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Wie stark auch die Bande der Dankbarkeit und Liebe waren, welche Napoleon an Josephinen knüpften, so ist es doch außer Zweifel, daß er schon vor dem Jahre 1809 an die Trennung von ihr dachte. Aber so viel Verstand und Selbstbeherrschung er auch seiner Gattin zutraute, so schloß er dennoch aus den Opfern, die es ihm kostete, um wie viel schwerer es dem refignirenden Theile ankommen würde. Daher trug er sich lange mit dem Gedanken, ehe er ihn auszusprechen wagte. Fouché hatte zuerst die Kühnheit, diese zarte Saite zu berühren. Schon seit längerer Zeit hatte dieser hellsehende Mann denjenigen unter allen Plänen des Kaisers errathen, weichen dieser vielleicht am meisten zu vers bergen wünschte; und da nach seinem Dafürhalten der günstige Augenblick gekommen war, benußte er die Abwesenheit Napos leon's, der damals in Schönbrunn war, um ohne offiziellen Aufs trag sich zur Kaiserin zu begeben und ihr die Auflösung der Ehe zu rathen. Dieser Schritt erregte nicht minder den Verdruß Josephinens als den Zorn Napoleon's, und obgleich der Kaiser ihm nicht sogleich das Portefeuille entzog, so that er es nur einige Zeit später, aber nicht, wie man ohne Grund behauptet bat, auf Betrieb seiner Frau, sondern weil er selbst im Geheimen beschlossen hatte, eine Minister Veränderung vorzunehmen.

Tages vorher, ehe Fouché Josephinen diese Eröffnung machte, hatte dieje ihre Tochter Hortense, die mit dem ältesten ihrer Kins der sich zur Zeit in Paris befand, schriftlich aufgefordert, fie in St. Cloud zu besuchen. Als die Königin von Holland ankam, begegnete ihr im Hofe des Palastes die Prophetin Lenormand, deren Visionen ihre Mutter mit einem übermäßigen Preise bes zahlte. Zuweilen brachte die Kaiserin ganze_Tage damit zu, sich die Karten legen zu lassen und aus dem Kaffeefaße oder dem Weißen von Eiern das Zukünftige zu errathen. Die Weissagungen mußten diesen Tag ungünstig gelautet haben; denn Josephine war sehr traurig. Die Unterhaltung hatte etwa eine Stunde gewährt, und die Königin schickte sich zur Rückkehr nach Paris an, als ihre Mutter mit dem Lone des Vorwurfes sagte: „Du gehst schon, Hortense? —,,Das Befinden meines Sohnes beunruhigt mich, liebe Matter; ich werde morgen wiederkommen.",,Alle. meine Freunde zichen sich von mir zurück“, erwiederte sie schwers müthig,,,meine Kinder selbst verlassen mich in dem Zeitpunkt, wo ich meinen Tod fo nghe wähne." ,,Welch' ein Gedanke! verscheuchen Sie ihn, er thut Ihnen nicht wohl. Hat Jhre Zauberin Ihnen vielleicht eine ähnliche Vorhersagung gethan? fie würde wie alle übrige auf mwahrheit oder Einfalt beruhen." Mein Kind, ich weiß, was ich sage; ein großes Unglück fteht mir bevor, meine Tage find gezahlt, mein Leben muß mit dem Glücke Frankreichs endigen." ,,Sie beruhigen mich; denn Sie werden dann noch lange leben." Die Königin umarmie zärtlich ihre Mutter und nahm Abschied.

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Bemerkenswerth ist es, daß Josephine selten von ihren Vors gefühlen getauscht worden ist. Als die Königin am folgenden Lage in St. Cloud eintraf, fand sie ihre Mutter sehr leidend und niedergeschlagen; ihrem Gesichte war es anzusehen, daß fie viel geweint hatte.,,Uch, Du kommst zur gelegenen Zeit", war ihr Willkommen, indem sie in ihre Arme eilte; wenn Du wüßrest! eben ging Fouché von mir weg. Rathe, was er mir hat zu sagen gewagt? Dieser Mensch ist ein Ungeheuer." ,,Was ist denn vorgefallen? Sie erschrecken mich." ,,Er hat mir gesagt, daß ich Frankreich und Bonaparten ein großes Zeugs niß meiner Ergebenheit zu bringen hätte, daß der Kaiser der Nation in feinen Kindern Nachfolger hinterlassen müßte, um der alten Königsfamilie, die, wie Du weißt, in England ist, jede Aussicht auf Rückkehr zu benchmen." ,,Aber wo wollte er denn hinaus?" fragte die Königin mit einer Ungeduld, deren sle nicht länger Weißerin war. Seine Rede ging darauf hinaus, daß ich das einzige Hinderniß wäre, und daß es nur an mir Lage, den Kaifer noch an Größe zu übertreffen, wenn ich mich zu einem großmüthigen Opfer entschlösse; kurz, er hat von meiner Scheidung gesprochen." ,,Der Kaiser wird nie darein willigen; feine Anhänglichkeit an Ihnen und uns, feinen Adoptivkindern, ist mir zu genau bekannt." ,,Hortense, Du bist im Jrrthum; doch laß mich ausreden. Fouché hat mir gesagt, daß die Ges chichte von meiner Entsagung Rechenschaft abzulegen verpflichtet fey, und daß von nun an mein Rang über den erlauchtesten Frauen, die jemals die Throne der Welt eingenommen haben, bezeichnet schu werde." Daran erkenne ich ihn wieder mit seinem Phrasenschwulst; was haben Sie ihm geantwortet?" -,,Seine Unterredung hat mich so außer Fassung gejeßt, daß ich anfangs feine Worte finden fennte. Ich habe mir endlich Bedenkeit darüber erbeten und ihm in einigen Tagen Antwort zu geben

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liebe Tochter; Dir allein kann ich meinen Kummer anvertrauen, was denkst Du davon?" ,,Ach, Mutter, es liegt etwas Ent seßliches in dem Ganzen." ,,Glaubst Du, daß Fouché im Auftrage Bonapartens kommt und daß mein Schicksal schon ents schieden ist?" ,,Nach Ihrer Erzählung zu schließen, bin ic nicht ohne Furcht; indeß...." ,,Und ich in der vollen Ge wißheit", unterbrach sie Josephine;,,von einem Thron zu steigen, Postet mir wenig, und wer weiß besser, als Du, wie viel Thränen ich vergoffen habe, ehe ich ihn bestieg? Aber mit dem nämlichen Schlage auch den zu verlieren, dem ich meine theuers ften Neigungen geweiht habe, fiehe, Hortense, dieses Opfer geht über meine Kräfte; ich fühle es, daß ich daran sterben werde." Bei diesen Worten hatte Josephine ihre Hand aufs Herz gelegt und wurde bleich im Gesicht.

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Die Königin dachte wie ihre Mutter, daß Fouché - was indeß nicht der Fall war im Auftrage Napoleon's käme, weil es keiner langen Ueberlegung bedurfte, um einzusehen, daß, von wem auch diejer Plan ausginge, ob von Napoleon oder dem Polizei Minister, der nach dem Ruhm geizen mochte, einen folchen Gedanken zuerst ausgeheckt zu haben, diese Intrigue ihren gemeinschaftlichen Feinden zu viel Vortheile darbot, um so bald aufgegeben zu werden. Früh oder spát mußte dieses große Opfer gebracht werden. Meine theure Mutter", nahm die Königin das Wort, ich weiß Ihnen für den Augenblick nur einen einzigen Rath zu geben, nämlich, von dieser Unterredung gegen Niemanden etwas zu äußern und den Kaiser mit Vertrauen zu erwarten; dann sehen Sie zu, was er fagen wird. Wann hoffen Sie feine Rückkehr?" Mit Ende dieses Monats; er

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hat mir eine Zusammenkunft in Fontainebleau bestimmt. Dann muß er wohl von seinem Plane sprechen, und ich will mich häten, zuerst den Mund darüber aufzuthun.“ Josephine fand den Rath ihrer Tochter vernünftig und befolgte ihn; doch sollte fie nicht lange in Ungewißheit bleiben.

Napoleon hatte der Kaiserin wirklich von Schönbrunn aus geschrieben, daß er sich über München nach Fontainebleau beges ben würde. Seinerseits hatte der Ober: Präfekt des Palastes, Herr von Lucen, ein Schreiben vom Großmarschall Duroc empfans gen, mit der Nachricht, daß der Kaiser sein Haus zu Fontaines bleau spätestens den 28sten versammelt zu sehen wünsche, weil er den 29. oder 30. Oktober einzutreffen willens sey. Napoleon aber reiste nach seiner Gewohnheit mit einer solchen Schnelligkeit, daß er vier Tage früher eintraf, d. h den 26sten um ein Uhr Nach mittage. Mit Ausnahme Duroc's, den er bei sich hatte, des Couriers, der immer vor ihm her ging, und des Intendanten, fand er beim Aussteigen aus dem Wagen nicht einmal einen Ber dienten zu seinem Empfange bereit. Dieser Zufall feßte ihn in üble Stimmung, um nach der Art, mit der er zu pfeifen anfing, au urtheilen, wenigstens hatte es keine Aehnlichkeit mit seiner gewöhnlichen Weise. Indessen machte er dem Großmarschall feine Vorwürfe und begnügte sich, auf der Stelle nach St. Cloud den Courier abzufertigen, welcher seinem Wagen vorausgeeilt war, um der Kaiserin seine Ankunft in Fontainebleau zu melden. Inzwischen besichtigte er die neuen Zimmer des Schloffes, das während seiner Abwesenheit aufs prächtigste wiederhergestellt worden war, so daß es seinem ehemaligen Glanze umter Ludwig XV. nichts nachgab. Um fünf ́Uhr Äbends kamen einige Offis zianten des Kaiserlichen Hauses in Fontainebleau an. Kaum bemerkte Napoleon ihre Kutsche, so ging er hinunter und stellte fich vor die Oeffnung des Schlages.,,llud die Kaiserin?" fragte er heftig die noch drin Sißenden.,,Sire", erwiederte ein Wunds fod),, wir haben die Ehre, Ihrer Majestät der Kaiserin um zehn Minuten voraus zu seyn; vielleicht ist sie noch früher hier.“ ,,Gut", fagte der Kaiser und ging in das Innere des Pas lastes zurück, aber für sich murmelte er noch manches unverstandliche Wort zwischen den Zähnen.

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Endlich kam Josephine; es war spåier als sechs Uhr. Es mochie vielleicht das erste Mal in ihrem Leben seyn, daß sie eine folche Zusammenkunft verabsäumte, die sie weniger als einen Befehl, denn als eine Pflicht, deren Erfüllung ihr angenehm war, betrachtete. Dieses Mal war ihr Napoleon am mehrere Stunden vorausgceilt und wider seine Gewohnheit nicht vor ihr in das Empfangsimmer gegangen. Er faß in der kleinen Bis bliothek in dem Augenblicke, als die Kaiserin eintrat, nachdem sie ihn in den Gemächern umsonst gesucht hatte.,,So, fo", fagie er zu ihr mit frostigem Tone,,,find Sie endlich hier, Madame? Es ist wohl Zeit; ich wollte eben nach St. Cloud abreifen." Josephine, ohnedies gefngstigt durch ihren unfreiwilligen Verzug, fählte sich von diesem eisigen Empfange nach einer so langen Trennung schrecklich verlegt; voll Bestürzung suchte sie sich au enischuldigen. Aber Bonaparte", erwiederte sie ihm mit dem Tone des fanften Vorwurfes,,,cs ist Dein Fehler.... Du läßt uns sagen, daß Du in drei oder vier Tagen hier seyn wers deft, und erscheint heute wie aus den Wolken gefallen; wie bist Du denn gekommen?" ,,habe ich, genau befehen, doch immer Unrecht", rief Napoleon aus, indem er lange Schritte durch das Zimmer machte;,,wiederum mein Fehler, daß es sich so getroffen hat", fagte er mit bitterem Lächeln hinzu. „Madame, ich bin, wie ich es immer zu halten pflege, in meinem Wagen gekommen; habe ich Sie nicht länger als vierzehn Tage vorher von inciner Ans funft benachrichtigt? aber mit Euch muß man immer wieder von vorn anfangen.“ Diese Vorwürfe, an welche die Kaijerin zwar nicht gewöhnt war, mochten weniger die Veranlassung seyn su den Thranen, die ihren Augen entquollen, als die Umnande, uns

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Tone fortfahrend und fast ohne alle Schonung einer Empfinds lichkeit, die er nur selten auf die Probe gefeßt hatte, verwuns dete Josephinen aufs tiefste. Sie ihrerseits, gereist durch ein Verfahren, das sie nicht ohne Grund eine Ungerechtigkeit nannte, ließ einige frankende Ausdrücke fallen; der Kaijer blieb ihr die Antwort nicht schuldig, und zum ersten Mal kam das Wort Scheidung" aus seinem Murde. Da fühlte sich die unglückliche Josephine dem Umsinken nahe und ließ, die Hände ringend, nur diese von Schluchzen unterbrochenen Worte hören: „So ist es denn wahr? Nein, nein, mein Freund.. Bonaparte, ich bitte Dich, höre doch.... gerechter Gott, es ist unmöglich)." Sie fant auf ihre Kniee und streckte die Hände flehend nach Napoleon aus, der endlich inne wurde, daß er zu weit gegangen war. Beschámi, durch eine Aufwallung des Zornes so weit hingeriffen worden zu senn, näherte er sich seiner Frau, hob sie auf, und indem er ihre Hande in die feinigen faßte, sagte er mit zärtlicher Hingebung: ,,Nein, das wird nicht geschehen, verzeihe mir; sen ruhig, ich werde Dich nicht verlassen." Und er zog sie sanft an sich, sie zu umarmen. Ein Lächeln zeigte sich auf den Lippen Josephinens, die nicht antwortete, aber auch den sanften Umschlingungen ihres Gemahls keinen Widerstand entgegenseßte. Es ist wahr", fagte er,,,ich war heute übel gelaunt, es sey von dieser Sache nicht mehr die Rede unter uns, aber ein anderes Mal beeile Dich mehr." Josephine trocknete ihre Thrdnen, versprach dem Kais fer Alles, was er wollte, und verließ ihn, sum vor Tische sich noch umzufleiden. Meine Ahnung hat mich nicht getauscht", fagte sie zu sich;,,Fouché hatte Recht."

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Als sie Tages darauf vertraulich mit einer ihrer Kammer, damen plauderte, sagte sie nach einigen unbedeutenden Gesprächen: Ich habe Vertrauen zu Ihrer Anhänglichkeit, von der Sie mir fo viele Proben gegeben haben, und deshalb erwarte ich, daß Sie offen auf eine Frage antworten werden, die ich an Sie richten will." Die Dame versicherte die Kaiserin von ihrer Bes reitwilligkeit, ihren Wünschen Genüge zu thun. Ihre Offenheit mußte ihr um so leichter ankommen, weil bisher Niemand ihr eine Mittheilung gemacht hatte, die sie zum Stillschweigen vers pflichtete.,,Warum“, nahm Josephine das Wort,,,ist die Vers bindung, welche von meinem Zimmer in das des Kaisers führt, verschlossen gewesen?" ,,Madame, ich weiß es nicht", erwies derte jene mit einem Erstaunen, dem man das Natürliche ans sah; Ew. Majestät sind die Erste, die mir diese Witheilung machen." ,,Es hat seinen Grund, suchen Sie ihn einmal." -,,Madame, es ist mir, wie allen Damen, welche das Glück haben, Er. Majestät zu dienen, bekannt, daß große Reparaturen schon vor der Abreise Sr. Majestät des Kaisers nach Deutschland in dem Schlosse angefangen worden sind. Die Architekten, welche nicht vermutheten, daß Ihre Majestäten sobald Ihre Residenz zu Fontainebleau nehmen würden, haben nicht Zen gehabt, Alles in den vorigen Zustand zu bringen." Josephine machte eine leichte Bewegung mit dem Kopfe zum Zeichen ihrer Ungldubig, feit. Ihre Majestát kann auch an der Möblirung Ihres Zims mers sehen, daß die Reparaturen noch nicht beendigt find", ers wiederte die Dame. ,,Meine Liebe, es steckt darunter ein Ges heimniß, das ich zu verfolgen fcheue, aber leider nur allzuleicht errathe. Theilen Sie von meinen Gedanken Niemanden etwas mit." Hier brach die Unterhaltung ab.

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Der König von Sachsen langte in Paris an mit dem Prins zen Eugen, welchen Napoleon aus Italien hatte kommen laffen, ohne Zweifel, um seine Mutter zu trösten, wenn der_schmerz liche Augenblick gekommen wäre. JJ. MM. verließen Fontaines bleau den 14. November, um nach den Tuilerieen zurückzukehren. In den zunächst darauf folgenden Tagen kamen die Fürsten der Rheinischen Conföderation nach uhd nach in der Hauptstadt an, der König und die Königin von Bayern, der König von Württem berg und die übrigen Anhänger des Französischen Kaisers. Die Einen wurden in Elisées Bourbon, die Anderen in Privathotels, weiche Napoleon eigens für sie gemiethet hatte, einlogirt und alle Lage prachtig bewirthet in den Tuilerieen, an deren Mauern man indeß in einer Nacht einen Zettel mit den paar Worten ans heftete: Depot der großen Monarchen (Sires-, Königs und Wachs?) Fabrik. Alles lachte von Herzen über dieses schlechte Calembourg, nur der Kaiser nicht. Seine erste Sorge, als er nach Paris kam, war die, der geistlichen Obers Behörde von Par ris den Wunsch mitzutheilen, daß seine Ebe mit Josephinen für aufgehoben erklärt würde; und eine Sache von so zarter Natur murde unter dem Siegel des Amts-Geheimnisses betrieben. Nas poleon wählte sich nur einen einzigen Vertrauten in dieser Ans gelegenheit, den Großmarschall Duroc, der, stumm wie das Grab, gewis Niemanden eine Mittheilung machte. Dennoch war der ganze Hof bald davon unterrichtet. Es scheint mit manchen Ereignissen wie mit gewiffen Leidenschaften zu gehen, die nicht lange verborgen bleiben können.

(Fortseßung folgt.)

Belgien.

Lüttich und seine Denkmäler.
Zweiter Artikel,*)

Wir sind nun in der Geschichte Lüttichs zu dem Zeitpunkte gelangt, wo im Volke, nachdem es feine materiellen Bedürfnisse *) S. Nr. 82 des Magazins.

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befriedigt hatte, sich der Wunsch nach höheren Gütern zu regen anfing. Wir haben gesehen, wie diesen Wünschen zum Theil unter Albert von Cund durch die Verleihung einiger für diese entfernten Zeiten sehr merkwürdigen Privilegien genügt wurde. Denn als noch alle Nachbar Völker unter einer Art von Feudals Dienstbarkeit schmachieten, las man schon auf der ersten Seite der Lütticher Constitution:,,Keine Anordnung von Abgaben ohne Bewilligung der Gemeinde. Der Bürger von Lüttich kann nur vor das Schöffen Gericht gestellt und seine Güter nicht konfiszirt werden. Das Haus eines Bürgers ist geheiligt. Der arme Mann ist König in seinem Hause. Die Einterferung eines Bürgers kann nur auf einen Verhaftsbefehl stattfinden, der von den Schöffen erlassen ist.“

Unter Johann von Aps, Wilhelm dem Savoyarden und Kos bert von Langres, welche auf Hugo von Pierrepot folgten, fiel weiter nichts Merkwürdiges vor, als die Einfeßung der ersten Lütticher Bürgermeister im Jahre 1242, welche den Namen Zeits meister oder Stadtmeister führten. Einige Geschichtsschreiber halten diese Einseßung für viel alter; was das Schöffenwesen anbelangt, so bestand dies in Lüttich schon vor dem zehnten Jahrhundert.

Uebrigens muß man bis gegen das Jahr 1250 hinaufsteigen, um die ersten günstigen Verordnungen für die Kleinen oder die gemeinen Leute, wie man sie auch nannte, aufzufinden. Im Laufe dieses Jahres wurde unter anderen eine Verordnung gegen die Kleiderpracht bekannt gemacht, und man verbot, insfünftige Geld aus dem öffentlichen Schaß zur Bewirthung der Ritter zu neh men, welche in den Orden aufgenommen wurden, wegen der großen Ausgaben, die aus solchen Festlichkeiten entstanden. Beim Empfangen des Ritterschlages schworen die Ritter, bis zum Tode die Rechte der Lütticher Kirche und die Freiheiten der Geistlichs feit zu vertheidigen, die Unschuldigen und die Minderjährigen zu beschußen, für das Wohl des Landes zu kämpfen und entweder jeden Tag die Leidensgeschichte Jesu Chrifti selbst zu lesen, oder fie fich vorlesen zu lassen; darauf legten fie ihre Rüstung an, fliegen zu Pferde und gaben eine Probe von ihrer Geschicklich, feit und Tapferkeit in ritterlichen Uebungen; da aber, sagt ein Geschichtsschreiber, diese Feste viel lofteten, und das Volk die Ausgaben bezahlen mußte, so fand man es für gut, fie aufzus heben. Eine andere nicht weniger wichtige, die Handels, Polis sei betreffende Verordnung erschien im folgenden Jahre. Sie führte den Namen,,Verkaufs,Brief" oder,,Brief in Bezug auf die verkäuflichen Dinge.”

Jeg kommen wir zur Regierung Heinrich's von Geldern, einer Regierung voll Ausschweifungen und Sittenlosigkeit, aber auch voll Heldenmuth und Größe. Es ist dies der denkwürdigste und dramatischste Zeitpunkt in der Geschichte Lüttichs. Hier ein Bischof, welcher sich damit brüstet, sechzig natürliche Söhne zu besigen; hier ein Volkstriban, der den größten Männern des Alterthums würdig zur Seite steht und sein ganzes Leben der Befreiung und der Erhebung der Kleinen widmet! Es waren damals in Lüttich nur ju viel Elemente zu einem langen sûgels losen Kampfe vorhanden, und der geringfügigste Umstand konnte Alles in Gahrung bringen. Dies geschah auch in der That, und wir führen hier die erste Scene aus dem blutigen Drama an, welches vier Jahrhunderte lang spielte.

Der Diener eines Domherrn von St. Lambertus, der seinen Herrn mit einem Bürger im Handgemenge fah, beeilte sich, dems selben beizuspringen, und verwundete bei dieser Befreiung den Bürger mit mehreren Dolchstichen. Ohne auf das Diplom Kaiser Heinrich's IV. Rücksicht zu nehmen, welches der Lütticher Geists lichkeit, mit Ausschluß der weltlichen Richter, das Recht zuger fland, die Diener der Geistlichen zu bestrafen, ließ das Schöffens Gericht den Schuldigen sogleich ergreifen und verbannte ihn. Die Domberren, welche darüber sehr aufgebracht waren, redeten Heinrich von Geldern heimlich auf, der auch das Urtheil des Schöffengerichtes kassirte; dieses nahm aber gar keine Notiz das von, und es herrschie die vollkommenste Anarchie unter den vers schiedenen Staatsgewalten; da steigerte ein zweiter Word, der auf dem Markte unter den Augen des Polizei Beamten vollzogen wurde, die allgemeine Aufregung bis aufs Aeußerste.

Heinrich von Geldern wollte diese Ereignisse zur Vergrößer rung seiner Macht benußen; er erklärte also, daß er sich in Zur funft die Oberaufficht über die Gerichtsbarkeit vorbehalte, damit dieselbe besser gehandhabt und dem Armen wie dem Reichen gleich schnell fein Recht zu Theil werde. Das Voll, welches sehnlichst wünschte, sich von den Erpressungen des Adels freizus machen, nicht einsehend, daß es auf diese Weise nur den Herrn wechile, sollte diesem Vorschlage den lebhaftesten Beifall; daffelbe war jedoch nicht der Fall bei den Geistlichen und den Schöffen, die darin die Vernichtung aller ihrer Privilegien und der Ges richishöfe des Landes erblickten. Sie verlangten, sich über diesen Punkt mit dem Dom Kapitel zu berathen, und in dieser Vers fammlung sprach sich Frank von Visé mit Kraft und Rachbruck über das Vorhaben des Fürsten aus, mischte aber in seine Rede einige beißende Stellen ein, welche die Domherren beleidigten. Unglücklicherweise machte einer der ArchisDiakonen dem Redner eine drohende Geberde; darüber wüthend, verließ er sogleich die St. Lambertus Kirche, durchlief die Straßen und Pläße der Stadt, erregte das Volk und schrie unaufhörlich, das Kapitel wolle nicht allein die Freiheit des Volles untergraben, sondern auch das Leben der Bürger gefährden. Das war das erste Mal, wo der Adel dem Volte das Wort Freiheit zurief!

In Eil bewaffnete sich ein Jeder; man lautete die weiße

Glocke, und Frank von Bifé stürzte als Anführer des eraärnten Haus fens auf das Haus des Archis Dialonen los, deffen feßte Thür er au sprengen versuchte. Das Kapitel seinerseits lautete mit allen Glocken der Kathedrale, und nun versammelten sich die Großen and Kleinen, die Geißtlichen und Laien, die Ritter und die bes waffneten Leute auf den öffentlichen Pidsen, die Meisten gans ohne Grund, ohne zu wiffen, weshalb; fie liefen ohne Sinn und Verstand durch die Straßen und folgten ihren Launen, wie das immer bei Unruhen und Volks Tumulten der Fall ist. Die größte Verwirrung herrschte in Lüttich; der Erzbischof verließ die Stadt und belegte fie mit dem Bann; doch endete dieser ganze Aufruhr so wie alle in jenen ersten Seiten; die Bürger mußten mit ents blößtem Haupt und nackten Füßen dem Fürsten und der Geistlich feit entgegenziehen, und die Schöffen wurden verurtheilt, an die St. Lambertus Kirche idhrlich neun Anker Wein als Sühne au entrichten.

Diesmal hatte der Erzbischof den Sieg davongetragen, aber eine große Veränderung bereitete sich in der Lage des Volkes vor. Der Adel und die Schöffen, die immer aus diesem ge wählt wurden, über die Handlungsweise des Fürsten erzurnt, wollten sich mit denen verbunden, die sie bis dahin unterdrückt batten; sie wünschten sich mit dem Volle zu vereinigen, um die Geistlichkeit zu stürzen, nicht vorausseheud, was dann eintreten würde, wenn Volk und Adel sich allein einander gegenüberstan: den. Deshalb wendeten sie sich an einen Mann, der bei den Bürgern sehr viel galt, an Heinrich von Dinant; dieser aber antwortete ihnen, es sen den Kleinen sehr gleichgültig, wer der Herr sen, ob der Adel oder die Geistlichkeit, sie wdren von dem einen so oft wie von der anderen mißhandelt worden, und es würde ihm sehr schwer fallen, das Volk für ein solches Bündniß günstig zu stimmen, wenn die Schöffen den Bürgern nicht das Recht zugestanden, die beiden Stadtmeister selbst zu wählen. Das war, wie man sieht, recht eigentlich die Wiedererweckung einer Epoche des alten Rome, eine neue Schöpfung zweier Volks: tribune; aber die Patrizier merkten die Falle nicht. Das beab fichtigte Bündniß tam, dem Bischof zum Troß, zu Stande; Heinrich von Dinant selbst und Johann Germeau waren die beiden Erwählten, und das Boll ließ sie schwören, die Freihei ten und Privilegien der Stadt aufrecht zu erhalten gegen Jeden, der dieselben angreifen würde.

Bon diesem Augenblick an gab es im Staate noch etwas Anderes als Adelige und Priester, als Große und Geistliche, es gab auch Kleine, die man früher nicht beachtet hatte, und die nun bald anfingen, fich furchtbar zu machen. Kaum zum Stadts meister ernannt, feßte Heinrich von Dinant eine Bürgermilis ein und theilte die Stadt in zwanzig Viertel, die dem Dberbes fehl von zwanzig aus dem Volk erwählten Hauptleuten anvers traut waren, von denen jeder 200 Mann kommandirte. Nun begann ein Kampf zwischen diesem furchtbaren Tribun, dem Erzbischofe und dem Adel. Die vielen Anstrengungen rieben jedoch vald die Lebenskraft des Volksvertheidigers auf, und bevor er starb, fah er noch einen Theil des mit Mühe Erkämpften wieder ver loren gehen.

Während dieser ernsten politischen Ereignisse waren mehrere wesentliche Veränderungen in der Stadt bewerkstelligt worden. Man hatte verschiedene polizeiliche Maßregeln zu ihrer befferen Bewachung getroffen, denn wenn die Bürger, die an den Kriegs: sugen theilnahmen, abwesend waren, fonnte die Stadt aus Man: gel an vertheidigungsfähigen Leuten leicht überfallen werden, und andererseits wurden die Kräfte des Staats wiederum ansehn lich vermindert, wenn man eine Garnison für Lüttich davon zus rückbehielt. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, gewährte man den Bewohnern des flachen Landes und des Weichbildes, die für den Krieg weniger tauglich waren, allerhand Freiheiten und Privilegien, unter der Bedingung, daß sie mit bewaffneter Hand die Thore und die wenigerfesten Orte bewachten, wenn die Bürgerschaft auf irgend eine Expedition ausgerückt war.

Im Jahre 1255 ließ der auf sein Ansehen eifersüchtige Fürst auf der St. Walburgishöhe, tros dem Widerstand der Schöffen, eine Citadelle erbauen und die Festungswerke der Stadt bis zum Heidens Thor niederreißen. Aber die Lütticher", so erzählt Mes lart in seiner naiven und malerischen Weise, find nicht so ges schmeidig und fügfam gegen alle ihnen auferlegten Gefeße und Laften, wie andere Völker; und da sie die festen Mauern des St. Walburgis Schloffes immer vor der Nase hatten, was sie an jedem Aufstand verhindern sollte, so versuchten sie, es nieder: zureißen und den Ort zu zerstören, um ihre alte Freiheit wieders auerlangen." Das geschah denn auch im Jahre 1269.

Eines Tages, als in der ganzen Stadt ein Fest gefeiert wurde, der eine Stadtmeister Johann des Marets heirathete gerade die schöne Aigletine, die Tochter des Schöffen Alard Pagnois, und alle Offiziere der Garnison zur Hochzeit geladen waren, stiegen die Soldaten, welche auch Theil an den Luftges lagen nehmen wollten, zur Stadt hinab, sogen die Zugbrücke auf und ließen nur eine Frau zur Bewachung der Festung zurück. Einige Bürger, die davon benachrichtigt waren, faßten den Ents schluß, diese zu überfallen. Sie stellten sich nahe bei der Brücke im Hinterhalt auf, und einer der listigsten ging auf das Thor los und rief die Frau mehrmals bei ihrem Namen. ,,Was wollt ihr?" fragte diefe endlich. -,,Euch einen Korb voll Weins trauben für einen der Offisiere der Garnison einhändigen", ant

wortete freundlich der Bürger,,,lasfet die Brücke herab." 3 fann nicht", erwiederte fie, man hat mir streng verboten, Jemanden einzulaffen.",,Nun", sagte der Mann,,,bier steht der Korb auf dem Rand des Grabens, ich habe meinen Auftrag ausgerichtet, mag daraus werden, was will!" So sprechend, entfernte er sich und versteckte sich in eine nahe Mauervertiefung. Einige Zeit lang war die Frau unentschieden; fie war allein; es war nichts dabei zu besorgen; ein Vorübergehender fonnte den Korb fortnehmen; dann war fie auch eine Tochter Evens, und die Weintrauben lockten sie. Sie ließ die Brücke herab, trat saghaft näher und wollte eben den Korb ergreifen, da sprang der listige Bürger auf sie los, packte fie fest in seine Arme und rief feine Gefährten herbei, die sich schnell in die Citadelle stürzten und ausriefen: Das Schloß ist erobert, das Schloß ist erobert!" Bald folgte ihnen eine Menge von Handwerksleuten, die auf der Stelle alle Festungswerke niederriffen und die Burg ganglic zerstörten.

Das war ein arger Angriff gegen die Oberherrschaft des Fürsten, und das Voll mußte 3000 Mark Silber zur Erbauung einer neuen Festung zahlen. Man sieht, die Bürger hatten durch die Zerstörung der Citadelle nicht viel gewonnen, aber fie tröstes ten sich, indem sie der Zeit gedachten, welche ihre Wiedererbauung fostere, und vielleicht fannen sie auch schon auf Mittel, dieselbe aufs neue zu überfallen. Diejenigen, welche gern wissen wollen, wie oft fich dies Drama in einem Zeitraum von fünf Jahrhuns derten wiederholte, dürfen nur die merkwürdige Geschichte des St. Walburgis: Berges" von Bovn lesen.

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Die Regierung Heinrich's von Geldern wurde, wie schon gesagt, durch die abscheulichsten Ausschweifungen und die größte Sittenlosigkeit befleckt. Der Papst Gregor X. schrieb deswegen einen Brief an den Bischof, den der Domherr Hocfem, ein Zeits genoffe Heinrich's, in seine Geschichte aufgenommen hat. ruft der ehrwürdige Papst mit Schmers aus, nachdem er die lange Aufschlung aller Laster vollendet hat,,,was soll aus dem Volle von Lüttich werden, das Gott Deiner Sorgfalt anvertraut bat, wenn Du es der heiligen Nahrung beraubst und es durch lasterhafte Beispiele verdirbst? Kann die Heerde Weiden auffins den, die der Hirt selbst nicht kennt? Kann sie sich selbst auf den Weg leiten, den ihr Herr verlassen hat? Wie soll sie sich von der Ansteckung heilen, die von Dir ausgegangen ist, von Dir, der Du ihr Arst seyn solltest?"

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Bekanntlich wurde Heinrich von Geldern 1274 vor das Kons silium von Lyon gefordert und sollte hier durch den Papst abges fest werden, zog es aber vor, diesem entehrenden Urtheil dadurch auszuweichen, daß er von selbst allen seinen Pfründen entfagte. Von diesem Augenlid an fügte er den Lüttichern alles mögliche Uebel su; nur gegen Lösegeld ließ er diejenigen los, deren er fich bemachtigen konnte, und plünderte Schlösser und Dörfer. Der Haß gegen ihn war so groß, daß man dem, der ihn lebend oder todt fangen würde, zwanzig Pfund Groschen zusagte. Er ents leibte sich endlich selbst im Jahre 1283 auf dem Marquisat von Franchimont. (J. d. L.)

Mannigfaltiges.

Deutsche Beiträge zu Savone's Panorama de l'Allemagne. In der neuesten Lieferung dieser Zeitschrift, welche die Franzosen über Deutsche Zustände unterrichten soll, finden wir unter Anderem auch zwei Artikel von Laube, der sich in diesem Augenblick selbst in Paris aufhält, und von Theodor Mügge, vermuthlich beide in Deutscher Sprache eingesandt und von der Redaction ins Französische übertragen. Der erstere handelt von Chamisso und stüßt sich, was die Data über das Leben dieses Dichters betrifft, auf Hizig's Mittheilungen in der Allgemeinen Beitung und auf Notizen in Varnhagen's Denkwürdigkeiten. Der lestere ist die historische Einleitung zu einer Schilderung von Bers lin, der eine lithographirte Ansicht dieser Stadt beiliegt, bei wels cher jedoch die Phantasie dem Auge oder Gedächtniß des Zeichners arg mitgespielt hat, denn stände nicht im Vordergrunde das Mos nument des Kreuzberges, auf dessen Spize sich übrigens seltsamer Weise ein Halbmond unter das Kreuz verirrt hat, man würde in dem Bilde schwerlich die Hauptstadt Preußens errathen. Beffer gelungen ist das Portrait Chamisso's, welches Laube's Auffay beigegeben ist, und das in legterem einen recht geists reichen, nur, wie uns scheint, den Franzosen gegenüber doch mits unter etwas zu docirenden Kommentar findet. Viel besser kleidet den Verfasser die Sprache des Herzens, als die des Katheders. Wir haben Chamisso geliebt", sagt er, dessen Verhältniß zu feinem Adoptiv Vaterlande schildernd,,,und wir werden stets mit Liebe feiner gedenken. Chamisso, der aus der Fremde zu uns gekommen war, gehört zu der kleinen Zahl der glücklichen Dichter, die nie eine splitterrichtende Kritik verfolgt hat; er fand in Deutschland keinen einzigen literarischen Gegner, der ihn im mindesten getränkt hätte, sen es nun, weil er mit keiner Partei sich einließ, oder weil man, den alten Landessitten getreu, den Gast heilig hielt, der mit solchem Vertrauen an unserem Heerd sich niedergelassen. Wollten wir uns fer gutes Benehmen gegen ihn beflecken, so würden wir Sie um ein gleiches für einen unglücklichen Deutschen Dichter bitten, der sich zu Ihnen geflüchtet. Sie werden uns die Bitte erlassen, und es wird in Zukunft teiner Frage mehr bedürfen über diese zur täglichen Gewohnheit gewordene Gastfreundschaft."

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vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er. höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

Ꮧ 91.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei dem: Wobudbl. Post - Aemtern,

Literatur des Auslandes.

Italien.

Berlin, Mittwoch den 31. Juli

Betrachtungen eines Engländers in Rom.

Alle Fremde desuchen das Kolosseum, und bei der Betrach tung dieser Ruinen sind alle von poetischen Empfindungen erfüllt oder geben wenigstens vor, es zu seyn. Ein Jeder spist seine Feder und versucht zu beschreiben, was er gesehen, gefühlt, ges träumt. Jeder wählt die passendste Zeit und den günstigsten Augenblick für die Erregung der Gefühle, welche das majestds tische Bauwerk erwecken foll. So vermeidet der Reisende bei seinem ersten Besuche sorgfältig das helle Tageslicht; er flieht die Gemeinschaft mit jenen materiellen und prosaischen Leuten, die sich auf die Schönheit des Mondscheins so wenig verstehen. Es giebt sogar Schriftsteller, welche den Rath ertheilen, das Kos losseum nur mit leerem Wagen zu besuchen, weil man dann für solche Gefühle besonders empfänglich sey, oder auch nachdem man die Erleuchtung der Charwoche mit angesehen. Mistreß Storke empfiehlt vor Allem die Zeit des zweiten Mondviertels für dieses Schauspiel. Wozu das Alles? Man gehe nur um Mitters nacht dahin, wie ich es that. Ein leiser Luftzug bewegt die Epheuranten um mich her; unverschleiert zeigt sich die volle Helate und strömt ihre Lichtfluthen über die ganze Gegend, über die Hügel, die Bogengange, die Tempel und Springbrunnen aus; es ist kein goldener, aber ein milder, zarter, reicher und harmonischer Lichiglanz, wie man ihn selten an einem anderen Himmel als dem Italischen gewahrt. Ich ersteige die höchsten Stufen, die man erklimmen kann. Das Geräusch von den Trits ten der Schildwache, welche die Arena durchschreitet, dringt nur dumpf zu mir herauf. Alles ist ruhig; nur der klagende Schrei der Eule, die auf dem Bogen des Konstantin hockt, und das Platschern eines Springbrunnens unterbrechen die Stille. Nichts stört den Zauber, ein Glück, das dem Alterthumsfreunde in Rom nur selten zu Theil wird. Keine Stadt eignet sich in der That weniger zum Beschauen der Trümmer der Vorzeit; in die ernsten Erinnerungen der ewigen Stadt mischen sich jeden Augenblick moderne Schauspiele und Getümmel aller Art. Das alte Rom steht mitten unter dem neuen; feine Tempel verpestet ein Fischs geruch, feine Paldste sind in Ställe verwandelt, seine Theater in Krambuden; im Mausoleum des Augustus giebt eine Truppe von Jongleurs und Reitern ihre Vorstellungen, und Verkɗufer von gebackenen Ekwaaren haben sich unter dem Portikus des Oktavian angesiedelt. Wer nach Rom kömmt, um hier den Ein: druck zu genießen, den Ruinen sonst hervorbringen, wird sehr enttäuscht werden. In einer poetischen Stellung hat er sich ir gendwo niedergelassen, der Blick ruht auf einem alten Denkmal, eine füße Schwermuth durchdringt sein ganzes Wesen, mit Ents aücken schweigt er darin, da ertönt plößlich das Geflimper der zinnernen Becken eines Bettlers, oder das Geschrei einer Hökerin, oder sonst ein entzauberndes Gerdusch, und wie beim Krdhen des Hahnes verschwinden die heraufbeschworenen Schatten. Traurig und unzufrieden kehrt er nach seiner Behausung zurück und vers gleicht sich mit jenem Unglückseligen, der an einer köstlichen Tafel fißt und dem eine unsichtbare Hand alle Gerichte nach einander fortnimmt, wenn er sie berühren und seinen Hunger stillen will. Der Römischen Trümmer überdrüffig, mag der Alterthumsfreund fich im Geist in die unendlichen Ebenen von Theben oder in die Wüsten von Palmyra verseßen; in jenen schweigsamen Einöden wird er nach feinem Gefallen leben können; hier aber ist Alles bunt durch einander gemischt, Todte und Lebende, Kaisers und Papfts Stadt, Vergangenheit und Gegenwart, Geist und Materie. Und welchen Tauschungen ist man nicht ausgefest! Ueber Urs sprung, Geschichte und Bestimmung des größten Theils der Alters thümer giebt es wenigstens ein halbes Dußend der widersprechends Ren Theorieen. Das ist ein Tempel", sagt der Eine. ,,Ein Bad", spricht der Andere.,,Nein, ich versichere Ihnen, es ist ein Palast", schreit ein Dritter. Ich habe die sichersten Bes weife dafür aufgefunden, daß es eine Kirche ist", versichert ein Vierter. Der entzückte Reisende bewundert eine hohe Sdule. Man sagt ihm, daß fie aus der Zeit der Republik herftamme und zu den wenigen Ueberresten dieser heroifchen Periode gehöre. Gleich umgiebt feine Phantasie fie mit gaufelnden Erscheinungen; um diese Saule versammelten sich einst die berühmtesten Bürger des alten Roms, die tugendhaftesten und edelsten Römischen

1839.

Frauen; nun steht sie geheiligt vor seinen Augen; er ist glücklich, die Trummer vor sich zu sehen, welche die Gegenwart mit einer der schönsten Epochen aus der Geschichte der Menschheit verbine den... Wie groß ist nun aber sein Schmerz, wenn er, nach Hause zurückgekehrt, eine Beschreibung der Alterthümer Rome nachschlägt und hier ganz entschieden nachgewiesen findet, daß dieselbe Sdule nicht zur Zeit der Republik, sondern fünfhundert Jahre später, während des Verfalls des Kaiserreiches, von einem der abscheulichsten und ausschweifendsten Kaiser errichtet wurde. Solche Mißgeschicke ereignen sich oft. Bei so vielen vers schiedenen Meinungen ist das Kligste, was man thun kann, dier enige anzunehmen, welche einem Denkmal des Alterthums das höchste Alter zuschreibt und die ruhmwürdigsten Erinnerungen daran knüpft. Oft irrt man sich, doch das schadet nichts; man war gerührt, man hat einen köftlichen Augenblick voll Vergnügen und Entzücken durchlebt, war das nicht schon genug?

Was nun das Kolosseum betrifft, in welchem ich jest auss ruhe, so ist dies ein Gegenstand auch nicht des geringsten Zweis fels; tausend ganz authentische Beweise belehren uns über seine ehemalige Bestimmung, und selbst die Ungläubigsten können sich den Phantasieen, zu denen es anregt, ruhig hingeben, ohne eine Tduschung fürchten zu müssen. Es ward von Flavius Vespas sianus 72 Jahr nach Christo begonnen, und man brauchte vier Jahre zu feiner Erbauung; es ist von länglicher Form, sein Ume fang wird auf 1741 Fuß und seine Höhe auf 179 Fuß geschäßt; die ebenfalls langliche Arena ist 300 Fuß lang und 199 Fuß breit; durch achtzig Bogen, welche in der dußeren Mauer ange bracht sind, trat man in dieselbe ein, und sie fonnte hunderts tausend Zuschauer fassen; von den Steinen, welche ursprünglich zu dem Gebäude gehörten, ist jest nur noch ein Drittel vorhane den, von den fehlenden zwei Dritteln wurden verschiedene Pas läste und Kirchen erbaut; jest ist die Arena dem katholischen Gottesdienst geweiht und mit vierzehn Gemälden geschmückt, welche die Stationen des Weges zur Schädelstätte vorstellen; in der Mitte derselben erhebt sich ein Kreuz, auf welches man nur einen einzigen Kuß zu drücken braucht, um auf 200 Tage Ablaß zu erhalten. So thront der chriftliche Spiritualismus auf den halb eingestürzten Denkmälern des antiken Materialismus,

Können aber bloße Beschreibungen eine Vorstellung vom Kolosseum geben? Weder Anmuth noch Schönheit maß man in den Werken der Römer suchen; es ist das Unermeßliche, die riesige Größe, der Pantheismus, die weder durch Abbildungen noch durch Worte wiederzugeben find.

Für mich hatte der Anblick dieser Ruinen durch persönliche Beziehungen noch mehr Reis. Wenige Monate früher irrte ich an den Ufern des Mississippi umher; heute stehe ich an denen der Tiber; ich fam von einem Extrem zum anderen; von der Wiege eines noch in der Kindheit stehenden Volkes trat ich an das Grab eines todien Volkes. Ich sah unberührte Wälder, aufsproffende Siddie, neue Institutionen, junge und kraftige Völker, die an ihrer Gestaltung arbeiteten, die noch eine Bahn voll Ruhm oder Schmach zu durchlaufen hatten, die der Vergangenheit den Rücken wendeten und den Blick in die Zukunft richteten; undnun stehe ich an umgestürzten Sdulen, an zerstörten Tempeln, neben eingefunkenen Palästen, mitten unter den leßten Zuckungen eines Volles, welches seine Zeit durchlebt hat und begraben ist. Dort fühlte ich in meinem Herzen die Hoffnung frisch und freudig, hier drängt sich mir nur eine traurige, daßtere Erinnerung auf. Die Stunden eilen dahin, und plößlich entreißt mich ein Gerdusch meinem Nachdenken. Es sind Deutsche, die sich an den schönen Abenden nach dem Kolosseum zu begeben und dort manch' hübsches Lied zu singen pflegen. Nur kurze Zeit währte dieser reizende Gesang; bald vernahm ich nur noch das Plätschern des herabfallenden Wassers und den Schrei der Eule von dem Bogen des Konstantin. Ich erhob mich und folgte den Deutschen Künstlern zu Thorwaldsen's Werkstatt.

Mein Führer ging vor mir her, und nach wenigen Minuten befanden wir uns bei dem berühmten Dänischen Bildhauer. Thorwaldsen selbst war abwesend. Sein vorgerücktes Alter vers bietet ihm jest große Arbeiten, seine Schüler führen fast alle feine Statuen und Gruppen aus, der Weister begnügt sich damit, durch einige Weißelschlage das Ganze zu vollenden. Sein Atelier besteht aus fünf oder fede Zimmern, die alle mit Kunstgegenstans den und Werkwürdigkeiten angefüllt sind; in einem derselben sah

ich drei Thon Modelle. Diese erste Darstellung der Idee des Bildhauers nimmt die höchste Kraft seines Genius in Anspruch;, die darauf folgenden Verrichtungen, wie der Abguß und die Auss führung in Marmor, sind eigentlich rein mechanisch.

In einem zweiten Zimmer standen verschiedene Marmorblöcke, die einen roh, wie sie aus dem Steinbruch hervorgegangen waren, die anderen schon bearbeitet. Hier ragte ein Arm aus dem leb Losen Steine hervor, da ein Bein; hier war ein Kopf faum aus gedeutet, dort schien eine große ganz vollendete Gestalt sich nur noch beleben zu wollen. Eine Christus Statue feffelte ganz vors züglich meine Aufmerksamkeit; der Ausdruck ihrer Physiognomie hatte etwas himmlisches; dem Marmor war ein übermenschlicher Charakter aufgeprägt, der Körper anmuthig geneigt, und das Ganze drückte die hingebendste Demuth aus, aber die Demuth eines himmlischen Wesens. Beim Anschauen dieser Statue fühlt man sich frei von allen irdischen Banden, man erstaunt über die geheimnisvolle Macht der Kunst, die dem Stoff Gedanken, dem Stein eine edle Seele einhaucht. Welche Annäherung des Ges schöpfes an den Schöpfer! Fast überschreitet es in seinen Werken die Granze, die das Leben von dem Nichts trennt; dem Marmor flóßt es die menschlichen Leidenschaften ein, es befiehlt ihm, zu dens ken, zu lieben, zu haffen, zu fürchten, zu hoffen, und er gehorcht.

In einem Nebensaale stand die Statue einer Russischen Für stin; es war das schönste Werk der Art, was ich je erblickte. Unter einer Menge von interessanten Gegenständen bemerkte ich auch Thorwaldsen's Büste; sie stellt den Künstler in einem Alter von ungefähr sechzig Jahren vor. Wir scheint Thorwaldsen etwas Aehnlichkeit mit Franklin zu haben; es ist dieselbe philoso phische Ruhe, derselbe kräftige, wohlwollende und rechtliche Auss bruck. Sein Styl ist großartig und akademisch.

Reich an Ruhm und an Jahren, zieht sich Thorwaldsen nach feiner Vaterstadt Kopenhagen zurück. Er läßt zahlreiche Schüler in Rom, aber bis jest scheint keiner derfelben würdig zu seyn, der Erbe seines Talentes und seines hohen Rufes zu werden.

Welt sendet, ist man gewiß deshalb kein größerer Künstler, als
wenn man einen Faun, eine Venus oder eine Danaïde wieder
auffrischt. Die Nachahmung hat niemals wahren Werth, mag
es nun eine heilige Familie oder ein Capaneus, eine Madonna
oder eine Pallas seyn, die man nachbildet, und überdies werden
fast immer die Fehler mehr kopirt als die Schönheiten.
(Bentley's Magazine.)

Frankreich.

Josephinens Entsagung.

(Fortseßung.)

Nach Thorwaldsen's besuchte ich auch Overbeck's Werkstatt. händig die Liste der Perionen aufgefeßetaiser hatte eigens

Der Meister war gegenwärtig; Overbeck ist ein Mann von reis fem Alter, von ernstem, mystischem Ausdruck, wie sein Talentz man könnte ihn für einen Mönch halten, nicht von der Art wie fie Boileau geschildert, die sich mit Kraftfuppen und Ortolanen masten, auch nicht wie jene, welche sich in der Wüste durch dürf; tige Kost und strenge Uebungen selbst ertödten. Sein Kopf hat scharfe Knochen, seine Nase ist hervorragend, seine Gesichtsfarbe gebräunt, und fein Auge erglänzt von ascetischem Feuer. Overs bed zeichnete gerade an einer heiligen Familie, die ich beinahe für eine Raphaelsche Kopie gehalten hätte, so sehr waren die Ge ftalten des Deutschen Malers im Geschmacke des Urbinischen Meisters; als ich sie aber näher betrachtete, entdeckte ich sehr bald, daß die Umrisse doch nicht von untadelhafter Zeichnung und Ro mischer Reinheit waren; die Köpfe waren zu lang und die Hände zu dünn. Overbeck ist nur ein bleicher Widerschein, ein Dimi nutiv von Raphael. Bekanntlich bildet er das Haupt jener råck, wärts gewandten oder katholischen Schule, die nur die Vergans genheit bewundert, die den Gothischen und Byzantinischen Styl anbetet, jene dürftige, umschleierte und starre Kunst der ersten Kirchen. Nach dem Schluß des funfzehnten Jahrhunderts giebt es für Overbeck keine Maler, keine Bildhauer, keine Baumeister mehr; mit Raphael ist die Kunst abgeschlossen, ja selbst dieser gilt ihm fast får zu heiðnisch, und er läßt ihn nur unter der Bedingung gelten, daß er ihn verbessern, das heißt, schwinds fichtiger darstellen kann. Alle Uebrigen, die Liliane, die Veronese, die Caravaggio's, finden keine Gnade vor ihm. Sprecht ihm nicht etwa von Rabens, gleich würde er ein Kreuz schlagen. Seine Zöglinge gehen in diesem Grundsaß noch weiter; fie verwerfen Raphael ganz, und selbst Giotto und Cimabuë find

diese

Obgleich die fremden Souveraine die Einförmigkeit unters brachen, welche am Hofe herrschte, war das Mißvergnügen Nas poleon's mit der Unruhe Josephinens gewachsen. Indem er um jeden Preis ihr und dadurch vielleicht auch sich Zerstreuung schaffen wollte, benachrichtigte der Kaiser den Prinzen von Neuchatel, daß er an einem Tage in der Woche, den er nåher angab, mit der Kaiserin zu Grosbois Jagd und Nachtlager halten würde. ,,Mein lieber Über Jägermeister", fagte er scherzend,,,ich wünsche, daß Sie uns nach der Jagd Musik und Komödie geben, wie ehes mals in der guten Zeit", fügte er mit sardonischem Lächeln hinzu. Berthier traf auf der Stelle alle Vorkehrungen, um seinen erhabenen Gästen ein ihrer würdiges Fest zu bereiten. Damit es vollkommen wäre, gerieth er auf den Einfall, die Truppe der, Variétés fommen zu lassen. Die Wahl des Schauspiels wurde Brünet überlassen, der die Absicht zeigte, ein Stück feines Res pertoriums, das gerade das meiste Furore machte, Cadet Roussel, maître de declamation, aufzuführen. Berthier, ohne das Stück jemals gesehen zu haben, fand nichts Unpassendes darin, daß ein allgemein für luftig anerkanntes Vaudeville den Vorzug vor einer vielleicht minder anziehenden Piece erhielte. So paffirte das Stack ohne vorhergegangene Probe. Der er bei dem Feste gegenwärtig wünschte, und der strengen Katte ungeachtet, unters ließ es auch nicht eine der geladenen Damen, ich einzufinden. Die Jagd war traurig; die Niedergeschlagenheit der Kaiserin feit ihrer Ankunft konnte Keinem entgehen; als fie aber für das Wahl und den Ball, welche auf die Jagd folgen sollten, sich schmücken mußte, zeigte sich ihr Schmerz so unverstellt, daß die Gäste bei Tische nicht fröhlicher waren als während der Jagd. Napoleon, dem nichts entging, war einer der Ersten, welcher den in seiner Umgebung herrschenden Zwang bemerkte, und um dies sem ein Ende zu machen, glaubte er gut zu thun, wenn er noch vor aufgehobener Tafel, ehe man, sich in den Schauspielsaal bes gab, fagte:,,Ei da, ich höre, daß man sich amüsirt und lacht, mehr als es bisher der Fall war, ich will keinen Zwang und feine Etikette, wir sind hier nicht in den Tuilerieen." Man weiß, was solche Befehle von Seiten eines Souverains gewöhn lich hervorbringen, sie machen selbst diejenigen vollends vert legen, die es bisher nur halb waren. Aber man. urtheile von dem Erstarren der Zuschauer, als sie Cadet Roussel beim Aufs ziehen des Vorhanges sich bitter darüber beklagen hören, daß seine Frau ihm keinen Erben geboren hätte. Für einen Mann, wie ich bin, ist es schmerzlich", sagte Brunet, keinen Sohn zu haben, auf den ich das Erbe meines Ruhmes übertragen könnte; es geht nicht anders, ich muß mich von Madame Rouffel-trennen, um eine andere Frau zu heirathen, von der ich Kinder haben kann. Der größte Theil der folgenden Scenen drehte sich um dieselbe Idee, und das Wort,,Scheidung" wurde wohl zwanzig Mal wiederholt. Es ist unmöglich, die Verlegenheit der Zus schauer malen zu wollen, Berthier's vor Allem. Josephine, jeden Augenblick dem Unwohlseyn nahe, hielt sich

für fie schon zu sehr vom Heidenthum verdorben; nach ihnen Kaiser hatte die Miene, als ob er sich lediglich mit der

muß man bis zu den Konstantinopolitanischen Künstlern hinaufs fteigen, um die echte christliche Originalität aufzufinden.

Es giebt in Rom noch eine bedeutende Menge anderer Ates fiers, wo sich Künstler aus allen Gegenden versammeln. Auker den Zöglingen von Overbeck und Cornelius und den Eleven, welche Frankreich mit großen Kosten fünf Jahre in der Villa Medici unterhalt, begegnet man überall Deutschen, Englischen und Spanischen Malern und Bildhauern. Erwachst aus diesem Zusammenfluß ein Vortheil für die Kunst? Ich bezweifle es. Von den jungen Leuten, welche hierher kommen, um die Meisters werke in den Logen des Vatikan, in der Peters Kirche, in den Palden, in den Kirchen, auf den Pläßen oder in den öffents lichen und Privat Galerieen zu studiren, find die Einen für das Antike, die Anderen für die Meister des funfzehnten Jahrhuns derts begeistert; diese zeichnen den Tempel des Kaftor und Pollur, oder den der Konkordia, des Farnesischen Herkules und des

Jupiter Statorss jene weiben ganze Bewunderung nur den

Madonnen und den heiligen des Mazaccio. Was Kopieen, nichts als Kopieens mehr oder weniger geschichte Beichner ahmen die Griechische oder katholische Kunst nach, aber ohne Genie, ohne Geschick und Größe.

Die Griechische Kunst hat ihre Aufgabe beendet; fle war im Einklang mit der heidnischen Civilisation, und fie ift todt, feit fie ihr Wert vollbracht hat. Die fatholische oder spiritualistische Kun hat ebenfalls ihre moralische Aufgabe gelöft; auch ihre Beit ist vorüber. Was heutzutage die Kunst seyn soll, wer vers mag es zu bestimmen? Doch die erste Bedingung ihres Das feyns, ihrer Thatkraft, und ihrer Macht ist Schöpferkraft und

dem Stück beschäftigte, und suchte zu lachen, aber nur die Lippen verzogen fich ein wenig. Kein Mensch wagte ihn anzublicken, befürc tend, es könnte als eine Anwendung auf ihn ausgelegt werden. Man war auf einen Sturm gefaßt es tam nicht dazu, Dank, fen es Berthier, der, hinter dem Kaiser stehend, reichlich von dem Nechte Gebrauch machte, das Napoleon selbst ihm eingerdumit hatte, indem er von Zeit zu Zeit ein schallendes Gelächter hören. ließ, das sonderbar mit feinem betursten Gesichte kontrastirte; denn hatte er die Wahl gehabt, fo würde er lieber hundert Klafs ter tief unter der Erde gesteckt haben. Als das Stück aus war, ftand Napoleon rasch auf und fagte zu dem Großmarschall Durge den er beim Arm faßte, mit teiser Stimme:,,Ich sehe, daß Sie das Geheimniß meiner Scheidung gut bewahrt haben; denn wäre es befanne gewesen, so hdue Niemand die Dreistigkeit ges habt, mir eine solche Unverschämheir au spielen."

Das Gericht von der Scheidung gewann täglich an Ber ftimmiheit; man forach, um die Wahrheit au fagen, war nur leife, aber aulegt allenthalben davon. Es nupften fich so viele Privatintereffen an dieses große Ereigniß, daß die Ausplaudereien und Winheilungen in vollem Zuge waren. Napoleon, der den Stand der Sache fanme, wünschte demselben endlich ein Ziel gere fest. An einem Morgen es war der 30. November last er die Königin von Holland und ihren Bruder Eugen auf fein Zimmer bitten, gesteht ihnen voll Betrübniß die traurige Nothwendigkeit, zu welcher er gebracht sey, sich von ihrer Mutes su scheiden und die theuersten Neigungen feines Herzens den In tereffen feines Volkes zum Opfer zu bringen. Er beschwörs fie einig zu bleiben, und versichert ihnen, daß die neue Che, die er

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