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England zusehends und zunehmend denationalifiren und kosmopolitisi ren. Der gewöhnliche Engländer fühlt das auch und spricht es in der Form aus, daß bald einmal eine Zeit kommen werde, wo es keine Engländer mehr in England gäbe. Insofern darunter die nationalen Schrullen und geschmacklosen Sonderbarkeiten der isolirten und insulirten eigentlichen, englischen „Schichten“ verstanden werden, ist damit die Sache ganz richtig bezeichnet.

Was in, aus und nach England gereift wird, davon hat man gar keinen Begriff, ahnt es aber jedes Jahr mehr zwischen Auguft und November. Während der Zeit ist Niemand da, Keiner, der irgend etwas gilt und Geld hat. Früher waren die Meisten blos in der „Country", jezt sind sie überall, nur nicht in England. Schon der respek table Arbeiter reist wenigstens nach Paris, höhere Familien fahren nach einer Flotte, den Rhein hinauf, die Donau hinunter, nach Amerika, Malaga, Algier oder einer englischen Kolonie Afrika's, den Nil hinauf in die Ruinen von Theben. Ueberall, wo es Berge giebt, klettert er hinauf, keine Schlucht, keine Höhle, in welche er nicht hineinkriecht. Zwar hält sich der Engländer mitten unter den Fremden immer noch isolirt genug, so daß ihm das Ausland nicht so leicht etwas anhaben kann, aber so oft und so lange wandelt auch er nicht mehr,,ungestraft unter Palmen“. Unter je einem Tausend dieser Touristen ist immer Einer, der ein Buch aus seiner Reise machen will. Der muß sich schon umsehen und fremde Menschen und Zustände zu begreifen suchen. Die isolirt und blindlings Reisenden lesen dann wenigstens sein Buch und erfahren auch, wie es da eigentlich aussieht, wo sie waren.

So komme ich auf die Reise-Literatur, die in England immer frisch bleibt. Ich erwähne, was ich neuerdings davon kennen gelernt. Das substantiellste und wissenschaftlich-interessanteste ist die über mehr als tausend geographische Meilen ausgedehnte Reise John Ruffell Bartlett's durch Texas, Neu-Mexiko, Kalifornien, Sonra, Chihuahua in zwei Bänden mit Karten und vielen Abbildungen.") Er hat unbekannte, aztekische Städte und Merkwürdigkeiten entdeckt und beschrieben, noch nie betretene Gegenden durchwandert und geologisch, physikalisch und vegetabilisch untersucht, interessante Abenteuer erlebt und mit Menschen verkehrt, von denen wir bis jezt wenig oder gar nichts wußten, und so zwei Bände gefüllt, die keinen Theil der Naturwissenschaft und keinen Leser leer ausgehen lassen. — C. Holden, der funfzehn Jahre lang Geistlicher in der jungen englischen Ratal-Kolonie in Süd-Afrika war, hat eine interessante Geschichte derselben geschrieben.") Er schildert fie als grünen, blühenden Siß einer jungen, geschäftigen anglo-sächsischen Race und die einheimischen Raçen dazu, wie sie entweder verschwinden, oder sich als Dienstboten und Unterthanen an die Weißen anschließen und von ihnen ausbeuten lassen. Drei Karten und zwan zig Illustrationen tragen anmuthig dazu bei, die genauen Details der Schilderungen zu veranschaulichen und das Ganze zu einer eben so instruktiven, als unterhaltenden Lektüre zu machen.

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Capitain Chamier, ein alter Seemann und Autor über Länder und Städte, die er kennen lernte, hat jest in seiner derben und freien Manier Rom und Neapel geschildert, ***) besonders die Wirthschaft in Neapel, wo das schönste Land der Erde zu einer wahren Hölle auf Erden gemacht wird. Unter römisch-französischer Herr schaft sieht der Kirchenstaat, nach seiner Schilderung, nicht viel beffer aus. Die lezten Bogen seines Werks bringen die schauder haft getreue Geschichte der „Cenci" in Rom. Cenci war am Ende des sechzehnten Jahrhunderts einer der mächtigsten und ruchlosesten Nobili in Rom. Er vergiftete seine Frau, heiratete sofort darauf eine neue Flamme, die er kurz darauf von sich stieß, um seiner eigenen Tochter die größte Schande zuzumuthen. Sie widerstand mit Festigkeit und wurde dafür in einem Kerker so lange gehalten, bis sie blödsinnig war. Die mißhandelte Frau ließ den entseßlichen Mann ermorden, worauf sie und ihre Stiefföhne und die Tochter im Ker ker so lange gefoltert wurden, bis sie, ohne das Verbrechen selbst begangen zu haben, Alle gestanden und Alle hingerichtet wurden, die Unschuldigen, wie die Schuldige. Die Schilderung der verschiedenen Arten von Foltern, die auf speziellen Befehl des Papstes bis zu der schauderhafteften, welche je die wüthendste Phantasie ersinnen konnte, gegen die standhaftefte und unschuldigste, die blödsinnig gemachte Lochter des Ermordeten, angewandt wurden, ist mit einer Treue und Anschaulichkeit ausgeführt worden, wie sie nur Personen von den stärk ften Nerven durchlesen können, ohne sich auf Lage und Wochen Gefundheit und Stimmung zu ruiniren.

Panama mit dem kulturgeschichtlichen Ereignisse der Eisenbahn über den Ifthmus ist von R. Tomes (in einem im „Magazin" bereits

*) Personal Narrative of Explorations and Incidents in Texas, NewMexico, California, Sonora, Chihuahua. By John Russell Bartlett. With maps and many engravings. Der Verfasser ist ein Nord-Amerikaner, und die in England erschienene Ausgabe seines Buches ist ein bloßer Nachdruck des Originals, welches schon im vorigen Jahrgang unseres „Magazin“ (Nr. 155) besprochen wurde. D. R.

**) History of the Colony of Natal, South-Africa, and of the Orangeriver-Sovereignty. By Rev. C. Holden.

***) My Travels. By Captain Chamier.

erwähnten Buche) ausführlich behandelt worden.") Ein (gleichfalls den Lesern des,, Magazin" bekanntes) Buch über die Moskitoküste von einem Amerikaner mit vielen Skizzen und Abbildungen, das mir nur kurze Zeit zugänglich war, „Adventures on the Mosquito-Shore" (von Bard), bringt haarsträubende Schilderungen über die leßten Schicksale der unglückseligen Moskito-Expedition, welche von einigen Herren in Berlin angeregt und ausgeführt worden war. Einige verfaulte Ackerwerkzeuge und Menschengebeine waren Alles, was von diefem centralamerikanischen jungen Deutschland übrig geblieben war. Mögen die Herren Fellechner und seine beiden Begleiter, die einen so günstigen Bericht über das Moskitoland aus eigener Forschung (!) abstatteten, fich jezt der Früchte ihrer heroischen Wirksamkeit und Wissenschaftlichkeit freuen.

Um auch einmal auf die Literatur aufmerksam zu machen, welche in England das vertritt, was wir in Deutschland Philosophie nennen (ein in England durchaus nicht echt vorkommender Artikel), dürfte wohl das crst jüngst erschienene Werk von Alex. Bain: „Die Sinne und der Geist", "") das originellfte sein, insofern hier die materialistische Richtung der Naturwissenschaft sich auf dem Gebiete des Geistigen geltend zu machen sucht. Wie Moleschott sagt: „Kein Gedanke ohne Phosphor", beweist Bain: Kein Geist ohne Nervenftrom, ohne Elektrizität“ (No nervous current - no mind"). Also richtig der alte Spruch: ,,Was man nicht dekliniren kann,

Das sieht man für elektrisch an."

Nur daß tiefere Denker für Elektrizität lieber „,Phosphor" annehmen. Ich will mir nicht anmaßen, das Buch überhaupt zu beurtheilen. In feiner Aufgabe, die geistige Thätigkeit, d. h. die Manifestation des Geistes nach außen, welche er selbst noch lange nicht ist, auf phyfiologische Grundlage, auf die Materie zu bauen, hat er offenbar viel Gutes geleistet und die geläufigen und falschen Vorstellungen dieser Sphäre gründlich zerstört. Nur leidet er an derselben Illusion, welche der ganzen materialistischen Naturwissenschaft zu Grunde liegt, nämlich der, daß Naturwissenschaft auch nebenbei Geisteswissenschaft sei und der Geist, dem man von der Materie aus selbst niemals beikommen kann, sich damit begnügen müsse, eine Combination der Materie zu sein, elektrisches, phosphorisches, exkrementales Spiel der Nerven ins Gehirn hinein und von da aus sich absondernd. Man begreift bei dieser kannibalischen Logik nur nicht, warum sie Elektrizität, Magnetismus, Licht, diese Imponderabilien, nicht auch zu bloßen Combinationen der Materie machen und sie immer noch als Elemente mit figuriren lassen. Giebt es Elektrizität ohne andere Materie, ift sie körperlich vorhanden ohne andere Materie? Nein. Also ist die Elektrizität z. B. beim Telegraphen doch weiter nichts, als Combination von Battericen und Dräthen, und ihre Elementarität eine reine Anmaßung.

Geist ist Combination der Materie, Nervenfluß, Rheumatismus, Phosphor u. s. w., er kann sich aber auch aus anderen Quellen felbft beziehen, z. B. aus dem Glauben. Mr. Levi, Lecturer am gut hochkirchlichen Kings-College in London, ***) und noch spezieller Herbert Spencer †) nehmen als Wurzel alles Wiffens den Glauben an. Der Glaube ist nach Spencer das universale Postulat". Niemand kann etwas wiffen wollen, ehe er es glaubt. Das ist sein Haupt-Prinzip unter den Prinzipien der Psychologie. Herr Leone Levi fezt besondere Geseze und Gerichtsbehörden für die Natur, bie Nationen und die geistigen und geistlichen Behörden voraus, wie es auch bei uns Civil- und Kriegsrecht, Kriminalrecht, Kirchenrecht, römisches Recht, Feudalrecht u. s. w. giebt, und die sich oft merkwürdig genug einander verklagen, wie die Gedanken der Heiden, so von Gott nichts wiffen. Er baut fich ein hochkirchlich-göttliches Gefeß auf, und weist nach, wie der strafende Arm dieser höheren Gerechtigkeit sowohl in die Diplo maten-, als auch in die Naturgefeße eingreifen und wie die Menschen selbst dieses göttliche Gesez als Frieden, Christenthum, Civilisation gegen Diplomaten u. f. w. gelten machen sollten. (Wird Palmerston nicht lieb sein, obwohl er auch ohne die Levische Revelation von den Konsequenzen seiner eigenen funfzigjährigen Wirksamkeit bald ganz und gar aufgezehrt sein wird.) Ich erwähne diese,philosophischen“ Schriften nur als Kuriositäten. Die Engländer sind keine Philofophen, waren es auch nie, selbst Locke nicht, an deffen trockenen Nüglichkeits- und Zweckformalismus ich erst neulich wieder lebhaft erinnert wurde, als ich sehen wollte, wie ihn E. Tagart††) gegen den Vorwurf, daß er den Sleptizismus Hume's verschulde, vertheidigte. Das Buch giebt eine historische Uebersicht seiner Schriften und sucht den Inhalt derfelben in einem kleinen Modell anschaulich zu machen. (Schluß folgt.)

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Italien.

Literatur-Berichte aus Italien.

Neuere Nachrichten über die evangelische Bewegung in Turin. Es ist der zunächst von mir zu besprechende Gegenstand vielleicht die kleinste literarische Erscheinung, von der in diesen Blättern die Rede gewesen ist, denn sie umfaßt nur einen Bogen; allein sie ist von der höchsten Bedeutung, da sie Zeugniß giebt von dem Streben der Italiäner, die Religion von der Priesterherrschaft zu trennen. Jenseits der Alpen glaubt man gewöhnlich, daß die Italiäner entweder bigott, oder Freigeister sind, daß sie Alles oder Nichts glauben. Damit aber thut man den Italiänern Unrecht; sie klagen vielmehr die deutsche Philosophie an, daß sie auf die Religion durch die Sucht nach Systemen zerstörend einwirke oder zum Myftizismus führe, der unter UmStänden zur Heuchelei führen könne. Das Quasi-Konzil, welches im vorigen Jahre die unbefleckte Empfängniß von Seiten der Mutter der Jungfrau Maria feststellte, hat in Italien selbst bei streng katholischen Italiänern einen unangenehmen Eindruck gemacht; sie hielten diese ganze Angelegenheit wenigstens für unnöthig. Auch hat ein sehr gelehrter Publizist, Herr Bianchi Giovini, aus den früheren Kirchenvätern, päpstlichen Bullen und Konzilien nachgewiesen, daß sonst die Kirche anderer Meinung war. Darum aber findet sich auch jest in Italien die Hinneigung zum Protestantismus immer mehr verbreitet. Da nun im Königreiche Sardinien jest vollkommene Religionsfreiheit herrscht, ist hier der Hauptsiß der evangelischen Bewegung um so mehr, als sich hier aus den Zeiten des Urchristenthums unter den Waldenfern die Lehre des Evangeliums von allen späteren Zusäßen frei erhalten hat. Die Waldenser stehen den Italiänern insofern nicht so nahe, als man glauben sollte, weil fie, in den Thälern unter dem Monte Viso wohnend, als Nachbarn von Franzosen, meist französisch sprechen und ihre Geistlichen gewöhnlich in Genf erzogen werden. Es hat sich daher in dem Königreich Sardinien eine besondere italiä. nisch-evangelische Bewegung kundgethan. Der erste Stifter derselben ift der ehemalige Pfarrer de Sanctis, von der Magdalenen-Kirche zu Rom, welcher zum evangelischen Glauben übertrat und in Turin mit außerordentlichem Beifall predigt, was sonst gewöhnlich nicht in italiänischer Sprache geschehen durfte. Er und der neapolitanische Kriminalrath Albarella d'Afflitto, welcher in Turin lebt, haben sich an die Spiße dieser evangelischen Italiäner gestellt. Der Leßtere, welcher mit seiner ganzen Familie aus der katholischen Kirche getreten ist, hat in Turin eine evangelische Buchhandlung errichtet, und der Erstere hat in diesen Tagen das Glaubensbekenntniß der italiänischen evangelischen Kirche herausgegeben, welches allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Diese aus Gottes Wort gezogenen Glaubensgrundfäße') sollen der evangelischen, italiänischen Kirche zu Turin zur Grundlage dienen; auch sind es dieselben, welche schon bisher die evangelischen Gemeinden zu Genua und Nizza als die auch anderwärts heimlich in Italien zerstreuten evangelischen Christen befolgen. Obwohl nun in diesem Glaubensbekenntniß das bekannte apoftolische Glaubensbekenntniß wiedererkannt wird, ist doch mit außerordentlicher Gewandtheit jedes Wort vermieden worden, das nicht in dem Evangelium steht und die theologische Schule erkennen läßt. Es wird bevorwortet, daß, da man sich nicht für unfehlbar hält, Jedem überlaffen werden muß, wie er nach dem Maße seiner Einsicht sich seine Vorstellung von Gott und den göttlichen Dingen macht; daß aber die Bibel als die einzige Autorität anzusehen, da sie ein Werk Gottes ist; ohne daß darauf eingegangen wird, wie sich dieses Werk der Gottheit von anderen Werken derselben unterscheidet. Es wird aber angenommen, daß die Bibel Alles enthält, was zu unserem Heil nothwendig ist, so daß das symbolum apostolicum für einen Auszug aus der Bibel gehalten wird. Bei allen Glaubenslehren sind die betreffenden Stellen der Bibel angeführt, so daß kein Wort vorkömmt, welches nicht in der Bibel steht.

Der Vorläufer dieser merkwürdigen Schrift war: „Die chriftliche Lehre nach dem Worte Gottes".**) Es ist natürlich, daß diese aus der katholischen Kirche ausgetretenen Italiäner, da man sie im Königreiche Sardinien nicht mehr, wie sonst, verbannen kann, von der Priester-Partei fehr angefeindet werden, was besonders in der Zeitung des Marchese Birago, Armonia, geschieht. Auch haben bereits mehrere Bischöfe Hirtenbriefe gegen die,,Keßer" erlassen; auf diese ist unter Anderem in einer Schrift sehr würdig geantwortet worden, welche vor kurzem unter dem Titel erschienen: Antwort auf den Hirtenbrief des Bischofs von Nizza"; "*") eine ähnliche Schrift ist die Antwort an den Bischof Char

*) Principii di fede e di disciplina estratti della parola di Dio, per servire di base alla chiesa evangelica Italiana di Torino. Torino, 1855. **) La dottrina cristiana seconda la parola di Dio. Torino, 1854. ***) Riposta alla pastorale del Vescovo di Nizza. Torino, 1855.

raz von Genua, der sonst in Pignerol war, welches die Hauptstadt der Thäler ist, die von den Waldenfern bewohnt werden.") Dafelbft erschien auch eine geschichtlich dogmatische Untersuchung über die Beichte, welche den Beifall der Theologen von Fach erhielt.**) Andererseits erfahren wir, daß seit kurzem in Pignerol katholischerseits ein „Hospiz für Katechumenen“ errichtet worden, das es besonders auf Proselytenmacherei unter den Waldensern abgesehen und in der That auch schon manche Bekehrung bewirkt hat.

Außer dem gedachten de Sanctis ist es besonders der waldensische Prediger Meille, welcher bei Herausgabe von theologischen Schriften für die italiänischen evangelischen Christen sehr thätig ist. Unter Anderem hat er das Werk des englischen Theologen Gurney über die Wahrheit des Christenthums überseßt. "*")

Auch ein Gesangbuch für die evangelischen Christen ist in italianischer Sprache herausgegeben worden, da sie sich im Piemontesischen bisher französischer Gesänge bedient hatten. ****)

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Für die Privat-Andacht ist eine Sammlung von frommen Betrachtungen bestimmt. †)

Auch die englischen Missions-Gesellschaften haben mehrere italianische Traktätchen drucken lassen, welche hier verbreitet werden. tt) Der größte Wohlthäter der Waldenser aber ist der englische General Beckwith, welcher einen Fuß bei Waterloo verlor. Ihm verdanken sie außer großen Beiträgen zu den Kirchen in La Torre und Turin die Stiftung eines Gymnasiums und eines Hospitals zu La Torre. J. F. Neigebaur.

Mannigfaltiges.

- G. H. Lewes über das Leben und die Werke Goethe's. Vor wenigen Tagen ist in London bei David Nutt (einer der um die Verbreitung deutscher Literatur in England sehr verdienten Buchhandlungen Londons) ein größeres Werk über das Leben und die Schriften Goethe's ausgegeben worden. ttt) Verfaffer dieses Werkes ist Herr G. H. Lewes, der Autor einer Geschichte der Philofophie in Biogra phieen. Von welchem Standpunkte das Buch geschrieben ist, deutet schon das Motto derselben an, das von Stilling entlehnt ist:,,Goethe's Herz, welches Wenige kannten, war so groß, wie sein Verstand, den Alle kannten." Der Verfasser, der, wie er sagt,,,nach publizirten und unpublizirten Quellen" gearbeitet hat, ergeht sich zugleich über das Zeitalter Goethe's und seine Zeitgenossen und hat in seinem Werke daher ein gutes Stück deutscher Literaturgeschichte für seine Landsleute geliefert. Wir denken später ausführlicher auf dieses Buch zurückzukommen.

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Grillparzer's Sappho Englisch. Erst ganz kürzlich ist in Edinburg bei Constable eine englische Ueberseßung von Grillparzer's "Sappho" erschienen. tttt) Das Londoner Journal The Critic sagt darüber: „L. C. C., wer er oder sie auch sein möge, hat der Literatur einen Dienst gethan, indem er diese ausgezeichnete Tragödie aus dem Deutschen überseßte. Es nimmt uns nicht Wunder, daß Lord Byron in einem Schreiben an Thomas Moore dieses Werk Grillparzer's prächtig (,,superb") genannt hat, denn selbst,,Sardanapalus“ übertrifft dafselbe kaum an Prachtstellen, an Tiefe der Bewegung und an Erschütterungen des Gefühls. In einer Zeit dramatischen Bombastes und theatralischer Plattitüden ist uns,,Sappho“ doppelt willkommen. Dieses Drama von grandioser Einfachheit und lebensvoller Handlung bietet nur wenige Charaktere dar, so daß es, als Theaterstück, den gegenwärtigen Bedürfnissen des Bühnen-Pompes und Spektakels wenig oder gar nicht entspricht, aber seine Macht der Personification und der Sprache ist ergreifend und zugleich ein reizendes Studium für das Lesepult."

Die Auszüge, welche The Critic aus der Ueberseßung mittheilt, find Proben einer vortrefflichen, poetischen Diction, die des Originals würdig ist. Wir freuen uns, daß der jeßt in Deutschland so vernachlässigte Dichter noch in seinen alten Tagen solche Genugthuungen erlebt.

*) Riposta al Monsignore Charraz.

**) La confessione, saggio dommatico istorico. Pinerolo, 1855. ***) Manuale intorno alle evidenze del Cristianismo, di Giovanni Gurney, tradotto del Inglese. Torino, 1855.

****) Inni e cantici al uso dei Christiani d'Italia. Torino, 1855. Libreria evangelica.

†) Essercizii di Pietà. Torino, 1855. Siete voi rigenerato? Id. ††) Riflessione sacre. Londra, 1854. Il progresso del peccato. Id. ttt) The Life and Works of Goethe, with Sketches of his Age and Contemporaries. By G. H. Lewes. London, D. Nutt. Berlin, A. Asher & Comp. By Franz Grillparzer.

tttt) Sappho: a Tragedy. L. C. C.

Translated by

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., halbjährlich i Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei undfin Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 141.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit . Comp., Jágerfir. Nr. 25, und beim Spediteur Reumann, Niederwallflt. Nr. 21), so wie von allen königl. Poft-Aemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Berlin, Sonnabend den 24. November

Zur Wissenschaft der Meteorologie. *)

Der wissenschaftliche Meteorolog kann seine Aufgabe in zweifacher Weise auffaffen. Er kann sich darauf beschränken, die Erscheinungen, die im Himmelsraum, in der Atmosphäre, auf der Oberfläche oder im Innern der Erde vorkommen, zu beobachten, zu erforschen und wissenschaftlich darzustellen. Das Feld, welches er in diesem Falle bearbeitet, ist auch so schon groß genug. Aber er kann außerdem auch noch die Einflüffe, welche die von ihm zum Gegenstande der Forschung gemachten Erscheinungen auf die verschiedenen organischen oder unorga. nischen Geschöpfe der Erde ausüben, in den Kreis seiner Untersuchungen hineinziehen. In diesem Falle wird die Meteorologie eine noch viel großartigere, inhaltvollere und interessantere Wissenschaft. Der Mensch kann nicht gleichgültig bleiben in Bezug auf die Erscheinungen, welche er täglich wahrnimmt, besonders wenn sie auf seine Functionen, auf feine Gesundheit, mit einem Wort: auf alle Thätigkeiten seines phyfischen und moralischen Lebens einen mächtigen Einfluß ausüben.

Schon seit langer Zeit ist die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt in Anspruch genommen durch die schönen Entdeckungen, welche die Herren Arago, Babinet, Humboldt, Gasparin“) gemacht, und durch die kühnen Theorieen, mit deren Hülfe diese Gelehrten die verschiedenen meteorologischen Phänomene erklären. So hat sie denn auch ein vor kurzem erschienenes, zugleich in philosophischer, in empirisch-wissenschaftlicher und in literarischer Beziehung bedeutendes Werk, welches, ihre Wünsche erfüllend, eine Lücke wirklich ausfüllte, gleich bei seinem Erscheinen mit großem Beifall aufgenommen. Dieses durch seinen Umfang sich auszeichnende Werk ist eben so ausgezeichnet durch die Großartigkeit der Auffassung, durch die geschickte Gruppirung der NaturErscheinungen, durch die klare, einfache, leicht faßliche Darstellung der bis jeßt aufgestellten Theorieen. So aufgefaßt, so dargestellt ist diese Wissenschaft gewiß eine der schönßten, der anziehendsten, der einfluß reichsten, der allen Bildungsstufen am leichtesten zugänglich zu machenden; man lieft mit Vergnügen Alles, was auf sie sich bezieht; sie in teresfirt alle Welt und befriedigt alle Geister.

Herr Dr. Foissac, ein sehr ausgezeichneter Arzt in Paris, ist es, dem wir dieses Werk, ***) in welchem die Meteorologie unter den eben angedeuteten verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt ist, verdanken. Der Verfasser, bereits bekannt durch frühere fchriftstellerische Arbeiten, in denen sich eine gründliche Gelehrsamkeit, ein schöner Styl und eine gediegene philosophische Bildung kundgeben, zeigt sich in dem vorliegenden Werk als einen tiefen Denker und als einen ausgezeich neten Meteorologen.

Um eine Vorstellung zu geben von dem Interesse, welches dieses Werk erregt, und von der Menge der Gegenstände, die es umfaßt, wollen wir uns nicht darauf beschränken, darauf hinzuweisen, daß man in den Lehrkursen der Sorbonne einen ausgedehnten Gebrauch von dem Werke gemacht, oder die günstigen Beurtheilungen in Erinnerung zu bringen, die daffelbe in den Journalen erfahren; sondern wir wollen den schönen Plan und die Eintheilung des Werks hier vorführen und dann auch noch einige Auszüge daraus mittheilen. Wir sind über zeugt, daß diese Mittheilungen aus einem Werke, in welchem die Wissenschaft durchweg in einem so schönen und reinen Styl vorgetragen wird, für unsere Leser von Interesse sein werden.

In Betreff des Bligftrahls spricht sich der Verfaffer folgender maßen aus:

„Wenn der Bligstrahl in Bäume einschlägt, zertheilt er fie der Länge nach in eine Menge dünner Splitter, mitunter in Fäden, so dünn wie die eines Besens. Bisweilen findet sich der Stamm seiner Ninde beraubt und diese in kleine Stücke zersprengt. Unter gewissen *) Nach einem von Tavernier verfaßten Artikel.

**) Dove verdient es gewiß, neben den hier Genannten auch hervorge= hoben zu werden.

***) De la Météorologie dans ses rapports avec la science de l'homme, et principalement avec la médecine et l'hygiène publique, par P. Foissac. 2 vol. in-8. Paris, chez J. B. Baillière.

1855.

Umständen werden die Aefte gänzlich vom Stamm abgeftreift. In einer der Akademie der Wissenschaften am 22. Januar 1849 gemach. ten Mittheilung stattet Herr Desormery Bericht ab über die vielen Verheerungen, welche der Blisstrahl in der Gegend von Clermont angerichtet hatte. Er schlug neben ihm auf der Landstraße ein: von zwei einander sehr nahe stehenden Pappeln erlitt die höhere, der Aefte beraubt, keinen Schaden, die kleinere, mit Laub bedeckt, war niedergeworfen; die Aeste waren zerriffen und der Rinde beraubt, einer derselben mit einer solchen Regelmäßigkeit, daß man hätte meinen können, es sei durch Menschenhand geschehen; das Holz war zerreiblich und fiel faft wie Staub aus einander. Herr Deformery felbft wurde vom Pferde geschleudert; er lag auf der einen, das Pferd auf der anderen Seite. Als er zu sich kam, befand er sich ganz wohl und bemerkte an seinem Körper nicht die geringste Verlegung. Der Blisstrahl hatte seine seidene Börse durchbohrt und in derselben mehrere Silbermünzen zusammengeschmolzen; das Gepräge war verwischt. Dünne Silberfäden waren verschwunden. Die Scheidemünzen und die seidenen Fäden der Troddeln waren unverleßt. Eine Ziege, die von demselben Blisstrahl getroffen war, wurde todt und aufrechtstehend, mit dem hinteren Theil an einen Zaun gelehnt, im Munde noch einen grünen Zweig, gefunden. In einer nahen Hütte war ein zweijähriges Kind getödtet worden; sein ganzer Körper war mit Wunden wie von Verbrennung bedeckt. In einem in die Mauer geschlagenen Loche fand sich ein eisernes Geräth, welches von der gegenüberliegenden Wand dorthin geschleudert war und einen starken eichenen Schrank durchbrochen hatte. Dieses eiserne Geräth war magnetisch geworden."

Weiter macht uns der Verfasser folgende Mittheilung:

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,,Wenn der Blig in ein Pulvermagazin einschlägt, verursacht er gewöhnlich eine Explosion und zertrümmert dadurch das Gebäude. Dies geschah am 4. Mai 1785 in Tanger, am 26. Juni 1801 in Luxemburg; beim leßten Ereigniß kamen dreißig Menschen ums Leben, und mehr als zweihundert wurden ftark verlegt. Viel schrecklicher aber war die Verheerung, welche ein Blißstrahl am 18. August 1769 in Brescia anrichtete; er schlug in einen Thurm ein, in deffen Souterrain 2,076,000 Pfund Pulver lagen, die der Republik Venedig gehörten. Die Explosion dieser ungeheuren Maffe von Pulver zerstörte den sechsten Theil der Stadt Brescia; der übrige Theil war stark erschüttert. Dreitausend Menschen kamen um.“

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In den beiden ersten Kapiteln behandelt der Verfasser das Licht, seine Entstehungs- und Fortpflanzungsweise und die Gefeße, denen dieses Fluidum unterworfen ist. Dann erklärt er die Himmels-Erscheinungen, die fich auf das Licht beziehen, die Veränderungen, welche das Licht erfährt, indem es den Raum durchläuft, die Morgenröthe, die Dämmerung, die Farben, in denen die Sterne schimmern. Er macht uns bekannt mit allen jenen täuschenden Phänomenen der Spiegelung, mit der Entstehung des Regenbogens, der Höfe, welche man bisweilen um Sonne und Mond bemerkt, und der Nebensonnen. In Betreff der Spiegelung berichtet der Verfasser Folgendes:

,,Der berühmte Monge, Mitglied des ägyptischen Institute, hat zuerst derselben Erwähnung gethan. Der Boden von Nieder-Aegypten bildet eine unabsehbare, vollkommen horizontale Ebene; seine Einförmigkeit ist nur von kleinen Erhöhungen unterbrochen, auf welchen, vor den Ueberschwemmungen des Nil gesichert, die Ortschaften angelegt sind. Des Morgens und des Abends zeigt sich nichts Auffallendes in der Erscheinung der Gegend; aber wenn die Sonne den Erdboden erwärmt hat, scheint dieser in einer gewissen Entfernung wie eine unabsehbare Wafferfläche. Die Ortschaften erscheinen wie Inseln inmitten eines unermeßlichen Sees, und über einer jeden Ortschaft fieht man das umgekehrte Bild derselben. Der Erdboden ist verschwunden, und das Himmelsgewölbe spiegelt sich in der scheinbaren ruhigen Waffer-Ebne. Man kann sich die grausamen Täuschungen vorstellen, welche die französische Armee erfahren mußte. Ermüdet von den Strapazen, von Durst gequält unter dem heißen Himmel, freute sie sich, daß sie bald an dem großen See sein würde, in welchem sie die Dörfer und die Palmen sich abspiegeln sah; aber, wie man sich dem See näherte, so entfernte sich derselbe, bis er am Ende ganz verschwand und die

Täuschung sich im Hinblick auf ein anderes weiter entferntes Dorf wiederholte. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Eigenschaften des Lichts, welche der Daguerreotypie und der Photographie ihre Entstehung gegeben haben. Das folgende Kapitel, welches viel Interessantes dar. bietet, handelt von dem Einfluß, den das Licht auf die organisirten Körper ausübt. In der Abhandlung über die Wärme, die dann folgt, verfährt der Verfaffer in derselben Weise, wie in der über das Licht; beide Fluida sind denselben Gefeßen unterworfen, und ihre Eigenschaf ten, wie ihre Wirkungen, haben eine gleiche Wichtigkeit für das organische Leben.

Die sechs folgenden Kapitel beziehen sich auf die Elektrizität. Alle die interessanten Phänomene, welche künftlich oder natürlich durch die Elektrizität hervorgebracht werden, sind vom Verfasser mit der größten Sorgfalt beobachtet und werden auf eine Art dargestellt, die nicht verfehlen wird den Leser zu interessiren. Nachdem Herr Foiffac die Ent. deckungen dargestellt, welche in Bezug auf die Elektrizität von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage gemacht worden sind, handelt er von der atmosphärischen Elektrizität in allen ihren besonderen Erschei. nungen. Er erklärt und ihre Entstehung während des Regens und bei nebligem Wetter; er belehrt uns über das St. Elmsfeuer, die Gewitter, die geographische Vertheilung derselben, ihre verschiedene Frequenz in den verschiedenen Jahreszeiten, über den Bliß, den Donner, den Blißftrahl in allen seinen Formen, über die Wirkungen des Blißstrahls auf die organischen Wesen und über die Mittel, sich gegen denselben zu schüßen; endlich behandelt er die animale und physiologische Elektrizität und schließt mit Betrachtungen über den Einfluß, welches dieses Fluidum auf den kranken Menschen und besonders in Zeiten anfteckender Krankheiten haben könne. Bei diesen Auseinanderseßungen bezieht sich Herr Foissac auf alle bis heute veröffentlichten Denkschriften und Beobachtungen; Männer, wie Franklin, Arago, Humboldt, find feine Gewährsmänner.

In der Einleitung, in welcher er sich über den Nugen der Wissenschaften ausspricht, weist Herr Foissac, der ein Recht hat, auf seinen Beruf als Arzt stolz zu fein, auf das Ueberzeugendste nach, daß die Naturwissenschaften Allen, besonders aber denen nöthig sind, welche den hohen Beruf haben, die Leiden ihrer Mitmenschen zu lindern. Er zählt die Männer auf, welche sich am meisten um die Wissen schaften verdient gemacht haben, und weist nach, daß die meisten von ihnen Aerzte gewesen: Hippokrates, Erafiftratus, Celsius, Galenus im Alterthume; dann Copernicus, Bainbridge und Litio, die zugleich Aftronomen und Aerzte gewesen. Aus der neueren Zeit führt er an: Guy de la Broffse, welchem Europa die Gründung des Jardin des Plantes verdankt; Fagon und Tournefort, welche sein Werk fortgeseßt haben; Perrault, welcher den Plan zu dem neuen Louvre entworfen hat; Boerhaave, an welchen man so ausgebreitet war sein Ruf unter der Adresse: „An Boerhaave, in Europa“ schreiben konnte; dann Haller, Galvani, den Entdecker der Berührungs-Elektrizität, Linné, den berühmten Botaniker. Seine Behauptung durch Beispiele aus der Gegenwart zu beweisen, unterläßt Herr Foissac aus einem leicht zu begreifenden Grunde. (Schluß folgt.)

England.

Literatur-Briefe aus England. Eilfter Monats-Bericht. 1855. (Schluß.)

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Die Engländer sind keine Philosophen. Das Denken, der Geist als solcher, ist ihnen unzugänglich. Zu der Wissenschaft des Wiffens gehört die Ruhe, die Muße, das Talent und Genie, wie man es nur in Deutschland zuweilen in einem Kopfe zusammen findet. Die Engländer haben zur Philosophie kein Talent, kein Genie, kein Klima, keine Vorschulen. Colleges" und Universitäten sind durchweg nur Einpaukemaschinen für das Material, welches beim Examen nothwendig ift und außerdem ganz speziell und absichtlich Geißtestödter im Intereffe der Hochkirche. Die Universitäten wollen die Jugend als „, perfect Gentlemen" aus ihren Klöstern und Anstalten polizeilicher Aufsicht entlassen. Denken aber und gar Wissenschaft des Denkens gilt für eben so gemein, als gefährlich für die Einrichtungen „Gottes“ in England. (Von dem Geiste und den Geisteszerstörungs-Anstalten auf den englischen Universitäten, auch nach der Ruffellschen Reform, besonders in Cambridge und Orford, kann man sich in Deutschland schwerlich eine Vorstellung machen. Sie gehören ganz wesentlich zu den Instituten, welche Cobden für seine Behauptung, daß England im Ganzen doch Rußland sehr ähnlich instituirt und konstituirt sei, brauchen kann.) Nur wenn die englischen Philosophen (d. h. nach dem bestimmten Sprachgebrauch des Wortes: Diener der Wissenschaft, wie Mechaniker und Optiker,,Verfertiger philosophischer Instrumente" genannt werden)

Werthvolles im Detail, in speziellen Sphären und Fällen. Wir könn ten hier unter den mehr als dreihundert wissenschaftlichen Materien, welche in der großen Hauptversammlung der British Association zu Glasgow zur Sprache und Erörterung kamen, eine große Anzahl als Beleg anführen, wenn uns diese Details nicht von unserem übersichtlichen Standpunkte in einen dicken Oktavband führen würden. Ich erwähne hierbei, daß sich die Afsociation nächstes Jahr in Cheltenham unter Vorsiß des Dr. Daubeny versammeln wird. Die englischen Bücher über Psychologie taugen nichts, aber es giebt sehr viel werthvolle Leiftungen über praktische Gebiete des Lebens, in denen die Psychologie Bedingung aller richtigen Praxis ist, z. B. in der Seelenheilkunde. Seitdem Howard vor achtzig Jahren die entseglichen Brutalitäten und Grausamkeiten, welche in englischen Irren-Anstalten herrschten, enthüllte, fand sich allmählich die Seelenheilkunde als Erlöserin ein, die freilich auch jezt noch viele Direktoren nicht abhält, auf Kosten der Wahnsinnigen und ihrer Angehörigen Geld zu machen. Die Elemente der psychologischen Medizin von Daniel Noble) werden als Weisung zur psychischen Behandlung und Heilung der heilbaren Geistesstörungen sehr gerühmt, namentlich wegen der reichen Schäße praktischer, detaillirter Fälle, in welchen durch bloße Einwirkung auf die zerrüttete Geistes- Maschinerie diefelbe dauernd wieder hergestellt ward. Auch in Bedlam thut man jezt Wunderdinge durch bloße Appellation an die Geistes-Functionen, welche noch gesund sind, z. B. an die Ehre Derer, die im Wahnsinn gern zerstören und um sich schlagen. Man macht ihnen klar, daß ein „Gentleman“ nie in den Tisch oder das Tischtuch schneide u. s. w. - und die Wahnsinnigen essen fast alle in größter Manierlichkeit gemeinschaftlich ihr Mittagbrod. Für Männer von Fach und Beruf wird das Werk von Noble sehr viel Interesse und Belehrung haben.

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Unter den praktischen, englischen Erfindungen bewährt sich Varley's „elektro-telegraphischer Ueberseßer" mit Hülfe des von Morse erfundenen Apparates ganz ausgezeichnet. Die Franzosen machen jezt Anstalt, damit zwischen Paris und Kamiesch auf der Krim zu korrespondiren. Man schreibt mit dem einen Apparate in Paris, in demselben Augenblicke schreibt ein zweiter Apparat dieselben Worte auf der Krim nach und umgekehrt. Wenn ich nicht irre, ist diese telegraphische Korrespondenz selbst wissenschaftlich keine englische Erfindung, sondern eine deutsche, nur daß die Engländer sich derselben zuerst praktisch bemächtigt haben. Schon 1829 behauptete Signor Zantedeschi in Venedig die Möglichkeit zweier entgegengesetter, gleichzeitiger telegraphischer Ströme, die, ungestört durch einander, ihre Nachrichten immer richtig bringen müßten. Profeffor Wheatstone hier hat sich Inftrumente machen laffen, durch welche er die Richtigkeit der Angaben Zantedeschi's praktisch dargethan haben soll. Ein anderer englischer Philosoph", Mr. Grosley, hat eine Windmühle erfunden, welche — pflügt, einen vom Winde getriebenen Pflug. Ein Modell dazu, welches schon praktisch pflügte, soll er gezeigt haben, ich weiß nicht mehr, wo. Ein anderer,,Philosoph" sprach von einem unterseeischen UntersuchungsInftrumente, welches den Meeresboden wasserfrei mache, erleuchte und den Forscher unten allenfalls auch in einem Wagen auf dem Meeresboden hinziehen könne. Doch kann ich auf diesen noch problematischen Gebieten nicht weiter fortfahren, schon deshalb nicht, weil ich schließen will und noch Einiges anbringen muß. Hierher gehört der Tod des früheren Ministers der öffentlichen Arbeit, zulezt Kolonial-Minister Molesworth, insofern er der englischen Literatur und Wissenschaft im besten Sinne angehörte. Sein Hauptverdienst liegt in der Westminster Review während der Zeit, wo er deren Redacteur war. Ihm gehörte der schönste Theil der Grafschaft Devonshire, er war einer der höchsten der obersten Zehntausend und doch ein ganz vernünftiger Mann in der Politik. Man nannte ihn sogar einen Radikalen. Im Parlamente spielte er allerdings keine glänzende, wohl aber die würdigste Rolle. Er sprach selten und nur dann, wenn er wirklich etwas zu sagen hatte. Das thut jezt selten Jemand im Parlamente. Er gehörte zu den sehr Wenigen, die sich zu Hause ordentlich durchdachten, aufschrieben und memorirten, was sie reden wollten. Er war auf deutschen Universitäten gewesen und von daher ein solider Gelehrter und Mann ohne Humbug geblieben. Zu einer ordentlichen Biographie und Charakteristik fehlen bis jezt noch die nöthigen Materialien, obgleich die Zeitungen mehr als tausend Ellen Spalten über ihn geschrieben haben. Sein Tod im fechsundvierzigften Jahre wurde durch den Umstand beschleunigt, daß er Mitglied des Ministeriums ward, welches berufen zu sein scheint, die leßten Konsequenzen der Palmerftonschen auswärtigen Politik über sich und England herunterzuziehen.

Als Kuriosität wäre noch zu melden, daß Macaulay's neuer Band (Wilhelm III. und seine Zeit"), der endlich zum 4. Dezember erscheinen

*) Elements of Psychological Medicine, being an introduction to the practical study of insanity. By Daniel Noble. Wir machen hier zugleich auf die psychologische Zeitschrift: The Journal of Psychological Medicine, edited by Dr. Forbes Winslow aufmerksam. Sie bringt in der Regel außer interessanten Thatsachen aus Bedlam u. s. w. sehr spezielle Bei

foll, bereits in dreiundvierzigtausend festbestellten Exemplaren vergriffen ist. Mudie's Leihbibliothek hatte allein auf mehr als zweitausend Exemplare subskribirt. Die Befriedigung des ersten Bedürfnisses bringt hier also dem Verleger schon siebzigtausend Pfund Sterling blos von den Subskribenten in London und den nächsten Provinzen. Weitere Auflagen und das Ausland mit den Kolonieen werden mindestens dieselbe Summe eintragen. Und da die Verleger in der Regel hier auf halben Gewinn gehen und die Kosten von der Hälfte des Autors bestritten werden, kann man von dem auf eine Million Thaler abgeschäßten Brutto-Ertrage mindestens dreihunderttausend Thaler als reinen Gewinn des Verlegers annehmen.

Ich bemerke noch, daß ich eben die „Geschichte der Diplomatie, der Gesandtschaften und ausländischen Höfe“ von dem „Roving Englishman") (Francis Head?) zu lesen angefangen hatte. Die Geheimnisse der Staatenruderkunst seit 1815, seit welcher Zeit das Prinzip der Unmoralität und Rücksichtslosigkeit gegen Recht und Gefeß, gegen das von denselben Diplomaten gemachte Gefeß, ganz offen und unverhohlen eingeführt ward, besonders durch Metternich, aber ganz besonders durch Palmerston, sind von dem launigen und zuweilen scharfen Autor in manchen interessanten Anekdoten und Thatsachen enthüllt worden, aber eine Geschichte der Diplomatie, d. h. eine Geschichte der politischen Misère in Europa seit 1815, ist es noch nicht.

Ich fing mit der geographischen und merkantilen Lage Londons im Mittelpunkte der besten Erdhalbkugel an und kann mit einem Beweise schließen, daß es auch wissenschaftlich das Centrum der Gelehrsamkeit in sich birgt, das Britische Museum in Ruffell-Street, wo jezt die Halbkugel aller Wissenschaft faktisch und körperlich als neue Lesehalle gewölbt wird. Die ganze Welt hat nicht solch eine Lesehalle aufzuweisen, als diesen neuen „Reading-room", eine riesige, runde St. Paulskuppel mitten im Viereck des inneren Raumes, um welchen das Museum sich mit seinen unzähligen, nie in einen Katalog zu bringenden Bücher, Kunst- und antiquarischen Schäßen ftreckt, eine Halb. fugel von 140 Fuß Durchmesser, 106 Fuß hoch, von zwanzig großen Fenstern oben und einem Glasdache von 60 Fuß Durchmesser in der Krone erleuchtet. Das Centrum der Halbkugel ist eine erhöhte Platform für den Aufseher mit zwei konzentrischen Reihen von Pulten für die Kataloge. Um dieses Centrum laufen Tische und Bänke als Radien, mit vier Fuß Raum für jeden Leser, so daß dreihundertundsechs. unddreißig gleichzeitig Plaz finden. Der so gebildete Raum umfaßt fünf Viertel Millionen Kubikfuß Luft, die durch warme Winter- und kühle Sommer-Ventilation ftets gesund erhalten wird. Die Kosten find auf hunderttausend Pfund veranschlagt. Die Herren Baker und Fielder übernahmen die Ausführung des ganzen Baues mit allem Zubehör. Wir verdanken diese prächtige und praktische Erweiterung des wissenschaftlichen Mittelpunktes aller gebuchten Wissenschaft dem Herrn Panizzi, der 1852 geltend machte und nachwies, daß die Unbequemlichkeit und Rathlosigkeit derer, welche im Museum ftudiren wollen, ohne deffen unergründlichen Mechanismus selbst studirt zu haben, durch Ausfüllung des großen, freien, inneren Quadrats zu einer großen Central-Lesehalle beseitigt werden könne. Als Mr. Smirke die schöne architektonische Halbkugel als Modell des neuen Baues vorzeigte, fand fie sofort den gehörigen Beifall, so daß wir nun für die centrale Pofition Londons auf der bewohnten Erde ein imposantes Modell und Muster haben.

Süd-Amerika.

Ein Besuch bei den Araukanern. **)

Die Araukaner sind das einzige Volk von indianischem Geschlecht, welches feine Unabhängigkeit mit Glück gegen die Weißen vertheidigt hat. Seit drei Jahrhunderten haben sie ihre Wohnsize im südlichen Chile gegen alle Angriffe der Spanier und ihrer Nachkommen behauptet. Der Conquistador Almagro suchte vergebens, diese freiheitsliebenden Wilden zu bezwingen. Eine von Pizarro abgesandte Expedition unter der Leitung Valdivia's hatte eben so wenig einen nach haltigen Erfolg. Don García de Mendoza, Villagran und Martin Loyola, der Neffe des heiligen Ignatius, erlitten alle blutige Niederlagen, und im Jahre 1602 wurden die von den Spaniern im Gebiete der Araukaner gegründeten Städte entweder niedergebrannt oder verlaffen, seit welcher Zeit die Chilenos alle Eroberungspläne gegen fie aufgegeben und sich darauf beschränkt zu haben scheinen, ihre von den Bergen hinab in das Flachland unternommenen Nazzias zurückzuweisen. Herr Edmond Smith, ein amerikanischer Marine-Offizier und Mitglied der von der Regierung der Vereinigten Staaten nach Chile abgefertigten astronomischen Expedition, beschloß, nicht eher in sein Va

*) Embassies and Foreign Courts, and History of Diplomacy. By the Roving Englishman, Author of ,,Pictures from the Battlefields." **) The Araucanians. By Edmond Reuel Smith. New-York & London: Sampson, Low & Co. 1855.

terland zurückzukehren, bis er die Bekanntschaft eines Aborigenenstammes gemacht, deffen Geschichte so viel Interesse darbietet und der in dem berühmtesten Epos befungen worden ist, zu welchem die neue Welt den Stoff geliefert hat.) Er ließ sich demgemäß bei Manin, einem der mächtigsten der araukanischen Häuptlinge, anmelden und machte sich auf den Weg, nachdem er sich mit einer Anzahl Geschenke versehen, durch die er die Gunst seiner Wirthe zu gewinnen hoffte und die hauptsächlich aus rothem und blauem Flanell, baumwollenen Tüchern, messingenen Fingerhüten, Harmonikas, Maultrommeln und Glasperlen bestanden. Seine Absicht wurde vollkommen erreicht; namentlich brachte ein altes Paar Epauletten, welche er dem großen Manin verehrte, einen mächtigen Eindruck auf diesen Potentaten (den man beileibe nicht mit dem venetianischen Dogen und dessen revolutionairen Namensvetter verwechseln muß) hervor, und in Folge dieses allseitigen Wohlwollens wurde es ihm möglich, die Araukaner in ihrer innersten Häuslichkeit kennen zu lernen und Beobachtungen über sie anzustellen, die früheren Reisenden verwehrt waren.

Wir lassen hier einige seiner Bemerkungen über die Sitten und Gebräuche dieses merkwürdigen Volksstammes folgen. Wie die meisten Wilden, sind die Araukaner Polygamen, und der Rang eines Jeden wird nach der Anzahl seiner Weiber gemessen. Der Verfasser ließ sich einmal mit einem alten Manne in ein Gespräch ein, dem er viel von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, seinem Charakter und feinen Absichten in Bezug auf die Indianer erzählen mußte. Nachdem er über diese Punkte zufriedengestellt worden, erkundigte er sich weiter, ob Se. Excellenz reich und mächtig seien, und verlangte endlich, um sich noch besser von der Wichtigkeit seines Amtes zu überzeugen, die Zahl seiner Frauen zu erfahren. Er hat nur Eine", ante wortete ich. ,,Hué!" rief der erstaunte Indianer,,,nur Eine?" und er hielt einen einzigen Finger empor, damit kein Irrthum möglich sei. -,,Ja, nur Eine."-,,Er muß also sehr arm sein?"-,,Warum?" fragte ich.,,Weil sogar ich, der ich arm bin, zwei Weiber habe; viele unserer Ghelmenes (Adeligen) haben fünf; der Präfident aber, der ein großer Kazike ist, müßte wenigstens zehn haben“, und er zählte an seinen Fingern: Quinè, epu, quéchu, mari (ein, zwei, fünf, zehn), als wolle er den Unterschied deutlicher auseinanderseßen. Er schien sich kaum überzeugen zu können, daß er nicht eine doppelt so wichtige Person sei, als der Präsident."

Da die Weiber bei den Araukanern alle schwere Arbeit verrichten und ihre Ehegatten sich mit nichts Anderem beschäftigen, als mit Effen, Trinken, Schlafen und Reiten, so ist es begreiflich, warum man es als ein Zeichen der Würde und des Reichthums betrachtet, recht viele Frauen zu haben, und warum auch die leßteren keine Eifersucht bei der Ankunft einer neuen Kollegin empfinden, die ihre Mühen theilt und sie dadurch erleichtert. Die Art und Weise, in der sich die Männer mit diesem nüßlichen Zubehör versehen, ist merkwürdig genug, obwohl den Araukanern keinesweges eigenthümlich, indem man Aehnliches bei manchen anderen Völkerschaften, z. B. bei den Kalmücken und Kirghisen, findet.

,,Wenn ein junger Mann heiraten will, so wendet er sich gemei niglich an seine Freunde, um ihn zur Erreichung seiner Abficht behülflich zu sein. Wenn er arm ist, trägt Jeder, je nachdem es seine Mittel erlauben, zu den Kosten bei, die ein solches Unternehmen erfordert; der eine giebt einen fetten Ochsen, der andere ein Pferd, der dritte ein Paar filberne Sporen. Man wählt eine mondhelle Nacht und bestimmt den Ort, an dem sich die Gesellschaft versammeln soll. Zur festgefeßten Zeit finden der Bräutigam und seine Freunde, alle gut beritten, sich hier ein und nähern sich vorsichtig und schweigend dem Wohnfiß der Braut, um welchen fie einen Kreis bilden. Ein halbes Dußend der Redebegabteften unter ihnen treten jezt ein und suchen den Vater des Mädchens auf, dem sie den Zweck ihres Kommens auseinanderseßen, indem sie die Verdienste des Freiers, die Vortheile der Partie u. s. w. herausstreichen und endlich um seine Einwilligung bitten, die er in der Regel bereitwillig gewährt, da er die Tochter doch nur als eine Last betrachtet und sie allein nach dem schäßt, was sie ihm einbringt. Unterdeffen hat der Bräutigam den Ort ausgespürt, wo seine Schöne ruht, und sie schreit pflichtgemäß um Hülfe.

,,Augenblicklich entsteht ein furchtbarer Tumult. Die Weiber springen en masse auf und eilen, mit Keulen, Steinen und Wurfgeschoffen jeglicher Art bewaffnet, zur Vertheidigung der bedrohten Jungfrau herbei. Die Freunde legen sich dazwischen, um sie von dem Liebhaber abzuziehen, und bemühen fich durch Zureden und fanfte Gewalt die wüthenden Amazonen zu entwaffnen; allein diese find nicht zu begütigen, und der ist glücklich, der ohne zerschlagenen Kopf oder einen anderen Denkzettel davonkömmt. Es ist eine Ehrensache für die Braut, fich der Entführung zu widerseßen, wie gern fie auch darein willigen möchte, bis der Freier, des Aufschubs müde, fie bei den Haaren oder beim Fuß, was ihm zuerst in die Hand kömmt, ergreift und nach der

*) La Araucana, von Don Alonso de Ercilla y Zuñiga.

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