Billeder på siden
PDF
ePub

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Egr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 143.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerfir. Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Riederwallfit. Nr. 21), so wie ven allen königl. Poft-Aemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

England.

Goethe und Thackeray.

Berlin, Donnerstag den 29. November

Die Liebe und die Verehrung, welche Deutschland dem größten Dichter der Engländer weiht, wird von England durch eine fast gleiche, dem Heros der deutschen Poesie gezollte Achtung erwiedert. In seiner eigenen Heimat wird Goethe kaum höher geschäßt, als unter dem ge bildeten Theile des englischen Publikums, die englischen Uebersehungen des „Faust“ zählen nach Dußenden, und „Egmont“, „,Göz“, „Iphige. nia“, „Tafso", "Hermann und Dorothea“, „Wilhelm Meister" sind alle in mehrfachen, nicht selten recht gelungenen Versionen verbreitet. Einen neuen Beweis von der Popularität unseres berühmten Dichters giebt die kürzlich erwähnte, eben erschienene Arbeit über das Leben und die Werke Goethe's, °) deren Verfasser, der durch seine „Geschichte der Philosophie in Biographieen" bekannte G. H. Lewes, eben so gründliche Kenntniß der deutschen Literatur überhaupt, als Begeisterung für feinen Gegenstand insbesondere, an den Tag legt. Er hat sich nicht darauf beschränkt, Alles zu studiren, was an gedrucktem Material vor. liegt; seine Verbindungen mit der Familie und den persönlichen Freunden Goethe's haben ihm auch handschriftliche Quellen eröffnet, zu denen sich mündliche Mittheilungen gesellten. Die Horazische Regel hat er dabei auf das gewissenhafteste befolgt, indem er, wie aus der Vorrede hervorgeht, sich seit fast zehn Jahren mit dieser Arbeit be schäftigt hat. Als er sie begann, waren die ausführlichen Biographieen von Viehoff und Schäfer noch nicht veröffentlicht worden.

Wohl die größere Hälfte des Buches ist mit Analysen der Goetheschen Dichtungen und kritischen Bemerkungen über dieselben angefüllt. ,,In dem Leben eines großen Feldherrn“, sagt der Verfaffer,,,nimmt die Beschreibung seiner Feldzüge nothwendigerweise vielen Raum ein." Eines der interessantesten Kapitel ist das, welches die wissenschaftlichen Leistungen Goethe's behandelt, deren Verdienste ungemein hoch gestellt und gegen die Verkleinerer in Schuß genommen werden. Mit gleicher Wärme wird der große Dichter gegen den Vorwurf des Egoismus, der Servilität und des Mangels an Sympathie für die politischen Bewegungen der Zeit vertheidigt. „Es lag nicht in Goethe's Natur“, heißt es unter Anderem,,,sich von den vorübergehenden Unruhen der äußeren Welt tief aufregen zu lassen. Ein reflektiver Geist, wie der seinige, mußte in den ewigen Sagungen der Natur jenen Reiz und jene Nahrung suchen, welche Andere aus den augenblicklichen Erscheinungen des Tages zogen. Man kann von einem Dichter und einem Philosophen mit Recht fordern, daß er sich für die großen Fragen der Poesie und der Philosophie interesfire, aber ihm zum Verbrechen machen, daß er sich an der Politik nicht betheiligt, ist so unvernünftig, als etwa einen Staatsmann deshalb tadeln, weil ihm die Streitigkeiten über griechische Kunst oder die Metamorphose der Pflanzen gleichgültig sind. Es ist thörichterweise gesagt worden, daß Goethe sich von der Politik zur Kunst und Wissenschaft gewendet habe, weil die Politik ihn in seiner Ruhe störte und er zu selbstsüchtig war, sich für die Angelegenheiten Anderer zu intereffiren. Aber dergleichen Anklagen sind eben so ungroßmüthig, wie die Verdäch tigungen engherziger Splitterrichter, welche die Heterodoxie für den Schild der Immoralität erklären, als ob religiöse Zweifel nur aus verderbten Sitten entspringen könnten. Wie entfernt Goethe von aller Selbstsucht war, wissen die am besten, die ihn am besten kannten; wohl uns, wenn sich das von Allen sagen ließe, welche sich patrio. tischen Bestrebungen hingaben. Und wenn Goethe aufrichtig das Wohl der Menschen begehrte und in seiner Weise mit einer Ausdauer dafür wirkte, die von Wenigen erreicht worden, so hat man wahrlich kein Recht, ihn der Selbstfucht zu zeihen, weil die Politik außer dem Kreise seiner Wirksamkeit gelegen hat."

Die bisher ungedruckten Materialien zur Biographie Goethe's, auf welche der Verfasser sich beruft, scheinen uns weder sehr umfang.

*) The Life and Works of Goethe; with Sketches of his Age and Contemporaries. By G. H. Lewes. 2 vol. London, D. Nutt. Berlin, A. Asher & Comp.

1855.

reich, noch von großer Bedeutung. Doch befindet sich darunter eine Mittheilung, die nicht nur wegen ihres Gegenstandes, sondern auch wegen der Person, von der sie herrührt, Erwähnung verdient, und die wir unseren Lesern vorlegen wollen.

In den ersten dreißiger Jahren dieses Säkulums hielten sich mehrere Engländer in Weimar auf, theils in der Absicht, ihre Studien im nahen Jena zu vollenden, theils von dem Verlangen beseelt, den klassischen Boden zu betreten und dem genius loci ihre Huldigung darzubringen. Zu diesen gehörte ein junger Mann, dessen Namen heutzutage in der englischen Literatur unter den Sternen erster Größe strahlt: William Makepeace Thackeray. Schon damals zeigte er die Anlage zur Satire, die den künftigen Verfasser von „, Vanity Fair" und den,,Newcomes" ankündigte, und feine Karikaturen find in Weimar noch jest nicht vergessen. Von Herrn Lewes aufgefordert, ihm feine Erinnerungen an Goethe mitzutheilen, entsprach er diesem Verlangen durch folgendes Schreiben:

„Ich wünschte, ich hätte Ihnen mehr über Weimar und über Goethe zu erzählen. Vor fünfundzwanzig Jahren widmeten sich wenigstens zwanzig junge Engländer in Weimar dem Studium, der Zerstreuung und der Gesellschaft, was sich ihnen Alles in der freundlichen, kleinen sächsischen Hauptstadt darbot. Der Großherzog und die Großherzogin empfingen uns mit der anmuthigsten Gastfreiheit. Der Hof war glänzend, aber doch höchst ungezwungen und gemüthlich. Man lub uns der Reihe nach zu Diners, Bällen und Assembléen ein. An Winternächten pflegten wir die Portechaisen in Beschlag zu nehmen, die uns durch den Schnee zu jenen heiteren Hoffeften trugen. Ich hatte das Glück, Schiller's Degen durch Kauf an mich zu bringen, welcher einen Theil meines Hofkostüms bildete und noch jest in meinem Studirzimmer hängt, wo er mich an die schönsten Tage meiner Jugend erinnert. Wir wurden in alle Geschäftskreise der kleinen Stadt eingeführt, und hätten die jungen Damen nicht ohne Ausnahme so vortreffliches Englisch gesprochen, so wäre und Gelegenheit geworden, das allerbeste Deutsch zu lernen. Das Theater war zweioder dreimal die Woche geöffnet, und wir versammelten uns dort wie in einem Familienzirkel. Goethe hatte sich von der Leitung zurückgezogen, aber die großen Traditionen waren geblieben. Das Theater wurde vortrefflich dirigirt, und, außer der sehr tüchtigen stehenden Truppe, gaben die berühmtesten Schauspieler und Sänger aus allen Theilen Deutschlands im Winter Gastrollen. So erinnere ich mich, in jenem Winter Ludwig Devrient als Shylock, Hamlet, Falstaff und Franz Moor und die schöne Schröder im „Fidelio“ gesehen zu haben.

,,Nach dreiundzwanzigjähriger Abwesenheit verbrachte ich wieder ein paar Sommertage in dem wohlbekannten Orte und war so glücklich, einige Freunde meiner Jugend wieder zu treffen. Frau von Goethe lebte noch in Weimar und empfing mich und meine Töchter mit ihrer ganzen früheren Herzlichkeit. Wir tranken Thee in der freien Luft, im berühmten „Gartenhause“, welches der Familie noch immer gehört und welches ihr berühmter Schwiegervater so oft bewohnt hatte.

„Obwohl von der Welt zurückgezogen, war Goethe im Jahre 1831 für Fremde noch immer sehr zugänglich. Der Theetisch seiner Schwie. gertochter war stets für uns gedeckt, und wir verlebten dort manche Stunde und manchen Abend in der angenehmsten Weise mit Unterhaltung und Musik, indem wir endlose Romane in französischer, englischer und deutscher Sprache lasen. Mein Hauptzeitvertreib in jenen Tagen bestand darin, Karikaturen für Kinder zu zeichnen, und als junger Bursche war ich nicht wenig geschmeichelt, zu erfahren, daß der große Goethe einige davon durchgesehen habe. Er selbst blieb zwar in seinen Privatgemächern, zu welchen nur einige privilegirte Personen Zutritt hatten, aber er hörte gern, was um ihn vorging, und interefsirte sich für alle Fremde. Wenn ihm ein Gesicht auffiel, so ließ er durch einen in Weimar ansässigen Künstler ein Portrait davon anfertigen und hatte in dieser Weise eine vollständige Galerie von Köpfen in schwarzer und weißer Kreide gesammelt. Ueberhaupt war sein Haus über und über mit Gemälden, Zeichnungen, Modellen, Statuen und Medaillen bedeckt.

„Natürlich erinnere ich mich vollkommen der ängstlichen Aufregung, mit der ich, ein junger Mensch von neunzehn Jahren, die lange erwartete Kunde vernahm, daß der Herr Geheime-Rath mich an dem und dem Tage empfangen wolle. Diese denkwürdige Audienz fand in einem kleinen Vorzimmer feines Privatgemachs statt, deffen Wände von oben bis unten mit alten Gypsabdrücken und Basreliefs behangen waren. Er war in einem langen, grauen oder hellbraunen Oberrock gekleidet, mit einer weißen Halsbinde und einem rothen Bande im Knopfloch. Er hielt die Hände hinter dem Rücken, genau wie in Nauch's Statuette. Seine Gesichtsfarbe war sehr hell, klar und rosig; seine Augen ungemein dunkel, durchdringend und feurig. Ich fürchtete mich ordentlich vor ihnen und verglich sie in Gedanken mit den Augen des Helden eines gewissen Romanes, genannt,,Melmoth der Wanderer",") der vor einigen dreißig Jahren uns Knaben in Schrecken zu sehen pflegte; die Augen eines Mannes, der einen Pakt mit dem Gottseibeiuns geschloffen hatte, und die im höchsten Alter ihren unheimlichen Glanz beibehielten. Es schien mir, Goethe müffe als Greis noch viel schöner sein, als er selbst in den Tagen seiner Jugend gewesen. Seine Stimme war voll und wohlklingend. Er legte mir einige Fragen über mich Er legte mir einige Fragen über mich selbst vor, die ich beantwortete, so gut ich konnte, und war ich zuerst erstaunt und dann etwas erleichtert, als ich fand, daß er Französisch mit einem nicht sehr korrekten Accent sprach.

,,Vidi tantum. 3ch sah ihn im Ganzen nur dreimal: einmal im Garten seines Hauses am Frauenplan spazierend; ein andermal an einem sonnenhellen Tage im Begriff, in seine Equipage zu steigen, mit einer Müge auf dem Kopfe und einem Mantel mit rothem Kragen. Er liebkoste in dem Augenblicke eine wunderschöne, goldgelockte, kleine Enkelin, über deren füßes, holdes Gesicht sich die Erde auch schon längst geschlossen hat. **)

„Diejenigen von uns, welche Bücher oder Magazine aus England erhielten, schickten sie immer zu ihm, und er durchblätterte sie mit großem Eifer. Es erschienen damals die ersten Nummern von Fraser's Magazine, und ich weiß noch, welches Interesse ihm die treffe lichen Portraitskizzen einflößten, die in den ersten Nummern dieses Journals gegeben wurden. Aber es war eine darunter, eine abe schreckend häßliche Karikatur des Herrn R., die er zornig von sich warf. Aus mir würden sie auch eine solche Fraße machen", sagte er, obgleich ich mir nichts Heitereres, Majestätischeres und Gesunderes denken kann, als den grandiosen alten Goethe (the grand old Goethe). ,,Wiewohl seine Sonne im Untergehen war, schien der Himmel ringsum noch immer klar und ruhig und beleuchtete das kleine Weimar mit seinem Glanze. Es gab nicht einen einzigen von diesen freund lichen Salons, in welchem man nicht von Kunst und Wissenschaft sprach. Das Theater besaß zwar keine Talente ersten Ranges, wurde aber mit edler Intelligenz und Ordnung geleitet. Die Schauspieler waren Männer von Bildung, Gentlemen, und standen zu dem Adel" in keinem unfreundlichen Verhältniß. Am Hofe war der Ton äußerst gemüthlich, einfach und fein gebildet. Die (jeßt verwitwete) Groß. herzogin, eine Dame von seltenen Gaben, war oft so freundlich, Bücher von uns zu borgen oder uns die Ihrigen zu leihen, und sich mit uns jungen Leuten über unsere literarischen Beschäftigungen und Ideen zu unterhalten. In der Ehrfurcht, welche dieser Hof dem Patriarchen der Literatur erwies, lag, wie ich glaube, etwas für den Unterthan und Fürsten gleich Ehrenvolles. Nach einer Erfahrung von fünfundzwanzig Jahren seit den glücklichen Tagen, von welchen ich schreibe, und nach zahllosen Bekanntschaften unter den verschiedensten Typen der Menschheit, kann ich wohl sagen, daß ich nie eine ein fachere, gutmüthigere, höflichere, mehr gentlemanartige Gesellschaft kennen gelernt habe, als die jenes lieben, kleinen sächsischen Städtchens, wo der edle Schiller und der große Goethe lebten und begraben liegen." Das Buch des Herrn Lewes ist seinem Freunde Thomas Carlyle gewidmet, welcher England zuerst Goethe würdigen lehrte."

Griechenland.

Athen und die neueren Griechen. (Fortseßung.)

[ocr errors]
[blocks in formation]

Bildung, edle Genüsse. Hier haben unsere Diplomaten ihre Menschenverachtung geschöpft, unsere Satiriker ihre aufs Blut geißelnden Streiche geholt. Hier haben unsere Touristen ihre Geschichtchen aufgeklaubt, die an die Klatschereien Krähwinkels mahnen und eben so glaubwürdig sind. Noch einmal, ist das wirklich das griechische Volk? Das moderne Athen hat sich fast wie das alte Rom gebildet. Es war eine Zuflucht, ich sage nicht, für Banditen, aber für Ehrgei zige, Müßiggänger, Spekulanten, Ausgewiesene; aus Ost und West strömten sie herbei, um Jagd auf Glück zu machen. Sie vermischten sich mit den wahrhaften Griechen, die ihre Bedürfnisse, ihre Rechte oder die Wahl der Regierung in die neue Hauptstadt beriefen. Dazu kamen einige Klephten, die sich unterworfen haben, eine gewisse Zahl unter Flintenschüssen gewählter Deputirten, Palikaren mit wallenden Gewändern, die sich nicht entschließen konnten, das Grabscheit zu er greifen. Indeß zähle ich die Fremden genau und sehe, daß in der Athenischen Gesellschaft, dem Gegenstand Eurer Sarkasmen, daß in der neugebackenen Aristokratie, der einzigen, die Euch bekannt ist, die Athener, die Kinder des freien Bodens in der Minorität sind; gerade wie zu den Zeiten Xenophon's das Seltenfte in Sparta ein Spartaner war.

Wollt Ihr die griechische Race ernstlich beobachten, lernt erst das Neugriechische, verlasset Athen und durchziehet Griechenland in kleinen Lagereisen; übernachtet bei dem Dorf-Aeltesten oder bei dem Priester mit langem Bart, der mit eigenen Händen, seinen Enkeln zulächelnd, den Pflug führt; studirt die Sitten voll Einfalt, ohne roh zu sein; lauschet der Sprache, in welcher Ihr weder Klarheit, noch Reiz vermiffen werdet; vergleichet die Schäfer Arkadiens mit den Feldbauern von Messenien oder Argolis, die Ziegenhirten des Parnassos mit den Winzern von Korinth und Achaja; machet einen Abstecher nach Patras und Kalamata, um den Handelsverkehr nach Andros und Milo, um das Treiben der Seeleute anzuschauen; laßt Euch in jenen beflügelten Barken, die an Homer's Schilderungen gemahnen, von Insel zu Insel tragen. Sehet nicht überall eine Mischung von venetianischem und albanesischem Blut: die venetianischen Abkömmlinge verkümmern auf den Zinnen alter Citadellen; die Albaneser bewohnen abgesonderte Dörfer und bewahren ihr Kostüm, ihre geschorenen Köpfe und ihre unverständliche Sprache. Und wenn Ihr diese wiffenseifrige Pilgerfahrt durch das freie Griechenland vollbracht; wenn Ihr manchmal unter den dürfe tigen Gewändern die Typen entdeckt habt, die durch die antike. Kunst unsterblich geworden: dann sollt Ihr berechtigt sein, das neugeborene Volk zu verurtheilen, Die zu brandmarken, die Eure Väter so sehr geliebt haben; Jhr werdet dann etwas mehr gesehen haben, als falsche Griechen in Pariser und falsche Pariser in Athenischen Salons.

Es ist das Schicksal des neueren Griechenland, stets Interesse erregt zu haben und stets falsch beurtheilt worden zu sein. Heute verleumdet man das griechische Volk, vormals verkannte man beffen Meisterwerke, das Erbe seiner Väter. Wir täuschten uns in der Politik, unsere Vorfahren täuschten sich in der Kunst.

Kaum war Athen Mahomed II. in die Hände gefallen, als es anfing, die Aufmerksamkeit Europa's auf sich zu ziehen, nicht des feudalen Europa, das während der Kreuzzüge sich aus dem klassischen Boden Marquisate und Herzogthümer zugeschnitten hatte, sondern des gelehrten Europa, daß schon von den Erulanten Konftantinopels ihre Sprache, ihre Geschichte und ihre Ehrfurcht vor den Ahnen lernte. Aber weder die Erzählungen der Reisenden, noch die Schilderungen der Griechen selbst genügten der Wißbegier Europa's. Der Orient war den Chriften verschlossen; die Reifen waren damals mit so viel Gefahr, wie sie heute mit Reiz gepaart sind; die Denkmäler der Kunst waren schwer zugänglich, und die Wenigen, die sie zu Gesichte bekamen, waren obendrein höchst unwissend.

Man höre darüber einen französischen Alterthümler, Dr. Span, in seinem einleitenden Vorworte zu der naiven Beschreibung Athens von Pater Babin, die er 1674 herausgab: „Diejenigen, die in Reiseberichten oder geographischen Lehrbüchern von Athen sprechen, thun es mit so wenig Kenntniß und mit so tiefer Verachtung, daß man wohl fieht, sie berufen sich auf Schriftsteller, die Athens alte Größe danach messen, was noch davon geblieben ist, und das ist allerdings sehr wenig. Vielleicht hat mancher Reisende, der die Minervenstadt will gesehen haben, sie nur aus der Ferne gesehen, versteckt hinter dem Hügel, auf welchem sich die Citadelle erhebt, oder sie haben nur den Löwenport (Piraeus) gesehen, von dem nur einige Häuser übrig find, und hielten diese für verfallene Hütten der Stadt Athen selbst, die sie in ihrer Einbildung ans Meerufer verlegten. Du Pinet nennt sie: ein Schloß mit einem elenden Dorfe, das vor Wölfen und Füchsen nicht sicher ist. Laurembergius in seiner Beschreibung Griechenlands drückt sich darüber oratorisch aus: Es hat früher ein Griechenland, es hat in Griechenland ein Athen gegeben; jezt ist kein Athen mehr in Griechenland, ja, es ist kein Griechenland in Griechenland selbst. Ortelius in seinen geographischen Synonymen" behauptet mit der Keckheit eines

sehen und messen will, daß von dem Athen nur noch einige elende Hütten übrig sind.". Span ahnte nicht, daß auch ihn als Reisenden dieselben, ja, noch schwerere Vorwürfe treffen würden, da man das Recht hatte, von ihm mehr als von seinen Vorgängern zu erwarten. Und doch suchen wir alle Dokumente, die älter sind, als das Ende des siebzehnten Jahrhunderts, die besten, wie die schlechtesten, selbst die unvollständigen Risse, die lächerlichen Zeichnungen, die kindischen Erzählungen, die verdäch tigen Zeugnisse mit einem wahren Heißhunger in den Bibliotheken, Archiven, Privatmappen auf; wir untersuchen sie mit der Geduld und Spisfindigkeit eines Richters, der aus den Zeugen die Wahrheit, die sie nicht wissen, herausverhören will; wir kehren jedes Wort unserer Schriftsteller um. sondiren ihre Gedanken und hoffen hinter dem, was fie gesehen haben, das herauszufinden, was sie hätten sehen sollen. Der Grund aber, daß in diesem alten Bücherstaub so gierig gewühlt wird, ist, daß vor 1656 der Blig die Proppläen noch nicht zerstört, daß vor 1687 eine venetianische Bombe das Parthenon noch nicht geSprengt hatte. Die Pilger der vorangegangenen Jahrhunderte fanden sie noch unverlegt, in der Blüthe der Schönheit, die eine ewige Dauer verhieß: die Marmorgebilde, in denen der Genius eines Mnefikles, Jktinos, Phidias athmete. Sind wir nicht zu der Erwartung berechtigt, daß die Gelehrten, die Künstler, die Reisenden einer bevorzugten Epoche uns so viele Herrlichkeiten schildern werden? Sollten nicht in einem Buche, einer Bemerkung, in einem ihrem Album entfallenen Blatte die Meisterwerke wieder auferstehen, die heute in Trümmern Liegen?

Dieser Gedanke war es, der Herrn v. Laborde veranlaßte, durch ganz Europa die Urkunden über Athen im funfzehnten, sechzehnten und fiebzehnten Jahrhundert zu sammeln. Durch solche Untersuchungen mußte der Geschichtschreiber des Parthenon das begonnene Werk vorbereiten. Aus Erfahrung weiß ich, mit welchen Schwierigkeiten sonst Einer zu kämpfen hatte, der die zerstreuten und bereits vergessenen Zeugnisse zusammenbringen wollte. Heutzutage braucht man nicht nach Wien, London, Venedig, Kaffel zu schreiben, die Register der Paläste Barberini durchstöbern zu laffen, die Pariser Bibliotheken um eine Beschreibung Athens von Pater Babin vergeblich anzugehen. Die Manu skripte find herausgegeben, die selten gewordenen Texte mit gewiffen» hafter Treue neu abgedruckt, Pläne und Riffe durchgezeichnet, die originalen Fragmente durch die Photographie in jedem Zuge unverändert wiedergegeben; und was besonders erfreulich ist: kostspielige Werke, für Gelehrte bestimmt, die sie nicht kaufen konnten, in den Bibliotheken der Reichen vergraben, die sie nicht lesen mochten, nehmen jegt auf unseren bescheidenen Bücherbrettern ihren Plaß ein..

Der Verfasser skizzirt den Gang seiner Forschungen in folgenden Zeilen: „Nachdem ich das beredte und majestätische Athen in seinen Büchern, das verstummte und verödete Athen, diese erhabene Ruine auf dem Schauplage seiner Unsterblichkeit gesehen hatte, fragte ich mich: Wie ist diese Verwüftung geschehen? Welche Barbarenhände, welche rasende Wetter haben diese unvergleichlichen, zur ewigen Belehrung der Menschheit aufgeführten Denkmäler niedergeworfen, verstümmelt, geschändet?"

Er verseßt uns nun zuerst in das Jahr 1460 zurück. Athen ist das Leibgedinge des Obersten der schwarzen Verschnittenen. Mit Milde verwaltet, von einem mächtigen Beschüßer selbst gegen die Pfortenminister vertheidigt, kannte die Stadt noch den Reichthum und eine scheinbare Freiheit. Um diese Zeit verfaßte ein gelehrter Grieche, dessen Name unbekannt geblieben, eine Beschreibung Athens, wovon einige Fragmente in der Wiener Bibliothek wieder aufgefunden wurden. Aber welche Beschreibung! Wie sind die Erinnerungen durch einander geworfen! Welch eine Unkenntniß der Vorzeit! Welche Vergessenheit der nationalen Berühmtheiten! Platon's Schule heißt das Paradies; die Klephydra (die Wasser-Uhr) nennt er die Schule des Sokratesi der Tempel des olympischen Zeus wird zum Palast; Kekrops hat die athenischen Tempel von innen und außen vergoldet; das Parthenon ift ein der Mutter Gottes geweihter Tempel u. f. w.

Solche tiefe Nacht lag auf den Geistern des funfzehnten Jahr hunderts! Der sogenannte Anonymus ist, wie Laborde richtig ver muthet, ein fremder Reisender durch Attika und ist daher nur das Echo der Gelehrten des Landes. Diese mochten noch Geschmack haben an der wunderbaren Sprache ihrer Ahnen, mochten noch die Schönheiten ihrer Literatur empfinden; allein die Schönheiten, die sich hinter den Massen verbergen, die den Stein beseelen, sich in den Linien, Verhält niffen, Konturen aussprechen, die idealen Conceptionen der Skulptur - alles das war für fie ein todter Buchstabe; anstaunen mochten sie, nicht bewundern. Die Byzantinische Kunst stumpfte zuleht bei den entarteten Griechen alles Gefühl für die Meisterwerke der Vorzeit ab.

Was that nun Italien, das glückliche Land, worin der antike Genius neu auflebte? Haben die großen Künstler der Renaissance ihre Augen auf Griechenland gewendet? Suchen die Fürsten und Päpste deffen Reichthümer auszubeuten? So viele Paläfte in Venedig, Flo

renz, Rom, Pabua füllten sich mit Statuen, Basreliefs, Inschriften; das Feld der Nachgrabungen erstreckt sich bis nach Spanien und Aegypten: warum ist Griechenland völlig vergessen? Man kopirt, ohne zu fragen, ob das Original griechisch oder römisch, aus einer blühenden oder verfallenen Epoche sei. Keiner denkt daran, die Spuren der griechischen Kunft zu verfolgen, obgleich die großen Namen der griechischen Geschichte und Literatur mit Ehrfurcht und glühender Begeisterung genannt werden. San-Gallo, der eine Sammlung bedeutender Studien italiänischer Monumente anlegte, erhält von einem Griechen, der eben aus Athen kömmt, versprochenermaßen einige kopirte Zeichnungen, unter anderen auch eine vom Parthenon. San-Gallo findet aber, der Tempel habe nicht die Größe und den Reichthum, den die neue Architektur heischt. Er stugte ihn daher nach seiner Weise zu: verwandelte die dorische in die korinthische Ordnung, ersezte die Winkelsäulen durch Pilaster, erhob ein neues Gebäude über dem Giebel, kurz, schuf das griechische Parthenon in das römische Pantheon um; nur die Skulpturen am Giebel und im Fries erinnern an jenes. Was Wunder, daß, je weiter nach Westen, die Künstler in ihren Werken Athen die Physiognomie ihrer eigenen barbarischen Städte gaben? Louis de Bourges, ein unterrichteter Mann, ein ausgezeichneter Kunstfreund, läßt von seinem Maler Athen mit Kirchen, Thürmchen, gothischen Festungswerken einer flandrischen Stadt darstellen; Michael Wohlgemuth giebt ihr das plumpe, stille Aussehen einer deutschen Stadt. (Schluß folgt.)

Ostindien.

Ein Handelsvertrag zwischen England nnd Siam.

Das Königreich Siam, von den Siamesen selbst,,Thai" genannt, bildet einen der fünf von einander unabhängigen Staaten, aus denen die 36,000 Quadrat-Meilen große Halbinsel Hinter-Indien, auch wohl Indo-China genannt, besteht; ein von der Natur überaus begabtes Land jenseits des Ganges, in welchem alle tropischen Früchte die größte Vollkommenheit erreichen, die dicksten Wälder der herrlichsten Bäume die Gebirge bedecken, Gold im Grunde vieler Flüsse ruht, Edelsteine von feltenster Schönheit, Silber, Eisen, Kupfer und Blei sich finden. Von diesem gesegneten Lande, deffen Bewohner freilich durch den Despotismus gedrückt sind, war das Königreich Siam ehemals das mächtigste Reich, es ist aber im Laufe der Zeit durch die Birmanen sehr beschränkt worden. Etwa 12,000 Quadrat-Meilen groß, mit 44 Millionen Bewohner, nimmt es die Mitte der Halbinsel ein und liegt zwischen dem 116° und 124° öftl. L. und dem 7° bis 20o nördl. Br. um den Meerbusen von Siam herum. Die Hauptmasse des Landes bildet ein weites Thal von Norden nach Süden vom Flusse Menam, der dem Frawaddy indessen an Größe nachsteht, durchströmt. Seine regelmäßigen Ueberschwemmungen, welche im Juli beginnen und beinahe sechs Monate anhalten, verleihen den weiten Ufern eine sehr große Fruchtbarkeit. Dagegen ist die Hiße in dem nur nach Süden geöffneten Thale unerträglich und selbst den Eingeborenen nachtheilig. Es giebt zwei Jahreszeiten: die trockene und die nafse.

Die Produkte sind die der übrigen Halbinsel, doch giebt es hier noch eine Menge in Europa wenig oder gar nicht bekannter Bäume. An Zucker werden jährlich 36,000 Centner gewonnen; die Kultur ist jedoch noch einer sehr erheblichen Ausdehnung fähig, namentlich wenn zum chinesischen Fleiße noch das europäische Geschick tritt. In zweiter Reihe gedeiht dort der Reis, welcher in den fruchtbaren Ebenen Stams in der üppigsten Fülle wächst und früher so oft ungeärndtet blieb, als der Landesbedarf durch die vorhandenen Vorräthe gedeckt schien. Da nämlich die Reis-Ausfuhr verboten war, so wollten die Siamesen die Aerndtekoften sparen. Der siamesische Kaffee wird an Qualität selbst dem Mauritius-Kaffee vorgezogen. Ferner produzirt Siam Weizen, Mais, Südfrüchte bester Art, Palmen, Ananas, Gewürze, Baumwolle fein wie Seide, mehrere Gummiarten, Waldbäume (Adlerbaum, Eisenholz, Teak-, Firniß-, Sandelbäume, Bambus), Thee so viel und so gut wie in China, Seide, Indigo; es werden außerdem dort gewonnen: Diamanten, Saphire, Achate, Gold, Silber (nach der Regenzeit schwimmen Stücke in der Größe eines Thalers von den Bergen herab), Zinn, Salz.

In der Hauptstadt des Landes Si'-po-Chiya-Schudia oder Siam, am Ausfluffe des Menam, auf einer Insel in demselben, herrscht bereits seit langer Zeit ein ziemlich lebhafter Handel, jedoch unter den erheblichsten Beschränkungen für die Fremden, indem fremde Schiffe theils nur bedingungsweiss bis zur Stadt herankommen durften, theils auch in Bangkok, einem der wichtigsten Handelspläge von HinterIndien, welcher den Vorhafen von Siam bildet, eine fast prohibitives Flaggengeld zu erlegen hatten. Ueberdies durften viele Landesprodukte entweder gar nicht oder nur gegen eine hohe Steuer ausgeführt werden. Außerdem stand die despotische Regierungsform, nach welcher der Handel ein Monopol des Königs ist und selbst die sogenannten Freien den

halben Tag für den Herrscher arbeiten müssen, so wie das vorherr schende Pachtsystem, dem auswärtigen Handel hindernd im Wege.

Diesen Uebelständen hilft zum großen Theil der von dem enge lischen Gesandten, Sir John Bowring, Namens der englischen Regierung vom 18. April d. J. mit dem Königreiche Siam abgeschloffene Freundschafts- und Handelsvertrag ab. Kraft desselben wird zunächst das Pacht- und Monopolsystem, so weit solches den auswärtigen Handel angeht, abgeschafft. Das Ausfuhr-Verbot auf Reis, Agilaholz, Gummi, Pfeffer und andere Landesprodukte ist aufgehoben. Fremde Schiffe find in Bangkok ferner keinem höheren Tonnengelde unterworfen als siamesische und chinesische, und alle Vergünstigungen, welche künftig diese genießen, sollen auch jenen zugestanden werden. Von allen Einfuhr-Gegenständen ist die gleichmäßige Eingangssteuer von drei Prozent des Werthes zu erheben. Die alten Ausfuhrzölle sind ermäßigt worden, und zwar für Gummi auf 3 Dollars 60 Cents, für Büffelhörner auf 60 Cents, für andere Hörner auf 90 Cents, für Saganholz auf 37 Cents pro Picul, für Reis auf 2 Dollars 40 Cents pro Cappan von 40 Piculs (ungefähr 24 Tons). Britischen Unter thanen ist das Recht vorbehalten, sich in einem Umkreis von 60 Miles um Bangkok niederzulaffen und Grund und Boden anzukaufen, Acker bau und Handel zu treiben ohne die geringste Beschränkung, so wie Religionsfreiheit zu genießen. In Bangkok soll ein britischer Konsul residiren, dem von dem Augenblicke an, wo zehn britische Schiffe in den Hafen Bangkok eingelaufen find, ausschließlich die Jurisdiction über britische Unterthanen zusteht.

Der Vertrag tritt am 6. April 1856 in Kraft und wird nach zehn Jahren revidirt.

Dieser Vertrag zeichnet sich vor allen übrigen europäisch-asiatischen Verträgen durch zwei Umstände vortheilhaft aus. Derselbe ist zunächst nicht gleich den chinesisch-japanischen Traktaten erzwungen und gleichsam mit dem Schwert in der einen, der Feder in der anderen Hand diktirt, sondern er ist eine freiwillige Gabe des fiamesischen Selbstherrschers. Eben deswegen sind nun auch die Konzessionen, welche er dem fremden Handel macht, viel liberaler, als diejenigen, welche sein Vorgänger der Oftindischen Compagnie gewährte und welche kürzlich die chinesisch-japanischen Vertrage den Europäern zugestanden.

Die mongolisch-chinesische Welt ihrer altherkommlichen Isolirtheit immer mehr zu entreißen und sie in den Organismus des menschlichen Gesammtverkehrs als integrirendes Glied aufzunehmen, ist eine der Aufgaben unserer Zeit. Den raftlosen Anstrengungen des Handels ist es vorbehalten, auch diese kulturhistorische Aufgabe zu lösen - eine brache Welt des Oftens der Kultur zu erobern.

Mannigfaltiges.

Der Unterricht in Deutschland, von Franzosen beurtheilt. Im Jahre 1831 unternahm Victor Cousin, damals Ge neral-Inspektor der Universität in Frankreich, im Auftrage des Mini fters des öffentlichen Unterrichts, Herrn v. Salvandy, eine Reise nach Deutschland, um das Unterrichtswesen daselbst, besonders aber in Preußen, kennen zu lernen und darüber einen ausführlichen Bericht zu erstatten. Dieser Bericht erschien im Jahre 1832 in zwei Bänden unter dem Titel: Rapport sur l'état de l'instruction publique dans quelques pays de l'Allemagne") und machte sowohl in Frankreich als in Deutschland großes Aufsehen, weil er zum ersten Male in schlagender Weise auf die Vorzüge der deutschen und insbesondere der protestantischen Schulen, im Gegensaße zu dem unter den Einflüssen des katholischen Klerus stehenden, höheren und primären Unterrichtswesen in den romanischen Ländern hinwies. Damals, im Jahre 1831, bald nach der Juli-Revolution, die hauptsächlich in dem Haffe gegen den herrschend gewesenen Jesuitismus ihre Nahrung gefunden hatte, war die Strömung in Frankreich eine antirömische. Deshalb ward der von den protestantischen Universitäten Deutschlands verkündete Geist der freien Forschung, als allein zur Wahrheit und zur Wissenschaft führend, freudig begrüßt, und selbst die Hegelsche Philosophie, die sich damals noch nicht in die skeptische Kritik des Junghegelthums verrannt und in das absolute Nichts verflüchtigt hatte, ward auf den Lehrstuhl der Sorbonne erhoben. Seitdem haben sich die Zeiten sehr geändert. Die Strömung in Frankreich führt seit der Erhebung Louis Napoleon's wieder direkt nach Rom. Abermals ist ein Direktor im französischen Minifterium des öffentlichen Unterrichts wenn auch kein Akademiker und Philosoph, wie Cousin, doch ein gelehrter Jünger des ultramontanen Ministers Herrn Fallour — im Auftrage dieses Ministers, der längst schon sein Anathema gegen den von Cousin einst verherrlichten Geist

-

*) Deutsch von Kröger, 2 Bde., Altona, 1832–33.

der freien Forschung ausgesprochen hatte, nach Deutschland gekommen. Im Jahre 1854 trat Herr Eugen Rendu, der früher bereits zu ähnlichem Zwecke in England gewesen war, feine Reise nach Preußen, Sachsen, Hannover und dem übrigen Nord-Deutschland an, und als eine Frucht derselben ist kürzlich sein Werk,,über den Volks-Unterricht in Nord-Deutschland" erschienen.") Er theilt darin das gesammte Deutschland in eine katholische und eine protestantische Zone. In der ersteren sollen Kirche und Schule dem Skeptizismus verschloffen geblieben fein. In der zweiten dagegen sollen die religiös-sittlichen Zustände so im Argen liegen, daß jedem Beobachter sich die Ueberzeugung aufdringe, daß der Protestantismus, ein so scharfes Werkzeug er auch für die religiöse Kritik sei, von Tag zu Tag an seiner ursprünglichen Kritik als positive Doktrin verliere und in den zu Tage tretenden Konsequenzen auf Vernichtung jeder Autorität hinarbeite. Die evangelische Kirche der Gegenwart, behauptet Herr Rendu, sei weder über den Ursprung und Charakter des Christenthums, noch über ihre eigene, innere Organisation, noch über das Verhältniß der Kirche zum Staat einig. Natürlich wird auch die mit dieser Kirche zusammenhängende Pädagogik von dem Verfasser verurtheilt, und weil es weniger die Verirrungen Einzelner, als der Protestantismus in seiner Gesammtheit, in seiner Vergangenheit und Zukunft, ist, was er angreift, so erscheint ihm auch jeder in neuerer Zeit gemachte Versuch, dem Volks-Unterricht im protestantischen - Deutschland eine mehr religiöse Grundlage zu geben, als ungenügend und sein eigentliches Ziel verfeblend, ob. wohl, seiner Meinung nach, dieselben Maßregeln auf dem katholischen Boden Frankreichs höchst ersprießlich sein würden. Den grellen Kontrast der Cousinschen und der Renduschen Darstellung des höheren und des Volks-Unterrichts in Deutschland wird jeder Uubefangene durch die subjektive Auffaffung des philosophischen und des streng katholischen Autors sich erklären. Nur ein so befangener Blick, wie der des Herrn Rendu, kann nördlich von der Linie, die er durch Deutschland zieht, ein tief gesunkenes, sittlich-religiöses Volksbewußtsein wahr. nehmen. Nur wem es so wenig um objektive Wahrheit zu thun ist, kann, wie Herr. Rendu, übersehen, daß in Frankreich, Spanien, Italien und allen anderen rein katholischen Ländern das Volk auf einer viel tieferen Stufe der religiösen und sozialen Bildung sich befindet, als in dem zum größten Theile protestantischen Nord-Deutschland.

Eine neue Biographie Hamann's. Die originelle Persönlichkeit des „nordischen Magus", der einst so mächtig auf die Geister und Herzen seiner Zeit wirkte, hat einen geistreichen Forscher auf literarhistorischem Gebiete, Geh. Ober-Finanzrath Carvachi in Münfter, neuerdings zu einer biographischen Darstellung seines Lebens an= geregt. Sie bietet hauptsächlich viel Neues in der Schilderung des Kreises berühmter Leute, in welchem Hamann zulegt so hoch gefeiert wurde, namentlich der Fürstin Galigin, Graf Stollberg's, Fürstenberg's u. f. w. Der Enthusiasmus der Freundschaft hatte den wunderlichen Heiligen nach Münster gerufen, wo man ihn, troß aller seiner Sünden verehrte, weil seine feurige Seele eine Opferflamme für die Religion war in den Augen der Freunde, die vor kurzem erst die. Philosophie als unzureichend erkannt hatten. Die Fürstin Galişin öffnete für ihn ihr Haus und einen literarischen Wirkungskreis, und ein junger reicher Patrizier beschenkte den armen Gelehrten, der in Königsberg in häuslichem Elend gelebt hatte, mit einem Theile seines Vermögens. Indeffen genoß Hamann nicht lange die Wohlthaten dieser seltenen Freundschaft, er starb am 21. Juni 1788 zu Münster und wurde in dem Garten der Fürstin Galigin begraben. Ganz kürzlich wurde der ,,adelige Hof", in welchem diese einst zu Münster residirte, verkauft und das Grab mit dem moosigen Denksteine sollte der Erde gleichgemacht werden. Es vereinigten sich jedoch einige Literaturfreunde und vermittelten dem,, Magus des Nordens" ein einfaches Denkmal auf einem der Münsterschen Todtenhöfe. Der Geh.. Ober-Finanzrath Carvachi fühlte sich dadurch veranlaßt, ihm auch in der Literatur eines zu sehen, und hat es in dem vorliegenden biographischen Werke in würdigster Weise gethan. Möchte der geschäßte Verfaffer seinen Aufenthalt in Münster auch noch ferner dazu anwenden, das reiche Gebiet der dortigen berühmten Personal-Chronik zu bearbeiten. Da ihm die Hausarchive der ritterbürtigen Familien zur Einsicht offen stehen, so könnte er manchen verborgenen Schaß der Literatur- und Sittengeschichte vergangener Jahrhunderte zu Tage fördern. F. v. H.

*) De l'éducation populaire dans l'Allemagne du Nord. Par Eugène Rendu. Paris, 1855.

[blocks in formation]

Ein neuer Band der Werke Friedrich's des Großen. Von der ihrer Vollendung entgegengehenden, neuen Ausgabe der Werke Friedrich's des Großen®) ist jeßt die erste Abtheilung des siebenundzwanzigsten Bandes erschienen, welche die zum größten Theil bisher unedirten Korrespondenzen des großen Königs mit seinen sechs Schwe. stern umfaßt. Dieser Briefwechsel enthält vierhundertfünfunddreißig Briefe, von welchen dreihundertsechsundvierzig aus der Feder des Königs gefloffen find.

Voran geht die Korrespondenz Friedrich's mit seiner ältesten Schwe fter Wilhelmine, der berühmten Markgräfin von Baireuth, die und deren frühes inniges Verhältniß zu ihrem königlichen Bruder besonders durch die von ihr selbst verfaßten Memoiren zur Kenntniß der Welt gelangt sind. Als die Markgräfin am 14. Oktober 1758, am Tage der unglücklichen Schlacht bei Hochkirch, gestorben war, schrieb Friedrich an Voltaire: „Je fus battu à Hochkirch, le moment que ma digne soeur expirait." Zahlreiche Stellen in Friedrich's Briefen, in seiner ,,Geschichte des siebenjährigen Krieges", so wie insbesondere auch in feinen Dichtungen, beweisen, wie sehr er diese Schwester geliebt hat. Ist nun auch nicht zu zweifeln, daß die Markgräfin ihrem Bruder in gleich hingebender, inniger Weise zugethan war, wie man sogar auch annehmen kann, daß die auf den Heldenbruder immer furchtbarer einstür menden Bedrängnisse des siebenjährigen Krieges die Krankheit, die ihren Tod herbeigeführt, sehr verschlimmerten, so ist doch die Kälte, die eine Zeitlang zwischen den beiden Geschwistern bestanden, lediglich durch die Schuld der Markgräfin herbeigeführt worden, die sogar von großer Ungerechtigkeit gegen ihren Bruder nicht freizusprechen, den sie, eben so wie ihren Vater, in ihren Memoiren nicht immer mit der Ach. tung und Pietät behandelte, die man von einer dem Geiste und dem Herzen nach so hochstehenden Fürstin erwarten durfte, während doch Friedrich selbst in den „Mémoires de Brandebourg", bei der Dar stellung seines strengen Vaters, ihr ein so glänzendes Vorbild von Schicklichkeit und Beherrschung des kindlichen Gefühls geliefert hatte.

1855.

zweijährigen Entzweiung mit dem Könige. Als die Zeit dieser Entzweiung giebt Preuß 1744-46 an, wofür, so wie für die Zeit der allmählichen Abfassung der Memoiren, er sehr genau in alle Verhältnisse eingehende Gründe beibringt. Wir fügen noch Einiges aus der Kritik der Memoiren bei, welche uns die Einleitung des vorliegenden Bandes bringt:

,,Die Markgräfin fcheint die Sachen immer nur von ihrer Schattenseite angesehen zu haben. Sie liefert, so zu sagen, eine Karikatur der Gesellschaft, denn in dem Bilde, das sie von ihr entwirft, nimmt man nirgends eine ruhige, heitere Erscheinung wahr. Ihre Memoiren gewähren keinerlei wohlthuende Erinnerung an Freunde oder an die Leiter ihrer Kindheit. Auch das Geschick der Unterthanen von Baireuth und die Gesinnungen, die diese gegen das regierende Haus hegen, werden in dem Buche nicht erwähnt. Sogar ihrer Tochter, der Erziehung dieses einzigen Kindes, ihrer Verhältnisse zu einander wird darin nicht gedacht. Kaum daß sie hier und da ein Wort über ihre Tochter fallen läßt, und zwar immer nur bei gleichgültigen Anlässen, da etwa ausgenommen, wo sie davon spricht, daß sie ihr diese Memoiren bestimmt habe. Aber ein solches Geschenk kann kaum noch als ein Zeugniß der Liebe gelten, denkt man an den Skandal, den das Buch hervorrufen mußte, und an das unvortheilhafte Licht, welches auf die Familienverhältnisse des Berliner und des Baireuther Hofes, so wie auf die Verfasserin selbst, dadurch geworfen ward. Die Memoiren der Markgräfin haben also einen entschieden satirischen Charafter; ja, man vermißt darin die Würde und Mäßigung, die man von einer Dame ihres Ranges erwarten durfte.

,,Einen großen Theil des beißenden Spottes der Memoiren muß man allerdings der von Natur kaustischen Geistesrichtung der Prinzessin und der Gewohnheit beimeffen, die sie von Jugend an, wie sie selbst zugiebt, gehabt, ihres Nächsten nicht zu schonen. Sie hegt darum doch für Personen, die sie herunterreißt, die größte Anhänglichkeit, und sehr gern nimmt sie die Miene der unparteilichen Geschichtschreibung

[ocr errors]

So bittet fie unter Anderem ihre Leser, ihr Urtheil über den ChaDer mit allen Lebensmomenten des großen Königs auf das In- rakter Friedrich's, den sie eben heftig angegriffen, zu suspendiren, bis nigste vertraute Herausgeber der neuen Sammlung seiner Werke, sie ihn vollständig entwickelt haben werde. Sie sagt Theil 2, S. 307, Herr Profeffor Friedrich Preuß, giebt in der Vorrede zum sieben ausdrücklich: „Je me pique d'être véridique." Auf solche Aeußerunundzwanzigsten Bande viele neue und intereffante Aufschlüsse über gen darf man inzwischen nicht viel geben. Im Grunde will die Markden Charakter der Markgräfin von Baireuth, so wie namentlich über gräfin lediglich ihre Eigenliebe befriedigen und die Leser amüsiren, ihre vielbesprochenen, zur Zeit ihrer Erscheinung großes Aufsehen sei es durch komische Schilderungen, karikirte Portraits und seltsame erregenden und noch jezt von Vielen mit Interesse gelesenen Me- Anekdoten, oder auch durch Erzählung von Intriguen und Kabalen fürftmoiren. Daß die Lesteren, deren Handschrift sich jezt in der königlicher Personen, ihrer Hofleute und selbst ihrer Domestiken. Sie scheut lichen Bibliothek befindet, unzweifelhaft echt sind, hat bereits G. H. Perz in einer vor mehreren Jahren erschienenen Abhandlung „über die Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Baireuth" dargethan. Außer den eigentlichen Memoiren, die in französischer Sprache zuerst im Jahre 1810 in Braunschweig gedruckt wurden, wo sie sich im Nachlasse des im Jahre 1776 verstorbenen herzoglichen Leibarztes, Herrn von Superville, gefunden hatten, dem sie von der Verfafferin selbst übergeben worden waren, umfaßt die Handschrift der königlichen Bibliothek auch noch drei bisher ungedruckte Fragmente über Fräulein Karoline von Marwig und mehrere andere in den Memoiren erwähnte Personen, so wie die Beschreibung einer Reise nach Italien, welche die Markgräfin im Jahre 1754-55 gemacht hatte. Eine deutsche Ueberseßung der Memoiren ist 1810-11 in zwei Bänden bei Cotta erschienen.

Aus einer Vergleichung der Memoiren mit dem Texte des hier zum ersten Male gedruckten Briefwechsels der Markgräfin mit ihrem königlichen Bruder geht schon hervor, daß die Ersteren nicht überall treu und glaubwürdig sind. Herr Preuß entschuldigt jedoch die Ungenauigkeiten, die sich die Verfasserin zu Schulden kommen ließ, mit der großen Erregbarkeit ihres Charakters, der durch die im väterlichen Hause erduldeten Leiden mannigfacher Art verbittert worden, ferner mit ihrer stets schwankenden Gesundheit, mit häuslichen Verdrießlich keiten zur Zeit, als sie ihre Memoiren schrieb, so wie endlich mit ihrer

*) Oeuvres de Frédéric le Grand. Tomes 1-XXVII. Berlin, Rodolphe Decker, 1846-1855.

keinerlei noch so undelikate Geschichten, wie die vom Dresdener Hofe, die Liebe Friedrich Wilhelm's I. für Fräulein v. Pannwis c. Gleichwohl ist das Ganze so trefflich arrangirt und so geistreich vorgetragen, daß die Memoiren uns ganz so wie ein guter Roman feffeln, mit welchem sie übrigens mehr als eine Aehnlichkeit haben."

Der Herausgeber weist aus den Briefen der Markgräfin, die hier zum ersten Male nach den Originalen mitgetheilt werden und auf welche die Memoiren zum Theil Bezug nehmen, die Unwahrhaftigkeit der Lehteren an mehreren Stellen nach. Endlich nach der zweijährigen Entfremdung, die zwischen ihr und Friedrich stattgefunden, schrieb sie dem Lesteren am 21. Februar 1748:,,Wie oft habe ich mir nicht das Unregelmäßige meiner Handlungsweise gegen Dich zum Vorwurfe gemacht! Meine lehte Krankheit, die mit einem nahen Ableben zu enden den Anschein hatte, hat mich in diesen Gedanken noch bestärkt. Eine reifliche Prüfung meiner selbst hat mich überzeugt, daß ich mich im ganzen Verlaufe meines Lebens nur gegen einen Bruder verfündigte, welchen tausend Gründe mir theuer machen sollten und mit dem mein Herz seit meiner zartesten Kindheit durch die innigste und unauflöslichste Freundschaft verbunden gewesen.“

Leider hat diese Selbsterkenntniß doch nicht die Folge gehabt, daß sie ihre Memoiren, oder doch wenigstens diejenigen Stellen darin vernichtete, in welchen sie ihren Bruder verunglimpft hatte. Sie spricht zwar in den Memoiren selbst die Möglichkeit aus, daß sie diefelben dem Feuer übergeben werde, da sie nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt seien, aber schon im Jahre 1748, wahrscheinlich noch bes

« ForrigeFortsæt »