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Nummern. PränumerationsPreis 221 Sgr. ( Thlr.) vierteljährlich, 3 Thir. für das ganze Jahr, ohne Er. höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 30.

Magazin

für die .

Beiblatt der Allg. Pr. StaatsZeitung in Berlin in der Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Proving so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Poft - Nemtern,

Literatur des Ausland e s.

Berlin, Montag den 11. März

Frankreich.

Ueber den bei den Franzosen herrschenden Geist der
Oberflächlichkeit. *)

Ich bin neulich mit einem Russischen Edelmanne gereift, wels cher keinen allzu hohen Begriff von unseren intellektuellen Forts schritten zu haben schien, trog aller Versicherungen, welche sich die Fabrikanten der Tagesblätter und Tagesbroschüren erlauben, die laut ausschreien, daß wir in dem Jahrhundert der Aufklärung leben. Die Franzosen, so sprach er zu mir, haben Geist, viel Geist; aber forscher ein wenig tiefer nach, und ihr werdet Nichts

ich fage Nichts finden. Eine schimmernde und glänzende Spiegelfläche verdeckt die Leere; ein Mörtel, der hohl wiedertönt, wenn man ihn mit dem Hammer berüht. Uns Ruffen betrachtet man als Barbaren, und doch widmen sich unsere jungen Leute tieferen und ernsteren Studien, als die eurigen. Wir, wir sind es, welche die Geschichte Frankreichs kennen, und ihr wißt nichts von der Geschichte Rußlands; es ist ein seltener Fall, wenn ihr eure eigene Geschichte vor der Umwälzung im Jahre 1789 kennt. Wir bestreben uns, die philosophischen Wissenschaften zu ergrüns den, aber bei euch behandelt man dies Alles als alten Weibers schnack. Seht, seit mehreren Jahren lebe ich zu Paris in den vornehmsten Kreisen der Gesellschaft; ich bin in nchere Berüh rung gekommen mit Söhnen Französischer Pairs, mit Banquiers von der Chauffée d'Antin, mit jungen Mannern aus der Vors ftadt St. Germain, mit Advokaten, mit Präfekten, die ihren Abschied erhalten haben, mit Mitgliedern des Jockey Klubs, genug, mit den ausgewähltesten und hervorragendsten Personen in der jeßigen bürgerlichen Gesellschaft. Nun wohl, fraget, was wiffen sie? Herzlich wenig, in der That. Fröhliche Leute sind sie der Mehrzahl nach, liebenswürdige Schwager, überluftig, wenn fie nicht im Uebermaße von der Melancholie ergriffen sind, die ein beißendes, treffendes, geißtreiches Wort über alle denkbare Gegenstände vorbringen können, aber stocken und überrascht sind, wenn man nur ein klein wenig tiefer einzugehen versucht, sich lustig über euch machen, wenn ihr den Faden einer ernsten Unters baltung fortspinnen wollt, ungeheure Abgeschmacktheiten zu Lage fördern, wenn sie euch die Ehre erzeigen, euch auf diesem neuen Gebiete zu folgen, und sich aus ihrem überschwenglichen Unsinn durch ein beißendes Wortspiel herauszuretten wiffen. Sie find gleichzeitig geistvoller und unwissender als wir, und es erfüllt mit wahrer Trauer, wenn man sieht, wie so herrliche Geistesgaben in baaren Rauch aufgehen.

So sprach mein Russischer Edelmann, fog mit langen Zügen den Rauch einer Havannah Cigarre ein und schien außerordents lich zufrieden mit feiner Pleinen Rede. Es war eine schlechte Sache, für die ich kämpfen sollte, weil ich im Grunde in den meisten Punkten seine Ansicht theilte. Ich gestand es ihm offen ein und sagte ihm sodann, er würde besser gethan haben, nach der Akademie der Wissenschaften und dem anatomischen Theater in der medizischen Schule zu gehen, als nach dem Café de Paris und dem Jockeys Klub: er würde den Zustand der geistigen Bil dung im heutigen Frankreich besser kennen gelernt haben. In Betreff der Geschichte, feßte ich hinzu, begreife ich sehr wohl, daß ihr mit der unfrigen vertrauter seyd, als wir mit der eurigen, die wir beinahe gar nicht kennen; denn man widmet eine ernstere Forschung nur der Geschichte derjenigen Völker, die auf die Forts fchritte der Civilisation einen erheblichen Einfluß ausgeübt haben, und wir haben Niemand kann es in Abrede stellen - einen bedeutenden Plaß auf diesem Gebiete seit Karl dem Großen auss -gefüllt; und ihr, wo waret ihr, was thatet ihr vor Peter dem Großen? Wer sollte sich damit abgeben, die Geschichte der nos madischen Tataren zu durchforschen? Haben sie etwa eine Ges schichte? Und wenn sie eine haben, was liegt daran? Was die philosophischen Wissenschaften betrifft, so haben wir so viele Systeme über einander stürzen sehen, daß uns wohl ein Widers wille gegen Alles, was dorthin gehört, hat befchleichen können. Die Philosophen find Leute, welche fich auf gelehrtere Weise tauschen und anständiger in der Jrre umberwandeln, als das ges

Le Semeur, Journal religieux, politique, philosophique et littéraire. VIII, 1. 2 Janv. 1830.

1839.

meine Volk; aber in der Mehrzahl der Fälle sind sie nicht minder plump und hegen überdies noch das Vorurtheil, daß die hochs trabenden Worte, deren sie sich bedienen, tiefe Wahrheiten in sich schließen.

Das Gespräch dauerte geraume Zeit, und der Ruffische Herr, welcher unsere Sprache fast eben so gut redete, als es nur irgend ein Mitglied der Französischen Akademie vermag, bewies "mir durch zahlreiche Beispiele, daß er nicht Unrecht habe, wenn er uns die Oberflächlichkeit unseres Geistes und unseres wissenschafts lichen Treibens zum Vorwurfe mache. Uebrigens müssen wir eingestehen, so schwer es auch unserem Stolze werden mag, daß dies die allgemeine Ansicht ist, die sich im gesammten übrigen Europa von uns gebildet hat. In der Schweiz pflegt man zu fagen: das ist ganz Französisch, um geringhaltige Meinun gen, ungenaue Behauptungen, voreilige Urtheile, Widersprüche zwischen dem Anfang und dem Ende einer Rede oder auch nur eines Saßes zu bezeichnen. Es ist allerdings wahr, daß die Schweizer kein Wigwort so geschickt au spisen verstehen (Uhland's Ausdruck hat sich wohl das Bürgerrecht erworben), noch eben so angenehme Dinge über Nichts zu sagen wissen; aber fie siehen die Logik der Rhetorik vor, den gefunden Menschens verstand den schönen Worten. Ich theile im Allgemeinen ihre Ansicht

Die Deutschen behandeln uns noch schlimmer, indem sie von dem Gipfel eines Berges ihrer mit lauter Gelehrsamkeit gespickten und vollgepfropften Bände auf uns herabblicken. Sie rühmen sich, von uns nichts weiter zu entlehnen, als unsere komischen Opern, unsere Lustspiele und unsere Köche, unserer Tanzmeister nicht zu gedenken; im Uebrigen aber sehen sie auf uns mit einem wahren Herrscherstolze herab. Die Wissenschaft ist, wenn man sie hört, nur ihr Reich; sie überlassen uns das des Geistes, aber welches Geistes? Die Deutschen können Recht haben, aber sie würden diesem Rechte nichts vergeben, wenn sie mit etwas größerer Bescheidenheit auftråten. Sind wir allzu oberflächlich, fo find fie dafür häufig zu massiv, und Alles zusammengenoms men, haben wir einen weit bedeutenderen Einfluß auf sie auss geübt, als sie ihrerseits auf die gesammte übrige Menschheit. Auch übertreffen wir sie noch jest in diesem Punkte, weil sie sich nur allzu häufig in leeren und unverständlichen Theorieen erger hen, während wir die praktische Seite der Dinge beffer aufzus fassen wissen.

Wie dem aber auch seyn möge, der Vorwurf der Oberfläche lichkeit ist da, und wir müssen ihn annehmen. Unsere eigenen Mitbürger, sobald fie nur einigermaßen nachzudenken und zu beobachten befähigt find, betrauern die immer mehr und mehr fich fühlbar machende Abwesenheit jener kräftigen, ernsten, ger wissenhaften, ausdauernden Studien, welche erhabene und zugleich gehaltvolle Geister hervorbringen. Man sucht in seiner umges bung, in Paris und in den Provinzen Männer, welche durch ausdauernde und anhaltende Forschungen gründliche Kenntnisse in den philologischen, historischen, theologischen, metaphysischen Wissenschaften, oder selbst nur in der Literaturgeschichte, sich ers worben haben, und man finder deren nur in immer abnehmender Anzahl. Im Allgemeinen weiß man viel Dinge in Frankreich, aber man weiß sie schlecht und oberflächlich. Eine Masse von Leuten versteht es, über jedweden Gegenstand zu sprechen, fo sagte der Russische Edelmann, aber wie und auf welche Art sprechen sie darüber? wie tief dringen sie ein? Die Liebenss würdigkeit läuft auf den Straßen umher, wo aber bleibt das ges lehrte Wiffen? Es ist im höchsten Grade auffallend, daß bei uns das Genie vielleicht weniger selten ist, als eine wahrhafte Auss bildung der geistigen Fähigkeiten. Die Gelehrten_find_todt!*)

Doch muß man Ausnahmen zugestehen. Die Naturwissens schaften und die Mathematik werden mit Sorgfalt bearbeitet und dhlen ausgezeichnete Schüler auf ihrem Gebiete. Wir haben in diesem Jahrhundert große Geologen gehabt, tiefe Mathematiker, ausgezeichnete Naturforscher, berühmte Aerzte, Manner endlich von hervorragendem Verdienst in allen positiven Wissenschaften, in der materiellen Grundlage der menschlichen Erkenntniß. Auss gezeichnete Studien macht man in der Polytechnischen Schule,

*) Doch Letronne und einige feines Gleichen ausgenommen, namentlich Orientalisien, wie Silv. de Sacy, Champollion (die freilich todt sind), Eugène Barnouf u. m. N.

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Hier stellt sich uns ein Zusammentreffen dar, nach dem ich nicht suchte, welches aber dennoch hervorgehoben zu werden vers dient. Der Französische Geist beginnt gerade in derjenigen Zeits epoche oberflächlich zu werden, in welcher der religiöfe Glaube abnimmt und verlischt. Zu derselben Zeit, wo die Seelen nicht mehr dem Christenthume angehören wollen, weigern fich die Geister, sich ernsten Studien hinzugeben. Mit dem Evangelium. wirft man auch die wahre Wissenschaft fort, und es scheint, als ob der Unglaube die Oberflächlichkeit in jeglichem Dinge zur Folge hat. Diese Zusammenstellung widerspricht einer bei uns fehr in Gunst stehenden Meinung, welche der Fortschritt des Sceptisismus dem Fortschritte der Auffidrung zuschreibt; aber dies ist nicht meine Schuld. Die Geschichte ist da, welche diese Thatsache beglaubigt, und es würde vielleicht nicht schwer halten, sie genügend zu erklären, waren hier der Ort und die Zeit dazu.

Die politischen Umwälzungen am Schluß des achtzehnten Jahrhunderts haben redlich dazu beigetragen, unfere Studien zu verflachen. Ein Jeder beschäftigte sich mit dem, was sich auf den öffentlichen Plazen zutrug, anstatt friedlich in seinem Hause mit den guten Schriftstellern der alten und neuen Zeit zu leben. Da Alles und Jedes tagtäglich in Frage gestellt war, so fühlte man weder die Lust, noch hatte man den Muth oder die Kaltblütigkeit, welche erforderlich find, um den Wegen nachzuforschen, welche die Menschheit früher eingeschlagen hat. Die Geschichte des vors hergehenden Lages und die Furcht vor dem kommenden ließen feinen Raum für die ruhigen Forschungen auf dem Studirzimmer. Die Gegenwart verwischte die Vergangenheit, indem sie sämmts liche Krafte der Intelligens aufsehrte; und da diese Umwälzungen, mit Unterbrechungen von kurzer Dauer, feit einem halben Jahr hundert fortwähren, so hat man sich daran gewöhnt, schnell zu studiren, d. h. schlecht zu studiren, um alle seine Aufmerksamkeit auf die Zustände der Gegenwart verwenden zu können. Das Fittliche Leben des Einzelmenschen ist von dem Fieber der burgers lichen Gesellschaft angesteckt worden. Aber die Wissenschaft bes quemt sich diesem Fieber nicht an: fie verlangt Rube, Zufriedens heit des Geistes und Herzens, eine Art von Theilnahmslosigkeit, wenn man so fagen darf, an Allem, was nicht sie selbst ist. Fin det die Wissenschaft den Menschen nicht in diesem Zustande, so. zieht sie sich zurück, oder vielmehr sie kommt nicht.

Nicht allein die politischen Ereignisse haben die Gemüther au sehr für die Thatsachen in Anspruch genommen, von denen die Straße und die Klubs erfüllt waren, sie haben auch jene un ermeßliche Anzahl von Tagesblättern hervorgerufen, die gewöhn

tägliche Brod für alle Welt, das eine festere geistige Nahrung verschmähen heißt. Der Journalismus ist sehr oberflächlicher Natur, er fann selbst nicht anders seyn; er behandelt alle Ges genstände im Fluge und in einigen wenigen Zeilen, fehrt jedes Ding nach allen Richtungen hin in einer Viertelstunde um: der Journalismus hat sich daher auch ein Volk nach seinem Bilde geschaffen. Wir beschränken uns hier auf die Bemerkung, daß ihm mehr als irgend einer anderen Ursache der Geist der Obers flächlichkeit beizumessen ist, welcher jeßt das Französische Voll charakterisirt.

Endlich das Leben in den Kaffeehdusern und in den Gefells schaftszimmern, in den Theatern und an den öffentlichen Vers gnügungsörtern, hat in unseren Tagen übermäßig um sich ges griffen. Man hat sich immer mehr und mehr von dem Umgange mit sich selbst losgerissen, um sich ohne allen Rückhalt in die Ges sellschaft der Außenwelt zu begeben. Man hat die Bücher vers laffen, jene alten treuen Freunde, die uns stets ihre guten Dienste leisten, und hat sich minder beständigeren, wankelmüthigeren Freunden hingegeben, die aber belebter sind, geräuschvoller, die der Seele lebhaftere Zerstreuungen gewähren. Daher nur zwei Folgen, deren eine so unangenehm ist, wie die andere: erstlich, man hat weniger gelesen und also weniger gelernt; zweitens, man hat sich Mühe geben müssen, dahin zu kommen, daß man über Alles mitreden und sein eigenes kleines Ich bei jeder Ges legenheit zur Schau tragen kann. Sollte es daher auffallend feyn, daß wir so oberflächlich geworden find? Staunen kann man nicht darüber.

Die Ursachen des Gebrechens geben zugleich die Mittel zur Heilung an die Hand. Es würde eine doppelte Arbeit seyn, die Lesteren zu entwickeln; der Leser wird leicht den Mangel zu ers ganzen im Stande feyn.

Das Bagno zu Brest. (Fortseßung.)

Den Reglements zufolge, follen die Stråflinge so viel wie möglich von den anderen Arbeitern getrennt werden; aber in der Wirklichkeit gestaltet fich die Sache ganz anders, und in den meisten Fällen ist es unmöglich, eine so gefährliche Berührung zu verhüten, so lange man die Straflinge zu den Arbeiten im Arsenale verwendet. Wenn ein Schiff ausgerüstet werden soll, fo wird augenblicklich eine Schaar Sträflinge an Bord deffelben gefchickt, und diese drängen sich unter die Seeleute, ohne daß die Wachsamkeit der Aufseher dies verhüten könne oder vielleicht auch nur wolle. Man begnügt sich, ihre Entweichung zu verhindern. Ein Sirdfling fagte einft zu einem Matrosen: Mein Sklavens dienst dauert noch drei Jahre, der Deinige hört nie auf." Uebers all im Hafen sieht man Galeerensklaven; zur Behauung der Steine, zur Reinigung des Hafens, sur Transportirung der Baus materialien, zum Sagen des Holzes ist eine große Menge ders felben erforderlich. Andere sind in den Werkstätten beschäftigt, denn man findet unter ihnen natürlich geschickte Arbeiter jeder Art, die dann auch verhältnismäßig bezahlt werden. Zuweilen kommt es sogar vor, daß hier nicht unwichtige industrielle und mechanische Erfindungen gemacht werden; und ganz kürzlich noch haben zwei Galeerensklaven Herrn Arago eine Maschine übers sendet, welche bestimmt ist, die Explosion der Dampfkessel zu vers hindern; die Akademie hat sich zu Gunsten dieser Erfindung auss gesprochen. Die Strdflinge werden auch in den Schmieden ges braucht, und man kann in der vollen Bedeutung des Wortes von ihnen fagen, daß sie ihre Ketten selbst schmieden. Noch auffallens der ist es vielleicht, daß die Krankenwärter des Marine-Hospitals, die Köche, die Gärtner u. f. w. aus ihrer Mitte genommen wer den. Die Menschlichkeit kann gewiß gegen eine Erleichterung der Strafe nichts einwenden, aber ein gewisses Maaß müßte doch hierbei gehalten werden. Als Krankenwärter find fie allerdings vortrefflich, und in der Zeit der Cholera haben sie Beweise des höchsten Muthes und der größten Aufopferung abgelegt, aber dennoch ist es gefährlich, diesen Menschen einen so weiten Spiels raum zu lassen. Dies beweist ein Vorfall, der sich vor nicht lans ger Zeit zugetragen hat. Joseph Bodelet, der wegen der Ermors dung seiner Frau eingezogen worden war, und der im Hospital das Amt eines Koches versah, schnitt der Schwester Saints Malch mit dem Meffer, welches diese ihm übergeben hatte, den Kopf ab. Sie fiel als Opfer ihres Vertrauens oder vielmehr ihres Bestrebens, die Beamten zufrieden zu stellen, denn diese waren alle Verehrer der Kunst dieses Vatel, der früher im Dienste des Herzogs von Bourbon gestanden hatte. Dics Beispiel ist freilich das einzige der Art.

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Die Straflinge werden im Allgemeinen nur als Instrumente, als Tagelöhner im Dienste der Marine Beamten betrachtet. Ran nuse ihre Fähigkeit so gut wie möglich, aber der moralische Gefichtspunkt bleibt ganz außer dem Spiele. Wenn ihr Betras gen aufriedenstellend ist, so werden sie wohl belohnt, aber das bangt größtentheils von den Launen des Zufalls ab. Für die moralische Befferung der Uebrigen forgt man nicht, se vegetiren, wie es eben geht, und mögen sich nach Belieben beffern oder noch tiefer finden. Man ist nur auf der Hut vor ihnen und schmiedet fte wie die wilden Thiere an. Im Jahre 1828 tam man auf den glücklichen Einfall, fie in verschiedene Klassen abzutheilen. Damals gab es einen Prüfungssaal, in welchen diejenigen uns tergebracht wurden, die sich durch ihr gutes Betragen auszeich

neten; das wurde indek bald wieder zu umständlich befunden. Was fragt man auch im Bagno nach moralischen Rücksichten? Und wie sollte man am Ende unter dreis bis viertausend Menschen einen Jeden im Auge behalten und ihm seine bestimmte Stellung anweisen können? Jest find Alle ohne Unterschied unter einans der gemischt. Nur der Saal der Invaliden, in welchem die Al ten und Gebrechlichen hausen, macht eine Ausnahme. Dieser Saal macht unzweifelhaft den schmerzlichsten und peinlichsten Eindruck. Da ist ein wirres Durcheinander von gebrechlichen Greisen, Verstümmelten, Amputirten, welche die Verzweiflung und Gewissensbiffe in einen Zustand thierischer Verdumpfung verseßt haben. Der Eine komme lachend, fingend den Eintretens den entgegen: das ist ein Vatermörder. Ein Anderer, der traus rig und niedergedrückt dasist, hat seinen jeßigen Aufenthalt der Freiheit vorgezogen, denn er hat keine Familie mehr und ist uns fähig zu jeder Arbeit. Ein Dritter, den der Wahnsinn noch nicht ergriffen hat, ist eine Beute der wüthendsten Verzweiflung. Welches Bild des Elends! An jedem Tage rafft der Tod ein Opfer hinweg. Sein Name wird dann in die Todtenliste einges tragen, und damit ist Alles abgemacht. Ein berühmter Arzt, der neulich diesen Saal besuchte, dußerte: "Ich habe Jaffa, die Schlacht au der Moskwa und Waterloo gesehen, aber dieser Ans blick übertrifft) Alles." · Lange Zeit waren diefe Unglücklichen ganz unbeschäftigt, jest läßt man sie spinnen,, Wolle kragen u. f. w. Des Morgens verlassen alle Sträflinge die Såle, um je nach den Bedürfnissen des Arsenals verwendet zu werden. Die Art und Beschaffenheit der Arbeit sind nicht fest bestimmt, sondern hängen von den Anforderungen des Augenblicks ab. Die Galees rensklaven find in verschiedene Compagnieen abgetheilt und marschiren immer zu zweien. Ihre Bekleidung ist häßlich, aber bequem, sie besteht aus einer Müße, einem Kittel, weiten Beins kleidern von Leinewand oder von grobem Tuche. Die Farbe ist häufigen Veränderungen unterworfen gewesen; jezt ist sie roth, gelb und grün. Die Beinkleider find gelb, der Kittel_roth_und die Aermel, Aufschläge oder Kragen gelb, um die zweimal Vers urtheilten, die lebenslänglich Gefangenen und die Verdächtigen unterscheiden zu können. Die auf eine bestimmte Zeit Verurs theilten tragen eine roche Mäge, die lebenslänglich Verurtheilten und die Verdächtigen eine grûne.

Der Arbeitslohn steht im Verhältniß zur Beschaffenheit der Arbeit. Die Tagelöhner erhalten fünf bis fünfunddreißig Cens imen, die Arbeiter den fiebenten Theil des Lohnes der freien Arbeiter.

Wie schrecklich nun auch der Zustand der Galeerensklaven sey, so muß man doch anerkennen, daß die Verwaltung Manches gethan hat, um eine Verbefferung ihrer Lage vorzubereiten; nur Schade, daß die Grundlage, auf der das ganze Gebdude ruht, so schadhaft ist und eine Ausbefferung im Einzelnen nicht viel helfen kann. Eine sehr zweckmäßige Einrichtung war die Anles gung einer Sparkasse für die auf eine bestimmte Zeit Verurtheils ten, und es wäre nur zu wünschen, daß diese Wohlthat auch den auf Lebenszeit Verurtheilten zu Gute käme, denn auch sie dürfen eine Wilderung ihrer Strafe hoffen. Die aus dem Bagno Ent laffenen erhalten eine Summe von 20 Franken; der Ueberfluß ihrer Ersparnisse wird den Maires der Gemeinde überwiesen, in welcher fie ihren Aufenthalt nehmen.

Die Bewachung der Gefangenen ist besonderen Beamten anvertraut, welche,,gardes - chiourmes" heißen. Sie haben eine militairische Organisation und werden gut befoldet. Ihre Anzahl hängt von der der Straftinge ab, und auf sehn kommt immer ein Aufseher. Dieselben sollten eine große fittliche Kraft haben und von energischem Charakter seyn, aber gewöhnlich wirkt der beständige Umgang mit den Strdflingen ungünstig auf sie ein, und sie sind nur zu häufig die Mitschuldigen derselben, sehen ihnen ihre schlechten Streiche nach oder befördern wohl gar ihre Entweichung. Ihre Aufgabe ist übrigens eine sehr schwierige, denn sie müssen immer unter den Sträflingen seyn oder gar sie an abgelegene Derter geleiten und beständig vor den rachsuchtigen Planen abgehärteter Verbrecher auf ihrer Hut seyn. Viele Wächter gehorchen daher auch vielmehr dem Triebe der Selbsts erhaltung als der Pflicht. Noch kürzlich wurde ein Wächter wes gen eines groben Vergehens bestraft. Da er Zutritt in ein Bür reau hatte, so war es ihm gelungen, eine Menge Reiserouten zu entwenden, die er den Sträflingen das Stück zu 50 Franken vers kaufte. Diese Veruntreuungen fonnten zahlreiche Entweichungen zur Folge haben, denn die Straflinge werden weniger durch die materiellen Schwierigkeiten als durch die Unmöglichkeit, sich den Nachforschungen der Polizei zu entziehen, zurückgehaiten. Da die Straflinge sich beständig im Arsenal aufhalten, so keunen sie auch alle Schlupfwinkel und Auswege; fie haben tausend Geles genheiten, sich mit ihren Helfershelfern zu verabreden und die Matrosen und Arbeiter zu verführen. Von ihrer List ist es schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Sie selbst behaupten, daß ein Jeder von ihnen jährlich seinen Entweichungstag hat, und daß seine Gefährten ihn dabei unterstüßen müssen. Zemand erzählte mir, daß er einst aus dem Fenster den Sträflingen zusah, die im Baffin des Hafens beschäftigt waren. Plöglich bemerkte er unter ihnen einen vollständig ausgerüsteten Soldaten. Die Sträffinge festen rubig ihre Arbeiten fort, und der Soldat aus dem Steg reife war im Begriff, das Arsenal zu verlassen, als ihn ein Wächter erkannte. Die Umwandlung war so schnell vor sich ges gangen, daß derjenige, welcher die Gruppe unausgescht betrach tete, fie gar nicht wahrgenommen hatte.

(Schlus folgt.)

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La chambre des poisons.

Aus dem

Annuaire général du commerce judiciaire et administratif de France et des principales ville du monde; pour 1839. Bon Ch. Lamy. 12 Fr. Geschichte aus der Zeit Ludwig's XIV. Bon P. L. Jacob. 2 Bde. 15 Fr. Histoire du droit romain au moyen âge. Par M. de Savigny. Deutschen überseßt von C. Guenour. 3 Bde. 21 Fr. Le livre du roy Modus et de la royne Racio. Neue, nach den Handschriften der Königl. Bibliothek veranstaltete Ausgabe; mit Verzierungen, treu nach den im Manuskript befindlichen Vignetten gearbeitet. Bon lzear Blaze. 50 Fr.

Rußland.

Russische Volksberedsamkeit.

III. Der Jämschtschik (Postillon).

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Die Beredsamkeit unserer Deutschen Fuhrleute steckt fast eins zig und allein in ihrer Veitsche, deren Getnall ihr Hauptgespräch mit den Pferden ist. Diesen Luxus des Knallens kennt man in Rußland durchaus nicht, denn hier giebt es nirgends eine solche Vorrichtung an den Peitschen, die Knall Effekt zu machen bes stimmt ware. Ueberhaupt macht der Russische Fuhrmann sehr wenig Gebrauch von seiner Peitsche, und man muß gestehen, daß, wenn die Russischen Pferde auch sonst nicht besonders afrtlich ges pflegt und verwöhnt werden, vielmehr ein sehr hartes Leben has ben, man sie doch auch nie mit unbarmherzigen Schlägen peinigt. Gewöhnlich bedient sich der Russische Jämschtschil (Fuhrmann, Postillon) bloß der Rede, um seine Pferde aufzumuntern, zu los ben oder zu tadeln, und nie habe ich in Rußland so viele Rache und harte Strafe an den armen unschuldigen Thieren ausüben sehen, wie wohl in anderen Ländern und selbst in unserem Deutschland. Der Schelts und Schmeichelworte hat dagegen der Jamschtschil ein ganzes Wörterbuch voll. Um den Reichthum an solchen Redensarten kennen zu lernen, muß man durch ganz Rußland gereist seyn, denn jeder Postillon hat wieder seine eiges nen Lieblingscusdrücke. Sie sind aber alle in demselben Geiste, und um diesen kennen zu lernen, reicht es hin, daß wir nur eine Station mit einem solchen beredten Jämschischik fahren. Er wird uns genug Unterhaltung gewähren. Obgleich es schlecht Wetter ist, wie sollte es nicht schlecht Wetter in Rußland seyn? obgleich es stürmt, regnet und zwischen durch auch schneit und wir Passagiere uns in warme Pelse hüllen, so hat unser Jämschtschik doch fast nichts als sein Hemd auf dem Leibe. Wir wundern uns darüber. Er sagt aber: ,,Nitschewo fs',” (Thut nichts, mein Herr) besteigt den Bock, wo er mit einem Zipfel des Hafersacks oder einem Stück Matte, das er zufällig finder, feine Glieder nothdürftig bedeckt. Er ordnet die Bügel, deren für vier Pferde immer ein Dußend da ist, steckt eine Peitsche, die er nicht nöthig hat, unter den Siß, zieht sich den noch vorhandenen Rest seiner Hutkrampe gegen die Windseite herum, denn dieser 6 Zoll lange und Zoll breite Flicken bils det sein einziges Schuß und Wetterdach, blickt dann noch ein Mal nach den Passagieren um, und findet er Alles in Ordnung, fo ruft er seinen Pferden au:,,Stepaitje fs' bogom! (Nun fort, Kinder, mit Gott!) Lauft, lauft, ihr Freundchen, damit uns die Herren ein gutes na tschaju (,,3um Thee" Trinkgeld) geben!" Und nun hört bis zur folgenden Station sein Gerede mit den Pferden, fein Pfeifen und Lärmen nicht wieder auf.,,00 recht, ihr Burschen, so recht! Schüttelt euch, ihr kleinen Pagen, Hallo! Ihr Freunde, vor! vor!" Dann aus dem Schmeichelton zum Schelten kehrend:,,Nun! nun! rascher, ihr alten Weiber! Was stolperst du, Brauner. Nimm dich beffer in Acht! Warum brauchst du deine Augen nicht. Was? Schwarzer? Scheuft_Du dich? Sen kein Narr! Ich seh kein Gespenst." Bei schlechten Stellen des Weges und wo es bergan geht, beginnt er mit Pfeifen, Schnalzen und Schreien, mit Händen und Füßen einen folchen Larm, als wollte er den Pferden weis machen, daß der Böse felber hinter ihnen fäße. Zuweilen auch sagt er ihnen, er wolle ihnen ein Lied vorsingen, und dann läßt er oft eine halbe Stunde lang unermüdlich einen Gesang nach dem anderen ertönen, troß Sturm und Schnee. Wenn ein Strick reißt, spricht er, vom Bock steigend: „Ach, du verwünschtester Strick, dein Vater war ein Bagabund und hat dann dem Stricke während des Fests bindens noch so viele Vorwürfe und so viele gute Rathschläge zu geben, daß, wenn der Strick Ohren hätte, er gewiß sich nicht wieder unterstehen würde, zu reißen.

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Die Russischen Pferde sind so unermüdlich wie die Jämschs tschil's, und man hat oft genug zu thun, beide in den Gränzen eines gemäßigten Gallops zu erhalten. hat man dem Postillon endlich streng verboten, nicht so schnell zu fahren, so findet er sich eine Weile darein und fährt langsamer, besonders, wenn die Wege etwas schlecht werden. Kaum aber kommt wieder eine erträgs liche Stelle, so dreht er sich um, nimmt seinen Hut ab und bittet

mit der schmeichlerischßen Miene von der Welt:,,last mich doch los, Bdterchen. Die Wege find ja se schön." Und sobald er bie Einwilligung bat, mendet er fich zu feinen Pferden: Jachbe! Ihr Freundchen, frisch! Ihr Barbaren! Bald find wir auf der Station. Nur noch diesen kleinen Berg hinauf und noch diesen hinab! Fürchtet nichts! Schüttelt euch! So! und nun noch den lezten Berg hinauf. Noch ein Bißchen! und noch ein Bißchen! So! Brrrr!"

Ich muß gestehen, als ich dies Brrr auf der leßten Station des Russischen Reichs hörte, und als ich dann einem grämlichen, eigensinnigen, unzufriedenen und betrügerischen Brunner Lohns kutscher ausgeliefert wurde, ich nicht ohne Wehmuth an jene lußtis gen, unermüdlichen, willigen und beredten Jdmschtschils zurücks denfen konnte, die, ohne sich mit einem Worte zu beklagen, auf tausenderlei Weise für den Reisenden sich abplagen und ihm am Ende noch für die geringste Kleinigkeit den unterthänigsten Dank fagen.

IV. Die Steppen und Russija.

Nie ist der Russe beredter, als wenn er von seinem Vaterlande spricht, d. h. der gemeine Ruffe, und zwar auch nur der Großrasse, der echte Moskowite. Ich traf ein Mal mit einem solchen in den Süd-Ruffischen Steppen zusammen, wo er sich niedergelassen hatte. Ich fragte ihn, wie ihm das Land gefiele.,,Ach, Herr, antwortete er,,,was kann hier gefallen?"-Ist denn Euer Rußland beffers" Unser Ruffija? Ruffija? Wie follt's nicht beffer seyn." Ich sah, daß er sich erzürnen wollte, und um ihn nicht abzuküh; len, hielt ich ihm das Widerpart und fragte:,,Wie so denn?" -,,, in Ruffija, Herr, da ist von Jeglichem Jedes, und hier ist ja von Allem Nichts. In Russija ist das Brod beffer, die Häuser besser, das Land beffer, der Schnee besser, der Sommer und Winter und alle Jahreszeiten beffer. Da ist Berg, Thal, Wald, Wiese, Brunnen, Quellen und Flüsse, Alles in Fülle. Alles wechselt ab, und Alles ist so schön. Im Lande fließen große schöne Ströme, und vor allen die prachtige Mutter Wolga mit allen ihren Kindern. Die Wälder find groß und prächtig, die Eichen, Linden, Buchen, die Tannen und Fichten, alle bis zum Himmel! Und in den Bäumen fingen Vögel von jeder Art. Der eine fo, der andere fo." (Er pfiff dabei den Nachtigallen und Lerchen nach.),,Ach, und in den Wäldern, welche Luft voll Wohlgeruch!" (Dabei fächelte er sich die Luft zu und athmete sie so begierig ein, als wenn sie mit lauter Veilchenduft geschwans gert wäre). ,,Und wie nahe ist Dir das Alles. Siehe! Hier ist Deine Hausthür, Du machst sie auf, - trittst heraus, und da bist Du gleich mitten im schönen Walde" (Hier hielt er mich bei der Hand, und ich mußte stehen bleiben, als wenn ich die Hausthür wäre. Er aber trat einige Schritte in das hohe Gras hinein, als wenn es der Wald wäre).,,Welche herrliche Musik im Walde", sagte er dann,,,und wie die Sonne durch die Blätter scheint. Und im Rasen des Waldes auf dem Boden blühen und reifen allerlei Beeren um Dich her. Erdbeeren, Herr, so schöne, kleine, süße. Wilde Himbeeren und Brombeeren von jeglicher Art so viele, viele, als Du nur wünschen kannst. Du kannst Dich niederlegen, wo Du nur willst, und rund um Dich herum pflücken, ohne anders als satt wieder aufzustehen." (Dabei warf er sich gar ins Gras und rupfte rund umher die Halme, als wenn es Erdbeeren wären. Und ich glaube, wenig fehlte, so hatte er sie auch noch gegessen, um mir zu zeigen, wie füß und schön die Russischen Erdbeeren zu effen wären.),,Auch Pilze find in Rußland von allen Sorten und in großer Menge. Man fåttert bei uns die Schweine damit, doch giebt es auch schöne Arten für den Menschen. Gras und Heu, das ist noch das Einzige in diesem Steppenlande, überall Gras und nichts als Gras. Und selbst auch dies Einzige, was sie haben, wie schlecht ist es! Holzig, struppig und den größten Theil des Jahs res faftlos und vertrocknet. Bei uns hat's auch Gras, aber so hoch bis zu meiner Bartspise! Und was für Gras? grünes, feines, faftiges und füßes. Daß Gott erbarm! die Kühe werden ganz fett davon und so dick. Seht, und in dem Allen mitten drin liegt unsere Moskwa, die vor allen prächtige und heilige Stadt, mit tausend grünen Kirchen-Kuppeln und hundert silbernen und goldenen Thurmspißen. Wie ich sage, dort ist von Jeglichem Jedes; Und fagt mir, was ist hier? - O, Russija ist gewiß das erste und beste Land weit und breit. Wenn wir jest in Ruße land gingen, wie würden wir schön spazieren! Bald an einem Bache, bald in einem Gehölze, bald durch ein Dorf. Und hier müffen wir ein Paar Stunden, wie die Wachteln, schnurstracks im Grafe hinftreichen, bis wir unser Haus erreichen. Ueberall Gras und Gestrupp. Die Sonne brennt uns auf den Kopf, und kein Baum giebt uns Schatten. Und wenn jene Wolke dort uns Regen und Wind geben wird, haben wir nicht einen Hügel sum Hinterstehen. Und wenn uns auch die Zunge am Gaumen Plebt, der Boden giebt uns nicht ein Erdbeerlein zum Erfrischen."

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Reden und pantomimische Darstellungen dieser Art vernimmt man. außerst häufig von den gemeinen Russen. Freilich läßt sich dergleichen nur unvollkommen auf dem Papiere wiedergeben. Besonders bei Naturschilderungen sind die Ruffen_so_lebhaft und imitativ, daß man nicht wenig durch sie in der Erkenntniß und Auffassung der Natur profitiren kann.

Nummern. PränumerationsPreis 22 Sgr. ( Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er. höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 31.

Magazin

für die

Beiblatt der Allg. Pr. Staats.
Zeitung in Berlin in der
Expedition (Friedrichs-Straße
Nr. 72); in der Provinz so
wie im Auslande bei den
Wohlöbl. Post - Aemtern,

Literatur des Ausland e s.

Berlin, Mittwoch den 13. März

Belgie n.
Antwerpen.

(Nach der Quarterly Review.)

1839.

Unter dem wohlthätigen Einflusse dieser städtischen Verwals tung vergrößerte sich Antwerpens Wohlstand zusehends; aus allen Ländern Arömten Fremde herbei, um sich dort niederzulassen, und man sah sich daher im Jahre 1201, unter Heinrich I., Herzog von Brabant, genöthigt, den Umkreis der Stadt zu erweitern. Die zweite Vergrößerung fand 1304, unter Johann III., gleichs falls Herzog von Brabant, statt; die dritte 1543, unter dem Kais fer Karl V.; die vierte unter dem Könige von Spanien, Philipp II., und die fünfte 1701, unter Philipp V. Auf dem höchsten Gipfel seines Glanzes stand Antwerpen gegen Ende des funf zehnten Jahrhunderts; damals soll der Zusammenfluß von Schif

von anderthalb Meilen von der Stadt an bis jenseits der Haide von Hoboken einnahmen; man hat noch jezt eine Flamische Res densart, die aus jener Zeit herstammt: „Ich wünschte, du warst in der Haide von Hoboken", denn die Schiffe, die dort lagen, mußten oft ein halbes Jahr lang warten, ehe sie am Quai von Antwerpen sich vor Anker legen konnten. Dieser blühende Zus stand ist keinesweges übertrieben, er wird durch den Kanzler de l'Hospital bestdtigt, der in seiner Rede vor dem Parlamente von Paris 1560 Antwerpen die reichste Stadt Europa's nennt, und der Prinz von Oranien, Friedrich Heinrich, rief aus:,,Könnte ich Antwerpen nehmen, ich wollte seine Einwohner dergestalt ers niedrigen, daß sie sich nicht wieder erheben sollten.“

Der Ursprung Antwerpens ist, wie der vieler anderer bes rühmter Städte, in einen geheimnisvollen Schleier gehüllt. Mehrere Schriftsteller behaupten, daß diese Stadt das Atuatucum des Ptolomaus sen; andere, auf Traditionen fußend, schreiben ihren Ursprung einem Riesen, Namens Druon oder Antigon, zu, der zur Zeit Cafar's lebte. Dieser Riese soll von allen Kaufs leuten, welche die Schelde hinab oder hinauf schifften, die Hɗlfie_fen auf der Schelde so groß gewesen seyn, daß fie eine Strecke vom Werth ihrer Waaren als Tribut gefordert haben; wurde er betrogen, so konfiszirte er die Waaren und hieb den Kaufleuten eine Hand ab, die er alsdann in den Fluß warf; daher soll der Name Hantwerpen stammen, den die Bewohner der umliegen den Gegenden dem Schlosse des Riesen gaben. Die Geschichtss schreiber legen die Sage vom Riesen so aus: ein Russischer Edels mann soll sich im Lande angesiedelt, das Schloß gekauft oder erobert haben und seines ansehnlichen Wuchses wegen der Riese genannt worden seyn. Meyer und andere Chronikenschreiber sind der Meinung, Antwerpen leite seinen Ursprung von den Ando: verpiern her, die sich im sechsten Jahrhunderte an den Ufern der Schelde niederließen; Andere wieder behaupten, der Name komme von der Benennung des Flußufers her, früher Werp, jest Werf genannt; also Borcht ant werp ein Schloß am Ufer. Es giebt noch eine andere Erklärung dieses Namens, die auch die richtigste au seyn scheint, ein großer Theil der Stadt, so wie die alte Festung, find auf einem Boden erbaut, der vom Fluffe anges schwemmt wurde, wodurch nach und nach das Ufer sich erweiterte und an Festigkeit zunahm, der Name der darauf erbauten Stadt Pann also ganz gut von den Flamländischen Wörtern an und werpen entstanden seyn. Als man im Jahre 1560 den Grund zum Stadthause von Antwerpen legte, fand man in der Tiefe sehr viel bearbeitetes Holz und Eisenwerk, was für diese Ans schwemmungen spricht und beweist, daß da, wo jeßt der Markts plaß ist, früher gewiß noch das Flußbett war. Antwerpen kömmt unter dem Namen Castrum Antverpis in awei Urkunden vor, die der Fürst von Antwerpen, Robingus, im Jahre 725 ausstellte und wodurch er die Kirchen von St. Peter und St. Paul, die der heilige Armand 641 in dem Theile der Stadt bauen ließ, welcher damals Borcht oder Schloß genannt wurde, dem heiligen Wilis brod schenkte.

Nach drei Jahrhunderten ihres Bestehens hatte diese Stadt schon solche Wichtigkeit erlangt, daß fie die Habgier ihrer Nachs barn erregte. Die Normannen, nachdem sie die Insel Walcheren verwüftet und den Friesen einen Tribut auferlegt hatten, drangen in die Provinz Ryen ein, verheerten Alles mit Feuer und Schwert und brannten im Jahre 837 die Stadt Antwerpen nieber. Dies war der erste Ring in einer langen Kette von Widerwärtigkeiten derselben Art, welche durch die glückliche Lage der Stadt und den Gewerbfleiß ihrer Einwohner herbeigezogen wurden. Man baute die Stadt nach dem Rückzuge der Normannen wieder auf; die Mönche von Epternach stellten die Abtei von St. Maur, den Garten von Affligem und die Kirche von Antwerpen wieder her. Im Jahre 874 aber erschienen die Normannen von neuem, schiffs ten die Schelde unter der Anführung Rollon's hinauf, siedelten fich auf den Ufern der Dyle an und verheerten von dort aus fieben Jahre hindurch die ganze Umgegend. Im folgenden Jahr hundert unterjochten die Könige von Frankreich Antwerpen, das bis 977 in ihrer Macht blicb; dann fiel diese Stadt als ein Theil von Lothringen dem großen Deutschen Reiche zu.

Das eilfte Jahrhundert ist für die Geschichte Antwerpens von großer Wichtigkeit. Schon seit längerer Zeit war der Freiheitss finn in den Einwohnern erwacht; durch die Kreuzzuge, welche die kleinen Flandrischen Barone aus dem Lande entfernten, das fle sonst durch Erpressungen und Gewaltthätigkeiten ausiaugten, ward die Entwickelung neuer Ideen begünstigt, und der Ackerbau und der Gewerbfleiß machten immer glänzendere Fortschritte. Antwerpen riß sich von seinen Unterdrüdern los, erklärte fich zur Republik, feßte eine Stadts Verwaltung ein und ernannte Richter und Magistratspersonen, welchen die Macht zustand, die Bürger zufammenzuberufen und sie zur Vertheidigung gegen den gemein famen Feind zu nöthigen.

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Doch bei all' ihrem großen Wohlstande waren die Einwohner Antwerpens nichts als Fabrikbesizer und Banquiers; der Seehandel wurde allein von den Italiänischen Republiken auss gebeutet, welche durch das Rothe Meer mit Indien und Aegyps ten verkehrten; sie brachten die Asiatischen Produkte nach Ants werpen und vertauschten sie dort gegen die Erzeugnisse des Nors dens, die ihnen von den Faktoren der Hansestädie, welche das Dofterlingsche Haus inne hatten, ausgeliefert wurden. Antwerpen war auf diese Weise die Niederlage der Produkte des Nordens und des Südens. Durch die Entdeckung des Vorgebirges der guten Hoffnung wurde der Verkehr nur noch lebendiger, denn die Portugiesen, welche sich ausschließlich des Indischen Handels bemachtigten, brachten die Produkte ebenfalls nach Antwerpen, wo fie ein Comtoir errichteten, welches noch jest den Namen das Portugiesische Haus führt. Mit den Engländern, deren Gees wesen sich damals noch in der Kindheit befand und die noch keine weite Fahrten unternahmen, war der Handel in Antwerpen ebens falls ziemlich bedeutend, auch sie tauschten daselbst ihre LandesErzeugniffe gegen die Asiatischen Waaren aus. Der Quai, an dem ihre Schiffe anlegten, hieß der Quai der Englander, der Plaß, wo sie ihre Geschäfte abmachten, die Englische Börse, und so werden diese beiden Orte noch jest genannt.

Neben dem Gewerbfleiße gedichen aber auch die Künste. Mathias Bill, Dionys Calvart, Jan Miel, Frans Pourbus, Seghers, Suedre, Floris, Vanaden, beide Teniers, Lulas, Jos hann von Antwerpen, Vandyk, sämmtlich große Koloristen, und der vorzüglichste von Allen, Peter Paul Rubens, machten Flandern zum Italien des Nordens und Antwerpen zum Venedig Flanderns. Auch die Baukunst wetteiferte mit der Malerei und dem Gewerbfleiß, um den Ruhm dieser Stadt zu erhöhen. Es entstanden in Antwerpen Gebäude zur Pracht und zum Nußen, wie das Stadthaus, dieses Volks Louvre, aus vier von Quaders steinen erbauten Flügeln und einem mit verschiedenen Statuen verzierten Giebel bestehend; dann das sogenannte Oosterlingsche Haus, dessen wir schon erwähnt und wo früher die Waaren Nie lage der Deutschen Kaufleute sich befand. Später baute man auch die jeßige Börje, welche den Börsen von London und Amsterdam durchaus nicht nachsteht; aber das merkwürdigste uns ter den neueren Gebäuden ist die prächtige Domkirche, deren Portal und Thurm durch Höhe und geschmackvolle Bauart auss gezeichnet sind und als Meisterwerke gothischer Architektur ges priesen werden. Im Innern derselben trifft man die Schaße der Flamandischen Malerschulen an, unter welchen sich besonders die Werke von Rubens und von Floris auszeichnen. Man sieht unter anderen darin die berühmte Kreuz- Abnahme von Rubens, so wie die Kreuzes Erhöhung, das erste Gemälde dieses Künstlers, welches er gleich nach seiner Rückkehr aus Italien anfertigte.

Antwerpens Glans erlosch aber unter den bürgerlichen Uns ruhen, welche während der Spanischen Herrschaft in Folge der Religionsstreitigkeiten ausbrachen. Schon im zwölften Jahrhuns

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