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*vierteljährlich, 3 Thlr. für Bab, ganze Jahr, ohne Er. böhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

Ne 45.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wobüzbl. Poft- Aemtern,

Literatur des Auslande s.

Berlin, Montag den 15. April

Franfreich.

Der letzte Ministerwechsel unter Karl X.

Nach der Histoire de France, pendant la dernière auuée de la restauration. *)

Das Ministerium, dessen Seele und Leiter Herr von Mars tignac war, hatte sich nicht ohne Ehre, aber fast ganz ohne Ergebnis durch eine der schwierigsten unserer parlamentarischen Seffionen durchgeschlagen. Furchtsam und unentschloffen in seinem Gang, hatte es nur durch den im Allgemeinen achtungswerthen, Charakter seiner Mitglieder und durch das glanzende Talent, wos mit das Haupt. Organ desselben feine Handlungen und Absichten vertheidigte, eine Art von Bestand gewonnen. Die Mäßigung und Redlichkeit dieses Ministeriums hatten teine von den extremen Parteien, die Fraulreich spalteten, mit der Regierung ausgeföhnt. Die reinen Royalisten verziehen ihm unter Anderem nicht, daß es die Censur aufgehoben und den Versuch gemacht, das Wahls Prinsip auf die öffentliche Verwaltung anzuwenden, einen Ver such, den ihre berechnete Neutralitɗt so eben vereitelt hatte. Die kirchliche Partei machte ihm die beiden Ordonnanzen vom 16. Juni sum Vorwurf, durch welche acht Jesuiten Kollegien unter die Ober Aufsicht der Universität gestellt und die kleinen Seminarien einem strengen gefeßlichen Reglement unterworfen wurden. Die Liberalen der dußersten Linken dagegen waren gleichgültig gegen Konseffionen, in denen sie weniger einen freiwilligen Ausdruck des Königlichen Willens faben, als eine von den Umständen und dem Fortschritt der neuen Ideen gebotene Nothwendigkeit. Die Einwilligung des Throus in die Umwandlung eines Munisipals Systems, das so vielen Regierungen genügt hatte, diente ihnen sur Waffe, um die bestehenden Institutionen anzugreifen, und die immer größere Kühnheit dieser Angriffe entlockte Herrn Martignac felbf den ominöfen Ausruf:,,Wir nähern uns der Anarchie!" So erreichte dieses Minifterium, ermüdet, schwach und uneinig, den Schluß einer legislativen Periode, in der teine von den pofitiven Verbesserungen zu Stande lam, die man von ihr ers wartet hatte. Die öffentliche Gewalt war ohne Kraft; Symptome der Besorgniß und Muthlosigkeit zeigten sich auf allen Seiten, und die bedeutende Anzahl der Deputirten, welche dieses Jahr gegen die Bewilligung des Budgets gestimmt hatten, ließ für die nächste Sizung eine ernste, fast drohende Opposition bes fürchten.

Welches war die Stellung Karl's X. in der Mitte dieses furchtbaren Kampfes der Parteis Leidenschaften? Ein redlicher, wohlgefinnter Fürst, dem es aber an einem richtigen Verständniß für den Geist und das innere Getriebe des Repräsentativ & Staats fehlte, ließ er sich in seiner Politik von zwei mit Recht verderb lich genannten Vorausseßungen leiten. In der von Ludwig XVIII. oftropirten Charte sah er mehr eine übereilte Konzeffion**), als ein Resultat reiflicher Vermittelung zwischen den alten Königs lichen Prarogativen und den neuen Forderungen der Zeit. Dieser Fehler in der Entstehung, der nach Karl's redlicher Gesinnung die Verbindlichkeit des Eides nicht schwächen konnte, wurde in feinen Augen durch eine etwas verworrene Theorie wieder gut gemacht, welche seine alten Ideen über die Allmacht der Königs lichen Autorität mit seiner Achtung für die Charte, in deren 14tem Artikel diese Theorie ausgesprochen schien, in Einklang brachte. Es war dies eine Theorie, welche, im Fall des Wiss brauchs der Constitution, der Krone, kraft ihrer der Charte vors ausgehenden und Ponstituirenden Gewalt, das Recht gab, die Bestimmungen derselben zu suspendiren oder zu modifiziren: eine gans neue, in der Anwendung kißliche Doktrin, die nicht fehlen Lonnte, eine Regierung, die ihr schönstes Lob bisher darin ges fucht, daß fie nur nach den Gefeßen regierte, früh oder spdt zur Willfür zu führen. Denn was follte man unter dem Mißbrauch der Charte verstehen? An welchen Zeichen sollte man denselben

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1839.

erkennen? Welcher Schiedsrichter follte in feßter Instanz über die Kraft und Wahrheit dieser Zeichen aburtheilen? Wie gefährs lich war die Lösung dieser Lebensfragen für einen Fürsten, den feine Erziehung, seine Vorurtheile, feine mangelhafte Einsicht, ja selbst die Geradheit und der Adel seiner Seele dem Jahrhuns dert, in dem jene Fragen hervortraten, so sehr entfremdeten! Auch war das poliusche Benehmen Karl's von einem gewiffen mißtrauischen Geist beherrscht, der eigentlich nur auf einem Wiss verständniß beruhte. Von der Erinnerung an die Katastrophen befangen, welche die Französische Revolution auf sein Haus ges häuft, hielt er sich überzeugt, daß das fortschreitende Streben der constitutionnellen Partei, die öffentlichen Freiheiten zu vergrößern, die Sicherheit feines Thrones gefährde. Seine unerfahrenheit wußte nicht die Aufregung, die den Repräsentativ Regierungen eigenthümlich ist, von den Attentaten ernsterer und gefährlicherer Art zu unterscheiden. Nimmt man zu diesen Irrthümern die Besorgnisse, welche einige Mitglieder der höheren Geistlichkeit in diefer frommen, befangenen Seele zu nähren suchten, die feindselige Stimmung gegen die Constitution, die von den Trum meru der Partei des Bruders Ludwig's XVIII. in ihm bestärkt wurde, und man wird sich leicht die persönliche Abneigung des Königs gegen ein System von Konzessionen erklären, das ihm nur geeignet schien, die Kühnheit und die Forderungen der Pars teien aufsumuntern. Ihr seht“, sagte er zu seinen Ministern, als die Linfe bei der Diskussion des Departementals Gefeßes einen fo ungeschickten Eigenfinn bewies, Ihr seht, wohin man mich fortreißen will, wie weit Ihr selbst durch Eure Konzessionen forts geriffen worden.... Von dieser Kammer ist nur durch Energie etwas zu erlangen." Diese unglücklichen Ansichten fanden leinen Widerstand beim Dauphin, deffen Ideen sich allmålig ganz denen feines Vaters gendhert hatten, dem er überhaupt eine unbedingte Unterwerfung zollte.

Allerdings hatte die Dynastie der Bourbonen noch eine Menge Feinde unter der liberalen Partei, und unter dem Decks mantel einer rein parlamentarischen Opposition waren die Absich, ten Mehrerer von ihnen geradezu auf den Umsturs der Monarchie gerichtet. Doch da sich diese Fraction weder auf die Armee, noch auf einen bedeutenden Theil der Bevölkerung staßte, fo war sie an sich ohne reelle Macht. Andere, die von Hause aus nicht weniger feindlich gesinnt waren, hatten sich allmålig ges wöhnt, die Erhebung dieser Donaftie als ein abgeschloffenes Faltum anzusehen, und, fen es aus Schwäche, oder Ueberdruß, oder Liebe zur Ordnung, endlich aufgehört, die Restauration selbst, die sich in funfzehn Jahren gefeßlicher Freiheit festen. Ber stand gewonnen, zu bekämpfen. Man kann sagen, daß die thats lichen Komplotte und die Verschwörungen gegen das Leben des Fürsten seit 1824 aufgehört hatten. Die übrigen Anhänger der liberalen Doktrinen hatten sich, ohne das Königthum von 1814 so anzubeten, wie die reinen Royalisten, ihm mit Redlichkeit und Einige fogar mit einer gewissen Hingebung angeschlossen, welche von Seiten des Monarchen ein treues Festhalten an den constitutionnellen Prinzipien vorausseßte, die er zu beobachten geschworen. Aber diese Beobachtung wurde mit Strenge und Mißtrauen bewacht, und die geschickte, aber unpopulaire Vers waltung des Herrn von Villèle hatte, indem sie die ehrgeizige Fraction dieser Partei sechs Jahre lang von den Geschäften ents fernt hielt, einen raftlosen, mißvergnügten Geist in ihr entwickelt, deffen Bedeutung man sich nicht verhehlen konnte.

Durch einige mehr oder minder glückliche Zugeständnisse, und indem sie den Glauben an die Redlichkeit der Regierung wiederherstellien und das Prinzip der Legitimitat an die Charte fnüpften, hatten Herrn Villèle's Nachfolger jenes Mistrauen, jene Feindseligkeit u befchwichtigen versucht; aber das Unglück dieser Zeit war, daß dieses Ministerium, das aus geschickten und tadellofen Männern bestand, welche aber nicht den Sympathieen des Hofes entsprachen, dem König immer nur ein sehr beschränktes Vertrauen einflößte. Herrn Martignac's feiner und gewandter Geist, der dem des Königs so analog war, hatte keine Macht über einen Willen, der so alten, hartnäckigen Vorurtheilen unterworfen war. Als die unglückliche Zurücknahme der Gefeß-Entwürfe über die Gemeinden und die Departements das Ministerium mit der Majoritat der Kammer für immer entsweit hatte, begrüßte der uns vorsichtige Monarch den Ausbruch dieser Spaltung freudig als das Signal sur Abschüttelung eines Jochs.

In dem Moment, als das Kabinet au manten begann, und fchon früher, hatten sich die Blicke auf den Fürsten von Polignac gewandt, der damals Gesandter in England war. Die Vorliebe, die Karl X. für ihn hatte, war allgemein bekannt. Zwar fannte der König, trog aller Hingebung, die er den Bourbonen bewies fen, feine wirkliche Unfähigkeit recht gut; aber er brauchte wenis ger einen Rathgeber, als ein Werkzeug. Einen Namen führend, deffen Unpopularitdt sich aus dem vorigen Jahrhundert herschrieb, wurde Herr von Polignac von den gemäßigten Freunden der Monarchie mit Schrecken betrachtet, und unter den Conftitutions nellen der verschiedenen Nuancen erregte er eine fast granzenlose Erbitterung Was die reinen Royalisten anbelangt, so waren fie in Betreff seiner getheilt. Die Freunde des Herrn von Villèle, die gewohnt waren, ihn als den prafumtiven Nachfolger dieses Ministers anzufeinden, sprachen mit Verachtung von seiner Taugs lichkeit; diejenigen, welche sich der Nuance des Herrn von La Bourdonnaye näherten, die Anhänger der energischen Maßregeln, vertrauten auf seine Gesinnung und erwarteten mit seiner Berus fung zu den Geschäften den Anfang eines kräftigen, entschiedenen Regierungs, Systems, durch welches das Königthum aus seinen gegenwärtigen Verlegenheiten herausgezogen würde. Die Kirs chens Partei, welcher er durch seine Verbindungen und eine aus langen Leiden hervorgegangene Frömmigkeit angehörte, hoffte von seiner Mitwirkung das heil der Kirche und des Staats. Zu diesem Vertrauen tam noch das, welches der Fürst von Po lignac auf sich selbst seßte. Wohlwollend und redlich im höchsten Grade, aber leichtsinnig und eingebildet, ohne tiefere Menschens fenntniß, und dabei mehr den Prinsipien der Representativ Regies rung anhangend, als in die wahren Bedingungen derselben ein geweiht, täuschte er sich durchaus über die Natur und den Ums fang der Opposition, zu deren Bekämpfung er sich berufen glaubte. Die mächtige constitutionnelle Opposition, die sich seit dem Bil leleschen Ministerium gebildet hatte, verwandelte sein getduschter Blick in ein schwaches revolutionnaires Hduflein, deffen feinds feliges Streben, ohne Anklang in der Ration, durch eine kraftige Haltung der Regierung leicht zu vereiteln sey. Ihn verführte das Beispiel des Herzogs von Wellington, der einer tornistischen Verwaltung eine imposante parlamentarische Majorität au ges winnen mußte; aber er vergaß, daß die Lorbeern von Waterloo hier ein großes Gewicht in die Waagschale legren.

Die Idee, Herrn von Polignac an die Spise der Geschäfte zu rufen, war bei dem König nicht neu. Die Ergebenheit deffels ben erschien ihm immer als ein Nothanker für eine gefährliche Lage. Nur der Ruf seiner Unfähigkeit, den Herr v. Villèle selbst verbreitet hatte, fonnte ihn von der Verwaltung ausschließen, als der Kredit jenes Mannes am Hofe zu finden begann. Seitdem bot ein Vorfall unter dem Ministerium des Herrn v. Martignac dem Könige die Gelegenheit, einen entschiedeneren Schritt zu thun. Im Dezember 1828 sah sich herr von La Ferronnais, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, durch Gesundheitss Rücksichten veranlaßt, feine Entlassung nachzusuchen. Der König ließ durch Herrn von Portalis dem Fürsten von Polignac heims lich schreiben, er solle nach Paris kommen, um daselbst mit dem Herzog von Mortemart, der als Gesandter nach Rußland ging, au konferiren. Mit Karl's geheimsten Absichten vertraut, spricht der Fürst in London viel von seiner nahen Beförderung, eilt nach Paris, lduft zu Herrn v. Portalis und erzahlt ihm ohne Weiteres, er sen Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Herr v. Pors talis verbirgt mit Mühe sein Erstaunen und theilt es seinen Kollegen mit, welche erflären, daß sie sich in Waffe zurückziehen würden, wenn Herr v. Polignac ins Minifterium trete. Umsonst wollte sich dieser, nach befferer Ueberlegung, mit dem Portefeuille des Königlichen Hauses begnügen; umsonst stellte er die Unmögs lichkeit entgegen, mit Anstand nach London zurückzukehren, nachs dem man so viel unnüßes Aufsehen gemacht: die Minister bleis ben unbeugfam. Forschen wir nach der Ursache dieses so ents fchiedenen Widerstandes.

Es ist hier nicht der Ort, an die ersten Jahre der politischen Laufbahn des Herrn v. Polignac zu erinnern, an seine schwache Theilnahme an den Verschwörungen gegen das Konfulat, an feinen edlen Kampf mit seinem Bruder vor dem Kriminals Se

die Willkür bis zu den Begebenheiten des Jahres 1814 verlängerte: alle diese Thatsachen, die man so oft erwähnt und entstellt hat, gehören einer anderen Epoche an. Dagegen wollen wir die Lefer auf einen Vorfall aufmerksam machen, der unmittelbar in die Geschichte der Restauration gehört.

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Als die beiden gefeßgebenden Kammern zu Ende des Jahres 1815 zusammenkamen, weigerte sich Herr v. Polignac, als Mits glied der Pairs Kammer, einen unbedingten Eid auf die confti tutionnelle Charte zu leisten, weil der Artikel, der sich auf die Freiheit des Kultus besiche, nicht ausdrücklich von der Herrschaft der fatholischen Religion spreche." Diese in der Königlichen Sigung ausgesprochene Weigerung machte Aufsehen. Die Pairs Kammer fandie zwei ihrer Mitglieder ab, um nach den Gründen derfelben zu fragen. Dieser Schritt war ohne Folgen, aber nur ehrenvoll für den Charakter des Herrn v. Polignac. Der eine jener Kommissarien, Herr v. Fontanes, lobre laur die Reinheit feiner Gesinnungen, und Herr v. Volignac selbst sagte ju den Abgeordneten der Kammer,,,der Vorbehalt, ohne den er nicht schwören wolle, hindere nicht, daß er von ganzem Herzen der constitutionnellen Charte anhänge." Indeß wurde er erft einige Monate später in Folge eines Eides ohne Vorbehalt zugelassen.

hape wants usag Dieser Vorfall, der von dem Parteigeist vergrößert oder entstellt wurde, machte einen übeln Eindruck. Die öffentliche Meinung, die gegen die Verlegung des politischen Eides so nachs sichtig ist, blickte mit strengen Augen auf eine Gewissenhaftigkeit, welche wenigstens zeigte, daß ein solcher Eid nicht bei Allen feine Bedeutung verloren hatte. Sie sah nicht eine Bürgschaft der Aufrichtigkeit darin, sondern nur ein Zeichen heimlicher Abs neigung gegen die Institutionen, die Frankreich der Restauration verdankte.

Die Umstände, die zwischen diesem Vorfall und der Zeit, deren Geschichte wir schreiben, eintraten, berechtigten in nichts, die Aufrichtigkeit jenes Eides zu bezweifeln. Herr v. Polignac gab 1816 seine Stimme für das liberale Gefeß, daß jeder Bürs ger, der auf den Listen der Nationalgarde eingeschrieben sen, das Wahlrecht haben solle. Alle Parteien haben es anerkannt, daß er bei seiner Gesandtschaft in England ein patriotisches und würs diges Benehmen gezeigt habe. Man führte lobend seine diplos matischen Depeschen an, und Herr von La Ferronnais, deffen Urtheil in dieser Beziehung Vertrauen verdient, sagte von ihm: ,,er habe weniger Fähigkeit, als er selbst glaube, aber viel mehr, als man ihm gewöhnlich zugestehe."

bekenntniß abzulegen; er that dies mit Des

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Herr von Potignac benußte feinen Aufenthalt in Paris, um im Februar 1829 vor der Pairs Kammer sein Glaubenss und Würde: Einige öffentliche Blauer", sagte er,,,haben seit einigen Tar gen die heftigsten Verleumdungen gegen mich gerichtet. Ohne Veranlassung von meiner Seite, ohne Grund und Wahrscheins lichkeit, ohne eine einzige Thatsache, die ihnen aur Stüße oder zum Vorwand diente, wagen fie es, mir vor ganz Frankreich eine heimliche Abneigung gegen unsere repräsentativen Inftis tutionen anzudichten, die doch jest die Weihe der Zeit und einer höheren Autorität zu befißen scheinen, seitdem die Königliche Hand, von der wir sie bekommen, falt im Grabe ruht... Wenn fie sehen möchte, was mich beschäftigt, wie es doch so leicht ist, zu wissen, was ich denke, und zu hören, wie ich spreche, würde die Verleumdung selbst erröthen, mir Gesinnungen zu leihen, von denen ich nichts weiß und die meine Stimme jest zurückweißt wie mein Leben immer eine Verdammung derfelben seyn wird. Aber ich will hier nicht bloß die Hälfte meines politischen Glans bensbekenntniffes aussprechen; ja, ich rechne es mir zur Ehre. an, zu der großen, unermeßlichen Zahl der Franzosen zu gehören, welche glauben und hoffen, daß die repräsentativen Inftitutionen fich in unserem Vaterlande feft einbürgern werden; aber nie werde ich mich denen anschließen, welche es gern fehen würden, daß die Maßlosigkeit eines strafbaren Eifers diese an sich so weis sen Institutionen entstellt und den Mißbrauch, der damit getries ben wird, zur Aufstellung von Doktrinen benußt, welche geeignet find, die Leidenschaften zu wecken und die Fackeln der Zwietracht in die Gesellschaft zu schleudern... Der feierliche Vertrag, auf dem unfere monarchischen Freiheiten ruben, erscheint mir wie ein himmlisches Zeichen, welches der Vorbote der Ruhe und Sichers heit ist; ich betrachte ihn als einen Hafen, der uns gegen neue Stürme sichert, als ein neutrales Gebiet, von welchem alle ges fährliche und unnüße Erinnerungen aus der Vergangenheit gleich sehr ausgeschloffen sind... Mit welchem Recht schreibt man mir die Absicht zu, Freiheiten, die auf legitime Weise erworben worden, zu zerstören? Har man je in mir einen fervilen Anbeter der Gewalt gefehen? Ist meine politische Gesinnung etwa beim Anblick der Gefahr wankend geworden? Wenn ich das Ges wissen und das Leben meiner Anklager untersuchen dürfte, wür den sie nicht vielmehr dabei ertappt werden, wie fie vor einem Idol das Knie beugten, während ich, unabhängiger als fie, in Fesseln dem Tode troßte?"....

Diese Sprache konnte das Mißtrauen der Parteien niche überwinden. Man hatte weniger Achtung vor feiner fcheinbaren Redlichkeit, als Furcht vor den politischen Motiven, die ihn festbielten, und der Fürst gab dieses Mal den wiederholten Aeuße rungen des öffentlichen Mißtrauens nach, indem er nach England surudging. Herr v. Portalis ward den 15. Mai aur Leitung der auswärtigen Angelegenheiten berufen. Sein Nachfolger im Juftis Departement ward Herr Bourdeau, der Unter-Staatsses creampie teeismarine tereffion ward der

Die legislative Seffion ward den 31. Juli gefchloffen. Bier Tage vorher hatte sich das Gerücht verbreitet, Herr von Polignac sey so eben nach Paris gekommen. Der offizielle Vorwand feis ner Reise war die Wiederherstellung feiner Gesundheit davon ließ sich Niemand tauschen. Die thatigen Schritte des Fürsten, der Versuch, den Kart fürs vorher gemacht, ihn Ins Kabiner zu berufen, die moralische und bald darauf die wirkliche Auflösung des Ministeriums, die in der Mitte des Conseils selbst ausges sprochen wurde, alle diese Umstände ließen nicht zweifeln, daß die Anwesenheit des Fürsten mit einem politischen Plan zufame menhänge, den man in feinem Bived und feinen Einzelnheiten noch nicht flar durchschauen fonnte. Mehrere Personen behaup reten fogar, er sey nicht im Stande, ein Kabinet aufammenzur bringen. (Forchebung folgt)

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Anfänge feiner Regierung verherrlichte, brachte die Widerstands, und Neuerungs-Ideen vollends zum Schweigen. Mitten in diesem Schweigen bildete sich die Literatur des großen Jahrhunderts, jene rubige, majestätische Literatur, die sich selbst die strengsten Gefeße giebt, mit Maaß die Leidenschaften malt und jene erhabes nen Fragen, die an Kampfen und Irrthümern so reich find, ruhen last. Dieser schönen Schule gehören die höchsten Talente der Zeit an; fie erhöhen den Glans des Throns, der wieder den feinigen auf sie zurückstrahlen läßt, indem er sie zu sich hinaufs zieht und der Bewunderung Frankreichs und Europa's hinstellt.

Doch neben dieser zugleich religiösen und Plaffischen Schule war eine andere da, die, ohne Lärm auftretend und das helle Licht der Deffentlichkeit scheuend, sich in die Unterhaltung und die Salons zurückzog. Wenn fie von Zeit zu Zeit ihr Daseyn fund gab, fo geschah dies durch leichte Productionen, die gerade um ihrer Frivolitat willen den Blicken der Macht entgingen. Die Schriftsteller, die wir meinen, waren in Betreff des Sitts lichen nichts weniger als zurückhaltend, sie wußten, daß fie fich in dieser Hinsicht viel erlauben konnten; aber in Sachen des Glaubens und der Regierung waren sie außerordentlich vorsichtig wenn sie in dieser Hinsicht etwas Kühnes wagten, so geschah dies heimlich und mit Hülfe der Londoner oder der holländischen Preffen.

Diese fleptische, freiheitsliebende Schule hatte unter den großen Herren und den Literaten, die in ihrem Solde standen, ihre Haupts Adepten. Doch auch zwei der ausgezeichnetsten Geister des Jahrhunderts, Motière und La Fontaine, hatten mit ihr mehr als einen Berührungspunkt. Aber wenn man abrechnet, was aus den Werken derselben ihr angehört, ist die Schule im Ganzen nicht sehr bedeutend; ihr Voltaire war ein jest fast vergeffener Schriftsteller, Saint-Evremond, der, früher Gardelieutenant des Prinzen von Condé, wegen seiner beißenden Kritik des Pyres näischen Friedens nach England erilirt wurde, ein munterer, reichbegabter Geist, der aber zu sehr Epikurder war, zu sehr Ruhe und Genuß liebte, um ein Parteihaupt) abgeben zu fons nen. Und doch triumphirte diese Schule später durch das 18te Jahrhundert, welches ihre Doktrinen annahm, predigte und ers weiterte; schon vor Ludwig's XIV. Ende war der Sieg nicht mehr zweifelhaft.

Als Boileau die Aufnahme Fontenelle's in die Akademie er fuhr, fchrieb er in verdrießlicher Stimmung: Die Akademie verschlimmert sich immer mehr. Dieser von Villemain sitirte Bug ist merkwürdig; er zeigt, daß Boileau schon 1691 den Forts Schritt der Doktrinen erkannte, die er nie aufgehört, zu bekämpfen. Er fab in Fontenelle einen zweiten Perrault, und es war mehr als Perrault.

Der berüchtigte Streit über die,,Alten und Modernen" war im Grunde nur derselbe Glaubenss und Autoritätskampf, auf ein spezielles Gebiet verpflanzt, wo man ihn ohne Gefahr durchfechs ten fonnte, weil weder die Regierung noch das Publikum die Bedeutung desselben begriffen: fie sahen darin nur einen litera rischen Zwist. Angeregt ward diefer Streit 1674 in einem Werk Desmarets (,,Vertheidigung des Helden Gedichts mit einigen Bemerkungen über die satirischen Werke des Herrn Despréaur), welchem Boileau indirekt antwortete durch den Aten Gesang der Art poétique. 3m Jahre 1688 erschien die berühmte Parallele des anciens et des modernes. Diesem Werk Perrault's stellte Boileau seine Réflexions sur Longin entgegen. Die Geister theils ten fich awischen beiden Gegnern; doch die öffentliche Meinung begünstigte den Vertheidiger der Alten". Die ganze sleptische Schule gehörte zu Perrault's Partei; doch sprach sie sich anfangs nur furchtsam aus, wie man aus folgender Stelle eines Briefes der Ninon an Saints Evremond vom Jahre 1693 ersehen kann: Ich mache oft alte Erschlungen, wo Herr d'Elbene, Herr de Charleval und der Ritter de la Rivière die Modernen erfreuen. Sie haben Theil an den schönen Stellen; doch da Sie auch ein Moderner find, so hüte ich mich, Sie vor den Akademikern zu loben, die fich für die Alten erklärt haben."

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ein anderer auf ihn erbitterter Satiriker, war verachtet. D'Alem bert hatte hinaufügen können: Er hatte auch den Vortheil, die Gunft des Regenten und feines würdigen Ministers Dubois ju genießen.

Fontenelle hate an La Motte und dem Abbé Terrasson nus liche und eifrige Bundesgenossen gefunden. Man muß die poles mischen Schriften dieses Lesteren, des Kuhnften unter den Dreien, lefen um zu erkennen, welche Veränderung in den lesten Jabs ren Ludwig's XIV. eingetreten war. Man öffne seinen langen Bericht, der den Titel führt: Dissertation sur Homère; hier fins bet man, daß,,das natürliche Prinzip, nach welchem man ein Werk der schönen Literatur beurtheilen muß, nicht in der Bes wunderung besteht, die man für dieses Werk von jeher gehabt hat, fondern in der vollkommenen Uebereinstimmung desselben mit der Vernunft und der Natur des Schönen; das ist wahre Philosophie, eine Philosophie, die alle Vorurtheile beseitigt, um auf den innersten Grund der Frage zurückzugehen; dieser Geist ist es, der Aristoteles nach 2000 Jahren gestürzt hat und der Hos mer nach 3000 stürzen wird. Es heißt ferner darin,,,daß der Streit über die Alten und Modernen dem menschlichen Geißt feine ganze Würde wiedergegeben hat, indem er ihn auch in Hinsicht der schönen Literatur vom Joch des Vorurtheils befreite, und daß es eine wahre Schmach für die Französische Akademie ware, wenn der erste Strahl des philosophischen Lichts, das die Finsterniß jenes feit der Gründung dieser Körperschaft bestehens den Wahns über die schöne Literatur gerstreuen wird, nicht aus ihrer Mitte hervorgegangen wäre." Auch liest man hier, daß die Oper eine treffliche moralische Schule ist, besonders für die Könige: Da man bei den meisten Fürsten, die nicht denselben Grad von Frömmigkeit erreichen werden, wie der gegenwärtige König von Frankreich, einen hang sum Vergnügen vorausseßen muß, so können sich die Dichter, die für das Schauspiel arbeiten, in gewiffem Sinne als die ersten und vielleicht die einzigen Sit tenlehrer der Könige betrachten.... Während die Prediger und die Direktoren den frommen Seelen einen Haß und Efel gegen das Jahrhundert einflößen, müssen die Dichter die Fürsten dazu anleiten, daß fie die Zeiten glücklich und angenehm machen und die Völker in allgemeiner Freude erhalten Die Fürsten und die Obrigkeiten müssen, die Ansicht, daß das Colibat der Ebe vorzusieben fey, im Innern der Seele verbergend, das einzig gefeßmäßige Mittel, die Völker zu vermehren, begünstigen und zur Verwirklichung des Naturprinsipes beitragen, das der Schöpfer dem Menschengeschlecht mitgegeben, zu wachsen und fich zu vermehren. Selbst der, welcher, unberührt von den ers habensten Ideen des Glaubens, fich freuen würde, die Zahl der Menschen abnehmen zu sehen, fönnte nur für eine schwarze Seele und für eine Pest des Staates gelten." Terrasson war nicht bloß Abbé; er war Vorleser und Königlicher Profeffor der Philofophie, Mitglied der Französischen Akademie und der Alades mie der Wissenschaften. 700

Uebrigens darf man nicht glauben, daß der philosophische Geist weiter keine Nahrung hatte, als den Streit über die Alten und Neueren. Es war die Zeit, wo Banle den größten Einfluß hatte; man weiß, welch' wunderbaren Erfolg seine,,Nachrichten von der Republik der Wissenschaften und sein,,historisches und fritisches Dictionnaire" hatte, und Louis Racine vergist auch nicht, in einem seiner schönsten Werke, der an Rousseau im Jahre 1737 geschriebenen Epistel, wo er die Gründe der großen Revolution aufsucht, deren besturster Augenzeuge er gewesen, auf den Rote terdamer Journalisten anzuspielen. Bayle starb im Jahre 1706. In demselben Jahre beschloß auch Ninon ihre lange Laufbahn. Der erstaunliche Ruf, den diese philofophische Courtisane während ihres Lebens genoß, der Enthusiasmus und die Lobreden, womit fie nach ihrem Tode überschüttet wurde, find Thatsachen, welche über die Fortdauer des Sleptisismus durch das ganze 17te Jahrs hundert hindurch und den steigenden Einfluß und Muth desselben im Anfang des 18ten viel zu denken geben.

Man sieht also, die Revolution der Geister wartete nicht, bie der große Konig ins Grab stieg, um sein System, alle Ideen und allen Glans, womit er regiert, su verurtheilen. Es war auch ganz natürlich: Ludwig war besiegt; die Schmach der Niederlage war dem Triumph dicht auf dem Fuße gefolgt; der gealterte, niedergeschlagene Monarch, der den Utrechter Frieden erbettelte, wie verschieden war er von dem jungen Herricher, der mit Stol den Nimweger Traktat diltirt hatte. Hatte Ludwig XIV. in einem bloßen Kampf der Interessen, einer Macht gegenüber, die diesels ben Prinzipien, wie er, hegte, nachgeben müssen, so hatte die Niederlage nicht daffelbe Resultat gehabt. Aber nicht das Haus Desterreich hat Ludwig XIV. befiegt, obgleich es alle feine Krafte dazu bergab, sondern vielmehr Wilhelm III., England und Hols land, mit einem Wort, das protestantische Prinzip, welches mit wunderbarer Gewandtheit die allerfatholischsten Herrscher, felbi den Papst für sich zu gewinnen wußte. Daher fiel auch mit Ludwig XIV. ein ganzes Softem, und zwar zum Vortheil des entgegengefeßten. Was bat Desterreich mit Ludwig's Niederlage gewonnen? Richts, es ist vielmehr feitdem einem sichtbaren Vers fall entgegengegangen, aus dem es sich später nur durch ein Wunder rettete; das fommt daher, weil Desterreich felbst dem besiegten System angehörte. Die Beute und alle Früchte des Sieges waren für die proteftantischen Mächte; ihr System hatte

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fich. &t er liebte ein junges Mädchen, sie verheirathete

fich. Es ist dieselbe, an die er fo rührende Verse gerichtet, der er gesagt hatte:,,Wenn Du auf Deinem Wege eine Blume, trifft, die ihr müdes Haupt beugt, eine blaffe Blume, die sich mit einer Thrane in ihrem Kelche verschließt, so sieh darin ein Bild meines Herzens, wenn Du mich verlassen hast." - 3hr galten auch die Worte in einer jener Stunden, wo er das Ende feiner Tage berechnen zu können glaubte:,,Wenn Du unter den Linden wandelst, die das Grab Deines Freundes beschatten wers den, und eine himmlische Röthe in Deinem Gesichte aufsteigt, fo ist es mein Ruß, der Deine Wangen berührt, mein Flüstern, das sich mit dem Scufeln des Windes mischt, meine Seele, welche zu Dir zurückkehrt, um den Durst ihrer Liebe an Deinen Lippen zu fühlen." in theurem Angedenken und konnte nie ohne. Rührung von ihm sprechen hören.

Nummern. Prânumerations› Preis 224 Sgr. (4 Thlr.) ›\vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

Magazin

für die

Beiblatt der Allg. Pr. StaatsZeitung in Berlin in der Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohlsbl. Post-Aemtern,

Literatur des Auslandes.

No 46.

Berlin, Mittwoch den 17. April

Franfreich.

Ein Tag aus dem Leben eines Dichters.

Ein Schreiben A. von Lamartine's. *)

Sie fragen, theurer Freund, wie ich, troß meiner landwirths schaftlichen Beschäftigungen, meiner philosophischen Studien, meiner Reisen und meiner Neigung für die Politik, die mich zuweilen in ihren larmenden und bewegten Strudel reißt, wie ich, troz aller dieser Abhaltungen, mir die nöthige Freiheit des Geisies und einige Stunden Muße zu dem Umgange mit den Mufen bewahre, die ihre Auserwählten nur in der Stille und in der Einsamkeit aufsuchen. Das ist gerade, als ob Sie den Soldaten oder Matrosen fragen wollten, ob er im Getümmel des Lagers oder während des Lobens der Wellen Zeit behalte, an seine Liebe zu denken oder ein Gebet zu Gott emporzuschicken. Ein jeder Mensch hat eine wunderbare Kraft der Expansion und der Concentration, die Gabe, sich der Welt hinzugeben, ohne sich zu verlieren, sich seiner zu entdußern und sich wiederzufinden. Wollen Sie mein Geheimniß wissen? Es ist nichts Anderes, als die Eintheilung der Zeit. Wenn jedes Ding seine Stunde hat, so findet sich immer Zeit. Das kann indes natürlich nur von einem Menschen gelten, der, wie wir, hundert Meilen von Paris, sehn Meilen von jeder Stadt entfernt unter einer Eiche oder unter einem Feigenbaume lebt. Sie wünschen eine getreue und aufrichtige Schilderung eines Tages meines Landlebens, das Ihnen so inhaltsvoll und mir so leer erscheint. Sie sollen fie haben. Nehmen Sie und lesen Sie, wie unser J. J. Rousseau fo feierlich fagt.

Vor Allem dürfen Sie aber nicht aus den Augen laffen, daß, wer ein solches Doppelleben führen will, früher zu Bett gehen und seine Lampe auslöschen muß, wenn die des Webers oder der Spinnerin auf den dunkeln Abhängen unserer Berge noch wie wei zur Erde niedergefunkene Sterne durch die Zweige hindurchschimmern. Man muß während des Einschlafens den fernen Gesang der Burschen aus dem Dorfe hören, welche von den Feldern heimkehren und uns eine immer schwächer wers dende Einladung zum Schlafe zuschicken.,,Suadentque cadentia sidera somnos. Unser Freund und Meister Virgil verstand das sehr gut.

Sie

Wenn also die Zeit der Politik abgelaufen ist, wenn die Kammer, die Departementals und Generals Versammlungen, die Munisipal Versammlungen des Dorfes, die Wahlen, die Aerndten, die Aussaat mir zwei Monate Muße lassen in meinem theuern Saints Point, das Sie kennen und wo Sie zuweilen in dem Thurme geschlafen haben, der unter den Stößen des Westwindes ersittert, so beginnt mein Dichterleben für einige Tage. wissen sehr wohl, daß dasselbe höchstens den zwölften Theil meines wirklichen Lebens ausfüllt. Das gute Publikum, welches nicht, wie Gott, den Menschen nach seinem Bilde gestaltet, sons dern ihn nach seiner Laune verunstaltet, glaubt, ich hatte dreißig Jahre meines Lebens damit zugebracht, in die Sterne zu schauen und Reime zu schmieden; nicht dreißig Monate habe ich darauf verwendet, und die Poesie ist für mich, wie das Gebet, die schönste und innigste That meines Denkens, aber auch die fürzeste und diejenige, welche meinen täglichen Arbeiten die wenigste Zeit entzieht. Die Poesie ist ein innerer Gesang. Ich mache Verse, wie Sie fingen, wenn Sie für sich allein hingehen und auf eins famen Waldpfaden umherschweifen. Ich markire damit den Schritt und schlage den Takt zu den Regungen des Herzens und des Lebens. Weiter nichts!

Die Zeit des Gesanges ist für mich das Ende des Herbstes, die lesten Tage des Jahres, welche unter den Nebeln und dem Trauern des Windes erfterben. Die rauhe und falte Natur treibt uns in uns selbst zurück; das ist die Dämmerung des Jahres, das ist die Zeit, wo alles dußere Leben aufhört. Da aber das innere Leben nie erlischt, so muß man das Uebermaß der Kräfte, welches sich in finsterer Schwermuth verzehren würde, wenn man diese nicht in Versen aushauchte, wohl oder übel zu etwas verwenden. Gesegnet sen das Andenken des Menschen, der die Schrift erfunden hat, diese Unterhaltung des Menschen mit seinen

**) Dieses Schreiben ist dem neuesten Werke Samartine's, den „Recueillemens poétiques", vorgedruckt.

1839.

eigenen Gedanken, diese Erleichterung der Seele. Sie ist ein Mittel gegen den Selbstmord.

In dieser Zeit des Jahres stehe ich sehr früh auf. Die freischende und langsam verhallende Thurmuhr hat noch nicht fünf Uhr geschlagen, wenn ich, der Traume müde, mein Bett verlaffe, meine kupferne Lampe anzünde und in dem stillen und einsamen Thurme, welcher einer Grabeskammer, in der das Leben noch hauset, gleicht, ein Feuer bereite. Ich öffne das Fenster und gehe auf dem wurmstichigen Fußboden des hölzernen Baltens einigemal auf und ab. Ich betrachte den Himmel und die schwarzen Auszackungen der Berge, welche sich scharf und deutlich auf dem blassen Blau des Winterhimmels abzeichnen, oder deren Gipfel in einem Nebelmeere verschwimmen. Wenn der Wind streicht, so sehe ich die Wolken die legten Sterne vers hüllen, welche auf und niedertauchen wie die Perlen des Meeres, über welche die Fluthen dahinrauschen. Die schwarzen und fahlen Zweige des Nußbaums auf dem Kirchhofe wanken und schwans ken, und der Sturm weht die verwelkten Blätter an dem Thurme zusammen, wo er mit ihnen fein Spiel treibt. Einem solchen Schauspiele gegenüber, zu einer solchen Stunde, inmitten der stillen Nacht und der mitfühlenden Natur, ist es nicht anders möglich, als daß die Seele, wenn sie aus ihrem Schlummer ers wacht und in die Nachtlüfte niedertaucht, sich durchschauert fühle, daß sie an dem Wechselgespräche des Himmels und der Berge, der Sterne und der Wiesen, des Windes und der Baume Theil nehme und sich mit raschem Fluge zu den Sternen aufschwinge, um sich von diesen zu Gott zu erheben. Ein Theil meines Wesens entweicht von mir, um sich mit allen diesen Dingen zu vermischen; ein Seufzer schlägt die Brücke zwischen Allem, was ich in diesem Hause gekannt, geliebt, verloren; eine Hoffnung, innig und klar wie die Vorsehung, führt mich zu Gott zurück, wo ich Alles wiederfinde; meine Traurigkeit und meine Begeistes rung machen sich in einigen Worten Luft, welche ich laut auss spreche. Es hört sie Niemand als der Wind, und diefer führt fie zu Gott. Indes fängt mich an zu frieren; meine Tritte Inarren auf dem bereiften Boden, und ich kehre in den Thurm zurück, wo das Feuer hoch aufprasselt und wo mein Hund mich

erwartet.

Was ist nun zu thun, werther Freund, um die drei oder vier Stunden auszufüllen, welche im November bis zum Tageslichte verfließen? Alles schläft im Haufe und auf dem Hofe. Kaum hört man von Zeit zu Zeit das Krdhen eines Hahns, den der Schimmer eines Sternes getäuscht hat und der nicht austraht, weil er seinen Irrthum einfieht, oder zuweilen fängt auch ein fchlafender und träumender Ochse an zu brüllen und weckt den Hirten auf. Es ist jest teine häusliche Störung, fein lästiger Besuch au fürchten; kein Geschäft des Tages raubt mir jest awei oder drei Stunden und zerstreut meine Gedanken. In der Stille ist man ruhig und vertrauensvoll, denn der Tag gehört den Menschen, die Nacht aber Gott.

Das Gefühl völliger Sicherheit ist schon an und für sich eine Wollust. Ich empfinde einen Augenblick die Wonne dessels ben. Ich gehe hin und her, ich durchmesse das Zimmer nach allen Richtungen, ich betrachte die Portraits an den Wänden; ich rede fie an, ich spreche mit meinem Hunde, der mit klugem und unruhigem Auge allen Bewegungen meiner Gedanken und meis nes Körpers folgt. Zuweilen sinke ich vor einer der theuern Ers innerungen an eine abgeschiedene Zeit auf die Kniee, noch öfter schicke ich meine Gedanken zu Gott empor, indem ich eine Stelle aus einem Gebete, das unsere Mutter uns in unserer Kindheit lehrte, oder einige abgerissene Verse der Psalmen hermurmele, welche ich in den Kirchen fingen gehört habe und welche in meinem Gedächtniß wie die einzelnen Noten einer vergessenen Melodie auftauchen. Wenn dies geschehen ist, Alles mus ja einen Anfang und ein Ende haben, feße ich mich an den alten Eichentisch, an dem mein Vater und mein Großvater ges seffen haben. Er ist mit Büchern bedeckt, in denen sie und ich geblättert haben; es ist eine alte Bibel und ein mächtiger Pes trarka in Quarto, die Venetianer Ausgabe in zwei ungeheuren Bånden, in welcher seine Lateinischen Berse, seine Politik, seine philosophischen Arbeiten, sein Afrika 2000 Seiten ausfüllen, wahrend seine unsterblichen Sonnette nur 7 einnehmen. Ist das nicht das vollkommenfte Bild der Eitelkeit und Vergeblichkeit der Bemühungen des Menschen, welcher seine ganze Lebenszeit

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