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No 133.

für die

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Literatur des Auslandes.

Nord-Amerika.

Der Ocean und sein Leben.*)

Berlin, Dienstag den 6. November

Nur wenig gekannt sind bis zur Stunde die Geheimnisse der grauenvollen Tiefe. Noch immer verlangt der hungrige Ocean seine zahllosen Opfer. Denn die Ruhe des Meeres ist trügerisch, und unter der spiegelglatten Freundlichkeit herrscht ewiger Krieg und Kampf. Okeanos hält nicht, wie in Urzeiten, seine Gattin, die Erde, in ruhig liebender Umarmung; unser Seegott ist ein Gott der Schlachten und hadert und ringt in unablässigem Kampfe mit dem steten Festlande. Selbst im scheinbar ruhigen Schlaf arbeitet er mit raftloser Thätig. keit. Horch! hörst Du den sanften Schlag der spielenden Wellen an den schneelichten Sand des Ufers? Blick jezt hin, und Du siehst die Riesenmasse, wie sie athmet und-keucht, gleich einem lebenden Geschöpfe. Keine Ruhe, kein Schlaf ist dem großen Elemente gegönnt. Wie das Bächlein, nimmer rastend, Tag und Nacht über Fels und Knorren lustig tanzt, so kennt auch der gewaltige Ocean keine Muße, keine Erholung.

Es ist aber nicht blos das Gewicht der Atmosphäre, das auf die Fläche des weiten Meeres drückt und sie bald mit des Zephyrs sanf tem Hauche fräufelt, bald mit des Sturmes heftiger Gewalt furcht. Ja, wenn die Fluthen vom rasenden Tornado bis zur Wuth gepeitscht werden, wenn sie unter dem jähen, finsteren Grimm des Typhon sich in kühnem Troze empören: das ist alles Kinderspiel gegen die riesenmächtige und doch stille, gesezliche Bewegung, die sie hinandrängt zu den Himmeln, wo „Er die Wasser bindet in seine dichten Wolken“, daß sie dann wiederum ungehemmt daniedersinken zu der Erde untersten Tiefen.

Wenn die leuchtende Sonne warm und glühend ruht an dem Bufen der kühlen Fluth, verlaffen Millionen salziger Tropfen den Ocean und steigen, ungesehen von Menschen-Augen, getragen auf den Flügeln des Windes, hinan zu dem blauen Aether. Bald aber werden sie zu ihrem Dienst zurückberufen. Sie fammeln sich in Silberwolken, streifen rund um den Erdkreis, fallen dann hernieder, hier ungestüm im rafenden Sturm Alles verwüftend und zertrümmernd, dort als fanfter Regen, befruchtend und erfrischend, oder noch milder als schimmernde Thauperlen am Bufen der aufbrechenden Rose glihernd und die kleinste Schaale füllend, die ihnen Blatt und Blume entgegenhalten. Gierig trinkt die durstige Erde des Himmels Trank; durch tausend Adern fendet sie ihn in ihr tiefstes Herz und füllt damit ihre unsichtbaren, geräumigen Behälter. Bald kann sie die reiche Fülle der heilbringen den Himmelsgabe nicht mehr faffen und gießt sie durch Schlucht und Kluft aus, daß sie als lustige, geschwäßige Quellen davoneilen. Bächlein eint sich zum Bächlein, und sie rauschen forglos die Berge hinab, bis sie, zu mächtigen Strömen angewachsen, über gigantische Felsen donnern, über jähe Sturze springen, oder ihre gewaltigen Massen über die geneigten Flächen des Tieflandes sanft dahinwälzen, dem Menschen ihren Nacken beugen, seine reichen Laften zu tragen, bevor sie wieder heimkehren zur gemeinsamen Mutter, der weitarmigen See.

Wie ruhig, wie still arbeitet die Natur in ihrem großen Haushalt! Ungehört und ungesehen erhebt sich dieser maßlose Wasserschwall aus den weiten Seen der Erde, und dennoch bedarf es nichts weniger, denn ein Drittel der Gesammtwärme, welche die Sonne dem Erdkreis gewährt, um ihn aus dem Ocean in die Wolkenregion zu fördern. Gehoben durch Kräfte, die unseren kühnsten Gedankenflug übersteigen, und zurückkehrend als Segen spendender Regen, als bescheidener Mühlbach oder als rasch fördernde Straße, welche ungeheure Lasten von Land zu Land trägt; und der Ocean nimmt sein Eigenthum wieder zurück und vollbringt also die eine seiner großen Bewegungen in dem ewigen Wechsel in Wasser, Luft und Land.

Doch der mächtige Ocean bleibt nicht einmal innerhalb seiner rechtmäßigen Gränzen. Wenn auch nicht umhergetrieben als Schaum, Dunst und Fluß; wenn auch ruhig liegend in seinem ewigen Bette am

*) Nach Putnam's Monthly,

1855.

Busen der großen Erde: so bleibt er doch nicht von äußeren Einflüffen unberührt. Jene geheimnißvolle Kraft, die Sonne an Sonne, Planet an Planet fettet, die den wandernden Kometen zu seinem Centralpunkt zurückruft und Wolfen zu einem großen Universum bindet: die Kraft der allgemeinen Anziehung muß nothwendig ihre Wirkung auch auf das Wasser üben, das unter dem Regiment der Sonne und des Mondes einen zweiten Lauf um den Erdkreis vollbringt.

Als die Gefährten des Nearchus unter dem großen Alexander an die Mündung des Indus kamen, erregte in diesem Wunderland Nichts in dem Grade ihr Erstaunen, wie das regelmäßige Steigen und Fallen des Oceans len des Oceans - eine Erscheinung, die sie in der Heimat, an KleinAsiens und Hellas' Küsten, nie gesehen. Auch bei ihrem kurzen Verweilen an diesen Gestaden mußten sie die Erfahrung machen, daß dieser angestaunte Wechsel mit den Mondesphasen in Verbindung stehe. Denn wie süß auch das Mondlicht auf diesem Geftade schläft", doch ist es voll stiller Gewalt, die, stärker noch als die der größeren Sonne, weil der Erde viel näher, auf den unbegränzten Ebenen des stillen Oceans die Wogen zwar nur wenige Fuß hoch hebt, sich aber tief bis an des Meeres Grund erstreckt und es vorwärts treibt, als wäre es an des Gestirns Tritt hoch am Himmel mit Ketten gebunden. Harmlos rollt die schwache Welle auf dem sanften Spiegel des Oceans. Allein Länder erheben sich, Neu-Holland hüben, Süd-Asien drüben, und die niedrige, aber unermeßlich breit fluthende Woge wird zusammengepreßt, bäumt sich hoch und rennt in reißendem Lauf um die scharfe Spiße Süd-Afrika's herum. Eine Stunde, nachdem der Mond seinen höchsten Stand zu Greenwich erreicht, langt sie bei Fez und Marokko an; zwei Stunden später passirt sie die Straße von Gibraltar und streift an die Küste von Portugal. In der vierten Stunde rauscht sie mit wachsender Stärke in den Kanal und geht an der Westküste Englands vorbei. Die Felsklippen Irlands und die zahlreichen Eilande der Nordsee hemmen hier ihren raschen Lauf, so daß sie Norwegen erst nach acht Stunden erreicht. Ein anderer Arm derselben Woge eilt in rasender Haft, oft mit einer Schnelligkeit von hundertzwanzig Meilen in der Stunde, längst der Ostküste von Amerika; von hier nimmt sie ihre Richtung nach Norden, wo sie, von allen Seiten eingeengt, sich bis zu der ungeheuren Höhe von achtzig Fuß thürmt; was nicht selten in der Fundy-Bai vorkömmt und den siegenden Beweis giebt, daß diese stille, stete Bewegung den wildesten Sturm an Stärke überbiete. An dem stürmischsten und gefürchtetsten Punkt auf Erden, am Kap Horn, vermag die Gewalt auch des rasendsten Orkans die Wogen nicht höher denn dreißig und einige Fuß zu heben, ohne die Ruhe des Oceans tiefer als wenige Faden zu stören; so daß Taucher hier unten ohne Anstand weilen, während oben der Sturm tobt. Diese Woge, so sanft von Aussehen und so gewaltig in ihrer Wirkung, zeigt sich in ihrer ganzen Macht, wenn sie auf Hindernisse stößt, die des Bekämpfens werth sind. Wenn heftige Strömungen sich ihrer Annäherung widerseßen, wie z. B. die Dordogne in Frankreich, da drängt sie in stolzem Lauf den dreisten Strom verächtlich zurück und überfluthet in Zeit von zwei Minuten die höchsten Häuser. Oder sie rollt die mächtigen Gewäffer des Amazonenstromes bergehoch zu furchtbaren, dunkeln Massen schäumender Kaskaden, die sie unablässig, widerstandlos aufwärts treibt, daß hinter ihnen die Ruhe einer spiegelglatten Fläche zurückbleibt, indeß das Hochland von Gebrüll und Donnergedröhn wiederhallt.

Noch minder gekannt und beobachtet ist eine dritte große Bewegung, die den scheinbaren Frieden des Oceans unterbricht. Denn hier, wie überall, ist Bewegung das Leben, wie Ruhe der Tod sein würde. Ohne diese stets rege Thätigkeit im eigenen Busen, ohne dieses Durcheinander-Wallen und Wogen seiner Gewäffer, würden die zahllosen Leichen der Thiere und Pflanzen, die tagtäglich in seinen Tiefen ihr Grab finden, durch ihre vergifteten Dünfte alles Leben auf Erden zerstören. Und diese größte aller Bewegungen, nimmer rastend, nimmer endend, ist eine Wirkung der Sonne und der von ihr erzeugten Wärme. Wie alle Körper, hat auch das Wasser die Eigenschaft, sich bei sinken. der Temperatur zusammenzuziehen und folglich schwerer zu werden. Es sinkt aber nur bis auf einen gewissen Punkt, ungefähr drei Grad R.

Dies ist die unwandelbare Wärme des Oceans bis zu einer Tiefe von drei- bis sechshundert Fuß und darunter. Ift die Temperatur kälter, so wird das Wasser wieder dünner und leichter, so daß es, auf den Gefrierpunkt gelangt und zu Eis geworden, beträchtlich leichter ist, als im flüssigen Zustande. Die Folge dieses Verhältnisses zur Wärme ist eben die unabläsfige Bewegung im Meere: übersteigt die Wärme den erwähnten Grad, dann steigt auch das wärmere und leichtere Wasser fortwährend, indeß das kältere und schwerere in gleicher Weise sinkt; unter jenem WärmeGrad steigt das kältere Wasser und der wärmere Theil fällt zu Boden. Daher die mancherlei Strömungen im Meere, die zu Zeiten eiskalt, zu anderen warm, ja, heiß oft find, so daß der Temperatur-Unterschied zwischen dem Strom und dem angränzenden ruhigen Gewäffer in Erstaunen seßt. Der große Humboldt fand bei Trurillo, daß das ruhige Waffer zweiundzwanzig Grad, während der Strom an der peruanischen Küfte nur etwas über acht Grad Wärme hat, und der Schiffer, der feinen Kahn mit einiger Genauigkeit an dem Rande des Golfstroms hält, kann seine linke Hand in kaltes und seine rechte in warmes Wasfer tauchen.

Größere Wunder noch sind unter dem ruhigen, stillen Antlig des schlafenden Riesen verborgen. Gedankenlos und unbekümmert gleitet der Mensch in dem leichten, gebrechlichen Nachen über den schrankenlosen Ocean und weiß nicht, daß in der Tiefe unter ihm üppige Waldungen, duftig grüne Wiesen sich hinstrecken zu den Füßen ungemesse ner Berge, die ihre ragenden Gipfel bis an den Boden der Schiffe erheben, zu den Füßen der Vulkane, die von unterseeischen Erdbeben aufgeworfen worden.

Denn auch das Meer hat seine Höhen und seine Tiefen; seine Hochländer und seine Thäler; bisweilen find sie dürr und nackt, bis weilen mit üppiger Pflanzung bekleidet. Kein Punkt auf dem Festlande zeigt solche Ungleichheiten, wie sie sich unter der freundlichen, ebenen Meeresfläche darbieten. Im Atlantischen Meere, südlich von St. Helena, erreichte das Senkblei der französischen Fregatte,,Venus“ den Boden erst mit 14,556 Fuß, also eine Distanz, die der Höhe des Montblanc gleichkömmt; und Capitain Roß auf seiner lezten Südpol-Expedition fand bei 27,000 Fuß noch nicht den Meeresgrund; hier würde der Dhawalaghiri, auf den Sinai gefeßt, noch nicht aus dem Waffer sich erhoben haben. Und doch steigen aus dieser furchtbaren Tiefe Berge als Klippen und Riffe oder strecken sich als weite, fruchtbare Inseln.

Auch ist der alte Glaube an die Beständigkeit des festen Landes", als Gegensaß der stets wechselnden Natur dés Meeres, nicht länger aufrecht zu erhalten. Neuere Entdeckungen haben vielmehr bewiesen, daß das Land wechselt und das Wasser beständig ist. Der Ocean behält immer dasselbe Niveau; nur der Boden, wie auf dem Kontinente Ebnen und Hochländer, sinkt und steigt. In der Südsee findet dieser Wechsel regelmäßig zu bestimmten Perioden statt. Zu den finkenden Stücken unserer Erde gehört unter anderen Neu-Holland. Dieses ist so weit entfernt, ein neues, junges Land zu sein, daß es vielmehr, mit seiner seltsamen, von denen der übrigen Welt abweichenden Flora und Fauna, als altes absterbendes Eiland von dem Ocean langsam, Zoll für Zoll begraben wird.

Und eine wundervolle Welt ist diese Welt der großen See. Da find tiefe Abgründe, angefüllt mit ungeheuren Felsen, mit graufigen Trümmern gewaltiger Schiffe, mit Menschenleichen. Hier liegen, von Lehm und Schlamm halbbedeckt, Geschüße und Goldkisten neben zahl losen Gerippen, aus allen Weltgegenden herbeigeschwemmt; hier modert der Schädel des tapferen Schiffscapitains neben dem geborstenen Panzer der Riesenschildkröte; des Wallfischfahrers Harpune ruht friedlig neben dem Gebiß des See-Ungethüms, Laufende von Fischen weilen in den Ballen kostbarer Seide Indiens, und über ihnen drängen sich in stummen Haufen Myriaden Infusorien; der ungeheure Wallfisch und der gefräßige Hai jagen dichtgedrängte Heringschwärme vor fich her. Hier schäumt und toft die See raftlos gegen seltsam gestaltete Klippen und wunderlich geformte Felsen; dort geht sie trägen Schrittes über weite Ebnen weißen schimmernden Sandes. Am Morgen brechen die fluthenden Wogen in grimmer Wuth herein gegen die kahlen Gipfel der unterseeischen Alpen oder dringen in zischenden Strömen durch die alten Wälder. Am Abend gleiten sie leise über bodenlose Abgründe, als fürchteten sie, hinabzusinken in die ewige Nacht da unten, aus welcher ferner Donner heraufdröhnt; und die eingeschloffenen Gewässer seufzen und heulen, gleich bösen Geistern, die in der graufen Tiefe gekettet liegen.

Das Meer ist ein ungeheures Beinhaus. Millionen auf Millionen Thiere modern hier, in Schichten, in Maffen, oder als meilenJange Bänke. Da unten unter dem dünnen, durchsichtigen Schleier ist kein Friede; hier herrscht endloses Morden, wildes Kämpfen; unversöhnlicher, unauslöschlicher Haß scheint in der kalten, fühllosen Tiefe zu hausen. Hier wird das Leben nur durch Zerstörung erhalten. Löwen, Tiger, Wölfe erreichen eine Riefengröße in den weiten Höhlen und zerstören Tag für Tag ganze Geschlechter kleinerer Geschöpfe. Polypen und Medusen in unberechenbarer Zahl spinnen ihre Neße

und fangen die sorglosen Strahlenthierchen bei Myriaden, und der Wallfisch verschlingt auf Einen Zug Millionen winziger, aber lebendiger Geschöpfe. Der Schwertfisch und der Seelöwe machen Jagd auf den Elephanten und Rhinoceros des Stillen Oceans, und die milbenartigen Parasiten schießen auf den Thunfisch, um sich millionenweise in seinen Fettlagen zu bohren. Alles jagt, tödtet, mordet; allein der Kampf ist schweigend, kein Schlachtruf wird gehört, kein Angstgeschrei stört die ewige Stille, kein Jauchzen des Sieges dringt durch die krystallenen Wogen hinauf in die Welt des Lichts. Die Schlachten werden in der geheimnißvollen Tiefe ausgefochten; hin und wieder bricht sich eine Woge und erschließt für einen Augenblick die blutgetränkte Wahlstatt; oder der fterbende Wallfisch schwellt den ungeheuren Leib und treibt die schaumgekrönte, blutgefärbte Waffersäule hoch in die Luft. (Fortseßung folgt.)

Die Natur-Gedanken des Menschen.
Der Scharfblick.

Wenn die heutige Natur-Philosophie, durch die Wissenschaft selbst belehrt, Gedanken und Ideen in der Natur anerkennen muß, so wird sie sich doch vielleicht weigern, anzuerkennen, daß der menschliche Geist in einem gewissen Sinne auch Natur-Gedanken besigt; das heißt, solche Gedanken, die nicht durch langes, voraufgegangenes Denken in ihm hervorgerufen find, sondern mehr durch die unmittelbare Betrachtung der Natur. Es sind dies die Gedanken, die sich bei besonderen äußeren Veranlassungen in uns geltend machen, und die gleichsam in unser Bewußtsein springen, wie die Minerva aus dem Haupte des Zeus. Der Ausdruck Natur - Gedanke in uns mag etwas Befremdendes haben; besonders aber für diejenigen, welche nicht wissen, daß von je her die größten und fegensreichsten Erfindungen und Entdeckungen gerade durch solche Gedanken veranlaßt wurden, die in uns da sind, fast ehe wir daran denken. Solche Natur-Gedanken waren es, die sich plöglich in einem Berthold Schwarz, in Newton, als er einen Apfel vom Baume fallen sah, in Oersted bei Entdeckung des ElektroMagnetismus und vielleicht noch mehr bei der Entdeckung einer die ganze Natur durchdringenden Vernunft, auf welche er durch die NaturGefeße aufmerksam gemacht wurde, geltend machten. Mit diesen Entdeckungen hat die Philosophie, die Speculation gar keine BerührungsPunkte, weil sie mit den Gedanken keine Berührungs-Punkte hat, durch welche diese Entdeckungen veranlaßt wurden. Die abstrakten Philosophen sehen deshalb mit einer gewissen Geringschäßung auf alle Gedanken hinab, die nicht nach der Schule, nach der Reflexion schmecken. Der Werth der Reflexion soll nicht bezweifelt werden; denn damit würde man zugleich den Werth der menschlichen Vernunft bezweifeln, weil gerade eine der Hauptkräfte unseres Geistes das Vermögen der Reflexion ist. Es ist aber nicht zu bezweifeln, daß die Reflexion, welche in der Philosophie eine wichtige Rolle spielt, an den Erfindungen und Entdeckungen im Gebiete der Natur-Wissenschaft fast gar keinen Antheil hat. Die Entdeckungen sind von je her mehr durch voraufgegangene Versuche und Experimente, als durch tiefes Spekuliren vorbereitet. Das Nachdenken hat allerdings bedeutenden Antheil an den Erfindungen, nicht aber die Reflexion im streng philosophischen Sinne. Ein strenger Philosoph hat noch nie eine erhebliche Entdeckung gemacht. Die Entdeckungen sind vielmehr stets von solchen Männern ausgegangen, die im Befig vieler praktischer Erfahrungen und Kennt niffe waren. Durch ihre Kenntnisse und Erfahrungen wurden sie auf die richtigen Wege, welche zur Entdeckung führten, aufmerksam gemacht; nicht aber durch Speculation.

Wenn sich der Menschengeist von je her mehr an diese NaturGedanken, ja, an die natürlichen Eingebungen seiner selbst gehalten hätte, vielleicht wäre er dann oft weniger in Irrthümer verfallen, als dies der Fall ist. Die Natur-Gedanken sind es immer, durch welche sich das Genie zu allen Zeiten ausgezeichnet hat. Sei es in den Künften, in den Wissenschaften, auf dem Felde der Ehre oder am Ruder des Staats. Unter Natur-Gedanken soll aber nichts Anderes verstanden sein, als der Scharfsinn oder richtiger vielleicht der Scharf, blick. Dieser Scharfblick hat zu allen Zeiten und in allen Gebieten des Lebens Bewunderungswürdiges ausgerichtet. Durch ihn geschicht es, daß Geister oft weit über ihre Zeitalter hinaussehen. Es ge schieht aber auch dadurch, daß, weil Andere nicht so weit sehen, fie in Ketten für die göttlichste Kraft des Geistes büßen müssen.

Was ist der Scharfblick, durch welchen zu allen Zeiten so Großes, fo Edles, so Schönes, aber auch oft so Schreckliches geschehen ist? Er ist die Fähigkeit unseres Geistes, stets das Richtige zu treffen, den Zusammenhang der Verhältnisse, die er beherrschen will, mit einem Blicke zu überschauen. Der Scharfblick kann sich nicht minder im stillen Kämmerlein des wissenschaftlichen Genies, als auf dem lauten Markt des Lebens oder unter dem Donner der Kanonen zu erkennen

geben. Der Scharfblick war es, wodurch Newton auf die Gravi. tations-Geseze geführt wurde, er war es aber auch, durch den Napoleon seine Schlachten gewann. Wenn die Phrenologen bemüht find, die verschiedenen Fähigkeiten unseres Geistes festzustellen, so sollten fie besonders dem Scharfblick ihre Aufmerksamkeit zuwenden.

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Der Scharfblick ist nicht minder ein Vermögen oder eine Kraft unseres Geistes, als das Denken, die Imagination. Man hat für eine und dieselbe Sache verschiedene Benennungen. Wenn man sagt, Je mand besiße viel Verstand, so kann damit im Grunde nichts Anderes gemeint sein, als daß er viel Scharfblick befize. Insoweit diese Kraft sich auf das Erkennen und das Eindringen in die Natur richtet, kann man immerhin die Gedanken, welche durch dieselbe in uns hervorgerufen werden, Natur-Gedanken nennen. Es mag parador erscheinen, dennoch ist nicht zu bestreiten, daß jeder Mensch mehr oder minder diese Kraft besißt, durch welche er sich gleichsam in dieser Welt orientirt. Wer sein geistiges Wesen etwas zu beobachten ver mag, der wird finden, daß es nicht allein durch anhaltendes und langes Denken geschieht, wenn er sich in dieser Vernunftwelt orientirt, es geschieht dies vielmehr durch die ihm angeborene und durch den Einfluß der Vernunftwelt um ihn her immer mehr ausgebildete, vernünftige Geisteskraft. Wenn der Mensch im bewegten Leben erst immer lange und anhaltend denken müßte, um zu wissen, was er thun und lassen solle, so wäre seinen Handlungen ein Hemmschuh angelegt ein Hemmschuh, den die Philosophen sich indeß oft anlegen. Der unendliche Einfluß des Nachdenkens auf unsere Handlungen als Vernunft-Wesen unter Vernunft-Wesen kann unmöglich bestritten werden; es kann aber eben so wenig bestritten werden, daß der gewöhnliche und Normal-Zustand, in welchem der Mensch sich als geistiges Wesen befindet, durchaus kein denkender Zustand ist. Die meisten Menschen befinden sich vielmehr für gewöhnlich in einem geistigen Zustande, in welchem sie an Nichts denken. Es ist dies ein Zustand der Gedankenlosigkeit, aus dem wir indessen jeden Augenblick zum Nachdenken übergehen können. Für gewöhnlich aber treten bald diese und bald wieder jene Gedanken in unserem Bewußtsein hervor; es sind dies gleichsam die Wegweiser durchs Leben. Es geschieht also keinesweges durch das Nachdenken allein, daß wir uns in den Lebens-Verhältnissen orientiren; es geschieht dies vielmehr auch durch jenes Vermögen, das uns stets und überall zur Hand ist, das uns als ein treuer Begleiter überall zur Seite steht.

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Es ist schwer, eine Fähigkeit wie den Scharfblick philosophisch zu erklären. Er äußert sich kurz und schnell; wir können seine Wirk samseit weniger wie das Denken verfolgen. Er entzieht sich unserer Untersuchung. Er äußert sich bei den verschiedenen Individuen auf sehr verschiedene Weise und in verschiedenen Graden. Der Scharf blick ist gleichsam die Krone unseres Denkens, unserer Vernunft. Er ist es, durch den wir überall die richtigen Gesichtspunkte entdecken. Es ist nicht zu bestreiten, daß das Nämliche auch durch das Denken geschieht. Wenn wir durch Nachdenken zu immer größerer Klarheit über das kommen, was wir wissen wollen, so werden wir durch den Scharfblick auch auf die falschen Richtungen aufmerksam gemacht, in welche unser Deuken oft geräth. Sobald wir auf einen Widerspruch stoßen, ist damit oft zugleich der richtige Gesichtspunkt angedeutet, von dem wir ausgehen müssen. Eine scharfe Gränze läßt sich viel leicht überhaupt nicht zwischen dem Denken und dem Scharfblick ziehen. Wie alle unsere geistigen Fähigkeiten zusammenhängen, oft zusammen wirken, so auch das Denken und der Scharfblick. Beide zusammen bilden eigentlich das Wesen unserer Vernunft; denn obwohl die Einbildungskraft auch mit zum Wesen unseres Geistes gehört, so wird durch sie doch weniger als durch den Verstand und den Scharfblick, das bezeichnet, was wir Vernunft nennen. Die Einbildungskraft wird fogar oft als etwas der Vernunft Entgegengesettes betrachtet.

Der Scharfblick ist der eigentliche Wegweiser des Verstandes. Er zeigt dem leßteren die Punkte, von welchen er ausgehen muß, um die Wahrheit zu finden. Er zeigt auch dem Verstande die Punkte, worin er geirrt. Bei unserem Denken gehen wir oft von ganz falschen Vorausseßungen aus und gelangen dadurch zu falschen Schlüssen. Wenn auf die Widersprüche der Verstand durch die Fähigkeit des richtigen Denkens selbst aufmerksam gemacht wird, ohne des Scharfblickes zu bedürfen, so ist es doch gewöhnlich der lettere, der uns die wahren Richtungen unseres Nachdenkens andeutet. Für die Wissen schaft und die Erkenntniß der Wahrheit ist es aber unendlich wichtig, daß die richtigen Gesichtspunkte angedeutet oder festgestellt werden. Wir würden schwerlich im Bestß einer einzigen wissenschaftlichen Wahrheit sein ohne diese richtigen Gesichtspunkte, welche uns der Scharfe blick angedeutet hat. Wenn die Einbildungskraft das Erbtheil des Dichters, der Verstand das Erbtheil des Denkers ist, so ist der Scharfe blick das rechte Erbtheil des Genies. Das Wesen des Genies besteht darin, daß es mit einem schnellen Blicke Vieles überschaut und durch dringt. Es füllt gleichsam das aus, was der reflektirende Verstand noch nicht im Zusammenhang zu begreifen vermag. Es ist ein alter, aber wahrer Saß, daß das Irren etwas Menschliches ist. Auch das

Genie irrt sich, ob aber so oft, als der Denker, das ist zu bezweifeln. Wenn das Genie sich irrt, so wird es in den meisten Fällen viel eher wieder in die richtige Bahn einlenken, als der Denker. Der Denker, welcher unabläffig eine Gedankenkette ausgesponnen hat und zulezt durch den Widerspruch, auf welchen er geräth, merkt, daß er sich geirrt, wird doch immer erst nach langem Zögern davon abstehen, das für wahr zu halten, was er mit so viel Mühe aufgebaut hat. Je mehr aber ein Denker etwas vom Genie besißt, um so eher wird er auch von den falschen Denkrichtungen abstehen.

Die Geschichte der Erfindungen und Entdeckungen lehrt es überall, daß es fast immer ein Lichtstrahl, ein Gedankenbliß war, wodurch die Erfindungen geschehen sind. Es find die glücklichen Gedanken, wodurch die Entdecker großer Naturwahrheiten stets auf ihre Entdeckungen geführt wurden. Hundert Andere, mit denselben Kenntnissen vielleicht als Oersted, sehen in den Naturgeseßen nichts, als eben Naturgeseße. Sie finden nichts in diesen Naturgefeßen. Da trat wiederum ein Genie auf, ein Lichtstrahl von oben durchzuckte den Forscher und zeigte ihm in allen diesen Geseßen und Erfahrungen das Tiefere, Göttliche, eine die ganze Natur durchdringende Vernunft. Die einzelnen Geseße erschienen dem Forscher nun nicht mehr getrennt von einander; der ruhende, geistige Punkt in der Bewegung und Mannigfaltigkeit der Natur-Erscheinungen war gefunden.

Das Genie ist dem wirklichen Leben gewöhnlich viel mehr zugewandt, als ein bloßer Denker, weil das Auffassungsvermögen besonders kräftig in ihm ist. Deshalb wird auch das Genie in den meisten Fällen das wirkliche Leben viel richtiger auffassen und verstehen, als der Denker. Während der Denker bemüht ist, die menschlichen Ansichten zu prüfen und zu ordnen, ist das Genie viel mehr bemüht, den Gedanken-Inhalt der Welt zu erfassen. Während auf den Denker mehr die menschliche Vernunft einwirkt, wirkt auf das Genie mehr die göttliche Vernunft, die im Dasein liegt, ein. Auf das Genie wirkt mehr der Geist der Gottheit ein und auf den Denker mehr der menschliche Geist. Der Denker lebt mehr in dem Reiche der menschlichen Gedanken und Ideen, und das Genie sucht mehr die göttlichen Gedanken der Welt zu erfaffen. Das Genie ist auch mehr dem thatkräftigen Handeln zugewandt, als der Denker; es sucht in vielen Fällen die Ideen, welche die Vernunft Gottes in ihm hervorruft, zu verwirklichen.

Warum sind so selten die Männer der Wissenschaft geeignet, sich mit der Gewandtheit thatkräftig nach außen zu erweisen, wodurch sich allemal das Genie kundgiebt? Diese Erscheinung liefert den Beweis, welch ein Abstand zwischen der menschlichen und göttlichen Vernunft herrscht. Wenn die menschliche Vernunft je vollständig die göttliche Vernunft auszudrücken vermöchte, dann würde der auf die Bücher und die Wissenschaften gerichtete Geist sich auch bald im wirklichen Leben orientiren. Da aber im wirklichen Leben ein Geist liegt, von dem uns die Werke der größten Geister nur einzelne Bruchstücke zu erkennen geben, und dieser Geist gleichsam die Bücherweisheit der Köpfe ignorirt oder vielmehr der Geist des Menschen weniger als ein Atom gegen den Geist der Welt ist, so stehen auch die Männer der Wissenschaft oft rathlos da, wenn es sich darum handelt, thatkräftig in die menschlichen Verhältniffe einzugreifen. Sie stehen rathlos da, weil die menschlichen Verhältnisse eben so gut wie die Natur die Vernunft Gottes enthalten, eine Vernunft, mit welcher ihre Handlungen so viel als möglich übereinstimmen müssen. Wer deshalb die menschlichen Verhältnisse beherrschen, die Geschicke der Völker lenken will, der muß gleichsam das Spiel der Kräfte, der inneren, geistigen Kräfte in der Menschenwelt richtig auffassen und richtig lenken; gleichwie der Naturforscher die Kräfte und die Gefeße in der unbelebten Natur beherrschen muß, wenn er die Naturgegenstände reproduziren will. Ein Naturforscher, welcher fähig wäre, selbst Naturgegenstände zu schaffen, z. B. eine Blume, wäre gewiß eines der größten Genies. Es läßt sich aber nicht annehmen, daß die Naturforscher sich so bald zu dieser Höhe erheben werden.

Je mehr Empfänglichkeit unser Geist befißt, von dem Weltgeist getroffen zu werden, je weniger wird es ihm möglich sein, sich ausschließlich mit den Ideen der menschlichen Vernunft zu beschäftigen. Die Ideen, welche dem Genie aus dem wirklichen Leben zugeführt werden, find viel wirksamer und kräftiger, als die Ideen, die es von der menschlichen Vernunft empfängt. Aber in unserer eigenen Ideenbildung giebt sich wiederum dieselbe göttliche Vernunft zu erkennen, die in der Natur herrscht.

Der Scharfblick ist das Auffassungsvermögen im erhöhten Grade. Er ist das Auge unseres Geistes, durch welches er in die verborgenen Verhältnisse der Natur eindringt. Im Scharfblick giebt sich verhüllt die Kraft des göttlichen Geistes zu erkennen; er läßt uns auf den geistigen Blick schließen, mit dem Gott die Welt überschaut, und dem Nichts verborgen ist. Der Scharfblick ist die Kraft, durch welche für den ewigen Fortschritt des Menschengeschlechtes gesorgt ist. Er leidet es nicht, daß die Entwickelung des Menschengeschlechtes aufhöre. Oft, wenn es schien, als sei er ganz verloren gegangen, zeigte er sich wie

der, gleich dem Bliß am bewölkten Himmel, und offenbarte wiederum die göttliche Kraft des menschlichen Geistes. Bn.

Italien.

Mailand im Jahre 1796. (Schluß.)

Die Narrbeiten der Liebe und Eifersucht des Grafen Lecchi von Brescia machten selbst in Venedig Aufsehen. Einmal, um Ostern, erkaufte er von einem Kapuziner, der im Geruche der Heiligkeit stand, die Erlaubniß, durch Kapuze und Bart verstellt, in deffen Beichtstuhl die Beichte seiner Geliebten, der Marquise C., zu hören. Ein anderes Mal, zur Strafe für seine ärgerlichen Thorheiten, unter die Bleidächer Venedigs gesteckt, erlangt er um den Preis von sechstausend Zechinen von dem Kerkermeister die Freiheit auf sechsunddreißig Stunden. Seine Freunde hatten für ihn Relais besorgt. Er fliegt nach Brescia; langt am Festtage eines Heiligen um drei Uhr Nachmittag an, als die Leute eben aus der Vesper kommen, und schießt den Marchese N., der ihm einen Streich gespielt hatte, vor Aller Augen über den Haufen. In aller Haft eilt er nach Venedig zurück und geht wieder ungesäumt in sein Gefängniß. Drei Tage später verlangt er eine Audienz beim Direktor des Kriminalgerichts und beklagt sich hier bitter über die unerhörte Grausam keit des Kerkermeisters gegen ihn. Der ernste Senator, nachdem er ihn angehört, theilt ihm die seltsame Anklage auf Mord, der von der Quarantia eben gegen ihn erhoben worden, mit. -,,Ew. Excellenz sieht die Wuth meiner Feinde", verfeßt der Graf Lecchi mit gutge spielter Bescheidenheit; „Sie wissen nur zu gut, wo ich vor acht Tagen war." Kurz, der Graf genießt den für einen Edelmann der Tierra Firma so kostbaren Ruhm, der wunderbaren Polizei des venetianischen Senats ein Schnippchen geschlagen zu haben, kömmt triumphirend nach Brescia zurück, von wo er einige Tage darauf in die Schweiz geht..

.....

Nichts in der Welt würde die Frauen von bezaubernder Schön heit abgehalten haben, bei dem Corso, der auf der Bastei des Ostthors abgehalten wurde, jeden Abend zu erscheinen. Es ist ein alter spanischer Wall, der sich vierzig Fuß über die grüne, vom Grafen Firmian mit Kastanienbäumen bepflanzte Ebene erhebt. Nach der Stadt zu sieht man von diesem Walle in Gärten hinab und über die hohen Bäume der später sogenannten Villa Bonaparte ragt der filigran artig durchbrochene Wunderdom Mailands von weißem Marmor. Dieser kühne Dom hat nur einen einzigen Nebenbuhler in der Welt: den von St. Peter in Rom. .

Man kann es sich an den Fingern abzählen, daß die Offiziere der jungen Armee die Stunde des Corso nicht versäumt haben. Die Stabs-Offiziere zu Pferde trabten neben den Bastradellen (sehr nie drigen Wagen) der Schönen, die oft in sechsfachen Reihen die Länge der Promenade einnahmen. Die Infanterie-Offiziere, die in dieses Labyrinth nicht eindringen konnten, verwünschten ihre Kameraden zu Rosse und mußten später mit einem Plag vor irgend einem fashionabeln Kaffeehause fürlieb nehmen. Hier konnten sie mit den Damen ihrer Bekanntschaft, während sich diese Eis reichen ließen, ein Gespräch anknüpfen. Die meisten kehrten dann noch in derselben Nacht in ihre Quartiere zurück, die bisweilen fünf oder sechs Stunden entfernt waren. Sie bedienten sich dazu der Sediola, eines zweiräderigen, bochgebauten Wagens, der von einem mageren Klepper in vollem Trabe gezogen wurde. Diese Fahrten ohne Urlaub brachten den Stab und den Kommandanten, den General Despinois, zur Verzweiflung. Umsonst droheten die Ordres du jour diesen Wallfahrern mit Abseßung; sie lachten dazu.

Die Divisionsgenerale, mit Ausnahme des alten Serrurier, drückten ein Auge zu. Mancher Offizier kam zehn Stunden weit zu Pferde her, um einen Abend in der Scala, in der Loge einer Dame feiner Bekanntschaft, zu verbringen.

Der Sommer 1796, nach zwei Jahren der Noth und der Unthätigkeit auf den benachbarten Felsen vor Savona, brachte der Armee eine wunderbare Mischung von Gefahr und Genuß. Vor dem Kaffee. Hause Corso de' Servi trafen die Offiziere der entlegensten Regimenter zusammen. Viele, um die Aufweisung der vom Obersten gegebenen, von dem Brigadegeneral visirten Erlaubniß zu vermeiden, ließen ihre Sediola vor dem Thore und gingen zu Fuß in die Stadt.

Hatten die Damen, wie oben erwähnt, das Eis eingenommen, so gingen fie auf eine Stunde nachhause, um vielleicht einen Freund zu sprechen, und erschienen dann in ihren Logen in der Scala. Diese Logen find bekanntlich kleine Salons, worin acht, ja, zehn Freunde auf einmal empfangen werden können. Es gab kaum einen Offizier, der nicht in mehreren Logen Zutritt hatte. Die Verliebten, aber zu schüchternen, die dieses Glück nicht hatten, trösteten sich mit einem wohl

gewählten und steten Plas im Parterre; von hier aus sandten die kühnen Krieger ehrfurchtsvolle Blicke an den Gegenstand ihrer Neigung und fühlten sich sehr unglücklich, wenn die Dame die entfernende Seite der Lorgnette ans Auge drückte und so den Liebesblick mit Protest zurückschickte.

Die große Welt ist fast überall wie das Volk: sie liebt eine Regierung nur aus Haß gegen eine andere; sollte eine Regierung nur ein nothwendiges Uebel sein? Die vornehme Mailänder Gesellschaft fühlte einen so tiefen Ekel gegen den dicken Erzherzog, der im Geheimen Getraide verkauft und die Theurung benußt oder gar gefördert haben soll, daß sie mit Begeisterung die französische Armee aufnahm, die allerdings Pferde, Schuhe, Kleider, Millionen verlangte, ihr aber die Selbstverwaltung gestattete. Seit dem 16. Mai verkaufte man überall eine Karikatur, die den Erzherzog darstellte, wie er sein betreßtes Wamms aufknöpft, aus welchem Korn herausfällt.

Waren die Mailänder närrisch vor Begeisterung, so waren es die Franzosen vor Glück, und dieser trunkene Zustand dauerte bis zur Scheidestunde. Bei der Rückkehr nach der Schlacht von Marengo, 1800, nahmen mehrere Franzosen den Abschied, um lieber arm in Mailand zu leben, als sich von dem Gegenstand ihrer Zuneigung zu trennen.

Schwerlich könnte man zwanzig Subaltern-Offiziere in Mailand bezeichnen, die nach höheren Graden geizten, was einen schneidenden Kontrast mit dem Geiste bildete, den später das Konsulat der Armee einhauchte. Mochte Einer aber in der Folge noch so prosaisch, ehrsüchtig und habgierig geworden sein, den Aufenthalt in Mailand hat Keiner vergessen. Es war der schönste Moment einer schönen Jugend.

Mannigfaltiges.

Rossini und Ferdinand Hiller. Der eben so anziehend schreibende, als komponirende Kapellmeister Ferd. Hiller, der in diesem Herbste einige Wochen zusammen mit Rossini, und zwar in dem franzöfischen Seebade Trouville, verlebte, theilt in dem Feuilleton zur „Kölnischen Zeitung" seine,,Plaudereien" mit dem seit fünfundzwanzig Jahren in stiller Zurückgezogenheit lebenden Maëstro mit. Der geniale Italiãner erzählte dem deutschen Freunde unter Anderem, auf welche Weise er in sehr jugendlichem Alter seine erste Oper, „Demetrio und Polibio“, zu Stande gebracht. Die Art und Weise dieser Schöpfung ist charakteristisch und für die dramatische Musik Rossini's sehr bezeichnend. Der junge Gioachimo hatte die genannte Oper für die Familie Mombelli komponirt, einer Sänger-Familie, die aus einem Vater (Tenor), zweien Töchtern (Sopran und Contra-Alt) und einem Bassisten bestand, so daß sie ein vollständiges Vokal-Quartett bildete, welches ohne weitere Hülfe in Bologna, Mailand und anderen Städten Opernvorstellungen gab. Rossini hatte nicht etwa den Text zu einem Drama vor sich, als er seine erste Oper schrieb. Mombelli lieferte dem jungen Musik-Enthusiasten bald zu einem Duett, bald zu einer Ariette, oder zu einem Quartett die Worte und bezahlte ihm jedes Stück einzeln mit einigen Piastern. Die Composition war reizend, ein Quartett aus diesem ,,Demetrio und Polibio“ hat jezt noch eine Art Berühmtheit; jedes einzelne Stück war melodiös und füß, wie alle nachmaligen Tonstücke des Meisters, aber von dramatischer Charakteristik, von Naturwahrheit oder idealer Kunst konnte bei der stückweisen Zusammenstellung, ohne daß dem Komponisten das Ganze vorlag, nicht die Rede sein. sein. Dieser ominöse Beginn scheint für die ganze Laufbahn des den wahren Musikfreunden eben so viel Aergerniß als Vergnügen bereitenden Maestro von entscheidendem Einflusse gewesen zu sein. Ferdinand Hiller unterdrückt zwar diese dem berühmten Freunde nicht angenehme Bemerkung, aber sie ist augenscheinlich zwischen seinen Zeilen zu lesen. Auch in einer späteren Unterhaltung läßt er den Leßteren fagen: „JH habe in Italien nie ein fertiges Tertbuch gehabt, wenn ich zu schreiben anfing. Ich komponirte die Introduction, ehe noch die folgende Nummer gedichtet war.“

Deutsche Druckschriften im Auslande. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres sind in Deutschland im Ganzen 3879 Werke im Drucke erschienen. Davon kamen auf Preußen 1242, auf Sachsen 724, auf Desterreich 715, auf Bayern 397, auf Württemberg 270 und auf Hannover 109 c. Außerdem wurden in außerdeutschen Staaten Europa's an deutschen Büchern gedruckt: in der Schweiz 155, in Ruße land 31, in Ungarn 16, in Frankreich 12, in Belgien 10, in Dänemark 6, in Schweden und England je 1: also zusammen 235 Werke in deutscher Sprache. Die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, wo seit einigen Jahren der Druck deutscher Zeitungen und Bücher außerordentlich zugenommen, dürften in diesem Verzeichnisse außerdeutscher Staaten den zweiten Rang einnehmen und unmittelbar hinter die Schweiz zu rangiren sein.

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., Halbjahrlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür bas Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Hars geliefert wird.

No 134.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bef Beit u. Comp., Jägerstr. Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Riederwallstr. Nr. 21), so wie von allen königl. Poft-Aemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

Australien.

Berlin, Donnerstag den 8. November

Erlebnisse eines musikalischen Missionärs bei den Antipoden. Mishka Hauser, der ungarische Violin-Virtuose, ging als neuer Orpheus zu unseren Antipoden, um die Bestien Kaliforniens und der Inseln jenseits des amerikanischen Westens zu zähmen, die schinken farbigen Unterthanen der Königin Pomare an schönere Musik zu gewöhnen, als die ihrer Wälder, und den Sklaven des Goldes in Sydney zu beweisen, daß nicht Alles Gold ist, was glänzt, und eblere Münzen schöner klingen, als die von tyrannischem, demoralisirendem Golde. Als er vorigen Herbst in Kalifornien die Goldstücke gehörig nach der Pfeife seiner Saiten hatte tanzen lassen, ritt er über den „Stillen“, jezt sehr lauten Ocean, zwar nicht wie Amphion auf dem Rücken eines Delphins, aber doch auf einem Dampfschiffe, das vor Delphinen manche Vortheile voraus hat, um die Sklaven des Goldes zunächst in Sydney von ihrem Entrée und von ihrem Joche zu befreien. Unterweges fiel es ihm aber ein, einen Abstecher auf die Sozietäts-Insel Tahiti oder Otaheiti zu machen, wohin vor dreißig Jahren die Civilisation und bald darauf die Franzosen zuerst ihren Fuß seßten, und dort ein Konzert zu geben. Eine Halle, worin die Eingeborenen erst ihre Gößen angebetet, welche Pomare im höchsten Zorne, daß sie nicht gegen die Franzosen halfen, hernach verbrennen ließ, und worin ein französisches Kriegsgericht die Vertheidigung der Götter und der Königin der Sozietäts-Inseln an den tapferen Eingeborenen „von Rechts wegen“ verurtheilt hatte, war mit herrlichen tropischen Blumen geschmückt und zum ersten Konzertsaale des Landes zurechtgemacht worden, worin die Eingeborenen am 6. Oktober 1854 das erste civilisirte Konzert hören sollten. Der französische Gouverneur und seine Gemahlin mit einer Menge gepußter Offiziere saßen in einer Loge von Palmen-Matten, in der eben so konstruirten Loge gegenüber erschien die barfüßige Königin mit ihren barfüßigen Hofdamen. Die Mitte füllte sich mit gelbbraunen, zum Theil ziemlich über den ganzen Körper barfüßigen Eingeborenen, welche aber auf Ernst's Othello", womit der Virtuose anfing, gar nicht hörten und zunächst fortplauderten, hernach aber fort liefen. Auch die Königin ging bald wieder fort. Der Virtuose fiedelte, daß ihm der Schweiß am Körper herunterlief, kein Beifall, als fortlaufender. Jeßt dachte er: Rette du mich, Humbug! riß also alle Saiten bis auf die G herunter und spielte à la Paganini das Karne Dal Erstaunen, Horchen, Aufsperren breiter Mäuler, Beifallszeichen, Sturm, Raserei! Nur durch Humbug sollte er unter den Leuten, die vor dreißig Jahren noch ihre Feinde auffraßen (??), der Civilisation in ihrer unmittelbarsten, spielendsten, gewinnendsten Form Gastrecht, Anerkennung verschaffen können. Wir übergehen die Schilderung des großen Diner, welches der Gouverneur den Honoratioren der Beam ten und Eingeborenen gab (legtere kamen mit Leibrock, Vatermördern, ziegenledernen Glaçeehandschuhen, aber ohne Ausnahme barfuß, so daß die Civilisation noch keinen Grund gewonnen, noch nicht „Fuß gefaßt“ haben kann), und begleiten den Virtuosen nur noch in das Privat-Konzert, welches er vor der Königin Pomare und deren Hofe gab. Er ließ sich, geleitet von dem Missionär der Königin, nach der Insel Papitee, der Residenz Pomare's, überseßen, einem tropischen Paradiese von Gärten, Häusern, Hütten, Korallenriffen und Naturpoesie, wie sie nach seiner Meinung nirgends schöner aus dem ungeheuren, vieltausendfach durchinselten, friedlichen Ocean hervorblüht. Unter einem Palmen-Haine hin, an den Seiten mit den Hütten des Hofper sonals geschmückt, kamen sie zur Residenz Pomare's im civilisirten Styl mit großen Fenstern und einem Balkon, auch einer großen goldenen Krone auf dem Dache. Aus einem Vorzimmer, dessen Meublement blos aus einem großen, langen Tische bestand, auf welchem ein Minister in tiefstem Negligee ausgestreckt schlief, ward er durch einen langen, mit Trophäen geschmückten Korridor in das Vorzimmer der Kö. nigin geführt, wo sich die Hofdamen anpugten, während er hier seine Violine stimmte, um dann vor die Königin selbst geführt zu werden.

Sie sah auf Palmen-Matten in einem spärlich möblirten, aber reich mit Zig dekorirten Zimmer. Hinter ihr hing ein schlechtes Gemälde. Zwei neben ihr kauernde Damen befächelten sie mit Strauß

1855.

federn. Pomare, etwa sechsunddreißig Jahr alt, ist ziemlich groß, von nobler, schöner Form und majestätischer Haltung. Ihre ausdrucksvollen Gesichtszüge verrathen noch Spuren von Schönheit, obgleich uns die dicken Lippen und der gelbbraune Teint etwas stören. Ihr reiches, schwarzes Haar wurde auf dem Wirbel von einem großen Kamme und um die Stirn durch einen einfachen Goldreifen zusammengehalten. Ihr lichtblaues Mousselin-Gewand, weit und offen um die Schultern, an der Taille zusammengezogen, reichte kaum bis an die Kniee ihrer nackten Beine, die nur um ihre rothgefärbten großen Zehen mit gol, denen Ringen und um die Knöchel, wie die Arme, mit Korallen und Muscheln geschmückt waren.

Anfangs war auch Pomare unachtsam und plauderte fort mit ihren Damen, während der Virtuose mit aller Macht die kostbarsten Compositionen spielte. Erst Variationen zum „Yankee Doodle" feffelten sie. Sie nickte und horchte, schickte dann nach ihren zwei Kindern, dem etwa achtjährigen Prinzen, der in die Hände klatschte, und der Prinzessin von etwa dreizehn Jahren, die gar ohne Weiteres in ihrer Herzensfreude danach zu tanzen anfing. Jest ließ die Königin die Thüren öffnen, durch welche nun das ganze Hofpersonal hereinpurzelte und den Virtuosen neugierig umdrängte. Besonders unbequem wurde der riesige, barfüßige Gemahl der Königin, natürlich ein Eingeborener, der Hände, Bogen, Saiten, Jnftrument und Ellenbogen des Spielenden betappte und dadurch die anderen Hofleute, männliche und weibliche, ermuthigte, ihn ebenfalls von allen Seiten zu inkommodiren. Er ließ das merken, und die Königin, ärgerlich darüber, schickte bald das ganze Publikum, den Gemahl mit, wieder fort und blieb mit dem Virtuosen allein. Jezt untersuchte sie die Geige, berührte die Saiten und gab sie dann zurück. Hauser spielte eine otaheitische Melodie, worüber sie große Freude äußerte. Dann folgte eine kurze Unterhaltung. Sie fragte, ob er ein Franzose sei, und als er dies verneinte, gab sie ihm die Hand und flüsterte: „Ich kann diese Franzosen nicht leiden!" Natürlich. Sie haben ihre königliche Macht zu einem Schatten ausgehöhlt und eine Civilisation eingeführt, welche die Unterthanen gescheidter macht, aber durch Wein, Branntwein, Betrug und Verstellung verdirbt. Zu Ende nahm die Königin ein kleines goldenes Kreuz von ihrer Halskette und überreichte es dem Virtuosen mit den Worten: Nimm dies als Andenken von Pomare."

"Ich verbeugte mich", schließt er,,,ward entlassen und von dem Missionär von dem Schlosse nach der Insel Papitee zurückbegleitet. Ich werde mein Konzert auf Tahiti, das erste, welches die Infulaner mit der Kunst bekannt machte,,,wie Vögel auf dünnen Drähten zu pfeifen", nie vergeffen. Morgen betrete ich wieder die Wogen, die mich nach Australien führen sollen."

Die Schilderung von Sydney und seines ersten Konzertes daselbst geben wir im Wesentlichen mit seinen eigenen Worten, überseßt aus dem Briefe an einen Freund und Protektor in London, da sie ein drastisches und wahres Bild von den Sitten und der Lebens- und Anschauungsweise der australischen Hauptstadt geben und uns außerdem mit einem neuen Geschäftsstyl in Redaction von Zeitungen bekannt machen, der in unserer alten Civilisation nur unter der Hand praktizirt wird, besonders von etablirten musikalischen Referenten:

,,Wir brauchten fünf traurige Wochen von Tahiti bis Port Jackson. Durch dichten Nebel fuhren wir am 25. November ein. Die aufgehende Sonne enthüllte uns aber bald die Fata Morgana Sydney's zwischen den zwei Vorgebirgen, welche den ungeheuren Hafen stärker schüßen, als die Forts auf denselben. Reizende Wälder und Parke, aus denen niedliche Villas und prächtige Palafte hervorleuchten, reihen sich um die Wälder von Masten, an denen Flaggen aller Nationen flattern. Am Landungsplaße umschwärmten uns wie Bienen alle Raçen und Nationen in den verschiedensten Farben und Formen. Sydney ist der Brennpunkt alles Handels auf dem Stillen Meere, womit Melbourne wegen der unglückseligsten Lage für den Seehandel vergebens siegreich zu konkurriren sucht. Es ist Residenz der Regierung von Neu-Süd-Wales und hat auch aus diesem Grunde viele Vorzüge vor Melbourne. Große Paläste, drei Theater, viele Banken, ein Waisenhaus, eine naturwissenschaftliche und eine Agrikultur-Gesellschaft, ein topographisches Bureau, mehrere Hospitäler, Schulen, Gymnasien, ein

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