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vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 40.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße
Nr. 72); in der Provinz so
wie im Auslande bei den
Wohllöbl. Post- Aemtern,

Literatur des Auslandes.

Berlin, Mittwoch den 3. April

1839.

Frankreich.

Konnte die Französische Revolution aufgehalten oder geleitet werden?

In einem kürzlich erschienenen Werke: Histoire du règne de Louis XVI., pendant les années où l'on pouvoit prévenir ou diriger la révolution française, par J. Droz", wird, wie es schon der Titel zeigt, diese Frage bejahend beantwortet. Der Verfasser sucht in demselben durch eine Darstellung der Begebenheiten und der Männer, welche das Geschick Frankreichs vom Jahre 1774 bis zum 4. August 1789 leiteten, die Ansicht festzustellen, daß, wenn zur Zeit der Thronbesteigung Ludwig's XVI. die Revolution schon eine unvermeidliche Nothwendigkeit war, doch die Regies rung noch eine hinreichende materielle und moralische Gewalt gehabt habe, um selbst in der Verwaltung, Gefeßgebung, in den Finanzen, der Armee und in der Vertheilung der Abgaben die nothwendig gewordenen Verbesserungen einzuführen und Franks reich den Grad der Freiheit zu Theil werden zu lassen, den die Bedürfnisse der Zeit und die Bildungsstufe der Nation gebietes risch forderten. Dadurch, meint er, würden derselben die Grduel der Schreckenszeit und der Despotismus des Kaiserreichs erspart worden seyn.

ewige Vernunft inwohne, oder, wenn man es lieber hört, daß fie die Offenbarung des göttlichen Willens in der Zeit sey, und daß eine Vorsehung die anscheinend wirr durch einander laufens den Fåden ordne und eine. Um diese Ueberzeugung zu gewinnen, muß man aber die dußerliche Zufälligkeit und den unwesentlichen Schein von der inneren Nothwendigkeit zu unterscheiden wissen, muß man wissen, daß der Geschichte in jedem Falle mehr als ein Weg offen steht, um zu ihrem Ziele zu gelangen.

Auch in Bezug auf die Französische Revolution ist die Ans ficht aufgestellt worden, daß sie hätte gehindert oder anders ges leitet werden können. Die Verfechter des ancien régime vers fannten alle die derselben zu Grunde liegende Nothwendigkeit und meinten, wenn man es nur klug anfinge und zur rechten Zeit nachgabe oder entschieden auftråte, so würde sich der Sturm schon beschwören lassen. Als wenn man die Wellen des stürmischen Meeres durch einige Deltropfen glätten könnte, bevor der Sturm ausgetobt hat! Bertrand de Molléville, obwohl nicht zu dieser Partei gehörig, bildete sich ein und hat diese Meinung auf eine wahrhaft ldcherliche Weise in seinen Memoiren ausgesprochen, daß, wenn man ihn nur hätte machen lassen, wenigstens die Grauel der Revolution verhindert seyn würden. Die Gründe der Französischen Revolution find indeß tiefer zu suchen, als in der drückenden Schuldenlaft, in der Schwäche des Königs, in der durch die vorangegangenen Regierungen verbreiteten Depravation, den Umtrieben zugellojen Ehrgeizes u. f. w., obwohl auch diese Einwirkungen in Anschlag gebracht werden müssen, aber nur als sekundäre Ursachen, als Veranlassungen, an denen der nothwendige Umschwung aller Verhältnisse hervorbrach. Palliative fonnten hier zu nichts helfen; Vorsicht und Klugheit konnien höchstens das Éintreten der Krists hinausschieben.

Kann nun auch der Standpunkt, von welchem in dem anges führten Werke ausgegangen ist, nicht zugegeben werden, so ers hält die Darstellung doch dadurch ein besonderes Intereffe, daß fie auf die der Revolution vorangehenden Jahre ausführlicher eins geht. In den meisten Bearbeitungen treten diese gerade hinter den gewaltigen Kampfen des blutigen Drama's zurück, und fast alle Werke beginnen mit der Eröffnung der General-Stände. Und dennoch sind die funfzehn Jahre der Regierung Ludwig's XVI., welche der Eröffnung der General: Stände vorangehen, für den Staatsmann und denjenigen, der die Geschichte philosophisch zu betrachten gewohnt ist, von nicht geringerem Intereffe. Sie sind die Exposition des großartigen Drama's, der Beginn der Hands lung. In der ersten Epoche sehen wir die Auflösung und das Absterben der alten Gesellschaft, während die Saatspißen einer neuen Zeit eben aus dem Boden hervorsproffen.

Wenn diese Ansicht nun auch in Bezug auf die Französische Revolution noch nicht so konsequent durchgeführt worden ist, so ist fie doch nichts weniger als neu. Es ist vielmehr die bekannte Hofmeisterei der Geschichte, welche dieser gern ihren Lauf vors zeichnen möchte und, statt sich bei dem zu beruhigen, was ges schehen ist, und den Gründen des Geschehenen nachzuforschen, fich lieber die unfruchtbare Mühe giebt, herauszuspintisiren, ob, wenn das und das geschehen ware, es nicht so oder so hätte kommen können. Nicht bloß der Französischen Revolution, fons dern allen großen Weltbegebenheiten ist es so gegangen; hinters her sind dann immer Leute gekommen, welche, den nothwendigen Gang der Geschichte verkennend, Lärm geschlagen und gemeint haben, wenn man es nur anders angefangen oder sie gar um Rath gefragt hätte, so würden sich die Sachen ganz anders ges ftaltet haben. Von diesem Gesichtspunkte aus ist, besonders auf Patholischer Seite, die Reformation betrachtet worden. Dieselbe, ift gesagt worden, were durchaus nicht nothwendig bedingt ges wesen, oder es hätte wenigstens ein anderer Gang eingeschlagen werden können. Wozu hätte es einer Reformation bedurft? Eine Reform der Kirche wäre vielleicht wünschenswerth gewesen; aber diese hätte ja von der Kirche selbst, von dem Oberhaupte dersels ben ausgehen können. Hätte man sich auf friedlichem Wege einigen können, so wäre die bedauernswerthe Kirchenspaltung und alles Unheil, was im Gefolge derselben hereinbrach, die Religions, Kriege, die Schwachung Deutschlands und Gott weiß, was noch, vermieden worden. Das klingt Alles sehr plausibel, nur Schade, daß die Geschichte bei diesen Besserwissern nicht Rath einholen will! Nicht minder haben diejenigen, welche sich in den Sturz Rapoleon's nicht finden konnten, fich damit zu trösten gesucht, daß sie meinten, wenn er nur nicht nach Rußland gegangen oder der strenge Winter nicht eingetreten wäre, oder nicht zwei Kriege au gleicher Zeit angefangen hatte, so würde er nicht gefallen fenn. Auf diese Weise find alle große Ereigniffe durch Wenn's und Aber's in Frage gestellt worden. Diejenigen, die so sprechen, vergessen aber, daß die Geschichte nie einen ihrer Helden oder eine Sache fallen läßt, so lange sie der Menschen bedarf, oder fo lange fie die Begebenheiten noch nicht zu allen Konsequenzen fortgeführt hat. Bei diesen Wahrscheinlichkeitsberechnungen hält,,Indem Gott dem Menschen Bedürfnisse gab und ihm die Roths man sich dann gewöhnlich an die Menschen und bürdet ihrer Uns fähigkeit oder Berblendung die Schuld auf. Das mag in vielen Fallen zutreffen, aber darum bleibt es nicht minder wahr, daß der Gang der Begebenheiten im Ganzen und Großen bestimmt ift, und daß, wenn der menschlichen Thätigkeit und Tüchtigkeit ein weiter Spielraum verstattet ist, es derselben doch nie gelingt, mit Erfolg gegen die Zeitkrömungen anzulámpfen oder den Strom der Geschichte zurückzudammen. Gegen eine fatalistische Auffassung der Geschichte empört sich mit Recht unser Gefühl; die Menschen sollen feine willenlose Werkzeuge, keine Glieders puppen in der Hand der blinden Nothwendigkeit seyn, aber man möge auch das Vertrauen zu der Geschichte haben, daß ihr eine

Der Ansicht des Herrn Droz zufolge, waren Turgot und Recker die beiden Staatsmänner, welche am besten wußten, was Frankreich damals Noth that, und der Geschichte ihrer Berwals. tung entnimmt er auch die meisten Beweise zur Unterstüßung feiner Ansicht. Turgot wollte eine gleichmäßige Vertheilung der Abgaben einführen, den Handel aus seinen Feffeln befreien. Er bezweckte Einheit der Maße und Gewichte, eine gemeinsame Gefeßgebung für ganz Frankreich, die Abschaffung der Corporas tionen, ein populares und freisinniges Unterrichts-System, und im Gefolge aller dieser Verbesserungen Munisipals, Provinzials und Generals Versammlungen, durch welche die Idee einer Nationals Repräsentation vorbereitet worden wäre. Ich stehe dafür", sagte Turgot zu Ludwig XVI.,,,daß die Nation in zehn Jahren nicht wiederzuerkennen seyn wird. Der Eingang zu dem Dekrete, durch welches die Corporationen abgeschafft wurden, kann einen Begriff von seinen freifinnigen Ansichten geben. Er lautet: wendigkeit, zu arbeiten, auferlegte, machte er das Recht, zu ars beiten, zum Eigenthum eines jeden Menschen, und dieses Eigens thum ist das erste, heiligste, unverdußerlichßte. Wir wollen daher die willkürlichen Einrichtungen abschaffen, durch welche der Arme verhindert wird, von seiner Arbeit zu leben, welche den Wetts eifer, die Gewerbthätigkeit ersticken und die Talente derjenigen, die durch die Umstände vom Eintritt in eine Zunft ausgeschloffen werden, ersticken, welche die Gewerbthätigkeit mit einer unges heuren Abgabe belasten, die lastig für die Unterthanen, nuglos für den Staat ist und, indem sie den Mitgliedern der Zunft das Zusammenhalten erleichtert, die drmeren Mitglieder den reicheren ginsbar macht u. f. m.“

Ueber die politischen Reformen, welche Turgot beabsichtigte, fvricht sich der Verfasser folgendermaßen aus: Mit Hilfe der Königlichen Gewalt wollte Turgot Einrichtungen einführen, welche unseren Sitten entsprachen und geeignet waren, sie zu verbessern. Ein so feiner Beobachter wie er, dachte, bevor man Den Franzosen gestatte, sich über die National Interessen zu bes rathen, müsse man zuvor für ihre moralische und politische Erzie hung sorgen, ihnen positive Ideen von der Landes Verwaltung geben und Gefühle des Wohlwollens und des Patriotismus, von denen damals viel gesprochen wurde, die aber noch weniger in Handlungen als in Schriften hervortraten, unter ihnen ver breiten."

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Turgot wünschte, daß ein Theil der Verwaltung den Eigens thümern anvertraut werden möge. Sein Plan war umfassend; er wollte ihn allmålig, mit fluger Vorsicht, immer Schritt hals tend mit der geistigen und sittlichen Bildung, ausführen. Sein erster Versuch sollte feyn, in jeder Stadt und in jeder Landges meinde eine Muniziralität zu wählen, welche die Abgaben vers theilt hatte, mit der Anordnung der für die Gemeinde nüßlichen Arbeiten beauftragt worden und zugleich das Organ der loka len Bedürfnisse und Wünsche gewesen wäre. Hernach wären Kreis Munizipalitäten eingefeßt worden, welche die Gemeindes Munisipalitdten hatten wählen müssen. Turgot hatte bemerkt, daß die Versammlungen, welche aus drei Ständen bestanden, fich oft verschiedenen und dem Gemeinwohl schädlichen Inters effen suneigten. Deshalb wollte er, daß in den Munisipalitdten oder bei den Wahlen Niemand als Geistlicher, Adliger oder Bürs gerlicher auftrete; man sollte bloß als Eigenthümer über alle ges meinsame Interessen feine Stimme abgeben. Durch diese Vers waltungsweise sah sich die Regierung einer Wenge Einzelheiten entledigt; diese fielen nun denjenigen zu, welche, vermöge ihrer Stellung, die vollständigste Kenntniß davon hatten. Dies Vers fahren sicherte vor der Willkår der Beamten, gab den Eigens thümern ein Interesse am Gemeinwesen und erweckte unter ihnen einen edlen Ehrgeiz. Es war ganz geeignet, die Menschen weniger leichtfertig und selbstfüchtig zu machen, indem es ihren Sinn auf wahrhaft nüßliche Gegenstände hinlenkte."

„Die beiden erwähnten Abstufungen waren die einzigen, welche Turgot von vorn herein einzuführen gesonnen war. Wenn die Geschäftskenntniß sich erst weiter verbreitet hätte, so würden die Kreis Manizipalitäten die der Provinzen ernannt haben. Den Schlußstein des ganzen Gebdudes hätte dann die Munisipalität des Reiches gebildet. Diese Versammlung, zu der jede Provinsial Munizipalität ihren Vertreter geschickt hätte, würde dem Monarchen die Bedürfnisse des Landes vorgelegt has ben und von der Regierung zu Rath gezogen worden seyn. Als Organ der öffentlichen Meinung würde sie einen außerordentlichen Einfluß geübt haben. Hätte ein Edikt den Wünschen derselben ent sprochen, so würde schwerlich Widerstand dagegen versucht worden fenn. Hätte die Versammlung dagegen Einwendungen vorgebracht, so würden die Minister von ihren Plänen haben abstehen müssen, und dem Könige waren die Grrungen seiner Rathgeber bekannt geworden. Turgot beabsichtigte übrigens, dieser Einrichtung noch eine größere Ausdehnung zu geben, und die Magistratur sollte nur die richterlichen Functionen bewahren, die Einregistrirung der Gesese aber der Munizipalität des Königreiches vorbehalten bleiben."

Durch eine solche Verfassung glaubte Turgot den Staat ges gen die Mißbrauche der Gewalt schüßen zu können, durch sie hoffte er, die sich gegen die Königliche Gewalt erhebende Oppos fition niederzuhalten. Nach einem Ausdrucke Sénac de Meilhan's verführ indeß Turgot wie ein Chirurgus, der mit Leichnamen zu thun hat; er bedachte nicht, daß er auf lebende Wesen einwirken folle, und beachtete nur die Sachen, nicht die Personen. Bald erhob sich eine starke Opposition gegen ihn; diejenigen, deren Interesse durch seine Reformen verlegt wurde, standen wider ihn auf, und zu ihnen gesellten sich alle die, welche später an die Reihe zu kommen fürchteten, und schmiedeten Kabalen und Intriguen gegen ihn. Obgleich Ludwig XVI. sagte: „Nur Lurgot und ich lieben den Staat", so hatte er doch nicht die Kraft, ihn zu halten. Der Minister, der, vom Könige unters stüßt, viel Gutes hätte wirken und manche heilsame Reformen hdue einführen können, wurde gezwungen, seine Entlassung zu nehmen.

Necker's Pláne entsprachen denen Turgot's einigermaßen, aber sie waren bei weitem nicht so umfassend. Droz fagt:,,Sein Plan ging dahin, in jeder Allgemeinheit eine Verwaltung zu bils den. Die drei Stände sollten geschieden seyn, die Geistlichkeit den Vorsiß führen, aber die Stimmen nur nach Köpfen zählen. Die Mitglieder sollten aus der Geistlichkeit, dem Adel, dem drits ten Stande der Städte, dem dritten Stande des flachen Landes, aus jedem Stande zu einem Viertheil, gewählt werden. Das Parlament und viele Adlige fanden, daß Necker die Geistlichkeit zu günstig behandle, und er jegte die Zahl der Geistlichen von einem Viertheit auf ein Fünftheit herab. Für den Anfang sollte der König ein Drittheil der Mitglieder ernennen und die lebris gen von diesem Dritheit erwählt werden. Die Erneuerungen follten theilweise geschehen und von den Provinzial › Verwaltune gen, unter Vorbehalt der Königlichen Bestätigung, ausgehen. Auf diese Weise war der Haupteinfluß weder dem Könige noch den Eigenthümern gesichert, sondern wurde den Beamten in die Hande gespielt, welche das Recht erhielten, ihre Kollegen selbst zu ernennen. Diese Versammlungen follten nach und nach eins

feiten, und es waren erst zwei ins Leben gerufen, als Necker ab; dankie. Die erste, welche in Berri im Jahre 1778 zusammen trat, hatte dennoch erfreuliche Folgen gehabt; sie hatte die Frohns dienste abgeschafft und in einigen Monaten 200,000 Livres jus fammengebracht, welche für das Gemeinwohl verwendet werden follten.

Dros sieht folgende Parallele zwischen Necker und Turgot: Das Bedauern, welches Necker's Ausscheiden aus dem Ministerium verursachte, bildet einen auffallenden Gegensaß zu dem Eindrucke, den Turgot's Entlassung machte: Fünf Jahre waren seitdem verflossen, und die politischen Ideen hatten sich weiter verbreitet. Derjenige, deffen Ausscheiden ein so großes Aufsehen machte, verdiente dasselbe weit weniger. Beide bezweckten freilich das allgemeine Wohl und verfolgten die Mißbrauche; aber Tur got besaß die Uneigennüßigkeit eines Weisen, der sich selbst vers gißt und sich ganz dem Wohle des Staats und der Menschheit widmet. Necker war nur in Geldsachen uneigennüßig, und der Durst nach Ruhm verzehrte ihn. Turgot vertraute feinen Prins zipien, Necker sich selbst.“

Die Verhältnisse, unter welchen jener die Verwaltung der Finanzen übernahm, waren ungleich schwieriger als die, welche dieser vorfand, und der Leßtere half den Bedürfnissen des Schaßes durch gefährliche und zuweilen unmoralische Auskunftss mittel ab. Turgot würde im Fall eines Krieges zu einer Anleihe gezwungen worden seyn, aber feine Grundsche und seine Festig feit bürgen dafür, daß er selbst aus einer mißlichen Lage Nugen gezogen haben würde, um eine durchgreifende Reform zu bewerks stelligen. Turgot wollte eine den Bedürfnissen entsprechende Ger febgebung, eine dauerhafte Regierungsform. Necker bekämpfte nur einzelne Mißbräuche, und selbst in einer Zeit, wo die Ums stände einen bestimmten Plan forderten, fehlte es ihm an einers durchgebildeten Ansicht."

,,Turgot wollte die Eigenthümer zur Verwaltung hinzuzies hen und rief sie zur Vertheidigung des gemeinschaftlichen Inters effe's auf. Necker warf zuweilen, ohne es au wissen, feindliche Ideen unter diese zahlreiche Klasse hin. Im Widerspruche mit dem Minister, an dessen Stelle er trat, fagte er in seinen Ges traide Gefeßen: Fast alle Bestimmungen der Civil-Gefeßgebung find zu Gunsten der Eigenthümer. Man erschrickt, wenn man das Gefeßbuch öffnet und überall auf diese Wahrheit stößt. Es scheint, als ob eine kleine Anzahl Menschen sich in die Erde ges theilt und gemeinschaftlich Geseße zum Schuß gegen die Menge gemacht hat, gerade wie man in den Wäldern Schußwehren gegen die wilden Thiere aufrichtet. Dennoch ist, troß aller Ges feße über Eigenthum, Gerechtigkeit und Freiheit, fast gar nichts für die zahlreichste Klasse der Bürger gethan worden. Was kümmern uns Eure Gefeße über das Eigenthum? werden sie fagen; wir besigen nichts. Was Eure Geseße über die Gerech tigkeit? wir haben nichts zu vertheidigen. Was Eure Geseße über die Freiheit? wenn wir heute nicht arbeiten, sterben wir morgen Hungers."" Der Gefeßgeber, welcher so sprach, hatte eine so geringe Einsicht in die wichtigsten Theile der Staatss wirthschaft, daß er die Corporationen vertheidigte, welche dem Aufschwunge der Industrie so sehr im Wege standen und gegen welche Turgot alle seine Anstrengungen richtete."

,,Turgot bezweckte die fittliche und politische Bildung der Nation; er wollte die öffentliche Meinung bilden. Necker hielt dieselbe für schon genügend aufgeklärt und beugte sich vor ihr. Der Eine wendete sich zum Volte als Gefeßgeber, der Andere als Höfling. Die Staatsmänner unterliegen sehr häufig, wenn sie auf dem Höhepunkt ihrer Macht angelangt find; fo ging es auch Necker kurze Zeit nach dem compte rendu, der ihn so sehr in Gunst geseht hatte. Turgot starb zwei Monate nach der Ents laffung Necker's in einem Alter von zweiundfunfzig Jahren. Er hatte die leßte Zeit seines Lebens in der Zurückgezegenheit, einzigmit den Wissenschaften beschäftigt, zugebracht. Necker's Verlust, obgleich derselbe Turgot und Machault weit nachstand, war immer sehr empfindlich; um sich davon zu überzeugen, braucht man nur feine Nachfolger zu betrachten. Er wußte wenigstens, daß, wer Frankreich beherrschen wolle, das Gemeinwohl im Auge haben måsse, und eine so einfache Wahrheit einzusehen, wollte schon immer etwas sagen. Er schaffte Mißbräuche ab und dachte dars auf, den Stürmen zu begegnen. Seine Neider haben zwar oft behauptet, er habe das Königliche Ansehen geschwächt, aber er machte den Namen des Königs beliebt, und auf dieses Lob dürfen nur wenige seiner Nachfolger Anspruch machen."

,,Ein arger Fehler, zu dem Necker durch seine unbeswings liche Eigenliebe verleitet wurde, war der, daß er sich nicht länger im Besis der Macht zu behaupten suchte. Maurepas stand am Zielpunkte feiner verhängnißvollen Laufbahn und würde ihm bald Plaß gemacht haben. Necker hat es mehr als einmal berent, daß er so übereilt abdankte, aber vermöge seines Stolzes zweis felte er keinen Augenblick daran, daß er unentbehrlich fen, und daß man ihn werde zurückrufen müssen. Er tduschte sich, wenn er glaubte, daß dieser Fall bald eintreten würde, und er sah nicht voraus, daß, wenn er wieder eintreten würde, die Lage des Staates eine andere geworden seyn mußte, und daß er unmöglichs darauf rechnen konnte, dieselbe Nation und dieselben Ideen wieders zufinden. Die Zeitumstände forderten ganz andere Talente, als er zur Zeit seines ersten Ministeriums entfaltet hatte und als er überhaupt besaß." (Schluß folgt.):

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Die Würdigung des physischen Zustandes einer Nation bietet manche Bedenklichkeiten dar. Die Eigenliebe einer gesellschafts lichen Verbindung ist so leicht zu verlegen, wie die eines Indis viduums. Keiner Nation ist aber wohl ein größeres Maaß von Eitelkeit zugemessen, als der Franzöfifchen. Stolz auf eine ruhms volle Vergangenheit, begünstigt durch einen glücklichen Himmel, hat sie sich von jeher mit besonderer Vorliebe betrachtet. Begnügt man sich indeß nicht mit einer oberflächlichen Betrachtung, jo wird man finden, daß dieses Volk, welches so stolz auf seine glor reichen Thaten und den beweglichen und spottsüchtigen Sinn feiner Bewohner ist, keinesweges die Auszeichnung verdient, die es sich selbst beilegt. In Bezug auf Gewerbfleiß und großartigen Unternehmungsgeist steht es den Engländern und Amerikanern weit nach; in wissenschaftlicher und künstlerischer Hinsicht finder es auch noch seinesgleichen, wenn es auch das ausschließliche Vorrecht zu haben scheint, Europa mit Vaudevilles und Calems bourgs zu versorgen. Daß im Gebiet der Musik Italidner und Deutsche die Meister der Franzosen sind, bedarf kaum einer Ers wdhnung, und selbst das Scepter der Mode scheint Frankreich aus den Handen gegeben zu haben; — der Jockeys Klub und die Paletots triumphiren.

Ware Frankreich bei Vertheilung der phyfischen Kräfte besser bedacht geworden, so hatte man dies als eine Art von Ersas anfehen tönnen; aber seit fünfundzwanzig Jahren giebt sich in diesem Lande eine auffallende Entartung des Menschengeschlechts zu erkennen. Die Revolutionskriege, die Schaffoute haben eine reiche Aerndte gehalten. Die kraftigsten Männer, diejenigen, welche in der Blüthe ihres Alters am geeignetten zur Fortpflans sung waren und eine gesunde Nachkommenschaft hatten erzielen Fönnen, wurden gerade am ersten hinweggerafft. Die Kriege haben die sterksten Menschen verschlungen, und für die Zeugung blieben nur die übrig, welche das Schwert des Feindes oder gar das Beil des Henkers verschmäht hatte.

Ein gelehrter Arzt, Dr. Billermé, dem die Schwäche der Generation, welche fich idhrlich zu den Conscriptionen einstellte, auffiel, forschte den Gründen nach und kam auf dieses Resultat. Ihm gebührt die Ehre, in seinen statistischen Darstellungen dars auf hingewiesen zu haben, daß die Erhaltung des Menschenges fchlechts die ernsteste Aufmerksamkeit verdiene. Mit Hilfe des Messtockes, mit welchem die gesammte Jugend gemessen wird und dessen Angaben genau aufgezeichnet werden, hat er den ges wöhnlichen Wuchs der Männer genau angeben und die wahren Gründe der schwächlichen Körperbeschaffenheit der Französischen Jugend erforschen können. Aus seinen Untersuchungen ergiebt ich, daß seit vierzig Jahren der Wuchs der Männer beträchtlich leiner geworden ist. Vor der Revolution nahm man in Franks reich keinen Grenadier unter 5 Zoll an; während der Republik begnügte man sich mit 4 Zoll, während der Kaiserherrschaft mit 3 und zur Zeit der Restauration mit 24; jest endlich befähigt die gute Aufführung in jedem Falle zur Aufnahme in die Elitens Compagnieen.

Oben find schon einige Ursachen der physischen Entartung angegeben worden: der Krieg und die politischen Einflüsse. Es giebt indeß noch andere, welche eine eben so große Beachtung verdienen.

Bekannt ist es, welche fonderbare Verbindungen die Furcht vor dem Soldatenstande in der lehten Zeit des Kaiserreichs zu Stande brachte. Das Gefeß, vermöge dessen gewisse Klassen von verheiratheten Bürgern vom Militairdienste befreit wurden, vers mochte viele junge Leute, Ehen mit schwächlichen oder bejahrten Weibern einzugehen. Die Kinder, welche unter so ungünstigen Umstanden zur Welt kamen, waren ebenfalls von schwächlicher Körperbeschaffenheit; dies ist eine unbestreitbare Thatsache, welche in den Conscriptionspflichtigen aus den Jahren 1812, 1813 und 1814 ihre Bestätigung findet. Dieselben Resultate ergeben die Altersklassen aus den Zeiten der Revolution. Die Hangersnoth, das Elend, die verderblichsten Einflüffe haben auf diese Epoche eingewirkt. Als in Folge des Traktats vom Jahre 1815 die Englische Armee, welche in Frankreich kantonnirte, bei Französ fischen Lieferanten Tschako's bestellte, nahmen diese die vom Frans söfifchen Kriegs, Ministerium vorgeschriebenen Maße zur Richts schnur. Wie groß war aber ihr Erstaunen, als zwei Drittheile der gelieferten Tschalo's zu klein befunden wurden. Nur die Pleinken Englischen Köpfe konnten die größten Französischen Helme gebrauchen. Dennoch können die Englischen Truppen nicht den Bergleich mit den Preußischen, Sächsischen oder Ungarischen aus halten. Hiernach mag man den förperlichen Unterschied zwischen den Französischen Soldaten und anderen Nationen abmessen.

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Auf dem Lande sind die Rekruten gewöhnlich kräftiger ges baut als in den Siddien, wogegen die Städter wieder größer And. Diefe verlieren also an Kraft, was sie an Långe gewinnen. Rach der Meinung der Kriegsverstandigen ertragen die kleinsten Soldaten eines Regiments am besten anstrengende Marsche und Krankheiten, weil ihre ganze Organisation gedrungener ist. Dem fen inbeß wie ihm wolle, wenn die Lange des menschlichen Wuchses nichts für die Kraft beweist, so ist daraus noch nicht der Schluß du siehen, daß die Kleinheit der Proportionen in militairischer Hinsicht als gleichgültig zu erachten fen. Die Sorgs falt, mit welcher man in manchen Armeen Elite, Corps bildet, beweist das Gegentheil. Kommt man aus London, Rusland oder Deutschland und betrachter dann die Französische Infanterie, so

fällt die Vergleichung derselben mit den Englischen Regimentern, mit den Preußischen und Russischen Garden nicht sehr günstig aus. Bringt man die militairische Organisation und die mora lischen Triebfedern, welche auf den Soldaten einwirken, nicht in Betracht, so kann man von der Französischen Armee keine hohe Meinung fassen.

Die Größe einer Nation besteht nicht einzig und allein in ihren wissenschaftlichen und industriellen Fortschritten. Das By zantinische Kaiserreich zählte eine Menge Rhetoren und Ins genieure, aber die Entkraftung der Nation war so groß, daß sie ihre Vertheidigung fremden Sóldlingen anvertrauen mußte.

Unter_den_Ursachen, welche vorzüglich die Unvollkommens heit der Fortpflanzung bewirken, dürfen die Unwissenheit des Volkes, die Armuth, die Vernachlässigung der gymnastischen Uebungen, die übermäßige Arbeit und die Zusammendrängung der Kinder in den Fabriken nicht übersehen werden. Die leßtes ren, welche schon in ihrer frühesten Jugend der Berührung mit ausgewachsenen und verderbten Menschen ausgefeßt werden, nehmen alle Lafter der Erwachsenen an. Entkräftet durch den Druck der Arbeiten, verderbt durch den Genuß berauschender Getränke, kommen diese armen Kinder mit den Keimen aller Krankheiten zu den Regimentern. Die neue Lebensweise kann dem Uebel keinen Einhalt thun, denn die geringe Löhnung ges stattet ihnen nur eine grobe und ungesunde Nahrung; und der übermäßige Genuß alkoholhaltiger Getränke, verbunden mit dem Müßiggange und den Ausschweifungen des Garnisonlebens, geben dem lebel nur neue Nahrung.

Nächst dem Elende und der Armuth, fordert die Industrie die meisten Opfer. Hätte das Englische Parlament nicht diese traurige Wahrheit eingesehen, so würde es nicht wiederholents lich die Geseße zum Schuße der Jugend aufgerufen haben. In dieser Hinsicht hat dasselbe sich wahrhaft menschlich gezeigt, aber es hátte feine Verbesserungs Plane durch Verordnungen über die Schuls Disziplin und durch größere Beachtung der physischen Erziehung vervollständigen sollen. Es wäre zu wünschen, daß die Französische Gefeßgebung diese Lücke ausfülle. In Franks reich spricht man bestandig von Unabhängigkeit und National würde; wie können aber beide besser gesichert werden, als wenn man die Franzosen nicht zu einem Volle von Kruppeln und Schwächlingen herabsinken läßt.

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Die Handlungsdiener und die Ladenmädchen in London.

Ein Gegenstand, welcher die höchste Beachtung verdient, ist die Lage eines zahlreichen Theils der Bevölkerung der großen Siddie, nämlich die der Handlungsdiener und Ladenmädchen. Dieser Schwarm junger Leute beiderlei Geschlechts, von denen alle Laden, besonders die Modewaarenhandlingen, wimmeln, bils det in London eine Maffe von 140,000 Individuen. Es bedarf wohl kaum einer Erwähnung, daß der Zustand und die Bildung einer so zahlreichen Menschenklasse einen bedeutenden Einfluß auf die öffentliche Sittlichkeit ausüben muß. Dieser Einfluß ist indes kein heilsamer.

Betrachtet man den Handel vom moralischen Gesichtspunkte aus, so muß zugegeben werden, daß derselbe seit funfzig Jahren sehr gesunken ist. Damals saben sich die Vorsteher der Handlungss hduser als die Beschüßer und Vormünder der jungen Leute an,welche bei ihnen beschäftigt waren. Die Geseze selbst legten ihnen diese Verpflichtung auf, welche übrigens auch mit ihrem Vortheile vollkommen in Einklang war. Eine der ersten Anfors derungen, welche an einen Commis gemacht wurde, war die, daß er sich den Sitten und Gewohnheiten der Familie anbequeme. Ein Handlungsherr, welcher die Handlungen seiner Commis nicht in jedem Augenblick des Tages hatte überwachen können, würde sein Vermögen und sein Leben für gefährdet erachtet haben. Der

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beständige Verkehr zwischen beiden hatte Vertrauen und eine ges wisse Innigkeit zur Folge. Die jungen Leute sahen in dem Las dendienste nur eine Uebergangsstufe, welche sie später zum Ans theil am Geschäft leitete. Dieser Antrieb hat die Corporation der Englischen Kaufleute so sehr gehoben.

Der edle Wetteifer ist jeßt, wie viele andere Dinge, vers schwunden; alle Dienstleistungen werden mit Geld bezahlt, und Vertrauen wird weder gefordert noch bewilligt. Kaum ist man Dazu gelangt, selbst ein Geschäft einzurichten und Herr zu wers den, so glaubt man sich auch in eine ganz andere Sphäre vers sest. Man sagt sich von allen denjenigen, welche man für seine Untergebenen hält, vollständig los und glaubt keine Verpflichtuns gen weiter gegen sie zu haben, wenn man ihnen ihren nothdurf nigen Unterhalt gewährt. Die Kaufmannsfrau sucht sich ebens falls von den zahlreichen häuslichen Verrichtungen und Pflichten, welche sonst der Hausstand eines Kaufmannes auferlegte, loszus machen und bringt lieber Opfer, läßt die Commis außerhalb des Hauses speisen und schlafen. Die Gleichgültigkeit der Handelss herren wird oft sogar zur Undankbarkeit. Bor nicht gar zu langer Zeit würde ein Londoner Handlungshaus es für eine Schande gehalten haben, einen alten Diener darben zu lassen; jest machen sich die reichsten Kaufleute kein Gewiffen daraus. Diese Verhärs tung der kaufmännischen Sitten hat einen traurigen Einfluß auf die ganze Gesellschaft. Die Commis gehen aus einem Hause in ein anderes über, wenn sich eine Aussicht auf eine kleine Zulage eröffnet. Da diese raschen Veränderungen durchaus nichts Ent ehrendes haben, so ist die Mehrzahl der jungen Leute eine Zeit lang unbeschaftigt und lebt von früheren Ersparnissen.

Die Modehandler wollen in ihren Magazinen nur elegante Verkäufer haben; ein junger Mann ist also genöthigt, mehr für die Bildung seines Körpers als für die seines Geistes zu sorgen. So entsteht eine zahlreiche Klasse von Hohlköpfen und Lauges `nichtsen. Die Sitte erlaubt ihnen, sich nach der neuesten Mode zu fleiden, und sie streben hierin sowohl wie in anderen Bes ziehungen, sich über ihren Stand zu erheben. Wollen sie sich in dieser falschen Stellung behaupten, so ist es vielen sehr nahe ges legt, fich durch Unterschleife zu erniedrigen. Sie verschwinden, und an ihren Plas treten Andere, welche demselben Schicksale verfallen. Der Herr findet seinen Vortheil dabei, denn er weiß, daß die Kunden. neue Gesichter lieben.

Bedenkt man, daß die unglücklichen jungen Leute, welche durch ihr schlechtes Betragen ihre Stellen einbüßen, kein anderes Erwerbsmittel haben, so fragt man sich mit Schrecken, was aus ihnen werden soll. In London giebt es 600,000 Individuen, welche Morgens aufstehen, ohne zu wissen, wovon sie am Tage leben sollen. Wer sind die Menschen, die gewöhnlich elegant gekleider sind und sich ein Ansehen zu geben wissen? Handwerker find es nicht, denn diese wissen meist, was zu ihrem Stande paßt. Ein zahlreiches Kontigent zu diesem Heere von Abenteus rern liefern die höheren Klassen, welche unmittelbar auf den Handwerkerftand folgen, das Gros aber bilden die Commis. Wäre es möglich, alle unnüße Menschen dieser Klasse aus Lon: don zu verbannen, so würden viele Laster verschwinden und der Polizei ihr Geschäft sehr erleichtert werden.

Es fann nicht in unserer Absicht liegen, mit einem Feders suge eine Anzahl junger Leute, deren Thätigkeit für den Forts schritt der Industrie unentbehrlich ist, anzuschwärzen, aber wir roollen zeigen, daß ihre Anzahl unverhältnismäßig groß ist, und daß dieser Ueberfluß die Veranlassung aller Uebelstände ist. Ge wiß ist, daß beständig eine große Menge Commis auf dem Pflaster von London unbeschäftigt umherlaufen. Sichere Angas ben geben diese Zahl auf 5-6000 an. Jeßt enthalten die Beschäftigungen in den Magazinen selbst einen Keim der Vers Derbniß. Was fordert man von einem jungen Manne? Daß er ein guter Verkäufer sen, d. h. daß er nie eine Dame gehen laffe, ohne ihr zwanzigmal mehr Waaren aufzudringen, als sie zu Paufen beabsichtigte. Der Commis, der dies Talent befißt, gilt für einen unbezahlbaren Menschen, und die Handlung, welche das Glück hat, ihn zu besigen, überträgt ihm die Anlernung seis ner Kameraden. Von ihm lernen die Novizen die Kunstgriffe des Handwerks, welche darin bestehen, daß man ein Stück Zeug mit dem anderen vertauscht, dasselbe für verschiedene Preise hinreicht, die Käufer unterhalt und Lügen mit einem Eide bekräftigt.

Dem Mangel an Vertrauen, welches solche Charaktere noth wendig einflößen müssen, hat man durch verschiedene Mittel vors zubeugen gesucht. Die Kasse wird einem anderen Menschen übers geben, welcher die Rechnungen einzieht und die Bücher führt; der Verkäufer darf kein Geld annehmen. Ungeachtet dieser ers niedrigenden Vorsichtsmaßregeln entgehen sie doch nicht leicht den Gefahren der Schule, in welcher sle gebildet worden sind. Unter den wegen Diebstahls Verurtheilten kommen zwanzig Handlungss diener auf einen Handwerker, und von diesen zwanzig find wies der zehn Commis aus einer Modewaarenhandlung. Mancher Kaufmann schickt zu jeder Versammlung der Geschwornen zwei oder drei seiner Commis.

Die Handlungsherren begehen das große Unrecht, alle junge Leute von gutem Aussehen, ohne Rücksicht auf ihr früheres Leben, in Dienst zu nehmen, weil sie Rußen von ihnen zu ziehen hoffen. Sie wissen, daß die Frauen am liebsten die Magazine besuchen,

wo die Commis hübsch find. Man miethet ießt die Handlungss diener wie Arbeitsteute und verabschieder sie im Augenblicke. Daraus entspringen viele Mißbrauche. Die Leichtigkeit, augens blicklich eine Stelle zu finden, zieht mehr junge Leute in den Detailhandel, als erforderlich sind. Da nur ein Theil derselben beschäftigt werden kann, so bleibt der Rest sich selbst überlassen. Lord Byron hat unglücklicherweise gesagt, daß eine weiße und zarte Hand das Kennzeichen eines feinen Mannes sey, und seits dem konservirt man lieber seine Hand, indem man Bänder hins ter dem Ladentische mißt, als daß man die Säge und den Hobel führte.

Welchen traurigen Einfluß diese jungen Leute auf das Schick; sal der Ladenmädchen und Comtoirdamen ausüben, läßt sich kaum beschreiben. Jene halten nämlich eine Menge Tanzidle aufrecht. Außer diesen öffentlichen Vergnügungsörtern giebt es dann noch eine Menge anderer, welche die Polizei nicht beaufsichtigen kann. Manche Hausbesißer haben Lokale, welche sich zu Konzerten oder theatralischen Vorstellungen eignen. Sie geben Einladungskarten aus und bedienen sich dazu der Vermittelung der jungen Leute, welche als Liebhaber solcher Vergnügungen bekannt sind. Die Karten scheinen nun nichts Anderes als Einladungen an Freunde zu seyn; der Herr des Hauses läßt an der Thür kein Geld abs fordern, aber im Saale nehmen drei oder vier seiner Freunde den Eintrittspreis in Empfang. Gewiß sind diese heimlichen dufer die gefährlichsten. Durch den Reis eines erlaubten und anstendigen Vergnügens werden junge Mädchen angezogen, welche leichtfertig, aber tugendhaft sind. Gewöhnlich spekuliren die Entrepreneurs dieser Schlupfwinkel auf die Berühmtheit dieses oder jenen jungen Mannes und engagiren ihn für eine ges wisse Zahl von Abenden.

Besuchen die unbeschäftigten Commis diese Derter nicht, so bleiben ihnen die Spielhäuser. In der Nähe von Regent Street und Osford Street giebt es außerlich sehr anständige Häuser, deren Besiger keine andere Erwerbsquelle haben. Besucht man eine dieser Höhlen, so findet man die Tische von eilf Uhr Abends bis neun Uhr Morgens immer von denselben Personen umringt. Die Gewinnsucht der Herren trägt auch hiervon die Schuld. Die Modehandlungen werden um Mitternacht geschlossen, und die meisten Commis haben dann noch eine oder zwei Stunden mit dem Zusammenfalten der Waaren zu thun. Sind nun die jungen Leute in keinem Geschäfte, so behalten sie die Gewohnheit, spát aufzubleiben, bei; fie besuchen also die Vergnügungsörter, welche die ganze Nacht geöffnet bleiben.

Das Loos der Puhmacherinnen und Nchterinnen ist noch bes dauernswerther. Fallt ein junges Madchen in die Hände einer harten und geizigen Herrin, so muß sie sechzehn Stunden uns unterbrochen arbeiten. Giebt es viel zu thun, so müssen sie sogar ganze Nächte lang aufbleiben. Ist es nun noch zu verwundern, wenn ein Theil der Bevölkerung Londons die Farbe der Kranks heit und des Elends auf den Gesichtern tragt? Die meisten june gen Mädchen, welche mit Nadelarbeiten beschäftigt find, haben daher auch ein schiefes Rückgrat; bei vielen ist das Brustbein eingebogen und die Brusthöhle zusammengedrängt, wodurch dènn Beklemmungen und chronische Krankheiten entstehen. (Bentley's Mag.)

Mannigfaltiges.

Laing in Angermanland. Auf seinem Abstecher südwärts von Umeå lernte der Englander Laing ein wohls habendes, zufriedenes und gewiß auch nicht unmoralisches Völk chen kennen.,,Angermanland, wo ich jest verweile, gleicht cinem Manufaktur - Distrikte Englands. In jedem Gemach jedes Hauses hört man den Webstuhl knarren. Jede Feuerstelle hat ihre Leinwand: Bleichen. Dieser Artikel ist eine rein hauss liche Arbeit, die auf dem kleinen Bauerhofe, wo der Flachs wächst, begonnen und vollendet wird und, mit Ausnahme des Pflügens und Sdens, ganz dem weiblichen Geschlechte obs liegt.... Die Bewohner des nördlichen und südlichen Angers manland scheinen alle Vortheile einer Ackerbau und Manufakturen treibenden Bevölkerung, versteht sich im kleinen Maßstabe, hars monischer zu genießen, als irgend ein anderes mir bekanntes Volk. Alte und junge Personen weiblichen Geschlechts haben am Webstuhl und am Spinnrocken immer Beschdftigung im Ueberfluß. Dienstboten sind keine Last. In den Häusern und um die Häuser bemerkt man die Reinlichkeit und Ordnungsliebe einer durch Gewerbfleiß emporkommenden und allen Ueberfluß einer Ackerbau treibenden Bevölkerung. Das Tischtuch ist immer rein, wenn man Dir auch nichts als Milch und Brod vorseßt; die Betten find immer sauber und weiß überzogen. Jedermann erscheint wohlgekleider; denn der Ertrag des Kunstfleißes ist zus nächst für die Bedürfnisse der Bewohner bestimmt, und nur der Ueberschuß wird außer Landes verkauft. Die Güte und Zierlichs keit der Mobilien, das schöne Bettzeug, die tapezirten Gemächer Alles beweist, daß diese Leute auf keiner niedrigen Stufe des gesellschaftlichen Wohllebens stehen. Mit einem Worte, in Schwes dens Nord Provinzen finden wir Alles vereinigt, was den Stolz eines Landes ausmachen kann."

Nummern. Pränumerations. Preis 221 gr. (3 Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Thälen der Preußischen Monarchie.

Magazin

für die

Beiblatt der Allg. Pr. StaatsZeitung in Berlin in der Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohüöbl. Post- Aemtern.

Literatur des Auslandes.

No 41.

Berlin, Freitag den 5. April

1839.

Rußland.

Die Russischen Swätki.

Aus einer Erzählung von W. Mirofceffsli. Die Swatki (Feiertage von Weihnachten bis zum 6. Januar) gehören zu den fröhlichsten Festen Rußlands; zwar geht es in der sogenannten Butterwoche (vor den Osterfasten) und in der Osterwoche auch sehr lustig her, aber so mannigfaltig wie in den Swaili find die Belustigungen nicht. Abends z. B. erscheinen bei Euch eine Menge veikleideter Leute, ihre Lustigkeit steckt Euch an; Ihr sucht zu erfahren, wer sie sind, und was ihre räthsels haften Reden bedeuten; Gelächter, Scherze, Lieder und Tanze mischen sich durch einander. Junge Mädchen verstecken Gold, spielen Pfänderspiele, und so entschwinden die langen Abende, che man es sich versieht. Und nun das Wahrsagen, das Wahrs sagen! wie Postbar ist nicht schon dieses allein? Wir lieben das Wunderbare, das Geheimnißvolle; es hat einen ganz eigenen Reiz für uns, und so erstaunlich ist es auch nicht, da wir von Geheimnissen umgeben sind, die wir in diesem Leben nicht er rathen können, und das größte Geheimniß für uns ist dieses Les ben selbst! Und die Zukunft? Wie sehr wir uns auch anstrengen, sie kennen zu lernen, immer bleibt sie uns hinter dunkelem Schleier verborgen. Da nehmen wir unsere Zuflucht zum Wahrsagen, in der Hoffnung, irgend ein guter Geist könnte den Schleier lüften. Hierzu nun bieten die Swárki ein weites_Feld dar; manches junge Mädchen wird hier mit Geheimnissen bekannt, die sie im übrigen Theil des Jahres vielleicht nie erfahren haben würde.

Diesesmal befinden wir uns während der Sidiki bei einem Russischen Land Edelmann im Räsanschen Gouvernement; er heißt Ruf Wiewoloschky. Schöne Möbel sieht man nicht, wohl aber schöne Kuchen; er ist nicht reich, aber gutherzig und gastfrei; seine Gattin ist eine gate Hausfrau und gastfrei wie er. Das häusliche Glück diefer achtbaren Leute bildeten ein zehnjchriger Sohn, ein schöner Knabe und eine siebzehnjährige Lochter, ein Engel an Körper und Seele; Vater und Mutter liebten sie über Alles, und fast vergöttert ward sie von ihrer alten Nana (Wars terin). Wenn zuweilen des Abends Sophie mit ihrer Nána am Spinnrade saß und, ihre reizenden blauen, von langen Wimpern beschatteten Augen auf den Rocken gerichtet, ein Lied fang, fiel der Nana der Faden aus der Hand, sie war wie versteinert, fah unverwandt auf Sophie, und Thränen rannen ihre bleichen mas geren Wangen hinunter; es waren aber Thränen der Freude. Sophie fiel ihr dann um den Hals und rief: „Ach, Nána, Nana, wie liebe ich Dich!"

Vor alten Zeiten war es bei unseren Vorfahren Sitte, fos genannte Einladungs-Frauen abzusenden, um Gäste zu den Swáili zu laden. Diese Frauen wurden von den Hauswirthinnen immer freundlich aufgenommen und gut bewirthet, weil man ihre Zuns gen fürchtete. Wenn sie Gäste einluden, begannen fie ges wöhnlich:,,Väterchen Jwan Iwanowitsch und Mütterchen Anna Iwanowna bitten gehorsamst, den Abend bei ihnen zu fißen, die fchönen Mädchen anzusehen, Salz und Brod zu essen und eine Gans zu zerschneiden." Manche Gutsbesißer gebrauchten ihre Nana's zu dieser Gesandtschaft. So war es auch bei Wsewos loschky's; die alte Ndna fuhr in einem einspännigen Schlitten zu den nächsten Nachbarn und lud sie im Namen ihrer Herrschaft zu den Smdiki ein. In Folge deffen fanden sich drei oder vier Familien ein, unter welchen sich auch Vettern und Muhmen Sophia's befanden.

Die Gäste waren in Festkleidern: die Männer erschienen in Fuchspelzen, aus welchen Kaftane mit filbernen Knöpfen herauss fchouten; einige hatten seidene Persische, andere wieder Gürtel von Kumatsch, einem Bucharischen rothwollenen Zeuge. Die Frauen trugen Sarafane und kurze Mäntel von Seidenstoff (bei den Reichen waren lettere mit Zobel befeßt), lange und weite Aermel von weißem Musselin, silberne oder goldene Ketten um den Hals und Schuhe mit hohen Abfäßen. Ihre Töchter hatten gleichfalls Sarafane und Duschagrecki (eine Art Jacke oder Brusts lab); weiße Pleine Halstücher bedeckten die üppigen Busen, und rothe Bander zogen sich durch Flechten des schönsten Haares; eine lange blonde Flechte ward für ein unschäßbares Kleinod ges halten, und eine solche besaß Sophie. Es versteht sich von selbst daß man damals die Korsets nicht kannte; der Busen des schon

nen Geschlechts athmete frei. Indessen folgten, die Wahrheit zu gestehen, fast alle Frauen und Madchen der damals in der ganzen Welt und auch in Rußland_herrschenden Mode, sich weiß und roth zu schmincken, wenn sie es auch gar nicht nöthig hatten. Sophie jedoch machte eine Ausnahme; was ihre Mutter that, verrathe ich nicht.

Erleuchtet war das Haus des gastfreien Wirthes. In der Ecke, zunächst dem Eingange, stand ein eichener Tisch, bedeckt mit einem weißen Tischtuch; auf zinnernen Tellern sah man Aepfel verschiedener Gattungen, frische, eingemachte und getrocknete; an Nüssen: Wallnäffe, Sibirische, Lamberts Nüffe, frisch und ges backen; Pfefferkuchen aus Wisma und Tula in allen Formen, Feigen, Rosinen, Pflaumen, Preißelbeeren und eingemachte Krone beeren; Hollanderbeeren in Honig und eine Menge anderer Najchereien.

Der Herr vom Hause bewirthete seine Gäste mit verschiedes nen Sorten von Fruchts und Obst - Weinen, Meth und Kräuters Branntweinen. Die jungen Damen dankten für die starken Ges tránke, aber weil es im Gostzimmer heiß war, begaben sie sich in ein anderes Zimmer, um Quaz (eine Art sehr leichten Bieres) zu trinken; die Hausfrau kredenste ihn in einem dunkelen Glase -Wie man fagt, habe der Narr oder sogenannte Spaßmacher, dem zu jener Zeit große Freiheiten zugestanden wurden, nachdem er die Reste aus zwei dunkelen Glajern zu sich genommen, laut ausgerufen, es sey in dem einen Kirschwein und in dem ander ren starker Meth gewesen.

Die jungen Mädchen_hielten sich an die Süßigkeiten, und während ihre Väter ihre Gläjer leerten, begannen sie, Gold zu verstecken.

Aber nicht nur im herrschaftlichen Hause ging es lustig her: auch die Bauern im ganzen Dorfe hatten Feiertag. Nicht weit vom Herrnhause wohnte der Starost (Dorf's Aelteste, Schulze), und seine Stube war so voll gepfropft von alten und jungen Weibern, Mädchen und Bauern, wie ein Ameisenhaufen von Ameisen. Geistliche Gesänge tönten weit durchs ganze Dorf hin. Während man in den Häusern jubelte und sang, tobie außerhalb das heftigste Schneegestöber, was indessen die allgemeine Frohs lichkeit noch zu vergrößern schien. Ich selbst habe es bisweilen erfahren, daß es viel angenehmer ist, sich in stürmischen Nächten in warmen Zimmern des Lebens zu freuen, aber Reisende, die unterweges find, theilen diese Ansicht nicht; fie verwünschen das Wetter, sich selbst und ihre Reise. So, war es auch diesmal der Fall. In der Nähe des Dorfes fuhr ein großer verdeckter Schlite ten, verfehlte in der Dunkelheit den Weg und gerieth in tiefe Schneegruben. „Pfui Teufel! Welch' verfluchtes Wetter!" rief einer der im Schlitten Sißenden aus;,,nicht die Hand vor Aus gen kann man sehen. In Räsan sagte man uns, daß wir das Dorf, in welchem die schöne Wsewoloschka wohnt, in 4 Stunden erreichen würden, aber ich glaube, wir fahren schon 14 Stunden, und noch sieht man nichts; am Ende müssen wir hier in dieser dden Steppe die Nacht zubringen!" -,,Ruhig, ruhig, Leonty Stepanowitsch", antwortete eine andere Stimme,,,mich dunkt, ich hörte hundegebell; ja wahrlich, da brennt auch Licht." Sie waren im Dorf. Wer sind aber diese vom Unwetter überrasche ten Reisenden? Es sind der Okolnitsch (zweite Klaffe der Würdenträger im alten Rußland) Leonty Stepanowitsch Plesche tschejeff und sein Schwager Peter Tichonowitsch Trochaniatoff, die vom Zaar auf Brautschau abgesendet waren.,,Oho!" rief Pleschtschejeff aus,,,hier geht es munter her. Hörst Du, wie fie fingen? Wir wollen bei diesem Hause halten und ans flopfen." Gesagt, gethan. Es war das Haus des Starosten; die Diener halfen ihren Herren aus dem Schlitten, was besonders bei Pleschischejeff nöthig war, deffen bedeutender förperlicher Umfang ihn hinderte, sich frei zu bewegen. Das Klopfen der Reisenden am Fenster ward nicht gleich gehört; man sang in der Stube die Koldda.

Man wird natürlich wissen wollen, was die Koláda ist und woher diese Benennung stammt? Wenn ich ich aber darüber auslaffen und die Meinungen der Herren Gelehrten anführen soll, die über die Abstammung dieses Wortes durchaus nicht einig find, so bedenke man nur, ob man die beiden Reisenden so lange in der Kälte stehen lassen darf? Würde man die Herren Gelehrs ten in die Kalte stellen, um zu disputiren, so würden wir wahrs scheinlich schneller ein Resultat erfahren. Doch zur Sache: Einige

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