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Die ethnographische Veränderung der Eskimo

des Smith-Sundes.

Die siebenjährige Thätigkeit Robert E. Pearys im nördlichen Grönland hat zum ersten mal den Museen umfangreiche ethnographische Sammlungen1) von den Eskimo des Smith-Sundes, den nördlichsten Bewohnern der Erde, zugeführt. Auch das Berliner Königliche Museum für Völkerkunde konnte durch Vermittlung des American Museum of Natural History in New York von dem reichen Ertrag einen Anteil erhalten und ist jüngst in den Besitz einer systematisch zusammengestellten Sammlung aus jenen Gegenden gelangt. Wer die zahlreichen ethnographischen Bemerkungen in Pearys zweibändigem Reisewerk (,,Northward over the Great Ice", London 1898) noch nicht kennt, dem muss die Sammlung manches Räthsel aufgeben. Wie war es möglich, dem,,isolierten, armseligen, dem Aussterben entgegengehenden" Völkchen, das aus Mangel an Treibholz seine Schlitten aus Knochen herstellen musste und seine spärlichen Geräte über alles schätzte, stattliche Lanzen und Harpunen mit tadelloser Holzstange auszuführen, Zelte (tupik) aus Robbenfellen mit vollständigem Holzgerüst, eine Menge Kleider, Holzschlitten und sogar Kayaks sowie Bogen und Pfeile, deren Existenz von sämtlichen früheren Besuchern geleugnet wird!2) Es ist klar, dass Peary theils eine genauere Kenntniss von den Eingeborenen erlangt haben, theils eine ethnographische Veränderung mit ihnen vorgegangen sein muss, denn seine Vorgänger, namentlich Kane, Hayes und Bessels haben lange genug im engsten Verkehr mit den Eskimo gelebt, als dass ihre Nachrichten absolut falsch sein könnten. Die Veränderung kann nur durch Verbindung mit anderen Stämmen und durch die Erzeugnisse erfolgt sein, welche von den arctischen Forschern mitgeführt sind. Das wird nun durchweg von Pearys Reise werk bestätigt.

1) Hayes z. B., der am meisten gesammelt zu haben scheint, brachte nur 140 Gegenstände mit. (Das offene Polarmeer. Bibl. geogr. Reisen II., Jena 68 S. XI. 91. u. s. w.) Die Expeditionen von Kane und Hall mussten ihre Schiffe im Stich lassen.

1) E. K. Kane Arctic Explorations London 1875 S. 348. 393. Bessels Die amerikanische Nordpolexpedition 1879. S. 358. John Ross, Entdeckungsreise, um Baffinsland auszuforschen Leipzig 1820. S. 65. Hayes. S. 233.

Dieser hat aber nicht nur durch seine blosse Gegenwart, sondern wie es scheint, in menschenfreundlicher Absicht für die Eingeborenen gesorgt.,,Meine Expeditionen", heisst es in der Vorrede seines Berichts, ,,haben auf diese Kinder des Nordens die Wirkung gehabt, den ganzen Stamm in einen Zustand des Überflusses zu erheben. Vor 7 Jahren besass mancher Mann des Stammes kein Messer und manche Frau keine Nadel. Wenige der Männer hatten Kayaks oder Fellkanus, und wer einen Speer- oder Harpunenschaft aus einem einzigen Stück Holz besass, war in der That gut daran. Heute sind Männer und Frauen reichlich mit Messern und Nadeln versehen, jeder erwachsene Mann und halbwüchsige Knabe hat sein Kanu, die meisten Männer besitzen Flinten, und jeder Jäger ist mit dem besten Holz für Lanze, Harpune, Seehundsspeer und Schlitten ausgerüstet." Die Verbesserung ihrer Waffen hat die Erträge der Jagd vermehrt. Die Leute sind besser gekleidet, sie können eine grössere Anzahl von Hunden unterhalten, und das Ergebniss ihrer reichlicheren Nahrung und der grössern Fähigkeit, die beständigen Mühseligkeiten des Lebens zu überwinden, besteht in der Verminderung der Todesfälle und in der merkbaren Zunahme der Geburten während der letzten 6 Jahre." (Peary I. S. LIX. f.)

Im Jahre 1895 veranstaltete Lee, Pearys Begleiter, einen genauen Census der ,,Smith-Sund-Eskimo", d. h. der isoliert lebenden Eingeborenen Westgrönlands im Norden der Melvillebai, indem er sämmtliche Namen aufschrieb, und fand 253 Individuen, die allerdings durch eine Epidemie 1895/96 auf 234 reduciert wurden. (Peary I., S. 511). Alle anderen Berichte geben nur eine Schätzung von etwa 100 Mitgliedern, Kane giebt die Zahl 140 an.') Entsprechend jener grösseren Anzahl werden auch eine Reihe Siedelungen aufgeführt, die von den früheren Besuchern nicht erwähnt werden. Es kann also von einem Aussterben des Stammes, das früher in Aussicht gestellt wurde, keine Rede mehr sein.2) Hungersnöte unter den Eskimo während der 4 Monate dauernden Winternacht, die in den Berichten ein stehendes Capitel zu bilden pflegten, kommen bei Peary überhaupt nicht vor.")

Bisher waren positive Angaben über einen Zusammenhang der grönländischen Smith-Sund-Eskimo mit ihren Verwandten auf der Westseite der Baffinbai nur von Bessels gemacht, obwohl ein solcher von allen andern Besuchern vermutet wurde. Jener erzählt die Lebensgeschichte Itokirssuks, eines Bewohners von Ita, der nördlichsten Ansiedelung am Ufer des Foulkefjords, der in Cumberland in der Nähe von Cap Searle unter

1) Kane, S. 393; Bessels, S. 351; Hayes, S. 331.
2) Kane, S. 331, 392; Hayes, S. 222, 326, 331.
3) Kane, S. 304, 331, 348, 351 u. s. w.

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67° 17′ nördlicher Breite vor damals (— 1872 -) 30 Jahren geboren wurde. Als Jüngling verliess er mit seinem Vater die Heimat und gelangte nach mehrjähriger Jrrfahrt etwa 11 Breitengrade nördlicher nach Cap Isabella in Ellesmere Land auf der Westseite des SmithSundes, wo sie eine Eskimohorde trafen, von deren Existenz sie keine Ahnung hatten. Dort heiratete Itokirssuk sein Weib Ivalu. Vor fünf Jahren war er in Begleitung eines Weiberbootes und vier Kayaks auf der Littletoninsel bei Ita gelandet. Nach einem Unglücksfall kehrten die Überlebenden mit Ausnahme des jungen Paares nach Ellesmere-Land zurück. (Bessels S. 342). Diese Geschichte giebt uns einen Fingerzeig, wie das von Peary berichtete Vorhandensein von Kayaks bei unserem Völkchen zu erklären ist. In Lee's Personenliste sind nämlich nicht weniger als 6 Einwanderer von jenseits des Smith-Sundes namhaft gemacht, 3 Männer und 3 Frauen, und zwar kommen Itokirssuk und Ivalu, die wahrscheinlich schon gestorben waren, nicht darin vor. Sie kamen in zwei Abtheilungen von 1 und 2 Familien dort an. Als Peary auf der Rückreise von seiner zweiten arctischen Reise Dexterity Hafen auf der Westseite der Baffinbai anlief, fand er dort ein grosses Eingeborenendorf, in dem man sich des einen der genannten Einwanderer erinnerte. Als junger Mann habe dieser wiederholt an den verschiedensten Stellen der Strecke vom Cumberland Golf bis Ellesmere Land gelebt. Er sei dann nach Norden gegangen und dort verschollen. Die Identificierung der Person war dadurch möglich, dass er eine taubstumme Schwester hatte, woran sich die Leute erinnerten. (Peary I, 488 f. 511 f.) Es ist anzunehmen, dass die Ankömmlinge den Smith-Sund in Booten gekreuzt haben, da das höckerige Eis für Schlitten sehr schwer passierbar ist, wenn es überhaupt im Winter zur Bildung einer sichern Eisdecke kommt. In umgekehrter Richtung von Prudhoe nach Ellersmere-Land sollen nach Bessels äusserst selten Schlittenexpeditionen stattfinden.

Itokirssuk, der Fremdling, besass allein Bogen und Pfeile, die er aus seiner südlichen Heimat mitgebracht hatte. ,,Oft ausgebessert und wenig gebraucht, befanden sich diese Waffen in erbärmlichen Zustande. Der Bogen bestand aus vier Stücken Renngeweih mit Sehne zusammengefügt. . . . " (Bessels 360.) „Obgleich sie von Rennthieren umringt sind," sagt Hayes,,,so ist doch Wildpret ein Leckerbissen, den sie selten geniessen, da sie kein Mittel besitzen, sich der Thiere zu bemächtigen. Sie haben nicht Bogen und Pfeile...") Wenn nun Peary entgegen allen anderen Angaben Bogen und Pfeil bei ihnen summarisch erwähnt, ohne jedoch die Art ihrer Verwendung oder die Häufigkeit ihres Vor

1) Hayes, S. 233, cf. Kane, S. 392.

kommens näher zu bezeichnen, so sind die vorhandenen Exemplare dieser Waffen wohl auch auf die Rechnung der westlichen Einwanderer zu setzen. Freilich erwähnt er sehr häufig erfolgreiche Jagden der Eskimo auf Rennthiere, bei denen jedoch theilweise schon Gewehre verwandt wurden. Der im Museum vorhandene Bogen ist sehr schön aus drei Teilen Rennthiergeweih zusammengesetzt, die ungefiederten Pfeile sind ziemlich neu und haben eiserne Spitzen. Dazu gehört ein zweitheiliger Köcher aus Walrosshaut für beide. (s. nebenstehende Abbildungen in der wirklichen Grösse).

Eine andere Art, wie Kayak, Bogen und Pfeil zu den nördlichsten

Eskimo gelangt sein können, ist die durch mitgeführte Eskimo aus den

südlicheren Gegenden Grönlands. Der Eskimo Hans, den Kane mitbrachte und nothgedrungen bei der Rückfahrt zurücklassen musste, lebte z. B. lange Jahre unter den dortigen Eingeborenen, wo ihn Bessels und Hayes wiederfanden. Doch kommt eine derartige Möglichkeit weniger in Betracht.

Nach Süden zu erstrecken sich die Jagdausflüge der Eingeborenen in der Melville-Bai weiter als man bisher annahm, ohne dass diese jedoch von der Existenz ihrer südlicheren Verwandten eine Nachricht haben. Aussprüche, wie der von Hayes' Eskimo-Gewährsmann2), dass im Norden wie im Süden ihre Verwandten wohnen,,denn wo es Jagdgebiete giebt, wird man auch Eskimo finden" - scheinen mehr Eingebungen des Augenblicks, weniger beglaubigte Traditionen zu sein. Astrup, Pearys Begleiter, der im Frühjahr 1894 die Melville-Bai zu Schlitten erforschte, erfuhr von dem mit ihm fahrenden Eskimo, dessen Wohnsitz in der Nähe von Cap York lag, dass die Bärenjäger des Stammes sehr oft auf die Ostseite der Melville-Bai hinübergingen. Einige seien sogar im März desselben Jahres bis Red Head (75° 13′) vorgedrungen, und ein anderer Eskimo habe im vergangenen Jahr den Berg,,The Devil's Thumb" (südlich 75°) gesehen. (Peary II, S. 167 f.) Das wirklichste Dorf ihrer südlichen Verwandten an der Westküste Grönlands ist Itiodliarsuk unter 73° 301. Ihre Jagden erstrecken sich bis denselben Berg,,,The Devil's Thumb".

Wie weit die Nordgrenze der ständigen Jagdausflüge reicht, ist nicht recht bestimmt. Die Eskimo scheinen aber über Rensselaer Hafen (ca. 78° 30'), wo sie Kanes Schiff besuchten, kaum hinauszugehen und sicher nicht über das Südende des Humboldts Gletschers. Dass sich noch bis zum 82 Parallelkreis hinaus Spuren von Eskimo gefunden haben, bis Cap Union auf der Westseite, etwa bis Polaris Bay auf der Ostseite des Robesoncanals, ist hinlänglich bekannt.3) An der Nord- resp. Nordostküste von Grönland, in Independencebai, hat Peary keine Eskimoreste gefunden.

Innerhalb ihres Gebietes herrscht ein reger Verkehr unter den Eingeborenen. In früheren Zeiten, bevor sie das Eisen zu ihren Geräten von den Walfängern und Forschungsexpeditionen eintauschten, waren die drei grossen Meteoreisensteine östlich Cap York, die Peary nach NewYork geschafft hat, das Ziel vieler Reisen selbst von den nördlichsten Ansiedelungen aus, um Eisenstückchen abzuklopfen. Peary ist es gelungen, zwei ganz alte Stücke, ein Männer- und ein Weibermesser in seinen Besitz zu bekommen, deren Klingen aus diesem Meteoreisen her

2) Hayes, S. 330 f. cf. Kane, 417.

3) Greely Three Years of Arctic service II, S. 354 f.; Hassert Petermanns geogr. Mitteil. XXXVII. S. 142; Bessels, S. 137.

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