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für ihre eigenen Interessen. Der ehrliche Deutsche mit einem Kopfe kann für keine der Kriegsmächte wirklich Partei nehmen, will er es aber doch privatim thun, um der vermeintlichen Schmach und Lächerlichkeit der Neutralität wenigstens innerhalb seiner vier Pfähle zu entgehen, so muß er erstens den Krieg überhaupt anerkennen und dann die Macht vorzugsweise, die es mit diesem Kriege am ehrlichsten und ernsthaftesten meint. Das ist Privatsache. Geschichtlich aber und als,,moralische Kollektivperson“ nimmt der Deutsche nach keiner Seite für oder wider Partei; er sieht den Friedensbruch auf beiden Seiten und sucht deshalb im Often und Westen die Vernunft wieder herzuftellen. Will man Etwas glauben, so glaube man an den Sieg dieses Versuchs, dieser wahrhaft weltgeschichtlichen deutschen That; der Deutsche glaube an seine Betheiligung, vom Sackträger in Memel und Königsberg, bis, durch alle deutsche Kunft, Wissenschaft, Literatur, Industrie hindurch, zum Friedens-Kongreß-Präsidenten herauf, der aber nicht der Sache nach als an der Spiße dieser Mission stehend betrachtet werden soll.

vorgeschlagenen Reformpläne bespricht. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert“, heißt es,,,haben Männer aller Parteien sich in dem eifrigen Wunsche vereinigt, den sozialen Fortschritt der unteren Klassen zu befördern. In dieser Absicht sind Schulen jeder Art errichtet, Sparbanken eingeführt, Mäßigkeitsvereine gebildet und Gelübde völliger Enthaltsamkeit anempfohlen worden; man hat die verschiedenartigsten Befferungspläne befürwortet, Geld, schweres Geld unterzeichnet, Prämien ausgefeßt, Traktätlein vertheilt; Geistliche aller Sekten, Diffenter, Katholiken und Episkopalen, haben sich der Sache angenommen, Novellisten haben darüber geschrieben und populäre Redner dafür agitirt. Nach so vielen wohlgemeinten, jahrelang fortgeseßten Bestrebungen, durch die Fackel moderner Wissenschaft erleuchtet und durch die vom Alter geheiligten Lehren der Religion unterstüßt, ist es betrübend, die von der Times veröffentlichten Berichte über die Trunksucht unserer Soldaten zu lesen und die sich überall aufdrängende Unmäßigkeit, Sittenlosigkeit und Rohheit unserer ländlichen sowohl als städtischen Bevölkerung wahrzunehmen. Als Resultat aller Bemü Es ist charakteristisch, daß die Nationalen und Radikalen in Eng- hungen scheint nur die Thatsache festzustehen, daß der Zustand des land fortwährend von dem zunehmenden Uebergewicht „des Germanis- Volkes sich eher verschlimmert, als verbessert hat; der Abgrund, der mus" als russischer Agentur in England, reden, während in Petersburg die gebildeteren Stände von den Massen trennt und den der Philanund besonders in Moskau die Menschifoffiften, die Altruffen, die deutsche thropismus zu überbrücken suchte, hat sich erweitert und vertieft;,,die Partei am Hofe als verkappte Engländer zu denunziren und aus Reichen find“, um die denkwürdigen Worte Gladstone's zu gebrauchen, ihrem festen Sattel zu werfen suchen. Noch sind die Deutschen weder,reicher und die Armen ärmer geworden“, und es fehlt nicht an Sympam Hofe Englands, noch Rußlands der wirkliche, echte, geschichtliche tomen, daß die getäuschten Hoffnungen der regierenden Klaffen die Germanismus, in Petersburg sogar ganz besonders Direction der Ueberzeugung in ihnen hervorzurufen beginnen, es sei zur Heilung „hohen“ Polizei; aber an beiden Höfen ist Entwickelung, Zuströmung der Gebrechen des Volkes, zur Beseitigung seiner Laster und Hebung aus dem Stamm- und deutschen Vaterlande, das größer sein muß, seines Charakters ein System der Beschränkung und des Zwanges und was die Hauptsache ist — der wahrhaft missionäre Germanis- vonnöthen. mus beschränkt sich nicht auf die Höfe, sondern fällt wesentlich in das foziale, industrielle, wissenschaftliche Leben, in die ganze Breite der Kultur-Atmosphäre.

Einem englischen Literaturbriefe sind darin besondere Schranken angewiesen. Sehen wir uns innerhalb derselben einmal etwas um. Literarisch tritt der Germanismus in England zunächst entschieden und immer deutlicher als Negation gegen das spezifische Englischthum auf, gegen das nationale, soziale, politische, diplomatische, eigenthümlich insulirte und isolirte,,boredom", den,,flunkeyism, suobishness"- Ausdrücke, die sich erst neuerdings formirt und geprägt haben, um dieses erkannte und verdammte, durch keinen bisherigen Ausdruck zu treffende, nicht zu überseßende, verrottete, in fauliger Gährung sich zerfeßende und renommistische Blasen werfende, spezifische Englischthum zu bezeichnen. Dieses spezifische England hat in England selbst keinen einzigen Freund mehr. England in England? Ja, ich bitte, dies wohl zu beachten. Darauf kömmt es gerade an. Das spezifische England ist gerade das, an welches man im Auslande glaubt, denn es ist das herrschende, das politische, das nationale, das respektable, welches sich von den Phrasen nährt, wie:,,wir sind die anglo-sächsische Raçe" - freier, gebildeter, reicher, chriftlicher, mächtiger, reinlicher (dies ist richtig), stärker, stolzer, respektabler, nobler u. s. w., als jede andere „Nation“ der Erde, drei Franzosen, fünf Preußen, funfzehn Ruffen erst so viel wie ein gemeiner englischer Anglo-Sachse. Wir sind die Freiheit, das Geld, die Macht über die Erde, Arndt's „wahres Christenthum", die eigentliche westliche Civilisation, Alles jenseits des Kanals Barbarei, höchstens der Politik wegen Frankreich gerade unter Napoleon für die Dauer der Allianz ausgenommen." — Das sind die Phrasen, in denen kein wahres Wort steckt. Aber das übrige England hat lange daran geglaubt, jeßt nicht mehr, Deutschland glaubt noch daran. Das übrige England! Was an jenen Phrasen Wahres ist, fällt gerade in dieses „übrige England“, politisch und sozial den Bodenfag, auf welchem das spezifische herumtrampelt, politisch und sozial reine Null, in Production, Bezahlung, Plack und Qual — Alles. Es wählt nicht, wird nicht gewählt. Unendlich Viele in diesem „übrigen England" haben das Geld zu politischen Rechten, aber sie enthalten sich mit peinlichfter Reinlichkeit und Privattugend jeder Einmischung in Wahl-, Meetings- und Demonstrations-Angelegenheiten. Sie gehören zu dem Heere der „,retired 'gentlemen", Künstlern, Mechanikern, Kauf- und Handelsleuten, Gelehrten und der in England ganz eigenthümlichen, sehr zahlreichen Klasse von Familien, die in ftillen, stets verschloffenen, respektablen Häusern respektabler Stadttheile wohnen und nichts thun, als ihre Rechnungen bezahlen. Sie haben so und so „much a year”, man weiß nie genau, wie viel, nie genau, woher. (Schluß folgt.)

Betrachtungen über die fittlichen Zustände des englischen Volks.

Der Londoner Economist enthält einen lesenswerthen Auffaß über die sittlichen Zustände Englands, der, an die traurigen Erscheinungen anknüpfend, welche sich in der britischen Armee im Orient dargeboten, die ungeschwächte Existenz eines nur zu allgemein verbreiteten Lafters unter dem Volke konstatirt und die von verschiedenen Seiten

,,Diese Erscheinung ist um so merkwürdiger und beklagenswerther, je mehr Umstände sich in der leßten Zeit vereinigt haben, die Lage der arbeitenden Klassen günstiger zu gestalten. Der Freihandel hat dem Arbeiter reichlichere Nahrungsmittel eröffnet und den Lohn feiner Thätigkeit erhöht. Die Gold-Entdeckungen und selbst die Kartoffelkrankheit haben ähnliche Wirkungen hervorgebracht, nachdem die erften traurigen Folgen der letteren beseitigt waren. Die politische Freiheit ist erweitert, die Literatur durch Entfernung der darauf lastenden Steuer in den Bereich des Aermften gebracht worden, und es fehlt weder an Büchern, noch an Lesern. Die beschleunigten Verbindungsmittel haben dem Volke gleichsam eine neue Welt erschlossen, indem sie es in den Stand sehen, sich rasch von einem Punkt zum anderen zu bewegen und dort Arbeit zu suchen, wo die Arbeit gerade am dringendsten verlangt und am theuersten bezahlt wird. Und dennoch, troß aller dieser Vorzüge, deren unser Volk sich in höherem Grade erfreut, als irgend ein anderes in Europa, steht es durch seine Völlerei und andere Laster den Franzosen und Deutschen gegenüber in dem unvortheilhaftesten Licht und wird von Nationen verspottet, denen es in sonstiger Beziehung überlegen ist. Es ist natürlich, daß die Erklärung eines derartigen Phänomens den Scharfsinn unserer kundigsten Beobachter auf die Probe spannen mußte, und man hat demnach die Behauptung aufgestellt — die, wenn begründet, die Sache hoffnungslos machen würde — daß diese schrecklichen Laster unserem Volksstamme angeboren und echt angelsächsisch find, wie einige unserer gerühmten Tugenden.

"Im Widerspruch mit dieser Ansicht ist jedoch zu bemerken, daß besagte angelsächsische Laster sich nicht in denselben Individuen mit den angelsächsischen Tugenden vereinigt finden - daß die tapfersten und geschicktesten unserer Landsleute nicht zugleich auch die größten Trunkenbolde und Uebelthäter sind, und ferner, daß diese eigenthümlichen angelsächsischen Laster vor nicht gar langer Zeit auch unter den höheren und mittleren Klaffen gewöhnlich waren und von ihnen abgelegt wurden, ohne daß sie sich zugleich der angelsächsischen Tugenden entledigten. Eine solche Wandelung dürfte wohl zu dem Glauben berechtigen, daß diese Laster keinesweges zu den nothwendigen Bestandtheilen des angelsächsischen Charakters gehören und daß es auch dem Angelsachsen möglich sei, sich dieselben abzugewöhnen.

„Da nun aber die bisherigen Reformpläne jedenfalls mißlungen find, so bleibt die Frage zu beantworten, durch welche Mittel die Reform sich denn wirklich erzielen laffe? Sie liegt uns eben so sehr am Herzen als den eifrigsten Vertheidigern des Maine-Liquor-Geseßes und den kräftigsten Beförderern von Schulen und Befferungs-Anstalten; wie aber die höheren Stände der Völlerei ohne förmliche Anweifungen und Ermahnungen, ohne Mäßigkeitsvereine und Enthaltsamkeitsgelübde, ohne Ausnahmsgeseße zur Bestrafung der Trunksucht und zur Belohnung der Nüchternheit entsagt haben, einfach und allein weil sie zu der Ueberzeugung gelangt waren, daß die Völlerei ein Uebel sei, daß sie die Gesundheit zerstöre und das häusliche Glück untergrabe, so möchten wir beinahe vermuthen, daß auch die Massen, wenn man sie nur sich selbst überließe, auf eine ähnliche Entdeckung gerathen und nach ähnlichen Beweggründen handeln würden. Sie streben nach Reichthum, wie die höheren Stände; sie kleiden sich, rei

fen, gehen ihrem Vergnügen nach, wie die höheren Stände; sie haben dieselbe Fähigkeit, Böses vom Guten zu unterscheiden, wie die hö heren Stände, und da ihre eigene Vernunft hinreicht, die meisten ihrer Handlungen zu leiten, so könnte man ihnen auch getrost die Aufgabe überlassen, ein Laster zu beseitigen, dessen unglückselige Folgen jedem Vernünftigen einleuchten müssen. Die Zeloten hingegen, welche die für die Menschen und die Natur herabwürdigende Theorie erdacht haben, daß die natürlichen Motive zur Nüchternheit nicht genügen, und daß es künstlicher Vorkehrungen und Zwangsmaßregeln bedürfe, tragen durch ihren unbesonnenen Eifer eher dazu bei, das Unheil zu vergrößern, welches sie auszurotten suchen. In jedem Fall war ihr Erfolg so gering, daß sie bei einigem Nachdenken selbst an die Weisheit ihres Verfahrens zweifeln und die Möglichkeit zugeben müssen, daß sie nach einer fehlerhaften Theorie zu Werke gegangen find. Ist dies möglich, so mögen sie ferner überlegen, daß der Trunkenbold nur sich selbst zu Grunde richtet, während diejenigen, welche die Trunkenheit durch eine falsche Theorie befördern, nicht allein Tausende zu Grunde richten, sondern auch den Charakter des Volks benachtheiligen. Die Moralität läßt sich einmal nicht erzwingen, bei dem Volke eben so wenig als bei den regierenden Klaffen, und je eher die lehteren dies einsehen, desto besser ist es vielleicht für Beide."

Mannigfaltiges.

Illustrirter Kalender für 1856.) Dieser Kalender aller Kalender liegt nun in seinem eilften Jahrgange vor uns. Wenn irgend ein Jahrbuch dieser Art es verdient, eine vorwärts gekehrte Zeitgeschichte“ zu heißen (wie man die Geschichte einen „rückwärts gekehrten Propheten" genannt hat), so ist es der,,Illustrirte Kalender", der sich zu allen anderen deutschen Spezialkalendern, mögen sie nun elegant oder einfältig ausgestattet sein, wie eine Encyklopädie zu einer FibelSammlung verhält. Was bringen uns nicht alles diese auf jeder Seite mit reichem Bilderschmucke verzierten Tages- und Jahreshefte! Außer dem gewöhnlichen, aber ebenfalls mit Rubriken, wie sie anderswo nicht gefunden werden, ausgestatteten aftronomischen, chronologischen, meteorologischen, Festtags- und Erinnerungs-Kalender, einen durch zahlreiche Illustrationen erläuterten Geschichts-, Hof-, Militair-, Marine-, Landwirthschafts-, Handels-, Gewerbe-, Kirchen- und Schul-, Gelehrten-, Rechts-, Heilwissenschafts-, Literatur-, Kunst- und Künstler fest-, Haus- und Frauen-Kalender. Damit ist es aber noch nicht zu Ende, denn nun folgt noch ein Jahrbuch der Statistik aller vorgenannten Zweige des öffentlichen Lebens, das so viele deutsche und außerdeutsche Namen enthält, daß kein Leser sicher ist, nicht auch den feinigen darin zu finden. Kaum irgend ein Leser, gleichviel welchem Stande und Beruf er angehören möge, wird aber auch in diesem Buche etwas von dem vermissen, was er zur Aushülfe oder zur Erinnerung in einem Kalender sucht. Uns Literaten speziell interesfirt der Bericht über das, was in Deutschland im Jahre 1854 (auf welches Jahr sich alle historischen Rückblicke des Kalenders für 1856 beziehen) für das Recht des literarischen Eigenthums und das internationale Verlagsrecht geschehen, in welcher lezteren Beziehung der Vorstand des (Leipziger) Börsenvereins der deutschen Buchhändler von der königlich sächsischen Regierung aufgefordert worden, Vorschläge zu machen, die bei den an die Bundesversammlung in dieser Hinsicht zu richtenden Anträgen als Grundlage benugt werden können.") Die Frauen werden sich ganz besonders durch zwei Auffäße befriedigt finden: durch eine Uebersicht der Thätigkeit, welche die Frauenvereine Deutschlands zur Linderung der Noth ihrer leidenden Mitmenschen entwickelt haben, und durch das Lebensbild der Frau von Bavier, welche in Berlin seit dem Jahre 1848 mit bewunderungswerther Aufopferung und Ausdauer eine Zufluchtsstätte für arme Kinder vom zartesten Alter gegründet und erhalten hat. Die Redaction dieses Kalenders, der Jedem etwas zu bringen weiß, leistet in der That Außerordentliches. Mag immerhin das Material, welches die Leipziger,,Illuftrirte Zeitung" an Zeich nungen und Schilderungen allwöchentlich aufsammelt, eine sehr zur Hand liegende Quelle sein, so bedarf es doch großer Aufmerksamkeit und Umsicht, um diese verschiedenartigsten Stoffe für die Zwecke des Kalenders, nach einem einheitlichen Plane, und zwar immer durch eine fachkundige Hand, verarbeiten zu lassen.

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Auswahl aus Washington Irving's Schriften. Einen Ehrenplaß unter den Erzeugnissen der deutschen Presse nimmt eine so eben bei F. A. Brockhaus in Leipzig erschienene, mit Illustrationen versehene Auswahl aus den Schriften Washington Irving's (englisch und deutsch) ein, die in splendider Ausstattung mit den ersten typographischen Meisterwerken Englands und Frankreichs rivalisirt und in künstlerischer Vollendung nicht wenige derselben übertrifft.) Die dazu gehörigen Zeichnungen find theils von Henry Ritter, einem jungen Kanadier, der, in Düsseldorf unter den Augen Karl Sohn's gebildet, zu den glänzendften Hoffnungen berechtigte, aber leider zu früh der Kunst entrissen wurde, theils von Wilhelm Camphausen, der auf den Wunsch des Sterbenden die fehlenden Skizzen hinzufügte. Manche von ihnen, z. B. die Scenen aus „Rip Van Winkle”, „The Spectre Bridegroom",,Dolph Heyliger" 2c. sind in der That kleine Meister. ftücke; sie enthalten eine Fülle von Humor, der sich in jedem Zuge ausspricht und ihnen dasselbe charakteristische Leben verleiht, welches die geist und gemüthvollen Gebilde durchdringt, zu deren Erläuterung sie bestimmt sind. Wir können das Werk als eines der passendsten Festgeschenke für gebildete Familienkreise empfehlen.

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Deutsche Bücher und französische Kritiker. Das Athenaeum Français vom 1ften b. M., welches aus dem so eben erschienenen dritten Bande von Leopold Ranke's,,Französische Geschichte, vornehmlich im 16ten und 17 ten Jahrhundert“ das Kapitel über Richelieu vollständig mittheilt, bringt zugleich eine sehr anerkennende Kritik von A. Stahr's,,Torso", den das Journal als ein der Schule Winckelmann's und Lessing's würdiges, kunstwissenschaftliches Werk bezeichnet. Es ist gewiß erfreulich, daß das französische,,Athenäum“ den neueren literarischen Erzeugniffen Deutschlands eine solche Aufmerksamkeit schenkt, aber darum sollte es endlich auch sich und seine Mitarbeiter von dem alten, längst widerlegten Vorurtheile emanzipiren, daß die Deutschen nur sesquipedalia verba und fein verständliches, geschmackvolles Buch zu schreiben verständen. Erst kürzlich wurde dies wieder einmal von Herrn Alfred Maury bei Gelegenheit einer Anzeige von H. Brugsch's „Reiseberichten aus Aegypten“ ausgesprochen, welchem Buche zwar ein einfacher, deutlicher und konziser Stil zuerkannt wurde, doch seien dies, meinte der Kritiker, schriftstellerische Eigenschaften, an die man in Deutschland durchaus nicht gewöhnt sei. Urtheile solcher Art muß man oft von französischen Kritikern über deutsche Bücher hören. Aber wir glauben, es gehe diesen Kritikern wie jenem Bauern, der durch keine Brille lesen konnte; die deutschen Bücher würden diesen Herren immer unverständlich sein, auch wenn sie noch so verständlich abgefaßt wären.

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Drucksachen auf der Pariser Ausstellung. Unter den bereits mehrfach von uns erwähnten Druckwerken der Pariser Ausstellung befanden sich auch die,,Atharva Veda Sanhita", herausgegeben von Rath und Whitney, und die „Grammaire démotique", von Profeffor Brugsch. Die Ausstattung und insbesondere die Typen dieser Druckwerke haben unter den Sachkennern dieses Faches, das gerade in Paris besser als irgendwo vertreten ist, so vielen Beifall gefunden, daß die Verlags-Buchhandlung Ferdinand Dümmler in Berlin, welche eben nur diese beiden Werke zur Ausstellung gesandt hatte, mit der filbernen Denkmünze prämiirt worden ist.

*) Washington Irving. Auswahl aus seinen Schriften. Selections from the Works of Washington Irving. Illustrated by Henry Ritter and Wilhelm Camphausen. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1856.

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Schachfreunde und Schachgesellschaften erlauben wir uns zeitig auf den neu bevorstehenden Eilften Jahrgang aufmerksam zu machen, für welchen u. A. abermals reiche und wichtige Gaben von den bekannten Mitarbeitern von von d. Lafa, von Jaenisch, Lange, von Oppen, den Herausgebern u. s. w. zu erwarten sind. Die ersten Hefte bringen die Fortfüh rung und den Schluß des Werkes des berühmten Damiano, bearbeitet von v. d. Lasa, und in Bezug auf seine so geistvollen Probleme durch zahlreiche Diagramme illuftrict; ferner die Auflösung und Preisvertheilung für das Nathansche Problem, zu welchem gegen hundert Lösungsversuche aus allen Weltgegenden eingegangen sind.

Neu hinzutretenden Abonnenten liefern wir den im November und Dezem= ber d. I. bereits enthaltenen Anfang des Damianoschen Werkes gratis nach. Der Jahrgang 1855 enthält gegen hundertfunfzig gespielte Partieen, hundertzwanzig Aufgaben und zahlreiche theoretische (u. a. Evans Gambit von Anderssen), historische und die Gegenwart betreffende Mittheilungen. Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an. Berlin, Ende November 1855. Beit & Comp.

Wöchentlich erscheinen 3 Nummeru. Preis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., halb jährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 153.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerftr. Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Riederwall str. Nr.21), so wie von allen königl. Poft-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslande s.

Nord-Amerika.

Horace Greeley,

Berlin, Sonnabend den 22. Dezember

Redacteur der Tribune in New-York. *)

Vor etwa fünfundzwanzig Jahren trollte ein langgewachsener, linkischer, weißköpfiger, verhungert aussehender Bursche durch New, Yorks Straßen mit einem Bündel an einem Stabe über der rechten Schulter; feine Toilette hielt mit dem urzuständlichen FeigenblattKostüm einen ziemlichen Vergleich aus; der Ausdruck seines Gesichtes bot eine seltsame Mischung von Staunen und Apathie dar; kurz, seine ganze Erscheinung machte den Eindruck eines dem Meister entlaufenen Lehrjungen, der in Verzweiflung sich nach einem anderen Unterkommen umsieht. Frisch aus den Wäldern Neu-Englands war er nach der großen Metropole gekommen, sein Glück zu suchen, mit kaum zehn Dollar in der Tasche. Unbekannt mit der Welt und den gesellschaftlichen Manieren, kam er den gepußten Leuten in der City wie ein Pilger aus dem Monde vor. Seine ungeschlachten Bewegungen hatten etwas so Groteskes, daß die Leute auf den Straßen stehen blieben und ihn anftarrten. Bei näherer Anschauung jedoch fanden sie auf dem Gesichte dieses seltsamen Burschen eine eigenthümliche Schönheit leuchten. Hinter den umwölkten Zügen blißte eine ungewöhnliche Intelligenz hervor. Eine hohe, klare, symmetrisch gerundete Stirn schien zum Wohnfig tiefen Denkens geschaffen. Seine festen, wohlgeschnittenen Lippen, auf denen sich,,Stärke und Milde harmonisch paarten", verriethen das Arbeiten eines thätigen, kraftvollen Geistes, kurz, wer ihn genauer ins Auge faßte, sah, daß dieser Herumftreicher kein gemeiner Kerl" war.

So war Horace Greeley bei seinem Eintritt in eine Bahn, die ihn zu einer gewiffen Höhe unter den Tagesberühmtheiten führte. Und reich an Interesse und Belehrung ist diese Laufbahn: sie wirft ein starkes Licht auf den Geist unserer Zeit und auf den Charakter der amerikanischen Institutionen; sie wäre fast unmöglich in einem anderen Lande oder in einer früheren Zeit. Er war, wie es scheint, gerade in einer Epoche zur Welt gekommen, die seine angeborenen Gaben braucht, und in einem Gesellschafts-Zustande, wo sie sofort nugbar zu machen find. Vom gemeinen Handwerker, der das knappe tägliche Brod erarbeitete, schwang er sich hinauf zur Stellung eines Leiters der öffentlichen Meinung. Mit der Kraft und Gedrängtheit seines Styls zwingt der autodidaktische Drucker aus dem Hinterwalde die gebildetften Klaffen, seinen täglichen Worten zu lauschen. Geboren in der dunkelsten Volksschicht der neuengländischen Pächter, ohne höhere Schulbildung, ohne den blendenden Schimmer des Reichthums und Nanges, zu furchtlos und zu persönlich im Ausdruck seiner Meinungen, zu unabhängig in seiner Gesinnung und in seinem Benehmen, um nügliche Freundschaften durch Schmeichelei zu gewinnen, bietet er das deutliche Beispiel, wie die auf sich felbft ruhende Kraft die Gewalt der Umftände bewältigt.

Schon seine Geburtsstätte war ganz geeignet, mannhafte Kühn-heit, kräftige Anstrengung, festen Widerstand gegen die unfreundliche Wirklichkeit und, durch den Kontrast, Idealität und Begeisterung in der jungen Seele zu erzeugen und zu fördern. Seine Aeltern bewohnten ein niedriges, einstöckiges Haus, von einem weitläufigen Zaun umfriedet; über einem altfränkischen Ziehbrunnen schwebte ein bemooster eichener Eimer hoch in der Luft, und die Umgebung starrte von einer fast ununterbrochenen Felsmaffe. Felsen in dem alten Obstgarten hinter dem Hause; Felsen gucken aus dem Grase auf den Weiden hervor; Felsen verbrämen den Fuhrweg; Felsen an den Halden; Felsen auf dem Kamm der Hügel; Felsen überall, nichts als Felfen." Der Stadt Amherst in New-Hampshire, worin diese bescheidene Woh. nung lag, ist von der launischen Natur ein harter Boden und ein unfreundliches Klima beschieden worden. Die einzigen Kostbarkeiten, die fie aufzuweisen hat, find die Schwärme von Jünglingen, die sie von

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*) The Life of Horace Greeley, Editor of the New-York Tribune. By J. Parton. New-York, 1855. Bgl. Nr. 87 des,, Magazin" von d. 3., wo statt des Namens Dinglet „Dwight“ zu lesen ist.

1855.

ihrem Weichbilde aussendet, um andere Pläße des Landes zu bevölkern. Die Arbeit der Farmer ist von der härtesten Art. Da führen fie den Pflug auf den Halden der steilen, felfigen Hügel hin, der Pflug knarrt, die Ochsen ftöhnen, der Treiber, ein kleiner Bube, springt von Scholle zu Scholle, der Mann lenkt den Pflug um die Felsen herum, Mann und Bube rufen jede Minute mit schrißßendem Schrei den kräftigen Thieren ein Halt zu, wenn der Pflug auf einen verborgenen Stein gestoßen, der zu groß ist, um ihn wenden zu können; und die feierliche Langsamkeit, womit der dröhnende, seufzende Zug sich dahinwindet, giebt dem schlaffen Städter, der zufällig vorübergeht, einen neuen Begriff von hartem Schaffen und ein neues Gefühl des eigenen behaglichen Looses."

Die Aeltern Greeley's gehörten zu den schlichten, hartschaffenden Farmern dieses rauhen Landstriches. Seine Mutter, die erste Lehrerin des wißbegierigen Kindes, war das merkwürdigste Muster eines neuengländischen Weibes. Mit männlicher Stärke verband fie ein sanftes, liebreiches Gemüth; unermüdlich fleißig, keinen Augenblick müßig, scheute sie keine Arbeit als zu schwer oder widerwärtig. Durch ihre muntere Laune verbreitete fie ununterbrochene Heiterkeit um sich her. Kinder waren gern um sie, während ihre Gutherzigkeit und ihr natürlicher Wiß sie zum Liebling jedes Alters machten. Ein unerschöpflicher Vorrath alter Balladen, hübscher Märchen, ländlicher Lieder und Geschichten belebten ihre Unterhaltung und zogen Jung und Alt in ihre Gesellschaft.

Der Knabe Horace, den Geschichten der Mutter lauschend, wenn fie mit gleicher Rüftigkeit Spindel und Zunge in Bewegung seßte und den Faden des Flachses und der Erzählung zu gleicher Länge fortspann, sog schon früh von ihren Lippen Hang zum Lernen. Er lernte lesen, bevor er noch recht sprechen konnte. Das kaum dreijährige Kind kauerte über der ehrwürdigen Familienbibel, die zu seiner Unterhaltung auf dem Boden aufgeschlagen lag, guckte mit anhaltender Neugierde in die Zeitungsblätter, die man ihm zu spielen gab, gleichsam als Vorzeichen seines künftigen Berufs. Jm vierten Jahre konnte er jedes beliebige Buch fertig lesen. Er begnügte sich aber nicht, die Worte in ordentlicher Reihe zu lesen, sondern fand Vergnügen daran, das Buch verkehrt zu halten, und in allen Richtungen von oben nach unten, von unten nach oben, von der Rechten zur Linken die Uebung vorzunehmen. Psychologen dürften das Streben des Mannes nach allseitiger Betrachtung der Dinge in dem Spiele des Kindes vorgezeichnet finden.

In der Distriktsschule, die er nun besuchte, galt er bald für ein Wunder, besonders in der Buchstabirkunft. Bei den Buchstabirspielen, die dazumal mit dem Eifer eines literarischen Turniers getrieben wurden, wählte man ihn ftets als Lieblingskämpen. Bis zu seinem zeh ten Jahre versäumte er die anderthalb engl. Meilen von seiner Heimat entfernte Schule keinen Tag, wie oft er auch an Wintertagen in Gefahr gerieth, verschneit zu werden. Die Neigung zum Lesen wuchs in ihm mit den Jahren und wurde zur Leidenschaft. Groß war aber die Schwierigkeit, die angemessene Nahrung zu finden, sie zu befriedigen. Die Hausbibliothek enthielt wenig mehr, als die Bibel, das presbyterianische Glaubensbekenntniß und etwa einige Dußend einzelner Bände. Zum Glück kam wöchentlich eine Zeitung ins Haus, und der Tag ihrer Ankunft war ein Fest für den Knaben. Mit Ungeduld zählte er die Tage bis zu ihrer Ankunft, und wenn die glückliche Stunde schlug, lief er dem Poftreiter auf der Straße entgegen, riß ihm das kostbare Blatt aus den Händen, eilte damit an einen entlegenen Plas, warf sich ins Gras und verschlang gierig den Inhalt. Auf die Länge jedoch wollte diese knappe Koft dem Heißhunger nicht vorhalten. Bücher waren für ihn eine Lebensbedingung; fie aufzutreiben, streifte er meilenweit umher, und als die Sammlungen der Nachbarn erschöpft waren, dehnte er seine Jagd bis auf die nächsten Städte aus. Bald gab es in der Umgegend kein Buch, das er nicht gelesen hätte. Ohne Buch sah man ihn nie. „Jede Minute, die er von der Schul- und Hausarbeit abmüßigen konnte, verwendete er aufs Lefen, und war darein oft so vertieft, daß, wenn er von den Aeltern zu einer Dienstleistung gerufen wurde, er wie aus einem tie

fen Schlafe erwachte und sich erst auf das befinnen mußte, was er zu thun habe. Das Buch ließ er aber auch dann nicht aus der Hand: lesend ging er in den Keller, in den Holzstall, in den Garten, zu Nachbarn, und hatte er seinen Auftrag bestellt, so zog er das Buch aus der Tasche und seßte das unterbrochene Lesen fort." Fing es an, dunkel zu werden, so zündete er einen tüchtigen Fichtenknorren auf dem ungeheuren Heerde an, streckte sich auf den Boden hin, das Gesicht nach dem Feuer gewendet, und las still, regungslos, todt für die Umgebung, die ganzen geschlagenen Winterabende.

So verliefen rasch die ersten Tage der Knabenzeit. Es war das Leben der Seidenraupe, die von dem Maulbeerlaub Stoff zu fünftigen kostbaren Erzeugnissen vorbereitet. Noch hatte sein Geist, obgleich mit Nahrung überfüllt, kein Zeichen von Selbstthätigkeit gegeben; noch hatte sich durch Nichts die Gegenwart des schaffenden Genies verrathen. In seinem eilften Jahre fiel ihm eine Abschrift der Gedichte von Mrs. Hemans in die Hände; sie berührten eine neue Saite in seinem Herzen, erweckten die verborgenen Quellen der Begeisterung und brachten ihn zum Bewußtsein der edleren Impulse feiner Natur. „Ich erinnere mich“, sagt er irgendwo,,,als wenn es gestern wäre, wie unter dem Eindruck des Wahren, Schönen, der tiefen Herzenskunde, welche die Gedichte der Mrs. Hemans charakteri firen, meine unreife, knospenartig eingehüllte Seele sich allmählich entfaltet hat."

England.

Englische Literatur - Briefe.

Zwölfter Monats-Bericht. 1855.

(Schluß.)

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Alles dieses übrige England", in welchem man den wahren Gentleman", der nichts Unreinliches, nichts Unfittliches, nichts Gemeines, Inichts Heuchlerisches leiden kann, in welchem man allein die Tugend und Schönheit Englands findet bis ganz hinunter in die Kreise, aus denen Dickens so oft Gold hervorgrub, hat einen größeren Abscheu vor dem spezifischen, als ich jemals zu erkennen zu geben versucht habe. Dieses übrige England im weitesten Sinne das ganze, mit Ausnahme der Spezifischen, liefert allerdings ftets eine Menge Werkzeuge und Narren für das spezifische, aber die Kluft wird immer größer und entschiedener, da eine mittlere Stellung zwischen beiden immer unmöglicher wird. Das wirklich „übrige England“ kann Niemand aufrichtiger lieben und achten, als ich, der ich es in manchen lieben Personen und Familien immer näher kennen zu lernen Gelegenheit habe. Aber dieses liebe, achtbare England hat durchaus gar nichts zu thun mit dem spezifischen, an welches Deutschland glaubt. Das ,,übrige England" sieht, erkennt und verachtet in dem spezifischen den ausgebildetften, faulsten, „most infernal humbug". Es besteht aus Individuen, Privatpersonen, deren Stolz es ist, Privatperson zu sein und nichts mit den öffentlichen Angelegenheiten" zu thun zu haben. So haben sie nicht den geringsten Einfluß auf das England, welches den - deutschen Glaubens-Artikel bildet. Schafe und Böcke sind streng geschieden. Deutschland aber glaubt in den Böcken an die Tugenden der Schafe. Das ist ein kläglicher Irrthum, kläglich, weil er ans Mangel an Selbstvertrauen hervorgeht, kläglich, weil er diesen Mangel nährt, kläglich, weil ihn eine schwere Strafe erwartet, kläglich, weil er nicht zu kuriren ist („bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren“), kläglich, weil er als Irrthum so ungeheuer grob ist und sich gegen die ganze Geschichte der englischen Politik und Diplomatie mit Brettern vernagelt. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten sich aus der Thatsache nähren, daß das „übrige England" gesund, gut, edel und ehrlich ist und wirklich die größte Majorität bildet, die früher oder später über den herrschenden „infernalen Humbug“ fiegen müsse. Das glaube ich auch, aber es dauert jedenfalls länger, als der Krieg, just weil sich alle wirklichen Gentlemen von aller Politik, als etwas Unanständigem, fern halten, länger, als bis Palmerston seinen Freiheitstrank für Deutschland in seinem Herenkeffel fertig machen kann. Bekömmt er ihn früher fertig, verwende man ihn als Nattengift und dergleichen und entwickele sich in Deutschland „von innen heraus". Geht das nicht, dann lieber gar nicht, was zwar etwas zu konservativ, aber immer noch besser wäre, als die Entwickelung durch englisch-diplomatischen Brechweinstein.

Wenige Jahre nach dieser bedeutenden Wendung in seinem inneren Leben finden wir Horace als Lehrling in einer Druckerei auf dem Lande; eine Stelle, die lange als Traum seine jugendliche Phantasie beschäftigt hatte und jezt das Maß seines Ehrgeizes füllte. Hier wurde er in die politische Debatte eingeweiht. Bald galt er für ein Orakel in dem Bunde der ländlichen Staatsmänner, die ihre abweichenden Meinungen seiner Entscheidung unterwarfen. Der Redacteur der Dorfzeitung, bei dem Greeley in der Lehre war, stand oft verdugt vor den geschickten Fragen und Winken des embryonischen Polemikers. In den wöchentlichen Meetings des „Lyceums" öffnete sich unserem Horace ein passender Schauplag zur Uebung seiner gladiatorischen Talente, und er wurde bald ein leitendes Mitglied der Gesellschaft. Hier ragte er als wahrer Riese hervor. Nicht rednerische Anmuth zeichnete seinen Vortrag aus: aber er sprach fließend und feffelnd und wußte der Debatte eine unerwartete Wendung zu geben, indem er die Hörer an irgend eine wohlbekannte, aber übersehene Thatsache erinnerte, oder ein falsches Citat berichtigte, oder sich auf die sogenannten Grundprinzipien berief. Er war ein furchtbarer Opponent, aber selbst die besiegten Gegner liebten ihn wegen seiner Offenheit und seines Ernstes. Er verlor niemals seinen Gleichmuth." Seine Lehrjahre gingen jest zu Ende. Er war der beste Arbeiter in der Druckerei, und auch bei der Redaction der Zeitung wurden feine Dienste gesucht. Im Alter von zwanzig Jahren schied er vom Schauplaße seiner frühzeitigen Siege, und mit festem Muth und praktischem Blick reichlich, mit klingenden Mitteln aber spärlich ausgerüstet, trat er die Wanderung an, um sich nach einem weiteren Wirkungskreis umzusehen. Nachdem er in verschiedenen Landdruckereien sein Glück versucht hatte, steckte er feinen mageren Sparpfennig zu sich, der obendrein durch die Unterstüßung seines verarmten Vaters auf ein Geringftes zu sammengeschrumpft war, tauchte in die Wälder, die sich in der Richtung nach dem Erie-See hin dehnen, und gelangte endlich nach New-York in dem oben beschriebenen Aufzuge. Vierzehn Monate arbeitete er in Druckereien auf Lagelohn. Er eröffnete dann eine Druckerei auf eigene Nechnung; aber unaufhörlich schwebte seiner Phantasie der Redactionstraum vor. Sein erster glücklicher Versuch war die Herausgabe des New-Yorker. Es war ein neuer Schritt auf der Bahn des amerikanischen Journalismus. Die erste Nummer erschien im Frühling 1834. Das Blatt schlich sich geräuschlos ins Dasein, ohne vorangegangenen Posaunenschall, und gewann dennoch allmählich einen ansehnlichen Lesekreis. Das markirte Gepräge deffelben zog bald die Auf- Es liegen jest drei authentische Krimgeschichten vor: die bemerksamkeit des Publikums auf sich; es gefiel durch die Kraft und kannte, von dem Times-Korrespondenten Mr. Russell, eine zum Theil Schärfe der Leitartikel, durch die Vollständigkeit und Genauigkeit der vertheidigende, mehr militairische vom Oberst - Lieutenant Bruce HamNachrichten, durch die Offenheit und den guten Geschmack der litera- ley (,,The Story of the Campaign of Sebastopol") und eine vom rischen Besprechungen und durch die glückliche Auswahl der vermisch- Korrespondenten des Morning Herald, Mr. Woods, die eben erschieten Mittheilungen. Die Preffe im Allgemeinen bewillkommnete es nen ist, und welche ich noch nicht gesehen habe. Sie soll in einem freundlich, und der Redacteur wurde bald weit bekannt und geschäßt. Grade vertheidigend sein, daß er mit den Entschuldigungen die Schuld Mancherlei ungünstige Umstände wirkten aber zusammen gegen einen nur um so ungeschickter hervorkehrt. Der Deutsche könnte sich ein pekuniären Erfolg des ,,New-Yorker", und nach einem siebenjährigen Verdienst erwerben, wenn er die Thatsachen aus allen kombinirte und fruchtlosen Ankämpfen ging er in der Tribune unter, wovon die erste fie logisch verbände und beleuchtete. Manches Richtige und Treffende Nummer im April 1841 ausgegeben wurde. Was sie unter seinen fände er auch in den bis jeßt fünfunddreißig Traktätchen des Sir Händen geworden und was sie eben nur unter solchen Händen werden Arthur Hallam Elton, eines unabhängigen Baronets, über den jeßikonnte, weiß Amerika. Sie ist ein treuer Spiegel seiner Prinzipien, gen Krieg und die innere Krisis (,,Tracts for the Present Criseiner Ueberzeugungen, seiner — denn ist der Redacteur nicht Mensch? sis". I-XXXV.). Er ist ein Mann des Friedens, aber nicht wegen Pfd., Vorurtheile. Die meisten Original-Auffäße flossen und fließen aus Shill. und Pence, wie die Herren von Kattun und Manchester, sondern, seiner Feder; sein Geist webt in jeder Zeile; in den Augen des Pu-,,weil keine Art von Ehre für England aus diesem Kriege hervorgeht", blikums find die Vorstellungen Horace Greeley und Tribune identisch.

Der Abscheu vor dem herrschenden englischen Humbug kann nicht größer sein, als im „übrigen England“ selbst. Das alte, germanische, ehrliche Element Englands selbst und das wissenschaftlich und literarisch aus Deutschland importirte tritt mit einer Schärfe, Breite und Entschiedenheit dagegen auf, daß man in Deutschland sich die Augen ausstechen oder gewaltsam glaubensblenden muß, um es nicht zu sehen. Liest man keine englische Zeitungen in Deutschland? So unsicher, schwankend und diplomatisch diese auch leitartikeln, kann man es doch aus jeder Spalte sehen. Liest man keine englische Bücher, die doch fuderweise übersezt werden? Liest man die Thatsachen nicht zuweilen aus den verschwimmenden Zeitungs-Phrasen heraus? Man lese dann z. B. die englische Krimgeschichte im Zusammenhange, von Augenzeugen, von verschiedenen Standpunkten, auch dem der Vertheidigung, und wenn dem Leser nicht selbst gus lezterem ein Licht aufgeht, muß seine geistige Amaurosis vollständig ausgebildet und unheilbar geworden sein.

wohl aber die Krisis, welche Englands Bestehen gefährde. Er fürch

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Ich will die Kriegs- und Krisen-Literatur nicht weiter verfolgen und möchte hier ein- für allemal die Leser der Literatur-Briefe bitten, in den bisherigen Hinweisungen auf die faulen Flecke des politischen, geltenden, spezifischen England wesentlich nichts als Versuche zu er blicken, Deutschland mit seinem Glauben auf sich selbst zu verwei. sen, nicht auf das geographische Vaterland, sondern auf die welthistorische, kosmopolitische Mission deutschen Wissens und Schaffens, durch welche andere Länder und Nationen bereichert, in der Kultur gefördert, mit einander vermittelt und versöhnt werden; nichts als Versuche, Deutschland mit dem Walde, den es vor Bäumen nicht sieht, bekannt zu machen, mit dem Walde von Thatsachen, daß es stets mehr giebt, als empfängt, daß es auch ganz wesentlich England befreien muß, statt von ihm bessere Zukunft“ u. dgl. zu erhalten.

Ich habe schon früher auf die kontinentale, besonders deutsche Nichtung im englischen Leben, in Industrie, Wissenschaft, Kunst, Literatur hingewiesen und gemeint, den Vogel schon an den Federn zu kennen, z. B. am Barte. Ja, ich sehe in dem kaum sechs Monate alten Schnurrbarte von Charles Dickens blos aufgegangene Saat eines neuen Frühlings, die alten Schollen und Schrullen des spezifischen England durchbrechend. Vielleicht sieht man dies deutlicher aus den zwanzig Heften von,, Little Dorrit", wovon das erste Heft erschien oder sich vielmehr in ganze Wulfte von Anzeigen verkroch. Aus welcher ursprünglichen Quelle fließt Thackeray's feine, schonungslose, absolute, satirische Polemik gegen das spezifische England? Aus Deutsch. land, aus Goethe, aus Weimar, wo er einen hübschen Theil seiner Jugend verlebte. Woher kömmt die deutsche Sprache, die deutsche Literatur, die deutsche Erziehung in immer zahlreicheren, edlen Kreisen Englands? Nun, wahrscheinlich weder vom Monde, noch aus Sibirien. Dickens stand nie in direkter Beziehung zu der deutschen Literatur. Aber er selbst hat es wiederholt versichert, daß er Carlyle, dem wesentlich deutschen Denker und Dichter, unendlich viel verdanke. Das spezifische England erklärte ihn, Carlyle, zuweilen für verrückt, aber seine Popularität hat dabei immer zugenommen. Lewes widmet ihm seine „Biographie Goethe's", als dem edlen Manne, der England zuerst lehrte, Goethe zu würdigen, dem ersten, gründlichen Lehrer des Germanismus in England; Carlyle's Werke, bisher der großen Menge ziemlich unzugäng lich, weil sie zu voluminös, zu theuer und zu tief waren, find jezt in einer wohlfeilen,,Anthologie“ („Passages selected from the Writings of Thomas Carlyle. By Thomas Ballantyne". Chapman & Hall.) erschienen. In Kritiken über dieses Buch wird er, der einst Verrückte, der finnlose Schwärmer u. s. w.,,,der wichtigste Schriftsteller Europa's" genannt, nach den Urtheilen von Thackeray, Dickens, Ruskin, Tennyson u. s. w. unübertrefflich in Größe und Tiefe des Gedankens, in Malerei und Humor, ein Shakespeare in Darstellung der französischen Revolution, gegen welche die von Lamartine ein schöngeistiges Gewäsch sei. Auch Macaulay's elegante, conventionelle Form und Geschichtschreibung verschwinde gegen Carlyle's tiefe, historische, individualisirende, stets ins Herz seiner Personen und Thatsachen drin. gende Darstellung zu oberflächlicher Rhetorik. In diesem Tone geht es fort. Es kömmt uns hier nicht darauf an, solche Kritik zu kritisiren, mag sie übertrieben sein. Richtig darin ist die begeisterte Anerken. nung des produktivsten, reichsten und nobelsten Schriftstellers und Menschen, der das Wesen seines Verdienstes und seiner ganzen Production aus dem Geifte des Germanismus, aus der deutschen Literatur schöpfte und zu bescheiden ist, um seine eigene Genialität und dichterische Fülle für Etwas an sich zu halten.

Uebrigens kann man auf diese überschwängliche Anerkennung CarIple's in der englischen Kritik eben so wenig geben, als auf dessen Anschwärzung früher. Wenn er nicht sich und Autoritäten, wie die genannten, für sich hätte, der Kritik selbst könnte man nicht trauen. Es ist ein allgemeiner, oft unnatürlich werdender Fehler der Engländer unter sich, daß sie sich gegenseitig unaufhörlich und bis in die gröbfte Schmeichelei hinauf belobqualmen. In jeder Gesellschaft werden fie alle nach der Reihe mit Toaften belobhudelt. Stundenlang fteht immer Einer nach dem Anderen auf, um, betoastet und apotheosirt, fich gegen einen Dritten zu revanchiren und in Hyperbeln das Unmögliche zu leisten. Um mich in literarischer Sphäre zu halten, erinnere ich nur an die neue Ausgabe der „Noctes Ambrosianae", vom Profeffor Wilson in vier Bänden, von denen die beiden ersten erschienen find. Ich weiß nicht, ob sie in Deutschland bekannt sind. In England hat sich der gute Ruf derselben erhalten, seitdem sie der Reihe nach in Blackwood's Magazine zuerst erschienen. Launige, feine, humoristische Schilderungen und Betrachtungen. Aber in Kritiken jest

heißt es, Nichts in der Welt sei so humoristisch, wie diese „,Noctes Ambrosianae”, und der „Schöpfer derselben vereinige alle Schönheiten des Sokrates, Shakespeare, Johnson und Burke in sich.“ Das klingt beinahe sehr kühn! Die Alliirten, Helden So und So, ohne Gleichen in der Geschichte der Menschheit, haben das Unmögliche gethan, mehr, als die Titanen, die den Himmel stürmten; sie haben Sebastopol genommen; aber was sind sie alle gegen meinen Freund Jenkins oder Johnson, d. h. Schulze oder Müller, welcher mit den göttlichen, unfterblichen Waffen seines Genius, seines Pinsels, noch viel tiefer und fester verschlossene Geheimnisse der Kunst in Farben und Lichtern offenbarte! „Ehre den Helden auf der Krim, aber mehr Ehre für den Pinsel meines Freundes Schulze!" So spricht ein erster englischer Freund.

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Die weißen, mit rothen Bändern beseßten Jacken der Damen in Abendgesellschaften find,,spezifisch englisch", eben so wie die „,Cambridge Essays", alle von Mitgliedern der Universität geschrieben und mit vollen Namen unterzeichnet. Man muß dabei nicht vergessen, daß die,,Fellows" der Universität zeitlebens Mitglieder der Universität bleiben, wo sie das Leben später auch hinverseßen mag. Die diesjährigen,, Cambridge Essays" bestehen aus neun Abhandlungen: „Marine“, „Tennyson“, „Cooper“ u. f. w. Ich habe blos Galton's Notizen über moderne Geographie" wissenschaftlich werthvoll und weniger spezifisch englisch gefunden. In den anderen Essays klingt es immer, als wäre England mit seiner von klöfterlichen Mauern und Institutionen geschüßten Wissenschaft (die also nicht umzukehren“ braucht) etwas ganz Auserwähltes vor Gott und Menschen. Noch muß ich ein Stück Kriegs-Literatur in Fraser's Magazine (November-Heft), „A Campaign with the Russian Army", von einem deutschen Wundarzte, erwähnen. Er fungirte als russischer Wundarzt in Sebastopol und dem russischen Lager während der Belagerung. Er schildert malerisch und treffend. Man lieft aus jeder Zeile die Ueberzeugung, daß er Alles selbst sah und erlebte, daß er richtig sah und deshalb richtig urtheilen kann. Der Tumult und die Schrecken in Sebastopol vor dem Sturme, die Nacht vor der Schlacht an der Alma, die Schlacht selbst find großartige Gemälde frisch aus dem Leben weg. Auch er bestätigt, daß nur die Franzosen Alma gewannen und nicht nur dies, sondern daß sie auch den Herzog von Cambridge aus einer Situation retteten, welche die Niederlage vielleicht unvermeidlich gemacht hätte.

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Man wird dabei unwillkürlich wieder an Aktenstücke und Thatsachen erinnert, aus denen hervorgeht, daß den Türken unter OmerPascha, während die Alliirten in den Sümpfen hinter Varna aufgerieben wurden (vor denen Omer-Pafcha expreß gewarnt hatte) Niederlagen und den Ruffen an der Alma Erfolg gewünscht ward (?), eben so an die Intriguen, durch welche Omer-Pascha während seiner ganzen Krimzeit an allen entscheidenden Thaten und unabhängigem Handeln behindert ward. Wir haben Sündfluthen von Geschichten der Krim-Expedition, aber noch lange keine Geschichte derselben. Diese wird aber erst unter ganz anderen Personen und Zuständen möglich sein, wenn die Sündfluth von Geschichten abgelaufen sein wird. Die Sündfluth von Geschichten! Diese find wahrhaft pyramidal und ragen weit mehr als funfzehn Ellen über die höchften Berge, so daß keine Rettung vor ihnen möglich ist. Ueberall, wohin man sieht, Kriegsbilder, Kriegsgeschichten. Jedes Unterhaltungsblatt hat immerwährend Kriegsnovellen, jede Bilder-Zeitung wimmelt jeden Sonnabend frisch von in Holz geschnittenem Pulverdampf mit Bajonetten, Leichen und springenden Bomben dazwischen, Lagerscenen, Landungen, Abreisen, Alles, auch das Unmöglichste, das Ekelhafteste (z. B. das Verbrennen ungezieferlicher Kleidungsstücke) wird in Holz geschnitten, oft groß wie ein Scheunthorflügel und in großen bedruckten Penny-Fahnen verkauft. Kulturgegenstände, Kunst und Wissenschaft sind dabei ganz in Vergessenheit gekommen, Geschmack und Bildungsrichtungen im Volke barbarisirt und verdorben, zumal da die in Holz geschnittenen und in Buchdruckerschwärze verwandelten Kriegsgeschichten in der Regel mit einem Terte auftreten, welcher die Barbarei der Kunst literarisch noch übertrifft. „Wir haben da und dort so und so viel Russisches zerstört, verbrannt oder versenkt, die Russen uns aber blos so und so viel geschadet, folglich haben wir so und so viel weniger Schaden, als die Russen." Beiläufig, ein großer Irrthum. Man hat bereits den meisten Siegen der Alliirten den Pyrrhussieg nachgewiesen, schon aus dem Umstande, daß unter der englischen Mißverwaltung im Durch schnitt jeder Soldat ein Pfund Sterling täglich kostet und dabei früher wenigstens ganz direkt verhungerte und erfror. Das Bombardement von Sweaborg soll den Engländern über eine Million Pfund Sterling mehr kosten, als die Beschädigungen an den Festungswerken negatives Kapital für Rußland gemacht haben. — ,,Wir haben 1815 fo und so viel Kriegs-Ausgaben bestritten, ohne zu Grunde zu gehen, folglich können wir jeßt, reicher und zahlreicher geworden, recht gut auf viele Jahre jährlich achtzig bis hundert Millionen Pfund Sterling extra für den Krieg erübrigen. Also immer zu; aber nicht zu

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