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Gallerte, die einander jagen längs der olivengrünen und blauen Hecken der Algen und Kriechpflanzen. Wenn der Tag schwindet und die Nacht ihren dunklen Mantel auch über das Meer breitet, dann beginnen diese phantastischen Gärten in neuem, geheimnißvollem Licht zu leuchten; grüne, gelbe, rothe Flammen tauchen auf und versinken. Helle Sterne blinken in jeder Richtung; aus den dunkelsten Höhlen brechen hin und wieder Lichtblige, und Strahlen fahren ab und zu durch die wilde, finftere Welt unter den Wogen. Breite Flammenfurchen zeigen den Weg des Delphins durch das schäumende Gewäffer. Truppe von Meerschweinen tummeln sich umber, und wenn sie die gleißende Fluth durch schneiden, dann wird Euer Auge geblendet von dem intensiven Licht, das von ihrem labyrinthischen Pfade aufflammt. Da zieht durch den Schwarm schimmernder Seesterne der ungeheure Kabliau, und ein bleiches, gefpenftisches Licht ergießt sich aus jeder Finne und Schuppe, während von der entlegenen Küste von Ceylon die sanften, schwermüthigen Töne, gleich den Tönen einer fernen Acolsharfe, und dennoch lauter, als selbst die Brandungen der Felsengestade sich vernehmen laffen. Allein auch die große See selbst schweigt nicht. Horch, wie der greife Ocean, leise athmend, in gedämpftem Tone fingt, einstimmend in die große Melodie, bis alle die Klänge aus Wasser, Land und Luft in eine einzige Weise zusammenschmelzen und sich als Loblied zum Throne des Herrn erheben, der „mächtiger ist, denn das Rauschen vieler Gewäffer, ja, denn die mächtigen Wellen des Meeres."

Der deutsche Botaniker Schleiden erzählt uns, daß an der Küste der Sitka-Insel der Meeresgrund mit einem dichten, alten Walde bedeckt ist. Unten liegt ein reichfarbiger Teppich, gewoben aus zahllosen Fäden zarter Wafferpflanzen, rother Konferven und braunwurzeliger Moose. Auf diesem reichen Lager breitet die wuchernde Wolfsmilch ihre großen, zierlich gestalteten Blätter, eine willkommene Koft für harmlose Schnecken und träge Schildkröten. Dazwischen schimmern die Riesenblätter der Iris in blendendem Scharlach oder zartem Blaß roth, während längs der Riffe und Klippen die dunkelgrünen Fuken in reichen Festons herabhangen und die prachtvolle, unübertrefflich schöne Seerose halb bedecken. Gleich großen Bäumen, streckt sich die Laminaria hoch über den dichten Haufen und läßt endlose, breite Bänder längs der Strömung flattern. Die Alaria schießt in einem nackten Stamm empor, der in ein ungeheures, funfzig Fuß langes Blatt endet. Die Nereocystis erreicht sogar die Höhe von siebzig Fuß. Von einer korallenförmigen Wurzel ausgehend, schießt sie in einem dünnen, fadenähnlichen Stamm auf, der allmählich immer dicker wird, bis die keulenförmige Gestalt zu einem ungeheuren Schlauch wächst, von dessen Spize kolossale Blätterbündel, gleich einem Riesenhelmbusch, herab. wehen. Das sind die Palmen des Oceans, und diese Wälder schießen wie durch Zauber in wenigen Monden auf, bedecken den Meeresgrund mit üppigstem Wachsthum, verblühen und verschwinden, um in noch größerer Fülle und Pracht wiederzukehren. Und in diesen Wäldern welch ein Gedränge wunderlicher, mißgestalteter Mollusken, Fische, Schalthiere! Hier zu ungeheuren Bällen gerundet, dort gehörnt oder Sternförmig; wieder andere hangen flatternden Bändern ähnlich. Einige sind mit vorstehenden Zähnen bewaffnet, andere mit scharfen Sägen versehen, noch andere machen sich, wenn verfolgt, durch eine dunkle, dunstige Flüssigkeit, die sie ausströmen, unsichtbar. Hier stieren Euch verglaste, farblose Augen mit ftumpfem, todtem Blick an; dort sehet Ihr in ein blaues oder schwarzes Augenpaar, das Euch mit faßt menschlichem Verstand und unverkennbarer Schlauheit anblißt. Durch Busch und Dickicht brechen die Schaaren wilder, gefräßiger Räuber, welche die weite Tiefe füllen. Nicht aber die Thiere des Oceans allein wei den und jagen hier; auch der Mensch streckt seine Hand aus und ver langt sein Theil.

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Stolze Schiffe mit schwellendem Segel scheuen es nicht, den vogelgleichen Flug zu hemmen und sich mit ganzen Fukenwäldern, aus dem Meeresgrund geholt, zu beladen, um aus der Asche Kali und Jodine zu bereiten, oder mit Lebensgefahr nach den glänzenden Korallen in der Tiefe zu fischen. Der irische Fischer trozt kühn dem Tode, um eine Ladung Karraghen-Moos aus dem reißenden Strome zu holen. Der arme Bauer der Normandie sammelt große Haufen verwelkter Fuken, die Wind und Wogen an seine Küßte getrieben, um sie mit großer Mühe meilenweit als Dünger auf seine Felder zu fahren. Auf mancher Nordinsel in Schottland und Norwegen dient der sogenannte Schaf-Fukus den Viehheerden zu Futter während der langen furcht baren Winter. Die Bewohner Jslands und Grönlands mahlen einige mehlhaltige Fukusarten und leben mit ihrem Vieh monatelang von dieser seltsamen Kost, während ihre Frauen sich mit den Blüthen des Purpurfukus schminken.

Hier jedoch steht der denkende Beobachter verlegen vor einem der größten Räthsel, die der Ocean aufgiebt. Für wen schuf der Allmäch. tige die Fülle an Schönheit und Pracht? Warum barg er die großen Wunder, die staunenswürdigsten Gebilde unter den azurnen Schleier, der dem schauenden Forscher, wie zum Spott, nur das eigene Antlig wiederspiegelt?

Allein, weil alle die mannigfaltigen Formen, all diese Bilder in ihren kleinsten Zügen uns unsichtbar sind, ist darum der Eindruck, den der Ocean auf unseren Geist macht, minder eindringlich, minder dauernd? Wir berechnen nicht die Sterne am Himmel, wir übersehen sogar nur einen kleinen Theil derselben, und dennoch hat der geftirnte Himmel niemals verfehlt, die Seele des Menschen zu seinem Meister zu erheben. Eben so ist es mit dem Ocean. Sein Weg ist im Meere und Seint Schritt durch das große Gewäffer. Die Stimme des Herrn ist über den Wassern; der Herr ist über den vielen Waffern." Von alten Zeiten her war der Ocean den Völkern der Erde stets das Bild alles deffen, was groß, mächtig, unendlich ist. Alle Dichtungen des Orients und Indiens, alle Mythen Griechenlands von den erdumarmenden Okeanos", ja, die jüdische Ueberlieferung, daß die Erde war wüßt und öd, und der Geist Gottes schwebte auf der Fläche des Waffers" fie alle sprechen von der See, als der großen Quelle alles Lebens, der eigentlichen Wohnstatt des Unendlichen.

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Es giebt Völker, die nie das Meer gesehen haben. Wie traumartig, wie phantastisch sind ihre Vorstellungen von der ungekannten Welt! Die deutsche Dichtung ist voll wilder Traumgebilde von Meermädchen und Meermännern, ja, felbft die schifffahrende Nation hat ihre Lieblingsmärchen vom alten Seemann, und ein Tennyson hat die fabelhaften Meermänner und ihre Liebschaften befungen. Wie wahr jedoch sagt die Schrift: Die auf dem Meere mit Schiffen fuhren und Handel trieben in großen Waffern, die haben erfahren des Herrn Werke und Seine Wunder in der Tiefe."

Einförmig und monoton, wie der weite Ocean erscheint, hat er dennoch seine Veränderungen; bald trübe und traurig, bald licht und heiter. Nur wenn der Wind beschwichtigt ist und die Stille die zürnenden Wogen gesänftigt hat, zeigt sich der Ocean in seiner maje ftätischen Ruhe. Doch hat der Anblick der vollkommen ruhigen See etwas Schauerliches, Unheimliches; der Mensch, fern vom Lande, fühlt sich wie von einem Zauber an diese glasichte, durchsichtige Fläche gefeffelt; er kann sich von dem verhängnißvollen Fleck nicht lösen, und der Tod, der langsame, furchtbare, gewiffe Tod ftiert ihm ins Antlig. Er zittert, wenn er in das aufgeschlagene bleierne Auge des Hais schaut, der ihm geduldig auflauert; oder wenn er tief unten den Seufzer irgend eines Ungethüms hört. Die Phantasie kennt nur ein Gemälde, das fürchterlicher ist, als ein Seefturm, oder ein Schiffbruch, oder ein Schiffbrand auf offener See: Ein Schiff auf dem Meere bei Windstille, ohne Hoffnung auf eine Brise. Ein gräßliches Schauspiel! Der arme Seemann stiert auf dieselbe Welle, denselben Sonnenschein Tag für Tag mit hinschmachtendem Auge, bis das Herz erkrankt und der Leib dem Tode verfällt.

Dann wiederum begrüßt das Auge den fröhlichen Ocean, voll ftolzer Schiffe, luftiger Wellen, unablässiger Bewegung. Da wird die Seele erfüllt von der Idee der Unendlichkeit, und der Geist, von den Schranken des Raumes und der Zeit befreit, erhebt sich zu den erhabensten Gedanken. Und doch wieder erfreut der flare Spiegel mit seinen lichten, kräuselnden, scherzenden Wellen das Herz des Beschauers und erinnert ihn, daß hier, wie auf dem Lebensmeere, wenn der Schiffbrüchige in die rasenden Wogen geworfen wird, eine unfichtbare Hand in den glücklichen Hafen leitet. Denn Er beherrscht das Leben der See; und wenn die Wogen sich erheben, beschwichtigt Er fie."

Dieses Gefühl des Unendlichen, erweckt von der schrankenlosen Ausdehnung der unruhigen, raftlosen Gewäffer, ist nicht ohne Beimischung eines tiefen, geheimnisvollen Schauers. Die Seele faßt nicht diese Größe sonder Gränzen; daher das Geheimnisvolle. Dem menschlichen Auge, das den ersten Anstoß nicht sieht, erheben fich die thürmenden Wogen durch eine unsichtbare, unbekannte Macht; wie fie in ihrer Riesenhaftigkeit seit Jahrtausenden gegen das Bollwerk des Festlandes und der Inseln anßtürmen, scheinen sie uns unwiderstehlich und stark genug, die Fundamente der Welt zu zerstören. So ruft der Ocean die Gefühle düsteren Geheimnisses und grimmer Macht hervor; das Unendliche führt uns hinaus über alle Gränzen gewohnten Den-fens, und die See wird die Heimat fabelhafter Wesen und verhäng. nißvoller Gebilde. Alle Küstenländer wimmeln daher von Geschichten, Sagen und Traditionen; die wankelmüthige See, der neidische Ocean, die wilden, hungrigen Wogen, die wüthenden Brandungen - alle werden die Abbilder so vieler menschlichen Leidenschaften. Unsere Phantaste bevölkert die Tiefe mit füß lockenden Sirenen, begabt mit der Zaubermacht, den Seefahrer herabzuziehen in den Krystall-Palast unter den Wellen. Hier leben Seelönige und Feen in bezauberten Schlössern; Ungethüme von unerhörter Größe und Gestalt flattern gespenftergleich durch das finstere, mysteriöse Reich. Die ergriffene und erschreckte Seele sucht in ihrer Weise die großen Naturerscheinungen mit dem eigenen Geschick und dem Willen des Allmächtigen in Verbindung zu sehen. Sie sieht in den raftlosen Vögeln die Vorläufer des drohenden Sturmes, in den fliegenden Fischen die Geifter der im Schiffbruch umgekommenen Seeleute, und der fliegende Holländer und der alte Seemann sind ihr Zeugnisse der Gerechtigkeit des göttlichen Zorns.

Der gesunde Sinn und die gläubige Seele schütteln all diese eitlen Träume, all diesen hohlen Aberglauben von sich ab. Für sie ift die See die wahre Quelle der Thatkraft und des Muthes; bas Leben zur See ist ein Leben unablässigen Strebens und Kämpfens. Daher sind die feefahrenden Nationen kriegerisch, thatendurftig und poetisch. Der größte Reiz der See aber vor Allem ist die Freiheit. Der freie, unbeschränkte Ocean, wo der Mensch keinen Zwang fühlt, keine einengende Barre sieht, wo er sich auf sein feftes, glaubenskräftiges Herz verlassen muß, wo er allein ist mit seinem großen Vater im Himmel, giebt ihm das Bewußtsein seiner eigenen Freiheit und Kraft, wie kein Punkt auf Erden, und troß all dem Frieden und dem Glück, die das Land ihm bietet, kehrt er doch gern zurück auf die See mit ihren Gefahren und Beschwerden; er weiß, daß,,,wohnte er auch an den äußersten Enden des Meeres, Seine Hand ihn leitet und Seine Rechte ihn hält."

Mittel-Amerika.

Chinesische Martyrologie.

Nach den Indianern uud Negern sind jeßt die Chinesen die Kreuzträger der neuen Welt geworden. Wir haben neulich einen Bericht über die Reise-Abenteuer einer armen chinesischen Schauspieler Truppe gebracht, die von einem Kollegen des würdigen Barnum nach New-York gelockt wurde, um dort beraubt und hülflos im Stiche gelaffen zu werden. Die Behandlung, die ihnen in San-Francisco zu Theil ward, ist hinlänglich bekannt; eben so das Schicksal derjenigen, die sich zur Auswanderung nach Chile verleiten ließen, wo man sie zu der eben so ungefunden als ekelhaften Arbeit des Guanosammelns verwendet. Noch beklagenswerther aber ist, wo möglich, das Loos einer Anzahl Chinesen gewesen, die von amerikanischen Spekulanten zum Bau der Eisenbahn über den Ifthmus von Panama gemiethet wurden, und deren Marterthum das in unserem leßten New-Yorker Monats-Bericht erwähnte Werk von Tomes „, Panama in 1855" folgendermaßen schildert:

دو

„Ein Schiff kam an und landete auf dem Ifthmus etwa achthundert Chinesen, nach einer glücklichen Reise von Hongkong, wo diese armen Söhne des blumigen Reiches sich unbewußt zum Dienste der Eisenbahn verkauft hatten, ohne das Land zu kennen, wohin sie beftimmt waren, und die Leiden, die sie dort erwarteten. Die Reise ging ziemlich gut von statten, und die Chinesen ertrugen die Beschwerden und Entbehrungen derselben mit vieler Geduld, getröstet durch die Aussicht, bald das fremde Land zu erreichen, wohin sie die glänzenden Vorspiegelungen jener Seelenverkäufer gelockt hatten, die ihnen so freigebig Glück und Reichthum versprachen. Indessen starben sechzehn unterweges und wurden ins Meer geworfen. Kaum waren die achthundert Ueberlebenden ans Land gestiegen, als zweiunddreißig von ihnen auf das Krankenlager gestreckt wurden, und in der Zeit von einer Woche vermehrte sich die Zahl der Patienten um achtzig. Die Dolmetscher, welche fie begleiteten, schrieben dieses allgemeine Siech. thum der Entbehrung ihres gewohnten Opiums zu. Der ihnen so theure Mohnsaft wurde jezt unter fie vertheilt und mit so gutem Erfolg, daß zwei Drittel von den Kranken ihr Lager verließen und fich zur Arbeit meldeten. Bald ward jedoch ein Maine-Gesez gegen bas Opium erlaffen, indem man es für unmoralisch erklärte, eine so fchädliche Gewohnheit zu dulden, wobei „hoffentlich die Koftspieligkeit derselben nicht in Anschlag kam, die jedoch einen keinesweges unbe deutenden Punkt bildete, indem die tägliche Consumtion pro Kopf sich auf funfzehn Gran zum Preise von wenigstens eben so vielen Cents (also sechs Silbergroschen preuß.) belief. Ob es nun an der Ent. ziehung dieses unentbehrlichen Reizmittels, oder an der bösartigen Einwirkung des Klimas, oder am Heimweh, oder an der getäuschten Erwartung lag, genug, in wenigen Wochen gab es unter den acht hundert Chinesen kaum einen einzigen, der nicht in Erschlaffung verfunken und zur Arbeit untüchtig war. Die armen Leidenden ließen Art und Spaten aus der Hand fallen und gaben sich den Qualen der Verzweiflung hin. Sie hießen den Tod willkommen, und jeder ererwartete mit Ungeduld den Augenblick, wo die unter ihnen eingeriffene epidemische Krankheit auch ihn treffen würde. Die Seuche seßte ihre Verwüstungen fort und hätte mit der Zeit ihr Werk vollbracht; allein da sie bisweilen sich gnädig erwies, ein Opfer verschonte, und zwar tödtlich, aber langsam war, konnte der verzweifelnde Chinese nicht länger warten; er ergriff freiwillig die Hand des Todes, um rasch von ihr erdrückt zu werden. Hunderte brachten sich selbst um und zeigten in den verschiedenen Arten des Selbstmordes den charakte ristischen Erfindungsgeist der Chinesen. Einige steckten ruhig ihre Pfeifen an, seßten sich am Ufer des Meeres nieder und warteten auf

das Eintreten der Fluth; hartnäckig entschloffen, zu sterben, saßen sie schweigend und regungslos wie ein vom Sturm gepeitschter Fels, wäh rend eine Woge nach der anderen sich über sie ergoß, bis sie in die Tiefen der Ewigkeit versanken. Einige handelten mit ihren Gefährten um den Tod, indem sie ihr ganzes Habe der freundlichen Hand darboten, die ihnen eine Kugel durch den Kopf schießen und ihre Leiden enden würde. Einige hingen sich mit dem Haar an die hohen Bäume, oder fie schlangen sich den Zopf um die Gurgel und drehten ihn Knoten auf Knoten, bis ihr Gesicht schwarz wurde, ihre Augäpfel hervor. quollen, ihre Zunge aus dem Munde trat und der Tod sie von ihren Martern erlöfte. Einige schnitten sich häßliche, krückenförmige Stöde mit scharfen Spigen und stachen sich diese in den Hals, bis sie durch und durch gebohrt waren und das Leben in einem Blutstrom aushauchten. Einige beluden sich mit großen Steinen und sprangen damit in die Tiefe des nächsten Flusses, sich entschloffen an die Laft klammernd, die sie niederzog, bis der Tod ihre Muskeln erschlaffte und sie als Leichen auf die Oberfläche zurückwarf. Einige tödteten sich durch Hunger, indem sie Speise und Trank beharrlich zurückwiesen. Endlich gab es Einige, die sich auf ihre Arbeitswerkzeuge spießten, und so waren wenige Wochen nach ihrer Ankunft nur zweihundert Chinesen aus der ganzen Zahl übrig geblieben. Diese traurigen Ueberbleibsel einer blühenden Kolonie, arme Verstoßene, von den Wirkungen des Klimas entnervt und den Tod im Herzen, wurden als zur Arbeit untauglich nach Jamaika geschickt, wo sie seitdem ein elendes Bettlerleben hinschleppen."

Mannigfaltiges.

Herr Professor Philarète Chasles in Berlin. Berlin fängt wieder an, wie gewöhnlich im Winter, ein Vereinigungspunkt hervorragender Männer zu sein. Seit einigen Tagen weilt hier Herr Philarète Chasles aus Paris, Profeffor am Collége de France und einer der wenigen gelehrten Franzosen, die sich speziell mit der Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, so wie mit vergleichender Sprachkunde und Literaturgeschichte überhaupt, beschäftigen. Unsere Leser sind mit dem Namen und den rühmlichen Leistungen des Herrn Chasles hinreichend bekannt. Sie werden sich erinnern, daß wir erst im vorigen Jahre) aus seinem lezten Werke: Etudes sur l'Allemagne, ancienne et moderne" eben so anziehende, als, namentlich über das Verhältniß der deutschen Sprache zur französischen und englischen, belehrende Auszüge geliefert haben. In früheren Jahren hatten wir Gelegenheit, auch seiner Studien über das Alterthum, über das Mittelalter, über das sechzehnte Jahrhundert in Frankreich, über England im siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert 2c. zu gedenken. Gewiß wird auch sein gegenwärtiger Aufenthalt in Deutschland nicht ohne literarischen Gewinn für sein Vaterland sein. Interessant wäre es, wenn der gelehrte, geistvolle und beredte Mann sich bewegen ließe, in Berlin einige Vorlesungen über die Hauptmomente der neueren französischen Literatur zu halten. Unsere Mitbürger würden dadurch Gelegenheit bekommen, sich ein gründliches Urtheil über die zeitgenöffischen Schriftsteller Frankreichs zu bilden, und zugleich von der Art des höheren Unterrichts, wie er an dem berühmten Collège de France ertheilt wird, eine genaue, anschauliche Vorstellung zu machen.

Unchristliches Betragen. Wie amerikanische Zeitungen berichten, hat die presbyterianische Kirchenversammlung des Staates Indiana so eben einen Geistlichen wegen „unchriftlichen Betragens“ seines Amtes entsegt. Diese Unchriftlichkeit bestand erstens darin, daß er sich an der aus,,Onkel Tom" unter dem Namen der unterirdischen Eisenbahn bekannten Verbindung betheiligt, die es sich zur Aufgabe macht, flüchtige Sklaven durch die Freistaaten nach Kanada zu befördern, und zweitens, daß er sogar in eigener Person den Sklaven zu ihrer Flucht behülflich war, was sowohl den allgemeinen Geseßen der Vereinigten Staaten, als den Spezialgefeßen des Staates Indiana zuwider ist. Ein so höchft,,unchriftliches" Verfahren durften die frommen Herren in Indiana natürlich nicht ungerügt lassen.

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No 136.

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Literatur des Auslandes.

Nord-Amerika.

Berlin, Dienstag den 13. November

Der moderne Spiritualismus in Amerika und Europa.*) Der Mensch ist stets geneigt, Alles, was ihm aus seinem Innern in das bewußte Tagleben, heraufdämmert, als etwas Fremdes, von außen an ihn Herangetretenes anzusehen. Eine innere Stimme wird ihm zu seinem Engel oder Genius; der Poet erscheint ihm als Inspirirter, der Prophet als Botschafter der Gottheit, der Arzt als Zauberer. Ein Nervenreiz ruft die ihm adäquaten Sinnes-Eindrücke hervor, und die Erscheinung der Kobolde und Feen bis zu der Erscheinung der Heiligen und der Gottheit selbst, wie sie bereits im Geiste des Schauenden lebt, ist die Folge davon. Alle diese Visionen find Zustände, Zustände des.inneren Gefühllebens, welches sich bis zu einer Production in dem Sinnes-Organe steigert; fie sind SpiegelBilder im subjektiven Geißte. Engel und Dämonen, Heinzelmännchen und Schwanen-Jungfrauen, gute und böse Geister rathen und trößten, kommen und gehen zur Erhebung und Peinigung, je nach der Stimmung, der Richtung und dem selbsteigenen Gehalt des Gemüthes. Ueberall ist die Vision eine subjektive. Dem Brahminen offenbart fich Brahma; der Buddhist durchschaut in seinen Offenbarungen das von ihm geglaubte Gewebe der Wiedergeburten; dem Zoroaster erscheint Ahuramasda, dem Jesajas Jehovah, der Pythia ein Apoll, dem Porphyrius und Jamblich ein ganzes Reich von Dämonen, dem christlichen Heiligen Chriftus, Maria und die Apostel; Pythagoras, Sofrates, Picus, Scaliger, Cardanus, Tafso verkehren mit ihrem Schußgeiste, wie Swedenborg mit den Engeln, und unsere Modernen rufen fich jeden beliebigen Verstorbenen, um von ihm Mittheilungen aus dem Reiche der Geister" zu erhalten. Ueberall derselbe Vorgang. Jeder Seher erhält die Mittheilungen aus einer,, anderen Welt", daher, woher er sie gehofft, und er erhält sie so, wie sie bereits vorgebildet in seinem gläubigen Geiste liegen.

Insbesondere war es der Verkehr, den die Menschen mit den Verstorbenen unterhielten, welcher den Beweis für das Dasein eines Geisterreiches liefern sollte, eines Geisterreiches, welches die Geschicke der Menschen leite, und durch seine Enthüllungen über das Jenseits durch seine Offenbarung des Verborgenen und seine Verkündung der Zukunft den sterblichen Menschen den Beweis für die Fortdauer der Seele thatsächlich zu führen bestimmt schien. Die Ahnung einer Fort dauer nach dem Tode liegt in der menschlichen Natur, und die Sehn sucht, das Ahnen in Wissen zu verkehren, ist uns angeboren; da darf es uns nicht wundern, daß man von je danach strebte, das Verborgene zu ergründen und sich Gewißheit darüber zu verschaffen, wie es wohl da drüben" aussehen möge. So finden wir die TodtenBefragung so alt als die Geschichte. Jama ist der Gott der TodtenDrakel bei den Jndern, wie Pluto bei den Griechen, und Moses eifert bereits gegen die Todten-Beschwörung; das Geister-Citiren wird durch alle Zeiten geübt, und von Jahrhundert zu Jahrhundert trifft uns die Kunde des Verkehrs mit der Geisterwelt. Die Priesterschaft benugte den Geisterverkehr für sich und führte den Beweis für ein Jenseits" aus diesen Erscheinungen, wobei wir es freilich für viel konsequenter halten müffen, wenn Tertullian und Frenäus das Auftreten der Seelen Verstorbener für Thatsachen erklären, und Lactaptius bei Widerlegung der Philosophen Demokrit, Epikur und Dicäarch, welche die Unsterblichkeit der Seele leugneten, meint, fie dürften ihre Meinung wohl nicht vor einem Magiker zu behaupten wagen, der durch seine Zauberkraft die Seelen aus der Unterwelt heraufbeschwören und bewirken könne, daß sie sprächen, die Zukunft voraussagten und gewisse Zeichen ihrer Gegenwart gäben; als wenn evangelische Theologen lehren: es sei ein unwandelbares Gefeß der

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1855.

göttlichen Vorsehung, daß in der neutestamentlichen Dekonomie der Herr nicht mehr unmittelbar lehre, weder in Person, noch durch Geister oder Engel, sondern allein durch die heilige Schrift, und evangelische Theologen doch die Visionen Swedenborg's als Dogmata verkünden. Eben so wenig gerechtfertigt erscheint es uns, wenn das Priesterthum diejenigen Mittheilungen aus dem Reiche der Geister, welche seinen Philosophemen entsprechen, für Offenbarungen, diejenigen aber, welche sich damit nicht in Einklang bringen lassen, für Täuschung und Spuk erklärt. Der heilige Geist, der die Kirche regiert,,,bedarf keiner Bestätigung der von ihr gepredigten Glaubenslehren durch andere Geifter, die jedenfalls unendlich geringer find, als Er“, und doch erklärte die Kirche bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein einige Hundert Erscheinungen der Maria und der Heiligen für real. Aber noch heutzutage meint Görres, es sei jenen unmittelbaren Mittheilungen aus jener Welt die Sorge für die ewige Lampe übertragen, die im Heiligthume brennt, damit ihr Licht durch Versäumniß nicht auslösche und der Faden, der sich durch die Zeiten schlingt, nicht abreiße", und Abt Calmet schreibt:,,Deshalb kommen diese Visionen nicht weniger von Gott, der entweder durch sich selbst, oder durch seine Engel, oder durch abgeleibte Seelen der Menschen das einflößt, was er ihnen mittheilen will, sei es im Traume, oder durch äußere Zeichen, oder durch Worte, oder durch gewisse Eindrücke auf ihre Sinne und auf ihre Einbildungskraft, während kein äußerer Gegenstand vorhanden ist. Während so schon die Kirche mit den ,,Erscheinungen aus jener Welt" in Kollision gerieth, waren es die Fortschritte in den Natur-Wiffenschaften, welche ihre Unmöglichkeit darlegten und Young nöthigten, die Ergebniffe der exakten Wissenschaften als Täuschungen darzustellen, um seine Theorie der Geisterkunde“ zu retten.

Kaum schien der Spiritualismus in Deutschland überwunden, als sich, durch die Erscheinungen des thierischen Magnetismus angeregt, eine neue spiritualistische Schule bildete, welche ein mit den Menschen verkehrendes Geisterreich zu durchforschen strebte, und Männer, wie Justinus Kerner, treu seinem heiligen Namensbruder, Friedrich von Meyer, Eschenmayer, G. H. von Schubert, Novalis u. A., unter seinen Vorkämpfern zählte. Durch die Schlag auf Schlag erfolgenden Fortschritte und Entdeckungen in den exakten Wissenschaften wurden die Lehrer dieser Schule mit Hohnlächeln begrüßt und mit Verachtung gebrandmarkt, und während sie sich scheu zurückzogen in das stille Heiligthum einer geringen Anzahl Gläubiger, tauchte auf einmal in Amerika eine neue Form auf, mit den Seelen Verstorbener zu verkehren. Henry Spicer hat in seinen „,Sights and Sounds", bearbeitet von Dr. Rechenberg, davon ein anschauliches Bild gegeben. Nachdem die Tische sich bewegt hatten, fingen auch Töne an, sich hörbar zu machen; da klopfte es bald in den Tischen, bald an der Wand, bald an der Decke oder dem Fußboden, und nachdem die Familie For sich mit den vermeintlichen Geistern zu unterhalten angefangen hatte, mehrte sich die Zahl der Medien so nannte man die Personen, welche gewürdigt waren, mit der Geisterwelt zu verkehren - so ungemein, daß man schon 1853 ihre Zahl in den Vereinigten Staaten auf zwanzigtausend schäßt. Bald folgte noch viel Ueberraschenderes; da fingen Gegenstände an, ohne mechanische Vermittelung bewegt zu werden, Klingeln ertönten in der Luft, Stühle wurden gehoben, Menschen schwebten über dem Fußboden und musikalische Instrumente wurden von unsichtbaren Händen gespielt, Licht- und Feuer-Erscheinungen stellten sich in verfinstertem Raume ein, und Papiere wurden mit Schriftzügen bedeckt, oft in fremden Sprachen, wie bei Belsazar die Wand. Die Töne, welche gehört wurden, waren, wie Mr. Fishbough beschreibt, einem Klopfen an eine der Seiten der dröhnenden Substanz nicht vergleichbar; sie gingen von ihrem Innern aus, hatten eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Erplosion und waren durch Klopfen oder Pochen nicht nachzuahmen; es war ein inneres Fibriren, welches man auch durch die aufgelegte Fingerspiße fühlte. Dieses Klopfen wurde ganz eben so zur Conversation mit den Geistern benugt, wie es uns Wierus aus dem sechzehnten Jahrhundert beschreibt. Auch damals suchte man erst die Person zu ermitteln, welche den Geist zum Sprechen brachte, wie man heute das Medium sucht, und ließ die Buch

staben nach dem Alphabete herausklopfen wie heute. Die damaligen Geister erzählten von ihrer Dual im Fegefeuer, bestellten sich so und so viele Seelenmessen und forderten ihre Erlösung; unsere modernen Geister erzählen von ihrem Verkehre mit den Engeln à la Sweden-borg, machen allerhand Mittheilungen über Fernes und Zukünftiges, und für einen Schilling kann man über irdische und himmlische An-,,allgemeiner Wahrheiten" hat die moderne Naturwissenschaft aufge. gelegenheiten Aufschluß erhalten. Tausende von spiritualistischen Vereinen durchziehen ganz Nord-Amerika, Menschen aller Religions-Parteien drängen sich in die Zirkel, eine neue Religion scheint sich zu bilden, die Spiritualisten fordern ihre Anerkennung vom Kongreffe, und die Geistlichen aller Konfessionen gerathen in ein arges Dilemma, da sie der möglichen Einwirkung einer jenseitigen Geisterwelt absprechend entgegentreten müssen, um nicht ihr Dogma in Konflikt mit den Geistern zu bringen. Im Mittelalter konnte man sich wenigstens noch davon befreien, nach dem Tode citirt zu werden, wenn man sich in einer Franziskaner-Kutte begraben ließ, aber heutzutage hilft kein Stand und kein Rang. Shakespeare muß Verse machen und Ludwig XIV. über seinen Tod berichten, ja, die Maria giebt den Keßern eben so willige Antwort, wie ihren Gläubigen.

selbst widersprechen und der einfachsten Logik nicht ins Gesicht schlagen. Man kann nicht philosophiren, ohne vorher gelernt zu haben, mit den Werkzeugen der Philosophie umzugehen. Ihr verachtet die Philosophie. Nun, so zeigt es, und sucht nicht zu philosophiren, ohne wenigstens das ABC dazu gelernt zu haben. Welche Reihe unsinniger Säße und ftellt! Das Leben ist,,Stoffwechsel". Die Lebenskraft ist ein altes Hirngespinnst. Organisch und Unorganisch sind gleich. Kein Gedanke ohne Phosphor. Gedanken- und Harnbildung sind eine und dieselbe Operation. Die Materie ist ewig, der Geist aber, obgleich Combination der Materie, vergänglich. Credo, quia absurdum." Man kann die Philosophie verachten, aber doch richtig denken und schließen. In den beispielsweise angeführten neuen, naturwissenschaftlichen „Wahrheiten" fißen die Absurditäten so dicht bei einander, daß gar nichts mehr neben ihnen Plag findet, selbst die eigene Wissenschaft ihrer Schöpfer nicht. Das Leben ist Stoffwechsel." Weil Stoffwechsel die HauptFunction des physischen Organismus ist, deshalb ist das Leben überhaupt und durchweg nur Stoffwechsel. Die übrigen Merkmale und wesentlichen Bedingungen des Lebens werden negirt oder zu Theilen des,,Stoffwechsels" gemacht. So nennt man z. B., was früher einer besonderen,,Lebenskraft" zugeschrieben ward,,,Lebensthätigkeiten“ und meint, damit fertig zu sein und die Lebenskraft abgefertigt zu haber. „Lebenskraft" ist allerdings blos ein Wort für das Geheimniß des Lebens, aber doch wenigstens in dem Sinne einer,,Ursache“. „Lebensthätigkeit" wäre ein Ausdruck deffelben Geheimnisses in dem Sinne einer Wirkung. Was ist das nun für eine höhere Wahrheit"? Es ist bloßer Stumpffinn, zu glauben, man habe durch einen Ausdruck, der eine Wirkung zugiebt, den besseren, der die Ursache bezeichnet, wissenschaftlich abgethan. „Organisch und Unorganisch“ find überwundene Standpunkte, denn fie find gleich, weil organische Bestandtheile (Atome) aus unorganischen entstehen und wieder in unorganische zerfallen, wenn das,,Leben“ daraus gewichen (womit zugleich das „Leben“ als etwas Spezifisches zugegeben wird). Der Wissende, Erkennende unterscheidet, indem er das jedem einzelnen Dinge oder jeder Gattung besonders Zukommende scharf steht. Der Unwissende giebt sich durch Stumpfheit und Faulheit im Erkennen dieser unterscheidenden Merkmale kund und sagt:,,Mus wie Miene", "Jacke wie Hose". Orga= nische und unorganische Gebilde aber zusammenzuwerfen, ist schlimmer, als der Blödsinn, der die Jacke nicht von den Hosen unterscheiden kann. Es ist ein Schritt vom Wiffen zum Stumpffinn, zu behaupten, der Stein, der Krystall unterscheide sich nicht wesentlich vom Menschen, weil etwa die Atome des Krystalles in unserem Blute nachzuweisen find. Nehmt es doch ganz oberflächlich. Warum verwest der Stein nicht, wenn Ihr ihn in Stücke zerschlaget? Und warum lebt der Mensch nicht fort, wenn man ihm nur das Bischen Kopf abgeschlagen?

In Deutschland haben wir es zu jenen handgreiflichen Manifestationen noch nicht gebracht, wenn wir die Spukgeister und die Kernerschen Geschichten von Tönen, Klopfen, Werfen, Erheben in die Luft ausnehmen, die wir als Thatsachen zu leugnen bei der anerkannten Ehrenhaftigkeit des hochgeachteten Mannes keine Ursache haben. Unsere Geister-Citirer mußten sich bis jezt damit begnügen, das Tischbein Klopfen, den Psychographen oder das Schreibetischchen schreiben zu laffen. Hatte aber schon diese Erscheinung etwas Mystisches, so daß man sich dem überwältigenden Eindrucke kaum entziehen konnte, um wie viel mehr mußte dies in Amerika der Fall sein. Wahrlich, man kann es Leuten von ungenügender Bildung nicht verdenken, wenn sie bei der lautlosen Stille im Zimmer das unsichtbare Klopfen bald über, bald unter sich, bald aus dem Tische vernehmen, wenn sie auf Fragen, oft nur in Gedanken gestellt, richtige, ihr individuellstes Leben betref fende Antworten erhielten über Gegenstände, von denen kein Dritter etwas wissen konnte; wenn sie dabei schwere Gegenstände sich ohne sichtbaren Anstoß bewegen sahen und unerklärbare Licht-Erscheinungen im Zimmer gewahrten: daß diese Leute unmittelbar an den Pforten ,,des Jenseits" zu stehen glaubten. Hat doch diese Erscheinung etwas so unsere Sinne Gefangennehmendes, daß ein geistreicher Mann sich von der Idee, ein Geist spreche aus dem Tische heraus, nicht losringen konnte, obschon er schreibt: „Ist nicht Alles ein lächerlicher Traum? Ein Geist, die Seele eines abgeschiedenen Menschen, in einem Tische! Welcher Wahn! Wo bleiben alle die hohen Afpirationen unserer Seele, die im Jenseits vor Allem Freiheit, Licht und Verklärung suchen! Wo bleiben die Adler des philosophischen Gedankens, die den Geist, wie den Liebling Jupiter's, aus dem Dunstkreise der Materie in die SonnenNähe der ewigen Reinheit, Allwiffenheit und Erhabenheit tragen wollen! Wo bleibt all unser Idealismus, der sich sehnt,,,die irdische Brust im Morgenroth zu baden", den Staubmantel der irdischen Form abzulegen und im Empyreum zu wandeln, im Glanze ewiger Erleuchtung? Und auch wer weniger philosophisch-ideal die Zustände des Jenseits, das uns erwartet, auffaßt, denkt es sich als Vergeltung für allen Kampf und alles Leid und alle Sorge des Menschenlebens, als den Ort des Wiedersehens derer, die er liebte, als die Zeit der unmittelbaren Vergeistigung wenigstens. Und nun redet uns aus diesen Tischen, die klopfen, aus diesen Gestellen, die mit einem Stifte die Buchstaben deuten, aus dieser Schrift, die ohne unser Zuthun der Bleistift auf die Unterlage entwirft, eine so ganz andere, ganz troft lose Lehre an! Ist es nicht Aberwig, daran zu glauben?" -Soften Forschern als äfthetisirender Dilettant belächelt wird) und sogar wird auch der besonnene, ruhige, gebildete Beobachter hineingebannt in den magischen Kreis, dem er nur schwer entfliehen kann, und sind denn alle Philosophen im Stande gewesen, den seit viertausend Jahren und länger herrschenden Glauben an Todten-Orakel, an Geister Erscheinungen und Geister-Citirungen, an das Bannen der Geister an Ringe, Knöpfe, Flaschen, Steigbügel, Art und Sieb zu bewältigen? Sind sie nicht selbst diesem Glauben erlegen?

(Fortseßung folgt.)

England.

Geist und Materie.

(Schluß.)

Wir wollen den Naturforschern, welche Dr. Buchner mißbraucht hat, deffen Buch nicht als Konsequenz ihrer Richtung vorhalten; es konnte blos Konsequenz in einem unlogischen Kopfe fein; aber man darf ihnen bei dieser Gelegenheit vielleicht zu bedenken geben, daß sie beffer thäten, sich auf ihren herrlichen, unendlich reichen, unerschöpf lichen Beruf zu beschränken oder nur solche Konsequenzen zu ziehen und solche allgemeine Wahrheiten daraus abzuleiten, welche sich nicht

Das ist nicht mehr Materialismus, das ist Kannibalismus, wie Euer ganzer,,Kreislauf des menschlichen Lebens", von dem der alte blinde Gaul, der die alte Delmühle treibt, wohl reden könnte, aber keine Wissenschaft und kein Leben, das ja immer zu seinem alten Stammvater, dem äquivoken Wurme, der sein eigener Vater, feine eigene Mutter, seine eigene Peitsche zum Kreislaufe seines Lebens war, zurückkehren müßte, wenn die Thatsachen des Lebens und Eure neue Wissenschaft kongruent wären.

Wie die Naturwissenschaft, wenn sie sich so recht stolz selbst genügsam abschließt und andere Gebiete des Wissens ignorirt und verachtet, selbst geistvolle, verdiente Fachmänner barbarisiren kann, beweisen Gelehrte, wie Dr. Schleiden, der dem Geißte ein ganz respektables Winkelchen einräumt (und deshalb von den neuesten, höch

Johannes Müller. Erßterer sucht in seinen „Studien",,die Töne der
Natur und die Natur der Löne" recht rationell, recht Wegscheider-
rationalistisch zu erklären, nachdem er nachgewiesen, daß nicht nur das,
was wir Ton nennen, sondern auch die Construction unseres Obres
eigentlich noch Mysterien seien. Das ist gut. Er sieht tiefer
— und gesteht es frei:

Es bleibt immer etwas Anonymes dabei.

Desto auffallender und widerwärtiger klingt hernach der Rationalismus, mit dem er bei Betrachtung des menschlichen Kehlkopfes mit Hinweisung auf Johannes Müller und Albertus Magnus ausruft: ,,Seht, die menschlichen Stimm-Organe find nichts als ein physikalischer Apparat, den man aus Holz, Pappendeckel und Leder nachmachen kann." Albertus Magnus hatte nämlich nach dreißigjähriger Arbeit einen Kopf zu Stande gebracht, der vollständig sprechen konnte, wie Faber später seine Sprechmaschine. Und Johannes Müller konnte durch Anblasen eines sorgfältig präparirten Kehlkopfes Melodieen spielen und schlug vor, man solle, statt des großen Etats für die Oper, blos die Kehlköpfe verstorbener Primadonnen kaufen, auf denen dann jeder Balgentreter wie die Malibran oder Jenny Lind würde fingen. können. Man sieht hier die philosophische und ästhetische Verwahr. losung auf den ersten Blick. Statt immer auf die Philosophen zu

"

schimpfen, sollten die Naturforscher einmal erft Hegel's Phänomenologie" und Aesthetik studiren, sei es auch nur in der Absicht, um ihn zu widerlegen oder den angeblichen Unfinn darin öffentlich an den Pranger zu stellen. Verachtete doch Hegel die Naturwissenschaft nicht, sondern studirte sie, wie ein Mann von Fach.

Albertus Magnus erfuhr den Beweis des Häßlichen (im äfthe tischen Sinn) und Unausstehlichen seines vollendeten sprechenden Kunstwerks auf eine schlagende Weise dadurch, daß ihm seine Freunde den Kopf-Automaten zerschlugen. Es war das Häßliche in frechster, ent feßlichster Form, die grauenhafteste Lüge des Geistes, den natürlich immer erst ein wirklicher Mensch hineinblies, damit dieses Kunstwerk den Schein erwecke, als könne es sprechen. Der forgfältig präparirte Kehlkopf von Johannes Müller war nichts Besseres, weshalb seine wißig sein sollende Folgerung nur eine unbegreifliche Verleugnung des ,,Anonymen“, welches im Menschen spricht und singt, sein konnte. Was ist so ein künftliches Sprech- oder Sing-Instrument Anderes, als eine Art von Musik-Instrument? Giebt man ihm den Schein der feelenhaften Thätigkeit, welche singt, welche spricht und noch dazu mit der Folgerung: seht nichts als Holz und Pappendeckel! so läuft dies im Wesentlichen nur auf die wirkliche oder absichtlich angenommene Rohheit hinaus, die selbst den physikalischen wesentlichen Unter schied eines beseelten und eines bloßen Inftrumentaltones nicht fühlen, nicht begreifen kann. Dagegen giebt es ein Mittel: etwas Bilbung! Etwas Geschmack! Etwas Schönheitssinn! Etwas Geist oder nur etwas Kritik!

Die Naturwissenschaft, mit ihrem modernen Motto: Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft“, mit ihrem „hochgelehrten“ Abschließen in die bewußtlose, chemische Materie verliert nicht nur den Geißt, das Anonyme in aller Natur, sondern auch ihren eigenen Kopf, der auf diese Weise an das Kunstwerk des Albertus Magnus erinnert, welches, als es sprach, so entseßlich und abscheulich wirkte, daß ihm die Freunde diesen Kopf aus Freundschaft zerschlugen. Wir meinen dieses Schlagen auf die lebendigen Köpfe der Materialisten natürlich nicht wörtlich, denn sonst hätten wir nicht so aus der Ferne leise daran geklopft, um zu zeigen, daß hier wirklich nicht viel mehr ist, als Pappendeckel und Leder, nicht einmal Phosphor, lichttragender, im Dunkeln leuchtender, da sie im Gegen theil nicht nur das objektive Kulturlicht verschwärzen, sondern mit Verleugnung ihrer eigenen Einsicht renommiren.

Sie renommiren mit Verleugnung ihrer eigenen Einsicht? Das klingt wie ein Kompliment. Man kann aber bei Vielen der neuesten Mode-Naturforscher kaum umhin, eine tiefere Einsicht vorauszuseßen, da sie doch durchweg Gymnasium und Universität durchgerutscht haben, wo man fast ohne Wiffen und Willen etwas tiefer, etwas schärfer fehen lernt, als der gemeine Haufe, der nur nach finnlicher Anschauung urtheilt, wie das Thier. Selbst ihr Dogma, daß sich der Mensch nicht wesentlich von anderen Thieren unterscheide (es klingt wie die Phrase: ,,Studenten und andere dumme Jungen"), halten wir im Ganzen nicht für ehrlich, obgleich fie philosophiren wie Haisische und Heuochsen. Nein nein, wir halten obiges Kompliment wenigstens in Bezug auf Einige für eine Wahrheit. Sie renommiren mit Atheismus, mit Alogismus, mit Geiftlosigkeit, weil dies geistreich klingt, starkgeistig, heroisch in den Augen der Menge, die allerdings leicht von ihrem mechanisch eingeschulten Glauben zu dieser thierischen Religion der bloßen finnlichen Anschauung übergeschwaßt werden kann. Wie es in der Lyrik eine genial thuende, sich epigrammatisch verschmerzelnde Nachverselei Heinrich Heine's gab, bildet sich der moderne Natur-Privatdozent wohl auch ein, er leide an einer Art Fauft-Tragödie, wenn er vom „Schmerze der Erkenntniß" faselt. Man macht sich intereffant, man „grauelt“ schöne Damen und junge Schwachlöpfe mit absoluter Verleugnung alles Geiftigen, indem man vorgiebt, in den tiefften Geheimnissen der Natur den Beweis dafür gelesen zu haben, indem man ihnen experimentell zeigt: Gedanke ist Phosphor, Wille ist Elektrizität, menschliche Stimme - Pappendeckel. Sie stehen zwar gleich an der Gränze ihres Wißes, wenn man sie fragt: Was ist denn nun Phosphor, das materielle Element, wenn es Gedanken ausscheidet, da nun doch sofort Eure Definition von Element aufgehoben ist? Was ist denn nun Elektrizität? Was ist Mozart singender „Pappendeckel“?

Ich will Euch ganz entschieden und erschöpfend mit einer Autorität abthun, auf die fich Eure „Heroen“ ganz wesentlich berufen, obgleich der Mann ein Denker war, der in solchen Tiefen irrte, daß ihm bis jezt noch Niemand bis dahin gefolgt ist, um die Fehlschlüffe genau nachzuweisen: Ludwig Feuerbach. Er sagt in seiner sonst ziemlich langweiligen Zusammenstoppelung „humoristisch -philosophischer Aphorismen" mit dem Haupttitel:,,Abalard und Heloise, oder der Schriftsteller und der Mensch", Seite 13:

„Die finnliche Anschauung ist bei der größeren Anzahl der Men. schen das einzige Maß ihres Verstandes, die Richtschnur ihrer Urtheile, der feste Anhaltpunkt bei der Werthschägung der Dinge. So wie fie auf geistigen Boden kommen, gerathen fie aufs Glatteis und brechen

Hals und Beine. Daher halten fie für Ursachen und wirksame Agentien im Leben (& B.,,das Leben ist Stoffwechsel", und damit Punktum), was doch allein nur eine höchst untergeordnete Folge ift, hinter welcher man eine ganze lange Reihe von Mittelgliedern durchlaufen muß, bis man erst zu der Ursache kömmt, die wegen ihrer Entlegenheit nur von dem bewaffneten Auge, d. h. dem benkenden Blicke, wahrgenommen werden kann.“

Ihr bewaffnet Eure Augen auch, aber nicht mit Denken, sondern mit geschliffenen Linsen, in denen Euer Verstand allein fißen soll. Wer aber ohne Gedanken in das Mikroskrop und Teleskop guckt, findet eben blos finnliche Abbildungen darin, nicht aber die Ursachen und Agentien derselben. Wer die Natur dumm ansieht, den sieht sie wieder dumm an", sagte einmal Profeffor Hinrichs in Halle.

Aber Ihr sollt mich hören noch stärker beschwören. Derselbe Feuerbach, auf dessen Autorität sich Moleschott und andere viel weniger respektable Natur-Materialisten berufen, hat nicht nur Urtheil an Urtheil, Schluß an Schluß in unzerreißbarer Logik nachgewiesen, daß es keine wirkliche Kraft und keinen wirklichen Stoff giebt, als die Kraft unseres Denkens, den „vovs”, sondern in demselben Buche („Kritik des Anti-Hegel"") den bloßen Empirikern, den Helden der Thatsachen, zulezt ein unvergeßliches Denkmal gefeßt. Wir sehen nämlich, daß Alles, was Empiriker, also alle Naturforscher von Fach, Thatsache nennen, nichts ist, als ihre sinnliche Vorstellung von objektiven Thatsachen. Die finnliche Vorstellung renommirt jezt noch ganz besonders damit, daß fie allein das Wahre sehe und sei, obgleich sie in der freiwilligen Sklaverei thatsächlich in jedem Augenblicke die Erfahrung macht, daß Thatsachen nicht nur selbst unter ihren Augen zer- und wieder zusammenfließen, sondern auch die Mittel der Wahrnehmung, die Sinne, bewaffnete und unbewaffnete, von tausenderlei Zufälligkeiten abhängig und daher unendlichen Täuschungen unterworfen sind. Also ist weder objektiv Wahrgenommenes die reale Wirklichkeit, sondern das unsichtbar Bleibende, das in dem Fluffe der Körperwelt zum Vorschein, zur Erscheinung, aber nicht zu sich selbft kömmt; noch kann das Mittel, wodurch wir wahrnehmen, finnliche Erscheinungen zur bloßen Vorstellung in uns bringen, als Zeuge diefer realen Wirklichkeit gelten, wenn nicht der denkende Blick, der logische, der metaphysische Beweis hinzukömmt. Die Thatsachen der Empiriker, der modernen Natur-Materialisten tragen daher durchweg das Gepräge dieser sklavischen Abhängigkeit von dem Wahne, daß das momentan Erschienene in seinem Kleide das Wesentliche sei und ihre nur von sinnlicher Wahrnehmung gezeugte Vorstellung davon den einzig richtigen Sinn dieses Wesentlichen ausmache. So stellt sich das Wissen dieser bloßen Empiriker durchweg nur als Produkt ihres eigenen, doppelt abhängig gemachten, logisch ungebildeten Geistes dar, als der Unrath einer unrichtigen geistigen Verdauungskraft. Und hier schließen wir mit der Autorität, auf welche sich die modernen Materialisten mit berufen, mit dem Schluffe Feuerbach's in der „Kritik „Anti-Hegel's”“”, indem wir zugleich die Verantwortlichkeit für die etwas derbe Form dieses Bildes der Autorität und der Richtigkeit deffelben überweisen: Der treue Empiriker, der sich lediglich auf Thatsachen stüßt, abftrahirt das Muster seiner Kritik von den Affen, welche in Ermangelung von Steinen und anderen objektiven und gewichtigen Substanzen, ihren eigenen Unrath sich in die Faust lassen, um damit die Objekte ihrer Polemik (die Philosophen, die Denker überhaupt, welche aus der Sklaverei und Willkür bloßer sinnlicher Wahrnehmung die Freiheit des Begreifers erstreben, die Substanzialität der ewigen Ideen, welche den fließenden Erscheinungen zu Grunde liegen) bewerfen zu können.“ Dieses duftige Bild trifft ganz speziell mit jeder „Bombe“ den Autor von „Kraft und Stoff“.

Böhmen.

Das böhmische Marienbad in seiner Beziehung zur evangelischen Gottesverehrung.

Zu den frisch und fröhlich aufblühenden, böhmischen Badeorten muß Marienbad gerechnet werden, welches, in einem schönen Thale gelegen und von waldgekrönten Bergen größtentheils umgeben, an Heilquellen überraschend reich ist. Die stetigen Bewohner des Ortes sind fast sämmtlich dem römisch-katholischen Glaubens-Bekenntnisse ergeben. Ihren höheren, d. h. religiös sittlichen Bedürfnissen wird durch öffentliche Gottesdienste Befriedigung zu Theil in einem KirchenGebäude, welches, in der Gestalt eines Achteckes mit vielem künftlerischen Geschmack erbaut, eine Zierde Marienbads ist. Zahlreiche evangelische Chriften finden sich erst dann, und zwar auf vorübergehende Weise, zu Marienbad ein, wenn die zum Heilsgebrauche der Quellen herkömmlich bestimmte Zeit im Verlaufe des Jahres eingetreten ist. Ihre höheren Bedürfnisse werden durch die nicht öffentlichen Gottesdienste befriedigt, die seit dem Jahre 1854 in dem geräumigen, für eine nicht bedeutende Geldsumme gemietheten Saale

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