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M. den 6. Febr. 1775.

Es ist betrübt, die langen Winterabende so allein zu seyn. Mein Sohn, der Magister, ist in der Stadt. Ich kann's ihm nicht verdenken; er findet bei mir so wenig Unterhaltung für seine Gelehrsamkeit, als ich an ihm Liebeswärme für meine Empfindung; und die Collegen um mich her sind und bleiben meine legte Gesellschaft. Wer nach einem kurzen Benedicite von Gewissensfragen und andern Pastoralkleinigkeiten sich nicht zur ausgelassenen Spiel- und Trinkcollation hinseßen, und das Gratias gegen Mitternacht mit Zoten intoniren mag, der muß wegbleiben, wissen Sie, lieber Herr Bruder.

Unsere lehte wichtige Unterredung, als ich das Vergnügen hatte, in so guter Gesellschaft bei Ihnen zu seyn, hat mich auf allerlei Gedanken, und endlich gar zu dem Entschlusse gebracht, Ihnen Beiliegendes zu senden.

Ich hatte damals noch viel zu sagen, aber das Gespräch wurde auf einmal zu gelehrt, und da ich niemals einen Freund von Büchern, am wenigsten von eregetischen, war, bleib' ich meistentheils zurück, wenn meine Gesellen einen Austritt in das so verwachsene Dickicht wagen.

Was kann einem Geistlichen zwar angelegener seyn, als die Auslegung der Sammlung Schriften, woran sein zwiefaches Leben hängt. Bei alle dem hab' ich mich nie genug über Männer wundern können, die sich hinseßen, ein ganzes Buch, ja viele Bücher unsrer Bibel an einem Faden weg zu eregesiren, da ich Gott danke, wenn mir hier und da ein brauchbarer Spruch aufgeht, und das ist wahrhaftig alles, was man nöthig hat.

Der Magister, mein Sohn, wie er vor anderthalb Jahren von Akademien zurückkam, verstand er gewisse Bücher des Alten und Neuen Testaments, über die er hatte Collegia lesen hören,

aus dem Fundament; und zu den übrigen, sagte er, habe er einen Universalschlüffel, daß es ihm bei Gelegenheit, meint' er, nicht fehlen könnte.

Meine Wißbegierde wurde rege, und ich bat ihn, mich in die Schule zu nehmen. Das that er gerne, denn er sticht ge= waltig auf einen Profeffor, consultirte hier und da seine Hefte, und das Dociren stund ihm gar gravitätisch au. Nur merkt' ich bald, daß die ganze Kunst auf eine kalte Reduction hinaus lief. Das that mir leid, und ich wollt ihn überzeugen: im Lebens- und Amtsgange allein lerne man Kernbücher verstehen; gelehrte Prediger sehen just nicht die besten, weil sie niemals fragen: was brauchen meine Zuhörer? sondern: was könnt' ich ihnen aus der Fülle meiner Weisheit, doch unbeschadet der geheimen Sparbüchse (die nun freilich einer wie der andre bei Seite verwahrt) noch alles mittheilen: Ferner sagt' ich ihm: die einzige brauchbare Religion muß einfach und warm seyn; von der einzigen wahren haben wir nicht zu urtheilen: wer will das ächte Verhältniß der Seele gegen Gott bestimmen, als Gott selbst?

Darüber wurde er mürrisch, und ich merkte ganz deutlich, daß er von meiner Urtheilskraft nicht das Beste dachte. Mag er! bis er selbst gescheidter wird. Die Erkenntniß wächst in jedem Menschen nach Graden, die ein Lehrer weder übertreiben soll, noch kann; und den hielt' ich für den geschichtesten Gärtner, der für jede Epoche jeder Pflanze die erforderliche Wartung verstünde.

Doch alles das wollt' ich nicht sagen. Beikommende Auslegungen fordern einen Vorbericht.

Zur Zeit da ich studirte, erklärte man die Bibel zu universal: die ganze Welt sollte an jedem Spruche Theil haben. Dieser Meinung war ich immer feind, weil sie so viele Inconvenienzen und Anstöße in den Weg legte. Nun, wie mein Magister zurückkam, wunderte ich mich, ihn von den schweren Vorurtheilen so frei zu sehn; mein Herz ging mir recht auf, wie ich gerade mit ihm reden konnte, wie er meine Ahnungen durch gelehrte Beweise bestätigte. Doch die Freude dauerte nicht lange. Ich sah ihn mit der entgegengeseßten Thorheit behaftet,

alle dunkle, alle seinem System widrige Stellen zu Localkleinigkeiten zu drechseln. Darüber kamen wir abermals auseinander. Ich glaube die Mittelstraße getroffen zu haben. Hier ist der Deutpfahl dahin.

Das jüdische Volk seh' ich für einen wilden, unfruchtbaren Stamm an, der in einem Kreis von wilden unfruchtbaren Bäumen stund; auf den pflanzte der ewige Gärtner das edle Reis Jesum Christum, daß es, darauf bekleibend, des Stammes Natur veredelte, und von dannen Pfropfreiser zur Befruchtung aller übrigen Bäume geholt würden.

Die Geschichte und Lehre dieses Volks, von seinem ersten Keime bis zur Pfropfung, ist allerdings particular, und das wenige Universelle, das etwa in Rücksicht der zukünftigen großen Handlung mit ihm möchte vorgegangen seyn, ist schwer und vielleicht unnöthig aufzusuchen.

Von der Pfropfung an wendet sich die ganze Sache. Lehre und Geschichte werden universell. Und obgleich jeder von daher veredelte Baum seine Specialgeschichte, und nach Beschaffenheit der Umstände seine Speciallehre hat, so ist doch meine Meinung: hier sey so wenig Particulares als dort Universelles zu vermuthen und zu deuten.

Beikommende zwei Erklärungen, die mir schon vor langer Zeit vom guten Geiste zugewinkt worden, und die ich, je länger ich sie umschaue, desto wahrer finde, werden Ihnen Tiefen der Erkenntniß und Empfindung eröffnen.

Erste Frage.

Was fund auf den Tafeln des Bundes?

Antwort:

Nicht die zehn Gebote, das erste Stück unseres Katechismus! Laßt es euch Mosen selbst sagen. Hier liefre ich einen Auszug seines zweiten Buches.

Die Gesetzgebung beginnt majestätisch fürchterlich, und der Herr spricht von Sinai den Eingang von meistens allgemeinen Wahrheiten, die er bei ihnen, wie bei andern Völkern, gleichsam

voraussetzt; 1 das Volk erschrickt, und überträgt Mose, den weiteren Willen des Herrn zu vernehmen, dem dann Gott fortfährt? seine Gesetze vorzulegen. Moses kehrt zum Volke zurück3 ohne daß der Tafeln Erwähnung geschehen, schreibt alle die Worte des Herrn in ein Buch, das das Buch des Bundes genannt wird, und lieset es ihnen vor. Dann erst spricht der Herr zu Mose: 4 Komm herauf zu mir auf den Berg, daß ich dir gebe steinerne Tafeln und Gesetz und Gebot, die ich geschrieben habe. Er begiebt sich hinauf, und ihm wird die Einrichtung der Stiftshütte vorgelegt; ganz zuletzt aber erst gemeldet: Und da der Herr ausgeredt hatte gab er ihm die Tafeln. Was drauf gestanden, erfährt niemand. Das Unwesen mit dem Kalb entsteht, und Moses zerschlägt sie, ehe wir ihren Inhalt nur muthmaßen können. 7

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Nach Reinigung des reuigen Volks spricht der versöhnte Herr zum Propheten; 8 Haue dir zwo steinerne Tafeln, wie die ersten waren, daß ich die Worte drauf schreibe, die in den ersten waren. Moses, gehorchend, tritt vor den Herrn, preist dessen Barmherzigkeit und ruft sie an. Der Herr spricht: 9 Siehe ich will einen Bund machen vor alle deinem Volk.

Halte, was ich dir heute gebiete!

1.

Du sollst keinen andern Gott anbeten.

Darum hüte dich, daß du nicht einen Bund mit den Einwohnern des Landes machest, noch deinen Söhnen ihre Töchter zu Weibern nehmest; sie würden dich zu falschen Göttern fehren. Eben so wenig sollst du mit irgend einem Bilde was zu thun haben.

1 2. B. Mos. 20, 1—17.

2 Vom 22. V. des 20. Cap. bis zu Ende des 23.

3 24, 3 2c.

4 24, 12.

5 25-31.

6 31, 18.

7 32, 19.

8 34, 1.

9 34, 10 2c.

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