner Familie den Betrag einer Prämie zu erheben hat. Uebrigens ist er ja auch Actionair der großen Beerdigungs Gesellschaft, und er hat also ein sehr bestimmtes Interesse, die Todesfälle fich vermehren zu sehen. Schon aus diesem Grunde mußte er geneigt seyn, den Spruch der Schrift zu erfüllen:,,Wachset und mehret Euch!" Er selbst versichert sein Leben nicht, da nach seinem Tode, von der Vers sicherungs Summe nichts in seinen Beutel zurückkehren würde.

Wir sind noch nicht fertig; wenn wir etwas tiefer hinab fteigen, so kommen wir zu den von Vidocq geschilderten Spekus lanten. Diese sind bei allen Festen und Feierlichkeiten zu finden und spekuliren auf das Gedränge. Sie machen sich an den guten Mann, der vor Freuden weint, wenn er einen Prinzen vorbeides auf Kosten seines Opfers angeben können, was die Uhr ist. Den füren flet, ind imendumdrehen wird der Industrie, Ritter Besigtitel der Taschentücher, Brieftaschen und Börsen versteht er eben so rasch zu ändern. Das Gewerbe ist freilich mit einis ger Gefahr verknüpft, und der Spekulant dieser Art verbindet mit seinem Namen gewöhnlich noch den Titel Sträfling. Der Spekulant aus einer höheren Sphäre, der am Ende nur im Großen treibt, was dieser im Kleinen, fährt dagegen in einer schönen Equipage und unterschreibt sich, wenn das Glück gut ist:" Deputirter oder Pair von Frankreich).

Mit einem Worte, der Spekulant weiß Alles, fieht Alles, berechnet Alles, benut Alles. Ein Blick genügt ihm, um zu wissen, welchen Vortheil er aus einer glücklichen Combination siehen kann, welchen Gewinn ihm eine republikanische Association oder eine neue Asphalt Composition, der Triumph der jungen Kös nigin in Spanien oder die Vertilgung der Wanzen bringen wird. Er hüpft mit dem ungezwungensten Anstande über das Elend von zwanzig ruinirten Familien hinweg, um sich auf Trümmern niederzulaffen, aus denen er auf eine für ihn belohnende Weise ein neues Gebdude aufzuführen gedenkt. Er lacht boshaft zum Unglück seines Nächsten, und er hat eines der heiligsten Gebote durch eine leichte Variante zu seinem Vortheil umgeändert; fein Wahlspruch lautet: Du sollst fremdes Gut an Dich bringen und au Deinem Vortheil verwalten. Er behauptet, das Beispiel vies ler angesehener und geachteter Leute für sich zu haben.

Worin besteht für ihn das Gute und das Böse? das Gute ist, Kapitalist, das Böse, Proletarier zu feyn. Worin besteht für ihn die Tugend und das Laster? Die Tugend ist die Kunst, fremdes Gut auf eine gefeßliche Weise an sich zu bringen, das Laster die Ermangelung der Eigenschaften, welche zum Reichthum führen. Für was sieht er den Handel und die Industrie an? Diese find ein Kriegszustand zwischen den Staatsbürgern, um sich auf die möglichst geschichte und mit dem geringsten Standal verbundene Weise gegenseitig um ihr Vermögen zu bringen; sie sind ein Kampf auf Leben und Tod zwischen demjenigen, der etwas besißt, und demjenigen, der gern etwas besigen möchte, oder, mit ans deren Worten, fie sind die praktische Verwirklichung des Spruches: Stehe auf und mache mir Play.

Ob der Spekulant ein Gewissen, ob er Achtung vor dem heiligen hat, darf man nicht fragen. Seine Religion ist die Verehrung der Annehmlichkeiten des Lebens, so wie Gottesdienst die gewissenhafte Beobachtung der Börsen Statuten, seine Heis ligthümer die kostbaren Sachen, welche die Juden in der Wüste in den glühenden Kessel warfen, aus dem das goldene Kalb hervorging.

Hat er denn aber gar kein Gewissen? Dja, aber es ist wie die schillernde Seifenblase, die ein Knabe aus einem Rohre blast wenn man sie so sieht, sollte man glauben, es wäre etwas.

Hat er ein Herz? Gewiß, aber es schlägt nur für eine Sache, und gegen die Gebote der Ehre und alle schöne Ems pfindungen ist es mit einem undurchdringlichen Panzer geschüßt. Man sagte von einem großen Feldherrn, an der Stelle des Hers gens truge er eine Kanonenkugel; vom Spekulanten fann man fagen, statt der Seele habe er Papiere au porteur.

Zur Statistik der Verbrechen in England.

Der in den letzten Blättern des,,Magazine" erwähnte Bes richt der mit Untersuchung der Verbrechen in den Englischen Grafs schaften beschäftigten Kommission enthält unter Anderem auch eine interessante Liste der Verdächtigen nach den Verzeichnissen der Lokalitäten, wo die Polizei am vollständigsten ausgebildet ist. Diese Verdächtigen sind in drei Klassen eingetheilt: erstens giebt es Personen, deren Subsistenzmittel nicht bekannt sind, und von denen man also vermuthen darf, daß sie auf verbrecherische Weise ihr Leben fristen; zur zweiten Klaffe gehören solche Personen,

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die zwar vor der Welt ein gefeßliches Gewerbe treiben, aber fich fchon eines Verbrechens schuldig gemacht, und also vermuthen laffen, daß fie durch öftere Verlegungen des Gefeßes den Ges winn ihres Gewerbes zu vergrößern suchen; die dritte Klasse bes steht aus solchen, die zwar nicht zu einer der beiden vorigen Klaffen gehören, die aber, obwohl sie noch nicht gerichtlich bes Atraft worden, doch der Behörde als verdächtig bezeichnet sind.

Nehmen wir nun die Angaben über die Stadt London und den polizeilichen Distrikt der Hauptstadt und vergleichen damit den Distrikt einer Manufakturftadt, wo das Verbrechen einen ges ringeren Maßstab hat. London enthält, nach den offiziellen Dos fumenten, 10,444 Personen, die der ersten der oben genannten drei Klaffen, 4338, die zur zweiten, und 2104, die zur dritten ges hören, was zusammen 16,901 giebt, oder einen Verdächtigen auf 89 Einwohner. In Newcastle an der Tyne zählt man_1730 Pers fonen zur ersten, 222 zur zweiten und 62 zur dritten Klasse, zus fammen alfo 2014 Berdächtige, oder Einen auf 27 Einwohner. Die verschiedenen Kategorieen dieser Klaffen find folgende:

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3

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41 121 85

31

158

134

der

4

1

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45

48 48

Gefangenen.

251

2

202 541 61

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In Summa. 10,444 4,353 2, 104|1,730 222 62

.

444|4,353|2,|

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*) Einige Statistiker, denen diese leider so bedeutenden Ziffern noch zu nie drig schienen, glaubten fie höher angeben zu müffen. So hat eine freiwillige Gesellschaft zur Abschaffung der Prostitution in einer neulich von ihr gemach ten Publication die Zahl der öffentlichen Mädchen in London auf 80,000 an: gegeben. Das ist ein grober Irrthum. Aus der Arbeit der Kommission geht hervor, daß London auf eine Bevölkerung von anderthalb Millionen 7000 Prostituirte zählt. Es ist dasselbe Verhaltniß wie in Paris, wo, nach den Polizeiregistern von 1832, auf 900,000 Einwohner 3558 kommen.

30-40

1

61 3

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Hier beträgt die mittlere Durchschnittszeit: 5 Jahre. Man sieht aus diesen Zahlen, daß eine wohleingerichtete Polizei die Zeit der Straflosigkeit eines Verbrechers um mehr als die Hälfte vermindert; in Saalford können sie 2 Jahre 3 Mos nate, in Knutsford 5 Jahre lang Böses thun.

Mannigfaltiges.

In Sachen des internationalen Nachdrucks. Die Französischen Buchhändler hätten Gelegenheit, ndchstens eine Maßregel der Retorsion gegen die Belgischen zu ergreifen, wenn durch solche einzelne Nachdrucks, Vergeltungen nur im Mindesten Etwas für die Sache des geistigen Eigenthums zu gewinnen wdre. Herr von Reiffenberg, der tüchtigste Gelehrte und Ges schichtsforscher, den Belgien besißt, ist nämlich im Begriff, eine Geschichte der Belgier von der frühesten Zeit bis zur Französischen Invasion herauszugeben und diese, inpographisch reich ausgestattet, bei dem bekannten Nachdrucker Wahlen in Brüffel erscheinen zu laffen. Das Ganze wird zwar nur, wie es heißt, 20 Fr. Posten; ist es jedoch einigen Pariser Buchhändlern darum zu thun, den Bräffelern ein recht eklatantes Argumentum ad hominem zu liefern, so brauchen fle es nur für 10 Fr. herzustellen, und wir sind übers jeugt, ganz Belgien kauft dann die Geschichte feines Vaterlandes nicht aus der Belgischen, sondern aus der Französischen Manus faftur. Der Amerikanische Schriftsteller Cooper foll, wie Eng lische Blätter berichten, einen Prozeß gegen einen Londoner Buchhandler eingeleitet haben, der die Seeromane des Ersteren nachgedruckt hat und sich damit vertheidigt, daß ihm bei seinem Nachdruck kein in England erschienenes Exemplar, sondern das in New York gedruckte Original vorgelegen habe. Man ist bes gierig, wie die Englischen Gerichte diefen zum erstenmale vors kommenden Fall entscheiden werden. Herr Cooper verkauft, eben so wie Herr Washington Irving, das Verlagsrecht seiner Werke zweimal: in Amerika und in England; es fragt sich jedoch, ob unter den jezigen Umständen, so lange nämlich kein internationaler Vertrag zwischen beiden Ländern über die Rechte beiderseitiger Schriftsteller besteht, der Englische Richter dem Nord Ameritas nischen Autor die Befugniß zugestehen werde, in Großbritanien ein Recht zu verkaufen, das er im Grunde hier, gar nicht besißt.

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