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ungestům und blickt sich um; als er Herrn von Beauffet wahrs nahm, jagte er furs: Kommen Sie, Beauffer, und schließen Sie felt des Palastes in der Nähe des Saming die Stafferin auf dem Estrich ausgestreckt und, eine Beute der schrecklichsten Zuckuns gen, die Hände ringend und stöhnend: Nein, ich überlebe es nicht", und dabei flug sie mit dem Kopfe fich an den Fuß des Lehnstuhls. Napoleon Eniete neben feiner Frau, umarmte sie und fuchte sie zu beruhigen mit den zärtlichsten Worten, die er an sie verschwendete..,Josephine, meine liebe Freundin, fagte er, indem er fie an sich sog,,,ich bin es, höre mich nur und sen vernünf tig, Du weißt, daß ich Dich immer lieben werde. Beauffer, sind Sie stark genug, die Kaiserin fortzutragen?" fragte er leise den Präfekten, der, von diesem Anblick aufs tiefste ergriffen, dennoch ehrfurchtsvoll in der Ferne stand und nichts zu sagen wagte.,,Es ist ein nervöser Zufall, feßte Napoleon hinzu und strengte sich vergeblich an, seine Frau aufzuheben,,,wir müssen fie über die kleine Treppe auf ihr Zimmer bringen; dort wollen wir ihre Frauen rufen und ihr die Hülfe verschaffen, welche ihr Zustand erfordert. Beausset, Seyen Sie ohne Furcht und helfen Sie mir; sehen Sie nicht, daß die arme Frau stirbt?" Herr von Beauffet tritt endlich herzu, faßt die Kaiserin um den Leib, und sie mit seinem Arm umidlingend, wendet er sich gegen die Saalthur, welche über einen dunkeln Gangs und eine fleine Treppe in das Toilettenzimmer Josephinens führt. Napoleon hat ein Licht ergriffen:,,Warten Sie, daß ich Ihnen leuchte", fagte er mit leichender Stimme,,,ich werde vorausgehen. fie an der Treppe angelangt waren, machte ihm herr von Beauffet bemerklich, daß die Passage zu eng ware, um sie allein ohne Ges fahr zurücklegen zu können.,,Sire", sagte er,,,ich ristire, mit der Kaiserin auf Ihre Majestät zu fallen.,,Zum Henter, hüten Sie sich, nur einen Augenblick noch werden Sie nicht måde." Mit diesen Worten fest Napoleon das Licht auf die erste Stufe, geht zurück und sucht den Thürhüter, der Tag und Nache feinen Posten einnimmt, und indem er den Menschen am Arm faßt, sicht er ihn durch den Gang und sagt ihm das Licht in die Hand gebend:,,Steigt langsam und leuchtet uns." Während dieser Diener maschinenmäßig gehorcht, ohne selbst auf das Schauspiel, das sich seinen Augen bietet, anscheinend zu achten, faßt Napoleon Josephinen an den Füßen, und alle drei steigen vorsichtig hinunter. Der Kaiser befindet sich in der Mitte, Here von Beauffer hält noch immer die ohnmachtige Josephine in seis nen Armen, die mit dem Rücken an seiner Brust ruht und deren Stopf über seiner rechten Schulter hängt. Sie waren an die Windung der Treppe gelangt, als der Degen, den der Präfekt abzulegen vergessen hatte, ihm zwischen die Beine gerieth und ihn beinahe zum Straucheln brachte. Um einen Fall zu vermei? den, der für alle drei die unangenehmsten Folgen haben mußte, ist Herr von Beausset anzuhalten und an die Mauer sich zu leh nen gendthigt; er nimmt seine Kräfte zufammen und umfaßt enger die fonbare Last, die er trägt, aus Furcht, fie unversehens entgleiten zu sehen. Wahrscheinlich hatte Josephine ihr Bewußts fenn nicht ganz verloren; denn so wie sie den Druck Beauffer's inne wurde, sagte fie, ohne sich zu rühren, leise:,,Sie preffen mich sehr." Bei diesen Worten machte er eine haftige Bewer gung, die den Kaiser zwang, zwei Stufen schneller zu steigen, als es feine Absicht war,,,Langsam, Beauffer", fagte er halbs laut,,,fast hatten Sie uns Einen über den Anderen geworfen. Ohne Hinderniß gelangten ste darauf bis zum Schlafzimmer Jos sephinens und legten sie fanft auf eine kleine Ottomane in det Nähe der an

zug, der mit der ersten Stammerdame der Kaiserin forrespondirie. Diese war sogleich da.,,Madame", fagte er lebhaft, Eifig, Salz, rufen Sie die anderen Frauen, und schnüren Sie die Stair ferin auf, sie ist unpáßlich." Als diese Dame sah, in welchem Zustand sich Josephine befand, war ihr Erstes, alle Klingeln in Bewegung zu feßen. In kurzem war das Zimmer mit Frauen gefüllt, die famen und gingen, Schnüre und Bauder aufschnitten, um die Kaiserin so schnell als möglich zu entkleiden.

Herr von Beausset, über ihre Lage beruhigt, hatte sich in den kleinen Saal begeben, der an das Schlafzimmer stieß. Nas poleon kam bald nach. Seit dem Beginn dieses Vorfalles war der Präfekt nur um die Kaiserin beschäftigt, deren Lage ihm Un ruhe eingeflöst hatte. Jest, wo er dem Kaiser zum ersten Mal feine volle Aufmerksamkeit schenkte, wurde er die Größe seiner Schmerzen und Aufregung gewahr. Napoleon theilte ihm die Veranlassung zu dem Ereigniß mit: Das Intereffe Frankreichs hat meinem Herzen Gewalt angethan", sagte er,,,die Scheidung ist nothwendig geworden, in der That eine grausame Pflicht für mich, und Josephinens Zustand erichreckt mich um so mehr, da fie feit mehreren Tagen bereits Kenntniß davon haben mußte, wenigstens ist ihr durch Eugen und seine Schwester heute mor gen gewiß die nöthige Minheilung gemacht worden. Ich habe ihr mehr Charakter und Seelenstarke zugetraut; ich gestehe, ich war auf einen solchen Ausbruch ihres Schmerzes nicht gefaßt.

Die Aufregung, in welcher der Kaiser unter dieser Rede fich befand, während er mit großen Schrinen im Zimmer aufs und abging, zwang ihn, zwischen jeder Phrafe eine Pause zu machen. Die Worte entwanden sich mit Mühe feiner feichenden Brust, seine Stimme zitterte, die Thränen rollen ihm aus den Augen, er mußte, wie er es zu nennen pflegte, außer sich seyn, um cinem Diener feines Hauses, den er nie feines näheren Umgan ges gewürdigt, ein folches Zeichen des Vertrauens zu geben. (Schluß folgt.)

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Polen.

Die berühmtesten Polnischen Schriftsteller des letzten
Jahrhunderts.

Nac Stanislaus Kozmian.

1. Ignaz Krasizki.

Die allgemeine Stimme der Polen_stellt_den Bischof von Ermeland, Ignaz Krafisli, an die Spiße ihrer Dichter, und wenn ihm auch die Vollgültigkeit eines Anspruchs auf diese Chre bes zweifelt werden könnte, so ist doch anzuerkennen, daß vielleicht fein Polnischer Schriftsteller so viele und mannigfache Vorzüge in sich vereinigt. Zu jeder Zeit und in jeder Literatur würden feine Werke durch Reinheit des Geschmacks und klassische Form einen bedeutenden Rang eingenommen haben; um wie viel mehr, wenn man bedenkt, daß sie in Polen und unter so ungünstigen Verhältnissen entstanden. Krafizki wurde im Jahre 1734 geboren und stammte aus einer angesehenen adligen Familie. Er war von seinen Aeltern für den geistlichen Stand bestimmt, der das mals der Jugend die Aussicht auf die höchsten Staatsämter ers öffnete. Früh schon zeigte sich sein außerordentliches Talent; in der Schule waren poetische Wettkämpfe seine liebste Beschäftigung, vielleicht, weil er der Palme stets sicher war. Seine Bildung vollendete er durch Reifen im Auslande, und als er nach Polen zurücklehrte, ward er der Liebling der höheren Kreise in Warschau, wegen seines Wises, feiner vielfältigen Talente und einnehmen den Sitten. So viel treffliche Eigenschaften machten es ihm leicht, am Hofe Stanislaus Auguft's Zutritt zu erhalten, und die Vertraulichkeit, welche sich zwischen dem Könige und dem Dichs ter fast in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft entspann, dauerte während der ganzen Zeit ihres ereignißreichen Lebens. Dem Einflusse Krafiali's ist der Schuß zuzuschreiben, den der leßte König von Polen der Wissenschaft und Literatur gewährte, und in wie hohem Werth er den Dichter hielt, das bewies er das durch, daß er ihm das Bisthum Ermeland verlich. Obgleich Krafisli's politische Laufbahn sehr kurz war und ihm nur auf einem einzigen Reichstage zu erscheinen gestattete, so ließ er doch als Senator feine Stimme laut genug ertönen und machte eines Tages den Vorschlag, die Verhandlungen des Reichstages fo lange auszuseßen, bis Katharina's Armee das Königreich vers laffen haben würde. Durch die erste Theilung Polens kam seine Diocese an Preußen. Da er nun feine politische Rolle mehr spielen konnte, so widmete er seine heiteren Mußestunden ganz der Literatur und der Arbeit an jenen Werken, die ihm unter feinen Landsleuten einen so berühmten Namen machen sollten. Die Theilung brachte ihn mit Friedrich dem Großen in Berüh rung. Der Freund des unglücklichsten Königs des achtzehnten Jahrhunderts wurde der Liebling des glücklichsten.

welche dies Gedicht veursacht hatte, schrieb Krasizli seine ',,Antis Monachomachie", worin er jedoch unter dem Schein, als wollte er seinen früheren Angriff zurücknehmen und die Rügen, denen er sich dadurch ausgeseßt, beantworten, die Unwissenheit, Vorurs theile und Trägheit der Mönchsorden noch mehr ans Licht stellte. Da Krasizli die besten Werke der epischen Dichter des Auslandes fleißig studirt und sogar mehrere Stücke daraus überseßt hatte, fo strebte sein Ehrgeiz danach, ebenfalls ein NationalsEpos zu dichten. Er schrieb daher ein Gedicht im zwölf Gesängen: Der Krieg von Chocim". Indek wenngleich dies Werk einige Stellen von großer Schönheit enthält, so ist es doch im Ganzen ein mifluns gener Versuch, und Polen harrt noch eines literarischen Denk mals der Art, wie es Laffo in Italien und Camoens in Portugal zum Ruhm ihres Vaterlandes errichtet haben.

Doch nicht nur als Originalschriftsteller, auch als Ueberseber zeichnete Krafizli sich aus. Seine Uebertragung des Difian bes zeugt sein Talent in diesem Fach. Seine fleineren Dichtungen, poetische Episteln und Reiseschilderungen, in denen Profa mit Versen abwechselt, sind ebenfalls reich an Schönheiten. Minder ausgezeichnet sind seine_prosaischen Schriften. Zwei von seinen Erzählungen jedoch werden immer noch gelesen und bewundert, nicht sowohl wegen einer bedeutenden Erfindungskraft, als wegen treuer und scharf satirischer Schilderung der National Irrthümer und Vorurtheile. Plutarch und Lucian scheinen seine Lieblings, schriftsteller gewesen zu seyn. Dem Ersteren, den er sich als Muster auserfah, hat er zwar in feiner,,Biographie großer Manner" nicht viel Ehre gemacht; aber in seinen, Todtenger sprächen", worin er den Lesteren nachahmte, ist er wieder ganz er selbst, voll Humor, Leichtigkeit und Leben. Er schrieb auch Komödien, war sich indeß ihres geringen Werthes so sehr bes wußt, daß er nie dazu vermocht werden konnte, fie unter seinem Namen herauszugeben. Neben manchen anderen Arbeiten ber schäftigte ihn die Herausgabe einer Encyklopädie und eine Uebers feßung von Hesiod's,,Werfen und Tagen". Krafisli überlebte seine Königlichen Freunde" beide. Er starb im Jahre 1801 zu Berlin.

Mannigfaltiges.

Göthe auf dem Stralauer Fischzuge und unter den Nordamerikanischen Wilden. Wenn der Verfasser der Phantasiestücke in Callor's Manier den Kapellmeister Kreisler, unter welcher Maske er belanntlich sich selbst schildert, mit dem Ritter Gluck im Berliner Thiergarten zusammentreffen läßt und eine der köstlichsten Charakteristiken des großen Tondichters aus diesem Rencontre entspinnt, so wird man gewiß wenig danach fragen, ob der Schöpfer der beiden Iphigenien und der Armide wirklich jemals in Berlin gewesen und ob der viel jüngere Kreisler Hoffmann ihn dort gesehen haben konnte. Die innere Wahrheit der Schilderung entfernt jedes historische Bedenken. Anders aber ist es, wenn ein Schriftsteller sich geschichtlicher Personen bedient, um eine sonst höchst triviale Erzahlung damit zu etwas Bedeutendem herauszuftaffiren, und wenn er fie in Situationen verseßt, die ihr Charakterbild durchaus verzerren. Solch' literarisches Gaukelspiel ist bei unseren transrhenanischen Nachbarn_zwar nichts Neues, und so kann es uns nicht wuns dern, daß sie kürzlich auch an Deutschlands größtem Dichter in dieser Weise gefrevelt haben, indem sie ihn als,,bleichen hohlwangigen Werther", ohne einen Funken von Göthescem Geist, auf ihre Schaubühne gebracht; aber auffallender ist es, auch unter den sonst so historischen Engländern ein Beis spiel von dhnlicher Entstellung zu finden. Mistres Marriet nämlich hat eine Novelle unter dem Titel: ,,Eine wunderbare Geschichte und ein berühmter Erzchler", geschrieben, worin fie fich nicht damit begnügt, Göthe als Greis, mit mehreren Orden geschmückt, beim Strälauer Fischzuge in Treptow erscheinen zu laffen, wogegen nichts einzuwenden, da es mit der Möglich, Peit nicht in Widerspruch steht, wenngleich Göthe nur als junger Mann einmal auf kurze Zeit in Berlin gewesen, sondern ihn, den Dichtergreis, den entschiedensten Feind aller sentimentalen Romantik, eine herzbrechende Indianer Geschichte à la Cooper erzchlen läßt, die er auf feinen Jugendwanderungen in den

Krasisti's Werke sind zahlreich und umfassen vielerlei Gegens stande. Sein hervorstechendster Charakterzug war Wiß, und er leistete daher auch in Fabeln, Satiren und tragikomischen Ges dichten das Vorzüglichste. Die Zahl seiner Fabeln beläuft sich allein auf beinahe zweihundert; sie sind in Polen im Munde jedes Kindes. Am scharfsten und mächtigsten zeigt sich sein Wig in den Satiren. Seine Lobredner råhmen von ihm, er habe darin die Zartheit und Munterfeit des Horas mit der Kraft Jus venal's vereinigt. Man könnte von ihm ganz das sagen, was Blair von dem Römischen Dichter rühmt: daß er mit lächelnder Miene Verweise giebt und, während er als Philosoph eine ges funde Moral lehrt, zugleich die feine Bildung des Hofmanns verräth; oder um noch zarter die Lieblichkeit, Änmuth und Eles ganz auszudrücken, womit der Polnische Satiriker die Fehler und Vorurtheile seiner Nation schildert, könnte auch jener andere Ausspruch über Horaz: albis dentibus ridet, auf ihn angewandt werden. Im Tragikomischen `aber fand Krafizli's Humor feinen freisten Spielraum; drei von den vier Dichtungen dieser Art, die ihn zum Autor haben, gelten für seine trefflichsten Werke. Das erste derselben ist die Polnische Batrachomyomachie Myszeis, der,,Mausekrieg", worin das Wahrchen von dem Könige, den die Mäuse versehren, erzählt wird,) ein Volksmährchen, welches die Polen mit mehreren anderen Nationen, theilen. Der Dichter spottet in diefer geistreichen Schilderung des Krieges zwischen,,Wildnissen des großen Westen", in den Urwäldern Nordames den Mäufen und Ratten über die Zwietracht, welche damals in Polens Rathsversammlungen herrschte. Ein anderes von Kras fali's tragikomischen Gedichten hatte feinen Ursprung in dem Umstande, daß Friedrich ihm einst in Sanssouci ein Zimmer, in welchem Voltaire eine Beit lang gewohnt hatte, sum Aufenthalt

anwies und ihn dabei aufforderte, etwas in der sarkastischen Weise des Franzöfifchen Philosophen zu schreiben. Dieser Eins ladung folgend, dichtete der Bischof feine,,Monachomachie“ oder den Krieg der Mönche. Ein feineres Kompliment hatte er einem protestantischen Könige nicht machen und nicht geschicks ter in die Fußstapfen des Französischen Weisen treten können. Das Erscheinen dieses Gedichts machte außerordentliches Aufsehen im ganzen Lande, da es das, Mönchswesen und Pfaffenthum an der Wurzel angriff. Könnte heutzutage ein folches Werk in Spanien zu Tage gefördert werden, es würde die geistige Emans cipation dieses Landes mehr beschleunigen, als alle Maßregeln seiner liberalen Regierung. Um die Gereiztheit zu beschwichtigen,

rifa's, erlebt haben soll. Als er mit der Erzählung zu Ende ist, ,,wischt er sich eine Thräne aus dem Auge, steht auf, nimmt schweigend Abschied von der Frau des Hauses (einer Lady Gras Hand und geht hinaus." Bitll the era Chateaubriand fibreis vensen, die auf einer Villa in Treptow wohnt), drückt ihr die die Verfasserin auch nur

im Namen sich geirrt und statt,

ben wollen, der eher in den Rahmen ihres Bildes hineinpassen würde. Beiläufig erfahren wir aus dieser Erzählung auch noch, daß,,die Preußischen Landleute ein wunderbares Talent zu höls zernen Skulptur Arbeiten beflßen", wie denn der große Krebs in Stralau so tduschend gearbeitet sen, daß viele der guten Berliner ihn für einen wirklichen Krebs gehalten hatten, daß auf dem Stralauer Fischzuge am meisten das,,Spiel der alten Deutschen", nämlich Würfel, gespielt werde, und daß die niedrige Volksklaffe Berlins leinen vergnügten Tag ohne eine kleine Prügelei bes schließen könne. Diese und ähnliche feine Bemerkungen bilden die Ouverture zu Göthe's Debut in Treptow und-Amerika!

vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jaht, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

N 92.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Mobüzbl. Post- Aemtern.

Literatur des Auslandes.

1839.

Rußland.

Berlin, Freitag den 2. August

Petersburger Straßen-Ausruf.

Bon J. G. Kohl.

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Ich weiß nicht, ist es das unruhige nomadische Element, das allem Russischen Blute beigemischt ist und welches macht, daß in dem großen Russischen Reiche Alles nicht so stabil, sedentar ist, wie in unserem soliden Deutschland, oder ist es der regsame spekulative Geist der Russischen Kramer und Handwerker, der fie überall umherzuspchen und die beste Gelegenheit zum Verkauf ihrer Waare aller Orten aufzusuchen spornt. Genug, offenbar treiben sich, omnia sua secum portantes, im Ruffischen Reich weit mehr Krämer und Handwerker wandernd umher, als irgendwo bei uns, und eine Menge von den Kleinhandlern, die wir bei uns vermummt, in sich gelehrt und stumm auf den Markten fißen sehen, ruhig abwartend, bis es einem Vorübers gehenden gefalle, bei ihnen anzusprechen, wandern, ihre Waaren anpreisend, schreiend und Jedermann höflich ansprechend, in den Straßen der Russischen Städte umber. Vielleicht ist das rauhe Klima, das Bewegung verlangt und feine ruhige Muße gestattet, auch mit Schuld daran. Auch die Weitlduftigkeit der Russischen Siddte mag ein solches beständiges Wandern der Kramer nöthig machen, da, wenn sie nicht zu ihren Käufern kẩmen, bei den weiten Wegen sonst von diesen wohl Vieles ungekauft bleiben möchte. Die Behendigkeit und Gewandtheit der Russen, die sich in Alles zu schicken wissen und mit Wenigem behelfen, macht in vielen Fällen ihnen ein solches Hausiren leicht, wo es einem Deutschen völlig unmöglich seyn würde. Um das zu begreifen, braucht man nur den wandernden Russischen Drechsler anzus fehen, den der Herr von Engelhardt im vierten Bande seiner trefflichen Miszellen hat abbilden lassen, und der den ersten besten fungen elastischen Birkenbaum als Triebfeder seiner Drechsels bank benutt.

Die Ruffen nennen den mit seinen Waaren wandernden Kaufmann,,Rasnoschtschil“ oder „Promuischlennik“, vom Abs straltum ,, promuischl", welches eben den Kramerei treibenden Handel und Wandel dieser Leute bezeichnet. Jedem Russen ist. ein entschiedenes Talent für den Promuischt angeboren, und teinem Geschafte widmen sie sich lieber, als diesem. Peter der Große wußte dies sehr wohl, als er den Juden in Holland rieth, nicht nach Rußland zu kommen, weil sie dort im Schachern ihre Meister finden würden. Bei allen den hundert Nationen, die Rußland beherrscht, ist der eigentliche Großruffe, ohne durch etwas Anderes als sein Talent privilegirt zu seyn, der ausschließliche reisende Kaufmann und Kramer. *) Der Promuischt, die Kramerschaft, liegt den Russen so am Herzen und ist ein fo großer Theil ihres Lebens und Wesens, daß die Interessen des Promuischl's den Staat nicht selten in Kriege verwickelten und zu Vergrößerungen führten. Eben so wie Frankreich durch seine Liebe zu Waffenruhm und England durch seine großen zur See handelnden Kaufleute und die Intereffen seines Welthandels zu Eroberungen gebracht wurden, wie Ostindien durch Englische Kaufleute erworben wurde, so wurde es Sibirien durch Ruffifche Krdmer. Nicht nur waren es Kaufleute, welche Rußland zuerst festen Fuß in Sibirien faffen ließen, fondern auch Promuisch‹ Tennifi waren es, welche alle einzelne Theile dieser ungeheuren Länder nach und nach entdeckten, mit ihren unermüdlichen Kramer Speculationen auskundschafteten und so nicht nur die ersten Bande anspannen, welche alle diese entlegenen Striche mit dem Staatss körper verknüpften, fondern auch, die Waffen zur Hand nehmend, ihm dieselben völlig einverleibten. Im Often an der Persischen Granze, im Südwesten gegen die Moldau und Wallachei und im hohen Norden in den Lappmarken spinnen die regsamen und weits trebenden Ruffifchen Promuischtenniki in diesem Augenblicke an ahnlichen Fdden.

Der Hauptflß des ganzen Nuffifchen Promuischl's, wie denn überhaupt der Centrals und Ausgangspunkt aller echt Ruffifchen Bestrebungen, ist Moskau. Dieser Stadt ftrömen vom Lande ftets eine Menge spekulativer Köpfe zu, die dann von dort, mit Auftragen wohlhabender Kaufleute versehen, sich wieder in alle Welt verstreuen. Die großen Fabriks und Handelsherren dieser

*) Mit Ausnahme der Polnischen Provinzen, wo der Jude mit dem Russischen Rasnoschtschik konkurrirt.

Stadt stehen immer mit einer Menge kleiner Rasnofchtschils in Kontrakt, denen sie ein gewisses Quantum Waaren kreditiren. Mit diesen beladet der Rasnoschtschif seine einspännige Telege, nagelt seine Heiligenbilder an und zieht dann damit getroft in alle befannte und unbekannte Welt. Gewöhnlich schließen sich die Rasnofchtschils unterweges an einander, und häufig sieht man fie in ganzen Karawanen, lauter kleine mit Waaren beladene, mit Heiligenbildern und Steppenkräutern geschmückte Wagen, das Reich durchziehen. Sie lutschiren ans Schwarze Meer zu den Tataren, die freilich nicht viel brauchen, traben über den Kaulas fus ins Land der Grußnier, wo die Russischen Schlitten und Pelze überflüssig sind. Sie wenden sich nach Sibirien und spåhen nach Gewinnst am Fuße der Chinesischen Mauer. Persien ist ihnen nicht zu heiß, Kamtschatka nicht zu kalt, wenn ihnen nur die, welche Gluth und Kälte erträglich machen, die Silberrubel, in der Tasche llimpern. Finden sie unter den Barbaren schlechten Absay, so eilen fie über die tena, den Jenisen und Ob ans andere Ende der Welt, ans Baltische Meer zu dem Mittelpunkt der Bildung und des Lurus, zum prächtigen Petersburg. Bleibt ihnen auch hier noch ein Theil ihrer Ladung, so verschleppen fie den Rest bei den,,Sumpfleuten"*) an den Seen und zwischen den Felsen der Finnen und der Lappen und kehren dann endlich nach zwei oder drei Jahren nach Moskau zurück, ihrem Kommits tenten, der in der ganzen Zeit kein sterbendes Wörtchen von ihnen und seinen Waaren hörte, das gewonnene Geld auszahlend und ihre eigenen Prozente davon einstreichend. — Man könnte geneigt feyn, diese Schilderung übertrieben zu finden. Allein man bedente, daß in Rußland, einem Staate von so eigenthümlicher Stellung und Gestaltung, alltäglich Dinge passiren und, wenn das Ganze bestehen soll, paffiren müssen, die in unserem anderen Euros päischen Westen ganz und gar unerhört und unmöglich seyn würden. Wir West-Europder kleben zwischen engen Felfen und Bergen, das Russische Leben aber wogt und pulsirt auf unermeßlichen Ebenen rund um den Globus herum.**) - Während wir Deutschen oft schon zwei Meilen von unserer Heimat fremd sind, fühlt sich der Russe in seinem ganzen großen Vaterland zu Hause und heimisch, und es gilt ihm gleich, ob er unter der Parallele von Konstans tinopel oder an den Ufern des Polar, Meeres sein Brod findet. -Man würde daher sehr fehlen, wenn man Alles, was man in den Straßen der Ruffischen Städte sich herumtreiben sieht, får Kinder dieser Heimat und Gewächse dieses Bodens halten wollte. Gewöhnlich ist diese Straßenbevölkerung aus Süden und Nors den des Reichs zusammengelaufen, um sich wieder nach Often und Westen zu zerstreuen.

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Von keiner Stadt gilt dies mehr, als von Petersburg, auf deffen Straßen sich alle Gouvernements repräsentirt finden, und dem Kramer und Handwerker der verschiedensten Art zuströmen. Man kann daher auch hier am besten die Sitten und Weise dieser Menschenklasse studiren und hat dabei den Vortheil, daß man mit ihrer Darstellung auch das Straßenleben aller übrigen Ruffifchen Städte dargestellt hat. Denn auf dieselbe Weise, wie der Kwas Verkäufer in Petersburg oder Moskau sein Getränk umberschleppt, auf dieselbe Weise bietet er es auch im ganzen übrigen Rußland an, und dieselben Backwerke, die der wandernde Bäcker jener Hauptstädte feil hat, ganz dieselben findet man auch bei dem in Archangel und Odessa.

Kein Bedürfniß stellt sich beim Menschen so hdufig ein und keines hat einer so prompten Abhilfe nöthig, als das des Effens und Trinkens. Einen Imbiß für den Heißhunger, einen kühlen Trunk für die Hiße, ein warmes Getränk gegen die Kalte, wie viel gabe man dafür nicht zuweilen zur rechten Zeit? Der Leuts chen, welche in den Ruffischen Städten auf unruhige Zähne und lechzende Gaumen Jagd machen, sind daher nicht wenige. Im Winter vor allen Dingen die Sbiten und Thee Berkdufer. Thee und der von etwas billigeren Kräutern abgezogene Sbiten machen im Winter das Hauptgetränk aller Russen, die so große Liebhaber davon sind, daß sie es gewöhnlich unvermischt, wie es aus dem Born des Kessels quillt, genießen. Nur die Wohlhabens den trinken beides mit Zucker und nur die Europdifirten auch mit Milch. An allen Straßenecken haben die Theeverkdufer ihre

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Tische aufgestellt, auf denen ein großes tupfernes Shamowar) den ganzen Tag über focht. Eine Menge kleine und große Thees tessel stehen ihrer Größe nach rangirt auf dem Tische, aus deren jedem man für einen Pfennig Chee mehr oder weniger ems pfängt. Citronenschnittchen, Zucker, Kaffee, Backwerk find in Fülle umbergelegt, und in jedem Augenblick fann für eine Person, oder für zwei, oder für eine ganze Familie aufgewartet werden, die sich auf den hölzernen Bänken umber niederlassen. Von diesen Tischen gehen nun auch beständig Herumträger aus, die auf den Markten und öffentlichen Pläßen den Durstenden zutras gen. Sie wickeln ihre Theemaschine in dicke Tücher, nehmen sie unter den Arm, und indem sie so das Getränk, selbst bei der streng ften Kalte, stundenlang warm zu halten wissen, durchstreifen sie die entlegensten Theile der Stadt, indem sie Alle, denen kühl zu Muthe seyn könnte, mit dem Rufe aufmerksam machen:,,Kirpit! kirpit!" (Es focht! es tocht!) Oft mit einem Reim:

Kto chotschet pit,

Kirpit, kirpit.

(Es singt, es fingt!

und Niemand trinkt?)

Um den Leib haben sie ein ledernes Etui wie einen Gürtel ge bunden, in dem die Lassen und Gläser stecken. Am Arm hangt ihnen ein Sack mit Backwerk und Citronen. Für ein Paar Kopeken machen sie jedem Batiuschka (Vdterchen) die schönste Taffe Thee zurecht, erfundigen sich höflich bei ihm, ob er den Bucker in der Taffe liebt oder w' prikufsku (zum Zubiß), und unterhalten ihn dabei noch auf das liebenswürdigste, während jener seinen Trank ausschlürft.

Im Sommer verwandeln sich die Sbiten und Thee-Verkdus fer zum Theil in Eisbereiter und Kwas Schenker. Der Kwas ist ein sehr angenehmes, fduerliches Getränk, das in der Regel aus Honig, aber auch aus Himbeeren und anderen Früch ten bereitet wird. Es erfrischt und löscht den Durst vortrefflich, ohne wie unser Meth oder Bier zu berauschen, weil der Honig beim Kwas nicht gährt. Es ist daher auch bei Vornehm und Gering beliebt und in Rußland entschieden ein noch mehr vers breitetes Getrant, als Brunnenwasser. Es wird in jeder Hauss haltung ohne Ausnahme bereitet. Sonderbar aber ist es dabei, daß sich bei diesem großen Bedürfniß nach Kwas noch nirgends großartige Fabriken für diesen Artikel etablirt haben, in der Art unserer Bierbrauereien. Vielleicht kann er nur gut gedeihen, wenn er in kleinen Portionen bereitet wird. -,,kwas medowoi! kwas malinowoi!" (Honigkwas! Himbeerenkwas!) ist dem Allen nach eines der gewöhnlichsten Geschreie auf den Russischen Straßen. Meistens sind es kleine rothwangige und blondhaarige Burschen, die dies ausschreien oder fingen. Sie tragen den Kwas nie anders, als in großen gläsernen Krügen, deren Durchsichtig feit gleich eine Beurtheilung der Güte des Getränks erlaubt. Ist ihr Krug verschenkt, so füllen sie ihn schnell wieder aus den Kwas Brunnen, die an jeder Straßen Ede stehen, und die den Prinzipalen jener Burschen gehören. Es sind dies große Böt tiche mit Kwas, die sie mit einer Tischplatte verdecken und im Sommer oft noch zur Abkühlung in einen Kasten mit Eis stellen.

Wenn Einen der Boreas nicht so oft anbliese, könnte man in Rußland oft meinen, in Italien zu seyn, besonders wenn man dies viele Speisen und Handthieren unter freiem Himmel betrach tet, das in Rußland_tros Kalte und Schnee eben so häufig ist, wie in Italien tros Sonne und hiße. In den meisten Russischen Städten giebt es Plage, auf denen man das Volk unter freiem Himmel oft mitten im Sturm und Unwetter - an Tischen und Banken bankettiren sieht. Der wandernden Garlöche find nicht weniger, als der haufirenden Mundschenken. Sie tra gen alle Lieblingsspeisen des Volks in den Straßen umher und decken ihre Tafel in jedem Winkel, wo es verlangt wird. Das Blatt ihrer ambulanten Tische nehmen sie mit den Speisen auf den Kopf und das Fußgestell über die Schulter und arrangiren leicht beides wieder, wo es nöthig ist. Wenn man bedenkt, daß diese Leute ganz auf dieselbe Weise, mit ganz derselben außes ren Erscheinung und mit denselben Speisen überall, wo Ruffen wohnen, fich zeigen, daß ein ganzes großes Volk an dieser Ers fcheinung und diesen Speisen hangt, und daß die Form und Bes reitung der Waare, wie die Manier des Verkäufers, sich überall mit einer gewissen Naturnothwendigkeit zu reproduziren scheinen, fo wird man es gewiß nicht ganz überflüffig finden, diesen Leuten eine ndhere Aufmerksamkeit zu widmen, besonders in unserer Zeit, wo man endlich auch in der Ethnographie einmal anfängt, das Mikroskop zu gebrauchen und auch den Bettlern, den kumpen fammlern, den Straßenbuben, den Pizzicaruolis von Rom, den Lazzaronis von Neapel, den Wurstbratern von Wien, den Wassers trägern von Paris u. f. w. eine genauere Aufmerksamkeit und eine philosophische Betrachtung zu widmen, welche sonst von den Rei fenden als schmugige Dinge, wie die Mollusken, Eintagsfliegen, Entosoen und sonstige niedere Thiere, unbeachtet gelassen wurden.

Eine besondere Vorliebe scheinen die Ruffen für alle Arten von purées zu haben. Aus Erbsen, aus Kartoffeln, aus Himbees ren und anderen Beeren fochen fie verschiedene konfiftente gewöhns lich etwas fáuerliche purées, die sie kissel nennen (kissel gorochowoi, kissel malinowoi u. f. m.) Diese Kissel's werden zwei Zoll hoch auf einem Brette wie ein Kuchenteig ausgebreitet. Der Verkäufer schneidet zierlich Scheiben davon ab, und prasens tirt fie auf buntbemalten hölzernen Tellern mit einem schmackhaf ten Delüberguß seinen Kunden. Ueberhaupt darf ein Deltrüglein

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selbst außer der Fastenzeit den wenigsten dieser Tafeldecker fehlen, denn es ist die beliebteste Sauce des gemeinen Russen, besonders, wenn es nicht vom feinsten Provencer, das bekanntlich dann von der besten Qnalität ist, wenn es gar nicht schmeckt, was denn der Russe nun wohl eben nicht für die vorzüglichste Eigens schaft beim Dele halten würde, da er an ihm ein wenig haut gout liebt. - Vor allen Dingen haben die Gräschnewiki Bdder des Dels nöthig, um ihrem trockenen Kuchen etwas Würze zu ges ben. - Diese Gräschnewikis Bäcker sieht man besonders zur Fas stenzeit in Menge auf den Straßen. Roth wie die Krebse die Röthe der Russischen Physiognomieen seßt sich nicht wie eine sies rende Schattirung in die Rundung der Wange, wie bei den Gers manen, sondern überzieht das ganze Gesicht mit allgemeiner Gluth, als wäre es geschunden, Fausthandschuhe an den Fine gern, von Lindenbast geflochtene Schuhe an den Füßen, mit einem. furzen Schafpels, der von Delfirniß glänzt, stughaarig und langs bartig, so laufen die Grdichnewifi Verkäufer selbst in dem eles ganten Petersburg umber:,,gorätschija! gorätschija!" (warme! warme!) rufend. Die Gräschnewiki sind unsere Deutschen,,Heißs weg", fleine, cylinderförmige Kuchen, die warm gegessen werden müssen, und die daher immer mit dicken Lappen bedeckt und dicht an einander in Reihe und Glied gestellt umhergetragen werden. Jeden Vorübergehenden ladet der Verkäufer zu feiner Waare ein. So wie er einen Liebhaber gefunden hat, stellt er schnell seinen Tisch auf, schneidet geschickt der bestimmten Anzahl von Kuchen den Leib auf, gießt ein paar Tropfen seines grünen Dels hinein, kein Tröpfchen zuviel, streut Salz ein, klappt Alles wieder zu und packi's dem Käufer in die Tasche, den er das unverdaus liche Gericht,,mit Gott" und zu seiner Gesundheit" zu genießen bittet. Das beschriebene Verfahren ist in Irkußt dasselbe wie in Smolensk und in Taganrog wie in Archangel, als wenn die Bäcker in diesen tausend Meilen auseinanderliegenden Orten alle Bürger desselben Krähwinkels wären. Bei uns pflegt man in jeder Stadt andere Bäckereien und andere Bereitungsweisen wahrzunehmen. (Schluß folgt.)

Frankreich. Josephinens Entsagung.

(Schluß.)

In

Als der Kaiser sich etwas beruhigt hatte, schickte er nach Corvis sart, der Königin Hortenfe, Eugen und Cambacérès, aber noch ehe er in sein Zimmer zurückkehrte, wollte er sich selbst von Josephinens Zustand überzeugen; er fand sie weit beruhigter und fast refignirt. Nachdem er sie zdrtlich umarmt hatte, ging er in sein Kabinet zurück, begleitet von Herrn von Beauffet, dem er einen Wink ges geben hatte. Als er an der Stelle der Treppe anlangte, wo er wenige Minuten vorher gestrauchelt war, blieb er stehen: Wahrheit", sagte er, auf die Enge des Durchgangs hinweisend, scheint es doch beinahe unmöglich, hier eine ihrer Sinne beraubte Frau, eine Halbtodte durchzubringen." Diefe Bemerkung verurs fachte Herrn von Beausset ein leichtes Lächeln, das ihm wider Willen ankam, von Ehrfurcht aber sogleich unterdrückt wurde. In dem Kabinet des Kaisers angelangt, nahm er seinen Hut auf, den er auf den Boden geworfen hatte, um die Kaiserin ungehins derter tragen zu können. Hätten Sie nicht auch zugleich ihren Degen ablegen können?" sagte Napoleon;,,doch es ist wahr, daß man in dergleichen Krisen nicht an Alles denkt. Mein Gott, ich werde davon noch frank werden." Und als der Präfekt sich anfchickte, den Kaiser zu verlassen, sagte dieser:,,Noch ein Wort: Sie wissen, wie geschwäßig und neugierig man hier bei Hofe ist; um jede Art von Kommentar zu vermeiden, werden Sie vor diesen Herren Pagen und Kammerdienern sagen, daß die Kaifes rin einen leichten Nervenzufall gehabt hat in Folge übler Vers dauung; sie ist so rasch", fügte er vor sich hinzu. Und dem Herrn von Beauffet ein wohlwollendes Zeichen, daß er entlassen fen, gebend, sagte er:,,Alles bleibt unter uns, darum bitte ich." Napoleon mochte kaum eine halbe Stunde in seinem Zimmer seyn, noch voll von den Eindrücken der eben erlebten Auftritte, als man leise an seine Thür klopfte. Er rief, herein!" ohne selbst ein Auge aufzuheben. Auf die Einladung des Kaisers trat Eugen ein, bleich und Schmerz in den Zügen. Er hatte eben aus dem Munde seiner Mutter die Vorfälle des heutigen Abends erfahren. Gebeugt von dieser Mittheilung und den Worten der Mutter beinahe nicht Glauben beimeffend, suchte er den Kaiser auf, um von seinen Lippen die Bestätigung zu empfangen. Als Napoleon ihn eintreten sah, reichte er ihm die hand, und ohne sich von seinem Lehnstuhl zu erheben, begnügte er sich, durch bes jahendes Kopfnicken auf die Fragen, welche sein Adoptiofohn an ihn richtete, zu antworten.,, Alsdann", fagte Eugen mit nieders geschlagenen Augen,,,gestatten mir Er. Majestät, Sie von nun an zu verlassen." Was soll das heißen?" fragte Napoleon aufstehend. Sire, der Sohn einer Frau, die nicht mehr Kais ferin ist, lann nicht länger Vicelönig seyn. Es ist Pflicht für ihn, feiner Mutter in diejenige Einsamkeit zu folgen, welche Sie ihr bestimmen werden." ,,Du, Eugen, drohest mir, mich zu vers rwiederte Napoleon mit gerührter Stimme;,,lennft Du nicht die Gewalt der Gründe, die mich zu einem solchen Ents fcbluffe genöthigt haben? hat sie Deine Mutter Dir nicht mits getheilt? Wenn ich auch den Sohn habe, den Gegenstand meis ner heißesten Wünsche, wer wird, wenn ich abwesend bin, meine Stelle bei ihm vertreten? wer ihm Vater fenn, ihn auferziehen,

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ich gestehe es, ich hatte auf Dich gerechnet, nachdem ich Dir und Deiner Schwester so lange Vater gewesen bin. Weiter fonnte Napoleon nicht sprechen, die Thrdnen traten ihm in die Augen und erstickten feine Stimme. Auch der Prinz konnte seine Rährung nicht langer bergen, ergriff die Hand, welche der Kais ser. ihm überließ, und drückte fie mit der größten Innigkeit an feine Lippen. Napoleon zog ihn sanft an sich und umarmte ihn: ,,Ja, wiederhole mir, daß Du mich verlassen willst", murmelte er mit kaum vernehmlicher Stimme. ,,Niemals, Sire, nies male." Und der Kaiser, der sein Haupt abgewandt hatte, um feine Thränen zu verbergen, gab Eugen ein Zeichen mit der Hand, ihm begreiflich zu machen, daß er des Alleinfeyns bedürfte.

Von dem Tage an, wo der Kaiser Josephinen mit ihrer Zus Punft bekannt gemacht hatte, war sie mit feinem Fuß aus dem Palaste gewichen und nur selten in den Zirkeln der Tuilerieen erschienen; an ihrer Stelle hatte die Kaiserin Mutter die Hons neurs bei Hofe übernommen. Indeß wünschte Napoleon, daß die Kaiferin dem Tedeum, das zwei Tage darauf, den 2. Des zember, in der Kirche Notre Dame gesungen wurde, für die Jahresfeier der Krönung, die Schlacht bei Austerlig und den Wiener Frieden, beiwohnen sollte. Josephine, umgeben von den Mitgliedern der Kaiserlichen Familie, erschien auf dem Chor, Napoleon aber begab sich allein in großer Feierlichkeit nach der Kirche. Tages darauf mußte die Kaiserin noch einem Feste beis wohnen, das die Stadt Paris bei dieser Gelegenheit gab. Der Kaiser hatte gewünscht, daß dieses Fest früh begonne, um,,von feinem Voll to viel's und,,so wenig als möglich von Hofroben zu Gesichte zu bekommen. Deren sehe ich alle Tage genug", hatte er zu Herrn von Rémusat gefagt;,,da die Stadt Paris mir das Feft giebt, so will ich auch hauptsächlich die Einwohner von Paris auf meinen Wegen antreffen.“

Der Ball war prächtig; der Thronsaal unter Anderem strahlte von Blumen, Lichtern, Diamanten und Frauen, die einander an Glanz überboten, es schien eine wahre Feenpracht. Josephine traf zuerst ein; niemals war ihr Kostüm so blendend erschienen, niemals lag in ihrem awar immer fanften, aber an diesem Tage von einer tiefen Schwermuth umwölkten Gesichte ein so erhabes ner Ausdruck von Resignation. Vorüber an den ersten Beamten und den Angesehensten der Einwohner,,ihrer guten Stadt" nahm fie den Weg nach dem Thronsaal; langfam ging fie nach dem Throne, auf dem sie zum leßten Male figen sollte, ihre Augen schlossen sich halb, ihre Kniee bebten, und um nicht zu sinken, mußte fie auf den Arm der Frau von Larochefoucault, ihrer Ehrendame, sich stüßen. Ich fühle, daß mir die Kraft fehlt, hier auszuhalten", sagte sie mit erlöschender Stimme;,,es ist mir, als follte ich sterben." ,,Ein wenig Muth, Madame, alle Blicke sind auf Sie gerichtet", erwiederte diefe. Ach, wie drückt eine Krone!" sagte Josephine leise und versuchte, mit Jester Anstrengung ein Lächeln zu erzwingen; der Kaiser hat es Gleich darauf wurde die Napoleon's

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gemeldet; im Gefolge von fieben Königen erfdien er und feste fich neben die Kaiserin, nachdem er die meisten derer, die er auf feinem Wege getroffen, angeredet hatte. Das Fest begann. Napoleon, der sich liebenswürdig zeigen wollte, stand von seis nem Size bald auf, um die Kunde zu machen, aber bevor er von der Estrade stieg, neigte er sich zu Josephinen und sagte ihr einige Worte ins Ohr, wahrscheinlich sie zur Begleitung auf aufordern; denn sie stand augenblicklich auf.

Herr von Talleyrand, welcher in seiner Eigenschaft als Kammerherr hinter dem Kaiser stand, beeilte sich, ihm zu fols gen; aber er verwickelte sich in der Schleppe von Josephinens Mantel und brachte sie und sich selbst beinahe zu Falle. Kaum befreit, eilte er, Napoleon wieder zu erreichen, ohne ein Wort der Entschuldigung an Josephinen zu richten. Es ist wohl anzus nehmen, daß der Fürst von Benevent nicht die Absicht hatte, die Kaiferin zu beleidigen, aber ihm war keines von den Ges heimnissen des großen Drama's, das vor seinen Augen gespielt wurde, unbekannt, er wußte, daß der leßte Akt seiner Lösung entgegen ging, und dieser sonst so höfliche Mann hatte ein Jahr früher anders gehandelt. Josephine ihrerseits blieb stehen und jah ihn mit einem würdevollen Lächeln an, wie über eine Art von Ungeschicklichkeit, die sie sich Beide hätten zu Schulden Tommen lassen; aber zu gleicher Zeit füllten sich ihre Augen mit Thránen, ihre Lippen wurden bleich und bebten vor Zorn. Am Ende der großen Galerie angelangt, trennten fich IJ. MM; Napoleon ging rechts ab, die Kaiserin links. Alles drängte fich nun, fie au fehen; denn sie war gleich angebetet von der Bür gerschaft wie von den Hofdamen, die sie einstimmig als gut und nachfichtig rühmten. Auch ihre jeßige Betrübniß machte einen großen Eindruck auf die Menge; es war das leßte Mal, daß die Kaiferin im Publikum erschien.

Sobald die religiösen Förmlichkeiten, deren Beobachtung der Papst verlangt hatte, einmal erfüllt und das durch die Gefeße der Kirche vorgeschriebene Verfahren beendigt war, wurde die Sentenz vom Großoffizial des Erzbisthums Paris, Herrn von Boislèvre, gefällt. Napoleon's Heirath wurde für aufgelöst erklärt, und der Kaiser zu einer Buße von sechs Frans fen an die Armen verurtheilt. Als er, diefem formellen Urtheile fich unterwerfend, noch an dem nämlichen Tage 120,000 Frans Pen an die Maires von Paris zur Vertheilung an die Bedürfs tigsten ihrer Arondissements geschickt batte, wurde selbst jene Verurtheilung aufgehoben.,,In meiner Eigenschaft als Kaiser", fagte er munter,,,muß ich dieses Mal mehr zahlen als die Ans dereu. Aus diesem Falle kann man zugleich ersehen, welchen

Gehorsam der Kaiser den Gefeßen des Reiches in den Handlun gen seines Privatlebens bewies. Die vielerlei Unterhandlungen hatten beträchtliche Kosten sowohl für die Honorirung der Beis ftande als auch für die Rechte der Einregistrirung einer Menge nothwendig gewordener Altenstücke verursacht; diese Kosten wurs den nicht bloß sämmtlich dem Fiskus bezahlt, sondern von Nas poleon sogar aus seiner Privatschatulle berichtigt. Ein nicht mins der dramatischer Umstand wie alle übrige in dieser Episode der Scheidung war der, daß Eugen, dessen kindliche Zdrilichkeit für seine Mutter bekannt ist, die Functionen eines Staatskanzlers beim Senat erfüllte, d. h. daß er die Botschaft überbrachte, in welcher Napoleon dem ersten Staatskörper die Gründe auseinanderseßte, die ihn zu diesem Schritt veranlaßten. Die Thránen des Kais fers", sagte dieser edle Jüngling bei jener Gelegenheit,,,würden allein hinreichen, den Ruhm meiner Mutter sicher zu stellen."

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Und die ihrigen? Sie waren brennend, als die verhängniß volle Stunde schlug. Es war der 16. Dezember 1809. Schon hatte sich die Kaiserliche Familie wie alle Großwürdenträger des Reiches in der zu diesem Behufe eingerichteten Dianen Galerie der Tuilerieen versammelt. Napoleon saß auf einem erhöhten Sis zur Rechten des Erakanzlers. Regungslos wie eine Bilds fdule hielt er die Hände übereinandergekreuzt und die Blicke auf den Eingang nach den inneren Zimmern gerichtet. Pldßlich thuen sich beide Flügelthüren auf; zwei Pagen ordnen sich zu beiden Seiten, und der Huissier_meldet mit lauter Stimme: Ihre Majestät die Kaiferin und Königin. Bei diesen Worten entsteht im Saale eine Bewegung, der bald die tieffte Stille folge. Alle Blicke sind nach einer Seite hingewendet; der Kaiser steht auf, Josephine erscheint. Ein bescheidenes Musselins gewand umhüllt ihre Glieder, ein kleiner Kamm von Schildkrö tenschale vertritt die Stelle der gezackten Krone, welche gewöhns lich ihr glänzend schwarzes Haar einfaßte, ihre ganze Toilette zeichnet sich durch Einfachheit aus, nicht ein Edelstein, nur ein kleines Medaillon hängt an einer seidenen Schnur von ihrem Halse nieder; es ist das Portrait des Generals en chef der Itas liänischen Armee. Się ndhert sich langsam, gestüßt auf den Arm der Königin von Holland, die eben so bleich ist als ihre Mutter. Eugen, an der Seite des Kaisers, sieht starr vor sich hin und empfindet ein heftiges Zittern. Napoleon tritt zu ihm heran, drückt seine Hand zu wiederholten Malen mit Rührung:,,Keine Schwäche, nur noch ein wenig Muth", sagte er leise. Sire, ich hoffe, ihn zu haben." — Aber die Angst des Prinzen nahm zu, so daß man fürchtete, ihn sinken zu sehen. Währenddeß hatte fich Josephine in dem Vordergrund an ein Tischchen gefeßt, über das eine grüne Sammetdecke mit goldenen Fratzen gelegt war, und Napoleon, umherblickend, lud mit einem huldreichen Wink die Großwürdenträger zum Sißen ein.

Darauf las der Kaiserliche Prokurator, Herr Regnault, des St. Jean d'Angély, mit ziemlich unsicherer Stimme die Scheis dungs Urkunde vor. Feierliche Stille herrschte unter dem Lesen, eine bebe Kengßlicöleti malte fich auf allen Gefichtern, Jofephine allein schien rubig zu fenn; ihr Arm lag nachlässig auf dem vor ihr stehenden Tischchen, ihr Kopf hing hernieder, und über ihre Wangen rollten von Zeit zu Zeit große Thränen. Ihre Tochter, hinter ihr stehend, mit dem Ellbogen auf der Lehne des Stuhles ruhend, barg ihren Kopf in den Händen und schluchzte unaufs hörlich. Der Kaiser ließ seine unftäten Blicke durch den Saal schweifen und schien tausendmal_mehr als die Kaiserin zu leiden. Als die Urkunde verlesen war, stand Josephine auf, trocknete die Thránen und sprach mit fester Stimme die kurzen Einwilligungss Worte, die im Voraus für fe aufgefeßt waren; darauf nahm sie die Feder, welche Cambacérès ihr reichte, und unterzeichnete die Alte, welche Herr Regnault des St. d'Angély vor sie hingelegt hatte, und sogleich ihre Augen mit dem Tuche bedeckend, sog fie fich schweigend zurück, von ihrer Tochter unterstüßt, ohne nur eins mal um sich zu blicken.

Auf ein Zeichen Napoleon's war Eugen auf seine Mutter zugegangen, aber die Kräfte verließen ihn, und er fant ohne Bes wußtsenn zwischen die beiden Thüren der Galerie; der Huiffier und fein ihn begleitender Adjutant hoben ihn auf und trugen ihn nach dem Dienfisaal, wo ihm alle seiner bedenklichen Lage ges bührende Sorgfalt zu Theil wurde. Cambacérès und Talleyrand allein waren ohne Theilnahme geblieben die ganze Zeit, so lange diese so ergreifende und doch würdevolle Familien Scene gewährt hatte. Gewisse Leute, die Alles beobachten, machten die Bes merkung, daß während dieser traurigen Ceremonie, ganz gegen die Jahreszeit, ein schreckliches Unwetter über Paris wüthete. Heftige Regengiffe und erschreckliche Windstöße trugen Schrecken in Aller Gemüther, und man hätte sagen mögen, daß der Himmel feine Mißbilligung über eine Handlung an den Tag legen wollte, welche das Glück Josephinens zerstörte. Nicht minder auffallend war es, daß dasselbe Phänomen an gleichem Tage, zu gleicher Stunde in Mailand sich zeigte.

!

Von den mannigfaltigen Eindrücken dieses grausamen Tages erschüttert, begab sich Napoleon früh zu Bette. Er lag schon, als der Dienst habende Adjutant sich einstellte, um, wie man es nannte, die Ordre zu empfangen. Die Kammerdiener waren noch mit einigen Anordnungen in dem schwach erleuchteten Zims mer beschäftigt, als die Thür plößlich aufging und eine weiße Gestalt wie ein Gespenst sich seigte. Es war die Kaiserin, allein, die Haare in Unordnung, die Züge schrecklich entstellt. Napoleon, emporgeschreckt durch diesen Anblick, richtete sich im Bette auf, die Diener sogen fich in den Hintergrund des Zimmers zurüď. Wankenden Schrittes ndherte sich Josephine, und als sie bis zum

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