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Geschmack hat. Ein Bushel Weizen oder mehr wird einige Stunden lang bei langfamem Feuer gekocht, worauf der Abfud ausgepreßt und zum Kühlen fortgestellt wird, und um die Gährung zu beschleunigen, thut man einen Krug voll gekauten Mehls hinzu. Sobald die Gährung beginnt, wird der Mudai als genießbar betrachtet."

Das Buch des Herrn E. R. Smith ist in dem lebhaften ́ Styl und mit dem Beobachtungstalent abgefaßt, das die Schriften seiner Landsleute auszeichnet, ohne daß er jedoch in die Uebertreibungen verfällt, deren sich diese oft schuldig machen. Es bildet einen werthvollen Beitrag zur Ethnographie des füdlichen Amerika.

offenen Thür schleppt. Sobald er draußen ist, springt er in den Sattel, indem er seine kreischende Gefangene festhält und sie über den Rücken des Pferdes nachzieht, worauf er ein Triumphgeheul ausstößt und in vollem Galopp davonsprengt. Die Freunde eilen nun gleich falls hinaus, noch immer von den zornigen Verwünschungen der entrüsteten Matronen begleitet, und schlagen dieselbe Richtung ein, welche die Fliehenden genommen haben. Nachdem er den Wald erreicht, stürzt der Mädchenräuber sich in das tiefste Dickicht desselben, während die Freunde rücksichtsvoll am Eingang stillhalten, bis das Geschrei der Entführten verftummt und sie sich überzeugt haben, daß Niemand sie verfolgt, worauf fie ruhig ihres Weges gehen. Es ist anzunehmen, daß die Schöne am Ende dem starken Arm und den feurigen Bitten ihres sanftmüthigen Verehrers weicht, und ohne weitere Heiratscere monieen tritt das glückliche Paar nach einem oder zwei Tagen als Mann und Weib aus den Tiefen des Waldes hervor. Mitunter find die Aeltern des Mädchens mit der Partie wirklich nicht einverstanden, in welchem Fall sie augenblicklich in ein Horn stoßen, um ihre Nachbarn zusammenzurufen und mit ihnen den Räubern nachzusehen; gelingt es aber diesen, das Dickicht glücklich zu erreichen, so kann die Ehe nach-Göttliche Komödie“ und Goethe's "Faust" darstellend, geliefert hat. her nicht wieder aufgehoben werden.

,,Man läßt einige Tage vorübergehen, ehe die Freunde das junge Paar besuchen. Jeder bringt das versprochene Geschenk, und die Pferde und Rinder vor sich treibend, macht sich die ganze Hochzeitsgesellschaft auf nach der ehemaligen Wohnung der Braut. Die Geschenke werden dann in aller Form dem Vater übergeben, der, wenn er einen entsprechenden Preis für seine Tochter bekommen zu haben glaubt, die größte Freude über die Heirat an den Tag legt und gegenseitige Glück. wünsche mit dem Bräutigam und seinen Freunden austauscht. Die Mutter der Braut nimmt allein keinen Antheil an der allgemeinen Freude, indem man von ihr vorausseßt, daß sie sich durch die Entführung ihres Kindes noch immer tief beleidigt fühlt und ihren Unwillen dadurch zu erkennen giebt, daß sie weder mit ihm spricht, noch ihn auch nur ansieht. Indessen erfordert es die Etikette, daß sie ihren Gäften zugleich einige Höflichkeiten bezeigt; fie seßt sich demnach neben die Braut, aber mit dem Rücken gegen den Bräutigam gewendet, und sagt: Meine Tochter, frage Deinen Mann, ob ihn nicht hungert?" Diese Frage wird von der Tochter gestellt und durch ihre Vermittelung das Gespräch fortgeführt, bis die Gesellschaft endlich mit einem Mahle bewirthet wird, an welchem die Alte ihre ganze Kochkunst erschöpft. Das point d'honneur wird in manchen Fällen so weit getrieben, daß die Mutter jahrelang ihren Schwiegersohn nicht von Gesicht zu Geficht anredet, obwohl sie, ihm den Rücken zukehrend oder durch einen Zaun oder eine andere Scheidewand von ihm getrennt, fich ganz freund schaftlich mit ihm unterhält."

Im Uebrigen haben die Sitten der Araukaner etwas Patriarchalisches und selbst Idyllisches. Es herrscht unter ihnen ein gewiffer roher Ueberfluß, da der Boden ihnen Alles gewährt, was ihre ein. fachen Bedürfnisse erfordern; Hungersnoth oder Mangel kommen selten vor. Ihr Lieblingsgetränk ist der Mudai, der unserem Verfaffer recht gut mundete, bis er den Zubereitungs-Prozeß erfuhr. Als er einmal die Frauen bei ihren Arbeiten beobachtete,,,holte eine von ihnen eine Schüffel leicht angefeuchtetes Mehl und einen kleinen irdenen Krug hervor, welche sie beide auf die Erde niederfeßte. Hierauf näherte sich eines von den Mädchen, nahm eine Handvoll des Mehls, knetete es zu einer Kugel zusammen, welche sie in den Mund steckte, und kehrte dann mit vollgestopften Backen an ihre Arbeit zurück. Ihr folgte eine Gefährtin nach der anderen, bis alle, von den jungen Kindern bis zu den zahnlofen, runzeligen und triefäugigen alten Mütterchen, mit Beißen und Kauen beschäftigt waren, das Gesicht wie ein Ball aufgebläht, aber ohne sich dadurch in ihrem endlosen Geplauder stören zu lassen. Nach einigen Minuten kam die Erfte zurück, hob den Krug auf und leerte den Inhalt ihres Mundes in denselben aus. Sie versorgte fich alsdann mit einem neuen Quantum Mehl und entfernte sich kauend wie zuvor. Die Anderen folgten zur gehörigen Zeit, und man fuhr fo fort, bis das Mehl zu Ende und der Krug gefüllt war.

„Ganz verwundert über eine so seltsame Prozedur, trat ich zu einer der Frauen und fragte, auf den Krug zeigend: „Chem túa?” (,,Was ist das?") - "Mudai", war die Antwort.,,Wie? Mudai?" -"Ja", erwiederte fie und fügte, über mein Erstaunen lachend, hinzu:,,Cumé! cumé!" (,,Gut! gut!") Da es nuglos war, sie um nähere Auskunft zu bitten, so suchte ich Sanchez auf und erkundigte mich, was fie denn eigentlich vorhätten. Sie machen Mudai", antwortete er ruhig. ,,Was? Mudai, die Flüssigkeit, die ich seit einem Monat getrunken habe?" -,,Dieselbe", verseßte er, und ohne zu bemerken, daß sich mein Geficht bei dieser Nachricht krampfhaft verzog, fuhr er fort, den Zubereitungs-Prozeß dieses Getränks zu beschreiben, welches eine Art von Bier ist und einen säuerlichen und nicht unangenehmen

Mannigfaltiges.

- Deutsche Kunst in Italien. Es ist für die vaterländische Kunst sicherlich als ein Triumph zu bezeichnen, daß ein deutscher Künftler, Profeffor Vogel v. Vogelstein, im Auftrage des Großherzogs von Toskana für den Palast Pitti in Florenz zwei cyklische Gemälde, Dante's Das Dante Bild veranschaulicht in großartigen Geftaltungen die er greifendsten Gesichte des Dichters in der Hölle, im Fegefeuer und im Himmel, während der Faust-Cyklus, und zwar ebenfalls in einem Rahmen, dreizehn mit einander verbundene Scenen aus dem ersten Theile der Goetheschen Dichtung umfaßt. Dem deutschen Künstler ist die Ehre zu Theil geworden, daß sein Bildniß, zum Zeichen der Aners kennung seiner Meisterschaft, der Sammlung berühmter Künstler-Portraits in den Uffizien von Florenz einverleibt wurde.

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- Ein belgischer Protest. Es verdient auch in unserem Journal, das den germanischen Ueberlieferungen in Belgien stets seine Aufmerksamkeit gewidmet, erwähnt zu werden, daß das in Brüffel bestehende,,Central-Comité der Vlaemingen" an den belgischen Justizminister ein Schreiben gerichtet, worin protestirt wird gegen eine neulich, bei Gelegenheit des Empfanges des Herzogs v. Brabant in Paris, vom französischen Moniteur ausgesprochene Behauptung, die auch im Moniteur Belge Aufnahme gefunden: daß Frankreich und Belgien durch Ursprung, Sprache, Sitten und Intereffen Schwestern seien. Das gedachte Schreiben schließt mit folgenden Worten: „Wir wenden uns daher vertrauensvoll mit der Bitte an Sie, Herr Minister, der Sie berufen sind, die Unabhängigkeit des Vaterlandes rein und unbefleckt zu erhalten, darüber sorgfältig wachen zu wollen, daß das amtliche Blatt, welches unter Ihren hohen Befehlen steht, nicht länger den öffentlichen Geift in Belgien irreführen und auf diese Weise unsere Nationalität in Gefahr bringe; denn Auslands-Gedanken erwecken Auslands-Neigungen, und Leßtere sind zu allen Zeiten für unser Vaterland verhängnißvoll gewesen." (Fiat applicatio, was namentlich den legten Sag betrifft, auch auf manche Provinz des deutschen Vaterlandes, wo man z. B. in Napoleonischen Veteranen-Vereinen Auslands-Neigungen durch Auslands-Gedanken unterhält.)

Kalifornien als Heimat. Im deutschen,,San Fran. cisco-Journal" findet sich folgende charakteristische Betrachtung: „Wer am Tage des Abgangs der Dampfböte sich an das Wharf begiebt, um die Geschäftigkeit und das Gewühl zu betrachten, welche eine Abfahrt so vieler Reisenden nothwendig bedingt, und zugleich die Reisenden zu mustern, die beneidet auf dem Verdeck stehen, um zum leßten Male unsere Hügelstadt zu überschauen, dem muß die Idee kommen, daß Etwas nicht ganz gesund ist in unserem Staate der vergrabenen Schäße. Der Miner, der glücklich genug war, nach jahrelanger Arbeit ein bescheidenes Glück zusammengeschaufelt zu haben, so wie der, welcher, von einem Unstern jahrelang verfolgt, in dem geträumten Lande des Goldes und Reichthums eigentlich nur Chimäre fand; der Kaufmann, deffen Speculationen von reichlichem Erfolg gekrönt waren, so wie Jener, welcher nach oft mißrathenen Calculationen den Staub von den Sohlen schüttelt, um unter einem gedeihlicheren Himmelsstrich von neuem sein kaufmännisches Genie zu versuchen; der Vater, dessen Rückkehr seiner Familie langentbehrte Freuden wiedergiebt, so wie der Junggesell, der mit seinen poetischsten Jahren hier in Kalifornien abgeschlossen hat, Alle verlassen mit gleicher inneren Befriedigung unser Geftade. Nur Wenige sehen den Steamer segeln, ohne von einer gewissen unbeschreibbaren Sehnsucht nach der Weite ergriffen zu werden. Man sendet den lezten Blick nach der Golden Gate, hinter wel her der Steamer verschwindet, und kehrt zurück in das be= täubende Geräusch des Berufslebens, indem man sich klar geworden, daß man auch bei allen Schäßen in Kalifornien doch noch Eines vermißt eine Heimat! Da ist das Räthsel gelöst, weshalb man keine Thräne sieht unter den Tausenden, welche San Francisco verlassen."

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Athen und die neueren Griechen.*)

Es hielt schwer, sagt der Referent des unten angezeigten Werkes in der Revue des deux Mondes, das Athen des funfzehnten JahrJahrhunderts zu betrachten, ohne sofort an das Athen des neunzehnten zu denken. Armes Athen, Dir so wenig, wie der Siebenhügelstadt, ist die Einsamkeit für Deine Ruinen, die beschauliche Stille für Deine Erinnerungen geworden. Der Lärm einer rasch sich vergrößernden Stadt übertäubt das beredte Wort der Vergangenheit; die Bedürfnisse des Lebens nagen unaufhörlich an den Trümmern der Vorzeit. Ueber den Flisfus, an deffen Ufern Sokrates sich mit seinen Freunden unterredete, schwanken täglich die Leichenzüge; die Kallirhoë, woraus die atheniensischen Jungfrauen das lautere Wasser schöpften, wird von albanesischen Wäscherinnen besudelt; der Plaz der Akademie wird parzellenweise verkauft; die Mauern des Lyceums dienen zum Rückhalt einer Grabenböschung; die Gipfel des Lykabettos und Anchesmos werden von unermüdlichen Bergleuten durchwühlt, und unter dem dröhnenden Knall des sprengenden Pulvers rollen die Marmorblöcke ins Thal. Der Tempel des olympischen Zeus ist eine Dreschtenne; auf dem Hügel der Nymphen ragt eine Guillotine, und ihre Grotte ist zu einem Beinhaus eingerichtet. Konnte man für die fünftige Kapitale keinen anderen Plag wählen? Konnte man sie nicht an der Küste gründen, auf den Höhen der Munychia oder des Piräeus, anstatt sie in eine ungesunde Thalschlucht zu senken, hinter der Akropolis, die an Sommertagen den erfrischenden Hauch, die Seebrise, abhält? Konnte man Athen nicht öde, still, unverlegt laffen, wie Pompeji, das seiner Zerstörung seine Unsterblichkeit verdankt? Pompeji ist das Sanktuarium des antifen Lebens, während Athen mit seinen schnurgeraden Straßen, mit seinen modernen Häusern schon eine moderne Stadt wie alle Städte ist. Ueberall stößt man auf Polizeimänner und Droschken, auf deutsche Uniformen und französische Toiletten; bald wird sie ihre Omnibus und ihre Gasbeleuchtung haben, und ein ungeschlachter Matrose darf mit Recht verächtlich auf die Stadt des Perikles herabsehen, wenn er sie mit dem Hauptorte seiner Provinz vergleicht. Hier habt Ihr eine Frucht der Civilisation!

1855.

chenland, nicht blos eine winzige, improvifirte Hauptstadt, die den Spott der Fremden reizt, da sie schon in Miniatur einige Lafter und alle Lächerlichkeiten der großen Hauptstädte hat. . . .

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Ja, sie sind uns sehr fern, jene Tage, wo die Messéniennes ertönten, wo Byron nach Missolunghi reifte, wo der Westen einer Handvoll Rebellen Gold, Vertheidiger und Freiheit schickte. Woher diese schwungvolle Begeisterung? Woher dieses glühende Mitgefühl? Kannte man die Griechen? Hatte man ihre Tugenden erprobt? Hatte man den Boden durchforscht, in den man so prächtige Hoffnungen säte? Staatsmänner, Parteimänner, Schriftsteller, Weltleute - alle hatten ihre Klassen durchgemacht, alle hatten einige Gesänge im Homer, einige Seiten im Plutarch gelesen; mehr brauchte man nicht: die Vergangenheit bürgte für die Zukunft. heit bürgte für die Zukunft. Man sah im Geiste die Achilles, die Leonidas, die Nestor, die Aristides aus dem hellenischen Boden erschießen; und sah man auch einen schönen Paris oder einen verschmigten Ulysses einen Schatten auf das glänzende Gemälde werfen man drückte das Auge zu oder lächelte, wie die zärtliche Mama zu den Pagenstreichen des lieben Söhnleins lächelt. So ließ sich die Politik von der Poesie gewinnen; die Diplomatie schwärmte, im Nath der Könige hörte man Citate aus den Klassikern und wohlklingende Verse. Ach, verdammen wir den edlen Irrthum nicht! Unbewußt ließ sich die Phantasie von den klangreichen Namen Griechenlands berauschen; die Helden und Weisen, die alten Freunde unserer Kindheit erschienen wieder in der Welt. Nach den Kreuzfahrten haben die Jahrbücher der Geschichte keine uneigennüßigere That der Begeisterung aufzuweisen. Nicht die Wiege des Christenthums, sondern die Wiege unserer Ideen, unserer Künste, unserer Civilisation, Hellas, das gemeinsame Vaterland der Neuzeit, deffen Geschichte wir schon stammelten, ehe wir noch die unseres eigenen Landes kannten, sollte befreit werden. Vor dem Enthusiasmus schwieg die Klugheit, das europäische Gleichgewicht wurde der Archäologie geopfert. Einige Provinzen wurden von der Türkei abgelöst, und in aller Eil sagte man zu einem Volke von etlichen Hunderttausend Seelen: Ihr seid frei; gedeihet und machet Euch Eurer Ahnen würdig!" Das war ein doppelter Fehler: man schwächte die Türkei und gab Griechenland eine lächerliche Rolle, die dessen Zukunft gefährdete. Griechenland hat diefen doppelten Mißgriff Europa's theuer bezahlt.

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Arme Griechen! Jüngst noch wurdet Ihr in den Himmel er- Es vergingen einige Jahre; das Gewitter von 1830 hatte aushoben, von so mancher lorbeergekränzten Lyra gefeiert, ganz Europa getobt, die Ruhe trat ein, der Handel fing an zu blühen, die Frachtbot Euch die stüßende Hand. Wie eine Mutter die ersten Schritte schiffe durchfurchteten die Meere, zahlreiche Reisende besuchten Athen, ihres Kindes leitet. Heute bricht man über Euch den Stab ohne Er- die Gesandten der Westmächte waren bei dem neuen Hofe akkreditirt. barmen, es ist nicht erlaubt, Euch das Wort zu reden, es ist Mode,,,Run, da habt Ihr die so hochgepriesenen Griechen! Seht ihre HelEuch zu schmähen. Da haben wir die Umkehr der öffentlichen Meinung!

Wahr ist es, Griechenland hat sich einen Augenblick von den In teressen des Westens losgesagt, hat sich von religiösen Tendenzen und lügenhaften Versprechungen hinreißen lassen, hat sich etwas zu lebhaft Navarins erinnert; allein die Aufregung wurde rasch, leicht, nachhaltig gedämpft. Die politische Frage ist beseitigt, die Ereignisse der legten Monate sind vergessen. Die Abneigung, die Verachtung gegen die Griechen find nicht gewichen. Ein Menschenalter trennt uns von dem griechischen Unabhängigkeitskriege. Es ist in der Ordnung, daß eine Generation verspottet, was die vorangegangene geehrt hat; was unsere Vorfahren rühmten, müssen wir natürlich anschwärzen. Wenn aber auch ältere Leute ihren Philhellenismus verleugnen, wenn die Nachsichtigsten schweigen oder über die verflogenen Träume die Achseln zucken: dann fällt der Tadel sehr schwer ins Gewicht, er scheint dann in ernsteren Ursachen als in bloßen Modelaunen seinen Grund zu haben.

Im Jahre 1849 reißte ich nach Griechenland, voll der vorgefaßten Meinungen, wie sie heutzutage gäng und gebe sind, bis in den Marseiller Hafen von christlichen Rathschlägen und schlechten Wigen verfolgt. Vier Monate lebte ich unter den Griechen, in Athen und auf den Inseln, in den Seeftädten und in den entlegensten Gebirgen; ich fah das Schlimme wie das Gute; ich sah vor Allem das wahre Grie

*) Athènes au quinzième, seizième et dix-septième siècle, d'après des documens inédits. Par Mr. L. de Laborde. 2 vol. Paris, Renouard, 1855.

den, ihre Staatsmänner, ihre Feldherren! Was haben sie gethan, seitdem sie frei sind? Wo ist ihr Heer, ihre Flotte? Blüht der Ackerbau, der Gewerbefleiß? Was, nicht einmal eine Straße, die aus Athen führt! Keine Brücke über die Flüsse! Keine Fabrik für die ersten Lebensbedürfnisse! Was, in dem Vaterlande des Jklinos und Phidias kein Künstler! Und wie steht es um die Finanzen? Werden die Zinsen von den Anleihen regelmäßig abgetragen? Wird der Haushalt geschickt, ehrlich verwaltet? Warum treiben Piraten und Straßenräuber ihr Wesen?" Der Vorhang war einmal aufgezogen, und die Illusionen verschwanden schnell. Wie gewöhnlich rächten die Anbeter an dem Gößen die Täuschungen, die sie sich selbst bereitet. Die öffentliche Meinung, jest ungerecht, wie sie früher blind gewesen, for derte Rechenschaft von den Griechen für Tugenden, die sie ihnen angedichtet, und für Fehler, die sie nicht hatte sehen wollen.

Und doch hatten sich die Griechen von Anfang an so gezeigt, wie sie sind. Beim ganzen Verlauf des Unabhängigkeitskrieges trat ihr Charakter unter voller Beleuchtung hervor: Feige Schwäche neben dem Muthe, gemeiner Eigennut neben dem erhabensten Heroismus; Capitulationen wurden gebrochen; Gefangene, troß dem gegebenen Worte, erwürgt; Plünderung und Seeraub den Schlachten vorgezogen; die Mannszucht verspottet; das Ausreißen war an der Tagesordnung; die Eifersucht der Häuptlinge ging bis zu gegenseitigem Verrath viele Züge, die zugleich der Homerischen und barbarischen Zeit angehören, hätten minder eingenommene Beurtheiler warnen sollen. Leider

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hat sich die Geschichte selbst zur Untreue verleiten laffen, um den all. gemeinen Eifer nicht zu erkälten. Die Dichtung wob die goldene Wolke über alle Augen; im Verein mit der Plastik feierte sie einige Großthaten, einige schöne Gestalten, die das Publikum lebhafter rühr ten, als die Wahrheit, die lauter, als die Wahrheit selbst, redeten. Bozzaris' Tod, Missolunghi's Fall, die Mezelei von Chios, die Brander des Kanaris erfüllten die Phantasie. Zwischen das kämpfende Hellas und das zuschauende Europa schob überdies das Alterthum seine Luftspiegelungen. Die Griechen haben uns nicht betrogen: sie sind, was sie vor ihrer Befreiung waren; sie sind schon beffer; sie haben nur ohne ihre Schuld unsere Hoffnungen betrogen, und das lassen wir fie entgelten.

Es giebt, ich weiß, edle Gemüther, die ihr früheres Wohlwollen nicht verleugnen; bei ihnen hat die Sympathie die Illusionen überlebt; sie haben noch immer ein Wort des Wohlwollens für die Griechen, allein sie verzweifeln an der Zukunft eines Staates, der nach fünfundzwanzigjähriger Erißtenz noch so weit von den civilisirten Staaten ist. Fünfundzwanzig Jahre! Also die Zeit, die ein Mensch zu seiner Erziehung braucht, die soll ausreichen, die Erziehung eines Volkes zu vollenden? Wie viele Jahrhunderte mußten hingehen, ehe Frankreich Franz 1. seine Wiedergeburt, Nichelieu seine Einheit, Colbert seine Finanzen verdankte? Gestern noch lag Griechenland tief versunken in Knechtschaft, Unwissenheit, Barbarei und Verarmung; die neun Jahre des Befreiungskampfes hatten es vollends erschöpft. Dem Ackerbau fehlten die Hände, die Mündungen der Flüsse waren versandet, das Fieber mähte das werdende Geschlecht in der Blüthe ab; die kümmerliche und gefährliche Küftenschifffahrt ernährte kaum zwei unddreißigtausend Familien der Seeleute, während der ganze Reich thum den großen Häusern zuströmte, die in Triest, Alexandrien, Marseille und Konstantinopel sich etablirt hatten. Keine Hülfsquellen, drückende Schulden, ein enges Gebiet, das die kleinsten Inseln und die unfruchtbarsten Landstriche des alten Hellas umfaßt, eine Bevölkerung, die selbst dieses beschränkte Gebiet nicht ausfüllte: Das waren unftreitig genügende Gründe zur Beharrlichkeit und Aufmunterung in den Augen der Völker, die funfzehn Jahrhunderte des Fortschrittes zählen!

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Das plaudernde, lesende, reisende Publikum, das in seinen Be schäftigungen selbst nur Zeitvertreib sieht - das Publikum dringt nicht tief in die Geschichte und Politik; es klebt an der Oberfläche der Dinge, lacht über die Mängel, die es leichter bemerkt, und langweilt sich bei den Vorzügen. Die Griechen! Ach, sprecht mir nicht von den Griechen! die kennen wir, ohne den Fuß aus Paris gesezt zu haben. Erstlich be trügen sie Euch im Spiel. Wer hätte nicht in seinem Salon irgend einen Industrieritter ertappt? Wer hätte nicht einen eingeschmuggelten Prinzen, einen Hausirer mit falschen Manuskripten, einen Erben von Landgütern, die im Monde liegen, an seiner Tafel gespeist? Sie wurden uns von Personen empfohlen, die sie wenig kannten, und doch nahmen wir sie mit offenen Armen auf, stellten sie überall als unsere Freunde vor. Und denkt Euch, sie waren weder vom Adel, noch ge lehrt, noch reich! D, diese Griechen! Und was war auf diese Reden vom echt Pariser Schlage zu antworten? Freilich hätte einer erinnern können, daß auch wir unsere Ausfuhr-Artikel haben und daß es schlecht um uns bestellt wäre, wollte man uns nach den Proben be urtheilen, die im Orient und in Amerika sich umhertreiben; aber der wäre schön angekommen! Man würde ihm einen schlechten Bürger an den Kopf geworfen haben.

Es giebt allerdings Reisende aus den höheren Ständen, die durch Athen gekommen find, dort gelebt haben und von dort einen abschrecken den Eindruck und ärgerliche Geschichten heimbringen. Werdet Ihr die Glaubwürdigkeit von Leuten in Frage stellen, die da sagen: Wir haben gesehen? Freilich haben sie Attika in deren Großartigkeit und Nacktheit gesehen; haben gesehen die harmonischen Umrisse der Anhöhen, die sonnenvergoldeten Felsen, die Olivenbäume, deren dunkles Laub sich von einem blaffen, transparenten Himmel abhebt, die unbestellten Fluren, auf denen der Thymian und die Anemone blühen. Umsonst suchten sie mit den Augen die großen Wälder, die sich hinter dem Pentelikon verbergen; mit einem Sprung seßten sie lachend über den Zlissus, der unter Trümmern und Marmorbruchstücken verschwindet. An den glühenden Sommertagen, wie feufzten sie nach den grünen Fluren, nach den Flüssen und schattigen Bäumen der Heimat! Griechenland mit seiner Natur, seinem Klima war gerichtet; wie Attika so Hellas. Ich kannte einen Neapolitaner, der in Frankreich nur die Umgebungen von Marseille besucht hatte, und wie sprach der von Frankreich! Die meisten Reisenden hielten sich einige Tage in Athen auf; hier verkehrten sie mit Fischern, Kutschern, Gastwirthen, Dolmetschern, kurz, mit namenlosen Leuten, die sich überall gleichen, die von dem Fremden leben; und diese gelten ihnen für den griechischen Typus. Die aber lange in Athen verweilten - mit welchen Griechen haben sie Bekanntschaft gemacht, Umgang gepflogen, was haben sie studirt? Das Volk? Sie wissen, daß es die Zierlichkeit liebt, sich prächtig fleidet, von trockenen Feigen lebt, keusch von Sitten ist, fleißig die

Kirchen besucht, den Fremden mit einem verschmißten Lächeln verächtlich über die Schulter ansieht; das ist Alles. Die Bourgeoisie? Sie spricht nicht unsere Sprache, verschließt uns die Thür aus Furcht wie aus Eitelkeit; fie versteckt ihre ärmliche Häuslichkeit, erzieht ihre zahlreichen Kinder, ist geistbegabt, lernbegierig, von aufrichtigem Patriotismus beseelt, zu stolz, sich mit den Europäern vergleichen zu lassen, bevor sie sich zu ihnen erhoben hat. (Fortseßung folgt.)

Frankreich.

Zur Wissenschaft der Meteorologie.
(Schluß.)

Der erste Theil seines Werkes ist der Erforschung der unwägbaren Fluida gewidmet. Der Verfasser eröffnet diesen Theil mit Betrachtungen über das Lebensprinzip: er entwickelt seine philosophischen Ideen über diesen Gegenstand, führt alle darüber aufgestellten Systeme an und prüft die beiden, die er der Prüfung werth achtet: dasjenige, welches die lebenden Wesen von sich selbst entstehen läßt, und dasjenige, welches zur Erklärung ihrer Entstehung eine erste schöpferische Ursache annehmen zu müssen meint. Beide Systeme werden auf eine höchst interessante Art dargelegt und gegen einander gehalten; leider aber führt die Diskussion zu keinem befriedigenden Abschluß, die Schwierigkeit ist nicht gelöst und wird wahrscheinlich noch lange ungelösft bleiben.

Der Erdmagnetismus, die Eigenschaften des Magneten, das Nordlicht und der Einfluß, welchen der Magnetismus auf den Menschen ausübt, bilden den Gegenstand der vier folgenden Kapitel. Man findet hier interessante Erörterungen über die Sympathie und die Antipathie, über den Justinkt der Thiere und über die wunderbaren Eigenschaften, die man dem Magneten in Jahrhunderten zuschrieb, wo die Physik noch nicht durch die Forschungen Galilei's, Descartes', Huygens' u. A. m. bereichert war. In der Widerlegung abenteuerlicher und irrthümlicher Annahmen, in der Hinweisung auf manche „Defiderata“ zur Erklärung der Phänomene, welche die lebenden Wesen darbieten, zeigt Herr Foissac nicht blos einen vortrefflichen philosophischen Geist, sondern auch das Talent, immer anziehend darzustellen.

Der zweite Theil seines Werkes behandelt die Gewäffer und ihre Eigenschaften; der Verfasser bespricht die Temperatur der Quellen, der Flüsse, der Seen und der Meere und schließt mit Betrachtungen über das Polar-Eis, über die regelmäßigen Bewegungen der Meere, über ihren Salzgehalt und Phosphor-Effenz. „In dem Mittelländischen Meere, wie im Ocean", sagt Herr Foissac, giebt es wenige Striche, wo man das Phänomen der Phosphor-Effenz nicht beobachtet hat. Der Abbé Dicquemare schreibt es kleinen runden Thieren zu, welche er durch das Mikroskop gesehen hat. Er berichtet, daß ihre Menge im Hafen von Havre nie so groß gewesen, als am 20. Mai 1778. An diesem Tage machten sie das Meer trübe und wie bedeckt mit einer dicken Delschicht; das Wasser, welches er um zehn Uhr Abends schöpfte und in ein anderes Gefäß goß, erschien ihm wie ein Feuerfrom; er goß ein wenig davon auf ein Brett; es blieb drei Minuten lang funkelnd; das Licht, welches von dem Wasser ausging, war so stark, daß man eine feine Schrift lesen konnte."

In dem dritten Theil beschäftigt sich der Verfaffer mit der Atmosphäre und den darin vorkommenden Phänomenen. Er bespricht die Zusammensegung und die Schwere der Luft, die periodischen Schwankungen und die zufälligen Veränderungen des Barometerstandes und theilt wichtige Beobachtungen über den Einfluß der Schwere der atmosphärischen Luft auf den menschlichen Körper mit. Weiter folgen dann mehrere Kapitel über die Theorie der Winde, über die Orkane, die Wirbelwinde, die Echos; über den Thau, den Nebel, die Wolken, den Hagel und den Regen; über die Sternschnuppen, die Feuerkugeln und die Aërolithen. Ferner untersucht Herr Foiffac aufs sorgfältigste den Einfluß der Mondphasen auf das Wetter, auf das Pflanzenreich und auf den Menschen. Er bespricht die verschiedenen Ansichten mit eben so viel Scharfsinn, als Gelehrsamkeit. In Bezug auf die Wirbelwinde erzählt Herr Foiffac Folgendes:

"In der Nacht vom 4. Oktober 1844 entstand um Havanna ein schrecklicher Orkan und dauerte von zehn Uhr Abends bis drei Uhr Nachmittag. Man hörte ohne Unterbrechung das Gekrach der einstürzenden Häuser, die herzzerreißenden Töne der unter den Trümmern Sterbenden, die Schreckensrufe und die Gebete der bestürzten Lebenden. Von Zeit zu Zeit vermehrten Bliße das Schreckliche dieser Scene. Beim Anbruch des Tages vermehrte noch ein bräunlicher Schimmer das Entseßen: der Himmel war von schwarzen Wolken verfinstert, durch welche die Sonnenstrahlen nicht hindurchdringen konnten; es war nicht Regen, was herabfiel, sondern Wafferströme. Die entfesselten Stürme verursachten ein eben so starkes Getöse, wie die stärksten Donnerschläge. Als der Orkan aufgehört hatte, zählte man vierhundert Häuser, die zusammengestürzt waren; siebzig Menschen waren ums Leben gekommen; eine große Menge von Schiffen waren im

Hafen untergegangen. Havanna glich einer Stadt, die eben ein Bombardement ausgehalten. Auf dem freien Felde war nicht ein Baum ftehen geblieben." Der vierte Theil behandelt in zehn Kapiteln die Wärme: Die Temperatur der Erde, die von der Sonne bewirkte Wärme, die Temperatur-Unterschiede je nach den Längen- und BreitenGraden, die Schneegränzen, Einfluß der Höhen auf die Pflanzen- und Thierwelt, Temperatur-Unterschied nach der Größe, der Gestalt und Lage des Kontinents u. f. w.

Die Revolutionen der Erde und die Veränderungen der Klimate find Gegenstand des fünften und legten Theils. Die beiden ersten Kapitel erregen das Intereffe im höchsten Grade; das eine bezieht sich auf die vorsündfluthlichen Revolutionen der Erde, das andere auf diejenigen Revolutionen, welche seit dem Erscheinen des Menschen auf der Erde stattgefunden haben; daran reihen sich natürlich die Untersuchungen über die Sündfluth, über die Vulkane und die Erdbeben, welche in unseren Zeiten noch den Boden erschüttern und volfreiche Städte zu verschlingen drohen. Die folgenden Kapitel find nicht weniger wichtig: Der Verfaffer spricht über die Veränderung der Meeresbecken, über die Hebung des Bodens und andere geologische Ereignisse, welche man als Ursachen einer Veränderung des Klimas ansehen könnte; er untersucht die Witterungs-Verhältnisse in alten und in neuen Zeiten, den Einfluß der Sonne, der Kulturen, der Wälder auf die meteorologischen Erscheinungen. In den lezten Kapiteln finden wir eine sehr interessante Abhandlung über das Klima der verschiedenen Gegenden der Erde in alten Zeiten im Vergleich zu dem Klima derselben Gegenden in unseren Zeiten, eine Abhandlung, welche, da in ihr sehr wichtige, auf die Gesundheit sich beziehende Fragen erörtert werden, allein schon hinreichen würde, dem Werke eine günstige Aufnahme zu sichern. Man sieht, welch ein unermeßliches Gebiet Herr Foissac bearbeitet hat; wir haben darauf hingewiesen, daß er es mit großem Glück bearbeitet hat in den uns vorliegenden zwei starken Bänden. Und doch müssen wir ein Bedauern aussprechen, welches man selten ausspricht: Die Arbeit des Herrn Foissac ist nicht ausführlich genug. Manche Gegenstände behandelt der Verfasser nur fehr oberflächlich; er hat die Arbeiten des Herrn Babinet über denfelben Gegenstand zu wenig berücksichtigt; diefer große Physiker hat, um die Wissenschaft zu bereichern, Reisen gemacht, den Boden Frankreichs in allen Gegenden erforscht, Himmelsbeobachtungen und Unter suchungen jeder Art angestellt; auch hat er eine Menge von That fachen gesammelt, welche er einft bekannt zu machen verspricht und welche er seinen Freunden immer schon gern mittheilt. Ihm und den anderen berühmten Männern, die wir oben genannt, haben wir es zu danken, daß die Meteorologie eine Wissenschaft geworden, die eine große Zukunft haben wird. Das Werk des Herrn Foissac ist in Das Werk des Herrn Foissac ist in hohem Grade geeignet, allen Gebildeten, besonders aber den Aerzten, Interesse und Geschmack für die Meteorologie beizubringen; diese Wissenschaft wird künftig nicht mehr in der bloßen Aufzählung und Beschreibung der Naturphänomene bestehen, welche in verschiedenen Denkschriften der Akademie vorgeführt worden sind; sie wird von jezt an eine wirkliche Wissenschaft, ein für sich bestehender Zweig des allgemeinen Wiffens sein.

Ein Utopien.

England.

Der Mensch und die Maschine.
Zwei Zeitbetrachtungen.

Der neueste Roman der Mrs. Gaskell,°) der Verfasserin von ,,Ruth" und "Mary Barton", giebt dem geistvollen Kritiker Emile Montégut Veranlassung, sich in der Revue des deux Mondes über die industriellen Zustände und Sitten des heutigen Großbritannien auszulassen und in scharfen Zügen die Entzweiung, den Antagonismus zu schildern, welcher den Boden der Gesellschafts-Verhältnisse, wie dort, so anderwärts unterwühlt. Er leitet seine Betrachtungen mit einem Märchen oder den Umrissen eines philosophischen Romans ein, worin er seine Leser in ein fabelhaftes Land verseßt, bevölkert von zwei Klaffen oder Menschengruppen: die eine derselben bestehend aus ungemein artigen und feinen Leuten, mit denen sich aufs beste leben und auskommen läßt, echten Gentlemen nach Sprache und Manieren, nur aber schwächlichen Charakters; die zweite Gruppe gebildet von Arbeits- und Werktagsmenschen, und diese da barsch, ungeschlif fen, abstoßend, aber tüchtig und thätig. Jene also vergegenwärtigen Formen ohne Realität, diese umgekehrt Realitäten ohne Form. Die Einen find eitel Oberfläche ohne Grund und Gehalt, die Anderen rohe Elemente ohne ebenmäßige Fläche, schlecht behauene Granitblöcke, oder so wie sie aus dem Schooß der Erde hervorgegangen sind, schwarze und staubige Steinkohlenflöße, von ihren Schlacken noch nicht gereinigte Erze. Daß zwischen diesen zwei Klaffen keine Gemeinschaft

*) North and South. London, 1855. 2 vols.

besteht, sie vielmehr die entschiedenste Verachtung für einander hegen, also lauch eine aus so heterogenen Bestandtheilen zusammengesette Bevölkerung keinen guten Fortgang gewinnt und, weil keine von beiden stark genug ist, um sich über die andere zu erheben, vollkommene Anarchie als status quo an der Tagesordnung ist, ist selbstverständlich. So weit klingt auch der Roman nicht roman- oder märchenhaft, sondern kann als ein ziemlich getreues Abbild der Wirklichkeit gelten. Allgemach aber mischt sich Wahrheit und Dichtung. Denn nun wählen sich in diesem Utopien beide Theile ein besonderes Oberhaupt: die Gentlemen eine Art Dandy, halb Italiäner halb Russe, der, seine Leute kennend und wohl wissend, daß er ihnen die Fuchtel nicht sehen, geschweige fühlen laffen darf, fie mit Liebkosungen, Schmeicheleien, dem Zauber seines Lächelns und wohlangebrachten Worten zu kirren und an seine Person zu feffeln weiß. Wenn er sie barsch anließe, Gehorsam heischte, weil es sein Recht und ihre Pflicht ist, fo würde nichts in der Welt sie unterwürfig und geschmeidig machen; allein auf eine zierliche Geberde oder wißige Phrase hin verstehen sie sich gern zum Kammerdienerposten, und nichts kömmt dem poffirlichen Eifer gleich, womit sie dem schlauen Gebieter die Stiefel blank pugen, oder der Beflissenheit, womit sie von dem Rocke seiner Hoheit das mindeste Flaumfederchen wegbürsten. Von einem König dieser Art will freilich die andere Gruppe, die der Ungeschmeidigen, die sich nicht mit glatten Manieren abspeisen läßt, nichts wissen und erkiest sich zum Oberhaupt einen muskulösen Riesen oder Schlagetodt, der tüchtig ist und trinkt, in Einem fort raucht, nicht schläft, ohne Raft arbeitet und so auch von allen Anderen neben sich verlangt. Aber mit diesen ewigen go ahead! und Vorwärts! plagt der Wütherich sein armes, zur Knechtschaft verurtheiltes Volk dergestalt ab, daß demselben bald nichts übrig ist als Haut und Knochen, und so über ihre Kräfte angespannt, muß die Feder in dieser Menschenmaschine über kurz oder lang springen. Es geht aber jenseits, bei den Aristokraten, nicht beffer. Hier verfällt Alles täglich mehr der Verwitterung und Fäulniß; denn wo so alle Anstrengung, alle solide Thätigkeit fehlt, muß der Mensch zulezt alle Spannkraft verlieren und früh zum Greise oder Kinde werden. Wenn kein Gott diesem unglücklichen Lande zu Hülfe kömmt, so muß es zu Grunde gehen. Aber Ende gut Alles gut, wie sich für ein Märchen schickt. Der König Dandy befißt eine reizende, kluge, scharfsichtige Tochter, die, unbethört vom Schein, den Sohn des ungeschlachten Riesen heiratet, einen schönen, kräftigen und gediegenen Burschen, dem es nicht an zahlreicher Nachkommerschaft gebrechen wird. Wirklich ist auch dem Sproffen dieser Ehe das Glück beschieden, dem bisherigen Antagonismus der zwei Raçen ein Ende zu machen, fie beide unter ein einig Scepter zu vereinigen und eine Ordnung der Dinge zu schaffen, worin die Kunst des Regierens sich in praktischer Geschäftskunde, energischem Handeln und taktvoller Geschmeidigkeit bewährt, die so Regierten aber als Leute, welche Kultur und Bildung nicht verweichlicht, die Arbeit nicht erschöpft, der Sinn für das Praktische nicht roh macht, das Streben nach dem Höheren nicht überfeinert hat, sich darstellen.

So ungefähr lautet die Geschichte dieses Utopiens. Begleiten wir Montégut jezt auf mehr realen Boden.

„Eine seltsame", ruft er,,,doch aber aller Beachtung werthe Erscheinung! Die Feldarbeit wohl kann sie zu anstrengend betrieben werden, kann die Körperkraft erschöpfen, aber sie erzeugt kein krankhaftes Gefühl und entspricht der menschlichen Natur. Die Hausarbeit desgleichen, sie schafft nur Glück und Freudigkeit. Die Arbeit des Handwerksmannes, so anstrengend sie sein mag, fördert die Geselligkeit, die Kameradschaft, den Vereinsgeist. Nur die Maschinenarbeit, eine Erfindung der Wissenschaft und des menschlichen Verstandes, fie allein ertödtet den Leib und entsittlicht die Seele. O, wie furchtbar rächt sich die Natur dafür, daß man ihr Feffeln anzulegen wagt, sie, von welcher nur Gesundheit und Leben ausftrömt, fie, die einzig echte Arznei, die allein die erschöpften Körperkräfte neu belebt. Wenn gefesselt und geknechtet, erzeugt sie nur Todeskeime. Man meint sie bezwungen zu haben, sie aber sprengt übermächtig ihre Bande und schmettert ihren Bändiger nieder. Man preßt den Dampf in Röhre, und Erblindung und Brandwunden sind die Folgen. Jene ursprünglich so unschädlichen Stoffe hauchen jezt verderbliches Gas aus; Stickluft dringt aus jenem feinen Baumwollenstaube; jene unsichtbaren Atome von Gift, Glas und chemischen Ingredienzen finden den geheimen Weg zur Lunge; betäubend bis zur Taubheit wirkt das ununterbrochene Raffeln gehender Maschinen. Man betrachte, welch feindseliger Anblick! diese Maschinen und ihre grausame Präzision, ihre, so zu sagen, fatalistische Intelligenz, so unwiderruflich wie ein Rechenerempel, die verzehrende, heißhungrige Geschäftigkeit, womit sie das Eisen benagen, nach der Baumwolle schnappen, den Faden zwirnen, Gewichte in die Höhe schnellen. Nun wohl! von dieser mechanischen Gefühllosigkeit eignen sich zuletzt auch die Menschen etwas an, die im Dienste der Maschinen stehen. Im steten Umgang der Menschen mit den Maschinen verödet das Herz und schlägt nicht

wieder jung und frisch. Arbeit ist das radikalfte Heilmittel gegen das Laster; soll sie aber dieses, so muß der Mensch wirklich beschäf-. tigt sein, muß an die Arbeit Kopf und Herz seßen. Bei Maschinenarbeit ist dies nicht der Fall. Der Mensch gewinnt da aus keiner feiner Anstrengungen Befriedigung und Freude, die Maschine allein ist produzirend und gönnt ihm nicht einmal eine der Illusionen, worein andere Arbeit selbst bei augenblicklicher Erschlaffung der phyfischen und geistigen Kräfte wiegt; nichts läßt sie ihm, als eine maschinenartige Beweglichkeit, womit seine Gedanken unstet umherschweifen und, erst schwermüthig, dann voll Ingrimm auf den traurigen Erfahrungen des Lebens, dem Elend der Entbehrung und des Siechthums verweilen. Vom Kummer und Groll geht er dann weiter zu leidenschaftlichem Hasse gegen die Arbeit, die ihm nicht mehr als eine Grundbedingung des Lebens, sondern als ein Fluch erscheint. Und diese Aufeinanderfolge von Empfindungen ist ganz logisch und natürlich. Außer den genannten Uebeln erzeugt die Maschinenarbeit noch gewiffe Laster, die vielleicht immerfort bestehen werden, wie sich das Verhält niß des Arbeiters zum Arbeitgeber gestalten mag: die Rohheit, die Trunksucht und ein drittes, dem der Mensch aus Bedürfniß einer leidenschaftlichen Zerstreuung, einer Diversion von seinen geregelten Lebensgewohnheiten anheimfällt. Wenn noch der Mensch Luft und Licht hätte! aber nein, er muß in einer feuchten, oder erstickenden, verpeste= ten, durch Qualm oder Millionen von Atomen, welche den bearbeiteten Stoffen entschlüpfen, verfinsterten Werkstatt arbeiten, und so gesellen sich die physischen Uebel zu den moralischen Leiden. Fürwahr, hätte man vor die Thür gewiffer Centren der Industrie irgend etwas Sinnbildliches zu sehen, so möchte es eine das Siechthum versinnlichende Figur sein, die mit schleichendem, aber sicherem Tritt daher schreitet und dem Kummer die Hand darreicht, oder auch traurig niedergekauert, gesenkten Kopfes, mürrischen Blickes und mit gekreuzten Händen, etwa in der Haltung eines muselmännischen Fatalisten dasigt. Die Gebrechen und Laster, welche man der Industrie-Bevölkerung zum Vorwurf macht, dürfen also nicht in Verwunderung sehen; Verwunderung müßte es erregen, wenn sie nicht vorhanden wären.“

Mannigfaltiges.

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- Das dreihundertjährige evangelische Gymnasium in Lissa. In unserem leßten Literaturberichte aus Italien (Nr. 140) wurde auch wieder der Waldenser in Piemont gedacht. Es ist nicht uninteressant, daß in einem uns vorliegenden Aktenstücke aus dem sechzehnten Jahrhundert, in dem Schul-Privilegium, welches Raphael IV. Leszczynski, am St. Johannistage 1579, der im Jahre 1555 gestifteten Schule (dem nachmaligen Gymnasium) der reformirten Brüder-Unität in Lissa ertheilte, diese Reformirten auch,,Waldenser" genannt werden. Das Privilegium ist nämlich ertheilt: „Rectori Scholae ac Ecclesiae Reformatae Evang. in Oppido Nostro Lesna, professionis FF. Valdensium seu Bohemorum," Es ist dieses Aktenstück in dem Festa programme enthalten, das Herr Direktor Ziegler in Liffa zu der am 13. November d. J. ftattgefundenen dreihundertjährigen Jubel feier des dortigen evangelischen Gymnasiums herausgegeben und worin zugleich einige sehr anziehende Beiträge zur älteren Geschichte des Gymnasiums" enthalten sind. Es ist interessant, aus diesen Notizen zu ersehen, daß schon der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brane denburg sich als Schuß, und Schirmherr der evangelischen Kirche und Schule in Lissa gerirte. Außer den, den Reformirten in Polen zu gewiesenen Geldmitteln wurden am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin und auf der Universität in Frankfurt a. d. D. vier Freistellen für zwei großpolnische und zwei litthauische Alumnen der Unität geftiftet und zu ihrem Unterhalte ein bestimmter Fonds angewiesen. Vom Jahre 1693 an ward der berühmte Daniel Ernst Jablonsky, welcher eben so wie fein gefeierter Großvater, Johannes Amos Comenius,) Rektor des Liffaer Gymnasiums und Großsenior (Bischof) der refor. mirten Brüder-Unität in Großpolen (dem jeßigen Großherzogthum Posen) gewesen war, der wärmste Vertreter der Kirche und des Gym nasiums der Reformirten in Liffa am kurfürstlichen und nachmals königlichen Hofe in Berlin, wo er bekanntlich bis zur Regierungszeit Friedrich's des Großen (1741) lebte und in hohen Ehren stand. Er war es auch, der, nachdem Stanislaus Leszczynski, Erbherr von Lissa, zum Könige von Polen gewählt worden war, durch die Vermittelung des Königs Friedrich I. von dieser Stadt die Verheerung abwandte, die ihr im Jahre 1705 durch das sächsische Corps der Nache drohte, das August II. abgesandt hatte. Eben so wußte er durch Vermittelung Friedrich Wilhelm's I., der mit Repressalien gegen die Katholiken in Raftenburg drohte, im Jahre 1715 die Unterdrückung der Reformirten

*) Ueber Comenius und dessen, Labyrinth der Welt“ vgl. man den Art. ,,Böhmen" in Nr. 137 des,,Magazin“.

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abzuwehren, die von dem Bisthums-Verweser in Posen, Petrus de Czekarzewice Tarlo, ausgegangen war. So hat sich das brandenburgisch-preußische Regentenhaus während des dreihundertjährigen Be stehens dieser deutsch-evangelischen Pflanzschule der Wissenschaft in Großpolen bis auf die neueste Zeit als deren mächtiger Beschüßer und Förderer erwiesen. Interessant ist auch ein in dem uns vorliegenden Programme enthaltenes lateinisches Anagramm zu Ehren der Grafen Leszczynski, welches von den Schülern des Liffaer Gymnasiums im Jahre 1691, unter Jablonsky's Rektorat, zur Feier der Rückkehr eines älteren Mitgliedes der gräflichen Familie und in Gegenwart des damals 134 Jahr alten Stanislaus Leszczynski orchestisch aufgeführt wurde. Das Anagramm, deffen legte Variation eine merkwürdige, prophetische Hinweisung auf die dreizehn Jahre später erfolgte Thronbesteigung Stanislaus Leszczynski's war, lautete:

Domus Lescinia, Ades incolumis, Omnis es lucida, Manes sidus loci; Sis columna Dei, I, scande solium!

Die Waldenser-Kirche Piemonts. Ueber den inneren Zustand der (in Nr. 140 des „Magazin“ ausführlich besprochenen) waldensischen Kirche Sardiniens gehen der „Preuß. Correspondenz“ folgende Nachrichten zu:,,Bekanntlich hatte die Synode des Jahres 1851 eine Kommission mit Anfertigung eines Verfassungs-Entwurfs für die waldensische Kirche beauftragt. Dieser Entwurf ist in der nächsten, vorschriftsmäßig drei Jahre später zusammengetretenen Synode des Jahres 1854 zur Berathung vorgelegt worden, damals zwar nicht zur Verhandlung gekommen, von einer im Mai d. J. vorzugs= weise zu diesem Zweck berufenen Versammlung aber angenommen worden. Darauf ist er den einzelnen waldensischen Gemeinden zur Annahme mitgetheilt und, nachdem alle diese Gemeinden, mit alleiniger Ausnahme der Gemeinde von Pramollo, ihm unverändert beigetreten waren, unter dem 4. September d. J. als endgültiges Kirchenstatut publizirt worden. Allerdings sind jezt auch schon Spaltungen innerhalb der waldensischen Kirche eingetreten, und es ist, wie wir hören, das bereits in Aussicht gestellte Ausscheiden eines Theiles der waldensischen Gemeinden zu Turin und Genua nunmehr definitiv erfolgt. Die Ausgeschiedenen sind zu freien Gemeinden zusammengetreten und haben sich als zur evangelischen Kirche Italiens gehörig erklärt. Zur waldensischen Kirche stehen sie jedoch zur Zeit noch in freundschaftlichen Beziehungen."

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-The Literary Churchman. Unter diesem Titel erscheint seit einem Vierteljahre in London,,eine den Intereffen und der Förderung der religiösen Literatur gewidmete Zeitschrift“, zum Preise von 4 Pence (34 Sgr.) für die Wochen-Nummer. Die Redaction verkündet ihre Grundsäße als die der englischen Kirche, bemerkt jedoch dabei, daß, während sie danach strebe, auch über die Literatur anderer Religions Gemeinschaften verbürgte und unparteiliche Nachrichten zu geben, sie doch nicht beabsichtige, die Wahrheit zu kompromittiren oder den Indifferentismus zu fördern. Die uns vorliegende Nummer enthält kirchliche Nachrichten aus Desterreich (über das neue Konkordat), dem Orient, Spanien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, so wie Anzeigen von zweiundzwanzig verschiedenen Werken, worunter auch ein deutsches: „Auslegung der Epistel Pauli an die Ephefer. In vierunddreißig Predigten, von C. R. Kahler, Pastor in Brügge bei Kiel."

Verwandtschaft der westmächtlichen Dynastieen. In England ist folgender Stammbaum gedruckt worden, um zu zeigen, daß der Prinz Napoleon Bonaparte ein Prinz vom königlichen Geblüt Englands und ein Vetter Ihrer Majestät der Königin Victoria sei: Georg II.

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