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Immer und immer wieder hatte Vörösmarty in seinen Liedern wehmüthig, wie keiner vor ihm, auf das der ungarischen Nation drohende Unheil hingewiesen, auf den Verlust der Selbständigkeit. Sein tiefes Gemüth konnte daher die leßten Jahre nicht so bald verwinden. Keine Schreibfeder (sagt man) kam über seine Schwelle; sein wild und düster gewordenes Leben erheiterte nur noch einigermaßen die ihn umgebende Freundestreue, so wie das Familienglück, das ihm seine zärtlich geliebte Gattin (Laura Csajághy, verheiratet seit 1843), fein Sohn und seine beiden Töchterchen bereiteten. Die Hauptstadt, wo er sonst der väterliche Freund junger Dichter und der Mittelpunkt aller geiftvollen Zirkel gewesen war, besuchte er immer seltener, noch weniger die Sizungen der Akademie. Am 13. November erschien er zum leßten Male in Pefth, so kranken Aussehens, daß seine Freunde das Schlimmste befürchteten. Sie irrten leider nicht; am 19ten, Nachmittags 14 Uhr, machte die Brustwassersucht seinem irdischen Leben ein Ende; er starb in dem nämlichen Hause, in welchem fünfundzwanzig Jahre früher der jüngere Kisfaludy verschied. Am 21 sten begrub man ihn auf dem Rákos-Friedhof; Tages darauf fand die von Unzähligen besuchte Trauermesse statt. An jenem Tage enthielt die,,Ungarische Presse“ einen von L. Toth geschriebenen (auch unseren Zeilen meist zu Grunde gelegten) Auffah über Vörösmarty, welcher gegen die Absicht des Verfaffers zum Nekrolog des Gefeierten geworden ist. Am 22 ften und den folgenden Tagen ehrte man sein Andenken außerdem durch Aufführung seines Trauerspiels,,das Opfer". Der Schmerz der Witwe war der des Landes; die edlen Präsidenten der Ungarischen Akademie, Graf Dessewffy und Baron Eötvös, versprachen im Namen der Nation den Waisen eine sorgenfreie Zukunft.

Vörösmarty war - so lange er dem Menschenleben noch ganz angehörte nicht nur ein großer Dichter: er war der treueste und liebreichste Freund, der wißigste Gesellschafter. Seine einfache Rede im täglichen Verkehre war oft das schönste Gedicht, seine Gedanken und Bilder überraschend und hinreißend, Zauberschmelz und Kraftfülle in seltenem Maße vereinend. Schwulst und falsches Pathos waren ihm unbekannt, wie seiner Seele eben alles Erborgte fern war. Dem deutschen Publikum sind von berufenen und unberufenen Uebersegern zahlreiche Proben ungarischer Dichtung geboten worden; aus Vörösmarty's Werken ungemein wenig, weil seine Gedankentiefe und der Schwung seiner Rede mehr als oberflächliche Uebung in beiden Sprachen erheischt. So kennt ihn unser Volk eben noch so gut wie gar nicht. Das ungarische hat ihn hoch geehrt, wie es alle seine Helden ehrte, die er durch seinen Griffel ins Leben zurückgezaubert hat; aber geliebt hat es Wenige wie Vörösmarty, und wird ihn lieben, so lange die Lieder dieses Dichterkönigs von den Karpathen bis zum Adria erschallen. G. Stier.

Nord-Amerika.

Aus dem Tagebuche einer Engländerin, als Gast unter den Mormonen.

(Schluß.)

21. Januar. Gestern war der Tag so schön, daß ich ein Bad nahm, auf dem Rückwege umherstreifte und gelegentlich in eine offene Thür trat, um auszuruhen. Ich fand die Frauen sehr gesprächig. In einem Hause war eine nette englische Frau aus Bath, von seinem Benehmen. Das Zimmer war mit kleinen Erinnerungszeichen an ihre Vaterstadt ausgeschmückt, und als sie ein Bildchen herabnahm, um mir die Umgegend und besonders den Punkt zu zeigen, von dem fie hergekommen war, füllten sich bei der Erinnerung an die Heimat ihre Augen mit Thränen. Ich konnte die grausame Frage, ob sie die einzige Frau sei, nicht über die Lippen bringen. Eben trat ein dickes, rothbäckiges Weib ins Zimmer, die hier völlig zuhause schien. Als fie hinausgegangen war, sagte ich: Dieses Weib wohnt mit Euch zufammen?",,Ja." -,,Seid Jhr verwandt?" Die Aermste spielte mit ihrer Schürze, ihre Lippen zitterten.,,Sie ist Eures Mannes zweite Frau?" Es dauerte eine Weile, che sie mir mit „Ja“ antworten konnte. Dann erzählte sie mir in schlichter, ungekünftelter Weise, wie glücklich sie mit ihrem Manne gelebt hatte - wie sie bemüht waren, nach diesem Lande auszuwandern wie man ihnen das Salzfee-Thal als ein Paradies gerühmt hätte, wo ihr Mann Land für Nichts bekommen und fünf Dollars täglich verdienen könnte wie ihnen von den Mormonen-Agenten die Reisekosten vorgestreckt wurden, unter der Bedingung, daß sie ihr Mann hier durch Arbeiten bei öffentlichen Bauten abzahlen sollte. Dann aber, fügte sie mit ftrömenden Thränen hinzu, wurde vor drei Monaten ihr Mann dahin gebracht, eine zweite Frau zu nehmen, und wie unglücklich sie sich fühlte, als sie zuerst diesen seinen Entschluß erfuhr. Das rauhe, plumpe, schmierige Weibsstück beherrschte die Unglückliche mit eiser nem Stecken, indem sie so schr alle Autorität an sich zu reißen wußte, daß die erste Frau nicht eine Lasse Thee ohne deren Erlaubniß zu

trinken wagte. Mein Herz weinte um fie. Sie glaubte an den Mormonismus, weil ihr Mann daran glaubte, und dieser glaubte darau, weil es ihm so schön dünkte, Land zu besigen, hohen Lohn zu bekommen und ein Priester in der Kirche zu sein. Auf Rechnung dieser Logik kömmt wahrscheinlich ein großer Theil der Bekehrungen unter den Engländern.

24. Januar. Base Shearer ist eine Merkwürdigkeit. Wenn je= mals ein unternehmender Barnum eine Menagerie von menschlichen Wesen zusammenbrächte, so möchte ich für die Shearer den Poften einer Löwin in der Sammlung ansprechen. Bei all ihren religiösen Narrheiten zeigt sie in manchen Dingen einen gewiffen Grad yankeescher Schlauheit und Wirthschaftlichkeit. Sie gleicht einigen Gegenden, durch die wir gekommen sind: Wildnissse von unfruchtbarem Gestein und nur hin und wieder ein anbaufähiger Fleck. Ich besuchte fie heute in ihrer einsamen Wohnung; denn sie haust allein, fie müßte denn heimlich irgend einem Mormonen angefiegelt sein, was ich ihr geradezu sagte. Sie sah mächtig böse zu diesem weltgesinnten Verdacht, hielt aber an sich und sagte blos: Herzchen, wie könnt Ihr nur so reden?" Ihre Stube ist ein Kuriositätenkram, wie ihn wohl

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ein neuenglischer Pfennigscharrer zusammenraffen würde, für den möglichen Fall, noch während der gegenwärtigen Generation Gebrauch davon zu machen. Diese Kostbarkeiten hageln meist herein aus der ,,Metropole der notions" (Boston); fie entgingen den Gewaltthätigkeiten des Pöbels in Missouri and Illinois, wo, Gebäude ohne Erbarmen den Witwen und Waisen über den Köpfen niedergeriffen wurden — wie sie pathetisch berichtet sie wurden sorgfältig aufbewahrt in den Winterquartieren" der Indianer des Landes und hatten noch manche Gefährde zu Waffer und zu Lande zu bestehen, wo es natürlich nicht ohne Riffe, Spalten und Reibungen ablief, die aber wie ehrenvolle Narben auf dem Gesichte eines alten Kriegers erscheinen. . .

27. Januar. Gestern Abend hatte der Gouverneur Gesellschaft in dem Gesellschaftsfaale. Schon zwei Wochen früher wurden die Einladungskarten ausgegeben, und ich war mit unter den Eingeladenen. Wir gingen spät genug, um nicht unter den Erstkommenden zu sein, und wurden in ein Vorzimmer gewiesen, dort unsere Mäntel und Shawls abzulegen. Einige Stufen führten uns in einen langen Saal, wo sechs Cottillons in voller Bewegung waren. Wieder eine kurze Treppe brachte uns in einen vergitterten Altan, von dem man die Tänzer überfah und wo die Musik spielte. Er war mit Sißen versehen; auf den zwei oder drei Sophas lehnten Aelteste und Apostel mit einigen ihrer Konkubinen. Brigham, mit dem Hut auf dem Kopfe nach seiner Gewohnheit, war unter ihnen. Wir wurden mit auszeichnender Aufmerksamkeit behandelt, und die ganze Gesellschaft schien bestrebt, uns den Abend angenehm zu machen. Unsere alte Bekanntschaft, Richter Snow mit seiner einzigen Frau war da, und ich benußte den vertraulichen Fuß, auf dem ich mit Beiden ftand, um in manche Eigenthümlichkeiten, die der Abend bot, eingeweiht zu werden. Der Aelteste Kimble war anwesend und zeigte sich sehr freundlich. Sein Harem zählt fünfundzwanzig oder dreißig Angesiegelte; er behandelt aber feine rechte Gemahlin so heißt es als die Gebieterin Aller. Sie saß ihm bei dieser Gelegenheit zur Rechten, zur Linken hatte er eine seiner Konkubinen, ein dreiftes, verschmißt aussehendes Weib aus Philadelphia, die in den wenigen Worten, die sie mit mir sprach, einigen Geift zeigte. In ihrer Nähe saß ein zartes Weib, mit Rabenhaar und durchdringenden, schwarzen Augen, Elisa Snow, die mormonische Dichterin, die zu Brigham's Harem gehört. Die Polygamie kann kein Gegenstand fein, poetische Begeisterung zu schaffen; mindestens würden die Ergüsse, die unter ihrem Namen in den „Deseret News" erscheinen, die Musen selbst um den Verstand bringen. Mrs. Orson ist eine angenehme Frau von sehr schlichtem Wesen, und, zur Ehre ihres Mannes sei es gesagt, obgleich er einer der zwölf Apostel ist, lebt er doch mit ihr allein. Ein anderer der zwölf ift Amasa Lyman, dem die rohe Sinnlichkeit aus jedem Zuge spricht. Er lebt in San Bernardino und hält einen wandernden Harem, der von hier bis an den Salzsee abwechselnd an verschiedenen Punkten weilt. Er sammelt den Zehnten in Kalifornien und ist beständig auf der Reise hin und zurück. Ein plumper, dunkelfarbiger, finsterblickender Mann wurde mir als der Aelteste John Taylor bezeichnet, der bei der Ermordung des Propheten in Illinois schwer verwundet worden. Er hatte seine Frau an dem einen Arme und an dem anderen eine junge Witwe aus Tennessee, die für reich gehalten wird und, wie es heißt, leßlich dem frommen Aeltesten angesiegelt worden ist.

Die Cottillons waren zu Ende, die Tänzer drangen nun haufenweise auf den Altan, und hier sah ich nun Etwas, was die Erscheinungen des Abends krönte: Parley Pratt schritt herein mit seinen vier Weibern und stellte sie mir nach einander als Mrs. Pratt vor. Das geschah aber mit einer Leichtigkeit und Ungezwungenheit, daß ich nur mit Mühe an mich hielt, ihm nicht ins Gesicht zu lachen. Ich dachte mir in dem Augenblick, mit welcher Entrüftung man diese Menschen, die hier die erste Rolle spielten, in meiner Heimat aus jeder Gesellschaft

jagen würde! That das der Mann, um zu zeigen, welch eine eiserne Stirn er habe, oder weil er es für eine Pflicht der Höflichkeit hielt? Ich weiß es nicht. Einige jedoch stellten mir blos die erste Frau vor, und ich wußte ihnen innerlich Dank für diese Rücksicht. Eigen war es, daß auch nur die ersten Frauen sich mir vertraulich zu nähern fuchten. Nach einem wieder fortgeseßten rasenden Tanz bis tief in die Nacht gingen wir endlich zu Tische. Das Mahl war reichlich und gut zubereitet. Einige Konkubinen des Gouverneurs machten die Aufwartung.

28. Januar. Bei Base Shearer traf ich diesen Morgen ein helläugiges Mädchen, das in dem Kram der würdigen Dame herum rumorte. Sie war sauber und sogar zierlich gekleidet, und ich schloß daraus richtig, daß ihr Haus noch von der Befleckung der Vielweiberei verschont geblieben. Sie gehört zu einer englischen Familie von besserem Stande, als man gewöhnlich hier findet. Ihr Vater ist ein tüchtiger Geschäftsmann, hat eine Subalternenftelle bei der Legislatur, die aber mit der Bezahlung des Soldes oft im Rückstande ist. Da ich das Kind über seine Jahre verständig fand, so konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, es über die frühere Geschichte seiner Familie auszufragen. Wie sie zum Mormonismus bekehrt worden, konnte ich nicht erfahren. Sie hatten ihr bequemes Auskommen in England; aber wie die Leute vorher ihren Frrwischen nachliefen, so ließen sie sich verleiten, zu den Heiligen zu halten. Nach einer glücklichen Fahrt erreichten sie St. Louis, den gewöhnlichen Sammelplaß für Auswanderer, gesund und voller Muth, wohlversehen mit Lebensmitteln und gehoben von dem Gedanken, in der wahren Veßte der neuen Kirche ihre sichere Wohnftätte aufzuschlagen. Die Bethörten ließen es sich nicht träumen, daß ihre Mühsale nun erst angehen. Dem Mormonen-Agenten in St. Louis ftach das schöne Piano der Mrs. G. sehr ins Auge, und unter dem Vorgeben, die trockene Hige in den Ebenen würde es zu Grunde richten, wußte er es ihr abzuschwindeln. Natürlich bekam sie weder Piano, noch das Geld dafür je wieder zu Gesichte. Die Familie brach nach den Ebenen auf mit mehreren beladenen, von Ochsen gezogenen Wagen. Allein Mr. G., nichts weniger als ein guter Fuhrmann, mußte sich gemietheter, brutaler Leute bedienen; seine Thiere fielen eines nach dem anderen, zum Fraß für die Wölfe; in die Sachen theilten sich, unter mancherlei Vorwänden, seine Reisegefährten, und so erreichten fie, in einem Zustande faft völliger Entblößung, Bridger, etwa hundert englische Meilen von dem verheißenen Lande. Das Herz der Mutter war voll trüber Ahnungen; in wenigen Monden erbleichte die Ausficht auf eine behagliche Zukunft, wie das frische Laub vor dem glühenden dem des Sirokko, und um ihre Seelenpein aufs höchste zu spannen, mußte sie erfahren, daß die Polygamie hier ein kirchliches Gefeß sei. Die Rückkehr war aber abgeschnitten. Armes Weib, ich fürchte, Dir find noch härtere Prüfungen vorbehalten, um Dich von Deiner thörichten Leichtgläubigkeit zu heilen!

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So oft ein Zug von Einwanderern herannahet, pflegt Brigham demselben eine Tagereise weit mit Musik und frischem Mundvorrath entgegenzugehen. Das giebt ihm Gelegenheit, ein Schaugepränge zu entfalten und mit dem neuen Zuwachs der Kolonie zu prahlen. Das geschah auch bei diesem Anlaß. Unter einer glänzenden Septembersonne, mit schallender Musik und flatternden Fahnen, in die Stadt eingeführt, von einem fröhlichen Willkommenruf aus dem Thale begrüßt, lebten die Herzen der armen Fremdlinge einen Augenblick auf; allein es war das lezte Aufbligen der Lampe, bevor die Flamme der Hoffnung für immer erlöscht. Wenige Tage darauf sah sich die Familie in einer sehr engen Wohnung, unansehnlich von außen, un behaglich und dürftig von innen, einquartirt. Mr. G. gehört zu den Wenigen, die ich stets gern bei mir sehe; er besucht mich von Zeit zu Zeit und kann selbst dem flüchtigen Beobachter seinen Abscheu vor der Polygamie nicht verbergen. Er arbeitet angeftrengt, um nur durchzukommen: am Tage macht er Abschriften von den Geseßen und die Abende spielt er auf der Bühne, dem verderbtesten Pandämonium, das die unzüchtigste Einbildungskraft zu faffen vermag; wenn er daraus unverlegt kömmt, ist es ein Wunder. In wenigen Jahren, wenn sie fich nicht bei Zeiten aus dem Stanbe machen, werden ihre Töchter unter die Priesterschaft vertheilt sein.

Könnte ich mich in einen Caligula verwandeln und diesen abscheulichen Schelmen Einen Hals geben, ich wäre versucht, den Streich zu führen, um das ganze Gezücht auf Einen Hieb von der Erde zu vertilgen.

Frankreich.

Zur Kenntniß französischer Dialekte.

Seitdem man die Sprachen nicht mehr als bloße Werkzeuge, als Mittel zu Zwecken studirt, seitdem ihre lautliche, grammatische, phy. fiologische Gestaltung, also ihr eigenes Selbst zum Gegenstande scharffinniger Untersuchung oder begeisterter Betrachtung geworden, widerfährt auch den Dialekten und Mundarten in immer gesteigertem Maße

die lange vorenthaltene Ehre. Sie werden nicht ferner als eine Art Parias behandelt, deren Berührung schon enthonige; man würdigt fie sogar feines vertrauteren Umgangs, spürt unparteiisch in ihrem Schooße den Goldkörnern nach, deren Keiner von ihnen ganz baar ist, und beutet sie aus zur Bereicherung und Veredelung desjenigen Idioms, das vielleicht mehr durch ein Zusammenwirken glücklicher Umstände, als wegen hervorragender Eigenschaften obgefiegt hat und Sprache der Literatur und des „gebildeten Umgangs" geworden ist.

Unter den reichhaltigen Sammlungen, deren Gegenstand VolksIdiome find, verdient auch diejenige, welche feit 1842 in Lausanne erscheint, rühmender Erwähnung.) Sie ist den Dialekten der französischen Schweiz und des benachbarten Savoyens gewidmet; die mitgetheilten Stücke find theils in Prosa, theils in Versen, bald mit, bald ohne französische Ueberseßung, und alle von Personen niedergeschrieben, die des Patois ihrer besonderen Heimat vollkommen Meister. Wir lernen die Volkssprache in allen Schattirungen kennen, die sie bei Waadtländern, Genfern, Neuchatelern, in Freiburg, Wallis und Savoyen angenommen, und wie sie in Liedern, Kuhreigen, Erzählungen, Sprüchwörtern sich kundgiebt. Das Patois der französischen Schweiz ist energisch, oft sehr wohlklingend, und hat Laute aufzuweisen, die selbst der Inländer, wenn er mit dem Volke, besonders den Landleuten, wenig in Berührung gekommen, nur schwer sich aneignet. Es bewahrt viel mehr altgallische (keltische) Wörter und Formen als das gebildete Französische, und auch von den Wörtern lateinischer Abkunft nehmen viele die seltsamsten Gestalten an. Das leztere Phänomen kann man überall beobachten, wo keine zeitige Bannung in Schrift und Literatur der fortschreitenden lautlichen Metamorphose Halt gebietet; daher z. B. auch in Dialekten des Hoch- und Niederdeutschen Vieles weit fremdartiger sich gestaltet, als das im Englischen oder Skandinavischen Entsprechende. Die Patois der französischen Schweiz sind selbst auf dem Papiere oft schwerer zu verstehen, als die selbständige Tochtersprache des Latein in Rhätien, weil diese viel weniger keltisches Sprachgut enthält; hier reicht es meist schon hin, daß man Kenntniß des Französischen, Catalonischen und Italiänischen mitbringe.

Als Probe mögen hier einige waadtländische Sprüchwörter mit französischer Uebersegung folgen; dann ein Theil der Geschichte des „verlorenen Sohns“ in drei Dialekten: Mé de djenelie mé d'au. Plus de poules plus d'oeufs. Ne fo gnion pahi po modere.

Il ne faut personne payer pour maudir (dire du mal).
Ke pllan va, llein tsemena.
Qui va lentement, loin chemine.
Vo mi dere djou ke tserropa.

Il vaut mieux dire (à un enfant) tiens toi tranquille que (de lui dire) paresseux.

Lia mé ke lé tzein ke djappan.

Il y a plus que les chiens qui aboyent.

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(Nach einem Manuskript des dreizehnten Jahrhunderts.) Un home aë diù filh, e lo plus jove dis al païre: o païre, dona a mi la partia de la substancia que se coven a mi; e departie à lo la substancia. E en après non motidia (nicht viele Tage darauf), lo filh plus jove, ajostas totas cosas, ane (ging er) en peleriniage en lognana region, degaste aqui la soa substancia, vivent luxuriosament. E pois qu'el ac (batte) consuma totas cosas, grant fam fo fait en aquella region, etc.

*) Recueil de morceaux choisis en vers et en prose en patois suivant les divers dialectes de la Suisse française. **) Patois von Brevine.

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Mannigfaltiges.

Der Zwickauer Volksschriften-Verein, von welchem nur wenige Leser des,,Magazin“ außerhalb Sachsens Kunde haben dürften, hat in der Mitte des Jahres 1855 sein zweites Stufen- oder vierzehntes Altersjahr vollendet, und während dieser Zeit achtundneunzig entweder selbstverlegte (achtundsiebzig) oder angekaufte (zwanzig) Schrif ten in hundertundsechzehn Bändchen von sich ausgehen lassen. Die dermalige Mitgliederzahl beträgt 9421 in 237 ordentlichen und Zweig, Vereinen und 130 dito mit weniger als funfzehn Mitgliedern. Das Vereinskapital ist bis gegen 8100 Thaler angewachsen. Alljährlich werden sechs bis acht Schriften für den Preis von funfzehn Silbergroschen zur Verbreitung gebracht, im leßtabgelaufenen Rechnungsjahre wiederum acht, an Bogenzahl 584 Bogen füllend. Unter den bisher ausgegebenen Schriften findet sich viel aller Welt Nugbares und darum Empfehlenswerthes. Als eine der vorzüglichsten nennen wir die allerdings schon 1850 erschienene, aber, wie es scheint, um ihres Titels willen nicht verdientermaßen in Umlauf gekommene:,, Leben und Meinungen eines Proletariers", ein durch und durch gesundes, kernig geschriebenes und zeitgemäßes Volksbuch. Von den Schriften des mit allem Rechte berühmten Jeremias Gotthelf (Albert Bizius) hat die Erfahrung nun wohl sattsam erwiesen, daß sie, in einer der unsrigen zu entlegenen Welt wurzelnd und heimisch, wohl eine genuß reiche Lektüre unserer gebildeten Mittelstände abgeben, schwerlich aber die rege Theilnahme der unteren deutschen Volksklassen gewinnen können. Das genannte Zwickauer Buch dagegen erfüllt nach Inhalt und Ton fast jede an eine Volksschrift zu machende Anforderung, und in einer zweiten nicht ausbleibenden Auflage wird der bis jegt ungenannt gebliebene Verfaffer ohne Zweifel einige Kapitel umgießen, die damals, als er schrieb, zeit- und fachgemäß waren, gegenwärtig aber einem „überwundenen politischen Standpunkte" angehören. Dem Vernehmen nach, heißt der Verfasser Fulda und ist Prediger zu Schönfeld in Sachsen. Das Christenthum, das in dieser Schrift dem Volke in aller Einfalt des Sinnes und Frische des Wortes gepredigt wird, ist das werkthätige, glaubensstarke, lieb- und hoffnungsreiche, in Gott fröhliche Evangelium, das dem vornehmen Herrn eben so als dem gemeinen Manne noththut.

E. R-r.

- Die von Otto Müller herausgegebene „Bibliothek deutscher Driginal-Romane" hat, so weit dieselbe bereits erschienen ist,*) in der Revue des deux Mondes durch Herrn SaintRené Taillandier eine eben so gründliche wie geistreiche Beurthei lung erfahren. In der Einleitung seines Artikels, welchem er die Ueberschrift gegeben: „Une Académie de Romanciers en Allemagne", hebt Herr Taillandier als charakteristisch für den gegenwärtigen Zu stand der belletristischen Literatur, in Deutschland nicht blos, sondern auch in Frankreich und in England, den Umstand hervor, daß unter den talentvollen Schriftstellern, an denen unsere Zeit so reich ist, sich kein einziger findet, der sich auf der Bahn schriftstellerischen Ruhms, die er betreten, oder auf der Höhe, die er vielleicht erreicht, dauernd zu behaupten wüßte. Nachdem er insbesondere den deutschen Literaten noch ihre Sucht, die französische Literatur nachzuahmen, vorgeworfen, spricht er sich über das Unternehmen Otto Müller's in folgender Weise aus:

„Es giebt in Deutschland einen jungen Schriftsteller, welcher das Uebel, dessen Ursachen ich eben angegeben, lebhaft empfunden hat und gegenwärtig anerkennenswerthe Anstrengungen macht, dem Uebel abzuhelfen. Ich meine Herrn Otto Müller, bereits bekannt durch Er zählungen, die sich durch Lebensfrische und Wahrheit auszeichnen. Herr Otto Müller ist, wie wir, von dem Umstande, daß so viele Talente ihre Schäße vergeuden, unangenehm berührt worden; er hat die verderblichen Wirkungen erkannt, welche die Sucht, Frankreich nach zuahmen, auf die deutsche Literatur ausübt; und er ist von dem Verlangen beseelt, den Geistern eine bestimmtere, dem deutschen Genius mehr entsprechende Richtung zu geben. Diejenigen Schriftsteller, welche es mit ihrem Berufe ernst meinen, um sich zu versammeln; die Poesie auf den durch die Geschichte ihr gegebenen Standpunkt, von dem sie sich zu lange schon entfernt hat, zurückzuführen; mit seinen

*) Sechs Bände, Frankfurt, 1854-55, folgende Romane enthaltend: I. Afraja, von Theodor Mügge; II. Charlotte Ackermann, von Otto Müller; III. der Dunkelgraf, von Ludwig Bechstein; IV. der Sonnenwirth, von Hermann Kurz; V. die Freimaurer, von Gustav Kühne;

Freunden die Schilderung deutscher Sitte und deutschen Lebens aus der Gegenwart und aus der Vergangenheit wieder aufzunehmen das ist der Gedanke des Herrn Otto Müller, ein Gedanke, der alle Anerkennung verdient. Hat der junge Schriftsteller diesen Gedanken vollständig zu verwirklichen gewußt? Diese Frage verdient wohl eine sorgfältige Prüfung." Nachdem Herr Taillandier die sechs Romane, mit denen Herr Otto Müller seine,,Bibliothek deutscher OriginalRomane" eröffnet, im Einzelnen gründlich besprochen und beurtheilt hat, faßt er die Ergebnisse seiner Kritik in dem folgenden Resumé zusammen:

„Man sieht, daß mit der Herausgabe dieser sechs Romane Herr Otto Müller noch nicht Alles leistet, was er versprochen hat. Die Absicht ist vortrefflich; das Programm verräth ein sehr lebendiges Gefühl deffen, was der deutschen Literatur gegenwärtig fehlt; die Ausführung entspricht aber nicht ganz dem ursprünglichen Gedanken. Herr Müller fündigt auserlesene Werke an, denen tiefes Nachdenken zu Grunde gelegen, die mit Liebe abgefaßt und die geeignet sind, ein Erziehungsmittel für das Publikum zu werden; er kündigt Werke an, welche die Erzeugnisse der für Geld arbeitenden Literatur, die gehaltlosen Nachahmungen des Auslandes, bekämpfen und ersehen wollen; er hätte nicht vergessen sollen, daß dieser Ankündigung ohne Sicherheit im Urtheil und ohne Strenge in der Auswahl nicht Genüge ge= leistet werden kann. Die Verfasser der Romane: „Charlotte Ackermann“,,,der Sonnenwirth",,,Afraja" entsprechen troß der großen Verschiedenheit der Eigenschaften, durch welche sie sich auszeichnen, alle drei vollkommen dem Zwecke, welchen der Herausgeber sich ge= sezt; sie wissen sehr gut, was sie wollen; sie lieben eben so die Wahrheit wie die Kunst. Dies läßt sich aber den vorliegenden Romanen von Gustav Kühne, Ernst Willkomm und besonders dem von Ludwig Bechstein nicht nachrühmen. Von den sechs Werken, welche dazu dienen sollen, im Publikum die Liebe zur wahren Poesie zu erwecken, sind nur drei der wahren Poesie angehörig.

Fr. Chr. Schlosser's Dante.") Es war im Jahre 1824, als Fr. Chr. Schloffer eine Schrift über Dante veröffentlichte, und damit von seinem liebevollen Studium des italiänischen Dichters auch weiteren Kreisen Kunde gab. Die Hoffnung auf eine Fortseßung seiner Mittheilungen, nach der sich gewiß Viele gesehnt, ist leider lange unerfüllt geblieben, bis in den dreißiger Jahren der gefeierte Historifer in dem von ihm gemeinschaftlich mit Bercht herausgegebenen Archiv aufs neue die Verehrer Dantels mit Ergebnissen seiner Forschungen erfreute. Wiederum geraume Zeit ist seitdem verflossen, und kaum hat wohl Jemand daran gedacht, dem greifen Meister der Geschichte noch einmal auf demselben Weg der Ergründung der „Divina Commedia" zu begegnen. Und siehe da, ganz unerwartet werden wir mit einer hochwillkommenen Gabe überrascht. Wir erhalten in dem genannten Buche nicht nur einen neuen Abdruck jener älteren, nicht recht zugänglichen Arbeiten, sondern dazu noch aus jüngster Zeit (1853) Bemerkungen über den Zusammenhang der Canzonen, welche Dante,,Vita nuova" genannt hat, mit der „Divina Commedia”, ferner eine Uebersicht der neuesten Literatur des Dante, und aus dem Jahre 1854 einen Auffaß: „Dante's Erklärer". Es kann nicht der Zweck dieser Zeilen sein, den hohen Werth der neuesten Arbeit des ehrwürdigen Verfassers ins Licht zu stellen. Eine bloße Anzeige des Erscheinens wird genügen, um recht Viele einzuladen, in dem durchaus mit jugendlicher Begeisterung geschriebenen Buche Einsichten in das Werk des unsterblichen Dichters und geistige Erhebung zu suchen. (A. 3.)

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VI. die Familie Ammer, von (Senft Willkomm. Neuerdings find, zu dieser Magazin für die Literatur des Auslandes.

Sammlung gehörend, angekündigt: Der Amerika-Müde, von Nürnberger (ein treues Gemälde der jezigen Konflikte zwischen Deutschthum und Vankeethum in Amerika); ferner Friß Beutel, eine Münchhauseniade von Hermann Marggraff, Erich Randel, von Theod. Mügge.

Preis des Jahrganges 31⁄2 Thlr., des Quartales 5 Thlr.

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