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fosmopolisirten Klöster zurückzuziehen. Es ist dußerst felten, irgend einen einigermaßen bedeutenden Namen in den Nonnen Registern zu finden. Priesters Töchter, Offiziers-Waisen, Bauern-Kinder sind das Häufigste. Wider seinen Willen indeß muß auch jezt noch manches schöne Auge in den Klöstern weinen und beten. So . B. noch ganz neuerdings das der hübschen Gräfin —— -m-, die zu den doppelherzigen Frauen gehörte; denn obgleich sie schon das eine an ihren Gemahl verschenkt hatte, fand sie doch noch eines für den Grafen -3-, einen Polen. Dieser feinerseits erwies derte diese Artigkeit mit Gleichem, obwohl er, als verheiratheter Mann auch schon längst kein Herz mehr zu vergeben hatte. Und beide Liebenden saßen eben in der schönsten Reise: Kalesche der Welt, um von jenseits der Gränze herüber mit ihren hinters lassenen respektiven Ehehälften zu unterhandeln, als sie durch einen recht unzeitigen Zufall auf einer Station dem Generals Gouverneur der Provinz begegneten, der ihnen, nach Kenntnißs nahme der Sache, denn rieth, einen so wichtigen Schritt doch erst einige Jahre recht christlich und reiflich in zwei etwas weit von einander entfernten Klöstern zu überlegen, zu denen sie auch alsdann unverzüglich abgeführt wurden.

Uebrigens find die Klöster nicht nur für lose Vögel dieser Art wohlthätige Käfige, sondern auch noch in vielen anderen ähnlichen Fällen wird auf Einsperrung in ein Kloster erkannt, auf zeitweilige, lange, furje, lebenslängliche; auf Arbeit im Kloster, auf bloßcs Bewohnen einer Zelle u. f. w. Und zwar nicht bloß gegen die Geinlichen, sondern auch gegen Mitglieder anderer Stande. Daher finder man denn in dein einen einen ehemaligen Soldaten als Thurmwächter, in dem anderen einen früheren Weltpriester als Glockenläuter, oder einen Bischof als stillen Zellen Bewohner.

Die Einsiedler sind jeßt ganz aus Rußland verschwunden, in dessen rauher Natur man diese Menschenklasse kaum für möglich gehalten hatte. Doch sieht man in verschiedenen Gegenden noch ziemlich frische Spuren von ihnen, wo noch alte Leute sich solcher au erinnern wiffen und wo ihre Höhlen noch jest in fo gutem Zustande sind, als hätten sie sie kaum verlassen. In den festen Thons, Lehms und Kalkschichten, aus denen fast der ganze Estrich des Russischen Reichs zusammengeschlagen ist, haben diese Eins siedler ihre langen Gänge und unterirdischen Zellen mit Leichtig Peit eingegraben. Besonders da, wo tiefe Flußthaler diese Schich. ten durchfurchten und an den Rändern der Thäler so Wald, Höhe und Aussicht entstand. Man sieht solcher Einsiedler Höhlen mehrere an der Wolga, in der Ukraine, im Kiewschen u. f. w., ganz in der Art des Irrgartens von Gängen bei dem Kiewschen Höhlens Kloster. Man findet in vielen dieser Einsiedeleien noch die Betten, Bdule, Tische, Heerde, Kruzifire, Todtenköpfe ihrer früheren Bes wohner, Alles in den festen Thon des Bodens eingemeißelt. Sehr häufig arbeiteten sie sich auch einen Gang zu irgend einer benachbarten Kirche, wo sie dann unter dem geweihten Boden derselben wohnten. Die Eingänge sind wie in ein Bergwerk und die Gange so schmal, daß sie kaum für ausgehungerte Anachos reten breit genug erscheinen. Bei Poltara sieht man eine solche Höhle, wo die den Reifenden mit Fackeln begleitenden jungen Männer versicherten, daß ihre Aeltern ihnen noch erzählt hätten, wie sie sonst den alten frommen Bewohner derselben mit Speise und Trank gefüttert.

Viele dieser Leute glaubten noch nicht genug zu thun, wenn fie auf die ganze außer ihrer Höhle liegende Welt verzichteten, und fannen daher noch auf ganz besondere Kasteiungen. Etwas Gewöhnliches war es bei ihnen z. B., ein eisernes Hemd zu tras gen, d. h. fie umschnürten sich Schultern, Brust und Leib mit dicken eisernen Ketten, die dann zum Theil ins Fleisch eindrangen und mit diesem werwuchsen. Diese Ketten Falire sind das Eins, aige, was noch der Art auch selbst auf das heutige Rußland ges kommen ist. Nicht bloß bei Nowgorod, wo wir selber einen solchen sahen, sondern auch in anderen Gegenden sollen sie vors fommen. Sie haben sich aus ihren Höhlen hervorgethan, wahr, scheinlich weil ihnen da Niemand etwas mehr brachte, und suchen jeßt auf Wanderungen ihr Brod. Es sind herumstreifende Bettler, die von Kloster zu Kloster ziehen, halb verrückt scheinen, aber vom Volle noch für eine Art lebendiger Heiligen angesehen werden. Ihre Kette, eine recht handfefte, von der Stärke derer, mit denen man die Pferde an die Krippe bindet, haben sie ein Mal um den Hals, ein Mal um den Leib und kreuzweise über Brust und Rücken geschlungen. Sie schlafen dabei auf nackten Brettern, nehmen einen Holzblock zum Kopfkissen und versichern, so weit angeneh, mer su träumen, als in den weichen Betten, in denen ihnen übel wird, und die sie nicht annehmen, wenn ein Mitleidiger fie ihnen anbietet. Man findet zuweilen solche Selbstpeiniger, die den Klöstern als Boten dienen oder für sie Heiligenbilder u. f. w. verkaufen. Diese sind also die leßten Nachkommen jener wuns derihatigen Höhlenbewohner, deren Segen noch alle Tage in den Russischen Kirchen erfleht wird.

Die Russischen Kaufleute, in denen sich das Haupt-Kapital Griechisch Patholischer Frömmigkeit niedergelegt findet und die da mit gewöhnlich ein eben so schaßenswerthes Kapital von Kaisers lich Russischen Silber Rubeln verbinden, find ohne Zweifel die Hauptgdnner der Klöster, von denen diese in der Regel die meisten milden Gaben beziehen. Fast überall, wo man etwas Neues in einem Kloster entstehen sieht, hat ein Kaufmann feine fromme Hand im Spiel. So z. B. wird noch jeßt auf_Kosten eines Kaufmanns Ignatiew im St. Simon-Kloster in Moskau ein

auf dem Kreml um zwei Klafter übertreffen soll. Zuweilen lassen die Kaufleute den Klöstern die Kuppeln ihrer Kirchen vergolden. Zuweilen schenkt Einer Geld, um Alles auszumalen; ein Anderer, um eine neue Kirche zu bauen u. s. m. Den Kaufleuten ist es daher besonders zu danken, daß noch jest die Russischen Klöster ein so stattliches Ansehen haben. Sie haben gewöhnlich eine sehr hübsche Lage an den Ufern der Flüsse, auf Anhöhen. Die meisten adhlen mehrere Kirchen, oft fünf bis sechs in ihren Ringmauern, und geben daher mit ihren unzähligen Thürmen und Thürmchen, besternten und vergoldeten Kuppeln gewöhnlich den Anblick einer kleinen Stadt. Auch halten sie sich, troß der oben berührten Beschränkung von Seiten der Regierung, sehr brav und haben meistens Alles in gutem Stande, und es scheint, daß ihre Kirs chen und Gebäude weniger darben, als die darin wohnenden Personen.

Nord-Amerika.

Eine Fahrt von Havre nach New-York.
(Schluß.)

30. Juli.

Heute noch oder morgen Vormittag gebe ich diese Zeilen an meinen hiesigen Korrespondenten ab, damit dieselben übermorgen, am 1. August, mit dem Paketschiffe nach Havre gehen. Die Fahrt von Amerika nach Europa dauert, der günstigen Winde halber, kürzere Zeit als die entgegengeseßte, und meine Briefe, die ich von hier absende, werden daher schneller nach Berlin gelangen, als die von dort an mich geschickten. Man rechnet für em Pakeischiff von New York nach Havre gewöhnlich 20, höchstens 25 Lage. Wein Brief kann also, wenn keine Hindernisse eins treten, ungefähr in einem Monat in Berlin feyn und bestimmt doch zwischen dem 1. und 8. September. Eine kleine Kiste mit Naturalien werde ich in vierzehn Tagen direkt nach Hamburg schicken und bei dieser Gelegenheit wieder schreiben. Bis dahin hoffe ich auch über meine weitere Reise, in Betreff deren ich bis jest immer noch auf den nöthigen, Bescheid warte, das Nähere anzeigen zu können.

Ich habe zur Vervollständigung meines Reiseberichts jezt auch noch die zweite Kajüte und das Zwischendeck zu schildern. In jener befanden sich nur zwei Passagiere, ein Französischer Handlungs Commis und ein Bruder des Compagnons meines Stus benkameraden, ein Schneider oder, besser gejagt, tailleur artiste, denn mein Gesellschafter seßte mir aus einander, daß zwar ein Schuhmacher nur ein Handwerker, ein Schneider aber ein Künstler fen, weil es große Kunst erfordere, den Kleidern einen guten Schnitt zu geben, und weil ein Schneider auch Erfindungsgabe befigen müsse, wodurch er sich zum Künstler mache. Diese zweite Kajute nun ist eigentlich keine Kajüte, sondern nicht viel mehr als ein besonderer Verschlag auf dem Zwischendeck, von wo aus man hineingelangt. Ein Passagier zahlt für dieses Loch 375 Franken, wofür er noch einen Korb mit Lebensmitteln erhält und sich sein Effen mit Kreti_und_Pleti zusammen brauen muß, wenn er dem Koch nicht noch für die Besorgung besonders bezahlen - will. Auch hat er nicht die mindeste Bedienung.

Nun kömmt das Zwischendeck an die Reihe. Ein Familiens haus im Berliner Voigtlande ist gewiß golden dagegen. In der Mitte des Decks hat man einen Gang für die Passage frei ges laffen; auf beiden Seiten befinden sich zwei Reihen von Betten, die eine über der anderen. Ein solcher Passagier zahlt 90 bis 120, ja wohl bis 150 Franken, je nachdem viel oder wenig Nachs frage ist. Für dies Geld haben sie nichts als die Stelle, wo sie schlafen, und zwar werden immer fünf in Ein Bett plas cirt; Matrasen und was sonst zum Lager gehört, müssen sie sich selbst besorgen, eben so auch die Lebensmittel; man giebt ihnen nur Holz und Wasser. Beim Anblick des Einganges in dies Zwischens deck hat man schon genug; in einer Diebeshöhle kann es nicht schmies riger und ekelhafter aussehen als hier, wo diesmal 307 Menschen, meistentheils Landleute aus Württemberg, Rheinbayern und dem Elsaß, logirt waren. Man wird sich leicht all' das Widerliche vorstellen, was die Ausdünstung und das Beisammenfeyn so vies Ler an sich schon oft unreinlicher Menschen verursacht. Diese Leutchen lebten indeß, wie der Frosch im Sumpfe, ziemlich à leur aise und brauten sich am Tage ihr Mahl, welches fie mit demselben Behagen verzehrten, wie wir die Keule eines Truts hahns, und ihr Wasser oder Brandy mag ihnen eben so geschmeckt haben, wie uns ein Glas Burgunder oder Champagner. Diese armen Auswanderer werden nun noch für ihr schweres Geld bes handelt wie das liebe Vieh. Die Matrofen geben ihnen Fußtritte, wenn sie ihnen im Wege sind, und erlauben sich gegen das weibs liche Personal das frechiste Betragen. Eines Tages kam ein Deutscher mit einem ganz aufgeschwollenen Gesicht zu mir und beklagte sich, daß ein Matrose ihn so geschlagen habe, weil er gegen ein Liebesverhältniß protestirt, welches dieser mit einem Madchen angeknüpft. Ich rief einen Englander herbei und verdols metschte_ihm die Anklage, worauf dieser es dem ersten Offizier fagte. Der Deutsche sollte den Matrosen herbeischaffen. Er kam zurück und erklärte, der Matrose habe sich versteckt. Der Offizier lachte, selbst alle Deutsche fingen an, mitzulachen, und so lehrte der Landsmann ohne Genugthuung, ja noch obenein verhöhnt, in die Mitte feiner Kameraden zurück. Ein andermal warf ein Matrose vom Maste ein dickes Seil herab, das einen Deutschen. fast todigeschlagen hatte. Man brachte ihn zu uns. Einer aus

eine Portion schwarzen geronnenen Blutes abgezapft, feinen Körper mit belebenden Effenzen eingerieben und ihm einige Starfung eingeflößt hatte, wurde er in sein Loch gebracht, und die Geschichte war vergessen.

Was Menschenleben heißt, wissen die Amerikaner nicht zu schaßen; auf einen Schiffsnagel wird mehr Aufmerksamkeit vers wendet! Kommen doch beim Auffliegen eines Dampfboots hier öfters gleich an die Hundert von Menschen ums Leben! Von der phantastischen Träumen über das freie Land der Nords Amerikaner, dessen Zustand von manchen Verzückten schon jest fast über die Europäische Kultur erhoben wird, kömmt man hier fehr bald zurück. So viel glaube ich bereits nach meinem kurzen Aufenthalte fagen zu können, daß hier nur ein einziges Prinzip regiert, das Geld. Schwerlich beruht in irgend einem Lande Alles so ganz auf dieser Basis. Alles will nur Geld machen!

Vielen Zeitvertreib gewährten uns auf der Reise die Delphine, welche oft zu Hunderten an unser Schiff heranschwammen and die lustigsten Sprünge im Wasser machten. Zuweilen sahen wir auch größere Arten, wohl von der Länge eines mäßigen Wohns zimmers, und einigemal bemerkten wir in der Ferne die von noch gewaltigeren Meerbewohnern hervorgebrachten Fontainen. An einigen Abenden, besonders wenn es recht finster war, hatten wir das herrliche Schauspiel des phosphorescirenden Meeres. Wenn wir dann über Bord sahen, schien es uns, als schwämmen wir in einem Flammenstrom; das Schiff, mit Gewalt die Wellen zertheilend, rährte das Wasser zu Schaum auf, und dieser Schaum leuchtete wie Feuer, Eben so schien das ganze Meer stellenweise in Flammen aufzulodern, denn wo nur zwei Wellen sich brachen und Schaum hervorbrachten, da entstand auch dieser Feuerglanz. Ich begab mich an das Vordertheil des Schiffs, und hier, wo der Kiel die Wellen_mit_solcher Macht durchschneidet, daß das Wasser gänzlich zu Schaum zerfiebt und mehrere Fuß hoch ges peitscht wird, hier war in finsterer Nacht die ganze Prora des Schiffs hell wie von Lichtschein erleuchtet. Die Straße, von wo unser Schiff herkam, glich auf eine weite Strecke einem glühens den Lavastrom. Sold' ein Schauspiel ist erhaben und einzig in feiner Art.

Auch einen Sturm erlebten wir. Es war am 3. Juli; wir faßen auf dem Verdeck und sahen dunkle Wolken am westlichen Horizonte aufsteigen; sie näherten sich mehr und mehr, und ein plöglicher Regen, von heftigem Sturmgebraus begleitet, brach los. Obgleich alle Segel beigelegt wurden, hing das Schiff doch ganz nach der einen Seite, und während wir auf der anderen mehr als 16 Fuß hoch Bord hatten, schlugen auf jener die Wellen fast ins Schiff. Indek lief Alles noch gut und ohne Lebenss gefahr ab.

Den Tag darauf war das Amerikanische Unabhängigkeitss fest, und wir bedauerten sehr, nicht schon in New York zu seyn. Unsere Tafel war an diesem Tage festlicher als je servirt, und beim Dessert floß der Champagner reichlich. Man stieß auf das Wohl der Vereinigten Staaten an, wobei ich die Deutsche Nation' au repräsentiren hatte, denn der zweite Deutsche unserer Gesells schaft lag noch seekrank im Bett. Alles war heiter_gestimmt, und man schlug vor, daß Jeder ein Lied finge. Die schöne Deutsche Site, bei fröhlichen Mahlen einen Rundgefang mit Chor anzustimmen, scheinen Engländer und Franzosen nicht zu kennen. Mein Stubenkamerad, der Franzose, sang eine Romanze, die ich vor meiner Abreise auch in Berlin fingen hörte. Jest war die Reihe an mir. Meine schwächste Seite war berührt, denn meine Berliner Freunde haben nie die Tonart finden können, aus welcher ich eigentlich singe. Da man nicht nachließ, in mich zu dringen, und meine Weigerung wahrscheinlich nur für Künstlers Bescheidenheit hielt, stimmie ich endlich an:,,Das Jahr ist gut, Braunbier ist gerathen!" Meine Zuhörer konnten sich des herzs lichsten Lachens nicht enthalten, und ich mußte mehreremaie abs brechen, um mitzulachen. Man wollte indeß mehr hören und beswang sich, so gut als möglich, das Lachen zu verbeißen, bis ich geendet hatte. Der Zweck meines Gesanges, mag derselbe aus Fis- oder Dis-moll gewesen seyn, war erreicht, ich hatte dazu beigetragen, die Lustigkeit zu erhöhen. Das Lachen von – Deutschen hätte mich in diesem Falle vielleicht gekränkt, aber hier war auch nicht das mindeste schadenfrohe oder spättische Element darin zu finden, es war nur der Ausdruck einer heiteren Stimmung. Von der hohen Bedeutung des Festes durchdrungen und begeistert, oder, daß ich mich nicht täusche, die verschies denen Weine mochten wohl einen gebührenden Antheil an unserem Enthusiasmus haben, stiegen wir sämmtlich, mit unseren Dops pelflinten bewaffnet, aufs Verdeck, und zwei, drei Ladungen in jeden Lauf seßend, damit der Knall stärker sey, feuerten wir zu Ehren des Tages mehrmals unsere Gewehre ab.

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Die Seeoffisiere hatten uns gesagt, daß wir am Abend des 3. Juli in New York seyn würden, doch leider war nach dem Sturm des vorhergehenden Tages eine völlige Windstille einge treten, und wir blieben fast auf derselben Stelle. Mitunter hatten wir Tage auf der Reise, an welchen wir jede Stunde 12 Englis sche Meilen zurücklegten, und der Capitain dußerte, daß wir mit dem besten Winde im Stande waren, an einem Lage 7 geogra phische Grade, also über 100 Deutsche Meilen, weiterzukommen. Wir hatten aber freilich oft auch sehr schlechten Wind und fahen uns genöthigt, bald gegen Norden, bald gegen Süden zu segeln, was uns nicht viel förderte. Einen Fall will ich hier nur anführen.. Nachdem wir nach dem Unglück mit der Brigg drei Tage gefegelt waren und wir Passagiere uns freuten, wie gut und rasch wir in dieser Zeit beständig fortgekommen, erfuhren wir vom Capitain,

daß wir uns nur 10 Englische Meilen von dem Orte befanden, wo wir die Brigg in den Grund gerannt hatten. Man denke sich also, wie wir gekreuzt feyn mußten. Auch sind wir bis zum 58ften Grad nördlicher Breite gewesen und haben große Eisschollen angetroffen, Alles der widrigen Winde halber. Bisher hatte der Capitain uns immer gesagt, wie viel Meilen wir noch zu: machen hatten; jest beobachtete er die Politik, uns nichts mehr zu sagen, damit die Leute im Zwischendeck nicht all' ihre Provision verzehren sollten und dann im Fall eines ungünstigen Windes feine Lebensmittel mehr hätten, denn ihrer funfzig hatten schon. Alles aufgegessen und fingen an, die Anderen zu belästigen oder gar zu bestehlen.

Es waren indeß alle Anzeichen da, daß wir nicht mehr weit vom Lande seyn konnten. Schon einige Tage hatten wir viel Schiffe gesehen, und jeßt, Sonntags den 7. Juli, bemerkten wir auch in der Ferne unter anderen Schiffen eines, welches von den Seelundigen für einen Lootsen gehalten wurde, den der Capis tain sehnlichst erwartete. Es war 11 Uhr Vormittags; Alles schaute durchs Fernrohr, und unsere Vermuthung ward zur Ge wißheit. Bald erkannten wir durch das Glas eine große rothe Sieben, die Lootsen führen Nummern, bald sahen wir diese Sieben auch mit bloßen Augen und von Moment zu Mos ment immer deutlicher. Der Pilot nahm die Richtung auf unser Schiff, und um auf 12 Uhr war er an Bord, nachdem er mit feinem kleinen windschnell segelnden Schiffe im Nu einigemal um unfer großes herumgefahren. Seit mehreren Lagen hatten wir Holz und Kräuter auf dem Meere schwimmend vorgefunden, aber nichts gab uns eine solche Gewißheit von der Nähe des Landes als das Erscheinen des Piloten. Der Capitain hatte nun für diese Reise sein Geschäft verrichtet, der Pilot nahm seine Stelle ein, und Alles ging nach dessen Kommando.

Wir stiegen hinunter, um ein wenig zu effen, und als wir gegen Uhr auf das Verdeck zurückkehrten, sahen wir in der Ferne die Küste von Amerika. Mehr und mehr näherten wir uns dem Lande, Aller Augen waren nach demselben Punkte ges richtet, man bemühte sich, Bäume und Häuser zu unterscheiden. Es war eine ganz eigene, erhabene Stimmung, in der man sich befand. In Gedanken einige Jahrhunderte zurückgehend, konnte ich mich der lebhaftesten Rührung nicht erwehren, als ic mir das Gefühl recht klar zu machen suchte, welches der Held Columbus gehabt haben mag, als er nach einer halbjährigen Reise zum erstenmale die heiß ersehnte Küste des neuen Welts theils sah! Welch' paradiesischer Genuß mußte ihm sein hohes Selbstbewußtseyn in diesem Momente gewähren, das Bewußts fenn, durch Beharrlichkeit und Kraft, ohne wankend zu werden, seinen Willen durchgesezt zu haben und ihn nun so herrlich ge front zu sehen! Solche Augenblicke lassen sich nur fühlen; Worte dafür zu finden, ist unmöglich.

Nun saben wir das Land schon ganz deutlich und konnten die Bäume und Häuser, so wie die Berge und den Sand_qm Ufer, unterscheiden. Es war Long Island, eine Insel von 120 Eng lischen Meilen Länge, also noch nicht das feste land. Der Sands banke wegen gingen wir aber jeßt nach Süden und verloren das Land bald wieder gänzlich aus dem Gesicht. Ich hattte noch keinen Sonnenaufgang auf dem Meere gesehen, und wir verabs rederen uns, den anderen Morgen früh auf zu seyn, aber es ers schien Niemand weiter, als der andere Deutsche, und wir Beide genoffen das Schauspiel allein. Indeß lann ich nicht sagen, daß der Eindruck schöner wdre, als bei einem Sonnenaufgang im Gebirge. Die Sonne ging hier, in südlicheren Graden, in dieser Zeit der längsten Tage erst kurz vor halb 5 Uhr auf, und des Abends um halb 9 Uhr war es schon ganz finster. Jest belamen wir auch das Land wieder zu Gesicht, und da wir den richtigen Weg hatten, ging es nun gerade darauf los. Rechts hatten wir Long Island, links die Küste von New Jersey. Wir beschäftigten uns heute fast mit nichts Anderem, als nach dem Lande zu schauen, welches immer deutlicher zum Vorschein kam. Kaum daß wir um drei Uhr Ruhe genug hatten, uns zu Tisch zu seßen, denn wir waren schon ganz nahe. Der Capitain rief uns vom Effen hinweg, um das nach Liverpool abgehende Paletschiff zu seher. Zum zweitenmal wurden wir abgerufen, als wir bei der Eins fahrt in den Hafen angelangt waren. Jegt hatten wir von beis den Seiten die herrlichsten Landschaften vor uns liegen. Wir paffirten die Forts des Hafens und sahen die schönsten Baum gruppen, maldige Hügel und Bergfetten, mit geschmackvoll ges bauten Villen befdet.

Endlich gelangten wir zur Quarantaine, wo viele Schiffe vor Anker lagen und wir die ärztliche Untersuchung abwarten mußten. Diese Quarantaine ist die Insel Staaten Island, welche den mas lerischsten Punkt des Hafens darbot. Die natürliche Landschaft wird auch hier durch die elegantesten Landhduser noch verschönt, die meistens mit Sculen und Gallerieen und Thürmchen versehen find. Der Arzt kam, und die Untersuchung ging vor sich, das heißt, die Passagiere der Kajüte wurden gar nicht untersucht, da man bei Leuten, die so gut aßen und tranken, wohl Gefundheit vorausseßen konnte. Die Zwischendeck, Passagiere mußten einer nach dem anderen vor dem Arzte vorbeigehen und ihm die Zunge zeigen. Wer etwa frank oder blaß war, den machte die Angst vor der Untersuchung roth, und alle paffirten für gefund.

Ein Theil unserer Gesellschaft begab sich nun auf die Insel, um noch heute nach New York zu fahren. Ich, der ich nichts. zu versäumen hatte, blieb zurück und genoß mit den Uebrigen der schönen Aussicht. Es war ein herrlicherr Abend, und die Landluft mit Entzücken einschlürfend, ergógten wir uns an dem

Anblick der Landschaft und der vielen Schiffe, welche hier in Quarantaine, lagen, und von denen hin und wieder Hornmusik ertonte.

Am achtunddreißigsten Tage also hatten wir glücklich und unversehrt den Hafen erreicht; mein Befinden war vortrefflich, denn ohne anstrengende Arbeit und bei guter Kost muß man wohl förperlich gedeihen. Den nächsten Vormittag gingen auch wir auf die Insel hinåber, und ich betrat zum ersten Mal den Ames rikanischen Boden. Nicht lange, so hatte ich auch schon die Bes Panntschaft einiger Amerikanischen Vögel und Schmetterlinge ges macht. Die Pflanzenwelt gleicht in Vielem ganz der Europäischen. Nach Tische fuhren wir mit dem Dampfboote nach New York und begaben uns dort in einen Gasthof, der uns empfohlen war. Von jest an mußte man wieder aus seiner Tasche leben, und ich bedurfte gar keiner langen Zeit, um mich zu überzeugen, daß Alles hier sehr theuer sen. Die Gasthɗuser sind wie in Europa, aber das Bezahlen ist anders. Wer in einem solchen Hotel los girt, ist so zu sagen wie in Pension. Man speist, was da ist, und bezahlt tagweise, man mag gegessen haben oder nicht. Nur der Wein und andere geistige Getränke wurden noch besonders bezahlt. In unserem Gasthause aß man viermal: Morgens um 8 Uhr Das Thee Frühstück mit einem Dußend verschiedener Gerichte; um halb 4 Uhr das Mittagsmahl, wieder sehr gute Tafel, zum Dess fert Ananas, Eis-Creme und dergleichen; um 7 Uhr die Vesper, das heißt Thee mit Backwerk und Obst, und von 9 bis 12 Uhr das Souper, aus kalten Speisen bestehend. Man zahlte hier tags lich 2 Dollars, ungefähr 3 Thaler. Den Tag darauf wurde uns ein Französisches Hotel, als das billigste, rekommandirt, wo man wöchentlich 10 Dollars zahlt. Wir bezogen dasselbe, und morgen find es nun drei Wochen, daß ich in demselben wohne, noch nicht wissend, wann ich weiterreifen werde.

Nach meiner Ankunft habe ich mich ein wenig à l'Américain zugeftußt. Schon auf dem Schiffe sagte man mir, daß ich meis nen Schnurrbart und Wallensteiner abnehmen müsse, wenn mir in New York nicht die Straßenbuben nachlaufen sollten, weil es dort durchaus nicht Mode sey, andere als Backenbärte zu tras gen. Das mag seyn, dachte ich, es ist bei uns auch nicht eben Mode, aber deshalb hindert uns in der Heimath doch Niemand daran, von der Mode abzuweichen, und wer an einem Bart Ges fallen findet, kann unangefochten und unbemerkt damit durch die Straßen gehen; und in dem gepriesenen Lande der Freiheit ist folcher Modezwang! Ich schnitt also, mich der Sitte fügend, meinen Bart ab. Auch laufte ich mir får 3 Dollars einen Stroh hut, da man behauptete, mein Filzhut sey nicht fein genug.' Mir gefällt das abgemessene Amerikanische Wesen eben so wenig als die geleckte Außenseite der Franzosen, die beim Anblick einer schönen Landschaft keine andere Aeußerungen haben als: joli, charmant, gentil, deren Klange man es schon anhört, daß ihnen das innere Gemüth abgeht. Doch ein jedes Volk hat neben seis nen Schwächen und Mängeln_auch sein Gutes, und dies von ihnen sich anzueignen, ist der Vortheil, den eine Reise darbietet. I warte nun einstweilen hier ab, welche Nachrichten ich von Charleston erhalten werde, um mich dann entweder direkt oder über Virginia Springs, einen Badeort im Staate Virginien, dorthin zu begeben. In meinen nächsten Briefen_hoffe ich schon einiges Nähere über das Land selbst und seine Bewohner mits theilen zu können. 3. C.

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Am 23. Oktober, mit Tages, Anbruch, erblickten wir Sankt Helena in einer Entfernung von ungefähr zehn See Weilen gegen Nordwesten. Indem wir uns der Insel ncherten, wurden ihre unregelmäßigen Umrisse sehr bald deutlicher; die azurne Blaue, welche uns aus der Ferne entgegenschimmerte, verwandelte sich nach und nach in ein unfreundliches Braun, das geringe Fruchts barkeit des Bodens verhieß, und die Lichts und Schattenwechsel verdankten nur den Buchten, Vorbergen und vielgestaltigen Klips pen ihr Daseyn. Nirgends erspähte das Auge einen Fleck mit grüner Vegetation, oder irgend einen milderen Zug der Lands chaft; die ganze Insel erschien als eine unförmliche, über dem Wafer aufgethurmte Felsenmasse. Um 11 Uhr Vormittags steuers ten wir, eine (Engl.) Meile von der Küste uns haltend, um die nördlichste Spige, den von seiner Form so genannten Zuckerhut Berg, dessen schroffe Felsenwände bis an tausend Füß und dar über emporstarren. Sie bestehen aus einer Strata, die alle ers denkliche Abdachungen von der horizontalen bis zur senkrechten Linie seigt; im Allgemeinen siemlich regelmäßig gruppirt, an einzelnen Stellen aber chaotisch zusammengeworfen, laffen diese Felfen einen vulkanischen Ursprung des Eilandes vermuthen, welche Vermuthung durch den geologischen Charakter Sankt Helena's beinahe Gewißheit erhält. hat man den Zuckerhut umfegelt, fo ist Barnes Fort, eine kleine, ungefähr 150 Fuß über dem Meeresspiegel in den Felsen gehauene Batterie, der nächste Gegenstand, welcher die Aufmerksamkeit feffelt. Als die Insel noch unter der Gerichtsbarkeit der Ostindischen Compagnie stand, mußte jedes ankommende Schiff vor diesem Plaze anhalten, worauf ein Arzt an Bord des Schiffes kam und von der Gesunds

heit der Mannschaft sich überzeugte, ehe fie die Erlaubniß erhielt, Anker zu werfen. Jest finder diese drztliche Untersuchung vor James Town statt, nachdem das Schiff Anker geworfen, und erhält die Mannschaft ein Gesundheitss Attest, so wird in den ersten 24 Stunden ihrer Anwesenheit eine kleine weiße Fahne vom Mastkorbe aufgehißt; eine gelbe Fahne zeigt an, daß frante Personen an Bord sind.

Hat das Auge an dem Anblick von Barnes Fort sich ersättigt, so ruht es dann mit größerem Behagen auf dem Hafen, der 14 Miles weiter ab und James Town gegenüber sich ausdehnt. Die vielen Schiffe von verschiedenen Nationen, welche hier ankerten, und die kleinen mit Schiffsgütern oder Wasservorrach hin und her rudernden Böte belebten diese Scene ungemein.

Hier, wie an allen Orten, wo die Küste steil und voller Un tiefen ist, wechselt der Ankergrund ichlings. Ein halbes Stadium vom Lande findet man eine Tiefe von 10 bis 12 Faden, die stufenweise zunimmt, bis fie in der Entfernung einer (Eng) Meile 28 Faden beträgt. Noch weiter hinaus läßt sich die Tiefe, wegen idhen Abfalls des Dammes, nicht mehr ermessen. An dem Damme ist ein sicherer Grund zum Ankern; allein man muß die Schiffe immer dicht vorlegen, damit ihnen die plöglichen Windsbrdute, welche oft von den Bergen durch das Thal Saints James stürmen, feinen Schaden thun. Haifische sind hier so zahlreich, so solau und gefråßig, daß ein Mensch, der das Un glück hat, über Bord zu fallen, so gut als verloren ist. Selbst wer dicht an der Küste badet, schwebt noch in Gefahr, da man Beispiele hat, daß die Ungeheuer im seichtesten Wasser, wo fle faum schwimmend vorwärts konnten, ihre Opfer überfielen.

Der einzige regelmäßige Landungsplaß ist sur Linken des Thales, vom Meere aus gesehen; er befindet sich dicht unter einer schweren Batterie, die eine recht günstige Lage hat, um den vornehmsten Zugang der Insel zu beherrschen. Von hier biss sum See Tbore führt der Weg längs dem Strande, beschüßt von einer lothrechten, mehrere hundert Fuß hohen Felsenwand und an einigen Stellen von Bäumen beschattet, unter deren Zweigen Bootsleute, Lafttrdger und Müßiggånger von allerlei Nation und Gesichtsfarbe zu jeder Stunde des Tages sich gütlich thun. Drei bis vier Schildwachen stehen zwischen dem Landungsplaß und dem See-Thore, und eine an dem legtereft, deren Ordres sum Theil dahin lauten, daß sie keine Güter oder Palete in- die Stadt laffe, bevor sie durch einen Zoll-Beamten visitirt worden. Das See Thor ist eine kleine Barrière mit einer Zugbrücke, und an den Mauern des Durchgangs find Schießscharten für kleines Ger wehr angebracht. (Forisegung folgt.)

Mannigfaltige 8.

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Schuler's Geschichte der Schweiz. Einzelne Mos mente der Schweizer Geschichte, wie der Rütlibund, die Kämpfe der Eidgenossen gegen Desterreich und Burgund, find allerdings, wenigstens ihren Umrissen nach, allen Gebildeten mehr oder wes niger bekannt; wie jedoch der Bund der Schweizer Kantone das geworden, was er heutzutage ist, welcherlei Volkss und Staatss leben dort zur Erscheinung fam und sich gegen alle Stårme hielt, während rings herum mächtige Reiche entstanden und - wie Venedig oder Genua untergingen, das wissen die Wenigsten zu sagen und doch ist das Schweizer Volk ein Deutscher Stamm und die Schweiz mitteninne von drei der historisch wich. tigsten Lander Europa's gelegen. Zwar ist ein Meister Deutscher Geschichtsschreibung ein Schweizer gewesen, und er selbst hat eine treffliche Darstellung der Anfänge feiner vaterländischen Historie uns hinterlassen, aber Johannes v. Müller ist nur in die Bir bliotheken, nicht ins Volt übergegangen. Besonders in der Schweiz selbst fühlte man dies, wo eben die neuere und Spezials Geschichte des Landes, die Johannes v. Müller's großartige Dars stellung von sich ablehnte, am meisten zur Erklärung der heutigen Zustände erforderlich schien. Diesem Bedürfnisse tam Melchior Schuler entgegen, indem er die Thaten und Sitten der Eid genoffen" beschrieb, von welchem Werke jest die beiden ersten Bande, die Geschichte der Schweiz bis zur Reformation und die Geschichte derselben im sechzehnten Jahrhundert enthaltend, in einer wohlfeilen (dritten) Ausgabe bei Friedrich Schultheß in Zus rich erschienen. Wir lernen daraus die genetische Entstehung des Bundes fennen, der, zuerst von drei Bezirken geftiftet, zunächst über die,acht alten Orte" fich erstreckte und später einen immer größeren Kreis von nahegelegenen Städten und Gauen in sein Intereffe 30g. Wir sehen den Zwiespalt, der noch jest zwischen dem fogenannten Siebener Konkordat und dem Sarner Bündnisse besteht, schon im sechzehnten Jahrhundert sich entwickeln, und wir erkennen die Ursachen, welche in einigen Kantonen das Werk der Kirchen Reformation begünstigten, während in anderen, wie noch heutiges Tages, die Sitten wie der Glaube der Väter unans getaktet von den Einflüssen der Zeit blieben. Selbst was in den lebten Wochen erst im Kanton Zürich vorging, die Reaction der landlichen und streng religiösen Bevölkerung gegen die Neuerun gen der freidenkenden Stadt, findet in früheren ganz dhnlichen Vorgängen genügendere Erfidrung, afe in den vom Parteigeist diktirten Zeitungsartikeln der einen wie der anderen Ansicht in der heutigen Schweiz. Es scheint uns daber auch vollkommen an der Zeit, einmal auch in Deutschland auf ein Buch, wie das von Welchior Schuler, aufmerksam zu machen.

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Nummern. PränumerationsPreis 22 Sgr. ( Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er. höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 126.

Mag az in

für die

Beiblatt der Aug. Pr. StaatsZeitung in Berlin in der Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohlöbl. Post - Aemtern.

Literatur des Auslandes.

Berlin, Montag den 21. Oktober

Frankreich.

Gläubiger und Schuldner.

Von Raspail.*)

Das Schuldgefängniß ist eine Pfand-Niederlage, eine Depos ften Kammer. Wer hier beherbergt wird, ist lein Gefangener, er befindet sich hier gar nicht als Mensch, sondern als eingefeß tes Unterpfand, kraft einer von dem Herrn Civils Präsidenten für gültig erklärten Forderung. Dies Gefdngniß ist das Leibhaus der Glaubiger, die hier eine gleichförmige Abgabe entrichten, welchen Werth auch das Pfand haben mag; das Pfand ist der Schuldner selbst, eine Person vertritt die Stelle der Waare, die nirgends zu finden.

Der Glaubiger nimmt eines Tages den Schuldiger beim Schopf und sagt zu ihm: Zahle. Der Schuldner antwortet: Vifitire mich, ich habe nichts; wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Nicht doch, erwiedert der Gläubiger, ich schließe nicht so, wie die Kaiserliche Gnade; wenn ich Dein Substans tielles nicht habe, so hab' ich doch Dein Personelles, ich bemach: tige mich Deines Leiblichen im Namen des Gesezes, und in Ers mangelung eines Besseren will ich Dein Leibliches noch sorgfäls tiger verwahren, als ich es vielleicht mit dem Dinglichen gethan hatte; bemühe Dich, mit mir diesen Fialer zu besteigen, und Pomme mit zum Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz ; auf sein Visa wirst Du in das Magazin einpaffiren, bis Du Mittel gefunden, Dich mir in Valuten, in Baarschaften oder in annehmlichen Waaren zu præfentiren.

Uebrigens ist der Gläubiger, in phyfischer wie in moralischer Hinsicht, keinesweges dem Schuldner stets überlegen; bewahre, meistentheils sogar ist dies der Fall nicht. Stellt Euch einen schönen jungen Mann vor, den liebenswürdigsten aller Stußer, den besten Reiter und Tänzer, der sich trefflich auf's Fechten vers steht und sehr streng_im Punkte der Ehre ist, Courmacher nach der Mode, Schönredner und Mann von Geist und Wiß, der von den Männern beneidet und von den Damen geliebt wird, die uns entbehrlichste Zierde der schönsten Promenaden und der reichsten Gesellschaftsfäle, Advokat oder Offizier, der in der Robe oder mit den Epauletten gleich viel auf sich selbst hält, der Euch stößt, ohne um Entschuldigung zu bitten, der Euch mit seinem Tilbury überfahrt, ohne Euch anzurufen, der Euch, ganz unbekümmert um Eure Hühneraugen, auf den Fuß tritt, der trällernd eine Dame lorgnettirt oder sich über einen Bewohner der Proving lustig macht, ein Mann aus guter Familie oder von berühmtem Namen; so ist der Schuldner beschaffen, so hat er zu allen Zeiten den Gesezgebern vorgeschwebt, welche die Satuten über, die för perliche Haft zu revidiren hatten. Wenn er sich unter einer demüthigeren Gestalt und mit weniger verführerischem Aeußern darstellt, so ist das nur eine Ausnahme; das Gefeß aber hat es nicht mit den Ausnahmen zu thun, diese bekräftigen nur die all gemeine Regel.

Der Glaubiger hingegen ist in dem, was an ihm das Wesentliche und nicht die Ausnahme bildet, gerade das Gegentheil von dem Schuldner. Stellt Euch einen unsauberen Kauz vor, der über und über von Schmuß klebi, der sich die Nase am Aermel abwischt, um Mahe zu ersparen, das Schnupftuch aus der Tasche zu ziehen, der Euch nie grüßt, aus Furcht, dadurch seinen Hut abs sunußen, durch den er noch einiges Ansehen behält; der arme Teufel lebt nur von Knoblauch und Zwiebeln; es fehlt ihm an Brod, er hat nur Valuten in seiner Kaffe; er kann Euch fein Glas Wasser anbieten, wenn Ihr aber Millionen verlangt, so hat

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*) Aus dem eben erschienenen zweiten Bande der Lettres sur les prisons de Paris, einem Werke, worin der Verfaffer, Herr Raspail, nicht sowohl eine historische Darstellung von den Varifer Gefängnissen giebt, als vielmehr die auf dieselben bezüglichen Ereignisse erzählt, welche sich feit der Juli-Revolution zugetragen, mit Rücksicht auf den Einfluß rührt bei dieser Gelegenheit eine Menge mehr oder minder wichtiger Socialpolitischen Parteien. Er be Verhältnisse. Die Form des Buches ist zwar nrunter und satirisch, die Grundlage jedoch ernst genug, um die Aufmerksamkeit aller Denkenden zu verdienen. Die Briefe über die Pariser Gefängnisse follen vier Bände bilden, wovon die beiden testen, noch nicht beendigten die Studien des Verfassers über den Zustand der Gefängnisse von Versailles und der 1 Jahre 1832, über den von St. Velagie im Jahre 1833, Gegend von Varis im , über den von La Force und anderen Pariser Gefängnissen im Jahre 1835 und schließlich eine Ausein andersetzung des Strafsystems, wie es jest ist, und wie es nach Herrn Raspail's Meinung seyn sollte, enthalten werden.

1839.

er fle zu Eurer Verfügung, zwar nicht bei sich, aber bei einem Bekannten. Macht nur keine Umstände; wenn Ihr zahlungss fähig fend, fo leiht er Euch, was Ihr wünschet; im Fall Ihr es nicht seyd, wird er seine Vorsichtsmaßregeln treffen, um nicht zu viel dabei zu verlieren; unterzeichnet ihm nur erst den kleinen Wisch von Schuldschein, und er zahlt Euch sogleich den Betrag aus. Geht rasch zu Werke, denn der Aermste leidet unendlich, auf, er würde sonst ohnmächtig hinfinken und dadurch nur den indem er sich Euch verbindlich zeigt; haltet ihn nicht zu lange Spott seiner Feinde erregen, die seine Erben sind.

Wer Schulden halber sich in Haft befindet, ist nur ein Un terpfand, fein Gefangener; so betrachtet ihn das Gefeß. Wenn er fich aber selbst über seinen Zustand Rechenschaft ablegt, so. wird es ihm doch klar, daß er eigentlich nichts Anderes als ein Gefangener ist, ein Straffälliger, dem seine Einkerkerung Schmach. and Kummer bereitet; er leidet so viel und vielleicht selbst mehr als ein wegen Diebstahls Verurtheilter; seine Leiden sind eine unmittelbare Folge seines Mangels und fein Mangel eine unmits telbare Folge seiner früheren Genüsse. War er reich und anges sehen, so wird diese Demüthigung beständig an seinem Herzen nagen; war er arm, so erwartet ihn bei seiner Befreiung aus der Haft der Hunger, denn er hat das Recht verloren, sich seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu erwerben; wer wird wohl einem Schuldgefangenen Arbeit geben?

Das Schuldgefängniß ist keine Leibesstrafe, und doch beraubt es der Freiheit! Es ist keine entehrende Strafe, und doch kann man es nicht betreten, ohne seinen guten Ruf draußen zurückzu laffen, den man nur mit großer Mühe nach der Befreiung wieder erlangt.

Ich bediene mich hier der Worte Schuld, Debitor und Schuldner, aber nicht Alles, was man zu bezahlen hat, ist eine Schuld, und nicht jeder Debitor wird darum auch ein Schuldner. Ihr könnt hunderttausend Franken, ja selbst vier Millionen ges liehen haben, ohne daß dem Gläubiger das Recht zusteht, sich an Euren Leib zu halten, und wiederum giebt es Fälle, wo Euer Körper schon für funfzig Franken als Unterpfand dienen muß. Wenn man etwas geliehen, selbst in der Absicht, es nicht wieder zu bezahlen, so ist man deshalb noch kein Schuldner, und das Gefeß hat nicht einmal die Macht, diese Arten von Schulden in eine und dieselbe Klasse mit dem Diebstahl zu bringen. Schulde ner ist nur derjenige, welcher seine Schuld unterzeichnet und ders gestalt schriftlich anerkannt hat, daß er die Verpflichtung, zu zahlen, seinen Gläubiger nicht befriedigt, so ist er ihm von diesem Aus eingegangen ist. Hat er am Verfalltag Mittags Punkt zwölf Uhr genblick an verfallen; jener lauert ihm auf, bemächtigt sich seiz ner, packt ihn auf dem benachtbarten Plaze in einen Wagen, führt ihn vor den Präsidenten des Civil-Gerichts, um seine Jdens titat zu beweisen, und von da nach einem Gefängniß, wo er dann völlig zu Grunde gerichtet wird und der Anspruch des Gláus bigers nicht minder; dadurch verliert dieser nun zwar Alles, aber er tröstet sich darüber, denn er besißt noch vieles Andere. Von dem Tage an hat der Schuldner gar nichts mehr, nichts als einen Körper, der ihm zur Last ist und leiden muß, um dem Gläubiger, dessen ausschließliches Eigenthum er ist, als Unterpfand zu dienen; dieser ist nun Besißer eines Menschen, welchen er, seinem Rechte nach, in einen Käfig sperren und auf seine Kosten füttern fanns hält man nicht auch zu seinem Vergnügen Papageien, die nicht mehr Vortheil bringen und dem rechtmäßigen Besißer eben fo viel kosten?

Der Glaubiger muß die Unterhaltungskosten wenigstens für einen Monat vorausbezahlen; erneuert er nicht am lesten Tage des Monats bis Punkt Mitternacht die gefeßlich vorgeschriebene Summe, so ist der Gefangene frei und darf entlassen werden. Dreißig Franken, also täglich 20 Sous, betragen die Zehrungss kosten. Hat ein Schuldner Familie, so könnte er fie dafür gerade mit Brod versorgen; es bleibt ihm gar kein Mittel übrig, etwas für sie zu erwerben. Er verliert seine Kundschaft, es gehen feine Bestellungen, ja selbst keine Zahlungen mehr ein; es steht nicht in der Macht des Schuldners, feine ausstehenden Schulden eins zuziehen; er hat es außer Acht gelaffen, von Anderen die Erfül lung einer Förmlichkeit zu verlangen, der er sich selbst aus freien Stücken unterzogen; nur mit Hilfe der Freiheit kaffirt man sein erworbenes Geld ein, für einen Mann aber, den die Mauern eines Kerkers, von der Welt trennen, ist Niemand zu Hause.

Das Schuldgefängniß kann freilich nach der Art seiner Eins richtung und den darin befolgten Grundsäßen nicht wie ein Strafs oder Befferungshaus betrachtet werden; davon ist es weit entfernt, denn nur in einer Beziehung ist es ein Gefängniß, im Winter ndmlich treibt man Euch bei Sonnenuntergang und im Sommer um neun Uhr Abends vom Hofe fort, dessen Gitter sich Euch erst wieder in der schönen Jahreszeit um sieben und im Winter um acht Uhr Morgens öffnen; auch verwehrt man es Euch streng, die Straße zu betreten. Abgesehen von dieser Hausordnung kann man das Schuldgefängniß in ein Schlaraffenland umwandeln, wenn man dasselbe nur reich betritt, denn hier wird mit vollkoms mener Freiheit gespielt, gegeffen und getrunken; man empfängt seine Freunde entweder bei sich oder in der Restauration, die ein Ges fangener in einer Ecke des Korridors eingerichtet hat, der an das politische Gefängniß angränzt. Der höchste Lurus wird nur durch eine Wand von dem höchsten Elende geschieden, und so mancher Gefangener wird nicht wenig durch den Kontrast seiner Nach. barschaft gequålt.

Schwarzes Brod und Wasser, Kohlsuppe, mit Fett und mit Butter zubereitete Gemüse; kein besseres Getränk, selbst nicht einmal für Geld; kein Besuch, selbst nicht einmal der Verwands ten, der Gattin oder der Kinder, anders als hinter einem dops pelten Gitter, an welchem der Kerkermeister umhergeht, und Alles sieht und hört: so ist das Schicksal der Gefangenen beschafs fen, die sich dicht neben dem Schuldgefängniß befinden. Hier hingegen giebt es die auserlesensten Gerichte, geistige Getränke aller Art, Champagner, frohe Gesänge, lustige Reden, wie sie der Rausch mit sich führt, Spiel um Gold, Musik, Gesellschaft, Familienfreuden, unbeaufsichtigte Besuche von früh bis spät, Pracht und Vergnügen hinter verschlossenen Thüren; der reiche Schuldgefangene unterscheidet sich durch nichts von dem Offizier, der Stubenarrest hat. Da nun Jeder gleich bei seinem Eintritt oder doch einen Monat darauf schon ungefähr weiß, wie lange seine Haft dauern wird, so sorgt derjenige, welcher Gold vor seinem Glaubiger zu verbergen wußte, wohlweislich dafür, sich seine Zelle in einen Gesellschaftssaal oder in einen Palast umzus wandeln; er verschafft sich Gemächer, indem er eine ganze Reihe von Zellen miethet, er läßt sie tafeln, tapisfiren und ausschmücken, die Eisenstdbe werden durch Vorhänge und Frangen versteckt, und auf dem Pflaster seines Fußbodens breitet er kostbare Teps piche aus; Piano's, Armseffel, Divane, die elegantesten Betten, die luxuriofesten Möbel, alles dies paffirt frei in das Gefängniß ein, und ein Schuldner, der sich hier wegen elender 10,000 Franz Pen in haft befindet, kann in seinem Serail ein Mobiliar von 20,000 Franken an Werth um sich haben, ohne daß der Gldubis ger auch nur das geringste Recht hat, dieses Eigenthum seines Schuldners mit Beschlag zu belegen; biefer muß nur die einzige Vorsicht anwenden, Niemanden auch nur das geringfte unterzeichs nete Papiersettelchen in Händen zu lassen, was dum Beweise

dienen könnte, daß ihm das Alles zugehört.

Seit dreißig Jahren befindet sich hier ein Fremder, ein Ames rikaner, Schulden halber eingeferkert und wird eben so zahlungss unfähig daselbst sterben, wie er die haft betreten hat, wenn man ich nicht beeilt, unfere ungaftlichen Geseze gegen den fremden Schuldner zu reformiren. Dieser Fremde, der in Ames rifa ein großes Vermögen befist, will seinen Französischen Gldus bigern durchaus teinen Heller bezahlen, weil er fie beschuldigt, ihn bestohlen zu haben; nun nimmt aber die körperliche Haft Fein Ende, wenn ein Fremder der Gegenstand derselben ist; feine Person bleibt feinen Gläubigern bis zu seinem Tode als Unterpfand. Befagter Ehrenmann hat sich endlich darein gefunden; für Spaziergange, Mahlzeiten, Lektüre, Ruhe und Besuche hat er feine festgefeßten Stunden, und seit dreißig Jahren hat er sich fo an diese Lebensweise gewöhnt, fie ist ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er fürchten muß, mit der Wiedererlangung seiner Freiheit Alles au verlieren; die Aufhebung des gerichtlichen Bes fcblages ware für ihn eine Art von Todesurtheil, denn draußen findet er gar nicht das Klima, die Luft, den Boden, das Licht wieder, worin er zu leben gewöhnt ist.

Für den Reichen ist also das Schuldgefängniß keine Strafe; der Reiche gewinnt dabei; er entbehrt weiter nichts als die Ges wohnheit, die tothigen Straßen von Paris zu durchstreifen; das Glud folgt ihm in seinen Kerler; freilich kömmt der Reiche, der fich einstecken läßt, weil er nicht bezahlen will, dem wegen böss fichen Betruges Verurtheilten sehr nahe. Nur den Armen, den ebrlichen Mann, der gern bezahlen möchte und es nicht im Stande ift, ibn, deffen sich der Glaubiger vielleicht am Vorabend des Tages bemachtigte, wo die Wechselfalle des Handels ihn wieder begünstigt hatten, nur den rechtlichen Schuldner trifft die körperliche Haft mit ihrer ganzen Schmach, mit ihrer Strenge und Verzweifs fung. Er schämt sich zu sehr seiner Einkerkerung, um aus seinem Gefangniß einen Aufenthalt der Luft und des Vergnügens zu machen, er verliert zu viel durch seine Haft, um darin etwas Anderes als seinen völligen Ruin und das Verderben seiner Fas milie zu erblicken. Er ist unschuldig, denn nicht durch seine Schuld blieb er im Rückstande, und er denkt an nichts, als wie er fic mit Ehre aus dieser unglückseligen Angelegenheit ziehen lann; er ift nur eine geringe Summe schuldig, vielleicht tausend granten; er, der bis jest tausend Franken am Berfalltage so leicht wie einen Heller auszahlte! Nur für ihn ist es ein Strafgeset, nur er wird den ganzen Tag dadurch in Allem, was ihm nach der Ebre, nach seiner Familie am theuersten ist, gefrankt und gequáu. Durch seine Eisenßdbe hindurch sieht er in jener fernen Welt einen Hoffnungsstrahl aufbligen; er stürzt vorwärts, um das Glück

zu erhaschen, doch eine eiserne Mauer halt ihn zurück, und an dieser starren Klippe zerschellt seine leßte Tduschung. Doch was gewinnt der Gläubiger dabei, daß er seinen Schuldner gänzlich zu Grunde richtet? Er verliert sein Geld, aber er richt sich auf gefeßliche Weise; für zwanzig Franken monatlich hat er die Gunst erkauft, einen Menschen mit seinen Krallen festzupacken und mit dessen Schmerzen zu spielen.

Die körperliche Haft ist kein Mittel, den Reichen zur Bezahs lung zu nöthigen, und den Armen macht sie ganz unfähig, ju zahlen. Dem Unredlichen ist sie von großem ugen, da er fich dadurch von seiner Verpflichtung befreit, daß er seinem Gläubis ger fünf bis zehn Jahre zur Last fällt; den redlichen Mann hingegen ruinirt fie ganz und gar. Wenn sie einigen Glaubigern Nugen bringt, so ist das gewiß nur der Fall bei schamlosen Wucherern, die sehr wohl wissen, wem sie leihen, und die ihren Schuldnern das Geld fast wieder aus der Tasche stehlen, denn fie leihen nur mit großem Vorbehalte und verstehen es, sich das Hundertfache selbst von dem wiedergeben zu lassen, was sie gar nicht geliehen haben.

Solch' ein rechtlicher Darleiher lockt Euch durch seine Arguffe alle Familienföhne, Modeherren und Generalverschwender an; er kennt das Vermögen des Vaters so genau wie der Haus-Anwalt; sein Notizbuch ist noch viel richtiger als das große Hypothekens buch; er hat seine Seelenverkäufer, die ihm der Reihe nach alle jene verschuldeten Jünglinge zuführen, die schnell Geld brauchen, weil sie schnell genießen wollen. ,,Wie viel bedürfen der Herr Marquis?" - - " Etwa 2000 Franken, alter Seebdr." !! Das ist eine etwas hohe Summe, 2000 Franken, Herr Marquis; es find schwere Zeiten, die Vergnügungen zehren Alles auf. Wer weiß, wie lange auf die Rückzahlung zu warten feyn möchte?"

"

,,Nicht länger als ein halbes Jahr." ,,Nun, ich will Ihnen ein Jahr Zeit lassen, Herr Marquis; aber ich weiß nicht, wie viel ich dabei riskire. Ich muß alle Fälle und Möglichkeiten bei unserem Handel in Anschlag bringen. Geben Sie mir eine Schuldverschreibung über 10,000 Franken, so will ich Ihren in barem Gelde die 2000 Franken zahlen, deren Sie, wie es scheint, so dringend bedürfen." Ei so mögest Du an Deinem Gelde ersticken, alter Geier; hier ist die Vers schreibung." Und hier, Herr Marquis, haben Sie dagegen eine Anweisung, auf welche Sie die 2000 Franken in meiner Kasse erheben können; sie ist nicht weit von hier; bemühen Sie sich gefälligst dahin; man wird Sie nicht warten lassen." Der arme MarquBaron, oder Graf, oder Ritter, oder vielleicht auch alledem! Er eilt nach der Kaffe, wo ihm, nach Vorzeigung der Anweisung des Herrn, der Commis einen Wechsel von 500 Franken übergiebt, dann eine Portion Löpfergeschirr zum Werth von 500 Franken, ferner eine Vortion Strohhüte zu gleichem Werth, endlich eine Portion Serdthschaften alle und Gestalt, von Eisen und Messing, neu und renovirt,

oder

dem Anderen zusammen die Summe von 2000 Franken

die voll machen. Der Marquis flucht, er schickt die ganze Sippschaft zum Teufel, er wurde um Alles in der Welt dies Zeug nicht mit den Fingerspigen berühren, ja, sie nicht einmal eines Seitenblicks würdigen; er nimmt seinen Wechsel über 500 Franken, der ja für diesen Tag wohl ausreichen wird; den übrigen abscheulichen Trödel mag nehmen, wer da will. Nach Verlauf von Jahr und Tag rufen ihm vier Nachtreter sein böses Abenteuer ins Gedächt niß zurück, indem sie ihm den von ihm ausgestellten, nunmehr fälligen Wechsel über 2000 Franken präsentiren. Aber kaum hat der funge Herr die ersten vierzehn Tage in Ste. Pelagie gefeffen, so macht der Vater oder Onkel die Jugendthorheit wieder gut. Der Wucherer entfernt sich dann von Hause, um den Schmdhuns gen zu entgehen, und sein Kassirer darf nur Valuten annehmen; To haben 500 Franken Darlehen in einem Jahre 9500 Franken Zinsen getragen. Die körperliche Haft ist das Palladium der Glaubiger und der Handels Intereffen, denn sie nöthigt nur denen Zahlung ab, die bestohlen werden, aber faßt niemals denen, die gestohlen haben.

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Es giebt unter diefen ehrlichen Wucherern einen, der seinen Laden im Justiz Palast hat, an der Schwelle des Saales der Pas-Perdus; er ist zugleich Polizei Inspekter, Pfandleiher und Kerkermeister. 3hr würdet ihm gern einen Liard als Almosen in die Hand drücken, und er würde ihn auch nicht verschmähen, benn er weiß zu gut, daß ein Liard und noch ein Liard zwei Liards machen, zwei Liards und noch zwei Liards einen Sou und so weiter bis zu einer Million. Nun, dieser Arme giebt jeder feiner Töchter 500,000 Franken Mitgift; find fie erst verheirathet und unter der Gewalt eines Anderen, so leiht er ihnen auf Wucher, um, wo möglich, feine Thaler wiederzubekommen. Die Aussteuer, die er seiner Tochter giebt, ift eigentlich nur ein Darlehen auf Wucher, welches er feinem Schwiegersohn gewahrt, und nach Verlauf von fünf Jahren findet es sich, daß der Herr Schwiegers sohn die Tochter umsonst geheirathet hat.

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