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glauben, das Wort Koldda stamme von der Römischen Kalenda
ab. Karamsin ist der Meinung, daß Koldda eine Gottheit der
Festtage sen; in Böhmen nennt man Koláda einen religiösen Ges
brauch des Alterthums, wenn die Geistlichen mit Kreuz und Relis
quien die Runde um die Häufer der Eingepfarrien machten, was
noch jest mit gewissen bei uns und in Kleins Rußland bestehenden
Gebrauchen große Aehnlichkeit hat. Als unsere Reisenden an die
Fenster des Starosten klopften, fangen`die Mädchen Folgendes:
Kolada, Kolada, wo warst Du?
Ich habe Pierde gehütet.

Was hast Du Dir durchs Hüten verdient?

Ein Pferd mit Sattel und goldenem Zaum.
Wo sind die Pferde?

Aus dem Thor gezogen.

Wo ist das Thor?

Das Wasser riß es fort.

Wo ist das Waffer?

Die Ochsen haben es ausgesoffen.

Wo sind die Ochien?

Ueber die Berge gegangen.

Wo sind die Berge?)

Die Würmer haben sie durchnagt.

Wo find die Würmer?

Die Ganse haben sie ausgepickt.

Wo find die Ganje?

In das Schilf gegangen.

Wo ist das Schilf?

Die Madchen haben es ausgespült.

Wo find die Madchen?

Sie haben Männer genommen.

Wo sind die Manner?

In den Krieg gegangen.

Wo ist Krieg?

Hinter dem Ofen im Winkel.

Hier stürzten die Mädchen mit Ruthen in den Händen und lårs

diesen Worten fiel ihm Etwas, was aus dem Hofe übers Thor geworfen ward, auf Nase und Bart.,,Wer Teufel bewirft mich da?" rief er aus und irrte sich sehr, denn von Teufeln war hier keine Rede. Die Werfenden waren reizende Mädchen, Sophia's Freundinnen. Um die Zukunft zu befragen, welchem Manne sie. zu Theil werden würden, hatten sie ihre Schuhe übers Thor hins ausgeworfen *), von denen nun unglücklicher Weise der Okolnitsch getroffen ward. Die Geite wurden dem Hausherrn gemelder; er eilte ihnen entgegen, führte sie freundlich ins Haus und wies ihnen den ersten Play an. Gastfreundschaft spricht für ein gutes Hers, für eine edelmüthige Seele. Die zuvorkommende Auf nahme besänftigte den Droinitsch und erheiterte seinen Schwager noch mehr. Kaum hatten Beide, nachdem sie vor den Heiligens bildern ihr Gebet verrichtet, Plaz genommen, als die Frau vom Hause ihnen eigenhändig in kleinen Bechern Kräuterbranntwein Fredenste, der fie angenehm erwärmte. Den wahren Grund ihrer Reise noch zurückhaltend, gaben sie vor, sich auf der Rückkehr von ihren Gütern nach Mosw verirrt zu haben und zufällig in dieses Dorf gerathen zu seyn.

Ihr send uns herzlich willkommen", erwiederten die Wirthst Leute. Gott sen Dank, daß Ihr zu uns kommt; Alles, was wir haben, steht zu Euren Diensten!"

Nun begann das Bewirthen, und jedesmal, wenn die Hauss frau den Gästen Wein reichte, sang der Chor:

Du überlaufendes Becherlein,

Weshalb sollst du noch voller seyn?
Zeit ist es, dich zu leeren.
Fürsten und Bojaren

Wird Wein dargereicht.

Ruhm sey Gott im Himmel,

Ruhm!

Unserem Herrscher auf dieser Erde!

Moge unser Heirscher nie altersschwach werden,
Sein farbiges Gewand nicht abgetragen,
Sein gutes Pferd nicht matt,

Sein treuer Diener kein Verräther!

Ruhm!

mend auf den Ofen zu. Dort hatte sich der herrschaftliche Spaßs Auch ward das Salzs und Brodlied gesungen:
macher oder, wie er gewöhnlich hieß:,,Narr", wiewohl es ihm
nicht an Verstand fehlte, versteckt. Als die Mädchen die Koláda
fangen, murmelte er auch hinter dem Ofen ein unter dem Nas
men Koschurla bekanntes, für diese Feiertage bestimmtes Lied
her: Komm, liebe Koschurka, mit mir hinter dem Ofen schlas
fen; bei mir, dem Kater, findest Du ein Gläschen Wein; ein
Glaschen Wein und ein Stück Kuchen; ich, der Kater, habe auch
ein weiches Bett." Der Narr flichtete sich vor den Mädchen
aus dem Hause; diese und die jungen Männer verfolgten ihn uns
ter lautem Geldchter. In diesem nemlichen Augenblick öffnet
der dicke Plechischejeff die Thür, um Jemanden herauszurüfen
und nach dem Herrenhause zu fragen, als plößlich der ganze
Trupp auf ihn losstürzte; er ward umgeworfen, riß den Narren
mit sich und fiel mit seiner ganzen Last auf denselben. ,,Ai,
Ai!" schrie dieser,,,zieht mich hinaus!" Pleschtschejeff, der
nicht wußte, was dies Alles heißen sollte, ward zornig und schlug
auf den Narren los; unterdessen hoben die Bauern den Olois
nitsch mit Mühe empor und blickten erstaunt auf die Fremden.
Pleschtschejeff, schon ohnehin übler Laune durch das schlechte Wets
ter und den schlechten Weg, und nun gar zur Erde geworfen,
schimpfte auf die Bauern und rief: hr verdammten Kerle!
Ift in Eurem Dorfe Alles toll geworden? Welcher böse Geist
warf mich zu Boden?" Nun Herr, was hast Du?“ unters
brach ihn der Narr,,,Gott sey mit Dir, Da siehst mich für einen
bösen Geist an; niinm Dich in Acht! Wie kannst Du mich so bes
leidigen! ich dagegen sah Dich für Gottes Geschöpf an, für uns
feren Ochsen; ich glaubte, unser Verehrter hätte sich in seinem
Stall gelangweilt, unseren Gesang vernommen und wäre ges
kommen, um uns zuzuhören; als ich vor den Mädchen floh,
glaubte ich, auf ihn zu stoßen und unter ihn zu fallen, und siehe
da, anstatt eines Ochsen liegt ein vornehmer Herr auf mir."

Jeßt meldete sich wieder der verwünschte Narr und rief, sich an
den Ololuisch wendend: Als ob unser Vater, der Zaar, nur
lauter treue Diener hätte! Einige unter ihnen scheinen treu su
seyn, wenn man sie so füttert, wie diesen Bojaren hier. Vor
feinen Augen find fie anders, wie hinter seinen Augen. Unser
Vater, der Zaar, will, daß Jeder von uns satt und zufrieden
sen, aber Bojaren, wie dieser, denken nur an sich selbst." —
Willst Du wohl schweigen, Narr!“ rief der Hausherr und
blickte sorgsam umher, ob sich seine Gäste nicht beleidigt fänden;
sie waren aber schon guter Laune und lachten nur über die Re
den des Narren.

"

"

,,Den Ochsen werd' ich Dir bezahlen, Spißbabe! Und Jhr", fich zu den Bauern wendend,,,was steht Ihr Lümmel da?" rief der Okolnitsch;_,,send_Jhr_Tataren, daß Ihr mich nicht versteht? Führt uns zu Eurer Herrschaft." ,,Was willst Du mit Deis nen Tataren?" antworteten die Bauern; wir _find_Gottlob Alle Rechtgläubige; aber siehst Du, wir haben jest Swátki; die Mädchen und jungen Leute fangen und lärmten, und wie konnte es uns in den Sinn_kommen, daß Deine Gnaden vor unserer Thüre stand. Herzlich gern wollen wir Dich zum Herrenhause führen; da ist es, siehst Du, an jenem Ende des Dorfes." Die Bauern gingen voran, und der auf dem Schnee knirschende Schlitten fuhr hinten nach. Während der ganzen Zeit hatte Crochaniotoff vor Lachen bersten mögen, was Pleschtschejeff's Aerger noch vergrößerte.,,Aber sage mir, Bruder, warum lachst Du? Was findest Du lächerliches dabei, daß der Narr mich zu Boden wirft?" —,,Glaube mir", erwiederte der Schwas ger,,,wenn Du ruhig wärest, so würdest Du selbst über Dich lachen. Es war gar zu komisch, wie Du mit dem Narren Dich umberschlugft, und namentlich, wie Deine Dicke Dich hinderte, aufzustehen. Der Narr, der diese Worte gehört hatte, mischte fich sogleich ins Gespräch.,,Da hast Du wahrhaftig Recht, lies ber Herr, daß er dick ist; unser herrschaftliches Wasserfaß ist Nichts gegen ihn." Der Starost, befürchtend, der entzürnte Fremde möchte den Narren ernsthaft hauen, fiel ihm in die Rede und bat den Okolnitsch, des Narren unverständige Reden nicht au beachten; er sen der Spaßmacher des Dorfes: was ihm in den Kopf fame, lönne er nicht bei sich behalten; gut oder schlecht, er plate mit Allem heraus. Die Reifenden waren vor dem Thore des Herrenhauses. Aber auch hier erwartete den Okolnitsch eine Widerwdrigkeit; an und für sich war sie unbedeutend; ist man aber einmal übler Laune, so wird man durch die geringste Kleinigkeit außer sich gebracht, was jedoch eben nicht zu loben ist.

Nun erschienen die Verkleideten. In Städten gebrauchte man schon damals Larven; aber auf dem Lande färbte man das Gesicht mit Ruß und rothen Ziegelsteinen! Ziege und Bar waren in umgekehrte Pelzröcke gehüllt und tanzten; blinde Bettler, in Lumpen und mit Stöcken versehen, fangen geistliche Lieder, und alte Weiber bewachten im Gemüsegarten die Erbsen und fingen Diebe ein; zu diesen gehörten gewöhnlich die Freier, weil aber Sophie noch keinen hatte, so fingen die Alten den Narren und qualien ihn; Alles lachte.

Nach Beendigung dieser Scherze ward in die Mitte des Zimmers ein Tisch hingestellt und mit einem reinen Tischtuch bedeckt; die alte Nána seste auf denselben eine Schüssel mit Wasser; alle anwesende Gaste, Männer, Frauen, Mädchen, legs ten ihre Ringe und Ohrringe auf den Tisch, um durch sie ihr Schicksal zu erfahren. Dann legte die Nana kleine Stücke Brod, Salz und drei kleine Kohlen auf den Tisch. Man stimmte jeßtdas Salzs und Brodtied an, während die Nána Brod, Salz und Kohlen und die Gaste ihre Ringe ins Wasser fallen ließen. Dann verdeckte man die Schüssel und sang der Feier angemessene Lies der. Während des Gesanges rührte die Nána die in der Schüffel befindlichen Gegenstände um und nahm sie endlich, nachdem sle die Schüssel geschüttelt hatte, einzeln heraus. Ein Jeder erfuhr fein Schicksal, je nachdem das Herausnehmen seines Eigenthums mit dem jedesmaligen Gesange zusammentraf. Beim herauss nehmen eines einer Freundin Sophia's gehörenden Ringes sang` man gerade:

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*) Der Glaube ist nämlich, daß ein Mädchen nach der Himmelsgegend

Wörterbuch der ausgezeichnetsten Russen. Von Bantisch Kamensky.
Baßurman. Historischer Roman von J. Casherschnitoff
Bersuch einer Beschreibung des Dionestischen Gouvernements. Von K.
Bergstraßer.
3. Kutolnik's Schriften.

Sabeln und Erzählungen von Chemnißer. Dreizehnte Aufl.

Geschichte der Unruhen in Rusland zu Anfange des 17ten Jahrhunderts. Vom Senator D. Buturlin.

Derar. Morgenländische Erzahlung in Verfen.

Fra Diavolo oder die lezten Jahre Venedigs. Historischer Roman von Sotoff.

Wladimir und Julia oder die Liebe eines sechzehnjährigen Mädchens. Roman von K-f-r-a.

Die Kunst, fich bestechen zu lassen. Morgenländische Sage. Von W.
Serebrennikoff.

Mehrere Kinderschriften, Grammatiken und Elementarbucher.
Medizinische und chirurgische Abhandlungen.

Skizzen aus der großen Welt. Von einem Hellsehenden.

Abhandlung über Keßer und Sektirer, von den Zeiten Wladimir's des Großen an bis auf Joann den Strengen. Von Nicolai Rudneff, Studenten der geistlichen Akademie in Moskau, auf Veranlassung des Grafen Rumanzoff.

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,,Als Necker zum zweitenmale ins Minifterium trat, fand er nicht fünfmalhunderttausend Livres im Schase, und dennoch was ren in jeder Woche zur Beftreitung der dringendsten Bedürfnisse mehrere Millionen erforderlich. Alle Staatspapiere waren werths los geworden und auf Kredit gar nicht zu rechnen. Die Verles genheit stieg noch höher, als außerordentliche Bedürfnisse eins traten. Der Miswachs brachte ein allgemeines Elend hervor, und die Getraideankäufe und die Geldunterstügungen verschlangen 70 Millionen. Necker kämpfte während eines ganzen Jahres ges gen so viele hindernisse an. Hatte er einen genauen Bericht feiner finanziellen Operation während seines zweiten Ministes riums verfaßt, so würde derselbe ein lehrreiches Studium für alle Staatsmänner seyn. Man würde daraus ersehen, welche Wuns der eine angestrengte Thätigkeit und die Vereinigung fleiner Mittel bewirken kann. Wie groß aber auch seine Geschicklichkeit war, so würde sie nichts ausgerichtet haben, wäre sie nicht vom Rufe seiner Unbescholtenheit unterstüßt worden. Necker's Gegens wart machte an einem Tage die Rente um dreißig Prozent steigen. Seine große Gewalt war rein moralisch; er hat gezeigt, daß der Staatsmann, auf deffen Wort man baut, unerschöpfliche Hülfes quellen hat. Seine erste Verwaltung der Finanzen ist nicht frei von Charlatanerie, ein Vorwurf, der die zweite nicht trifft. Er war ehrenwerth, flug und fest und machte feinen Gebrauch von dem unter seinem Vorgänger erlassenen Beschlusse, welcher ihn berechtigte, einen Theil der Staatsschuld in Papieren zu bezahlen. Eben so wenig gab er dem Andringen der Leute nach, welche ihn bewegen wollten, diesen Beschluß augenblicklich und auf eine auffallende Weise zurückzunehmen."

,,Vielleicht konnte Ludwig XVI., als er von dem Defizit in Kenntniß gesezt war, anstatt die Notabeln zusammenzuberufen, die Ordnung in den Finanzen wiederherstellen und das Land auf den Weg der friedlichen Verbesserungen zurückleiten, wenn er Calonne entließ und das Ministerium Recker übergab. Die spáte Zurückberufung Necker's ist ein augenscheinlicher Beweis der Gefahren, welchen sich Regierungen aussehen, wenn sie Maßres geln hinausschieben, die unter anderen Umständen einen unsweis felhaften Erfolg gehabt haben würden, die aber, zu spát ergriffen, Feine Folgen haben. Die Talente eines Finanzmannes genügten für die damaligen Umstände nicht mehr. Als die Versammlung der General Stande im Anzuge war, bedurfte es eines Gefeßges bers und eines Staatsmannes, und das war Necker nicht. Es fam darauf an, zu erfahren, ob die drei Stände sich selbst übers laffen und ohne andere Leitung als die ihrer unbestimmten Ans fichten und einander widerstrebenden Leidenschaften einen eigenen Weg einschlagen würden, oder ob das Ministerium einfichtsvoll, charakterfest und geschickt genug ware, um von der Majoritat einen passenden Reformplan annehmen zu lassen."

Diese Aufgabe war schwierig und aberstieg Necker's Kräfte. Diejenigen, welche in ihm einen Verschwörer, einen dem Adel feindlichen Plebejer, einen starrköpfigen Genfer, der den Thron und Altar umstürzen wollte, fahen, belämpfen ein leeres Phantas flegebilde. Der Parteigeist schleudert grundlose Anschuldigungen und übersieht die wirklichen Fehler. Recker war ein moralischer Mensch, der das allgemeine Beste wollte und dem Könige und dem Vaterlande treu gefinnt war. Er diente beiden schlecht, aber feine Absichten waren vortrefflich, und es fehlte ihm nur an Kenntnissen und an Charakter, um das Geschick eines aufgeregten Volkes ju leiten. Seine politischen Kenntnisse waren sehr unbes deutend, und er lernte nur wenig zu. In feinen Musestunden hatte er eine Schrift über die Finanz Verwaltung und eine Ab handlung über die Wichtigkeit der religiösen Meinungen verfaßt.

Seine Schriften athmen die reinße Menschenliebe, aber man vermißt den Publizisten und noch mehr den Gefeßgeber. In den Schriften, die er nach seiner Abdankung hat erscheinen lassen, fagt er, als Bewunderer der Englischen Verfassung habe er ges wünscht, die Generals Stande sich nach eben dieser Seite hinneigen zu sehen. Aber man sieht durchaus nicht, daß er dabei nach einem festen Plan verfahren fen und versucht habe, demselben die Billigung der General Stande zu verschaffen. Einige in feis nem Salon hingeworfene Phrasen, einige Aeußerungen zu Gunsten derselben in seiner Familie waren nicht im Stande, Frankreich zu neuen Institutionen zu verhelfen. Necker's Ideen waren immer sehr verwirrt und unbestimmt. Er selbst bezeugt dies in seinen Memoiren:,,,,Niemals"", sagt er, wurde ich aufgefordert, näher zu prüfen, was ich mit meiner hohen Achtung für die Englische Regierung anfangen fónne; denn wenn sich auch von vorn herein in meinen Betrachtungen und in meinen Gesprächen meine Meinung abprägte, so erkannte ich auch gleich anfangs die Abneigung des Königs gegen alles Engs lische Wesen." Ludwig XVI. hatte in der That in seiner Kinds heit zu oft fagen hören, daß ein König von England in Vergleich au einem König von Frankreich nur wenig bedeuten wolle. Der größte Theil feiner Umgebung hatte eine entschiedene Antipathie gegen die Englischen Institutionen, und in den Augen des Hofes war es eine Ehrenfache, sich nie zu denselben zu bequemen. Necker hätte sich bemühen sollen, diese Abneigung zu zerstören. Unter einem Gesichtspunkte steht er sogar Calonne nach, der wes nigstens bestimmte Ansichten hatte und zum Könige sagte: Es gilt, die Monarchie zu retten oder ins Verderben zu stürzen. Bielleicht war es nicht so unmöglich, Ludwig XVI. zu überzeus gen, daß das einzige Mittel, den heranziehenden Stürmen zu ber gegnen, darin bestände, daß er vor die Generals Stände mit einem Plan hintrete, den die Majoritát angenommen hatte. Mehrere Monate hindurch folgte Ludwig XVI. getreulich Necker's Rathschlagen, und ein Mensch, durch deffen Abgang die Finanzen in eine hoffnungslose Lage geriethen, mußte eine große Gewalt auf den König ausüben. Necker entfaltete als Finanzmann ein großes Talent und eine bedeutende Geschicklichkeit, aber als Staatsmann war er eine sehr mittelmäßige Erscheinung."

Es ist bekannt, daß Necker die Rathschläge Malonets, welcher ihn zur Annahme eines bestimmten Plans bewegen wollte, damit die Grundpfeiler der Königlichen Gewalt nicht durch tumultuarische Berathungen erschüttert würden, hartnäckig zurückwies. Mirabeau, welcher die dem Staate von der Demokratie drohenden Gefahren voraussah, wollte mit Necker in Unterhandlungen treten, aber dieser ging nicht darauf ein. Als Ludwig XVI. im Beginn der Nationals Versammlung einige der verlangten Reformen bewilligte, vermehrte er augenscheinlich seine Macht und leitete einen Augenblick den Gang der Revolution. Am Ende dieser Periode wurde dagegen jedes Zugeständniß von seiner Seite als ein Akt der Schwäche bes trachtet und es beschleunigte nur seinen Untergang. Zwischen dem 5. Mai 1789 und dem 4. August desselben Jahres liegt eine uns gebeure Kluft.,,Die Inftitutionen einer tausendjährigen Mos narchie wurden in einer Nacht vernichtet und die alte Ordnung der Dinge umgestürzt. Jest war nicht mehr von Reformen, sons dern von Revolution die Rede. Diese ging von jest an gerade auf ihr Ziel los, stürzte alle Hindernisse über den Haufen und zerschmetterte unter den blutigen Radern ihres Wagens Alle, die ihren Lauf aufhalten wollten." (Bibl. Univers. de Genève.)

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Michael Franzén ward den 9. Februar 1772 zu uleaborg in Finnland geboren. Er studirte auf der Universitat Abo, erlangte die akademischen Grade und wurde daselbst Professor. Darauf nahm er zusammen, was er besaß, und machte eine Reise durch Danemark, Deutschland und Frankreich. Seine Ankunft fiel in die Zeit, wo die Schreckensherrschaft mit Robespierre zu Ende ging und die Revolution von 1793, wie eine Bacchantin aus ihrem Taumel erwachend, die Spuren des verübten Mordes von ihrer Brust zu tilgen suchte. Der Sohn des Nordens sah nur das Hanenschwert, das sie ihren Armeen gegeben hatte, und den Lorbeer, der ihre Stirn schmückte. Er begrüßte, er befang fie. Klopstock hatte sie auch besungen und Schiller wie die Dichter Englands und Dänemarks. Aber schon waren ihre Hymnen vor dem Jammer der Opfer verstunumt, als tie Begeisterung des jungen Finnlanders sich zu regen begann. Mit seiner fanften und frischen Einbildungskraft fonnte er nur die Züge von Großs herzigkeit in dem blutigen Schlußdrama eines ganzen Jahrhuns deris, einer ganzen Nation, die reichlich eingestreut waren, die Perlen des Edelmuths und der Vaterlandsliebe aus dem Schlamme und der Zerstörung fammeln. Es giebt Menschen, die bei ihrer Geburt mit jener wunderbaren Aegide versehen werden, die ihnen Alles verbirgt, worüber sie erröthen könnten, Sterbliche, die mitten unter den Anderen wandeln, in einem Schatz von guten Gedanken, wie der Seidenwurm in seinem Gespinnst verschlossen. Einer dieser Glücklichen ist Franzén. Alle, die ihn näher kennen, rühmen die Reinheit seiner Seele, die Milde seines Charakters.

Nach Finnland Jurückgekehrt, wurde er Beistlicher, bekleidete verschiedene Würden, wurde Doktor der Theologie und 1831

Bischof von Herndfand. Sein Bischofssis, ist der nördlichste Schwedens und begreift nomadijche Lapplander und unbemittelte Kirchen, die oft meilenweit aus einander liegen. Noch immer macht der Hochbejahrte, so oft er es für Pflicht halt, Inspections: Reisen, zicht über baumloje Höhen und luftige Schneefelder, um eine Schule zu gründen oder eine Kirche einzuweihen. Er ist seinem Berufe des Beistlichen treu geblieben, wie dem des Dichters; er hat gebetet, er hat gesungen. Der ist glücklich, deffen Leben in diesen beiden Gedanken aufgeht, dessen Herz Kraft genug hat, dieses doppelte Priesterthum des Himmels und der Erde zu verwalten, der in seinen Händen die tröstende Lyra und das segnende Kreuz trägt.

Einfach wie das Leben Franzén's ist die Geschichte seiner Werke. Er ist kein Genie, wenn man diesem Adlerflügel leiht; zärtlicher, träumender, idyllischer Natur ist seine Seele, die eine Welt von Gedanken in sich trägt und sie wie Blüthen auf den Weg streut. Seine Dichtungen gleichen den von leuchtendem Abendroth erhellten Landschaften, gesegneten Thälern, wo man mit dem Gefühl der Behaglichkeit ausruht, das Lied des bergan steigenden Schäfers oder die tónende Vesperglocke in dem nahen Gehölze hört. Einige einfachere Balladen Millevone's ausges nommen, haben die Franzosen keinen ahnlichen Dichter; die Deutschen zählen in ihrem Matthisson und Hölin verwandte Geister; unter den Engländern wurde Burns die meiste Aehnlich feit zeigen, aber Burns ist tiefer und mannigfaltiger, und unter Den Italianern möchte nur die Idylle Metastasio's einen Ver: gleich aushalten.

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In der Zeit, in welcher Franzén als Schriftsteller auf trat, herrschte eine unnatürliche Modepoesie in Schweden. Nur Schwulst und Bombast verschafften einem Gedichte Eingang. Man spielte mit einem bestimmten Vorrath von Effekt: Phrasen und Prachtreimen, die den schönen Geistern zu Gebote standen und immer neue Bewunderung arndteten. Selbst die Natur, wenn sie die vorgeschriebene Tournure anzunehmen sich bequemte, war in diesen Zirkeln nicht unwillkommen. Man empfing fie auf nachgemachten Rasenpläßen oder in Geisblatts Lauben; trug fie Aclass Schleifen, Modes Besäße, Schminkpflästerchen im Gesicht, Puder in der Frisur, fo galt sie als eine Person von guter Ers siehung und war falonsfähig. Franzén war der Erste, der sich dieser künstlichen Atmosphäre entzog, um die Natur da zu suchen, wo sie wahrhaft sich findet, der eine rührende Bitte, eine wahre Empfindung auszudrücken verstand. Mit seiner zarten und ges fühlvollen, aber wenig kühnen Dichterseele war er jedoch nicht geschaffen, eine Geschmackss Umwälzung zu unternehmen, noch fich in die entlegenen Gebiete zu wagen, die der Deutsche Ros mantizismus eben zu entdecken begann. Er blieb an der Schwelle dieser wunderbaren Welt, in der Göthe und Byron sich begegnen follten, stehen und pflückte mit emfiger hand die ihm nahe lies genden Blumen. Die Sammlung seiner tyrischen Gedichte gehört zu den Büchern, die man gern bei sich trägt und oft zu Lesen nicht müde wird. Jede einzelne Strophe ist der Abdruck eines feelenvollen Gemüthes, das zur eigenen Erheiterung dichtet; jede Seite schildert eine gewinnende Träumerei, eine treffende Empfindung, eine tröstliche Hoffnung. Er regt nicht auf, er bes fchwichtigt; er gleicht dem klaren See, deffen durchsichtiges Wasser und jauchsendes Murmeln uns zum Stehen bewegt; das Wasser des Sees ist nicht tief, aber eine Fläche des Himmels spiegelt fich unter einer beschattenden Weidengruppe darin. Manches Ges dicht ist wie ein Seufzer der nach Luft ringenden Seele, eine fromme Bitte, ein vorüberfliehender Traum, den eine geschickte hand hascht. Dann wird es zur Elegie eines jungen Mädchens, das sein blondes Lockenköpfchen ergeben unter die Hand des Todes beugt und wie eine Blume hinweikt; oder zum Wiegenliede einer flagenden Mutter, zum Seufzer eines unglücklichen Liebhabers. Von dieser Art ist folgendes einfache Liedchen, das in Schweden viel gesungen wird.

Der einzige Kuß (Den enda fyßen).

Du siehst; verstehst Du meine Zähren,

Mein Herz, wie's nahe Meer so wild?
Dann wolle nicht dem Mitleid wehren,

Dem Händedruck, der oft mein Weh gestillt.
Verschwunden sind die goldnen Sonnen,
Da Deine Thür mir offen stand;

Ich jauchst' und glüht von Himmels Wonnen,
Wenn vlößlich rauschte Dein Gewand.
Einathmend Deiner Blumen Düfte,

Träumt ich im Saale, warst Du fern,
Befragte jeden Hauch der Lüfte,

Bis Du erschienst, mein Friedensstern.

So war es sonst. Der Liederkehte

Melod'schen Schmels entbehr' ich nun,
Der Locken Fült, auf der die Seele,

Auf der mein Auge pflegt zu ruhn.
Leb wohl, ein Bruderkuß dem Armen,
Es sey das erst und legte Mal;
Den eing'gen Kuß den thränenwarmen,
Gönn' diesen Balsam meiner Qual.
Die Deinen nahn; daß man nicht grolle,
Mit diesem Kuß hab ich entfagt;
Bu hoffen felbft hab ich das volle,
Das Glück der Liebe nie gewagt.

Leb wohl dent an den fernen Lieben

Doch nein, dent seiner fürder nicht;
Ich werd allein mich nur betrüben,

Dein Herz hab' Ruh, wenn seines bricht. *) Franzén ist ein wesentlich lyrischer Dichter; so oft er es mit einer anderen Gattung versucht hat, ist er gescheitert. So hat er einen Vorfall aus der Zeit Gustav's III. aufgegriffen und daraus eine Komödie in fünf Alten gemacht, die niemals hat aufgeführt wer den können. Er hat ein Drama geschrieben, dem es an Kraft und Handlung gebricht. Er hat die Vermählung Gustav Wasa's in einem Epos von 24 Gefängen besungen, es ist eben so lang als einförmig. Endlich hat er die Französische Revolution zum Gegenstande eines Heldengedichtes gemacht; es ist ein Ges misch von frostigen Handlungen und didaktischen Sentenzen ges worden. Einst wurde ein neues Gedicht: Ein Abend in Lappland", von ihm angekündigt. Der Titet war anlockend genug, und das Publikum mochte eine naturgetreue Schilderung jener Gegenden darin erwarten, in denen Franzén so lange vers weilt, so wie der nomadischen Bevölkerung, mit der er umges gangen, eine anziehende Beschreibung jener Hütten von Rennthiers fellen, die in Wüsten, auf baumlosen Hügeln, graslosen Ebenen sporadisch aufgeschlagen find. Von dem Allen enthält das Ges dicht nichts. Es ist ein philosophisches Gespräch zwischen einem Geistlichen, der sich im Lande niederlassen will, und einer Lapps länderin, welche diese menschenleeren Ebenen und nackten Ges birge den Festlichkeiten und lärmenden Aufzügen der Residens vorsicht. Franzén selbst scheint übrigens das Bewußtseyn zu has ben, daß, so oft er das Reich der Lyrik, in welchem er König ist, verließe, er seinen Ruhm einer Gefahr ausseße. Ein umfassendes Epos: Christoph Columbus", das er angefangen, ist daher uns vollendet geblieben.

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Mannigfaltiges.

- Italianisches Urtheil über Erdfunde in Deutsch land. Herr Adriano Balbi spricht sich in der Gazzetta di Milano vom 27. März d. J. mit großem Lob über den von Pro feffor Berghaus herausgegebenen physikalischen Atlas aus. Bei dieser Gelegenheit sagt er: In Berlin arbeitend **), kann Herr Berghaus die vielen wissenschaftlichen Schäße benußen, die in den großartigen Etablissements jener blühenden Hauptstadt anges häuft sind, welche in unseren Tagen als der Centralpunkt der ausgezeichnetsten Gelehrten Deutschlands angesehen werden darf. Hierzu kommt, daß Berlin der gewöhnliche Aufenthaltsort des ersten jest lebenden Geographen, Professors Ritter, so wie des großen Naturforschers und universellsten Gelehrten, den es jer mats gegeben, Alexander's von Humboldt, ist, so das Herr Bergs haus über seine Zweifel in dem einen oder anderen Gebiete sich fofort Auskunft und Belehrung zu erholen vermag. Es kann das her auch in Italien nur Freude erregen, daß sich ein für die Erds funde so wichtiges Werk in solchen Händen befindet.“

der lange in Sydney auf Neu Süd Wales gelebt, Herr Dr. Lhotsky, hat dort zuerst eine kleine Schrift über eine alte Stadt herausgegeben, die auf einer Insel im Stillen Meer ents deckt worden. Da jedoch von dieser Schrift nach Europa feine Kunde gelangt ist, so hat Herr Lhotsky sich veranlaßt gesehen, über jene Entdeckung eine neue Mittheilung in der Sigung der Londoner Asiatischen Gesellschaft vom 2. März zu machen. Die Insel selbst, auf der die alte Stadt fich findet, gehört zu der Gruppe der Karolinen, heißt Ascensis und ist erst kürzlich unterm Ilten Grad nördlicher Breite von dem Englichen Kriegsschiffe ,,Raven" entdeckt worden. Ein Engländer aus Sydney, der sich dort mehrere Monate aufhielt, erzählte dem Dr. Lhotsky, daß an einem Orte der Insel, welcher Lamen genannt werde, die Ruinen einer ausgedehnten Stadt sich befanden, die jedoch jest nur durch Boote zu erreichen, da das Wasser bis an die Treppen der Hauser gedrungen fen. Die Steine sind künstlich in einander gefügt, jedoch ohne allen Kitt, und manche derselben sind 20 Fuß lang. Der Beschreibung nach, scheinen dieselben von der befanns ten cyklopischen Struktur zu seyn. Die auf dieser Insel lebenden Menschen unterscheiden sich zu ihrem Vortheile von allen anderen Südsee Insulanern und besißen sogar schon einen gewissen Grad gesellschaftlicher Einrichtungen; namentlich sind die Frauen den Männern mehr gleichgestellt und weniger roh als irgendwo unter den Menschen auf dem Stillen Meere. Die Gründung jener alten Stadt schreiben fie Leuten zu, die nicht mehr unter ihnen leben; ob diese jedoch von ihrer eigenen oder von einer fremden Race waren, fonnte man nicht erfahren. Dr. Lhotsky hat seit feiner Ankunft in England durch ein Schreiben aus Sydnen ers fahren, daß die Insel Ascensis neuerdings von dem Capitain eines Wallfischiagers besucht worden. Dieser hat zahlreiche Kare ten und Skizzen aufgenommen, um fie nach England zu bringen, Auch versichert er, daß die meisten Inseln in dieser Gegend des Stillen Meeres mit Ruinen bedeckt seyen.

- Eine alte Stadt im Stillen Meere. Ein Deutscher,

*) Da bei dieser Deutschen Uebertragung das Schwedische Original nicht vorgelegen, so werden die Kenner des testeren Nachsicht mit der ersteren haten. Herr Professor Berghaus wohnt eigentlich jest in Votsdam, wo er die geographische Kunstschule leitet; durch die Eisenbahn find jedoch Berlin und Potsdam so verbunden, daß man fie füglich wie eine einzige Stadt betrach ten kann.

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vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 42.

für die

Erpedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohlöbl. Post - Aemtern,

Literatur des Auslandes.

Berlin, Montag den 8. April

Frankreich.

Die Salpetrière.

Das Hospital der Salpetrière in Paris ist geräumig, gut ges baut und liegt an einem schönen, luftigen Plaße. Rings herum herrscht die größte Stille; dicht an die Salpetrière grant der Pflanzengarten, und die Seine fließt nahe genug, um sie für die Bedürfnisse der Anstalt zu benußen, und wiederum auch so ents fernt, daß der schädliche Einfluß ihrer Ausdünstung sich nicht bis dahin erstrecken kann. Obgleich der Boulevard, auf dem das Hospital fich befindet, einen Namen von schlimmer Vorbedeutung führt, Boulevard des Hospitals, so scheinen doch die Leute, denen man dort begegnet, meistentheils Bewohner der Vorstadt St. Antoine und der Vorstadt du Marais, im Allgemeinen kräftig und gesund zu seyn, was wohl der reinen Luft zuzuschreiben ist, welche man in diesen dem Mittelpunkte von Paris so fern liegen den Stadtvierteln einathmet. Der Eingang zum Hospital der Salpetrière hat übrigens etwas Feierliches, Erhabenes, was sehr gut zu der Bestimmung eines der Barmherzigkeit geweihten Ges baudes past, auf dessen Giebel man die Inschrift:,,Zuflucht des Alters", liest.

Der Name Salpetrière kommt daher, weil man ehemals in diesem Viertel viel Salpeter anfertigte. Im Jahre 1656 wurde dies Gebäude auf Befehl des Parlaments Präsidenten von Paris gegründet, der vom Könige die Erlaubniß erhalten hatte, ein öffentliches Hospital zu errichten, worin alle Bettler, mit denen Paris in Folge der durch die Fronde und Ligue verursachten Uns ordnungen überschwemmt wurde, aufgenommen werden sollten. Seit jener Zeit wechselte die Salpetrière mehrmals ihre Bestim: mung; sie war nach einander ein Arbeitshaus für Bettler, ein Zufluchtsort für kleine Kinder und ein Zuchthaus für öffentliche Dirnen. Jest ist sie ein Hospital für alte Frauen.

Das Hospital der Salpetrière ist das weitläuftigste in Europa; mit Recht hat man von demselben gesagt, daß manche Stadt teinen so großen Raum einnehme und nicht so viel Einwohner záhle. Die Höfe, die Sale, die Garten, Alles ist gerdumig, bes quem und sehr gut vertheilt. Die Mittelzahl der jährlich in der Salpetrière aufgenommenen Frauen belduft sich ungefähr auf sechstaufend. Leidende aller Art finden hier eine Zuflucht: Fiebers Prante, Gichtbrüchige, Epileptische, Blinde und so fort. Aber mitten in dieser nur von den Kranken und ihren Wärtern_bes wohnten Stadt ist ein Viertel, welches ganz besonders die Auf merksamkeit in Anspruch nimmt; es ist die sogenannte fünfte Abtheilung des Gebäudes, in welcher sich die Wahnsinnigen bes finden. Früher war der Zutritt in diese Abtheilung des Hospitals Jedem gestattet, doch wurde durch die häufigen Besuche und durch die Gegenwart fremder Personen die Aufregung der Irren nur gesteigert und die Ordnung und Disziplin gestört, deren Aufrechthaltung gerade bei solchen Kranken von außerster Wich tigkeit ist. Oft machten sich sogar unvorsichtige Personen kein Gewissen daraus, die Wahnsinnigen zu erzärnen, sie einzuschüch tern und sich auf ihre Kosten zu belustigen; aller dieser Ursachen wegen trugen die bei dieser Abtheilung besonders angestellten Aerzte auf Untersagung jedes Besuches an, und man erhält jeßt nur mit großer Mühe die Erlaubniß dazu.

Wer die Salpetrière zum erstenmal betritt, kann sich einer Anwandlung von Trübsinn nicht erwehren, wenn er diese weiten stillen Höfe durchschreitet und nur hin und wieder einigen armen alten, franken und gebrechlichen Frauen begegnet, die sich an Krücken fortschleppen und von Zeit zu Zeit auf den hier und dort angebrachten steinernen Banken ausruhen. Die Blinde athmet hier ein wenig frische Luft ein und sagt der angenehmen Wärme des Tages Lebewohl; die Sichtbrüchige versucht zu gehen, viels leicht sind dies die legten Schritte ihres Lebens. Traurige und dahinwelkende Ueberreste des menschlichen Dasenns, die langfam ihrem Grabe zuschleichen, und denen man selbst von Herzen ein schnelles Ende ihrer Leiden wünschen mus! Doch giebt es einen noch betrübenderen Anblick, der unser Mitleid und unser In tereffe noch mehr erregt; das find die Kampfe und Lodeszuckan. gen der Vernunft, die von jenem Uebel befallen wird, welches die Menschheit ihrer schönsten Rechte beraubt und sie dem Thiere gleichstellt.

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1839.

Der Tag beginnt in der Salpetrière, wie in allen öffents lichen Anstalten, schon sehr frühzeitig. Bei dem ersten Morgens strahl sieht man bereits die Hausbeamten in den Höfen umhers wandern. Doch kommen die Aerzte felten vor acht bis neun Uhr an; drei derselben sind bei der Jrren- Abtheilung insbesondere angestellt. Früher hatte jeder von ihnen unter seiner Behandlung eine bestimmte Anzahl von Kranken, welche in drei Klaffen eins getheilt waren: in solche, die noch unter ärztlicher Behandlung standen, in Unheilbare und in Blödsinnige. Jest aber hat jeder Arzt Kranke aus allen drei Kategorieen unter seiner Obhut, was jeine Bejuche für ihn weniger einförmig macht. Oft werden die Aerzte bei ihrer Rückkehr aus dem Hospital auf dem Hofe von den Verwandten irgend einer der Wahnsinnigen mit thränenden Augen über das Befinden einer Mutter, einer Tochter oder Schwester befragt; eine traurige, fromme Pflicht, welche zeigt, das die Gefühle des Herzens durch nichts entmuthigt und ges schwächt werden, selbst wenn auf keine Erwiederung derselben mehr zu hoffen ist. Wenn so ein Arzt gefragt wird:,,Wie geht es ihr? Ist sie ruhiger? Können wir hoffen, sie bald herauszus nehmen?" so antwortet er gewöhnlich:,,Es geht beffer", was oft aber vielmehr sagen will: Es geht schlechter, oder es geht weder gut, noch schlecht", — denn der Zustand der Jrren bleibt sich fast immer gleich: die Heilungen sind in den meisten Fällen mehr zufällig, als vorhergesehen, da bei den Gemüths Franken Alles dunkel und ungewiß ist; oft sind gar keine bemerks bare Ursachen, keine organische Verlegungen vorhanden, das Ges hirn, der Kopf und die übrigen Organe befinden sich oft in voll tommen regelmäßigem Zustande. Es scheint, als wolle die Vers nunft, deren erhabene Thätigkeit für uns ein Geheimniß ist, sich auch in ihren Zuckungen und Störungen dem menschlichen Fors schen entziehen. Wenn die Angehörigen eine Wahnsinnige, die fich längere Zeit ohne Spur von Besserung in der Kur befunden, wieder zu sich nehmen wollen, so widerfest man sich diesem Wunsche sehr selten, weil oft ein Ortswechsel, eine andere Atmos sphäre, eine andere Reihefolge von Gegenständen, Eindrücken und Ideen schon hinreichend ist, um eine heilfame Veränderung in dem Zustand der Jrren hervorzubringen. Oft sind nach einem bloßen Wechsel des Schlafgemachs plöslich die Zeichen der Hei lung eingetreten. Eine Wahnsinnige wird manchmal schon am Tage nach ihrem Eintritt in das Hospital völlig geheilt, weil das Betragen, die Sprache, ja der bloße Anblick der sie umges benden Irren einen gewaltigen Eindruck auf sie macht und sie gleichsam durch das warnende Beispiel wieder zu sich_selbst bringt. Zuweilen aber, wenn eine Wahnsinnige aus der Salpes trière herausgenommen wird, übt gerade diese Rückkehr zu ihrer Familie eine entgegengeseßte Wirkung aus; denn Rückfälle sind bei solchen Kranken immer zu fürchten, und nichts ist gewöhns licher, als daß eine Jrre wieder in das Hospital zurückgebracht werden muß, nachdem sie einen oder zwei Monate außerhalb desselben den vollständigen Gebrauch ihrer Vernunft gehabt hat.

Wie machtig wir uns aber auch von Traurigkeit und Ents feßen ergriffen fühlen mögen bei dem Gedanken, daß wir in die Höfe, Zellen und Schlaffale von Wesen eintreten sollen, welche ihres Verstandes beraubt sind, so ist es doch rathsamer, sich vorher keine zu übertriebene Vorstellungen von diesem Ans blick zu machen, weil man sonst die Wirklichkeit tief unter der Erwartung finden wird. Man glaubt kaum, unter Wesen zu jenn, welche eingesperrt worden, weil sie wahnsinnig sind, da sie fich doch so ruhig und so vernünftig geberden; man meint, nur gewöhnliche Kranke zu sehen. Jede Irre fist in dem Raum zwischen ihrem Bett und dem ihrer Nachbarin; die eine strickt, die andere näht, eine dritte hilft den Mägden bei ihren Arbeiten. Man wird ihre Krankheit erst gewahr, wenn man langer bei ihnen verweilt, tiefer eindringt und jenen Scenen von Aufregung und Wuth beiwohnt, die zu den feltenen Fällen gehören und oft nur ganz zufällige Krisen des Wahnsinns find.

Die Schlaffale bestehen aus langen, sehr hellen Galerieen, die alle mit einander zusammenhängen, so daß man oft ein bis zwei Stunden gehen kann, ohne sonst irgend Jemand als Wahns finnigen zu begegnen, welche den Fremden grüßen, Verbeugungen machen, lächeln und einige Worte an ibn richten, Worte, die mit den Ideen, von denen sie besessen sind, in Verbindung stehen, denn nur selten fällt ihnen etwas auf den Augenblick Bezügliches ein; sie sprechen nur aus ihrer Erinnerung oder Dinge, die sie für ihre

Erinnerungen halten. Im Allgemeinen sind sie sanft, und ihre Eleinen Listen verrathen, mit wenigen Ausnahmen, keine sehr arge Bösartigkeit. Nach einiger Uebung ist es sehr leicht, sie zu durch; schauen; eine große Einförmigkeit in ihrer Handlungsweise, in ihren Gedanken, Geberden und Stellungen, wenig oder gar kein Thdigkeitstrieb und eine fast unbesiegbare Apathie, das sind ihre gewöhnlichen, charakteristischen Kennzeichen. Diejenigen, welche arbeiten, folgen dabei weniger einem inneren Antriebe, als einer ihnen eingeimpften Gewohnheit. Sie find Automate, deren Rás derwerk man aufzieht und die dann ihre Aufgabe vollziehen. Uebrigens nehmen die von ihnen verrichteten Arbeiten feinen großen Aufwand von Klugheit und Aufmerksamkeit in Anspruch; man will dadurch bei ihnen nur den schlimmen Folgen des Müßigganges vorbeugen. Viele unter ihnen weigern sich hart näckig zu arbeiten, sie bleiben entweder auf ihren Betten oder um die Defen herum fißen, hängen den Kopf und geben fast kein Lebenszeichen von sich; auf alle an sie gerichtete Fragen antwor ten sie mit Ja oder Nein, und nur selten lassen sie sich durch das Geräusch der Schritte, durch die Bewegungen und Gespräche der Hin und hergehenden aus ihrer Ruhe und Unbeweglichkeit auf schrecken.

Die Wahnsinnigen in der Salpetrière gehören meistentheils der niedrigen Volksklasse an. Der Preis einer Pension beträgt jährlich 400 Franken; die, welche außerdem noch Geld besißen, erhalten für das Uebrige Taback, Leckereien oder andere ihnen angenehme Dinge, denn größtentheils gleichen die Jrren in ihren Launen und Wünschen den Kindern. Das ihnen zugehörige Geld geht durch die Hände der Wärterinnen, welche ihnen nur ge ringe Summen zustellen und so dem schlechten Gebrauch vorbeu: gen, den sie davon machen könnten.

Die größte Zahl der Wahnsinnigen sind bejahrte oder wc: nigstens in Jahren vorgerückte Personen, man finder sehr wenig junge darunter, und fast nie ist eine derselben hübsch zu nennen, weil das gewöhnliche Einfallen der Züge und die Muskel Ber zerrungen, die fast immer mit dem Wahnsinn verbunden sind, der Gesichtsbildung alles Angenehme rauben. Ueberhaupt sind die Frauen in Frankreich mehr hübsch und angenehm, als wirklich schon; selten trifft man hier auf den ausgesprochenen, bestimms ten Schönheits-Typus, wodurch sich die Frauen in Italien, Spas nien und selbst in England auszeichnen. Die Franzöfinnen find vielleicht nur deshalb anmuthiger, als die Frauen anderer Völs ker, weil sie es seyn wollen, weil sie sich auf die Kunst, anziehend zu seyn, so gut verstehen; ihr Reiz entspringt mehr aus dem Willen, zu gefallen, und aus der Aufmerksamkeit, die sie bestans dig auf sich selbst haben, als aus der natürlichen Korrektheit und Makellosigkeit der Schönheitslinien ihres Gesichtes. Nun kann man sich leicht denken, daß die Wahnsinnigen, welche keinen Bes griff mehr von Reis und Anmuth in fich tragen, diese Eigens fchaften auch dußerlich nicht wiederspiegeln können. Die Mehrs zahl derselben hat düstere oder wilde Züge, einen starren oder wüthenden Blick und keinen bestimmten Ausdruck. Die Gefalls sucht, die doch im Herzen der Frauen so fest eingewurzelt ist, scheint sich bei den Frren in das Gegentheil verkehrt zu haben. Statt eines Blumenstraußes stecken sie sich einen Strohwisch vor, statt eines Kranzes flechten sie Grashalme in ihr Haar, sie wissen nicht mehr, was sie kleidet, und gewöhnlich wählen sie lächerliche oder gemeine Gegenstände zu ihrem Schmuck. Die meisten sind beinahe ganz gleichgültig in Betreff ihres Anzuges; fie sind darin den Blinden ähnlich, die ebenfalls in gänzlicher Nichtbeachtung und Vernachlässigung ihres Aeußeren leben; aber diese Gleichgültigkeit entspringt aus einer anderen Quelle; ihnen find die Augen des Körpers, jenen die Augen des Geißtes ges schlossen.

Wenn man so durch die Schlaffäle wandert, kann man an dem veränderten Gesichtsausdruck der Wahnsinnigen die verschies denen Arten ihrer Geisteszerrüttung studiren. Hier heftet eine Wüthende ihre blutigrethen Augen auf uns, die sie mit erschreks Lender Lebhaftigkeit in ihren Höhlen umherrollt; dert stimmt uns der Anblick einer Tiefsinnigen, die man an ihrer Niedergeschlas genheit, ihrer fast unbeweglichen Haltung, ihrem stieren Blick, ihrer schlaff herabhängenden Lippe erkennt, zur Traurigkeit; hier murmelt eine Blödsinnige bestandig vor sich hin und vers schlinge mit echt thierischer Gierigkeit die ihr vorgefeßten Speis fen. Außer diesen von der Art des Wahnsinns hergenommenen Classificationen unterscheidet sich eine Irre von der anderen auch noch durch gewisse Charakterzüge. Die Stolze zum Beispiel_wies derholt sich unendlich oft in allen Jrrenanstalten; denn der Stolz ist einer der Hauptzüge des Wahnsinns und oft selbst eine der Ursachen, die zu seiner Unheilbarkeit beitragen. Die Stolze ers kennt man an der Selbstgefälligkeit, die über ihr ganzes Wesen verbreitet ist, und an der Ziererci, mit welcher sie sich aufbläht und in die Bruft wirft, wenn man an ihr vorübergeht. Die Aerzte empfehlen allen Besuchern, so wie den Aufwärtern, solche Kranke stets nur mit Gleichgültigkeit, ja, selbst mit Verachtung zu betrachten.

Andere seigen fich abwechselnd můrrisch oder_redselig; sie mustern die Fremden entweder mit Mißtrauen und Zorn, oder fie nehmen diefelben bei der Hand, umarmen, liebkosen fie, empfangen fie mit Freudengeschrei und einem unerklärlichen Entzücken. Sie besigen aber einen Sinn, eine Vorliebe, die ihnen immer bleibt, die Liebe zum Gelde; beim Anblick irgend einer Münze erzintern fie gewöhnlich vor Wohlbehagen. Das Wort Geld wiederholt fich unendlich oft in allen ihren Klagen und Reden, und sie bes

darauf zurück zu kommen. Eine Wahnsinnige fragte unter An derem die Personen, welche sie sah, ob sie nicht den Doktor Richecand fennten? Fragte man sie nach der Ursache dieser Er fundigung, welche sie unaufhörlich und bei jedem Anlaß wieders holte, so antwortete sie:,,Er ist mein Landsmann, und ich habe schon sehr oft an ihn geschrieben, er folle mir doch Geld schicken, weil ich gar keines besige und es mir selbst am Nothwens digsten fehlt."

Man hat leider die schmerzliche Bemerkung gemacht, daß die Wahnsinnigen eigentlich keiner Empfindung; feiner Zuneigung mehr fähig sind. Zuweilen springen fie beim Erblicken eines Vers wandten, eines Bruders, eines Mannes hoch auf vor Freude, als fühlten sie sich darüber ganz glücklich, aber ein anderes Mal bleiben sie dabei in sich versunken, schweigen hartnäckig still und bezeugen weder Freude noch Verdruß über ihren Besuch. Das beste Mit tel, ihre Zuneigung zu gewinnen, ist, wenn man ihnen zuweilen fleine Geschenke macht. Einer der Oberbeamten zum Beispiel hatte die Gewohnheit, täglich einer Jrren einen oder zwei Sous zu geben, und dafür hing sie mit so lebhafter Dankbarkeit an ihm, daß sie jedes Mal, wenn derselbe durch die Höfe ging, wo fie mit Kehren beschäftigt war, ihm mit ihrem Besen Plaz machte, vor ihm her schritt und die anderen Irren zu Ehrenbes zeugungen gegen ihn veranlaßte.

Oft wird man auch durch die Gefühle, welche diese Unglücks lichen ausdrücken, und die nur eigentlich das Resultat ihres Wahnwiges find, irre geführt. So sprach unter anderen eine Wahnsinnige beständig von ihren Kindern, beklagte sich, daß man diefelben vor Hunger sterben lasse, und verlangte von Jedem Brod, Milch und Früchte, um sie ernähren zu können. Ihre Klagen waren um so unbegreiflicher, weil man von ihrem Manne wußte, daß sie nie Kinder gehabt hatte. Wollte man ihr Bet machen, so widerseßte sie sich lebhaft, drohte mit den Fduften und rang voll Verzweiflung die Hände. Nach einem Monate endlich entfernte man sie mit Gewalt von ihrer Matraze und kam das durch endlich hinter diese vorgeblichen Kinder, für die sie so viel Angst und Zärtlichkeit bewies; man fand nämlich in ihrem Stroh: sack acht bis zehn Puppen, die sie sich aus allerhand Leinenzeug verfertigt hatte und für deren Ernährung sie so ängstlich Sorge trug. Üm ihre Aufregung nur etwas zu dämpfen, ließ man der Wahnsinnigen ihre geliebten Puppen, die sie mit wahrhaft mûts terlicher Sorgfalt und Anhänglichkeit pflegte.

Die Fälle aber, wo der Wahnsinn an einem Gegenstande haftet, sind seltener, als man gewöhnlich glaubt; man hat die Srren sehr gut bezeichnet, indem man von ihnen sagte, fie bes sdßen alle ihre Fähigkeiten bis auf eine; oft könnte es aber auch von ihnen heißen, daß sie mit allen Fähigkeiten begabt seyen, doch eine zu viel besäßen, was hinreicht, um die anderen alle zu trüben und zu stören. Die Perfonen, denen man in den Schlafs falen der Salpetrière begegnet, sehen häufig sehr gesund aus, denn der Wahnsinn, der auf den Geist so zerstörend einwirkt, verschont fast immer den Körper, der dabei oft an Fülle zunimmt, was doch ein Zeichen vortrefflicher Gesundheit ist. Traurige Ent schädigung, die das Schicksal den Wahnsinnigen als Erfaß für die geraubten geistigen Vorzüge zu bieten scheint!

Die Unheilbaren und die in der Kur befindlichen Wahnfinnigen bilden die beiden größten Abtheilungen der Salpetrière. Sie bewohnen entweder die Schlaffdle oder abgesonderte Zellen, je nachdem sie ruhig oder heftig sind. Uebrigens trifft man bei den Unheilbaren feinesweges auf wüthendere oder nur aufgeregs tere Wahnsinnige, als in den anderen Abtheilungen. Die Uns heilbarkeit einer Wahnsinnigen zeigt sich durch Symptome, die mit ihrem dußeren Betragen oft in gar keiner Verbindung stehen. Hinfälligkeit, Gicht und Blödsinn machen den Wahnsinn fast immer unheilbar; doch trägt die Gicht, welche mit dem Wahns finn verbunden ist, einen ganz eigenen Charakter. Sie bekundet fich gewöhnlich durch eine zu Anfang fast unmerkliche Lähmung der Sprache, durch eine gewiffe Schwere der Zunge, die oft schwer zu erkennen ist. Sie verbreitet sich dann immer weiter und erstreckt sich nach und nach über den ganzen Körper. Beobs achtet man die gichtbrüchigen Wahnsinnigen genau, so kann man oft keines der Zeichen oder Symptome bei ihnen entdecken, woran man die gewöhnliche Gicht erkennt.

Es ist in der That_ein sehr trauriger Anblick, wenn man die doppelte Reihe dieser Kranken der Salpetrière übersieht, welche fowohl der Denk wie der Bewegungsfähigkeit beraubt sind; fie gleichen den Mumien, die nur noch die menschliche Form bes wahrt haben und stumme Zeugen einer Welt sind, der sie nicht mehr angehören. Geht man durch diese mit unbeweglichen Gästen bevölkerten Saic, so glaubt man irgend eine Versteines rungsscene zu überschauen. Weiche traurige Betrachtungen flößen diese noch lebenden und athmenden Statuen ein, diese in starre Körper eingeschlossenen erloschenen Seelen, welche ein so treffens des Bild des Todes und der Vernichtung darbieten!

Aus den Schlafjälen begiebt man sich in die Höfe, wo sich die Zellen für die rasenden Frren befinden, und hier übersieht man endlich jene Art von Wohnsinn, welche die Einbildungskraft sich gewöhnlich bei diesem Worte vorspiegelt. Die Rafenden, welche sich in der freien Luft befinden, sind gewöhnlich lärmens der, als die eingeschlossenen; sie laufen, fingen und steken ein wildes Geschrei aus; doch wie die freie Luft ihre Aufgeregtheit zu vergrößern scheint, so verleiht sie auch ihren Fähigkeiten mehr Lebensfrische, und selten sieht man in den Höfen jene starren, niedergeichlagenen Wesen, wie man sie in den Schlafsälen ans

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