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Anna Mart

Maruzza; roman de moeurs. Nach Svindler. 2 Bde. 15 Fr. Mignard et Rigaud. Von P. de Muset. 2 Bde. 15 Fr. Oeuvres complètes de Chatterton. Ueberseßt von Javelin Vagnon. 2 Bde. 15 Fr. Revue des romans. Recueil d'analyses raisonnées des productions des plus célèbres romanciers français et étrangers, contenant 1100 analyses raisonnées, faisant connaitre avec assez d'étendue pour en donner une idée exacte, le sujet, les personnages, l'intrigue et le dénouement de chaque roman. - Von Eusèbe G. 2 Bde. 15 Fr.

Traité sur la morte chronique des chevaux, considérée dans sa nature, son siége, ses causes spéciales dans l'armée, et son traitement. Von M. Sage. 11 Fr.

Le vol des heures. Poésies,

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chweden.

Schwedens neuere Dichterschule.

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11. Hammarsköld und die Phosphoriften. Während Leopold's Ansehen in der Schwedischen Literatur noch ungeschmälert herrschte und Franzén in der Zurückgezegens heit wirkte, ohne sich um die Gefeße zu kümmern, nach welchen er fang, fand der Romantizismus, nachdem er in England und

Deutschland Wurzel gefaßt hatte, auch in Schweden Eingang. Bereits im Jahre 1803 wurde Hamamrsköld das Haupt einer literarischen Verbindung, deren Zweck die Verbreitung umfaffens derer Ideen in der Kritik war, als diejenigen, bei denen man fich bieber hatte begnügen lassen. 1807 stiftete Atterbom zu Ups fala die Gesellschaft Aurora, die für Schweden im neunzehnten Jahrhundert ungefähr das wurde, was der Göttinger Hainbund für Deutschland in der zweiten Hälfte des achtzehnten. 1809 ers langte das Land die Preßfreiheit wieder, deren es unter Gustav IV. beraubt war, eine Erwerbung, die nicht wenig dazu beitrug, die literarische Revolution, deren Ausbruch sich nicht mehr verkennen ließ, au beschleunigen. Nicht lange darauf gaben die Anhänger Leopold's ihre Literatur Zeitung" heraus, ein Tageblatt, das Anekdoten, Sagen, Novellen und einige ästhetische Abhands lungen von magerer Ausbeute enthielt. Hammarsköld und Atters bom warfen sich als Ritter der neuen Schule zu Gegnern deffels ben auf. Der Eine redigirte den,, Polyphem", der Andere den Phosphoros", der sich in furzem eines so glänzenden Ers folges erfreute, daß die Romantiker diesen Namen zu ihrem Feldgeschrei machten und sich Phosphoristen nannten. So war der Krieg eingeleitet und drohte, von Tage zu Tage heftiger und bitterer zu werden. Was Mann gegen Mann auszufechten hatte, wurde bald allgemeiner Parteikampf, und beißende Epis gramme befeuerten den Streit der Theorieen. Aber in diesem Streite war die Literatur Zeitung nicht der Stärkere. Die Phosphoristen siegten eben sowohl durch ihren Eifer, des Gegs ners Blößen zu zeigen, als durch ihr Talent, und das Publikum schien sich auf ihre Seite zu neigen. Sie wurden unterstüßt von zwei der ausgezeichnetsten Kritiker, welche Schweden jemals hers vorgebracht hat, Thorild und Ehrensvärd, und von mehreren jungen Dichtern, die mit einer frischen und fühnen Einbildungss kraft glänzende Eigenschaften des Styls verbanden. Zu ihnen gehörte unter Anderen Elgström, der in der Blüthe seiner Jahre starb und einige schmelzende Elegieen hinterließ.

Im Jahre 1811 fanden die Phosphoristen eine neue Stüße an der Gesellschaft Jduna, die Geijer, Tegnér, Afzelius und Ling zu Stockholm gründeten. zu Stockholm gründeten. Die Aufmerksamkeit des Publikums auf die nur allzu lange vergessenen alten Denkmäler der Schwes dischen Literatur zurückzuführen, war Hauptzweck derselben. Sie gab eine Sammlung heraus, in der Geijer Poesteen von echt vaterländischem Gepräge dichtete, Tegnér die Schönheiten und den Ruhm Schwedens besang, Afzelius eine Uebertragung der Edda bekannt machte. So lehnte fich die romantische Schule an die Ueberlieferungen der Vergangenheit und an die Ahnungen der Zukunft. Zugleich fuchte fie fich durch ein gründliches Stu dium des klassischen Alterthums zu befestigen, lieferte verständ liche und treue Uebersehungen Homer's und Virgil's, so wie Abs handlungen über die Poetik der Alten, die durch richtige Aufs fassung und Entwickelung ihrer Grundsäße sich allenthalben Eins gang verschafften. Gegenwärtig ist der Krieg beendigt, die Babrung, die der Streit beider Schulen hervorbrachte, hat fich gelegt und der Beobachter, der über die Wahlstatt schreitet, kann, . um die Heftigkeit des Kampfes zu ermessen, Trümmer von beis den sammeln, wie man von einem Schlachtfelde die Lanzensplits ter und goldenen Sporen der Ritter aufliest.

Der Redacteur des klassischen Journals, Herr Walmark, hat einige Gelegenheits Broschüren hinterlassen, deren Andenken allein die Meß Kataloge bewahren, und eine Schwedische Anthologie, die ihm keine andere Mühe gekostet hat, als von hier und da mit ziemlich ungeschickter Hand die Dichtungen verschiedener Zeiträume aufzugreifen und sie ohne literarische Notizen, ohne Biographieen zusammen drucken zu lassen. Die beiden Haupts Redacteure der Jduna, Geijer und Tegnér, sind heute zwei der größten Lichter Schwedens. Hammarsköld, der Redacteur des Polyphem, hat unter vielen anderen zwei vortreffliche Schriften verfaßt, die eine über das Studium der Philosophie", die aus dere über die Geschichte der Schwedischen Literatur."*). Ehrensvärd und Thorild legten den Grund zu der neueren Kritif, und Atterbom, das erklärte Haupt der Phosphoristen, hat diesen Rang durch seine philosophischen Werke und Poeficen ges rechtfertigt. **)

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Auch der Ololnitsch und fein Schwager hatten ihre Ringe in die Schüssel gethan; sie wurden bei einem und demselben Liede herausgenommen:

„Ich size auf dem Trog und sehe nach Gewinn;

3 fiße Immer fort, ich sehe immer fort:

unermüdet feb' ich der Gewinn ist auf dem hofe,

Der Gewinn ist auf dem Hofe, hundert Rubel liegen auf dem Tisch." Da Beide i der That sehr gewinnsüchtig waren, so gefiel ihnen

Historiska Anteckningar af det philofophifta Studium iSverige 1 vol. 1821. Svenska Batterbeten. 1 vol. 2te Auflage. 1833. Herr armier konnte auch noch das leste umfassende Werk feines Ver bens anführen: Grundzüge der Geschichte der Philosophie." 4 Bande. 1825 27. . stirbt 1827.

**) Geboren zu to den 19 Januar 1790, fudirte zu pfata, veißte dret Jahre durch Deutschland, Italien und Danemark, wurde 1819 Profeñer der Deutsch n Literatur bei den Kronprinzen, 1821 Privatdocent au der Univer fitat ipfala, 1828 Professor in der vhilosophischen Fakultät.

dieser Gesang sehr wohl, und sie lachten sogar laut auf, als der Narr bei dieser Gelegenheit sich nicht enthalten konnte, auszurus fen:,,Nu, nu, auch das Lied weiß schon, wie sie auf Geld versessen sind; nur immer nehmen, immer nehmen. Freigebig sollt Ihr seyn? Ja, freigebig, um Anderen zu schaden. Sollte auch ich doch vorher für nichts und wieder nichts Prügel erhals ten." ,,Schon gut, schon gut, Narr", sagte lachend der Ofols nitsch; wenn Du mich deshalb für geizig hältst, daß ich Dich nicht genug geschlagen habe, und wenn Du deshalb auf mich zarnest, so sen ruhig, ein anderes Mal werde ich Dich beffer. bedenken."

Wo aber ist Sophia's Ring? Der vorleßte wird herausgenoms men, und immer ist es nicht der ihrige: dieser blieb zulegt nach; einem folchen legten Ringe wird gewöhnlich etwas Widerwärtiges prophezeit, obwohl es Leute giebt, die das Gegentheil behaupten. Wie sollte dieser Zweifel nun entschieden werden? Die Ndna wollte Sophia's Ring schnell herausnehmen, stieß zufällig an den Tisch, die Schüssel fiel zu Boden und ging entzwei, das Wasser strömie auf die Diele, und Sophia's Ring rollte vor Aller Augen dahin. Dies war ein schlechtes Zeichen; einen Mann bekommt fie schon nicht, und Gott weiß, welches Unglück ihr sonst noch bes vorsteht! Alle waren erschüttert, am meisten aber die Nána. ,,So send doch ruhig", rief eine Frau aus;,,wäre die Schüffel ganz geblieben und der King herausgefallen, so würde es freilich nicht gut gewesen seyn; Ihr seht ja aber, daß die Schüssel in Scherben daliegt: dies verkündet unserer lieben Sophia" eine glänzende Zukunft."

,,Wie freue ich mich, daß Du reich werden sollst“, flüsterte eine Freundin ihr ins Ohr. —,,Ach Liebe“, antwortete Sophia, ,,an Reichthum denke ich am wenigsten, denn dabei ist man oft

arm an Glück.“

"

Inzwischen war Mitternacht schon lange vorbei; die Gåste hatten sich herrlich belustigt. In Folge der eifrigen Bewirthung der Hausbefizer konnten der Okolnitsch und sein Schwager nur mit Mühe in thre Schlafkammer gelangen. Sie legten sich zu Bette und schliefen wie die Todien.

Am nächsten Tage wachten fie gegen Mittag auf. „Nun, Bruder, dagegen läßt sich nichts fagen, wir sind gestern gut bes wirthet worden", sagte Trodhaniotoff zu seinem Gefährten, als er sich von seinem Lager erhob.,,und die Tochter, die Tochter, wie schön ist sie! Weißt Du wohl, Leonin", fuhr er mit leiserer Stimme fort,,,daß es mich einigermaßen beunruhigt, daß sie so überaus schön ist; Du bist ein gescheidter Mensch und hast wohl gemerkt, daß unser Verwandter Ilja Miloslawski eine seiner Lochter gern als Zaarin sehen würde; ihm würde es gewiß nicht angenehm seyn, wenn wir mit einem so schönen Mädchen, wie Sophia, erschienen." ,,Wahr ist es freilich", antwortete der Okolnits;,,von ganzer Seele würde ich meinen Verwandten beistehen, wenn ich fähe, daß mir meine Dienste später zehnfach belohnt wurden; wir müssen uns aber in Acht nehmen, daß wir uns nicht tduschen. Wie Du weißt, sind nicht wir allein zur Brautschau ausgesendet; es kommen vielleicht bis 200 zusammen; wenn nun der Zaar eine Andere als Miloslawki's Lochter ers wählt, so haben wir das Nachsehen. Gefällt ihm aber Sophia, fo kommt es uns zu gut, daß wir fie auffanden. Ift Miloslawski damit unzufrieden, so möge er seinen Verstand zusammennehmen und sehen, wie er seine Tochter anbringt, während wir das Uns frige für Sophia thun." ,,Du hast Recht", erwiederte der Schwager; wir wollen unserem Wirth den wahren Grund un feres Herkommens mittheilen und ihm sagen, daß er mit seiner Tochter nach Moskau reisen solle. Doch, ich glaube, er kommt zu uns, ich höre seine Stimme."

In diesem Augenblick trat Wiewoloschky ins Zimmer, erkun digte sich nach der Gesundheit seiner Gäste und wie sie die Nacht zugebracht hätten? Nachdem er eine befriedigende Antwort erhals ten, ladete er sie zu sich ins Zimmer ein, um ein Becherchen Krduterbranntwein au leeren und dazu zu essen, was der Himmel bescheert hatte.,,Dank für Deine Güte, Ruf Wladimirowitsch", anworteten die Gäfte,,,Dein Anerbieten schlagen wir nicht ab. Indessen wollen wir Dir zuvor den eigentlichen Zweck unseres Hiersenns mittheilen: unser Vater, der Zaar, wünscht sich zu vermählen; wir sehen uns nach einer Braut um, die wir, ohne zu erröthen, Zaarin nennen können. Vielleicht bestimmt der Himmel Deine Tochter dazu; eine schönere sahen wir nicht und fordern Dich daher auf, mit ihr nach Moskau zu kommen." Der gute Whewoloschky verlor fast die Besinnung, als er diese Neuigkeit hörte. Er liebte freilich seine Tochter über Alles, und für ihn war sie eine unübertreffliche Schönheit; jedoch war es ihm nie in den Sinn gekommen, daß sie eine Zaarin werden könne. Ohne mich über die hierauf folgende Unterhaltung weis ter auszulassen, sage ich nur, daß er bald forteilte, um feiner Frau und Tochter diese Nachricht mitzutheilen. Sie waren nicht weniger erstaunt als er. Die liebenswürdige, anspruchslose Sophia glaubte anfänglich, man habe seinen Scherz mit ihr; sie hielt sich gar nicht für so reizend, daß der Zaar sie allen Mädchen Rußlands vorziehen und zu seiner Gemahlin erwählen Fönne. Ihre Mutter war vor Entzücken außer sich und die alte Nana nahe daran, vor Freude den Verstand zu verlieren.

Der Ololnitsch und sein Schwager hatten die Absicht, sich gleich auf den Weg zu machen; aber der Hausherr überredete ie, noch einen Tag zu bleiben und sich von der Reise zu erhos len, mit dem Versprechen, am nächsten Tage selbst mit seiner Familie nach Moskau zu fahren. Sie blieben. Nach einem reichlichen Mittagsmaht ruhten Alle ein Stündchen aus und fuh ren dann spazieren. Nach ihrer Rückkehr bis zur Ankunft neuer, wie am Abend vorher verkleideter Gifte gaben die jungen Leute sich einander Räthsel auf. Diese waren freilich nicht so kompliz zirt wie jeht, aber gerade deshalb vielleicht um so schwerer zu errathen. Zum Beispiel: Zwei Spißen, zwei Ringe, in der Mitte ein Stift. Klein und rund bewahrt es das ganze Haus.

Das erste ist eine Scheere und das zweite ein Schloß. Es gab aber auch schwerere Rathfel. Eine von den anwesenden Frauen, die sich darüber drgerte, daß ihre Tochter unter funfzig nicht eines errieth, während Sophia oft so glücklich war, gab, um diese in Verlegenheit zu bringen, folgendes Räthsel auf: „Was fliegt ohne Flügel, was läuft ohne Füße, was brennt ohne Feuer, was thut weh ohne Verwundung?" - Den Finger an ihre rosigen Lippen gelegt, fann Sophia etwas nach und rief dann aus:,,Ich hab's, ich hab's! — Ohne Flügel fliegt der Sturm, ohne Feuer brennt die Sonne, ohne verwundet zu seyn, leidet das Herz der Wahrsager." Alles rief ihr Beifall zu; auch der Okolnitsch murmelte vor sich hin;,,Wahrhaftig, das ist ein Wunder und kein Mädchen; sie verdient Zaarin zu seyn.“

Doch genug von den ferneren Belustigungen dieses Tages; fie glichen den gestrigen. Ich wollte nur mit einigen Worten unsere ehemaligen Swatki schildern; wenn diese Schilderung gefällt, würde ich mich sehr freuen; ich fürchte nur, man könnte fich langweilen, wenn man es lánger vor Augen behält. Wir wollen mit Wfewoloschky's nach Moskau und sehen, was dort geschieht.

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Mannigfaltiges.

Britisches Kolonial Reich. Nach Herrn Montgomery Martin haben Englands überseeische Besißungen einen Flächens Inhalt von 2,200,000 Engl. Quadratmeilen und eine Küstenlänge von 20,000 See Meilen. Die Bevölkerung beträgt 105 Millionen Seelen, so daß etwa 50 Köpfe auf die Engl. Quadratmeile kome men. Es befinden sich darunter 800,000 Lutheraner und Kalvinisten, 700,000 Diffenters, 14 Millionen Römisch-katholische, Griechischs Patholische, Syrer ic., 26 Millionen Muhammedaner und 75 Mils lionen Hindus. Die Militairmacht in den Kolonieen beträgt 56,000 Mann regulaire Europäische Trappen, 156,000 Mann re gulaire Kolonials Truppen (Farbige) und 250,000 Mann Kolonial: Miliz (Weiße). Die Staats-Einnahmen und Ausgaben belaufen fich auf 23 Millionen Pfund Sterling; außerdem werden von Großbritanien 225,000 Pfd. für Civil- und Gefängniß-Verwaltung und 1,800,000 Pfd. für die Armee verwendet. Steuern kommen ungefähr 4 Schilling (14 Thaler) auf den Kopf. Das in den Kolonieen umlaufende Metallgeld beläuft sich auf ungefähr & Mil lionen und das Paviergeld auf 3 Millionen Pfund Sterling. Der Seehandel der Kolonieen beläuft sich in den Ausfuhren auf 30 und in den Einfuhren auf 25 Millionen Pfd. Sterl. Großs britanien erhalt von seinen Kolonieen für 15 und sender dahin nur für 10 Millionen Pfund Waaren. Die Gefammischifffahrt umfaßt einen Gehalt von 8 Millionen Tonnen, von welchen allein 3 Millionen Tonnen auf den Verkehr mit Großbritanien vers wandt werden. Von 1814 bis 1837 wurden in den Kolonieen 8975 Schiffe mit einem Gehalte von 1,022,937 Tonnen erbaut. Die jährlich in den Kolonieen erzeugten Produkte werden auf 400 Millionen Pfd. Sterl. geschäßt, und der Gesammtwerth des beweglichen, wie des unbeweglichen Eigenthums daselbst ́ foll 2500 Millionen Pfd. Sterl. betragen.

vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 43.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Proving so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post - Aemtern.

Literatur des Auslandes.

Berlin, Mittwoch den 10. April

Frankreich.

Die Französische Literatur des 17ten und des 18ten Jahrhunderts.

Nach Villemain's „Tableau du XVIII. siecle." ") Herr Villemain bemerkt in der Vorrede seiner Literaturs Geschichte des 18ten Jahrhunderts, daß man diese Geschichte, obwohl sie schon so oft behandelt worden, vor seinem Buch nicht ganz erschöpft habe und auch nach demselben nie dahin kommen werde; man werde sie, meint er, immer wieder aufs neue ans fangen. Auch wir sind dieser Meinung. Doch Herr Villemain glaubt einen viel unparteiischeren Standpunkt einzunehmen, als seine Vorgänger. Er erinnert daran, daß die meisten Schriften, die das 18te Jahrhundert zum Gegenstand haben, Streitschriften für oder gegen dasselbe sind. Die berühmten Namen dieser denkwürdigen Epoche", sagt er,,,die man nach bestimmten Zwecken erhob oder erniedrigte, sind zu Waffen in den Händen der politischen Parteien geworden. Die Reaction machte den Irrthum wieder lebendig, und der wiedererwachende Einfluß der Jesuiten gab manchem mit Recht vergessenen Philosophen, wie Helvetius oder Holbach, neues Ansehen. Doch die Wahrheit bleibt dieselbe, troß dieser verschiedenen Standpunkte, und es mußte sich mit der Zeit ein unparteiisches Urtheil über den Chas rakter des lesten Jahrhunderts bilden. Der ästhetische und künsts lerische Gesichtspunkt mußte sich von dem politischen trennen.“

"

Die legten Worte bestimmen genau die Tendenz des Herrn Villemain. Ihm ist es mehr um die literarische Würdigung des 18ten Jahrhunderts zu thun, als um dessen philosophische und sociale Bedeutung. Doch dieser Gesichtspunkt scheint uns etwas beschränkt, und zum Belege dessen verweisen wir auf eine andere Stelle seiner Vorrede, wo Herr Villemain den neuen Charakter andeutet, den die Französische Literatur annahm,,in einem Jahr hundert, wo sie nicht mehr als die erste der Künste, sondern als die höchste geistige Macht anzusehen ist, da alle übrige damals ganz ohne Kraft waren."

Man kann sich nicht gut dazu verstehen, Werke, welche die höchste geistige Macht der von ihnen bewegten Zeit bildeten, unter einem bloß literarischen Gesichtspunkt zu betrachten. Es giebt keine Literatur, die nicht einen tiefen geistigen Einfluß zu ihrer Zeit ausgeübt, doch das heißt noch nicht, das höchste geistige Moment der Zeit seyn und die ganze Gesellschaft beherrschen, und dies Lestere fand im 18ten Jahrhundert statt, in einem Lande, wo die ganze Ordnung der Dinge sich auf Doktrinen stüßte, die von der höchsten Gewalt geschüßt und jeder Diskussion verschlossen waren. Gewiß, dies ist eine außerordentliche Erscheinung, und eine Literatur, die im Widerspruch mit der Staatsgewalt so machtig wirken konnte, verdient gewiß im höchsten Grade, studirt und untersucht zu werden, doch muß dieses Studium nicht die artistische und ästhetische Seite allein festhalten; denn Kräfte irgend welcher Art betrachtet man auf eine ganz andere Weise, man beschäftigt sich vor Allem mit dem, was ihre Kraft auss macht, mit den Wirkungen, die sie hervorbringen, und forscht nach den Ursachen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Jahrs hundert Ludwig's XIV. durchaus von den Schriftstellern des 18ten Jahrhunderts. Wenn man Voltaire lieft, findet man nie jenen reinen, erhabenen Genuß, jene ungemischte Freude am Schönen, die Racine's Meisterstücke gewähren; man erkennt in dem Vers faffer der Henriade, selbst in den Werken, die nichts mit seinen Doktrinen zu thun haben, einen der Haupturheber einer unge beuren Revolution, und wo man eine solche Perspektive vor sich hat, da wird jede rein literarische Betrachtung unmöglich.

Es ist also kein glücklicher Plan, die Literatur des 18ten Jahrhunderts so behandeln zu wollen, daß man von den großen philofophischen and historischen Tendenzen, die in ihr liegen, ab strahirt; man kann bei einer solchen Behandlung anziehend, ja beredt feyn und Geschmack und mannigfaltige Kenntnisse an den Tag legen, aber es bleiben dabei ganze Strecken wüst liegen, wohin Jeder den Blick wendet, um sie beleuchtet au sehen. Einen folchen Eindruck hat Herrn Villemain's Buch auf uns gemacht.

) Vgl. Nr. 123 bes Magazins von 1838, wo wir bereits einige einlei tenbe Betrachtungen über dieses Werk gegeben haben.

1839.

Wir haben viel daraus gelernt, hätten aber gern noch mehr gee lernt. Warum soll man nicht versuchen, auf die dunkelen Pars tieen eines so großen Bildes einiges Licht zu werfen? Herr Villemain konnte dies mit mehr Erfolg, als irgend Jemand.

Wir haben nicht die Absicht, hier die Lücken in der Arbeit des berühmten Professors auszufüllen; doch können wir uns nicht enthalten, in eine oder zwei von den großen Fragen, welche die Literargeschichte des 18ten Jahrhunderts betreffen, näher einzus gehen.

Es ist Herrn Villemain durchaus nicht entgangen, daß su den auffallendsten Beziehungen, die der von ihm behandelte Stoff jedem denkenden Geist darbietet, der wunderbare Kontrast gehört, der das 18te Jahrhundert von der unmittelbar vorhergehenden Zeit trennt. Doch ist dieser Kontrast in seinen Darstellungen hinreichend entwickelt? Wir zweifeln, ob viele Leser dies auss sprechen werden. In folgenden Worten ist Alles enthalten, was Herr Villemain über diesen Punkt zu sagen hat:

,,Der literarische Geist des 17ten Jahrhunderts hat sich unter dem Einflusse dreier Elemente gebildet, der Religion, des Alters thums, der Monarchie Ludwig's XIV. Aus diesen sehr verschiedenen Elementen und aus dem eigenen Aufschwung einer jugends lichen, kräftigen Nation ist jene große Schule des Schönen und der Beredsamkeit hervorgegangen, die man nie übertreffen wird. Die Momente dagegen, welche die Literatur des 18ten Jahrhuns derts beherrschen, sind der Skeptizismus, das Moderne und die politische Reform. Nichts ist entgegengesetter und nichts enger verbunden, als diese beiden Epochen; die Größe und die Auss artung der ersteren brachten die zweite hervor."

Allerdings bildete das 18te Jahrhundert eine Reaction gegen die Zeit Ludwig's XIV., doch es ist die Frage, worin die innere Kraft dieser Reaction besteht und welches ihre Ausdehnung und Dauer ist. Es ist hier nicht von einer Reaction der Art die Rede, wie sie in Frankreich am Ende jeder Regierung eintritt und dem Lande zur Gewohnheit geworden ist; es handelt sich vielmehr um eine der tiefsten Revolutionen des menschlichen Geistes, die nicht aus Mißvergnügen und bloßen Täuschungen, so bedeutend diese auch seyn mögen, zu erklären ist.

Man sagt: das 18te Jahrhundert gehe aus dem 16ten hers vor, das 17te fen nur ein Ruhepunkt zwischen beiden Epochen. Der erste Theil dieses Saßes ist durchaus wahr; die Ideen, die das 18te Jahrhundert in Bewegung gefeßt hat, mit denen es gegen die alte Gesellschaft losgezogen ist, stammen allerdings aus dem 16ten Jahrhundert; aber das 17te Jahrhundert ist kein Ruhepunkt, vielmehr hat es dazu beigetragen, jene Ideen in Frankreich so wunderbar mächtig zu machen, durch seine vergeb lichen Versuche, sie zu bekämpfen und zu unterdrücken.

Das Zeitalter Ludwig's XIV. blendet leicht; der große König war so lange Sieger, daß die späteren Niederlagen den Eindruck jener Siege nicht vernichten können. Aber es ist gerade sehr wichtig, ihn als Beflegten zu betrachten, denn seine Triumphe waren von geringer Bedeutung im Vergleich mit seinen Nieders lagen. Und nicht bloß in seinem Ruhm und Eroberungs-System ift Ludwig XIV. besiegt worden, feine Politik und seine religiösen Grundfäße zogen nicht weniger den Kürzerenz ja, in dieser leßtes ren Beziehung ward er für immer überwunden: die Provinzen, die er erobert, sind dem Eroberer nicht alle entrissen worden, aber von den Prinzipien und religiösen Doktrinen, die er für immer firirt zu haben glaubte, blieb bei seinem Tode fast nichts übrig.

Wenn man von dieser Regierung eine ganz treue und wegen ihrer Unvollständigkeit doch täuschende Anschauung haben will, muß man das Leben jener Frondeurs studiren, die so unruhig, so ausschweifend in Ideen und Sitten find, so lange Ludwig XIV. noch ein Kind unter Vormundschaft ist; von 1661 ab werden sie ganz anders: fie_diszipliniren sich, fie lauschen aufmerksam auf die Parole des Souverains, die Höchstgestellten sind die Unters thánigsten, und wie der große Condé, thun sie Alle weiter nichts, als die Blatter ihres früheren Lebens zerreißen.

Man bore einen jener Helden aus der Zeit der Winderjäh rigkeit: einige Beilen einer naiven Eradhlung werden uns über diese Verwandlung mehr Auffidrung geben, als lange Reflexionen. Gaspar v. Chavagnac, ein Offisier, der mit dem Prinzen von: Condé in enger Verbindung stand, hatte eine schwere Wande bei der Belagerung von Lerida davongetragen. Seine Freunde

halten ihn alle für verloren; man sagt ihm, daß er sich auf den Lod vorzubereiten habe. Herr von Châtillon“, sagt er,,,der am Fuß meines Bettes saß, weinte, umarmte mich und war so gerührt, daß er meine eigenen Schmerzen verdoppelte. In dieser Gefahr kamen einige von den Mönchen, in deren Kloster wir wohnten, um mich zum Tode vorzubereiten und zu befehren; aber vergebens, ich wollte nichts von ihnen hören, und nachdem fie fortgegangen, ordnete ich meine Angelegenheiten, belohnte meine Leute nach den Diensten, die sie mir geleistet, und befahl ihnen, in die Auvergne zurückzukehren und meinem Vater zu sagen, daß ich als Hugonotte, meiner Mutter, daß ich als Katholik gestors ben. Ich bediente mich dieser Lüge, um sie Beide über den Vers luft eines Sohnes zu trösten, den sie so zärtlich liebten und der an Nichts glaubte; aber Gott, den ich dafür alle Tage meines Lebens tausendmal um Verzeihung bitten werde, wollte mich nicht verlassen, er gab mir Zeit, Reue zu fühlen, die Religion zu andern und meine Seele zu retten, indem er mir durch ein außers ordentliches Abenteuer das Leben erhielt zu einer Zeit, wo man nur meinen Tod erwartete."

Wie verschieden sind diese beiden Menschen, der, welcher in Lerida dem Tode nahe war, von dem, der nach dem Nimweger Frieden seine Memoiren und Grundsäße aufschreibt; der Eine res prájentirt ganz die erste Hälfte des 17ten Jahrhunderts, der An dere die zweite, und diese beiden Hälften des Jahrhunderts find scheinbar nicht weniger von einander verschieden, als die beiden Lebenshälften Chavagnac's. Doch man muß sich nicht täuschen lassen, der Unterschied ist lange nicht so groß, als er scheint.

Bayle, welcher die geistige und philosophische Bewegung der Zeit von dem Wiedererwachen der Wissenschaften an beson ders studirt hat, sagt:,,Nie hat es vielleicht so viel Ungläubige als im 16ten und 17ten Jahrhundert gegeben; ich meine die Uns gläubigen, die sich nicht damit begnügen, das Gebäude umzus stoßen, ohne den Grund zu zerstören, sondern die Beides, Grund und Gebäude, gleich wenig anerkennen." *)

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Es fehlt nicht an Quellen, die Bayle's Behauptung bestätis gen, und sie scheint uns für Ludwig's XIII. Zeit noch viel wah rer als für das 16te Jahrhundert. Seit dem Lode Heinrich's IV. spielt der Unglaube eine Hauptrolle in den Sitten des Adels; schon damals nahm er jenen frivolen und spottenden Charakter an, der später unter der Regentschaft wieder erscheint und den Voltaire und feine Anhänger durch ihre Einwürfe und Raisonnes ments so geschickt zu befördern wußten. Die Jrreligiofitct war allerdings im 16ten Jahrhundert groß genug, und der treffliche Lanoue hebt sehr gut die Ursache derselben hervor, indem er sagt: Unsere Religionsfriege find es, welche bewirkten, daß wir die Religion vergaßen. Nichtsdestoweniger war der Glaube in Lanoue's Zeit noch sehr stark, und wenn ihn die Verzerrungen der Heuchelei und die Erzeffe des Fanatismus tödteten, so waren doch diese Eraeffe selbst ein Beweis seines Daseyns. Daher findet er sich auch selbst bei denen wieder, die dem Zweifel und seinen Kampfen am meisten preisgegeben waren. Folgende Worte eines freien Denkers des 16ten Jahrhunderts an seinem Todbette beweisen dies. Etienne de la Boëtie, der Verfasser des Contré un, spricht so zu seinem Freunde Michel Montaigne: „Mein Bruder, mein Freund, ich versichere Dir, ich habe in meinem Leben genug Dinge, wie mir scheint, mit eben so viel Mühe und Leiden gethan, als ich dies jeßt thue. Heißt das nicht genug gelebt, wenn man so alt wird, als ich? Ich war im Begriff, in mein dreißigstes Jahr zu treten, Gott hat mir die Gnade angethan, daß ich bis zu dieser Stunde gesund und glücklich war; bei der Veränderlichkeit der menschlichen Dinge fonnte dies nicht länger dauern. Bald hätte ich tausend unangenehme Dinge erleben müssen, z. B. die Schwäche des Alters, von der ich nunmehr frei bin. Und dann ist es wahrscheinlich, daß ich bis zu dieser Stunde chrlicher und besser gelebt habe, als dies vielleicht ges schehen wäre, wenn mich Gott hätte so lange leben lassen, daß mich die Sorge um Reichthum und Bequemlichkeit beschäftigt hätte. Ich bin überzeugt, daß ich von hinnen zu Gott und in die Wohnung der Seligen fommen werde."

Man glaubt vielleicht, hierin nur einen Schüler des Sokras tes zu sehen; man leje weiter: Des Morgens beichtete er feis nem Priester; da aber der Priester nicht alles Nöthige mitges bracht, so konnte er ihm nicht die Messe lesen. Dienstag früh aber verlangte Herr de la Boëtie nach ihm, um, wie er sagte, mit seiner Hülfe das leßte christliche Gebet verrichten zu können. So hörte er die Messe und nahm sein Abendmahl. Und als der Priester von ihm Abschied nahm, fagte er: Mein geistlicher Vater, ich bitte Euch demüthigst, Euch und Alle, die unter Euren Befehlen stehen, flehet zu Gott für mich, wenn es sein Wille ist, daß ich zu dieser Stunde meine Tage ende, daß er Mitleid habe mit meiner Seele und mir meine Sünden verzeihe, die ohn' Ende find, da es nicht möglich ist, daß eine so niedrige, schwache Kreatur, als ich, die Gebote eines so hohen, mächtigen Herrn volls aogen habe; oder, wenn es ihm gefällt, daß ich noch hier unten Buße thue, und er mein Stündlein noch hinausschiebt, so bittet ihn, daß er bald meine Qualen endige und mir die Gnade ans thue, meine Schritte von nun ab in die Fußstapfen seines Willens zu leiten und mich besser zu machen, als ich war."

Dazu kommt noch, daß der Erzähler dieser Details der sleps tische Montaigne ist, der selbst Zeuge davon war. Gewiß, es war noch viel Religiofitdt in einer Gesellschaft, wo ein Mann, wie La Boëtie, so starb und ein Mann, wie Montaigne, fich

darin gefällt, dies zu erzählen. Man vergleiche diesen Bericht mit dem von Chavagnac, der vor Lerida zu sterben glaubt und übrigens noch so gutherzig ist, daß er an die Betrübniß seiner Aeltern denkt und seinen Unglauben dazu henußt, ihnen den Trost leichter zu machen. Aber welcher Leichtsinn steckt in diesem from men Betrug! Diese Art Unglauben war damals beim Adel an der Tagesordnung; er machte ein Spiel aus der Religion, aus dem Leben, aus Allem, nur nicht aus der Ehre. Und was war an diesem Prinzip der Ehre? Es vertrug sich zur Noth mit den allerniedrigsten Handlungen, mit Betrug im Spiel und anderen ähnlichen Skandalen. Man brauchte nichts als die Beobachtung dieser Ehrengeseße, um sich Achtung und Ansehen zu erwerben; dann war man ein honnête homme, und dies war das heilige Wort, der Titel, nach dem jeder junge Edelmann geizte.

Dieser Begriff des honnête homme, der sich unter Ludwig XIII. gebildet, wurde während der Minoritdt Ludwig's XIV. vervollkommnet und in den Salons der Ninon durch die Saints Evremond, die Chapelle, die Bachaumont, die Charleval, die Bernier und viele andere Schüler Epikur's und Gassendi's mit einem philosophischen Firniß ausgestattet.

Il vit loin du scrupule et de l'impiété,

Sans craindre ou inériter les éclats du tonnerre;
Il mêle l'innocence avec la volupté

Et regarde le ciel sans dédaigner la terre.

So lautete damals die philosophische Formel des honnête homme, den man auch,,den Weisen" nannte und von dem Las bruyère fagte:,,In einem gewissen Stand und bei einer ges wissen Geistesbildung und Weltanschauung darf man nicht daran denken, ein und dasselbe mit den Gelehrten und dem Volk zu glauben."

Man sieht aus dieser Stelle Labruyère's, wie aus dem gans zen Stapitel von den Esprits forts, daß unter Ludwig's XIV. lans ger Regierung die skeptische Frivolität der vorigen Periode durch die Predigt der Bourdaloue und Bossuet und die gelehrten Schriften der Arnaud und Nicole nicht verdrängt worden. Ludz wig XIV. brachte viele scheinbare, wenig echte Reformen zu Stande. Die Veränderung bestand nur darin, daß es nunmehr zwei Klassen Libertins gab, statt einer: die offenen Libertins oder Ungläubigen, d. h.,,die, welche es zu seyn glauben", wie Las bruyère fagt,,,und die Heuchler oder Scheinheiligen, d. h. die, welche nicht für Freigeister gehalten seyn wollen." Damals fand es Bachaumont zweckmäßig, die Theorieen feiner Jugend etwas zu modifiziren; in feinem Alter sagte er, ein honnetter Mensch müsse an der Thür der Kirche sein Leben zubringen und in der Sakristei sterben. Für diesen inkonfequenten honnête homme scheinen die Worte des Verfaffers der Caractères geschrieben. „Man sollte sich sehr ernstlich ́prüfen, ehe man ein starker oder freier Geist wird, damit man wenigftens so ende, wie man ges lebt hat, oder wenn man sich nicht diese Ausdauer zutraut, fo müßte man sich entschließen, so zu leben, wie man sterben will."

Le Cogneur de Bachaumont war Pariser Parlamentsrath und Chavagnac's Freund; diefes und das Beispiel des Raths Desbarreaur und vieler Anderen beweist, daß die Sitten und Grundsäße der Aristokratie des Degens zahlreiche Nachahmer in der Aristokratie der Robe gefunden hatten. Was die geistliche Aristokratie betrifft, so bedarf es kaum der Bemerkung, daß sie von denselben Ansichten angesteckt war. Die Französische Bos: heit hat diese Beispiele nur noch beffer aufbewahrt, als die ans deren, die Memoiren der Zeit sind voll davon. Saint Pavin war Abt von Livri; es ist bekannt, daß Boileau seine Bekehrung für unmöglich hielt; gleichwohl bekehrte er sich, und die Nachricht davon erzählte der Spötter Gui Patin einem seiner Freunde in folgenden Worten:,,Hier ist vor einigen Tagen (1671) ein großer Diener Gottes gestorben, Namens Herr von Saints Pavin, intimer Freund Desbarreaur's, der auch ein sehr berühmter Israelit ist, si credere fas est." (Fortjeßung folgt.)

Die Salpetrière. (Schluß.)

Was nun die verschiedenen Arten von Jrrsinn anbelangt, so findet man in der Salpetrière ebenfalls die gewöhnlichen Wahns finnstypen, wie in allen ähnlichen Anstalten. Hier, wie überall, fieht man Herzoginnen, Marquisen, Königinnen, Kaiferinnen und Heilige in der Einbildung, so wie diejenigen Arten von Manie, welche sich nach den Individuen verändern: die Furcht vor Mord, Vergiftung und Diebstahl, Wahnsinnige, welche sich vor der Sonne oder vor ihrem Schatten fürchten; die Eine, obgleich sie sich einbils det, eine Millionairin zu feyn, bittet doch alle Vorübergehenden um einen Sou zu Tabak; die Andere schreibt, dichtet und fertigt Bittschriften an, um ihre Entlassung aus der Anstalt zu bewirken. Doch sind diese verschiedenen Geistesverwirrungen zu bekannt, um langer bei ihrer Aufzählung zu verweilen; bewährt aber hat es sich, daß in Frankreich die Zahl der wahnsinnigen Frauen bez standig die der Männer um ein Viertel übersteigt. Wenn man bedenkt, daß die Ursachen des Wahnsinns, wie Trunk, Glückss wechsel, ehrgeizige Pláne, angestrengtes Studium und dergleichen mehr, weit häufiger bei den Männern als bei den Frauen vors kommen, so muß man eigentlich erstaunen, daß es doch mehr geistesgestörte Frauen als Männer giebt, und man fühlt sich vers anlaßt, dieses Mißverhältniß der Bestimmung der Frauen selbst und der falschen und unglücklichen Stellung zuzuschreiben, die

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"Wenn man nun die Aerzte über die Zahl der Wahnsinnigen befragt, die gänzlich geheils aus der Salpetrière entlassen wers den, so erhält man sehr von einander abweichende Antworten, je nach dem Charakter und der Aufrichtigkeit des Befragten. Die Aerzte, welche von jeder Aufschneiderei sich fern halten und es vorziehen, lieber das Ungureichende ihrer Kunst in gewissen Fällen einzugestehen, als der Wahrheit zu nahe zu treten, erklären, daß die Mittelzahl aller erzielten Heilungen nie ein Drittel oder ein Viertel der Kranken übersteige. Die Heilungen sind oft nur schwankend, ungewiß und erfordern die größte Schonung; man muß von der Genesenden mit großer Behutsamkeit alle Gegens stände fern halten, die auch nur im entferntesten auf die Ideen und Eindrücke ihres Wahnsinns Bezug haben. Die Heilmittel sind oft ganz einfach, oft sehr verwickelt; die beruhigenden, küh lenden Mittel schlagen zuweilen an, oft aber sind sie auch ganz erfolglos; die Sturzbdder werden hier nur als Strafe angewens det. Oft bringen auch Zerstreuungen, Musit, Schauspiel oder das Landleben glückliche Veränderungen in den Ideen der Wahnsinnis gen hervor, doch giebt es durchaus keine bestimmte Regel in dies fer Beziehung. Vor einigen Jahren ließ man die Jrren in Chas renton einem Schauspiel beiwohnen, doch man überzeugte fich bald von der Nußlosigkeit dieses Versuches; die in der Stur bes findlichen Wahnsinnigen vermochten es nicht zu fassen, daß sie einem Schauspiele beiwohnten, und blieben unverändert in ihrem gewöhnlichen Ideenkreis befangen. Die in der Besserung Bes griffenen fagten aus, daß sie dabei eine Aufregung, eine innere Bewegung verspårt hätten, welche sie für die Vorboten eines Rückfalles hielten. Uebrigens begreift man wohl, daß der Eins fluß solcher Vergnügungen auf ein verwirrtes Gehirn nur sehr unvollkommen und rein zufällig seyn kann, denn um Geschmac und Sinn für die schönen Künfte zu haben, muß man ein sehr feines und gebildetes Gefühl besißen, und wenn nun das Gefühl überhaupt to getrübt ist, daß es sich keine klare Vorstellung von irgend einem Gegenstande zu schaffen vermag, so fann es auch unmöglich den richtigen Gesichtspunkt auffinden und von allem Anderen abstrahiren, um ein schönes Werk der Malerei, der Mus fil oder der Dichtkunst recht zu genießen. Daher irren sich auch diejenigen durchaus, welche in dem Wesen der Musiker, der Dichter, ja überhaupt aller großen Künstler und dem der Wahns finnigen gewiffe Annäherungspunkte entdecken wollen. Nichts Reht dem Wahnsinn ferner und erfordert eine kräftigere und uns getrübtere 3deens Verbindung als der Zustand eines Gehirns, in welchem große Begriffe und erhabene Vorstellungen sich erzeugen. Freilich geschieht es oft, daß Künstler in Wahnsinn verfallen, oder man wird doch wenigstens zuweilen an ihnen untrügliche Zeichen von Geistesverwirrung gewahr; dazu tragen aber weniger die geistigen Aufregungen als die Didifehler und die ungeregelte Lebensweise bei, welche sich die Mehrzahl solcher Personen zu Schulden kommen läßt.

Wenn man auch bei der Rückkehr aus der Salpetrière nur noch geringe Hoffnung für die Wiederherstellung der dort befinds lichen Jrren hegt, so gedenkt man doch mit Befriedigung der gefunden Lage des Hospitals, der schönen Höfe, der bequemen Schlafsdle und aller der Sorgfalt nnd Aufmerksamkeit, womit diese armen Wesen behandelt werden, die leider nur noch für rein materiellen Beistand empfänglich sind. In der milden Bes handlungsweise, die jeßt den Wahnsinnigen der Salpetrière zu Theil wird, erkennt man den glücklichen Einfluß eines Mannes, den man wohl mit Recht den Wohlthäter der Jrren nennen kann, denn der Doktor Pinnel war der Erste, der diese Unglücklichen von den Ketten und Handschellen befreite, womit man sie ehemals belastete. Obgleich die ganze Heilmethode der Geisteszerrüttung bis jest nur noch ein Problem ist, so versucht man doch gewiß mit Recht bei dieser Krankheit alle Hülfsmittel der Arzneikunde. Vielleicht kömmt noch die Zeit, wo es der drztlichen Kunst ge lingt, der menschlichen Gesellschaft diese geistigen Parias zurück, zugeben, die Fackel der erloschenen Vernunft neu zu entzünden, die Seelen mit ihren Empfindungen und Reigungen aus dem ftarren Todesschlafe wieder zu erwecken. Welch ein herrliches Resultat der Anstrengungen und Forschungen in der Arzneikunst! Von diesem Gesichtspunkte aus wäre der Beruf des Arztes ein wahrhaft göttlicher! Mit solchen Gedanken beschäftigt, vergist man, was jese noch mangelhaft, noch unvollkommen und fehlers haft in der Behandlung der Geisteskranken ist, und man fühlt fich gedrungen, den Männern, welche alle Kräfte ihres Geistes und ihren ganzen Eifer auf solche Kuren verwenden, einen ganz besonderen Tribut von Ehrens und Dankesbezeugungen darzus bringen.

Ein Besuch in der Salpetrière ist nicht blos ein Akt des Studiums und der Beobachtung, sondern auch ein Werk der Barmherzigkeit und der Menschenliebe. Die Zeit der religiösen Pilgerfahrten ist vorüber, Niemand wallfahrtet mehr zur heiligen Genoveva von Nanterre, aber es giebt jest andere Wallfahrten, die im Grunde genommen vielleicht noch besser dem Wesen der Res ligion entsprechen. Wäre es denn eine zu schwierige Aufgabe, mos natlich ein oder zwei Mal gewisse Barmherzigkeits-Anstalten und Hospitaler su besuchen? Nur wenn man in die Zufluchtsstätten Des Elendes einbringt, ternt man die Wunden der Menschheit kennen, dringt man zu ihren Quellen hinauf; nur wenn man ihre traurigen Wirkungen beobachtet, fühlt man sich gedrungen, zu ihrer Erleichterung beizutragen. Wenn man das Hospital der Salpetrière verläßt, so betrachtet man das Geschick der Frauen von einem anderen Gesichtspunkte, der freier von Selbstsucht und Gleichgültigkeit ist. Geist und Herz treten gereinigt daraus hers

vor, und man blickt nicht mehr so gleichgültig auf manches ephe mere, verwilderte Daseyn, das glänzend auftaucht und von dem Schimmer und den Verführungen der Welt verlockt wird; man denkt an das Ziel, das seiner nur zu oft unvermeidlich_harrt: eine Besserungsselle in St. Lazarus oder eine Schweizer Zelle in der Salpetrière.

S ch we de n.

Schwedens neuere Dichterschule.
III. Atterbom.

Der poetische Genius Atterbom's ist einer von denjenigen, die am wenigsten der Zergliederung fähig sind. Seine Werke gleichen einem Spiegel mit verschiedenen Facetten und Refleren, deren wesentliche Nuancen anzugeben schwer fällt. Der vors herrschende Zug darin scheint eine anmuthige, ideale und etwas mystische Phantasie, wie sie in den Minnesängern Deutschlands hervortritt. Wie sie, stimmt er sich leidenschaftlich für einen Traum oder ein Sinnbild, sieht wie sie in den Lüften eine Ges stalt schweben, die ihn verführt, hört Abends am Ufer der Ges waffer, in dem Dunkel des Waldes schweifende, klagende Tone, die ihn rühren, öffnet wie sie feine Gefühle allen Harmonieen der Natur, allen fanften Einflüßterungen, die ihn in der Stille einer Herbstnacht oder in den schwimmenden Düften eines Früh, lings Morgens anhauchen, verfällt endlich wie sie zuweilen in fpisfindige Betrachtungen, in ein lebermaß von Metaphern und wird abstrakt. Die Schwermuth, die feine Dichtungen färbt, ift sart und durchsichtig, sie hat nichts Ermüdendes, nichts Kranks haftes; sie gleicht dem Wasser des friedlichen Sees, in welchem die lichten Abendwelken durch die Dämmerschatten ziehen, wo der Gesang der Lerche sich mit den Klagetönen des Windes im Röhricht mischt. Die Traurigkeit, welche übrigens in den Wers fen Atterbom's herrscht, ist eine edle und heroische; sie ist kein Erzeugniß persönlich erlebten Misgeschicks oder einer augenblick lichen poetischen Täuschung, sondern jener unbegränzten Liebe zum Wunderbaren, die den Dichter dem Leben entfremdet und mitten im Gewühl der Menschen zum Einsiedler macht. nordische Sage erzählt, daß, als ein Jüngling des Nachts mit den Elfen getanzt hatte, er am anderen Morgen mit bleichem Gesichte und traurigem Herzen zurückgekehrt wäre. Der Dichter hat seine Hand ausgebreitet nach diesen Feen der Einbildungss fraft, die ihn in ihre magische Welt hineingezogen haben; er hat feine Seele in die liebenden Umarmungen einer dieser Sylphiden hingegeben, die eben so schön und eben so leicht wie die Illusion find. Er hat aus dem bezauberten Becher der Jugendtraume getrunken; dann, als dieser Becher, aus dem er wieder trinken. wollte, sich seinen Lippen entzogen hatte, die goldene Erscheinung entschwunden war, die schimmernde Grotte, die ihn aufgenom men, sich hinter ihm geschlossen hatte, fand sich der Nachtwandler allein in der Welt der Wirklichkeit, seine Stirn ist bleich, fein Hers traurig geworden.

Eine

3m verflossenen Jahre hat Atterbom feine Gedichte, die bis dahin in verschiedenen Journalen und in den poetischen Almanachen, welche er seit 1812 während mehrerer Jahre herausgab, serstreut waren, zu sammeln angefangen. Es find bis jest zwei Bande davon erschienen. Die Oden und Elegieen, welche fie enthalten, sind mannigfaltig im Styl und Rhythmus, wie die Erinnerungen der Kindheit, die Träume der Liebe, das Gefühl der Freude oder Wehmuth, die sie abwechselnd veranlaßt haben. Zuweilen schimmert fein bestimmter Grundgedanke durch, es ist mehr ein Phantasiren auf der Laute; dann gleichen seine Lieder den Variationen eines musikalischen Themas; leicht und lieblich, haben sie dennoch nichts Konzentrirtes. Zu den beachtungss wercheren Partieen diefer Sammlung gehört eine Reihe kleiner Gedichte auf die Blumen. Die bedeutenderen von Floras Kine dern werden hier beschrieben, nicht mit der kleinlichen Trockens heit des Botanikers, sondern mit der Sympathie, die ihr Anblick beim Dichter weckt, oder nach der Sage, die sich an sie knüpft, oder in der symbolischen Bedeutung, die ihnen beigelegt ist. Manche dieser Schilderungen, wie die der Lilie, des Mauser öhrchens (myosotis), haben die Frische und den Reis einer Jdylle, andere, wie die Viole, find zärtlich und melancholisch wie eine Elegie, noch andere, wie die Malve, haben einen dramatischen Charakter. Doch ist Manches mißlungen, verräth Manier und Anstrengung, ist mit philosophischen Gedanken und abstralien Bildern überladen. Es fehlen in dieser Sammlung Atterbom's mehrere werthvolle lyrische Gedichte, feine Ueberseßungen der Klaffler und die Nachahmungen der Volkslieder, die er in seis nem poetischen Almanach unter der Aufschrift „die nordische Harfe" mittheilte. Als erster Versuch in dieser Gattung, war der Erfolg außerordentlich. So wie er, war noch Niemand in den Geist dieser Urgefänge eingedrungen oder hatte auf einer modernen Leinwand ihre glänzenden Farben and naiven Bilder zu entwerfen verstanden.

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Endlich fehlt in dieser Sammlung eine neue Ausgabe seis nes großen Gedichtes, feines Lieblingswerkes,,,die Insel der Glückseligkeit" (2ndksalighetens De). Es ist eine Allegorie, aber eine Allegorie des ganzen menschlichen Lebens. In diesem Gedichte hat Atterbom_mit_vollen Händen die Schäße seiner reichen Phantasie, die entzückenden Nuancen seis nes farbenhellen Pinsels, alle Melodieen feines musikalischen Rhythmus ausgefreut. Hier berühren sich die melancholischen

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