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nicht die in der wirklichen Welt von Gott gewollte und geschaffene Ordnung, nach welcher Alles als Recht der Freiheit, als der vernünftigen Selbstbestimmung überlassen d. h. als erlaubt zu gelten hat, was nicht durch irgend ein Gesez ausdrücklich als verboten und unerlaubt bezeichnet ist, und nicht umgekehrt dem freien Willen Alles untersagt ist, was ihm nicht ausdrücklich zugesprochen wäre auf Grund eines speciellen Gesezes 1). Ist dem aber wirklich so, dann ist mit dieser Erledigung der präjudiciellen Frage zugleich für alle Fälle der obengenannte Rechtsstreit selbst im Princip geschlichtet. Entweder vermag nämlich das Gesetz als der beweispflichtige Theil im einzelnen Falle den ihm zu überbürdenden Beweis wirklich zu erbringen d. h. seine erhobenen Ansprüche auf Bindung der Freiheit und Beschränkung ihres Rechtes der Selbst= bestimmung mit Gewißheit als begründet darzuthun und gegen die etwaigen Einsprüche der Freiheit aufrecht zu erhalten, oder nicht. Wenn ja, dann findet die Freiheit an diesen Forderungen ihre gott= gewollte sittliche Schranke; und das hat noch nie ein Vertreter des probabilistischen Systems, der selbstständig, mit Bewußtsein und aus eigener Ueberzeugung für die Berechtigung desselben eingetreten ist, in Abrede gestellt. Kann aber das Gesetz seine erhobenen Ansprüche nicht beweisen, dann hat es den angestrengten Proceß ganz einfach verloren. Alles hat in statu quo ante zu verbleiben,

4) Darüber besteht unter den Theologen gar keine Meinungsverschiedenheit. „Dicendum quod illud dicitur licitum, quod nulla lege prohibetur", sagt der hl. Thomas in IV. dist. 15. qu. 2. a. 4. (vgl. auch in I. Cor. c. 6. lect. 2), und einem Bedenken, welches aus Mißverständniß gegen diese Wahrheit möglicher Weise auftauchen könnte, begegnet er (S. T. I—II. qu. 71. a. 6. ad 4.) mit den Worten: „Dicendum cum dicitur, non omne peccatum ideo esse malum, quia est prohibitum, intelligitur de prohibitione facta per jus positivum; si autem referatur ad jus naturale, quod continetur primo sub lege aeterna, secundario vero in judicatorio rationis humanae, tunc omne peccatum est malum quia prohibitum; ex hoc enim quod est inordinautum juri naturali repugnat." Ebenso klar hatte früher schon Augustinus diesem Gedanken Ausdruck gegeben mit den Worten (II. de pecc. mer. et remiss. c. 1). „Sed nec peccatum erit, si quid erit, nisi divinitus jubeatur ut non sit." Vgl. auch S. Alph. Mor. syst. n. 67 und J. V. Bolgeni „Ueber den Besiz u. f. w." a. m. O.

Beitschrift für lathol. Theologie. II. Jahrg.

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und der Spruch der Vernunft wie der christlichen Moral kann selbst in dem für das Gesch günstigsten Falle unmöglich ein anderer sein, als eine sententia de manutentione für die Freiheit. Das Grundrecht der Freiheit bleibt in voller Kraft bestehen, das Gesez wird mit seinem behaupteten Rechte abgewiesen, weil seine Anwälte wohl behauptet hatten, aber nicht beweisen konnten. Wohl mögen dann unter Umständen die beigebrachten Beweismomente den von dem Geseße erhobenen Forderungen, je nachdem sie diese mehr oder weniger wahrscheinlich zu machen vermochten, den Charakter von mehr oder minder begründeten Prätensionen verliehen haben. Aber Prätensionen bleiben diese immerhin, und zwar bis zu dem Augenblicke, wo sie mit stringenten, durchschlagenden Argumenten als wirkliche Rechtsansprüche sich auszuweisen vermögen. Prätensionen als solche aber können rechtlich und ver= nünftiger Weise nie eine Aenderung des Bestehenden bewirken, weder neues Recht schaffen, noch bestehendes Recht aufheben oder alteriren. Einmal bestehendes und deßhalb an sich gewisses Recht kann nie durch ungewisses Recht gebrochen werden; oder noch allgemeiner ausgedrückt: Alles wirklich Bestehende hat als mit gutem Grunde bestehend in so lange zu gelten und deßhalb fortzubestehen, bis das Gegentheil als nothwendig erwiesen wird. Das ist eine Regel ohne Ausnahme, eine praktische Grundwahrheit, welche Maß gibt nicht etwa bloß in foro externo und für das Prozeßverfahren als eine Art von Nothbehelf oder Auskunftsmittel in dem Sinne einer positiv-rechtlichen Bestimmung, welche vernünftiger Weise auch durch eine andere ersetzt werden könnte; nein, der in Form jener allgemeinen Regel ausgesprochene praktische Gedanke hat zu gelten und gilt auch thatsächlich auf Grund der direkten Erkenntniß des gesunden Sinnes, welche Gott sei Dank oft viel weiter reicht, als die refleye der Wissenschaft, für den ganzen Bereich des menschlichen Lebens und Strebens, des physischen wie des moralischen Thuns und Lassens, des sittlichen wie des rechtlichen, des öffentlichen wie des privaten, des individuellen und des focialen, für die Rechtschaffung und Gesetzgebung ebenso gut wie für die Rechtsprechung und Rechtsanwendung. Jener Gedanke ist im Grunde genommen identisch mit dem conservativen Princip, kraft dessen der Mensch als endliches, beschränktes Wesen in all' seinem Handeln

bei dem Gegebenen zu beginnen, und von ihm ausgehend seine Thätigkeit erst zu entfalten hat, wenn diese eine bauende und nicht eine zerstörende sein soll. Wie wenig aber dieser ächt con= servative Gedanke mit dem der wahren Freiheit in Widerspruch steht, das kann sich nie schöner zeigen, als bei Betrachtung des probabilistischen Systems, in welchem gerade er zum höchsten und legten Beweismittel wird, um das Urrecht der Freiheit gegen unbegründete oder nicht genügend begründete Prätensionen des Gesezes sicher zu stellen.

Nach dem Gesagten ist es übrigens ganz natürlich, daß nicht etwa blos das kanonische und das römische Recht, sondern alle Gejezgebungen der Welt in Form der verschiedensten Axiome, Rechtsregeln, Adagien, Präsumtionsbestimmungen u. s. w. jenem allgemein gültigen Gedanken Ausdruck geben. Und zwar geschieht dies mit jener Färbung der Worte, welche die jeweiligen Verhältnisse erfordern, in welchen dieser Gedanke gerade durch Ausübung seiner Herrschaft sittlich-rechtliche Ordnung schaffen, wahren oder wiederherstellen soll. Auch das in der probabilistischen Controverse so oft und mit Recht berufene, sogenannte principium possessionis ist nur eine dieser vielen Formulirungen, welche wegen ihrer verhältnißmäßig allgemein gehaltenen Fassung und doch zugleich concreten Veranschaulichung der scheinbaren Collision zwischen den Rechten der Freiheit und jene des Gesetzes sich hier in der That vor andern Formeln als zur Verwerthung besonders geeignet erweist. Nur Eines ist darüber nicht zu vergessen. Nicht weil diese oder jene positive Gesetzgebung etwa in Form einer Prozeßregel ihn ausspricht, ist jener Gedanke wahr und berechtigt, sondern weil es sich hier um eine praktische Wahrheit von ganz allgemeiner Geltung handelt, hat das positive Recht sie als maßgebend in solchen Fällen auch förmlich und ausdrücklich bezeichnet, wo in der Rechtsanwendung z. B. von der Kurzsichtigkeit menschlicher Richter ein Uebersehen, oder auch von deren Mangel an Integrität eine Verlegung derselben, in Folge dessen aber statt Rechtsprechung Beugung oder Brechung des wirklichen Rechts möglicher Weise zu befürchten sein würde.

Nichtsdestoweniger unterliegt es keinem Zweifel, daß in einem gewissen Sinne (aber auch nur in diesem) alle jene Rechtsregeln und selbst die ihnen zu Grunde liegende allgemeine praktische Wahr

heit als „Nothbehelf“ oder „Auskunftsmittel“ mit Fug bezeichnet werden können. Es sind ja sehr wohl Fälle denkbar und auch wirklich, in welchen das Unrecht das Bestehende und im Besize ist, während es dem wirklichen Rechte aus Mangel an Mitteln dazu, nicht gelingt, sich als solches auch auszuweisen. Gewiß. Daraus folgt, daß die Menschen Menschen sind, daß die Erde nicht der Himmel ist, daß die Weltgeschichte, wenn sie auch selbst in mancher Hinsicht schon ein Weltgericht ist, doch gewiß mit einem eigentlichen Weltgericht einst endigen wird, und noch vieles Andere. Aber es folgt nicht, daß jene Regeln als solche nicht vollberechtigt und durch andere erseßbar seien, oder gar die in ihnen ausgesprochene Wahrheit nicht wirklich eine solche sei. Nach dieser Richtung hin ergibt sich nur das Eine: daß durch unglückliche, sei es nun verschuldete oder unverschuldete, thatsächliche Umstände (per accidens) diese Wahrheit auf die wirkliche Gestaltung der Verhältnisse nicht in schlechterdings allen Fällen jenen sittlich-rechtlich regelnden Einfluß zu üben vermag, der ihr an sich gebührt, und den sie unfehlbar auch ausüben würde, wenn jene Thatsachen, deren Existenz aber Niemanden weniger zur Last fällt als ihr, nicht hindernd inzwischenträten. Das aber hat diese Wahrheit mit all' jenen andern gemein, deren Wirkungen im Leben deßhalb nur moralische Gewißheit zukommen kann, weil sie dieselben auf einem Gebiete erzielen sollen, auf dem neben Gott und ihnen auch andere Ursachen mitthätig sind. Es gibt nun einmal auch ein mysterium iniquitatis, und sind in Folge dessen in dieser sublunarischen Welt, zumal aber in der ethischen Sphäre, in welcher sie nach christlichen Begriffen ja auch ihre ursprüngliche Heimstätte und überdies eine nie leer stehende Brutstätte haben, neben der lichten Macht der Wahrheit und des Guten auch die finstern Mächte des Irrthums und des Bösen wirksam, ohne daß es der erstern von Gott beschieden wäre, hie nieden schon durch ihren Einfluß vollständig und in allen Fällen deren nie rastende Thätigkeit mit allen ihren Folgen zu überwinden. Darum bleibt aber doch die Wahrheit Wahrheit und jede sittlich-rechtliche Norm, welche wirklich in ihr als ihrem Grunde ruht, in voller Geltungskraft. Das in Abrede stellen hieße nicht nur irren, sondern in einem wahrhaft grund stürzenden Frrthum befangen sein, der als solcher, wenn je in's Leben überseßt und zur Anwendung

gebracht, nothwendig Alles in's Wanken bringen, die ganze menschliche Ordnung der Dinge aus den Fugen treiben müßte. Als „Nothbehelf" darf man daher jene Prinzipien nur insoweit bezeichnen, als sie nicht etwa durch eine Art Nothwehr in Form eines legalen Gewaltaktes den Knoten zerhauen, sondern durch die ihnen innewohnende Wahrheit wahrhaft fähig sind in allen Fällen aus der Noth hinauszuhelfen, in denen nicht zufällig von anderer Richtung her diese Wirkung thatsächlich vereitelt wird. Und „Auskunftsmittel“ sind sie nur in so fern, als sie in der That durch die richtige Auskunft, welche sie ertheilen, ein Mittel an die Hand geben, durch das es stets gelingt, die sittlich-rechtliche Ordnung der Dinge zu wahren oder wiederherzustellen, wo dies nicht dem that= sächlichen Erfolge nach durch den Einfluß von ganz anderer Seite her verhindert wird. Wer aber in jener Ordnung der Dinge, von welcher hier allein die Rede sein kann, mehr verlangt, wer auf dem Gebiete des geschöpflichen Thuns und Lassens, also von den Wirkungen geschöpflicher, ethischer Mächte auf allen Punkten physische oder gar metaphysische Gewißheit erwarten und for= dern zu dürfen glaubt, der weiß nicht was er will.

Aus dem Gesagten ergibt sich ein Doppeltes. Für's Erste: Daß der probabilistische Gedanke eine wahrhaft nothwendige und logisch unabweisbare Folgerung aus dem richtig aufgefaßten Grundverhältnisse von Gesetz und Freiheit ist. Und zwar ist er das unmittelbare Ergebniß aus zwei auf dieses Verhältniß bezüglichen Wahrheiten, von denen die eine ebenso unumwunden ausgesprochen und mit demselben Nachdruck hervorgehoben werden muß, wie die andere, wenn eine auf wirklicher Evidenz beruhende Ueberzeugung von seiner Wahrheit und sittlichen Alleinberechtigung bewirkt werden soll. Die eine dieser Wahrheiten ist rein theoretischer Natur, und lautet: Nach Gottes Willen und Ordnung ist das Recht der ethischen Freiheit d. h. die Befugniß, auf Grund vernünftiger Ueberlegung sich selbst zu bestimmen als ein für alle Mal von Gott verliehenes Grundrecht des menschlichen Willens begrifflich und. wesentlich das Primäre, das Bestehende, das Recht des Gesezes hingegen, seinerseits dieses an sich allgemeine und bestehende Grundrecht zu beschränken das Secundäre und nur unter Umständen Entstehende. Die zweite Wahrheit hingegen ist eine rein praktische, aber darum nicht minder gewisse. Sie lautet:

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