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er einen Knaben durch Tortur direkt hatte todtmachen lassen, zu einigen Monaten Gefängniß verurtheilt. Das Gefeß hatte für ihn Transportation auf Lebenszeit; man nahm jedoch Rücksicht auf seine sonftige,,Respektabilität“. In Indien, wo mehrere Hundert Fälle von faktischer grausamster Tortur (z. B. eine Art Daumenschrauben an weib liche Brüfte angebracht) englischer Steuer-Einnehmer amtlich ermittelt in einem Kommissionsberichte®) vorliegen, wäre er ganz straflos davongekommen. Eine Witwe, die wegen entrüsteter Abweisung inde center Anträge vom Steuer-Einnehmer und dessen Polizeidiener an beiden Brüften mit dem Tortur-Knebel („Killis“) gemartert und an den auf dem Rücken zusammengebundenen Händen in ihrer Hütte aufgehangen worden war, bis sie ohnmächtig und bewußtlos geworden, klagte bei der englischen Behörde, mit ärztlichen Zeugnissen versehen. Sie wurde abgewiesen, weil sie eine „respektable, amtliche Person" verklagte. (Dies ist ein Schlüssel zu den jeßigen mörderlichen Revolutionen im englischen Indien.) Im Mutterlande der Kolonieen bestraft man doch wenigstens noch die Verbrechen, wenn sie zu Tage kommen und wenn ein gehöriger Ankläger auftritt, z. B. den 60jährigen hohen Richter in Edinburg, einen der höchsten der hochkirchlichen Elite dieser Stadt, bei dem ein Deutscher, durch hohe Empfehlungen eingeführt, Zutritt hatte, bis er einmal erzählte, daß er Strauß,,Leben Jesu" gelesen. Seit der Zeit ward er von keiner der Familien, die mit dem hohen Richter umgingen, wieder eingeladen. Derselbe hohe Richter wurde neuerdings wegen in großer Menge nachgewiesener Fälle von Unzucht gegen unreife Kinder zur Transportation verurtheilt. Unlängst wird eine der vielen Tausenden obdachloser Weiber und Mädchen in London auf der Straße von Wehen überrascht. Eine mit leidige Seele miethet ihr in einem schmußigen,,Court" elende vier Wände. So wie die Hauseigenthümerin bemerkt, daß sie ein Kind geboren, wickelt sie lezteres in ein Stück Zeug ein und nöthigt und ftößt die Mutter desselben zum Hause hinaus mit verschiedenen Drohungen, um beide Geschöpfe auf die kalten Steine der Straße zu placiren. Ein mitleidiger Policeman holt ihr etwas, Brandy and Water" und bringt die Sache vor den Magistrat. Die Mutter des gestorbenen Kindes, hier gefragt, warum sie sich nicht an ein Arbeitshaus gewandt habe, antwortet, daß sie dies gethan, aber mit Gewalt hinausgestoßen worden sei, wie die Untersuchung auch bestätigt. Vor einiger Zeit findet ein Mann in der Nacht ein sterbenskrankes Weib auf der Straße. Sie bittet ihn, ihr nach Hause zu verhelfen, und führt ihn in eine abgelegene Höhle der Armuth. Hier wird er plöglich von den Helfershelfern der,,Sterbenskranken" ausgeplündert und gemißhandelt davongejagt. Fälle ähnlicher Art, aber mit einem romantischeren Schein, sind sogar eine sehr übliche Praxis. Eine halbverschämte, halbwillige, ziemlich fein angezogene Dame findet endlich einen Gimpel, der ihr in einen stillen, dunkeln Theil einer Straße (allemal sehr nahe) folgt, weil fie lispelnd sagt, daß sie sich nicht der Gefahr aussehen wolle, von ihrem Manne oder einem ihrer Dienstboten (fie zeigt dabei auf ein brillanies Haus) gesehen zu werden. Kaum hat der Gimpel einige zärtliche Worte mit der Dame in der abgeschiedenen Dämmerung gewechselt, springt ein Mann hervor. „Herr, was haben Sie hier mit meiner Frau zu thun? Und Dich, Frau, schlag ich todt!" Sie klammert sich ängstlich an den zärtlichen Unbekannten: „Sir, beschüßen Sie mich, verlassen Sie mich nicht!" Er, verdugt und dummer, als je zuvor, weiß natürlich nicht gleich, was er, von der Schönen umflammert, thun soll. Ueberraschung und böses Gewiffen machen ihn ganz unfähig, zu sehen, was zu thun sei oder was gerade jezt mit ihm vorgenommen werde. Er stände vielleicht noch länger unschlüssig, wenn die Dame nicht plöglich davonliefe und der entrüstete Gatte hinterher. Jeßt nimmt sich der Zurückgebliebene Zeit, wieder an seine Füße, an seine Person, an sein Ich und Eigenthum, also auch an seine Börse zu denken. Erst begreift er gar nicht, wie sie aus seiner Tasche gekommen sein kann, bis er endlich auf den schwarzen Gedanken kömmt, sie sei vielleicht in Gedanken mit der Dame davongelaufen. Die Erfahrung hat bestätigt, daß die Geldbörsen in diesem Falle immer die merkwürdige Eigenschaft besigen, mit der Dame davonzulaufen.

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(Fortseßung folgt.)

Nord-Amerika.

Die Begründung des nordamerikanischen Bundesstaats. Nach Eduard Reimann.**)

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Herr Cornelius de Witt hat vor kurzem in einer aus den neuesten Quellen geschöpften Biographie Washington's dem Publikum ein leb

* Report of the Commissioners for the Investigation of Illegal Cases

of Torture in the Madras Residency.

**) Die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika im Uebergange vom Staatenbunde zum Bundesstaate. Bon Dr. Eduard Reimann, ord. Lehrer an der Nealschule j. heil. Geist in Breslau. Weimar, Hermann Böhlau, 1855.

haftes Bild des Befreiungskrieges und der ersten Schicksale der nordamerikanischen Republik vorgeführt. (Vergl. Revue des deux Mondes, 1. Mai 1855; „Magazin für die Literatur des Auslandes“, 28. und 30. August 1855). In der That muß sich in einer Geschichte desjenigen Mannes, der in dem Freiheitskampfe der Oberfeldherr und in den ersten acht Jahren der Republik ihr Präsident war, ziemlich deutlich die gleichzeitige Geschichte der gesammten Nation darstellen. Indeffen der Pariser Friede erfolgte 1783, und Washington's Präsidentschaft beginnt erst 1789. Die Zwischenzeit war keine Mußezeit, und fie steht an historischer Bedeutung keiner anderen nach. Hatte Amerika sich durch Waffengewalt der englischen Herrschaft entzogen, so bestand seine zweite, große Aufgabe darin, sich aus dem Chaos der Revolution zu retten, und durch lebenskräftige Institutionen eine Vereitelung aller bisherigen Erfolge zu verhüten. Die Verfassung der Vereinigten Staaten war das Werk jener ersten Friedensjahre, und die Versammlung, welche, durch das Vertrauen aller dreizehn Unionsstaaten berufen, dieses oberste Grundgefeß auszuarbeiten hatte und es nach viermonatlichen, eifrigen und erschöpfenden Erörterungen im September 1787 wirklich zu Stande brachte, steht naturgemäß im Mittelpunkte dieses ganzen Interregnums. Eines der zahlreichen, talentvollen und patriotischen Mitglieder des Konvents von Philadelphia war allerdings auch Washington, ja, er war, als der gefeiertste Mann der Nation, zum Vorsißenden desselben gewählt worden, und es machte im Lande einen mächtigen moralischen Eindruck, daß sein Name an der Spiße der Unterzeichner der neuen Verfassung stand. Aber an der Entstehung derselben im Einzelnen hatte er doch nur geringeren Antheil, schon seine Stellung als Präsident brachte es mit sich, daß er in die Debatten der Versammlung sich nicht mischte und an den Ausschußberathungen nur selten Theil nahm. Die innere Geschichte des Konvents von Philadelphia oder, mit anderen Worten, die Geschichte der Begründung des nordamerikanischen Bundesstaats nimmt daher in der Wittschen Biographie Washington's mit Recht nicht mehr als etwa zwei Bogen ein. Und wie sehr ist sie dennoch einer eingehenden Darstellung werth? Verdankt der nordamerikanische Freistaat doch diesem Konvent noch bis auf den heutigen Tag seine Organisation, also zum Theil seine Existenz. Wen sollte es nicht intereffiren, im Einzelnen dem Gange der Verhandlungen zu folgen, welche zu einem so großen Resultate führten? Daß hier zum ersten Male in der Geschichte der Bundesstaat auftritt", das giebt dem Konvent von Philadelphia seine welthistorische Bedeutung; daß die Amerikaner die große Aufgabe, an welcher die deutsche Nation vor wenigen Jahren gescheitert ist, am Ende des vorigen Jahrhunderts aufs glücklichste gelöst haben, das macht uns den Gegenstand besonders wichtig und lehrreich. Mit hoher Freude begrüßen wir daher das Reimannsche Werk, welches gerade diese hochwichtigen geschichtlichen Vorgänge, über welche bisher noch kein Buch mehr als eine dürftige Kunde enthielt, zu seinem ausschließlichen Thema hat.

Das Buch ist ein Produkt siebenjähriger Studien und befigt alle Vorzüge einer gediegenen wissenschaftlichen Arbeit. Nach einer höchft sorgfältigen, zum Theil mühsamen Herbeischaffung des Materials, ging der Verfasser mit gleicher Gewissenhaftigkeit an die Verarbeitung desselben, in doppelter Beziehung seinem Gegenstande gewachsen. Er bekundet nämlich erstens in hohem Grade jene Reife des politischen Denkens, die für ein Geschichtswerk dieser Art ganz unerläßlich war. Dann aber verstand er es, den ziemlich unfügsamen Stoff geistig so zu durchdringen, daß er ihn vollkommen beherrscht und mit Umsicht und Klarheit zur Darstellung bringt. Dadurch wird sein Vortrag nicht nur da, wo er thatsächliche Ereignisse zu veranschaulichen hat, `übersichtlich und feffelnd, sondern auch wo er, wie in dem größeren Theile seines Buches, von den politischen Verhandlungen des Konvents ein Bild entwirft, ist die Lektüre deutlich und bequem. Bedenkt man, daß der Konvent in tiefer Abgeschloffenheit von dem übrigen Volke berieth, daß zwischen ihm und der Außenwelt keine jener Wechselwirkungen stattfand, welche sonst konstituirenden Versammlungen erhöhtes Intereffe verleihen, so muß es dem Verfasser als kein geringes Verdienst angesehen werden, daß es ihm gelungen ist, diese umfangreichen Verhandlungen,,in Geschichte umzuseßen", ohne den Leser zu ermüden. Er hat den Stoff nach seinen Hauptmaterien, wie Wahl und Rechte der Nationalvertretung, Wahl und Rechte des Bundespräsidenten, vertheilt, und durch diese glückliche Anordnung nicht nur angenehme Uebersichtlichkeit erzielt, sondern die einzelnen Kapitel des Buches werden dadurch zu umfassenden Abhandlungen über die wichtigsten Fragen des staatlichen Lebens, und ein Politiker wird darin nicht vergeblich Rath und Belehrung suchen.

In der Einleitung ist sehr passend von den früheren Unionsversuchen der englischen Kolonieen die Rede, namentlich von der Vereinigung des Jahres 1643 und von dem Bündnisse von 1754. Beide Male gaben äußere Angriffe dazu den Anstoß. Merkwürdigerweise war die erste Verbindung gegen die Herrschaftsgelüfte der Holländer, die zweite gegen die Eingriffe der Franzosen gerichtet und von der

englischen Regierung selbst aufs eifrigste ins Werk geseßt worden. Als es sich später um die Losreißung vom Mutterstaate handelte, da wurden die Rollen gewechselt, und die Union hatte im Kriege gegen Eng land sowohl Frankreich als auch Holland zu Bundesgenoffen. Die Wichtigkeit dieses Entscheidungskampfes knüpfte natürlich auch das Band der Union enger als je zuvor; „der Generalkongreß leitete die KriegsOperationen, schloß Bündnisse und Verträge, schickte und empfing Gefandte und vertrat überhaupt die Nation dem Auslande gegenüber. Aber nur in der ersten Zeit hatte der Krieg diese Wirkung. Die drei zehn,,,,freien und unabhängigen Staaten"" entäußerten sich keines weges der Mitwirkung. Der Kongreß empfahl, rieth und beschloß, aber die Ausführung blieb den Staaten überlassen. Je länger der Kampf dauerte, desto mehr ging die eigentliche Gewalt vom Centrum nach der Peripherie, und die Staatenpolitik überwog hier wie dort. Eifer süchtig auf einander und auf den Kongreß, der wohl selbst zu kräftige, rem Handeln vom Oberbefehlshaber ermahnt werden mußte, sahen die einzelnen Staaten vorsichtig darauf, daß sie keine größeren Lasten übernähmen als ihre Nachbarn; einer wartete ab, was der andere thun würde, und alle handelten mit Widerstreben, bis die höchste Noth gebieterisch Gehorsam erzwang." Mit einer bewundernswürdigen Ausdauer überwand Washington diese eigenthümlichen Schwierigkeiten, und der Krieg hatte den erwünschtesten Ausgang. Aber jeder denkende Patriot hatte sich in dieser Zeit von der Nothwendigkeit einer Stärfung der Centralgewalt überzeugt. Daher beschäftigten sich einzelne Männer, wie Hamilton, Franklin, und der Kongreß selbst ernstlich mit einer Regeneration des Bundes, und schon 1781 kamen neue BundesArtikel zu Stande. Der Kongreß führte jedoch auch nach der allseitigen Annahme derselben das frühere fieche Leben fort, ein namenloser Schatten, eine bedeutungslose Versammlung, und Alles litt unter dieser Schwäche der Centralregierung." So wurde endlich von verschiedenen Seiten her das Bedürfniß einer gründlichen Reform, der Ruf_nach einem außerordentlichen Generalkonvent laut und fand überall, mit Ausnahme Rhode-Islands, des kleinsten und hartnäckigsten Staates der Union, den lebhaftesten Anklang.

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Der Konvent sollte am 2. Mai 1787 in Philadelphia seine Sigungen beginnen. Von zweiundsechzig Gewählten langten allmählich fünfundfunfzig an, „nicht Neulinge in der Politik, sondern begabte, kenntnißreiche und erprobte Männer, eine Versammlung von Halbgöttern, wie Jefferson einmal in einem Briefe sie nannte." Bald zeigte sich jedoch, daß die Vertreter der Nation, wie diese selbst, in ihren Ansich, ten und Bestrebungen mannigfach unter einander abwichen. Der Wunsch, ein kräftiges Bundesregiment zu schaffen, erregte die Besorg. niß und den Widerspruch Vieler, die darin eine Gefahr für die junge Freiheit erblickten; schon dieser Punkt war die Quelle der heftigsten Konflikte. Nicht minder widerseßte man sich jeder Erweiterung der Centralgewalt auf Kosten der Behörden der einzelnen Staaten. Ueberhaupt bot der Partikularismus hier, wie überall unter ähnlichen Verhältnissen, die größten Schwierigkeiten dar. Denn außer dem gemeinfamen Interesse, das alle Staaten gegen eine Beschränkung ihrer Befugnisse durch die Bundes-Autoritäten vereinigen mußte, standen sich in den wichtigsten Fragen die speziellen Intereffen der einzelnen Staa ten unter einander feindlich gegenüber. Ging man an die Organisation des Handels, an Steuer-, Ein- und Ausfuhrgeseße, an die Erledigung der Sklavenfrage, bald traten sich der Norden und der Süden in geschlossener Phalanx entgegen. Am tiefsten aber griff der Gegenfaß der großen und kleinen Staaten in alle Verhandlungen ein. Das Institut des Senate, in welchen alle Staaten eine gleiche Zahl von Vertretern zu senden haben, war eine Konzession an die kleinen Staaten, die in einer nur nach Köpfen gewählten National Repräsentation mit ihren Sonderintereffen stets in der Minorität zu bleiben fürchteten. Von gleichem Einfluß war der Widerspruch der kleinen Staaten bei Bildung der Exekutivgewalt, bei den Bestimmungen über direkte oder indirekte Wahl des Präsidenten, über seine Amtsdauer und Wiederwählbarkeit u. a. m. In dieser Weise zog sich der Widerstreit der Interessen und der Kampf der großen und kleinen Staaten bis zum Schluffe der Berathung hin.“ Ohne diese Gegenfäße wäre das Verfassungswerk unvergleichlich müheloser und rascher zu Stande gekommen. Und wie es zur künstlerischen Darstellung eines großen Kampfes gehört, daß der Autor den Leser eben so oft in die getrennten Lager der Gegner führe, wie auf den gemeinsamen Kampfplaß wir erinnern an das Muster eines Homer oder Tasso - so hätten wir allerdings gewünscht, daß auch der Verfasser uns in einem besonderen Kapitel ein zusammenhängendes Bild der einzelnen Staaten und ihrer harakteristischen Unterschiede gegeben und uns die großen Faktoren gezeigt hätte, aus denen wir aus den innersten Trieben des amerikanischen Lebens jene geschilderten Kämpfe des Konvents und die Verfaffung der Vereinigten Staaten als Produkt resultirten.

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Es kann unsere Aufgabe nicht sein, die Debatten des Konvents hier im Einzelnen zu verfolgen. Ihr endliches Ergebniß war die im Großen und Ganzen noch jezt bestehende Constitution des nordameri

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kanischen Freistaats, eine Schöpfung, die sich in mehr als fechzigjähriger Praxis glänzend bewährt hat. Die alte Verfassung wurde durch fie nicht modifizirt, sondern völlig umgestaltet; an die Stelle des Staatenbundes trat der Bundesstaat. „Der Bund vom Jahre 1781 war ein Verein von dreizehn unabhängigen Staaten. Nun wurde die Einsehung einer obersten Regierung für eine Nation vorgeschlagen. „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten"", lautet der Eingang, „,,,beschließen und errichten hiermit diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika."" Die Centralgewalt wurde von der Mitwirkung der Staaten befreit und mit den Mitteln ausgerüstet, ihren Gesezen Geltung zu verschaffen. Ihre Anordnungen gehen nicht mehr auf Staaten, sondern auf Individuen. Sie erhebt selbst die nöthigen Steuern; die Truppen sind nicht mehr die Kontingente der einzelnen Staaten, sie werden, wie die Verwaltungsbeamten und Richter des Bundes, von diesem befoldet. In den ConföderationsArtikeln von 1781 versprach jeder Staat, sich der Entscheidung der im Kongreß versammelten Vereinigten Staaten in allen Punkten zu unterwerfen, welche rechtmäßig vor dieselben gehören. In der neuen Verfassung wurde diese selbst nebst den Gesezen und Verträgen des Bundes für das höchste Landesgeseß erklärt; auch die Repräsentanten und Senatoren, die Verwaltungsbeamten und Richter der Einzelstaaten müssen schwören, die Verfassung und die Geseze des Bundes aufrecht zu halten."

Wenn im Laufe der langen Verhandlungen die Leidenschaftlichkeit der Parteien sich oft zu einer bedenklichen Krisis gesteigert hatte, wenn der greife, weise Franklin sich einmal veranlaßt fand, vorzuschlagen, daß man den Beistand des Himmels erflehen und jeden Morgen die Sigung mit Gebet beginnen sollte, so nahm später der Sinn der Versöhnlichkeit im Konvent zu, und Franklin, „die schöne Pflicht des Alters erfüllend“, rieth nicht vergeblich zum Nachgeben. Nur durch diesen Geist der Freundschaft und gegenseitigen Nachgiebigkeit gelangte man endlich zu dem erwünschten Ziele, nur durch diesen Geißt allein fand die neue Verfassung Zustimmung und Annahme in der Union. Wohl machte sich sowohl in der Presse als auch in den Legislaturen der Einzelstaaten mannigfache Opposition geltend, als das Werk, welches in der Einsamkeit der verschloffenen Gemächer geschaffen worden war, ans helle Licht der Oeffentlichkeit trat, „ein Kind des Glückes, um von den Einen geliebkost, von den Anderen geschlagen zu werden" (Washington an Lafayette). Aber der gesunde Sinn des Volkes verwarf jede Gegenrede, und ein glückliches Auskunftmittel hob leicht über alle Schwierigkeiten hinweg. Der Konvent hatte, auf den Autrag Madison's, jeden künftigen General-Kongreß der Vereinigten Staaten ermächtigt, Verbefferungen der Verfassung, die sich als nothwendig herausstellen sollten, vorzunehmen. Die meisten Staaten-Konvente nun nahmen die ihnen vorgelegte Verfassung einfach an, und was sie verändert oder hinzugefeßt wünschten, formulirten fie als stehende Instruction für ihre künftigen Vertreter bei dem Kongreffe.

,,Am 13. September 1788 traf der Kongreß die nöthigen Anftalten zur Einführung der Verfassung, indem er nach den Bestimmungen des Konvents von Philadelphia die Zeit der Wahlen für die Senatoren und Repräsentanten und für den Präsidenten, so wie Zeit und Ort des Zusammentritts der neuen Bundesversammlung, feftfeßte. Die Wahlen gingen vor sich und fielen günstig aus. Amerika begann eine andere Periode seiner staatlichen Entwickelung.“

,,Der neue Kongreß trat in New-York zusammen, und Langdon aus New-Hampshire verkündigte das Ergebniß der Präsidenten-Wahl: einstimmig hatte das Volk Washington zu dieser hohen Stellung berufen, J. Adams aus Massachusetts wurde Vice-Präsident. Am 30. April 1789, fünf Tage vor der Eröffnung der französischen National-Versammlung, schwur Washington auf dem Balkone der Bundeshalle vor beiden Häusern des Kongresses und in Gegenwart einer unübersehbaren Volksmenge, daß er sein Amt treu verwalten und nach Kräften die Verfassung aufrecht halten, schüßen und vertheidigen wolle.

Hiermit schließt die verdienstliche und wohlgelungene Arbeit des Herrn Reimann. Zum Schluffe noch ein Wort aus der Vorrede des Verfassers über die Eigenthümlichkeit seiner Hauptquelle, der „Papers of James Madison, published by H.D. Gilpin" (New-York, 1841), in drei Bänden. „Wir finden in diesem Buche die Verhandlungen des Konventes vom Anfange bis zum Schluß der Sizungen. Wie Thulydides die Wichtigkeit des peloponnesischen Krieges alsbald erkannte und daher den Stoff für sein unsterbliches Werk frühzeitig zu sammeln anfing; eben so war auch Madison, durchdrungen von der Aufgabe, welche der Konvent zu lösen hatte, von vorn herein darauf bedacht, die Verhandlungen desselben der Nachwelt aufzubewahren. Zu dem Ende wählte er seinen Siß dem Präsidenten gegenüber, so daß er Alles, was gesprochen wurde, gut hören konnte, und jedesmal, wenn eine Sigung beendigt und der Eindruck noch frisch war, arbeitete er nach den gemachten Bemerkungen seinen Bericht aus. Es traf sich so glücklich, daß ihn kein Unfall und keiné Abhaltung zu Versäumnissen zwang, und auf diesem Umstande, so wie seiner Ausdauer, beruht die Möglich

keit einer Geschichte des Konvents. Es war bekannt, daß Madison solche ausführliche Aufzeichnungen in Händen habe; so lange er aber lebte, wurde nichts veröffentlicht bis auf eine kleine Ergänzung des Konventsprotokolles. Als er 1836, der leßte der Männer von Phi. ladelphia, gestorben war, da kaufte der Kongreß die druckfertig hinterlaffenen Papiere, und auf deffen Befehl erschienen fie 1841." Dr. L. D.

Polen.

Die Eisenbahnen in Galizien.

Bereits im Jahre 1840 fam in der Versammlung der galizischen Stände der Bau von Eisenbahnen zur Sprache, und unter dem 12. OFtober deffelben Jahres trat unter Dr. Tomaschek's Vorsiß eine Kommission zusammen, welche die Aufgabe zu lösen hatte, zu untersuchen, welche Vortheile die Anlage von Schienenwegen bieten könne. Dem Ober-Ingenieur Brettschneider wurde die Ausarbeitung des Planes übertragen.

Nach den Vorlagen der Kommission stellte es sich heraus, daß der Bau einer Eisenbahn durch Galizien nicht nur der Hebung der Industrie im Lande selbst sehr ersprießlich sein müsse, sondern auch für die österreichische Monarchie, ja, für ganz Europa eine Sache von höchster Wichtigkeit sei. In früheren Zeiten war Lemberg durch viele Jahrhunderte hindurch der Mittelpunkt der Verbindungsstraße zwischen dem Orient und dem westlichen Europa, der Ort, wo die aus Armenien, der Türkei, Persien und anderen Ländern des Ostens ziehenden Karawanen ihre Schäße niederlegten.

Der Gedanke, durch einen Weg über Galizien das Schwarze Meer mit der Nordsee zu verbinden, ist durchaus kein neuer. Die Vereinigung von Dniestr und Bug, Weichsel und Oder, San und Dniestr sollten diesen großartigen Plan verwirklichen, kamen jedoch nicht zur Ausführung. Bei der Gestaltung, welche die Dinge in politischer Hinsicht in den lezten Jahren gewonnen haben, tritt die Nothwendigkeit der Verbindung aufs klarste hervor, und die Linie, welche einerseits Galacz und andererseits Hamburg zu Endpunkten hätte, müßte auch die galizische Hauptstadt berühren. Heute schon zieht sich der Schienenweg ununterbrochen von der Mündung der Elbe bis nach Dembiza. Die Strecke von dieser Stadt bis nach Bochnia war bereits 1853 vollendet, doch dachte man nicht an deren Anschluß an die Krakauer Bahn, was schon aus dem Umstande erhellt, daß man das auf dem Damm und dessen nächster Umgebung reichlich wachsende Gras in Pacht gab.

Der Umschwung, der durch den Krieg am Schwarzen Meere eingetreten ist, und welcher sich auch in Galizien deutlich genug fühlbar macht, hat mehr als alle industriellen Rücksichten auf die Beschleunigung des Baues der galizischen Bahn eingewirkt. Der General Baron von Heß war ganz besonders von dieser Nothwendigkeit durchdrungen und brachte in Vorschlag, zur schnelleren Förderung militairische Kräfte zu verwenden. Man befolgte seinen Rath, und es gelang auf diese Weise, die Strecke von Bochnia nach Krakau - eine Entfernung von fünf Meilen binnen Jahresfrist zu vollenden.

Gegenwärtig arbeiten an der sechs Meilen langen Strecke von Dembiza nach Rzeżów sechstausend Mann Soldaten, und im Kreise Krakau viertausend. Die Nivellirungen finden in zwei entgegengeseßten Richtungen statt, nämlich von Nzeżów nach Przemyśl einerseits and andrerseits von Suczawa nach Tschernowig.

Die Bahn hat den Zweck, Krakau mit der moldauischen Gränze in unmittelbare Verbindung zu sehen, und berührt auf ihrem Laufe die Städte Dembiza, Rzeżów, Przemyśl, Sambor, Halicz, Kolomyja, Tschernowig und Suczawa, wo sie sich an die Moldauer Bahn anschließt, die über Jassy nach Galacz führen soll, und deren Bau, den eine englisch-französische Gesellschaft übernommen, im nächsten Frühjahre beginnen soll. Lemberg wird sich durch eine Zweigbahn, welche in Przemyśl oder Sambor einmünden soll, an die Hauptlinie anschließen. Im Laufe des Dezember soll eine Probefahrt auf der viertehalb Meilen langen Strecke von Trzebinia nach Oswiecim stattfinden und dann die ganze Linie zwischen Oderberg und Oświecim, die eine Ausdehnung von zehntehalb Meilen hat, dem öffentlichen Verkehre übergeben werden. Man wird demzufolge mit Anfang des nächsten Jahres die Reise von Dembiza nach Oderberg zurücklegen können, ohne das preußische Gebiet zu berühren, dadurch sechs Stunden Zeit ersparen und von dem erstgenannten Orte aus zur Reise nach Wien nicht mehr als zwanzig Stunden gebrauchen. Die Stationen auf galizischem Gebiete werden sein: Czarna, Tarnów, Bogumiłowice, Brzesko, Bochnia, Podłęże, Krakau Trzebinia, Chrzanów, Dówiesim, Dziedzic, Pruchno, Oberberg.

Mit der Eröffnung der Bahnstrecke nach Dderberg erfolgt zugleich diejenige der Zweigbahnen nach Biała (Bielig) und nach Troppau. Zum Frühjahre führt die Eisenbahn schon bis Rzeżów, und werden auch die Zweigbahnen zwischen Bierzunow und Wieliczka, Podłęże und Niepolomice, Szczakowa und den Kohlenbergwerken zu Jaworznia (unweit der preußisch-schlesischen Gränze) so weit vorgeschritten sein, um fie benußen zu können.

Daß diese neu eröffneten Straßen von größtem Einfluß auf den Verkehr sein müffen, bedarf wohl kaum der Erwähnung; sie werden aber auch der deutschen Intelligenz ein neues, großes und reichen Gewinn versprechendes Feld eröffnen, besonders wenn der einheimische Gutsbesizer sich nicht bequemen will, mit der Zeit fortzugehen. Wenn auch, was wahrscheinlich ist, der Preis der Güter steigt, so wird er, im Verhältniß zu demjenigen, was bei angemessener Behandlung der Boden bringt, immer noch ein mäßiger sein. (Now.)

Mannigfaltiges.

Schladebach's Universallerikon der Tonkunst. Von dem in diesen Blättern bereits erwähnten „Universallexikon der Tonkunst“, unter Mitwirkung von Liszt, Marschner, Reissiger und Spohr herausgegeben von Dr. Jul. Schladebach,°) liegen uns die beiden ersten Hefte vor, welche von A bis Albinoni reichen. Es finden sich in diesen Heften unter Anderem die wichtigen Begriffe,,Aesthetik“, „Akkord“ und Akustik" abgehandelt, von welchen besonders der lettere Begriff mit großer Vollständigkeit und augenscheinlich mit den Erfahrungen eines kompetenten Beobachters behandelt ist. Jedes der beiden Hefte ist mit einem schönen Stahlstiche, der Eine Mozart und der Andere Beethoven darstellend, Ersterer von sinnigen Emblemen umgeben, geschmückt. Wir entnehmen dem Vorworte des Herausgebers die nachstehenden Notizen:

„Das erste Dictionnaire de Musique gab Seb. de Brossard im Jahre 1703 heraus; mehr als ein halbes Jahrhundert später folgte ihm Rousseau's wohlbekanntes und in den ästhetischen Artikeln vorzugsweise werthvolles Werk unter gleichem Titel. Ersteres darf als die Grundlage aller späteren ähnlichen Schriften angesehen werden, zu denen für Frankreich namentlich noch die ganz nach Rousseau bearbeitete Encyclopédie méthodique de Musique von Framéry und Ginguené gehört. Deutschland ließ dann nicht lange auf sich warten und brachte in J. G. Walther's „musikalischem Lerikon" (1732) das erste wahrhaft bedeutende Werk dieser Gattung, dem sich die Späteren bis auf die neue Zeit zu schuldigem Danke verpflichtet fühlen müssen und das, was ausschließlich den biographischen Theil betrifft, von dem wackeren L. G. Gerber in seinem (alten und neuen) „Lexikon der Tonkünftler“ bis in den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts sorgfältig fortgeführt worden. England brachte ein Musical Dictionary, von James Graffineau (1740), mit vorzugsweiser Benußung des Werkes von Brossard, und sodann des berühmten Thomas Busby Complete Dictionary of Music (1801), während Italien erst im zweiten Viertel unseres Jahrhunderts durch einen Deutschen, Peter Lichtenthal,) etwas Bedeutendes auf diesem Gebiete in dem sehr sorgfältig gearbeiteten Dizionario e Bibliografia della Musica (1826) erhielt.“

Entvölkerung der Sandwich-Inseln. Die Bevölkerung des Inselreiches des Königs Kamehameha vermindert sich in einem erschreckenden Grade, worüber ein daselbst ftationirter Missionär in einem in den,,Annales de la propagation de la foi" veröffentlichten Briefe folgende Angaben macht:

,,Wir Missionäre hier können uns wie Leute betrachten, welche eingeladen sind, um dem Leichenbegängniß einer Nation beizuwohnen. Das allmähliche Verschwinden des havaiischen Volkes ist wahrscheinlich. Zu Cook's Zeit waren 300,000 Bewohner auf diesen Inseln; zur Zeit des Regenten Kahumanu 150,000; 108,000 im Jahre 1836; 78,000 im Jahre 1850; 1854 blieben blos noch 71,000. Diese Angaben sind aus offiziellen Dokumenten geschöpft. Ich las kürzlich in einem öffentlichen Blatte der Regierung, daß man in den Annalen der Welt kein Beispiel einer gleichen Zerstörung sähe, als die in diesem Archipel vorgehende. Es ist gewiß, daß, wenn das Mißverhältniß, welches sich alljährlich zwischen der Ziffer der Gestorbenen und der der Geborenen herausstellt, in gleichem Maße fortschreitet, unsere Nachfolger im Apostolat und vielleicht noch einige unserer jest lebenden Kollegen nur neuen Ansiedlern das Evangelium zu verkünden haben werden."

*) Dresden, Verlag von Robert Schefer. Der Herausgeber hat sich das Recht zu einer Ueberseßung des Werkes ins Französische und Englische selbst vorbehalten.

**) Der die Italiäner auch mit Lessing's „Laokoon" und mit Winckelmann's Ideen über die Kunst bekannt machte. D. R.

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 @gr., balbjährlich 1 Thir. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 152.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bej Beit u. Comv., Jägerstr. Kr. 25, und beim Spetiteur Neumann, Niederwallstr. Kr. 21), so wie von allen königl. Voft-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Griechenland.

Berlin, Donnerstag den 20. Dezember

Platon in der Gegenwart.*)

Die Griechen und Römer waren nicht blos im Alterthume die unversöhnlichen Feinde der Barbaren, sondern sind es heute noch und werden es immer sein. So oft das Barbarenthum sein Haupt erhebt, muß man diese seine natürlichen Gegner wieder ins Feld rufen und mit ihren Waffen die Widersacher echter Humanität immer von neuem bekämpfen. Als im Mittelalter die Wissenschaft in spitsindige Scholastik, die Religion in dumpfen Fanatismus ausgeartet war und die Menschheit in den Fesseln geistiger und leiblicher Knechtschaft schmach. tete, da waren es die aus dem Grabe wiedererstandenen Alten, welche die Rettung brachten und den Menschen die verlorenen Güter wiedereroberten, und so oft eine Umkehr zur Barbarei droht, werden fie uns immer vor ihr schüßen. Das klassische Studium darf daher nicht auf die Schule beschränkt bleiben, es muß, wenn es seine volle Wirksam keit beweisen soll, aus der Schule mit in das Leben hinübergenommen und wieder Gemeingut aller Gebilceten werden, und deshalb ist jeder Versuch, die Kenntniß der Alten auch dem Laien zu erleichtern und zugänglich zu machen, mit Dank aufzunehmen.

In diesem Sinne verdient auch die in der Anmerkung genannte Schrift des Herrn Arnold volle Beachtung. Es liegt uns nur der zweite Theil vor. Der erste ist in zwei Heften 1835 und 1836 erschienen und enthielt achtzehn Schriften Platon's, und zwar die kleineren und leichteren Gespräche nebst dem „Phädon“ und „Parmenides“. Der zweite Theil liefert die noch übrigen Gespräche. Ein dritter Theil soll dann die Platonische Lehre im Zusammenhange und ausführlich darstellen, und ihm wird ein Register beigegeben werden, die wichtigsten Begriffe, Lehren, Geschichtliches u. s. w. nach der Buchstabenfolge enthaltend. Ueber den Zweck seiner Schrift äußert sich der Verfasser folgendermaßen:

„Der Zweck des Buches ist wesentlich dahin gerichtet, die Schwierigkeiten, die sowohl der Jnhalt, als auch die Methode und Form der Platonischen Schriften bieten, zu beseitigen, indem der Gedankengang in kürzeren Säßen dargelegt und so die ganze Gliederung des Gesprächs genau und deutlich verzeichnet wird. Auf diese Säße folgt dann nach jedem derselben ein Auszug des Inhalts des Werks selbst, der durch kleineren Druck unterschieden ist. Dies zusammen soll sowohl dazu dienen, durch die Gliederung beim Lesen der Platonischen Werke das Verständniß zu erleichtern und den Ueberblick und inneren Zusammenhang darzulegen, als auch beim weiteren Fortschreiten auf den zurückgelegten Weg mit seinen verschlungenen Pfaden zurückzu schauen und dem Gedächtnisse zu Hülfe zu kommen. Endlich hat es auch die Bestimmung, bei der späteren Darstellung der Lehre in ihrem Zusammenhange Vieles kürzer faffen zu können, indem auf das hier schon Vorliegende verwiesen wird. Wenn diese Auszüge also nicht das Lesen der Platonischen Werke selbst entbehrlich machen wollen, indem sie das Wesentliche kurz darbieten, sondern gerade jenem förderlich sein sollen: so schließt das doch nicht aus, daß in einzelnen Fällen und für Manche sie auch für sich genügen mögen, so wie in der Geschichte der Philosophie auch solches durch Auszüge bezweckt wird, ohne daß erwartet wird, daß alle die bezüglichen Schriften felbft noch von Allen gelesen würden, sondern, wenn dies geschieht, dann auch als Führer und zum leichteren Drientiren in den ausführlichen Werken dienen sollen. Demnach bietet sich das Buch in verschiedenen Beziehungen als ein Hülfsmittel beim Studium des Platon dar.“

Wenn wir auch gern zugestehen, daß die übersichtliche InhaltsAngabe der einzelnen Gespräche dem Laien das Studium Platon's sehr zu erleichtern im Stande ist, so wäre doch für ein Gesammtverständniß der Platonischen Schriften noch besser gesorgt worden, wenn der Verfaffer auch den Zusammenhang der Gespräche unter einander berück fichtigt hätte. Wir können es ihm indeß nicht verargen, daß er sich

*) Platon's Werke, einzeln erklärt und in ihrem Zusammenhange dargeAtellt von Aug. Arnold. Zweiter Theil. Erfurt, G. Villaret, 1855.

1855.

keinem der früheren Kritiker in der Anordnung der Platonischen Gespräche angeschloffen, weil auch sie meist von subjektiven Ansichten über das vermeintliche System oder den angeblichen Entwickelungsgang Platon's ausgehen, sondern es vorgezogen hat, die Methode, nach der er selbst am leichtesten zum Verständniß Platon's gelangt ist, zu Grunde zu legen, zumal er selbst für sie durchaus nicht die Unbedingtheit in Anspruch nimmt. Viel Beachtenswerthes hat der Verfasser in der Einleitung über den Entwickelungsgang der Philosophie und ihre ge= genwärtige Periode und über die Bedeutung Platon's für die Philosophie überhaupt und insbesondere für die Einführung in dieselbe gesagt. Jeßt", heißt es unter Anderem,,,kömmt es nicht mehr darauf an, neue Methoden zu entdecken, die wahren sind schon alle gefunden und angewandt worden; auch nach neuen Prinzipien wird man vergebens suchen; es handelt sich nur darum, unter den vorliegenden die ersten richtig zu ergreifen, dann von ihnen aus alle Begriffe so, wie sie wirklich zusammenhängen, abzuleiten, zu ordnen und das Ideale mit dem Realen, oder das Gedachte mit der Wirklichkeit, in harmonische Einheit zu brin gen, wo die Behandlung und Verwendung der Gegenfäße, zugleich als eins und als verschieden, die Haupt-Aufgabe bleibt. Somit liegt ein verderbliches Mißverständniß und der Hauptgrund der Anfeindung der Philosophie darin, daß man diese selbst, die eine ideale, mit den vielen realen, erscheinenden, oder den Schulen, Systemen verwechselt, die immer individuell beschränkt sind, wo sich Wahrheit und Irrthum mischen. Es verhält sich hier, wie mit der einen Religion und den vielen, oder der allgemeinen, unsichtbaren Kirche und den vielen streitenden, wo jede den echten Ring geerbt zu haben behauptet, daher Schiller seinen „,Glauben“ so bekennt: Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die Du mir nennst! Und warum keine? warum keine? - Aus Religion." Die ideale allgemeine Religion, wie die Philosophie, sind aber eins, denn die wahre Gottes-Erkenntniß ist der Grund und die Wurzel der wahren Philosophie."

Jest gerade, wo das Reale das Ideale, die Materie den Geist zu verdrängen drohen, thut ein Platon noth. Auch wir haben noch unsere Sophisten in der Politik, in der Wissenschaft und Religion, gegen welche die Waffen Platon's noch nicht stumpf geworden sind. Auch jezt noch, wie damals, verhüllen Sophiften in schöne Phrasen von Tugend und Volksbeglückung ihre Selbstfucht und Eitelkeit. Zu welchen Grundsägen der Materialismus im Leben führt, das läßt Platon im Gorgias den jungen Kallikles, einen echten Zögling damaliger Zeitbildung, die, das Ideale verachtend, nur auf das Reale und Praktische drang, mit jugendlicher Offenheit aussprechen: „Es giebt ein von Natur Schönes und Gerechtes, und das ist, wenn Jemand, der richtig leben will, seine Begierden so groß als möglich werden läßt und ihnen, wie groß fie auch find, Genüge zu leisten sucht durch Tapferkeit und Klugheit. Weil aber die Meisten das nicht im Stande sind, so tadeln sie gerade solche Menschen, aus Scham ihr eigenes Unvermögen verbergend, und sagen, Ungebundenheit sei etwas Schändliches, und loben die Besonnenheit und Gerechtigkeit ihrer eigenen Unmännlichkeit wegen. Der Wahrheit nach aber verhält es sich so: Ueppigkeit und Ungebundenheit und Freigebigkeit, wenn sie nur Rückhalt haben, sind eben Tugend und Glückseligkeit, jenes aber ist Ziererei, widernatürliche Sazungen, leeres Geschwäß der Leute und nichts werth.“ Worauf Sokrates sehr richtig erwiedert: „Du sagft ganz offen heraus, was die Anderen zwar auch denken, aber nicht sagen wollen."

Und wie den Materialismus im Leben, so bekämpft Platon den Materialismus in der Wissenschaft. Der Einwand, den er zu seiner Zeit den materialistischen Naturforschern gemacht hat, die, wie er sagt, feft darauf beharren: Alles was sie nicht mit Händen zu greifen im Stande find, sei durchaus nichts, ist heute noch so schlagend, wie damals: „Wenn sie“, meint er, „dem Körper auch nur ein Sein beilegen und ihm ein gewiffes Vermögen zu wirken und zu leiden zugestehen, so sezen sie schon ein Ueberfinnliches, das das Sinnliche beftimmt." Und wie er auf der einen Seite gegen den grobsinnlichen Materialismus kämpft, so ist er auf der anderen Seite das beste Gegengift gegen unklare Gefühlsschwärmerei und dumpfen Autoritäts

glauben, gegen alle Gefangennehmung der Vernunft. Herr Arnold hat Recht, wenn er es besonders hervorhebt, daß Platon Idealist, aber nicht Mystiker, Träumer, nicht vom göttlichen Wahnsinn getriebener Prophet ist, wie oft geglaubt wird. „Es ist also nicht wahr, wenn man sagt: "Der Tiefsinn des Platon hat immer etwas von dem heiligen Dunkel der Götterhaine, daß es oft beffer ist, in der Andacht, mit welcher man ihn lieft, nur seinen Geist nachzuahnen, als ihn mit Alles erklärenden Analysen seines Feuers zu berauben"" (Schloffer: ,,Platon's Briefe", S. XXXI.). Er widerspricht dem überall selbst. Weder will er selbst nur ,,ahnen", noch Andere „nachahnen“ laffen. Was wollte er mit seiner steten Frage: Was ist die Erkenntniß? Was das Gerechte? Was die Tugend? u. s. w., wenn es ihm nicht auf den flaren und genauen Begriff überall ankäme? Er müßte ja sonst das „richtige Meinen“, das Ahnen, Fühlen der Wahrheit, über Alles feßen und nicht fordern, daß es erft „gebunden“ und zum Sicheren und Verklärten „durch den im Denken aufgefundenen Grund" gemacht werde. Wo das Ahnen anfängt, da hört das Philosophiren auf, und das Dichten, das Meinen, das Unwißbare liegt außerhalb dieser. Ge rade die scharfe und einschneidende Logik, die Dialektik, ist seine Stärke, und wo diese ihr Ziel, wie meist, erreicht, da ist es, wo man,, der Wahrheit und ihm nicht widersprechen kann." - Platon ist Wissen. schaft die Erkenntniß der Idee des Guten, und Tugend gerecht und fromm sein mit Einsicht, und den Weg dazu findet er in der Verähnlichung mit Gott so weit als möglich. Philosophie und Religion find bei ihm wahrhaft eins.

Darin eben besteht der Vorzug Platon's vor allen anderen Philosophen, daß er die Philosophie vom Leben nicht trennt, daß er uns nicht ein abstraktes, wissenschaftliches System, sondern eine wahre Lebenskunft giebt, in seinem idealen Sokrates das Muster aufstellend, wie durch die Philosophie das Wahre gefunden und das Gute und Schöne im Leben verwirklicht wird. Darum ftimmen wir von Herzen dem Herrn Arnold bei, wenn er das Studium Platon's besonders der reiferen Jugend empfiehlt. Sie möge sich wieder durch ihn an dem Idealen erwärmen lernen, damit, wie einft zu der Medizeer Zeiten, Platon zum zweiten Male die Welt von sophistischem und scholastischem Wufte reinige. E. M.

England.

Englische Literatur-Briefe.

Zwölfter Monats - Bericht. 1855.

(Fortseßung.)

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theilen werde, um deren Integrität“ von verschiedenen Seiten her
zu beschüßen und zugleich einen kleinen Ersaß für ausgelegte Gelder
und Blutströme zu haben. Also was blieb nun? Nichts als England.
Da ist die bessere Zukunft zuhause, da ist Vorrath, da braut Pal-
merston in dem liberalen Herenkessel der Diplomatie eine ungeheure
Masse Freiheitstrank, und da der Herr die Deutschen so lieb hat,
giebt er ihnen davon im Schlafe ein, so daß sie, früh Morgens er-
wacht, noch mit der Schlafmüße auf dem Kopfe, fich plöglich frei und
glücklich fühlen, Erholungspause des Völkerlebens" hinter sich, und
Freiheit und Brüderlichkeit und wohlfeile Kartoffeln in Menge, frisch
und warm mit über Nacht gebackenen Milchbroden. So spekulirt der
gute deutsche Glaube an England. England macht's und wir krie-
gen was ab. Wer also England „schlecht macht“, will uns um
die in der Wolle gefärbten, wafferdichten, gegen Mottenschaden ver-
sicherten Freiheitsartikel bringen, die wir später jedenfalls abkriegen;
wer also England „schlecht macht“, ist Kreuzzeitung, ist Russe. Der
Kerl hat Rubel in der Tasche, credo. Warum glaubst Du's? Credo,
quia absurdum, denn, wenn ich's beweisen könnte, wenn ein Sinn
darin läge, warum braucht' ich's denn zu glauben? Warum glaubst
Du? Weil ich nach der „Erholungspause“ auch etwas abkriegen will.
Kannst Du Dir nicht ein Bischen selbst besorgen? Thörichte Frage
von dem niederträchtigen Ruffen. Wir können, auch dürfen
wir ja nicht! - Aber warum nun gerade an England glauben?
Da erkennt man wieder die Rubel in der Tasche. Schnöder Ruffe,
an wen sollten wir denn sonst glauben? Habt ihr uns etwas Anderes
übrig gelaffen? Ei wohl, ich sollte meinen, Deutschland selbst mit
dem in Musik gefeßten kategorischen Imperativ: Sein Vaterland
muß größer sein.“ Der Engländer glaubt an England, der Franzose
an Frankreich, der Russe an Rußland, selbst der Maitäfer fliegt mit
eigenen Schwingen, aber Deutschland glaubt an England und fliegt
nur, wenn ihm John Bull pustet. Wenn die schnöden deutschen Kor-
respondenten in England irgend eine geheime Absicht haben, warum
sie England immer so schlecht machen“, ist es die, daß Deutschland
an sich glauben lerne. Ein Bischen ordentliche deutsche Geschichte,
und Ihr wißt, daß Alles, was wir in der ganzen Welt Freiheit, Civi-
lisation, Fortschritt u. s. w. nennen, immer wesentlich von Deutsch-
land aus germanischen Schöpfungen hervorging. Die Substanz der
Freiheit in England, in Amerika ist uralte, deutsche Institution, jest
überwuchert, zerfeßt, zerseßt, in den Roth getreten von Entartung,
Barbarei und Humbug aller Art. Und Ihr glaubt an England, an
das der romanischen Freiheit" Napoleon's verfallene England.
,,England macht's, und wir kriegen was ab!" Ja, wartet nur, Jhr
müßt abgeben an England, an Rußland, an Frankreich, weil Ihr
die Einzigen seid, die bei der ganzen Geschichte etwas verdient und
profitirt haben. Das Pathos und der Zweck des Krieges ist, wie die
Times wiederholt sehr richtig bemerkte, zu sehen und zu probiren, wer
am meisten verlieren und sich am meisten ruiniren laffen kann. Ver-
lieren und ruiniren thun sie Alle, und zwar ungeheuer en gros. Der
nationale, ftolze Engländer sagt: Wir können uns am längsten, am
großartigften ruiniren und ruiniren lassen, denn wir haben das Geld.
Also immer d'rauf! Schont weder Menschen, noch Geld! We can af-
ford it! Wir haben's dazu. Wir halten's länger aus, als diese
„Ruhsch’äns“, denn diese haben nur Getraide und Fett auf dem Lande,
wir aber das Geld. Sie merken nicht, daß fie damit den natürlichen
Vortheil, den Rußland vor ihnen voraushat, zugeben und aussprechen,
und Rußland troß aller Niederlagen doch am wenigsten ruinirt wird,
zumal da England nach wie vor deffen Lalg und Getraide kauft, nur
theurer, weil Deutschland als Mittelglied seine Spesen haben muß.
Da diese Spesen zugleich der einzige Profit sind, der nicht wieder
todtgeschlagen wird, profitirt auch Deutschland nur allein dabei und
muß deshalb nach dem Frieden nach Often und Weften abgeben, wie
es die einzige Macht ist, die Rußland aufhalten kann. Deutschland wird
sich aber nicht durch Krieg gegen Rußland gefährlich zeigen, sondern
es bekämpft Rußland von innen heraus. Die Civilisation, die wirkliche,
echte Kultur Rußlands ist bereits wesentlich eben so deutsch, wie die
Kultur Englands, in beiden Ländern direkt vom Throne herab bis zu
dem geringften deutschen Sprach- und Musiklehrer. Die deutsche Neu-
landgläubigen darin finden, sie ist auch nicht „Erholungspauserei“ in
Feffeln, sie ist die civilifirende, ausgleichende, tiefe, seit vielen Men-
schenaltern ohne Renommißterei thätige, immer mächtiger hervortretende
That der Kulturgeschichte, für welche selbst der blödsinnig gewordene
Mars ruffische Rubel und englische Sovereigns in preußisch Courant
verwandeln muß. Der Deutsche, wenn er privatim, ehrlich und moralich
Partei nehmen will an diesem Kriege, muß er vor Rußland Respekt
haben mit Verachtung gegen die Heuchelei der „wirklichen Civilisation“.
Rußland kämpft doch wenigstens ehrlich und wirklich um Zwecke, um
welche immer Waffenkriege geführt werden, um materielle Eroberung,
Vergrößerung, um Meerwasser für seinen Handel; die Alliirten aber
weder für die Türkei, noch zur Verkleinerung Rußlands, nicht einmal

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Aber wer wird die Nachtseiten einer so riesigen Stadt, wo natürlich auch riesige Laster vorkommen, so zufammenstellen? Warum nicht auch lichte Punkte? Leider muß man darauf aufmerksam machen, daß es in dieser Beziehung gar keinen Tag in London giebt, am allerwenigsten im November. Allerdings kommen Fälle vor, daß ein Droschkenkutscher das Geld, welches ein Bank-Clerk in der Droschke liegen ließ, expreß in die Bauk wieder hineinfährt; aber dann find die Herren so erstaunt, daß sie ihm gleich eine Zehnpfundnote geben, und dann, beschämt über ihre Knickerei, ihm noch eine Zehnpfundnote nachschicken. So ein Stück Ehrlichkeit bringt die Leute ganz außer Faffung. Sie wissen nun nicht, wie sie einen so unglaublichen Fall von Ehrlichkeit belohnen sollen. Ehrlichkeit umsonst? Kein Gedanke. Wird nicht der ehrliche Kit", dieser liebenswürdige Held, neben dem Swiveller von Dickens, ungeheuer verhöhnt, weil er verspricht, er wolle das nächste Mal für den Shilling, auf den er nicht herausgeben kann, das Pferd noch mal halten? Und erregt er nicht den schwärzesten Verdacht, weil er wirklich kam? Möchte da nicht die raffinirteste Gaunerei dahinter ftecken? Und warum sucht Dickens seinen Helden der Ehrlichkeit blos unter den Söhnen der Waschfrauen? Warum nicht in den Kreisen, in welchen sich Thackeray bewegt. Da find die,,Newcomes". Newcomes, antwortet Ihr, mir glaubt man's nicht. Ja, die Literatur antwortet ausführlich und unwiderleglich. Sie ist in ihren besten Werken das wirkliche englische Leben, und dieses Leben erscheint darin durchweg als Humbug, Hypokrisie und Hohn auf_tralität ist kein Zufall, keine Marotte, keine Schmach, wie sie die EngAlles, was die England-Gläubigen für heilig halten, um deffenwillen es in ihrem Glauben gegen Rußland kämpft. Mit dem Gläubigen zu streiten, ist gefährlich und mindestens vergeblich. Man glaubt in Deutschland an England, weil man durchaus an etwas außerhalb glauben will. Und Frankreich ist als dieser Glaubensartikel ganz und gar aus der Mode gekommen. Während der revolutionairen Bewegungen glaubten die Liberalen in den Provinzen an Berlin, die Berliner an Wien, einmal halb Deutschland an Dresden, dann faft ganz Deutschland an Ungarn, dann an die Türkei. Ja, zuleßt müssen die Türken als Glaubensartikel für die christlich-germanische „gute Sache“ in Leipzig herhalten. Aber mit der Zeit hielt auch dieser Artikel die Farbe nicht. Es kamen Ahnungen, daß man sich in die Türkei

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