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die kleinen Verschwörungen gegen den Kandidaten unterstüste, der einigen feiner Rachbarn Lerte diftirte, aus denen der geschic tefte Rhetor höchstens eine Predigt von vier Seiten machen konnte. Als er dann zu hören gezwungen und wie alle Anderen ergriffen war, lämpfte er mit sich selbst, um nur kein Zeichen feiner Rührung blicken zu lassen, und laum war das leßte Wort ber Predigt ausgesprochen, als er sich rasch entfernte, nichtsdesto weniger aber im Vorzimmer die Fluth von Lobsprüchen hören mußte, die wir oben zu beschreiben versucht haben. Diefer arme Abbé war unser_Cotin.

Der Abbé Cotin war im Grunde fein böser Mensch; fügen wir hinzu und das ist das Geringste, was wir thun können, che wir uns auf seine Kosten belustigen daß man ihn auf eine übertriebene Weise lächerlich gemacht hat. Als Poet machte er sehr artige Berse, die artigsten vielleicht in jener Zeit, wo man noch so wenig gute Verse machte; als Prediger war er, was auch der Verfasser der Satiren fagen mag, der besuchteste in der Hauptstadt; als Gelehrter endlich (was die ganze Welt nicht weiß, oder nicht wissen will) las er Hebräisch und Syrisch und verstand Griechisch, wie es damals wenige Leute verstanden haben. Aber die Ueberschäßung feiner Freunde, die Nachsicht des Publikums und die Lobsprüche eines Geschlechts, auf das er, troß seiner Soutane, die Augen nur zu oft richtete, Alles hatte dazu beigetragen, fein Urtheil und sein Herz zu verderben. Seit Voiture's Tod theilte er mit Chapelain die souveraine Autoritat; im Hotel de Rambouillet bildete er den Mittelpunkt jener moschusduftenden Literatur, der das große Jahrhundert bald den Garaus machen sollte und die mit so viel Skandal als möglich ihr kurzes Leben zu Ende führte. Als ein verzogenes Kind der höchsten Pariser Gesellschaft war es kein Wunder, daß er sich für ein Genie hielt. Jedes Interesse und jedes Lob, daß ein Ans derer bekam, war ein Raub, den man an ihm beging.

Er entfernte sich also, den Tod im Herzen: Die Palme, die er in Händen zu haben glaubte, und die er vielleicht auch wirklich er obert, war ihm von einem siebzehnjährigen Prediger entriffen. Doch eine Eifersucht, wo man wenigstens den Troft hat, sich mit Recht oder Unrecht zu sagen, daß das Urtheil ungerecht war, daß der Nebenbuhler seinen Triumph dem Jrrihum oder der Intrigue zu verdanken hat, ift erträglich. Aber wenn man sich gestehen muß, daß man mit Recht und vollkommen besiegt ist, wenn man etwas zu tadeln sucht und nur Stoff zur Bewunderung findet, das ist schreck lich! und diese Eifersucht, die grausamste von allen, war gerade die unferes Cotin. Er hätte zwanzig von seinen Reden hingegeben, um in der eben gehörten einen Fehler von einiger Bedeutung zu ent decken; aber er zerbrach sich den Kopf vergebens, er fand lauter schöne, untadelhafte Stellen; es war, als ob sie ein böser Ddmon vor seinem Ohr wiederholte.

Und doch gab er nicht nach: der schlechte Geschmack und die schlechte Gesinnung trugen den Sieg davon. Was man leiden: schaftlich wünscht, glaubt man auch zuleßt; Cotin wollte die Rede schlecht finden: es gelang ihm. Auf welche Weise, ist nicht bekannt; genug, die Nacht war noch nicht vorüber, und unser Abbé hatte sich zwei Dinge klar gemacht, erstens, daß die Rede weiter nichts als eine Schülerarbeit sen, mit allen Vorzügen, aber auch mit allen Mängeln derselben, und zweitens, daß man aus Rücksicht auf die Jugend des Redners ihm Beifall geschenkt und ihn damit im Grunde nur ermuthigen wollte. Ueber dieses Resultat rieb er sich vor Freuden die Hände und dachte nicht mehr an die vier oder fünf Stunden der Pein und Schlaflosig keit, die es ihm gekostet.

einen Fehler hatte: da waren beine scharf getrennten Abtheiluns gen, feine Spisfindigkeiten, keine Syllogismen, feine unheilige Metaphern, tein Bers aus Horaz oder Virgil.... Das seugre offenbar von einer Armuth, die man nur bemitleiden konnte. Zwar mußte man gestehen, daß der Redner die Geister ergriffen, die Herzen gerührt und alle Hindernisse überwunden habe; doch das genügte nicht: flatt zu schließen, daß die Methode gut is, da sie den Zweck so gut erfüllt hat, erkidet man, daß fie nichts taugt, weil sie ihn nicht innerhalb der herkömmlichen Formen ers füllte. Dies war bald die Ansicht der ganzen Gesellschaft. Drei Personen, nur drei, sprachen sich in einem anderen Sinne aus, freilich drei Personen, die mehr werth waren, als drei andere: die Herren de Montausier, de Turenne und der Prinz von Condé, denen sich Herr von Feuquières, der Protektor Bossuet's, und ein gewiffer Dichter, Namens Corneille, anschlossen, der im Hotel® de Rambouillet nicht sehr gern gesehen war. Doch was den Legs teren betraf, so war es zum Gefeß geworden, ihn nicht anzuhör ren; den Anderen schenkie man zwar aus Ehrfurcht einige Minus ten Aufmerksamkeit, dann aber kehrte man wieder zu den Gruppen zurück, wo Cotin das Wort führte.

(Schluß folgt.)

Mannigfaltiges.

Puschkin's leßte Stunden. Unter dieser Ueberschrift befindet sich ein interessanter Auffaß in dem leßten wiederum sehr reich ausgestatteten Hefte des Freihafens" (April, 1839). Shu kowski, der Freund des Verstorbenen und sein würdigster Rival, giebt darin eine an den Vater Puschkin's gerichtete Schilderung des ergreifenden Abschiedes, den der Dichter von der Welt und seinen Freunden genommen, so wie der heroischen Standhaftigkeit, mit welcher er, beim klarsten Bewußtseyn, seine leßten Leiden ers trug. Wie es zuweilen wohl beim Tode reichbegabter Menschen vorkommt, hatte sich auch bei Puschkin unmittelbar nach seinem Verscheiden der ganze Adel seiner Seele, frei von aller irdischen Beimischung, in den verklärten Gefichtszügen ausgeprägt. Shus lowsli giebt uns davon nachstehende schöne Darstellung: Wir standen Alle im Schweigen versunken am ihn her. Nach ein paar Minuten fragte ich:,,Wie ist es mit ihm?" ,,Er hat geendet", antwortete Dahl. (Drei Viertel auf drei, Nachmittags den 29. Januar 1837.) So ftill, so ruhig schied feine Seele. Wir standen lange schweigend und unbeweglich um ihn, ohne zu wagen, das Mysterium zu stören, das der Tod vor unseren Augen in seiner ganzen rührenden Heiligkeit vollbrachte. Als Alle hinausgegangen waren, seßte ich mich vor ihn hin und fah, allein, ihm lange ins Antlig. Nie hatte ich auf diesem Antlig etwas gesehen, das dem geglichen hatte, was sich in dieser ersten Minute nach dem Tode darauf ausdrückte. Sein Kopf neigre sich etwas; die vor wenigen inuten krampfhaft bewegten Hände lagen ausgestreckt, als rühten sie von einer schweren Arbeit aus. Was aber sein Gesicht ausdrückte, kann ich mit keinen Worten beschreiben. Es war mir so neu und doch zugleich so bekannt. Das war weder Traum noch Ruhe; es war nicht der geistige Ausdruck, der sonst diesem Antlig so eigenthümlich war; es war danke drückte sich in demselben aus, auch kein poetischer; sondern irgend ein erhabener, großer Ges ein Schauen, eine Ges nuge, ein tief befriedigtes Wiffen. Indem ich ihn so betrachtete, war mir, als ob ich ihn fragen müßte: Was siehst Du, Freund?" Und was würde er mir geantwortet haben, hätte er auf eine Minute zurückkehren können? Das sind Augenblicke in unserem Leben, die in vollem Maße würdig find, groß ges nannt zu werden. In diesem Augenblick kann ich sagen, daß ich das Antlig des Todes selbst sah, das göttlich geheimnisvolle, das Antlig des Todes ohne Schleier. Welches Siegel hat er ihm aufgedrückt! Und wie erhaben drückte er auf diesem Gesichte des Berstorbenen sein eigenes Geheimniß aus! Ich versichere Dir, daß ich auf seinem Gesicht nie einen so tiefen, erhabenen, feiers lichen Gedanken ausgedrückt sah. Gewiß wohnte dieser Gedanke auch früher in seinem Geist und war seiner hohen Natur eigen thumlich; in dieser Reinheit trat er aber erst dann hervor, als, bei der Berührung des Todes, alles Irdische von ihm wich. Solches war das Ende unseres Puschkin!''

Das Schwerste war gethan. Nachdem er erst selbst von dem geringen Werth dieser erbärmlichen Rede überzeugt war, fannte er seinen Einfluß zu gut, um zu fürchten, daß das Hotel de Ram bouillet anders denken werde, als er. Doch hütete er sich wohl, schon am folgenden Abend einem noch so frischen Eindruck feind lich gegenüberzutreten. Er hörte schweigend zu, indem er seinen Beifall durch ein unmerkliches Lächeln, seinen Tadel durch eine eifige Ruhe zu erkennen gab, Alles natürlich in einer Weise, welche errathen ließ, daß er sich gar Manches dabei denke. Am dritten Tage beobachtete er dieselbe Zurückhaltung, aber man be merkte, daß zwei oder drei seiner besten Freunde auf einmal einen ganz anderen Ton angenommen. Der Eine stellte den allgemeis nen Saß auf, daß eine wahrhaft gute Rede nicht bloß im Gans zen und Großen gefallen müffe, der Andere griff diese Bemerkung auf und meinte, ehe man die Predigt dieses jungen Boffuetuarán fo febr lobe, wäre es doch gut, fic einer genaueren Anatrie zu unterwerfen. Nun war nicht Einer aus der Koterie, der nicht etwas zu fagen hatte. Hier hieß es:,,Von allen diesen Ideen über die Hinfälligkeit des Menschen fenn ich nicht vier, die nich wörtlich im Seneka stehen.",,Allerdings", seßte ein Anderer hinzu,,,und ich erinnere mich einer langen Tirade, die aus Eis cero überseßt schien.“ -Und wer weiß", nahm ein Dritter das Wort,,,wer weiß, ob er uns nicht Alle zum Besten hatte? Sehen Sie einmal, wie leicht ihm Alles geworden ist: nicht ein ungeschicktes Wort, nicht eine matte Phrase war in der Rede.... Das war offenbar auswendig gelernt, meine Herren... gen Sie mir einen Prediger, der nicht eine Rede über den Lod im Kopfe hat! Ich fage Ihnen, es war auswendig gelernt...." Die Idee schien vortrefflich. Ueberdies muß man wissen, daß nach den rhetorischen Theorieen der Zeit diese Rede mehr als

Zei

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-Italianisches Theater. In derselben Weife, wie das bekannte,,Répertoire du Théâtre Français à Berlin", erscheint iegt auch in der Schlesingerschen Buchhandlung ein Teatro Italiano. Die einzeln berausgekommenen fechs Theaterstücke liegen jest vereinigt zu einem Bande vor uns, welcher auch mit einigen biographischen Notizen über die Dichter, deren Werke uns hier gegeben werden, ausgestattet ist. Da namentlich Alberto Nota durch Deutsche Bearbeitungen auf unseren Bühnen heimisch ges worden ist, so dürften die Originale um so willkommener fenn. Wir finden von ihm in dieser Sammlung drei Luftspiele: 1) D progettista, 2) La pace domestica und 3) La lusinghiera. Von Goldoni ist ein Luftspiel: Un curioso accidente, ferner ein Trauers spiel von Silvio Pellico, Francesca di Rimini, und endlich ein Trauerspiel von Niccolini, Giovanni da Procida, mitgetheilt. Der ganze Band ist für den sehr mäßigen Preis von einem Thaler zu haben.

تارا

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vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er. höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 69.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post - Aemtern.

Literatur des des Auslandes.

Rußland.

Berlin, Montag den 10. Juni

Die Deutschen in Rußland.

Von J. G. Kohl.

In keinem Lande Europa's erfreuen sich die Deutschen eines größeren Ansehens, in keinem finden sie ein leichteres Fortkommen und gelangen sie zu so bedeutenden Stellungen im Staate und in der Gesellschaft, als in Rußland. Ihr Einfluß datirt hier wenn wir von dem absehen, was schon in uralten Zeiten Wardgisch, Germanische Stämme und später hanseatische Kaufs leute thaten von den Regierungen der Zwan Waffiliewitsche, die nicht nur viele Deutsche aus Lievland ins Innere von Ruß land verseßten, sondern auch schon die Einwanderungen aus Deutschland selbst begünstigten. Seit diesen Zeiten gab es in Moskau ein eigenes für die Njemßi (die Stummenso nennen uns die Ruffen, weil sie unsere Sprache nicht verstehen *) bes stimmtes Stadtquartier, die Deutsche Slobode, unter dem ges meinen Russischen Volk auch,,Gulgul“ genannt, weil, wenn ein langbartiger Ruffe durch die Hduserreihen der Deutschen hindurchs schritt, die Mädchen, ans Fenster tretend, immer Guck! gud!" schrieen. Auch in den anderen bedeutenderen Städten des Landes bildeten sich_bald ähnliche Kolonieen fleißiger und kunsts reicher Deutschen. Je mehr sich das Reich der Moskowiter nach Außen verbreitete und nach Innen entwickelte, desto mehr Deutsche Elemente nahm es in sich auf; es verband endlich ganze von Deutschen bevölkerte Provinzen mit seinem Gebiete, bevölkerte waste Landstriche mit Deutschen Kolonieen und berief Deutsche als Lehrer, Feldherren und Staatsmänner. Ja, man kann sagen, Daß, troß vielfachen Gegenstrebens der Alt-Russischen Partei gegen Den Einfluß der Njemßi und troß mancher dann und wann von der gefeßgebenden Gewalt versuchten Beschränkungen dieses Eins flusses, derselbe doch bis in die allerneueste Zeit immer mehr ge stiegen ist.

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Es mogen sich jest nahe an 400,000 Deutsche in Rußland befinden, die aus den verschiedensten Stämmen und Ständen der Deutschen zusammengeseßt sind, größtentheils aber ihren Ursprung aus Nord- Deutschland, aus Preußen, Sachsen, den Hansestädten, Westphalen u. f. w. herleiten. Von diesen 400,000 mögen etwa 100,000 auf die Ostsee-Provinzen fallen, 250,000 auf die in Rußland zerstreuten Deutschen ackerbautreibenden Kolonieen und 50,000 auf die in allen Russischen Städten anfässigen Deutschen Künstler, Handwerker u. s. w. Betrachten wir diese Zahlen und ihre Vertheilung etwas naher, so mögen sich die 100,000 in den Ostsee Provinzen etwa so vertheilen:

Kurland zählt 20,000 Deutsche, wovon 2000 dem Adel ans gehören, die übrigen der Kaufmannschaft und Bürgerschaft der Siddie.

Lievland zählt 35,000 Deutsche, wovon 4000 Adelige, die übrigen Prediger, Gelehrte, Kaufleute, Künstler.

Esthland hat 15,000 Deutsche, wovon 1500 zum Adel zu

rechnen.

Ingermanland, Karelien (das jezige Gouvernement Petersburg) adhlt etwa 30,000 Deutsche, von denen die meisten in der Stadt Petersburg leben.

Alts Finnland **), d. h. das Gouvernement Wiburg und St. Michel, hat etwa 8000 Deutsche, die ebenfalls hier, wie in Lievland und Kurland, als Herren des Bodens, als Prediger und Siddiebewohner leben.

Der ganze für Rußland so dußerst merkwürdige und so uns gemein einflußreiche Adel der Ostsee: Provinzen bildet demnach nur eine kleine Bevölkerung von etwa 8000 Seelen. Von den 250,000 Deutschen Kolonisten Mennoniten (aus Preußen), Schwaben, Elsasser, Rheinländer, Heffen u. f w. fißt die Hauptmasse, über 100,000, an der mittleren Wolga im Saratoffschen. Eine zweite bedeutende Partie, über 80,000, ift in Neu Rußland, Bessarabien und der Krim. Die übrigen find

*) Sonderbar ist es, daß von allen den verschiedenen Nationen, mit denen die Ruffen in Berührung kamen, gerade bloß bei den Deutschen dieser Titel zum Volksnamen wurde. Uebrigens heißen wir bei allen Slawischen Stammen die Stummen", felbft auch bei den Moldauern und Bulgaren. unser Vaterland heist Niemezkaia Semlia" (das Land der Stummen) oder auch Germanija.

**) Man nennt diesen Theil von Finnland, der schon seit längerer Zeit, d. h. früher als das westliche Finnland, Russisch ist, auch „Deutsch-Finnland".

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1839.

in kleineren Partieen in Kaulasischen Provinzen, in Polen, in nordischen Gouvernements (z. B. bei Petersburg) zerstreut. Im inneren Kern Rußlands, im eigentlichen stark bevölkerten Moss kowiter Lande, giebt es gar keine Deutschen dieser Klasse.

Von den 50,000, welche wir als in den verschiedenen Ruffi schen Städten zerstreut annehmen, hat natürlich Moskau die bes deutendste Anzahl, nahe an 6000. Uebrigens hat auch jede Russische Stadt, bis an die Chinesische Gränze und Kamtschatka hin, ihr Anhängsel von Deutschen Kolonieen zu 400, 500, 600 Seelen u. f. w. *)

Die Deutschen sind wohl ohne Zweifel dasjenige Europäische Voll, das sich der allgemeinsten Bildung erfreut, und das, ohne sich einer Richtung des menschlichen Strebens entschieden hinzus geben, in allen Zweigen des Könnens und Wissens tüchtige Manner liefern kann. Als Ackerbauer übertreffen fie vielleicht alle übrige Nationen, als Künstler, Handwerker und Fabrikanten find fie fleißig und erfindungsreich, als Gelehrte und Staatss manner find fie ausgezeichnet, zum Kriegsdienst haben sie ents schiedene Neigung und als Kaufleute erfreuen sie sich des soli: desten Kredits. Während daher andere Nationen in dem alles Fremde sich leicht assimilirenden Rußland nur vorzugsweise in gewissen Branchen menschlicher Thätigkeit gefunden werden, Engländer in der Marine und unter den Kaufleuten und Fabrikanten des Nordens, Griechen in der Marine und der Kauf mannschaft des Südens, Franzosen in dem Landheere und im Corps der Hofmeister und Erzieher, Spanier im Landheere, Stalidner unter den Künstlern u. f. w., ist fast keine Privats Beschäftigung und kein öffentlicher Dienst zu nennen, in welchem nicht Deutsche thatig waren und eine bedeutende Rolle spielten. Sie fügen fich in Alles, sie schicken sich zu Allem, verschmähen Nichts und sind Jedermann willkommen.

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Wollen wir diese von unseren lieben Stammesgenossen in jenem großen Reiche gespielte Rolle etwas naher in Erwägung sichen, so wird es daher passend seyn, dabei die verschiedenen Branchen der Beschäftigungen einigermaßen zu sondern, und wir werden daher zunächst 1) die Deutschen im Russischen Staatsdienste, alsdann 2) die Deutschen als Kaufleute, Handwerker und Künstler, 3) als Gelehrte, Lehrer, Aerzte u. s. m. und 4) als Ackerbauer, Arbeiter u. s. w. betrachten.

1) Die Deutschen im Russischen Staatsdienste.

Man kann sagen, daß Ruslands Entwickelung als Euros påäischer Staat, wie dieselbe seit Peter's des Großen Zeit fortges schritten ist, sich eigentlich hauptsächlich von Deutschland aus und unter Deutschen Auspizien gemacht habe. Die Organisirung des Russischen Heeres, die Ausbildung der Gejeßgebung, die Zolls und Steuer Einrichtung, die Rangordnung der Stande, ja die Regeln für die Hof Etikette, dies Alles wurde aus Deutschland übertragen, oder es wurden Deutsche Verhältnisse dabei zu Mustern genommen. Die Russischen Herrscher_reisten häufig nach Deutsche land, um die Institutionen seiner Staaten an Dre und Stelle kennen zu lernen. Deutsche Fürsten sogar bestiegen den Russischen Thron und seit hundert Jahren vermählten sich alle Prinzen des Ruffifchen Kaiserhauses nur mit Deutschen Prinzessinnen, die in ihren weiten Wirkungskreisen vielfach einen schönen Deutschen Geist walten ließen. — So geschah es, daß im Militairs wie im Civil Dienste Deutsche die an der Spise stehenden Reformatoren und Leiter wurden und noch in diesem Augenblick es sind.

Nach dem Petersburger Staats Kalender vom Jahre 1837 befinden sich unter den 600 höchsten Chargen des Reichs, von den Ministern und Feldmarschillen an, nicht weniger als 130 Deutsche Namen **), so daß also hier das Deutsche zum Russischen Eles mente in einem Verhältnisse von 1:44 steht. Es geben mithin jene 400,000 in Rußland lebenden Deutschen, wenn man die Bes

*) Genau lassen sich diese Zahlen gar nicht angeben, weil die Russischen Gouvernements Berichte alle Russische Unterthanen als Ruffen aufführen, ohne auf ihre Nationalitat Rücksicht zu nehmen, und die Zahlungen der Deutschen Kirchen nur ihre Pfarrkinder in Anschlag bringen, ohne die vielen Nichteingepfarrten zu berücksichtigen. Alle die von uns angegebenen Zahlen find natürlich nur runde Zahlen, wie fie uns hier nöthig waren. Die Gründe, warum wir sie etwas höher stellten, als sie in den Russischen Be richten erscheinen, könnten wir nöthigenfalls näher auseinanderseßen.

**) Unter den übrigen 470 sind nur wenige Engländer, Franzosen, Itattäner und Spanier.

volferung des ganzen Staats zu 62 Millionen rechnet, dem Staate eben so viele höchste Beamte, als 14 Millionen Nichts Deusche. Im Senate faßen in demselben Jahre 10 Deutsche. Unter 300 bei Hofe als Staatsdamen, Hoffräulein u. f. w. anges ftellien Damen fanden sich 40 Deutsche Familien Namen. Unter den Damen war also das Verhaltniß für die Deutschen etwas ungünstiger wie 1:77. Keinem Zweige des Staatsdienstes geben die Deutschen mehr hervorstechende Talente, als dem Mis litair, und fast die Hälfte aller ausgezeichneten höheren Russischen Generale find Deutsche. Wären die Deutschen nicht so biegsam, wäre es ihnen nicht so leicht, ihre National Interessen zu vers geffen, sich ihrer Nationalität zu entkleiden und, das Wesen der fremden Nation sich aneignend, in dem Geiste dieser zu vers fahren, fo fönnte man fagen, Deutsche gouvernirten das Land. Wie ware es, wenn jene 130 vornehmsten Beamten Engländer wdren?

Keine der Deutschen Provinzen Rußlands giebt dem Staate mehr ausgezeichnete Diener, insbesondere Militairs, als Esthland. Der Adel diefes Ländchens ist arm, dabei sind, wie man behaups tet, seine Familien immer sehr groß und kinderreich. Die Söhne widmen sich daher meistens dem Staatsdienste. Die Nähe der Hauptstadt mag auch das Ihre dazu beitragen.

Kurland zeichnet sich in dieser Hinsicht am wenigsten aus. Es ist eine der jüngsten Acquisitionen Rußlands, erst seit 45 Jah ren mit ihm vereinigt. Dabei herrscht noch viel Wohlhabenheit unter seinem Adel und ein gewisser damit verbundener unab hängiger Sinn, der die Kurlander vom Staatsdienst fern hält und sie das freie ungebundene Leben auf ihren Gütern im Kreise ihrer Familien vorziehen läßt.

(Fortseßung folgt.)

Frankreich.

Zwei Soireen im 17ten Jahrhundert.
(Schluß.)

Condé hatte bald die Geduld verloren: mit dem ganzen Uns gestüm des Siegers von Rocron eilt er auf Cotin zu, macht sich Bahn durch die doppelte Reihe der ihn umgebenden Anhanger und ergreift ihn beim Arm:,,Herr Abbé, ich möchte einmal auch von Ihnen eine Predigt hören...." ,,Aber, Mons seigneur..... Sonntag.... im Louvre“, fagte Cotin, der übri‹ gens wohl verstanden, was der Prinz wollte. ,,Nein, nein", entgegnete dieser lebhaft;,,ich meine eine Predigt.. Sie vers stehen mich.... wie die erste, über einen durchs Loos bestimms ten Gegenstand. In der Kapelle des Königs habe ich Sie oft gehört, sehr oft, Herr Abbé.“ Es war klar, daß dieses sehr oft so viel war wie zu oft. Cotin verbeugte sich:,,Morgen, wenn Monseigneur befehlen...." -,,he, meine Herren!" rief der Prinz mit der Stimme eines Waffenherolds,,,morgen will uns der Herr Abbé Cotin eine improvisirte Predigt zum Besten geben."

Der Abbé war nicht etwa ein Neuling in der schweren Kunst der Improvisation. Er hatte Wiß, viel Wig, und wenn der Wig kein Genie ist, so kann er doch noch am besten seine Stelle eins nehmen. Colin hatte ihn oft genug erprobt, und wenn ihm etwas fehlte, so war es wenigstens nicht das Selbstvertrauen. Trosdem war er nicht ohne Besorgniß; eine dunkele Ahnung sagte ihm, daß der Vergleich nicht zu seinem Vortheil ausfallen würde. Sein junger Nebenbubler hatte mit Stolz und Freude die Idee einer so rühmlichen Prüfung aufgenommen, während er sich kaum faffen konnte. Boffuet aber hatte, indem er sich auf den schrecklis chen Abend vorbereitete, von Stunde zu Stunde seine Angst steis gen sehen, während der Andere, von Bewunderern umgeben und im Voraus bekomplimentirt, sich bald beruhigte; und als die Stunde fam, stand er ganz heiter da mit aufgerichtetem Kopf und strahlendem Gesicht und versicherte, daß er erst um neun Uhr ers wacht sen, um zu zeigen, wie wenig er sich geängstigt habe, worauf noch der Vicomte de Turenne mit einem unglaubigen Lächeln bemerkte, daß es noch schöner gewesen wäre, wenn er bis zum Abend geschlafen hätte und, wie Alexander, erst im Moment der Schlacht erwacht wäre.

Das Loos wurde wieder gezogen; nur war es diesmal eine Dame, die junge und schöne Grafin von Lafayette, welche dem Redner den Zettel überreichte. Cotin war schon nicht mehr so ruhig, nichtsdestoweniger glaubte er sich verpflichtet, der Grafin ein Kompliment zu machen, und sagte ihr mit dem größten Gleich muth:,,Madame, wenn eine Dame von Ihrem Werth ihrem Ritter einen Degen überreicht, so hält er sich für unüberwindlich; aber ich glaube nicht, daß es sich mit dem Schwerte des göttlis chen Worts eben so verhalte, so schön auch die Hand ist, die mich fo eben damit bewaffnet hat...." Ein schlechter Anfang, Herr Abbé", sagte eine ftrenge Stimme; bringen wir nicht Gott und den Leufel zusammen." Cotin zitterte und schwieg; das war die Stimme des Herrn von Montausser, und der arme Abbé war nicht sehr begierig, mit einem Mann, deffen gerader Verstand ihn mehr als einmal zum Schweigen gebracht, sich in weitere Erörterungen einzulaffen. Ueberdies fühlte er von Ses Lande su Selande seine Sicherheit

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aus.... Da begegnen seine Augen denen des Prinzen von Condé; er sieht, wie sich derselbe an seiner Verlegenheit weidet, und dieser stumme Triumph bewirkt, daß er die beiden Stufen seiner kleinen Kanzel auf einmal überspringt.

Das Drakel follte sich hören laffen. Jede Unterhaltung, jedes Geräusch schweigt. In einem Augenblick ist die Versammlung bereit, zu hören oder vielmehr zu applaudiren, denn diese beiden Worte waren Synonyma, sobald es sich um Cotin handelte; und wenig fehlte, daß die Beifallsbezeugungen schon anfingen, als er mit seiner süßlichen Stimme die Worte seines Tertes las: I bin Euer Vater, sagt der Ewige." „Ein hübsches Thema! ein charmantes Thema!" flüsterten leise die Damen.

Dafür war auch der Abbé Cotin ein charmanter Mann! Er hatte beinahe 40 Jahre, aber man hätte ihm kaum dreißig auges traut. Man mußte ihn sehen mit den langen, lockigen Haaren, dem kleinen Schnurrbart, um den ihn die elegantesten Herren des Hofes beneideten, und den blauen Augen, die ihm von der Königin Mutter ein Kompliment eingebracht hatten; dazu fam noch sein Kanonikat von Bayeur, tausend Thaler Pension aus der Chatoulle des Kardinals und eine Menge anderer Vortheile, welche die Geschichte nicht aufbewahrt hat. Außerdem hatte er eine Stimme, die, obwohl ohne alle Kraft und Würde, wenigstens nicht graziöser seyn könnte. Ich habe ein schlechtes Sonnett ges sehen, das ihn lobt und wo der Verfasser sich nicht scheut, von ihm zu sagen, wie Homer vom alten Nestor:

Et votre voix, plus douce que le miel, Coule en flots purs, etc.

Bei allem dem mußte er doch etwas zu sagen haben, und das war gar nicht der Fall. Das Thema, das er zu behandeln hatte, gehörte zu denen, die fruchtbar scheinen und es auch wirklich sind, denen aber nur durch Arbeit oder durch Genie beis zukommen ist: man glaubt im Anfang, man werde nie damit fertig werden; man spricht fünf Minuten.... und es findet sich, daß man Alles gesagt hat. Dies begegnete auch unserem Redner.

Sein Anfang war nicht schlecht. Er zeigte recht hübsch, wie viel Tröstendes und Edles dieser durch Natur und Religion zugleich ausgesprochene Gedanke hat, daß Gott der Vater aller Wesen ist. Die Ideen, die Worte schienen ihm reichlich zuzus strömen; das Ave Maria ward mit Enthusiasmus bergesagt. ,,Nun, mein Herr", sagte eine Dame zu einem ihrer Nachbarn, der an dem Erfolg zu zweifeln schien,,,was sagen Sie dazu?" ,,Was ich dazu sage, Madame? Ich meine bloß, daß man nicht mit mehr Grazie sein Korn vor dem Dreschen effen kann." Was wollen Sie damit sagen?" —,,Sie werden mich bald verstehen."

Und in der That, der Redner hatte in seinem Anfang Alles gesagt, Alles verbraucht. Er hatte entweder an die Forisegung nicht gedacht, oder er hatte keinen anderen Ausweg gewußt, genug, er merkte bald, daß er fertig war, ehe er angefangen, daß er sein Exordium nur wiederhole, daß er sich in einem Zirkel drehe, mit einem Wort, daß er nahe daran sen, stecken zu bleiben. Stecken bleiben! Fragt den Advokaten, den Prediger, Jeden, der einmal öffentlich sprach, ob es eine größere Pein giebt, als die, nicht mehr zu wissen, was man fagen foll, sein Gehirn unter. die Preffe zu bringen, ohne daß man etwas herausbekommt. Nein; der Soldat, der seine leßte Patrone verschossen hat und sich noch zwanzig Feinde auf den Fersen sieht, ist nicht übler daran, als der Redner, der seinen leßten Gedanken verbraucht bat: er nimmt ihn noch einmal vor, er streichelt ihn, er überladet ihn mit Synonymen.... aber auch das hat ein Ende! er weiß es, er fühlt es.. das ist die Situation des Archidiakonus Frollo, wie er mit zerrissener Soutane an der Rinne hangt, welche unter seiner Last nachgiebt und ihn dem Abgrund zuwirft.

....

Das Schweigen verdoppelte sich; Aller Augen richteten sich auf Cotin mit einer Angst, die von Theilnahme zeugt, aber nur um so peinlicher ist. Bäld hörte man ihn kaum, und bald schrie er mit einer donnernden Stimme, wie die Furchtsamen, welche singen, um ihre Furcht zu verstecken.... Boffuet! Boffuet! Du warst schon hinlänglich gerecht.

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Gott weiß, wie das abgelaufen ware, wenn ihm nicht eine Dame, die ihm sehr gewogen war, den ungeheuren Dienst ers wiesen, einen Nervenanfall zu bekommen. In einem Moment ging Alles drunter und drüber: der Redner sprang von der Kanis sel herab, die er beinahe umgestürzt, um der Frau von Hülfe zu kommen. Er spielte feine Rolle so gut, und überdies waren so viele Personen bei seiner Sache berheiligt, daß man das Glückliche, das dieser Zufall für ihn hatte, nicht bemerken wollte. " Wie Schade", sagten dagegen feine intimsten Freunde und Freundinnen,,,wie Schade, daß diefe Unterbrechung einges treten ist!!! Er blieb flecken", fagte der Prins von Condé leise. ,,Ich hab es wohl gemerkt, fagte Turenne. Wir wollen einmal fehen, wie er den Faden wieder anknüpfen wird.“ -,,Man muß ihm eine Viertelstunde Zeit laffen." Nein; er muß den Kelch der Strafe für feine böse Bunge auf die Neige leeren.",Ei, loffen Sie uns liebreicher seyn als er" Und als der Redner zurüdtam, rief man von allen Seiten, daß es

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war ihm Zeit gelaffener wenn er diese Sun annahm, Bellte feine Gedanken. Eine Viertelstunde nicht mehr als billig wäre, ihn Athem schöpfen zu taffen. Corin zufammelt, and bas that ihm sehr Noth; er fich von vorn heren unter den, der sie verschmutht have. Was than? Die Augen feft auf den getret gehefter, nähert er fo langfam der Thur, bleibt geben, fommt wieder zurud, wird abs

fieß fich nicht bitten, Frau von Rambouiller öffnere ihm ihr Kas binet, und aus den funfzehn Minuten, die man ihm bewilligt, warben fat vierzig. Der Zwischenakt dauerte etwas lange, aber man batere sich, dies zu bewerten, und Cotin fand kein Audi torium so aufmerksam, so wohtwollend wieder, als er es vers

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Thiers, nach Cormenin's Schilderung.

Kein vornehmes Knie schaukelte Herrn Thiers in seiner Kinds heit. Arm geboren, bedurfie er des Glücks; in Dunkelheit zur Welt gekommen, bedurfte er eines Namens, Von Begierden vers gehrt, wie alle lebhaft Empfindenden, verdankt er den Anfang feiner Wohlhabenheit dem Herrn Laffitte, feinen Ruf aber seinem eigenen Talent. Indeß ohne die Revolution von 1830 würde Herr Thiers noch heute weder Wähler, noch wählbar, weder Deputirter, noch Minister seyn, ja nicht einmal Akademiker; er ware in der Achtung einer literarischen Coterie ergraut.

Es fehlt Herrn Thiers an Figur, an Schnitt, an Eleganz. Seine ndselnde Stimme zerreißt das Ohr. Der Marmor der Reds nerbühne reicht ihm bis zur Schulter und verbirgt ihn fast vor den Zuhörern. Dazu kommt, daß Niemand an ihn glaubt, er selbst nicht einmal, und seine fprüchwörtlich gewordene Durchs triebenheit müßte das Bischen moralische Täuschung vollends vers nichten, wovon man sich einnehmen lassen könnte, wenn man ihn hört. Stiefmütterlich von der Natur behandelt, von Feinden und Freunden mit Mißtrauen betrachtet, hat er Alles gegen fich, und doch, wenn dieser kleine Mann sich der Rednerbühne bemächtigt, ist er dort so zu Hause und entwickelt so viel Geist, daß man fich, in Ermangelung eines anderen Eindrucks, bloß daran ers gößt, ihn zu hören. Nicht daß er sich in schlagenden Wigworten erginge, wie Dupin, nicht daß er den gewichtigen Ausdruck Odis lon Barrot's, oder Mauguin's scharfen Sport, oder Sauzer's - sanft wallende Beredsamkeit, oder Guizor's hohe, logische Dents Praft besaße; nein, er ist ein Talent für sich, das weder von nah noch von fern irgend Jemanden gleicht. Seine Vorträge find keine Reden, es ist ein bloßes Plaudern, aber lebhaft, glänzend, leicht, beweglich, voll Feuer, mit geschichtlichen Erinnerungen, mit Anekdoten und feinen Betrachtungen durchwebt, und das Alles wird mit einer unvergleichlichen Sprachgewandtheit vorges tragen, abgebrochen, verbunden, aufgelöst und wieder angeknüpft. Der Gedanke entspringt in diesem Kopfe so schnell, daß man glauben sollte, er fen schon geboren, ehe er noch empfangen wors den. Die ungeheuren Lungen eines Riesen würden nicht ausreis chen, die Worte dieses geistreichen Zwerges von sich zu geben. Es scheint, die Natur, fters mitleidsvoll auf Entschadigung bes dacht, wollte bei ihm die ganze Kraft der Mannheit in das zarte Organ der Luftröhre zusammendringen. Sein Wort fliegt mit einer Leichtigkeit dahin, wie der Flügel des Kolibri, und dringe fo rasch ins Mark, daß man sich verwundet fühlt, ehe man noch. weiß, woher der Streich tommt. Zuweilen halt er plöslich inne, um auf Unterbrechungen zu antworten, und dann schießt er feine Entgegnung mit verblüffender Sicherheit ab. Bieter eine Theorie mehrere Gesichtspunkte dar, falsche und richtige, so gruppirt er fie, mischt sie unter einander und läßt sie mit so geschickter hand vor Euch spielen und hin und wieder ftrahlen, daß Ihr nicht Beit habt, im schnellen Vorübergaufeln den Sophismus gewahr

zu werden. Ich weiß nicht, ob die Regellosigkeit seiner Impros vifirungen, die unzufammenhängende Anhdufung fo vieler heteros gener Sage, das wunderliche Gemisch all dieser Gedanken und Löne ein Erzeugniß der Kunst ist; aber von allen Rednern ist er derjenige, der am leichtesten zu widerlegen, wenn man ihn lieft, und am schwersten, wenn man ihn hört. Er ist der unterhals tendste unserer politischen Taugenichtse, der scharfsinnigste unserer Sophisten, der gewandteste und blendendste unserer Gauller.

Thiers liebt den Besis der Gewalt, nicht um der Gewalt selbst, sondern um des Wohlstandes willen, den fie gewährt. Guizot findet feinen Stolz, Thiers fein Behagen darin. Da er zwei Drittheile feines Lebens hindurch die Genüffe des Reichs thums entbehrt hat, so weidet er sich jest daran mit der Gier und Jchsucht eines Nimmersatt. Thiers ist ein geistreicher Das ves mentes is hit ihm, möchte man fagen, in allen Winkeln des Mundes und bis in die Nägelspizen hinauf. In seinem Wes sen hat er viel Aehnliches mit Voltaire, gebrechlich, nervös, flüch tig, für jeden Eindruck empfänglich. Er ist eigensinnig und störrisch wie ein Kind und will doch gravitätisch seyn wie ein Philosoph. Mehr Literat, als Staatsmann, und wiederum mehr Kunstfreund als Literat, enthusiasmirt er sich gewaltig für ein Etrurisches Gefäß, wenig für die Freiheit. Seine ehemalige Begeisterung für unfere großen Revolutionsmánner war nur die Aufwallung des Jünglings und Schülers, worin sich, ihm unbes wußt, der Aerger, damals noch nichts zu seyn, mit dem unbes stimmten Drange, eine bedeutende Person zu werden, durch eins ander mischte. Aber der Mißbrauch der Genůffe, welche die Monarchie bietet, verweichlichte bald sein Blut; er stieg in Ab fäßen von vier zu vier Stufen die Treppe von der Dachstube zum Salon hinab und wiegte sich auf den schönen, golddurch wirks ten Sophas, als hätte er nie anders gefeffen; ein großer Herr aus Instinkt, wie Andere es durch Geburt und Gewohnheit sind.

Aus Leichtsinn ein Zweifler in der Moral, in der Religion, in der Politik, in der Literatur und fast in Allem, wird er durch keine Wahrheit tief ergriffen und lacht über jede aufrichtige, gründ liche hingebung an die Sache des Volks. Er gleicht einem Wans delstoff, der an der Sonne in allen Farben schillert, ohne daß eine einzige ihm eigen ist, und dessen lockeres Gewebe ihn durch sichtig macht. Man frage ihn nicht nach seinen Ueberzeugungen; er zweifelt an Allem; man verlange nicht Proben der Mannhafs wollt nicht, daß er spaße; aber er euch spotte; aber spottet tigkeit von ihm; fein Temperament straubt sich dagegen. Ihr ihm nun Alles spaßhaft scheint! Ihr wollt nicht, daß er

er doch über sich selbst! Man vertraue ihm, wenn man will, die Marine an, oder den Krieg, das Innere, die Justis, die Diplomatie; nur laffe man keine Millionen zu feiner Verfügung, und besonders keine Hunderte von Millionen, denn sie würden wie Waffer durch seine Finger rinnen. Mit der Leichtfertigkeit im Geldausgeben verbindet er eine eigene Art, darüber Rechens schaft abzulegen, die nicht für Jeden ist; er nennt dies sehr artig die Kunst, die Ziffern su gruppiren.

Bei alledem habe ich ihn gern, diesen natürlichen, lebhaften, ungezwungenen Plauderer. Er spricht mit mir, aber predigt nicht; es ist nicht ewig derfelbe falbungsreiche Ton, wie bei den Brüdern der Doktrin. Auf die Länge betdabt er mich allerdings auch durch sein Geschwäß, aber gegen die oratorische Eintönigs Peit, diese unaufhörliche Langeweile, die größte aller Qualen für einen Zuhörer, für einen parlamentarischen Martyrer, der sie von Mittag bis sechs Uhr Abends zu erdulden hat, ist fein Ges zwitscher immer noch eine Art von Erleichterung.

Thiers denkt, ohne sich anzustrengen, er produzirt, ohne sich zu erschöpfen, er schreitet vorwärts, ohne zu ermüden, und er ist der schnellste Reisende im Reiche der Gedanken, den ich kenne. Die Zeiten fliegen an ihm vorüber in ihrer Reihefolge und nachh ihrer verschiedenen Gestalt, und die Natur, die sich von Anderen aufsuchen läßt, kömmt ihm entgegen, ohne daß er fie ruft, mit allem Glanze ihrer Herrlichkeit und mit aller Anmuth ihres Lächelns. Habt Ihr auf den Dampfboten, die unsere Ströme durchfurchen, das Glas gesehen, in welchem die Ufer sich abe spiegeln? Pfeilschnell sieht es die zurückgestrahlten Dörfer, Kire chen, grünenden Wiesen, waldigen Gebirge, fchdumenden Gegel, die gelben Lehren der ruhigen Fluren, die Heerden des Thals, das Gewöll des himmels, die Thiere und Menschen an sich vorüberfliegen. So auch herr Thiers, diefer parlamentarische Spiegel, der die Leidenschaften der Anderen zurückstrahlt und selbst keine hat, der weint und feine Thrane im Auge fühlt, der fich mit Dolchßlichen durchbohrt und keinen Tropfen Blutes vers liert. Alles eine bloße Komödie, aber welch ein Schauspiel und welcher Schauspieler! Welches Naturell! Welche Gefchmeis digleit! Welche Nachahmungskraft! Welch' unerwartete Tons biegungen! Welch durchsichtiger, glänzender Styl! Welch' reizende Nachlässigkeit der Rede! Du tdufchest mich, Schauspieler, und willst mich täuschen; Du spielst Deine Rolle herrlich, doch ist es nur eine Rolle; ich weiß das Alles, und dennoch lasse ich mich von Deiner Verführung hinreißen, ich kann nicht andere; fo Lange Du spricht, bin ich wie bezaubert, und ich höre den Fre thum aus Deinem Munde lieber, als die Wahrheit aus dem Munde eines Anderen.

Oft ist mir Thiers vorgekommen wie eine gebildete, geifts reiche Frau, die, auf der Rednerbühne Asend, nicht stehend, über taufenderlei Dinge zierlich hin und her schwaste, mit leichter Anmuth von einem Gegenstande zum anderen überspringend, ohne daß man die Arbeit ihres Geiftes auf ihren in ewiger Bes wegung bleibenden Lippen gewahr würde. Er ist elastischer als

die feinste Sprungfeder. Mit seinem Thema dehnt er sich aus oder zieht sich zusammen, läßt sich herab oder schwingt sich empor. Wie eine Spirale windet er sich um jegliche Frage, von der niedrigsten bis zur höchsten. Er steigt hinan, herunter, wieder hinauf, flammert sich an die Aeste, verkriecht sich im dichtesten Laubwerk, kömmt zum Vorschein, verschwindet und macht taus fend Gauklersprunge mit der behenden Leichtigkeit eines Eichs hörnchens.

Ich weiß es zwar nicht, aber ich möchte es behaupten, daß Herr Thiers, wenn man ihm nur nach Tische eine kleine Weile zur Vorbereitung gönnt, sehr wohl im Stande ist, drei Stunden hinter einander über Baulunst, Poesie, Rechtswesen, Marine und Strategie zu sprechen, obgleich er weder Baumeister, noch Dichter, noch Rechtsgelehrter, noch Seemann, noch Krieger ist. Er hat seine ältesten Bureaus Chefs in Erstaunen gefeßt, wenn er mit ihnen über Verwaltungsfachen diskurirte. Ich übertreibe nicht; welches Thema man auch behandeln mag, nie wird man ihn in Verlegenheit sehen. Schöne Kunst, Kandle, Landstraßen, Finanzen, Handel, Geschichte, Presse, Transcendental Politik, Straßen Angelegenheiten, Theater, Krieg, Literatur, Religion, Siddtewesen, Sitten, Vergnügungen, große und fleine Dinge, Alles ist ihm gleich. Er ist auf Alles vorbereitet, weil er es auf Nichts ist. Er spricht nicht wie die anderen Redner, denn er spricht wie Jedermann. Die Redner bereiten sich mehr oder we niger vor, er aber spricht aus dem Stegreif. Die anderen Red: ner deklamiren, er aber plaudert, und wie soll man auf der Hut feyn vor Einem, der wie wir spricht und besser als wir und irgend Jemand! Die anderen Redner lassen immer ein Stückchen Kos thurn hinter der Coulisse zurück, und im Spiegel sieht man die Federn ihres Helmbusches flattern. Zu Herrn Thiers aber kann man kommen, wenn er eben aus dem Bett springt, und zu ihm fagen:,,Machen Sie schnell, der Saal füllt sich, das Publikum wird ungeduldig und wartet auf Sie; nehmen Sie Ihre Maske und spielen Sie, was Ihnen beliebt, den Minister, den General, den Künstler, den Puritaner, nur spielen Sie." Er wird sich nicht so viel Zeit lassen, sich die Stirn zu trocknen und ein Glas Wasser zu trinken er bringt nicht einmal seinen Anzug in Ordnung; er betritt die Bühne, kleidet sich an, schminkt oder maskirt sich vor den Zuschauern, er improvisirt die Charaktere, spinnt den Dialog an, löst die Knoten und lernt seine Rolle im Spielen; oft giebt er auch zwei Rollen zugleich, wendet sich um, wirft seine Maske fort und greift nach einer anderen; und stets derselbe, ist er doch stets ein Anderer, stets in einer Rolle, stets ein vollendeter Schauspieler.

Herr Thiers ist im Stande, vierzehn Stunden hinter einans der ununterbrochen zu arbeiten, und dann kann man wieder einen Monat lang seiner Bequemlichkeit auch nicht einmal eine Unterzeichnung abgewinnen. Er mag ein guter Minister für das Parlament feyn, für die Verwaltung aber ist er es nicht. Selten find solche Mundhelden auch große Staatsmänner. Oft begegnet es ihnen, daß sie etwas sagen, was sie nicht hätten sagen sollen, oder umgelehrt. Sie sind gewöhnlich eitel, unbesonnen, vorschnell und hochfahrend. Treibt man sie zum Sprechen, was sie nie abs lehnen, so gerathen fie in die Schlingen der Indiscretion. Für Staatsmänner ist größere Zurückhaltung erforderlich.

Jede Regierungsform hat ihre Mangel. Unter einer Reprds fentativ Regierung werden die Majoritäten nur von den Rednern geleitet, und durch die Majoritdten allein werden die Minister geschaffen. Jeder einflußreiche Minister muß reden können, aber nicht jeder beredte Minister kann auch zugleich Staatsmann seyn. Colbert und Sully waren keine Redner, sie hätten in unserer Zeit nicht Minister seyn können. J. J. Rousseau vermochte vor einer Versammlung nicht zwei Sage ordentlich zu Stande zu bringen. Talleyrand ware in Verlegenheit gewesen, hätte er länger als eine Viertelstunde in den Kammern sprechen sollen. Chateaubriand stottert, und Montesquieu würde es in der Debatte gewiß mit dem untersten Advokatenschreiber nicht haben aufnehs men können. Dupin giebt doch einen tüchtigen Präsidenten ab und versteht es prachtig, das Wort zu führen und zu raisonniren; aber um den grünen Ministerteppich würde er nicht zwei zusams menhangende Gedanken vorzubringen wissen, er würde in fünfs undvierzig Minuten fünfundvierzigmal anderer Meinung seyn. Thiers hat mehr Haltung; er ist nicht so schwankend, nicht so Lauftisch, nicht so wetterwendisch. Er wird nicht Epigramme aus seinen Marimen machen. Er wird seine Kollegen nicht mit einem Wigwort tödten. Besißt er aber den für die Leitung der Staatsangelegenheiten so nothwendigen Sinn får organischen Zusammenhang, für Ordnung, Ausdauer und Weisheit? Würde er nicht gar zu leicht der Herrschaft eines Systems, der Grille einer Idee weichen? Würde er nicht bald zu unentschloffen, zu wankend, bald zu ungestům und zu entschieden seyn? Ueberflügelt feine Hiße nicht sein Urtheil? Würde er sich nicht eher durch die Größe der Dinge anziehen lassen, als durch ihren Nußen, durch das Abenteuerliche mehr als durch das Mögliche? Er glaubt nicht an die Hingebung der Tugend, nicht an die Wunderwerke der Ehre; fein Glaube beschränkt sich auf die Macht des Goldes; dies Gold vergeudet er tonnenweise, wenn es gilt, irgend einen Triumph, bogen zu bauen oder irgend eine thörichte Eroberung zu machen. Er weiß nicht, daß ein volles kostbare Blut gefchont werden der Lebensfaft und das Blut des Volkes ist, daß dieses muß, daß die Sparsamkeit die erste der öffentlichen Tugenden

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Göthe und Schiller Zwischen beiden Dichtern sieht ein Französischer Kunstrichter, Henri Blaze, in einem langeren Artikel über den zweiten Theil des ,,Faust", den die Revue des deux mondes mittheilt, folgende Parallele: Gdthe ist vielleicht der einzige große Dichter, den die Phantasie nicht willkürlich fortgeriffen hat; in Göthe liegt eine Kraft, welche die Phantasie bemeistert, mag man sie nun reine Vernunft, Selbstsucht, gesun der Menschenverstand oder anders nennen, vorhanden ist sie jedens falls. Die unsterbliche Fee muß über sich ein menschliches Geset anerkennen, welches ihren Flug mäßigt und fie lenkt. Hier ist es, wo wir Franzosen mit Recht den Antheil an Göthe's Genius, der uns gebührt, in Anspruch nehmen können. Es wäre zu viel gefagt, wenn man behaupten wollte, Frankreich habe einen eben To großen Einfluß wie Deutschland auf die Bildung dieses außers ordentlichen Geistes geübt, und ohne uns würde dieser glänzende Name der Welt nicht geschenkt worden seyn; aber wenn man sieht, daß Göthe während seines ganzen Lebens einen vertrauten Umgang mit den Geistern des 17ten Jahrhunderts unterhält, welche die an ihm gerühmte Gabe in einem so hohen Grade bes saßen, wie nie wieder seit den Zeiten des Alterthums, so darf man wohl annehmen, daß Frankreich auf die Entwickelung dieses ungeheuren Geistes eingewirkt habe, und für unser Vaterland einen Theil dieser Ruhmfülle ansprechen. Göthe hat den Frans zosen entlehnt, was, wie er wohl wußte, ihm Deutschland nicht geben konnte. Göthe's Poesie in ihrer imponirenden Harmonie geht aus dem Verein des ruhigen und nachternen Verstandes, den wir im höchsten Grade besigen, und aus einem angeborenen Gefühl der Farbe, des Bildes, der Form, wie aus einer unstills baren Sehnsucht nach dem Idealen und Göttlichen, die uns immer fremd geblieben ist, hervor. Schiller dagegen ist eine durchweg Deutschere Natur; ein reich begabter Geist, allen edlen und großen Empfindungen offenstehend, den die Gefühle fortreißen, ohne daß er ihnen Widerstand zu leisten vermochte. Schiller singt eine endlose Hymne, während welcher alle seine Empfindungen Form annehmen, ohne daß er sich der Arbeit des Gestaltens bewußt werde. Thekla, Piccolimini, Wilhelm Tell, Don Carlos, die Jungfrau von Orleans verkörpern seine Sehns sucht nach Liebe, Freiheit und Ruhm; es sind Schiller's Thränen, die auf Thella's Augenliede erzittern, Schiller's Stimme, welche aus der Brust der begeisterten Jungfrau oder des liebenden Cars los hervortönt. Durch den vorherrschenden, lyrischen Charakter geht die Wahrheit verloren, und alle Gestalten Schiller's sind nach seinem Bilde gemacht. Betrachtet man sie, so scheinen fle immer eine Aehnlichkeit mit seinem melancholischen, sanften Ges fichte, seinen blonden Haaren zu haben. Die Liebe strömt aus seinem Herzen wie aus einem übervollen Gefďße; ein unaufhörs liches Bedürfniß, sein Inneres auszuschütten, beherrscht und beseelt ihn. Er ist wie der junge Adler, der die Sonne mit dem Schlage seiner Flügel begrüßt. Alles Hohe und Reine zieht ihn an, und er folgt so sehr dem Zuge seines edlen Hers sens, daß er zuweilen zu fürchten scheint, die nachfolgende Res flerion möchte die Reinheit seiner Begeisterung trüben; er ist der edle Mensch in seiner idealsten Gestalt. In Schiller tritt in der That der Künstler gegen den Menschen zurück. Göthe dagegen läßt seinen Kopf über die unergründlichen Tiefen des Gefühls gebieten. Schiller giebt nichts von seiner Menschheit auf; er lebt als Gatte, Dichter, Bürger; bald im Himmel der Ideen, bald' auf der Erde weilend, von schöner Zuneigung und glücklicher Wirklichkeit umgeben, hat er nicht, wie der Weimarsche Jupiter, seinen Fuß auf einen Granitblock gesezt. Er liebt, er fingt, er betet, er begeistert sich leicht, und im Fieber der Begeisterung hört er oft auf, Künstler zu seyn, seinem Werke gegenüber, um Mensch zu seyn, der Gesellschaft gegenüber. Unter den Charals teren feiner Umgebung neigt er sich nur denen zu, deren begeis fterter und offener Charakter seinem eigenen entspricht. F Daraus entspringt bei Schiller ein beständiger Enthusiasmus, der ihn über die Pfade der ruhigen Beobachtung hinausreißt, eine Art Subjektivitdt, welche ihn beständig persönlichen Einflüssen unter wirft. Göthe zieht sich auf den Gipfel feines Genius zurück, um von hier aus die Menschheit zu beobachten; Schiller wohnt das gegen unter den Menschen. Welche Sympathie man auch für den berühmten Dichter des Wallenstein und der Jungfrau empfins den mag, so muß man doch ber unbestreitbaren Ueberlegenheit Göthe's huldigen. Der Eine unterliegt den Gefeßen seines Ges genstandes, der Andere beherrscht ihn der Eine verwickelt sich in den Faden feines Gewebes, der Andere, auf seinem ehernen Schemel sigend, ordnet fle nach Bequemlichkeit mit seinen mach; tigen Fingern. Von Schiller kann man sagen, daß er im Werke befangen ist, von Göthe, daß er außer und über dems felben steht.

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