Billeder på siden
PDF
ePub

Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationsPreis 224 Sgr. (Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er. höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 5.

Magazin

für die

Beiblatt der Allg. Pr. Staats
Zeitung in Berlin in der
Expedition (Friedrichs-Straße
Nr. 72); in der Provinz so
wie im Auslande bei den
Wohlöbl. Post- Aemtern.

Literatur des Auslandes.

Berlin, Freitag den 11. Januar

Frankreich.

Das Innere eines Pariser Zeitungs - Bureau's.

Theurer Leser, den wir hochachten und verehren, Du bes schüßender Gott der Zeitung, vorzüglich wenn Du keine unbes kannte Gottheit bist, wir sehen Dich an einem kalten und düsteren Novembertage, wo ein weicher Lehnstuhl neben einem warmen Sit so behagliche Empfindungen erweckt, in einem solchen Lehns stuhle nachlässig hingestreckt; Du reißest eben den Umschlag von dem Blatte ab, das man Dir gebracht hat, Du entfaltest das Blatt, welches Dir jeden Morgen berichtet, was in allen fünf Welttheilen Neues vorgegangen, Du siehst Dich nach den Kriegs und Friedens Nachrichten um, nach belletristischen, literarischen, wissenschaftlichen und Kunst-Nachrichten, nach Börsens und Theaters Neuigkeiten, nach Feuersbrünsten und Diebstahlen, nach Todts fchlagen und Unglücksfallen, und die Zeitung, welche auf Deinen Befehl über alle diese Dinge Nachrichten eingezogen hat, bleibt Dir auf keine Deiner vielen Fragen die Antwort schuldig. So bist Du also plöglich, Dank der Zeitung, vom Stande der Polis tif, der Literatur, der Industrie unterrichtet und kannst die Frage: ,,Was giebt es Neues?" beantworten. Jeßt hast Du Gesprächs stoff auf den ganzen Tag, wenigstens für die Menschen, mit denen man sich am liebsten nur über Gegenstände von allgemeis nem Intereffe bespricht.

Aber, vielgeliebter Leser, wenn Du die Zeitung in aller Ruhe und Behaglichkeit, im Schlafrock und in Pantoffeln liesest, möchtest Du dann nicht zuweilen gern wiffen, wie eine aus so verschiedenen Elementen bestehende und sich täglich erneuernde Erscheinung zu Stande kömmt und dreihundertundsechzig Mal im Jahre zu Dir gelangen kann? Möchtest Du nicht gern wiffen, wie die periodische Presse, welche eine Macht unserer Zeit ge worden, täglich ihre tausend Arme ausstreckt? Kannst Du Dir wohl eine Vorstellung von dem Zeitungs-Bureau machen, von der Werkstatt, in welcher diese Macht, die von den anderen Mächten gefürchtet, beneidet, angegriffen wird und um deren Gunst fie alle buhlen, ihren Siß aufgeschlagen hat? Die Zeitung ist die Verkünderin der Wahrheit oder eine Lügens Trompete, ein Werks zeug des Guten wie des Bösen, je nachdem sie geleitet wird;die Zeitung hat manches Bestehende in Trümmer gelegt, aber vielleicht ist sie auch allein im Stande, aus dem Schutte wieder ein neues Gebäude aufzuführen.

Die Zeitungen sind, wie so manches Andere, nicht gleich das gewesen, was sie jest find, und ihr Anfang war sehr bescheiden. Wie bescheiden traten die Zeitungen in der Revolutions Zeit und auch noch später auf! Die politischen Blätter aus der Zeit des Kaiserthums und selbst im Anfange der Restaurations Epoche er reichten nicht einmal die Größe der jeßigen sogenannten kleinen -Blätter. Die Aufgabe unserer Vorgänger war ungleich leichter als die unfrige. Wir würden nicht die Hälfte, nicht das Drittheil unserer Spalten mit dem Stoffe füllen, mit dem sie ausreichten. Wer wollte nicht über den Aufwand von Kraft und Talent ers staunen, der jest in den nichtunterzeichneten Artikeln einer Nums mer, die nicht einmal durch einen berühmten Namen vor der Vergessenheit bewahrt werden, verschwendet wird! Wie viel Meisterwerke des Stils, der Beredsamkeit würde man finden, wenn man die alten Jahrgänge der Zeitungen durchstöbern wollte, an denen Chateaubriand, Bonald, Michaud und so viele andere berühmte Schriftsteller gearbeitet haben.

Treten wir jest in das heiligthum der Zeitung, in den Tempel, von dem die Drakel: Aussprüche nach allen vier Welts gegenden ausgehen. Zuvor müssen wir bemerken, daß die periodische Presse, ungeachtet ihres hohen Ranges und ihrer dess potischen Gewalt, weder Schildwachen, noch betreßte Thürsteher hat. Ein oder zwei Laufburschen stehen in einem Vorzimmer von sehr bescheidenem Aussehen, denn gerade die angesehenften Zeitungen verschmähen den äußeren Glanz. Wir treten jest in ein Zimmer, dessen Hauptzierde ein langer Tisch ist, der mit grünem Luche überzogen und mehr oder weniger mit Tinte bes fprist ist. An den Wänden hängen einige Landcharten. Auf dem Büchergestell steht eine Reihe dicker Bände, welche sich bald als Wörterbücher, Zeitungs-Sammlungen oder andere Werke aum Nachschlagen ausweisen. Auf dem Kamin steht eine Wassers

1839.

flasche mit zwei oder drei Gläsern. Auf dem großen Tische
liegen neben einem Dußend Tintes und Sandfässer, welche
Lestere indeß nicht mit Gold: oder Silbersand, sondern mit ges
wöhnlichem Streusand gefüllt sind, alle neue Blätter friedlich
neben einander.

Es ist jest vier Uhr. In dem Redactions Zimmer, denn dieses haben wir eben beschrieben, fißen vier oder fünf fleißige zu machen. Derjenige, welcher sich von Zeit zu Zeit zu den Arbeiter neben einander und fangen an, die morgende Nummer Landcharten wendet und die geschriebenen oder lithographirten Korrespondenzen vor sich ausbreitet, ist der Redacteur der auss wärtigen Nachrichten. Jest folgt er den Bewegungen Cabrera's Er ist, obgleich in Paris anfáifig, genöthigt, und Espartero's.

zuweilen auf dem Schlachtfelde zu übernachten. Er hatte wohl
die Hälfte des Tages auf der Halbinsel zu leben, au lagern und
schon ein militairisches Ehrenzeichen verdient. Es versteht sich
wohl, obgleich wir es nicht ausdrücklich angemerkt haben, daß
wir nur von einer Zeitung sprechen, welche noch etwas auf die
Wenn also der Redacteur der auswärtigen Nachrichten nicht leichts
Wahrheit giebt und einige Achtung vor dem Publikum bewahrt.
sinnig alle phantastische und lägenhafte Berichte, welche manche
eine leichte Aufgabe, unter so vielen unsicheren und sich widers
Zeitungen nicht verschmähen, aufnimmt, so ist es keinesweges
sprechenden Dokumenten die Wahrheit herauszufinden. Der Zeis
nicht immer so leicht ist, den leitenden Faden aufzufinden, das
tungsschreiber irrt in einem Labyrinthe umher, in welchem es
Wahre vom Falschen zu unterscheiden und sich jede Beschamung
zu ersparen. Einem anderen Redacteur fällt die innere Politik
gen und Veränderungen des Ministeriums, der Gang der Kame
zu. Ihm gehören die Gemeinde Angelegenheiten, die Erneuerun
mer Sigungen. Sein Kollege, der es mit den auswärtigen Nach
richten zu thun hat, weilt bei Maroto oder Narvaez, während er
Guizot identifiziren muß. Seine Sache ist es, die Männer des
seinerseits fich in seinen Gedanken mit Molé, Thiers, Dupin oder
Lages und ihre Armseligkeiten zu verfolgen. Die constitutionnelle
und repräsentative Atmosphäre ist das Element, in welchem er
athmet, und dazu gehört wenigstens eine gute Lunge.

Dieses Amt

Unter den Gegenständen, welche einen Raum auf dem grůs nen Tische einnehmen, darf eine große Scheere nicht vergessen werden. Sie ist der Herrscherstab des Redacteurs der Pariser Ereignisse, der mit derselben aus den Zeitungen der Hauptstadt und der Proving die Mordanfälle, Diebstahle, Unglücksfälle und alle andere derartigen Vorgänge ausschneidet. könnte beim ersten Anblick sehr leicht erscheinen, aber das ist es ficht, und besonders ist es hier sehr schwer, die empfehlenden durchaus nicht. Es erfordert im Gegentheil viel Zaft und Eins Anzeigen, welche sich unter tausend Gestalten einschleichen, abs zuhalten. Man kann sich kaum vorstellen, unter wie viel verschies denen Masken sich diese einzuschleichen versuchen und ohne Ins sertionsgebühren und unter dem Schein eines Faktums von alls gemeinem Intereffe ein Zutrauen zu erwerben, welches man schenken würde. Bald ist es ein Maurer, der von einem Ges schwerlich einer offen auftretenden und unverhüllten Annonce rühmten Doktors so und so, der sich zufällig an Ort und Stelle rust herabstürzte und sein Leben nur der Geschicklichkeit des bes befand, verdankte. Dies ist nichts als eine Selbstempfehlung des Doktors. Dann ist es die romantische Geschichte eines Wahns sinnigen aus Liebe, der in den Feldern umherstreifte und von mits ten Doktors Hans oder Kunz gebracht wurde, wo er durch dessen leidigen Bauern aufgegriffen und in die Heilanstalt des berühm ausgezeichnete und vielfach anerkannte Heilmethode unfehlbar wie der den Gebrauch seiner Vernunft erlangen wird. Vor einiger Zeit eröffnete ein Modewaaren Händler eine Subscription für die Verwundeten der Afrikanischen Armee; er wollte bloß dufer anlocken und seine Waaren unentgeltlich bekannt machen. Im legten Winter war die Seine in ihrer ganzen Breite bei Bercy Brücke über den Fluß. Da erscheint plößlich in den Zeitungen. zugefroren, und viele Leute gingen auf der Eisdecke neben der die rührende Geschichte von fünf Unglücklichen, welche neben der Brücke von Bercy eingebrochen und jammerlich ertrunken waren. Schade, daß an dieser Geschichte kein wahres Wort war, und daß die Actionaire der Brücke, welche die Verminderung des Brückens geldes schmerzlich empfanden, dieses Mährchen rein erfunden hatten, um dem Publikum einen Schreck einzujagen.

[graphic]
[graphic]

Auf diese Weise kommen die Zeitungen zu Stande, so geht es das ganze Jahr hindurch, mit Ausnahme der großen Fests tage, in den Bureaus zu. Bringt man nun noch außer dem zahl reichen Generalstabe von Redacteuren, Beamten u. f. w. die uns geheuren Stempelgebühren in Anschlag, so muß man gestehen, daß eine Zeitung ein großartiges Unternehmen ist. Die unab hängigen Blätter haben dabei noch unaufhörliche Schikane, Ber fchlagnahme, Prozesse, Geldstrafen und Gefängniß zu fürchten. Es ist nicht zu leugnen, wer sich unter der Herrschaft der Charte, die eine Wahrheit ist, einer so schwierigen Aufgabe unterzieht, der muß viel Muth haben und seiner politischen Ansicht in hohem Grade ergeben seyn. Th. Muret.

Murat's Landung und Ende.

Bom Marshall Marmont.")

In der Nacht des 28. Septembers 1815 ging die kleine Erpe: dition von Ajaccio ab. Der Himmel war heiter, das Meer ruhig, das Gefolge des Königs fühn und muthig, der König selbst glücklich und hoffnungsvoll. Trügerische Vorspiegelungen des Glückes! Der Neapolitanische Hof war von allen Bes wegungen Murat's unterrichtet, denn sobald er ihn in Korsika wußte, sah er sich nach Jemand um, der Joachim's Schritte ausspionirte; ein gewiffer Carabelli, ein geborener Korse, der ehemals unter Joachim's Regierung von diesem gebraucht wurde, ein geschickter und listiger, zu Allem fähiger Mensch, dem jede Dankbarkeit fremd war, meldete sich zu dieser unwürdigen Sens dung bei den Behörden, oder wurde denselben durch seinen Ruf in dieser Hinsicht empfohlen. Dieser Elende langte in Korfila an und wußte sich leicht bei Murat einzuführen, der nicht das geringste Mißtrauen gegen ihn hegte. Obgleich ein Feind und von Feinden abgesandt, waren doch die Rathschläge ganz gut, die er dem Könige ertheilte. Unter dem Anschein einer großen Ergebenheit für seine Sache, bemühte er sich, denselben von seinem Vorhaben abzubringen, und befolgte darin getreulich die Instructionen der Regierung beider Sicilien, die sich über die Gefahren nicht tauschte, die eine Landung Murat's für sie hers beiführen könne. Carabelli unterrichtete den Neapolitanischen Hof von allen Plänen, Hoffnungen, Vorbereitungen und Schritten Murat's; doch traf der Hof keine Bertheidigungs, Maßregeln, weil er nicht wußte, wo der Er König landen wurde, und weil er befürchtete, durch solche Bestätigung seiner Besorgnisse die Absichten Murat's im Königreiche zu verrathen, wo seine Ans hänger zahlreich und thatenluftig, die der Bourbonen hingegen schüchtern und gering waren.

Sechs Tage segelte die kleine Flotte Murat's glücklich vors warts, dann wurde sie durch einen drei Tage anhaltenden Sturm zerstreut. Zwei Schiffe, deren eines den Er König trug, irrten aufs Gerathewohl im Meerbusen von St. Eufemia umher, zwei andere im Angesicht von Policastro, ein fünftes an den Küsten von Sicilien, und das sechste, ganz dem Zufall preisgegeben, war weit von den übrigen verschlagen. Die Vorsehung verhin derte so die bei Salerno beabsichtigte Ausschiffung, und das war gewiß eine große Wohlthat des Himmels, denn die auf diesem Punkt zusammengezogenen Truppen, auf deren Anhänglichkeit. Joachim gerechnet hatte, waren viel zu unbedeutend, um einen entschiedenen Erfolg zu sichern, und dennoch zu stark, um auf den ersten Schlag überwältigt zu werden; so würde also das Königreich der ganzen Wuth der Zwietracht und des Bürgers trieges anheimgefallen feyn, die blutigsten Auftritte wären bars aus entstanden und unendliche Thränen gefloffen. Eine Zeit lang war Joachim unentschieden; dann, von der Verzweiflung anges spornt, faßte er den kühnen Entschluß, bei Pizzo zu landen und mit achthundert Soldaten die Eroberung des Königreiches zu unternehmen.

Am 8. Oktober, einem Festtage, als gerade die Stadts Milizen dieses Plases zu Kriegs Uebungen vereinigt waren, langten Murat und sein Heer mit fliegenden Fahnen an; sobald fie der Einwohner ansichtig wurden, riefen fie:,,Es lebe König Murat!" Die Bevölkerung blieb jedoch bei diesem Ausrufe ganz stumm, weil sie das unglückselige Ende der tollkühnen Unternehmung schon vorausfah. Die Kälte dieses Empfanges bestimmte Murat, seinen Marsch nach Montelone, der Hauptstadt der Provinz, zu beschleunigen, die er sich befreundet zu finden hoffte, weil er sie nicht undankbar glaubte. In Pizzo aber hielt fich ein Hauptmann Trentacapilli und ein Agent des Herzogs von Infantado auf, die Beide dem Hause Bourbon sehr ergeben waren, der Eine aus Gesinnung, der Andere durch lange Dienste; schnell sammelten sie ihre Anhänger, verfolgten Joachim, ers reichten ihn und schoffen auf ihn und sein kleines Heer. Murat hielt an, und statt ihnen auf eben solche Weise zu antworten, bes grüßte er fie, um fie für sich zu gewinnen. Doch diese großs müthige Duldung flößt selbst den Feigsten Muth ein; eine neue Ladung tödtet den Hauptmann Motedo und verwundet den Lieutenant Pernice, die Anderen rüsten sich zum Kampf, aber ihr Konig verbietet es und wendet mit eigener Hand ihre auf den Feind gerichteten Waffen ab.

Die Menge nahm immer mehr zu, Bewaffnete bedecks, ten die Ebene und versperrten den Weg. Nur nach dem Meere

zu war ein Rückzug möglich, und um dahin zu gelangen, mußten noch Bergrücken überstiegen werden. Murat wirft sich jedoch auf diese Seite und erreicht das Ufer; da sieht er das Fahrzeug, das ihn getragen, in See stechen. Aus allen Kräften ruft er den Namen des Capitains:,,Barbara! Barbara!" Dieser hört es sehr wohl, entfernt sich aber um so schneller, um im Besiß der beträchtlichen Summen Geldes und der anderen Reichthumer zu bleiben, die das Schiff enthielt, und beging so zu gleicher Zeit einen Diebstahl und eine Undankbarkeit; denn als Joachim noch in Neapel herrschte, hatte er diesen Elenden aus seinem schmach; vollen Seerduber Handwerk herausgeriffen, ihn, obgleich er ein Malteser war, in feine Marine aufgenommen, in kurzer Zeit zum Range eines Fregatten-Capitains erhoben, und ihm nach und nach die Titel eines Ritters und Barons verliehen. Dieses Ret tungsmittels beraubt und von Barbara, im Stich gelaffen, vers fucht er es, in einer kleinen am Ufer vergessenen Barke ins Meer au stoßen, aber die Kräfte versagen ihm und seinen Ges fährten, und während sie sich in vergeblichen Anstrengungen er schöpfen, langt Trentacapilli mit seinen Bewaffneten an; Murat wird umringt und gefangen genommen, man entreißt ihm die Kleinodien, die er am Hut und auf der Brust trägt, verwundet ihn im Gesicht und überhduft ihn mit Schmähungen und unwürs digen Thatlichkeiten. Das war der schrecklichste Augenblick seines Lebens und der hárteste Schicksalsschlag; denn die Beschimpfun gen eines niedrigen Pöbels sind schlimmer als der Tod. In diesem Zustande führten sie ihn ab und sperrten ihn in das kleine Schloß von Pizzo ein, mit feinen auf dieselbe Weise gefangenen und mishandelten Gefährten.

Die Behörden der Provinz wurden erst durch das Gerücht, dann durch Briefe aus Pizzo von diesem Ereigniß in Kenntniß gefeßt. Der Kommandant von Calabrien, der General Nunziante, chickte sogleich den Hauptmann Stratti nebst einigen Soldaten nach Pizzo; Stratti begab sich augenblicklich auf das Schloß, um eine Liste der Gefangenen aufzunehmen, weil er noch nicht glaubte, daß Joachim sich wirklich dabei befinde. Nachdem er zwei Ramen aufgezeichnet, wendete er sich zum dritten Gefan genen und fragte nach dem feinigen.,,Joachim Murat, König von Neapel, antwortete diefer. Erstaunen und Ehrfurcht be mdchtigten sich bei diesen Worten des Hauptmanns Stratti; er fenkte die Augen, ersuchte Murat, ihm in ein angemesseneres Gemach zu folgen, bezeigte ihm viel wohlwollende Aufmerksam Feit und nannte ihn Majestat: leste Gunst oder vielmehr leßte Ironie des Schicksals. Nunziante, der dem Capitain sogleich ge folgt war, langte inzwischen an, grüßte Joachim ehrfurchtsvoll und forgte für alle feine Bedürfnisse. Der General verstand die schwere Kunst, während der kurzen Gefangenschaft Joachim's die Pflichten der Treue gegen den Bourbonischen Herrscher mit der Achtung zu verbinden, welche dem Unglück des Königs Murat gebührte. brer: Negierung wurden die Récurier Bemetbet. Der Ko. Nachrichten aus Pizzo durch den Telegraphen und durch einen nig und die Minister erbebten bei dem Gedanken an die Gefahs ren, welche sie bedroht hatten, und waren froh, denselben ents gangen zu seyn; doch blieb ihnen noch immer hinreichender Grund zu Verdacht und Besorgniß. Truppen Abtheilungen muß ten nach den Provinzen aufbrechen, der Prinz von Canosa ging mit unbeschränkter Vollmacht nach Calabrien ab, die Wachen des Palastes wurden verdoppelt und alle mögliche Vorsichtsmaß regeln getroffen. Man wußte sehr wohl, daß Murat's Tod allen diesen Besorgnissen ein Ende machen würde, und faßte das her den Entschluß, ihn zu verurtheilen. Der Befehl dazu wurde auf telegraphischem Wege und durch einen Courier nach Pizzo gefandt; ein Kriegsgericht sollte ihn als einen Feind der öffents lichen Ruhe zum Tode verdammen. Während die Befehle mit Blißesschnelle von einem Orte zum anderen flogen, erfreute sich Murat im Schlosse zu Pizzo einer vollkommenen Heiterkeit; er lebte fo zufrieden und schlief so ruhig wie die Glücklichen der Erde, verwendete, wie gewöhnlich, große Sorgfalt auf seine Person, unterhielt sich mit Nunziante wie ein König mit einem fremden General und sagte noch am Tage vor seinem Tode, daß eine Ausgleichung zwischen ihm und Ferdinand durchaus feine Schwierigkeiten habe; Ferdinand brauche ihm nur das Ko nigreich Neapel zu überlassen, und er wolle ihm dagegen seine Rechte auf Sicilien abtreten. Die Denkweise und der Charakter Murat's zeigten sich klar in diesen eben so verwegenen als unseitigen Worten.

Der Todesbefehl kam an; in der Nacht des 12. Oktobers war der Entschluß dazu gefaßt worden. Man ernannte sieben Richter; drei derselben, so wie den Königlichen Prokurator, hatte Murat wahrend seiner Regierung aus dem Staube hervorgezo gen und mit Gnaden und Ehrenbezeugungen überhäuft. Dies Gericht hielt feine Sigung in einem Saale des Schlosses, wah: rend Joachim in einem anderen den leßten Schlaf seines Lebens fchlief. Es war schon heller Tag, als Nunziante zu ihm eins trat; aus Mitleid wollte er ihn nicht aufwecken und wartete an feinem Bett. Endlich schlug Murat die Augen auf, und der General fündigte ihm mit betrübter Miene an, daß die Regier rung den Befehl erlassen habe, ihn vor ein Kriegsgericht zu ftellen. So bin ich denn verloren, entgegnete Murat; dieser Lodesurtheil." Eine Thrane

ein

Murat schrieb darauf mit fefter Hand folgenden Brief in Frans zösischer Sprache:

Meine heure Karoline, meine leßte Stunde hat geschlas gen. In wenig Augenblicken werde ich aufgehört haben, zu les ben; in wenig Augenblicken wirst Du Deines Gatten beraubt seyn. Vergiß mich niemals. Ich sterbe unschuldig; mein Leben wurde von feiner Ungerechtigkeit befleckt. Lebe wohl, mein Achilles; lebe wohl, meine Lätitia; lebe wohl, mein Lucian; lebe wohl, meine Louise; zeiget Euch immer der Welt als meiner würs dig. Ich laffe Euch ohne Königreich, ohne Güter, mitten unter zahlreichen Feinden. Send immer einig unter einander; zeis get Euch erhaben über jedes Wißgeschick; denket stets daran, was Ihr seyd, was Ihr waret, und Gott wird Euch segnen. Flucher nicht meinem Andenken. Mein größter Schmers in den testen Augenblicken meines Lebens ist der, fern von meinen Kindern zu sterben. Empfanget den väterlichen Segen; empfanget meine Umarmungen, meine Thränen. Behaltet Euren unglücklichen Vater immer im Gedächtniß. Pizzo, den 13. Oktober 1815." Nachdem der König diesen Brief beendet hatte, schnitt er einige Locken von seinem Haupte, legte sie in das Papier und übers gab und empfahl es dem General Nunziante.

[ocr errors]

Dem unglücklichen Gefangenen stellte sich nun der zu feis nem Defensor ernannte Hauptmann Starace vor, um ihn mit der schmerzlichen Pflicht bekannt zu machen, die er den Richtern desselben gegenüber auszuüben habe.,,Meine Richter!" rief Murat aus, sie sind nicht meine Richter, sie sind meine Uns terthanen. Könige können nicht von bloßen Privatleuten gerich tet werden. Die anderen Könige haben eben so wenig das Recht, sie zu richten, denn alle Könige stehen einander gleich. Die Könige haben keine andere Richter, als die Völker und Gott. Will man mich wie einen Französischen Marschall bes trachten, so muß ein Gericht von Marschällen über mich Recht sprechen; als General, eine Versammlung von Generalen. Ehe ich mich so erniedrigen könnte, diejenigen für meine Richter ans zuerkennen, die man dazu erwählt hat, müßte erst manches Blatt aus der Geschichte Europa's gerissen werden. Das Ges richt ist inkompetent, ich scháme mich seiner." Als Starace auf seiner Vertheidigung bestand, erwiederte Joachim mit ganz bes stimmtem Zone:,,Šie können mein Leben nicht erhalten, so tras gen Sie wenigstens das Ihrige dazu bei, meine Königsehre zu retten. Es handelt sich hier nicht darum, über mich Recht zu sprechen, sondern mich zu verurtheilen. Diejenigen, welche man meine Richter nennt, sind nichts als meine Henker. Sie wer den nicht zu meiner Vertheidigung auftreten, ich will es nicht." Der Vertheidiger entfernte sich traurig und ließ den mit der Instruction des Prozesses beauftragten Richter eintreten. Dieser fragte, wie es Gebrauch ist, nach dem Namen des Gefangenen und wollte noch etwas hinzufügen, als ihm Joachim ungeftum ins Wort fiel und ausrief: Ich bin Joachim Murat, König beis Gegenwarte und berichtungenen Armen, and der Sicilien und der Eurige. Gehet, befreiet mich von Eurer Als er wieder allein war, faß er lange mit gesenk betrachtete unvers wandt die Portraits seiner Familie, von denen er seine Augen nicht abzuwenden vermochte; an seinen schweren Seufzern und feiner tiefen Traurigkeit erkannte man, daß ein schrecklicher Ger danke auf seinem Herzen laste. Sein wohlwollender Hüter, der Hauptmann Stratti, fand ihn in dieser Stellung und wagte nicht, ihn anzureden; da sprach Murat zu ihm: In Pizzo freut man sich über mein Unglück; was habe ich denn den Neapolitanern sugefügt, daß sie meine Feinde geworden find? Ihrem Intereffe habe ich alle Früchte meiner Arbeiten und meines langen Kriegss lebens geopfert, ich lasse meine Familie arm zurück. Alles Freiz sinnige in ihren Gefeßen stammt von mir her. Wenn es eine von der Welt gelannte Neapolitanische Armee giebt, wenn die Nation einen Rang unter den mächtigsten Völkern Europa's eins nimmt, so ist das mein Werk. Für die Neapolitaner habe ich jeder anderen Neigung entfagt, bin ich undankbar gegen Franks reich gewesen, das mich auf den Thron erhoben, von dem ich heute ohne Furcht und ohne Gewissensbisse herabsteige. Ich habe feinen Theil an der Enghien'schen Tragödie genommen, die der. König Ferdinand heute durch eine andere rácht; ich habe keinen Theil daran, ich schwöre es bei Gott, vor den ich bald treten werde." Auf diese Worte folgte ein minutenlanges Stillschweis gen.,,Hauptmann Stratti", hub er dann von neuem an,,,es ist mir Bedürfniß, allein zu seyn. Ich danke Ihnen für die Theils nahme, welche Sie mir in meinem Unglück bewiesen haben; ich bin nicht im Stande, Ihnen meine Dankbarkeit dafür auf andere Art zu beweisen. Seyen Sie glücklich." Joachim schwieg, und der Hauptmann Stratti entfernte sich mit thränenfeuchten Augen, um ihn allein zu laffen.

tem

Murat kannte sein Urtheil noch nicht, als kurz darauf der Priester Masdea in sein Zimmer trat. ,,Sire", redete ihn dieser Geiftliche an, ich spreche zum zweiten Male mit Ew. Majeftat. Als Sie zuerst vor fünf Jahren nach Pisso tamen, bat ich um Ihren Beistand zur Vollendung unserer Kirche, und Ew. Majestát gab mehr als ich zu hoffen wagte. Meine Worte find also bei Ihnen nicht ohne Erfolg, und ich habe die feste Zuversicht, daß Sie heute auf meine Gebete achten werden, deren einziger Swed die ewige Ruhe Ihrer Seele ist." Joachim erfüllte mit philos fophischer Ergebung alle Pflichten eines fterbenden Christen, und

Befehl, mich zu richten, och sich seiner Schwachheit schd auf das Verlangen des Masdea schrieb er in Französischer Sprache

schwamm in feinen Augen,

mend, unterdrückte er sie und fragte, ob man ihm erlaube, an feine Frau zu schreiben. Nunziante, der zu bewegt und feines Wortes mächtig war, antwortete nur durch ein bejahendes Zeichen.

nieder: Ich sterbe als guter Christ. — J. M.“

Während diese rührenden Auftritte in einem Gemache des Schlosses vor sich gingen, erfüllte das Kriegsgericht in cinem

anderen Saale seinen schrecklichen Auftrag, indem es erklärte: ,,daß Joachim Murat, der durch das Loos der Waffen wieder in den Stand eines einfachen Privatmannes, aus dem er hervorges gangen, zurückverfest worden, dennoch mit 28 Mitschuldigen ein tollfühnes Unternehmen gewagt habe, welches mehr einen Aufstand als einen Krieg zum Zweck gehabt; daß er das Volk zur Empörung aufgereizt, den rechtmäßigen Herrscher angegriffen und danach getrachtet, das Königreich und Italien) umzustürzen; dieser Ursachen wegen, und als öffentlicher Feind, werde er zum Tode verurtheilt, laut eines während der zehnjährigen Occupation gegebenen und bis jest in Kraft erhaltenen Gesezes." Es schien, als wollte das Schicksal dadurch seine blutige Ironie krönen; denn Murat selbst hatte vor sieben Jahren dieses gegen ihn angewendete und als Werkzeug seines Todes benußte Gesetz ges geben, seine Anwendung aber in mehreren Fällen aus Gnade aufgehoben.

Kalt und verächtlich hörte der Gefangene die Vorlesung seis nes Todesurtheils mit an. Sogleich wurde er in den kleinen hof des Schlosses geführt, wo man eine Compagnie Soldaten in doppelter Linie aufgestellt hatte. Man wollte ihm die Augen verbinden; er lehnte es ab, betrachtete heiteren Blickes alle Todeszurüstungen, nahm die erforderliche Stellung an, bot seine Brust den Kugeln dar und sagte zu den Soldaten: ,,Verschonet das Gesicht, zielet auf das Herz." Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so ertönten Schüsse, und todt fank derjenige nies der, der einst König_beider Sicilien war, fest in seinen Händen die Portraits seiner Familie haltend; man beerdigte sie mit ihm, ohne sie dem Tempel zu entreißen, den seine Liebe ihnen errich tet hatte. Diejenigen, welche an Joachim Murat's Tod glaub ten, beweinten ihn mit bitteren Thränen; aber die Mehrzahl der Neapolitaner suchten ihren Schmerz durch eitle Vorspiegelungen zu betauben und wollten sich überreden, die Vorfälle in Pizzo seyen nur eine Erfindung des Hofes.

So endete Joachim Murat, im 48sten Jahre seines Alters und im 7ten seiner Regierung.

England.

Gesellschaftliche Grundlagen des Britischen Staats.

(Nach dem Atlas.)

Nichts erfüllt den Fremden, der den Englischen Angelegens heiten seine Aufmerksamkeit widmet, mit solchem Erstaunen, wie die Unversehrtheit, in welcher die Britische Verfassung aus so vielen Krisen glücklich entkömmt, und das wunderbare Gleichges wicht der Interessen, durch welches die politische Maschine in ihren Fugen erhalten wird, wenn sie auch gewaltsamen Stößen ausgefeht ist, die ihrem Triebwerk mit gänzlicher Zertrümmes rung zu drohen scheinen. Ihm kömmt es vor, als müßte Groß britanien unfehlbar zu einer Revolution hingedrängt werden durch das Elend der Armen, welches eine so große Last örtlicher Auflagen nöthig macht, durch die Wirkung der Korngefeße, durch die Theuerung in allen Dingen, an der die Einfuhrzölle schuld find, und durch den mißlichen Zustand der fabrizirenden Klassen, deren Laden sich bei den mindesten dußeren Unruhen schließen, und deren Unterhaltsmittel durch die Verbesserungen im Maschinenwesen und durch die angestrengte Konkurrenz der Arbeiter des Aus lantes täglich bedroht werden. Er begreift nicht, wie der Vers band der drei Königreiche die in Irland systematisch fortdauernde Aufregung überleben kann, da in diesem Lande die wilde Ges walt eine völlige Disziplin begründet hat, die geachteter ist als das Gefeß, und da dort die Noth in fast jeglicher Gestalt den Menschen zum Aeußersten zu zwingen scheint.

Die fefte Gliederung des gesellschaftlichen Systems und die gegenseitige Abhängigkeit seiner verschiedenen Theile von einans der, dies ist der Grund, warum England frei bleibt von den Erschütterungen, welche denjenigen, die sich nur an die Außens feite der Dinge halten, unvermeidlich scheinen müssen.

Die Britische Aristokratie hat eine einsaugende Kraft in fich, die Alles, was auf der Oberfläche der Gesellschaft zum Vors schein kömmt, an sich zicht; ste öffnet ihre Reihen einem Jeden, der zu Reichthum gelangt, und sie verleiht ihm den Glanz, den die öffentliche Meinung den Wohlhabenden einräumt. So vers hindert sie ihn, indem sie ihn in ihre Zahl aufnimmt, sich eine von ihrem Einfluß unabhängige und ihr feindliche Partei zu bils den. In der ersten Generation ragen die homines novi gewöhns lich durch Auszeichnung im Handel oder im Gewerbfleiß hervor; in der nächsten werden sie Parlamentsmitglieder oder Beamte an den Gerichtshöfen, und am Schluß einer ehrenvollen Laufbahn harrt ihrer die Pairswürde. Man braucht nur einen flüchtigen Blick auf die Pairie zu werfen, um sich zu überzeugen, daß dieser durch seinen esprit du corps fo mächtige Stand sich auf diese Weise rekrutirt. Die Beispiele der Lords Brougham, Lyndhurst, Cottenham und Langdale, um nur bei den Rechtsgelehrten der drei legten Ministerien stehen zu bleiben, zeigen hinlänglich, wie die Intereffen der alten Familien, die den Wirkungen der Zeit und der Revolutionen entgangen sind, durch die Hinzugefellung von Individuen, welche Tag für Tag darin Aufnahme finden, neu gekräftigt werden. In anderen Ländern sind die Advokatur und der Handel im Befiß des Bürgerstandes und gelten für ein Gegengewicht gegen den Einfluß der Aristokratie; in England

liefern sie vielmehr Theilnehmer an den Privilegien des erblichen Ranges und des großen Reichthums, statt eine Opposition dages gen zu bilden. Der Advokat von Westminster Hall, der Schiffs bauer von Liverpool und der Fabrikant von Sheffield und Mans chester haben sich kaum ein Vermögen erworben, so nehmen ihre Gedanken auch schon das Gepräge jener aristokratischen Form an, die dem Geist der Britischen Sitten einen unverwüstlichen Stempel aufgedrückt zu haben scheint. Ob Einer in politischer Hinsicht ein Reformer oder in religiöser ein Diffenter ist, das thut nichts zur Sache; der Eine kauft ein mit Kirchen- Patronat verbundenes Gut, um es auf seinen ältesten Sohn zu vererben; der Andere macht seinen Einfluß bei den Grafschaftswahlen gels tend und erwirbt sich dadurch einen Anspruch auf die Baronetss würde; und Beide, obgleich noch im ersten Aufblühen ihres von gestern herstammenden Reichthums, eilen ohne Zögern in ein Wappenamt, um sich ein Schild für ihre Familie geben zu lassen, eine der natürlichsten und unverbefferlichsten Eitelkeiten. Das Familienwesen, wenn man so sagen darf, ist in England die Stüße des Staatswesens, und die Institutionen des Landes entspringen aus seinen Sitten. Das tiefste Elend, welches dicht neben dem Glanz des Reichthums in grellem Kontrast das steht, ist kein Hindernis für das Gemeinwohl, obgleich im eigenen Schoße dieser künstlichen Gesellschaft der älteste Sohn mit einem Einkommen von Tausenden auf Kosten des gezwungenen Colibats seiner Schwestern und der abhängigen Arbeitsamkeit seiner júns geren Brüder lebt. Um den Naturtrieb zu hemmen, der einem folchen System gefährlich werden könnte, und um die Folgen von so viel einzelner Noth zu mildern, hat man Armen Geseße eingeführt und ist dadurch den Bedürfnissen der Armuth entges gengekommen; aber die ungeheure Menge der Verbrechen würde Stoff genug liefern, um einen ganzen neuen Kontinent zu bes völkern. Für die jüngeren Zweige reicher Familien wird in den Kolonieen gesorgt, oder in Indien, oder vermittelst der Pfråns den einer Kirche, welche reicher ist, als der vereinigte Klerus der ganzen übrigen Christenheit, oder durch die verschiedenen Grade einer Marine, die an Umfang alle Marinen Europa's übertrifft. Diese kolossalen Reichthümer find für die Englische Aristokratie das, was die Eroberung für die Römischen Patrizier war, das nothwendige Ergebniß ihrer Stellung, die unumgangs liche Bedingung ihres Bestehens.

Mannigfaltiges.

Janin in Deutschland. Seine Rückreise von Mais land durch die Rheingegenden über Holland nach Paris hat Jules Janin in einem Artikel beschrieben, der jeßt, als verspås teter Nachzugler zu den früher von uns erwähnten Berichten über seine Italianische Reise, in der Revue du XIXe siècle abgedruckt ift. Das Journal des Débats, das die früheren Artikel gebracht, scheint Anstand genommen zu haben, auch den leßten aufzuneh men, und mit Recht; denn etwas Flacheres und Absprechenderes läßt sich wohl kaum über drei Völker zugleich sagen, als hier Herr Janin auf wenigen gedruckten Seiten über Italiåner, Deutsche und Holländer zusammengeschrieben hat. Am Rhein findet er auf jedem Schritte nichts als Frankreich; und warum ist hier nicht Frankreich?“ fügt er in elegischer Stims mung hinzu. Gleichwohl sagt er in demselben Athemzuge von den Menschen, die dieses Frankreich bewohnen: ,,Niemals habe ich phlegmatischere Leute gesehen; sie sind glücklich, ohne sich Unruhe wegen des gestrigen oder Sorgen wegen des morgenden Tages zu machen; sie überlassen sich der Woge, von der sie eben geschaukelt werden. Sie essen und trinken den ganzen Tag, und wenn sie weder essen noch trinken, so rauchen sie Taback und werfen dabei einen wehmüthigen Blick auf die schöne herrliche Landschaft, zu der sie selbst die Staffage bilden. Welcher Unters schied zwischen diesen Menschen und jenen Italiänischen Vulkas nen, die über weniger als Nichts in Feuer und Flamme ges rathen, und jenen anderen Vulkanen, den Franzosen, die selbst auf dem Dampfboote von Paris nach St. Cloud Gelegenheit finden, mit ihren Frauen zu zanken, ihre Kinder auszuschelten und über ihre Geschäfte zu disputiren!" In Mains angefoms men, fällt ihm natürlich zuerst die Statue Guttenberg's, des Erfins ders der Buchdruckerkunst, in die Augen. Aber, was glaubt man wohl, sagt Janin von diesem Werke des unsterblichen Thorwaldsen, von dem Abbilde des Mannes, der hier mit der ersten gedruckten Bibel, die er an das Herz drückt, in der einen Hand, und mit den eben erfundenen Typen in der anderen, voll Majestät und Würde im alten Deutschen Gewande steht?,,Die Wahrheit zu fagen", sagt der wahrheitliebende Janin,,,ist diese Statue Guts tenberg's ganz miserabel. Es ist unmöglich, einen Mann von folchem Genie weniger zu begreifen und in einer groteskeren Weise darzustellen. Man hat aus Guttenberg eine Art von uns geschlachtem Deutschen gemacht, der so aussieht, als wollte er sich von den vorübergehenden Studenten eine Pfeife Taback auss bitten. Gleichwohl ist dies ein Werk jenes berühmten Thorwalds fen, bei deffen Durchreife ganze Städte in Bewegung kommen, eines Mannes, der eine Art von übertriebenem und emphatischem Canova ist und der für uns einige gang abscheuliche Schüler ges bildet hat." Welcher Künstler in der Welt kann sich wohl fortan noch von dem Lobe Janin's, nachdem er solchen Tadel über Thorwaldsen ausgesprochen, geehrt fühlen?

[ocr errors]

vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

[merged small][ocr errors]

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohlöbl. Post - Aemtern.

Literatur des des Auslandes.

England.

Berlin, Montag den 14. Januar

Die Papiere der Stuart's aus dem leßten Jahrhundert. Wir entlehnen Lord Mahon's Geschichte Englands vom Utrechter bis zum Aachener Frieden, die eben mit dem dritten Bande vollendet erschienen ist, einige Auszüge, die sich auf den Kampf von 1745 beziehen und auf die Personen, die in demselben eine Hauptrolle spielten; man wird dieselben mit um so größerem Interesse lesen, als der Verfasser für diesen Theil seiner Ges schichte aus der Sammlung von Dokumenten, die unter dem Namen der Stuart Papiere erwähnt werden, ganz neue Aufs klärungen geschöpft hat. Wir beginnen mit einer Skizze des Prinzen Karl Eduard, der, damals vierundzwanzig Jahr alt, von der Natur mit vielen und von der Phantasie seiner Anhäns ger mit allen großen Eigenschaften ausgestattet war.

,,Karl Eduard Stuart ist ein Charakter, der nicht nach einer einzigen Auffassung darzustellen ist, sondern sich so sehr verändert hat, daß er für verschiedene Perioden aufs neue geschildert werden mus. In seinen späteren Jahren hat die Unmdsigkeit Spuren an ihm zurückgelaffen, die eben so tief, aber nicht so ehrwürdig wie die der Zeit sind; wir sehen in seinem vorgerückten Alter nur den Finnlosen Trunkenbold, den grämlichen Gatten, den tyrannischen Herrn, mit geschwächtem Verstand und launischem Temperament. So war aber der Karl Stuart von 1745 nicht! So war nicht der ritterliche Prinz voll Jugend, Hoffnung und Muth, der, in den Wildnissen von Moidare mit sieben Mann landend, ein Königs reich um seine Fahne sammeln und seine Feinde bei Preston und Falkirk vor sich her treiben konnte. So war der heitere und artige Gast von Holyrood nicht! So war der nicht, dessen Kampfgier und Ausdauer in Strapazen felbft von Hochländischen Häuptlingen bewundert wurden, während noch günstigere Bes urtheiler die höchste Liebenswürdigkeit im Gespräch, die höchste Anmuth im Tanz an ihm rühmten. Daher hat er sich auch in so wenigen Monaten bei einer so hochherzigen Ration, wie die Schotten, eine so große Popularität erwerben und mit seiner Erscheinung einen so tiefen Eindruck bei ihnen zurückgelassen, daß noch dreißig oder vierzig Jahre, nachdem er sie verlassen, fein Name von Allen, die ihn gekannt hatten, mit den feurigsten Zobsprüchen genannt wurde, daß man bei der Erinnerung an ihn die rauhesten Herzen gerührt und die gefurchten Wangen der Veteranen von Thränen beneßt sah. Ohne also die Fehler seines Charakters zu leugnen oder die Erniedrigung feines Alters bes schönigen zu wollen, müssen wir dem Glanz seiner Mannesjahre Gerechtigkeit widerfahren lassen. Karl's dußere Gestalt (um der weiblichen Leser willen beginnen wir mit dieser) war schlank und wohlgebildet, seine Glieder kräftig und unverdrossen. Er zeichnete ich aus in allen männlichen Uebungen und war gewöhnt an jede Art Strapaze, besonders lange Fußreisen. Sein Gesicht war bes sonders schön und von vollkommen ovaler Form, seine Augen hellblau, seine Züge stolz und edel. Der Sitte der Zeit zuwider, welche den Gebrauch von Perräcken vorschrieb, ließ er gewöhn, lich sein eigenes schönes Haar in langen Locken herabwallen. Mit dieser einnehmenden Gestalt verband er noch ein feines Bes nehmen, und indem er sich häufig bis zur vertraulichsten Leuts seligkeit herabließ, die aber immer von einer gewissen Königs lichen Würde geschüßt war, hatte er eine besondere Gabe, zu gefallen und zu überreden, und verstand es, jedesmal feine Uns terhaltung nach dem Geschmack und Stand der Personen, die er anredete, einzurichten. Doch er verdankte nichts seiner Erzies bung: diese war dem Sir Thomas Sheridan, einem Zrischen Katholiken, anvertraut worden, welcher nicht dem Verdacht ents gangen ist, daß er im Solde der Britischen Regierung stehe und feine Pflicht als Lehrer verrathe. Ich muß sagen, daß ich keinen Beweisgrund für diese gehässige Anklage gefunden. Ich glaube, Sheridan ist als ehrlicher Mann gestorben; aber die Geschichte fann ihn nur von gemeiner Schurkerei freisprechen, indem sie ihm grobe Vernachlässigung Schuld giebt. Er hat seinen Zögs ling in den allergewöhnlichsten Elementen des Wissens ununters richtet gelaffen. Die Handschrift in den Briefen Karl's, die ich unter den Stuart: Papieren gesehen, ist groß, unbeholfen und fcbulknabenmäßia. In der Orthographie und sie noch mangels Hafter. Das Wort humour 3. B. wird bei ihm uner, und selbst

1839.

feines eigenen Vaters Name, James, erscheint unter der Gestalt Gems. Diese Fehler beschränken sich nicht auf Eine Sprache: wer, um eine Probe von seinem Französischen zu geben, würde in dem Worte coote de chas (coûteau de chasse) ein Jagdmesser erkennen? Ich glaube es daher gern, wenn Dr. King uns vers fichert, er habe nur wenig von der Geschichte oder Verfassung Englands gewußt. Wenn aber die Briefe Karl's feinen Mangel an Erziehung darthun, so find sie auch nicht weniger klare Zeugnisse von seinen natürlichen Fähigkeiten, der Energie feines Charakters und der Wärme seines Herzens. In einem vertraus lichen Schreiben kurz vor seiner Fahrt nach Schottland sagt er: ,,Als ich am Pfingsfest meine Andacht verrichtete, empfahl ich mich ganz besonders dem Schuß und der Leitung des Allmach tigen und flehte, daß er mir immer die Gesinnung erhalten möchte, lieber etwas zu leiden, als irgend eine meiner Pflichten zu verlegen.“ zu verlegen." Er gedenkt seines jüngeren Bruders, Heinrich's von Vort, mit der größten Zärtlichkeit, und obwohl er bei der Rückkehr von Schottland merkte, daß er Ursache habe, sich über Heinrich's Kalte und Zurückhaltung zu beklagen, so wird dieser Fehler nur obenhin berührt, und Karl bemerkt, so groß auch feines Bruders Mangel an Liebe fen, dies werde seine eigene nie vermindern. Der Ton, in welchem er zu seinem Vater spricht, ist höchst zärtlich und ehrerbietig, und als er, fich su seiner großen Unternehmung im Jahre 1745 anschickend, den Papst um feinen Segen bitter, so kann es ihm gewiß der strengste Katholik nicht übel nehmen, wenn er hinzufügt, er wurde einen Segen von seinem Vater für viel kostbarer und heiliger halten. Was seine Freunde und Anhänger betrifft, so hat man Karl den Vorwurf gemacht, daß er nicht genug von ihren Leiden gerührt oder für ihre Dienste dankbar fen. Aufs erzogen unter Mönchen und Frömmlern, die weniger su fürchten schienen, daß er nicht zur Regierung fomme, als daß er dieselbe, wenn er in ihrem Befiz sey, auf eine liberale Weise führen möchte, hatte er von Jugend auf die übertriebensten Vorstellun gen von Prárogative und Erbrecht eingesogen. Daher mochte. er glauben, daß die, welche in Schottland für ihn kämpften, nicht mehr thäten als ihre Pflicht und daher auf keine besondere Art von Lob oder Bewunderung Anspruch hätten. Andererseits müssen wir bedenken, wie geneigt alle Verbannten sind, ihr eigenes Verdienst zu übertreiben und sich über Vernachlässigung zu beklagen, selbst da, wo keine vorhanden ist; und doch könnte man aus Karl's vertrautefter Korrespondenz eine Menge Stellen anführen, um zu zeigen, wie liebreich und besorgt er für seine Anhänger war. Noch sehr jung, war er entschlossen, lieber pers fönliche Entbehrung zu ertragen, als seine Freunde durch Schuls denmachen in Verlegenheit zu feßen. Als et von Schottland zurückkehrte, sagte er dem Französischen Minister d'Argenson, får sich verlange er nichts; er sen aber bereit, einen Fußfall zu thun, um für seine Mitverbannten etwas zu erlangen. Einmal, als er einige Fehler und Spaltungen unter seinen Dienern bes klagt, erklärt er, ein ehrlicher Mann sen nichtsdestoweniger fo viel werth, daß,,wenn Ew. Majestat es nicht befiehlt, ich mich von ihnen mit trübem Herzen trennen würde." Ja ich glaube, diese Warme Karl's für seine unglücklichen Freunde blieb faft allein übrig, als in seinen späteren Jahren jede andere edle Eigenschaft seines Herzens verwischt und untergegangen war.

Er hatte einige Erfahrung im Krieg, da er in seiner Jugend in der Spanischen Armee bei der Belagerung von Gaeta gedient und sich ausgezeichnet, und er liebte den Krieg als das Geburtss recht der Sobieski's, wie der Stuart's. Unverwerfliche Zeugnisse rühmen seinen lebhaften Verstand, seine Schnelligkeit im Ents schließen und seine Verachtung der Gefahr. Sein Anführers Talent ist wahrscheinlich nie über das Gewöhnliche hinausgegans gen, doch sieht man bei einigen Fällen in Schottland, wo er und feine geübteren, erfahreneren Offiziere verschiedener Meinung waren, daß sie Unrecht und er Recht hatten. Kein Ritter der alten Zeit hatte gewiß einen erhabeneren Begriff von Ehre; ja er trieb denselben zu solchen Ertremen, daß er dadurch oft in Irrthum und Unglück gerieth. So verlor er die Schlacht von Culloden besonders darum, weil er es verschmähte, von dem Boden Vors theil zu ziehen, und es für ritterlicher hielt, dem Feinde unter gleichen Verhältnissen zu begegnen. So war auch der Grund feines eigensinnigen, wunderlichen Benehmens beim Aachener Frieden ein falsches point d'honneur, das er darin zu erkennen

« ForrigeFortsæt »