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Vergleicht man die betreffende Stärke der einzelnen Auflagen mit einander, so stellt sich ein noch bei weitem größerer Zuwachs heraus, denn vor zwanzig Jahren wagte noch Niemand von 300,000, 75,000, 30,000 oder auch nur 10,000 Exemplare starken Auflagen zu träumen, während die lezte Zahl gegenwärtig etwas ganz Gewöhnliches ist.

Was die technische Ausstattung der Verlags-Artikel angeht, stehen die Fortschritte der Vereinigten Staaten nach der Ansicht des Herrn Putnam denen keiner europäischen Nation nach. Wenn nicht jedes der neu verlegten Werke gut ausgestattet ist, so muß man bedenken, daß die Anzahl der neuen Bücher, welche hier jährlich im Durchschnitte fabrizirt werden, nicht weniger als 2,400,000 beträgt. Mit Ausschluß der Bibeln, Schulbücher und Vereins-Publicationen, beträgt die Anzahl der gedruckten und nachgedruckten Bände jährlich 8,000,000. Die Schulbücher allein vermehren diese Zahl um weitere zwölf Millonen. Das Riesen-Etablissement der Gebrüder Harper produzirt jährlich über eine Million Bände, und die Firma Lippincott in Philadelphia liefert Jahr aus Jahr ein täglich funfzig Kisten. Dann vergeffe man die 2000 Zeitungen und 200 anderen periodischen Schriften nicht, die in diesem Lande erscheinen und von denen einige eine Auflage von 150,000 Exemplaren erreicht haben.

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Mangel an Pflege umzukommen. Wir sollten daher auch nicht vergessen, wenn wir die Total-Summe unserer Bücherfabrication und der Papierbündel, die wir verbrauchen, berechnen, daß die Menge der Materie nicht der Maßstab des Geistes ist. Mögen wir aber unseren Ueberfluß an Patriotismus noch so sehr berücksichtigen, so können wir doch nicht umhin, zu wünschen, der gelehrte Sheriff von Glasgow und seinesgleichen jenseits des Oceans möchten mit Brillen versehen sein, die etwas weniger vom Staube der Unwissenheit und des Vorurtheiles getrübt find. Es läßt sich beweisen, daß unsere Literatur der Quantität wie der Qualität nach eine günstigere Beurtheilung von Seiten jener Herren verdiente.“

Nach der Rede des Secretairs kamen die Toaste an die Reihe, die von verschiedenen Gäften theils in fein ironischer (z. B. vom Dichter Bryant), theils in dithyrambischer Weise beantwortet wurden.

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Mannigfaltiges.

Englische Roman - Literatur. Unter den spekulativen Verlagshandlungen, welche sich die löbliche Aufgabe gestellt haben, die Massen zu soliden Preisen" mit geistiger Nahrung zu versehen, zeigt fich das Londoner Haus Routledge als eine der rührigften. Außer der Popular Library", einer Sammlung älterer und neuerer Klassiker, der Family Sacred Library", religiösen Inhalts, und anderen Publicationen dieser Art, giebt daffelbe die „Railway Library" heraus, welche bereits bis zum 103. Bande gediehen ist und wohlfeile Abdrücke der beliebtesten englischen Romane in sich schließt, worunter sich indeffen auch einige Ueberseßungen aus dem Französischen und Deutschen finden, wie z. B. ein uns nicht näher bekanntes Werk von L. Rellstab der polnische Uhlane".") Die leßte Unternehmung des Herrn Routledge ist die Herausgabe einer Reihe von neuen Original-Romanen, für welche er einige der populärsten Novellisten Englands gewonnen haben will, obgleich die bis jezt von ihm genannten Namen uns eben nicht in diese Kategorie zu gehören scheinen. Der bedeutendste unter ihnen ist wohl James Grant, ein sehr fruchtbarer, vorzugsweise durch seine ,,Romance of War" bekannter Schriftsteller, deffen Beitrag zu der Sammlung, ein historischer Roman unter dem Titel: „Die gelbe Fregatte, oder die drei Schwestern“,oo) uns gegenwärtig vorliegt. Er spielt zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts, in einer der dunkelsten Perioden der an Gräuelthaten so reichen schottischen Geschichte, und erzählt das traurige Schicksal der heimlichen Gemahlin König Jakob's IV., der schönen Margarethe Drummond, und ihrer Schwestern. Aus den Chroniken der Zeit weiß man, daß Johann, Lord Drummond,

Auf den Vorwurf der Engländer, daß die amerikanischen Verleger vom Nachdrucke englischer Werke leben, während die besseren amerikanischen Schriftsteller ihre Werke in London verlegen laffen, um sich für ihre Arbeit einen gebührenden Lohn zu sichern, antwortet er, daß man allerdings zugestehen müsse, Amerika habe an England noch eine große Schuld abzutragen für die geistigen Schäße, welches es sans façon vom alten Mutterlande geborgt"; allein es stelle sich mehr und mehr eine Reziprozität in dieser Praxis heraus, bei der England nachgerade als der gewinnende Theil erscheinen muß, wenn man gewissen Zahlen trauen darf. Im Jahre 1834 wurden in Amerika 252 Original- und 198 nachgedruckte Werke verlegt, im Jahre 1853 hingegen 420 Original- und 278 nachgedruckte Werke. Auf der anderen Seite wurden in England bis 1842 im Ganzen 382 amerikanische Werke nachgedruckt; im Jahre 1854 war diese Zahl schon auf 950 geftiegen, und davon kommen allein auf das Jahr 1853 119 und auf das Jahr 1854 184, d. i. in den zwei legten Jahren fast eben so viele,,vier Töchter hatte, von welcher eine, Margarethe, von JakobIV. so 'als früher in 60 Jahren zusammengeno.nmen.

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Herr Putnam blieb bei dieser Schilderung der bloßen Aus dehnung amerikanischer Bücher-Production nicht stehen; er bemühte sich auch den inneren Werth der neuesten National-Literatur nachzu weisen, und Jeder, der mit den Werken der Schriftsteller, die er auf zählte, nur einigermaßen vertraut ist, wird zugeben müffen, daß sein Bemühen kein fruchtloses war. Die Posten, welche er unter dem Titel,,Naturwissenschaften“ aufführte, z. B. die Naturgeschichte des Staates New-York in 20 Quartbänden mit vortrefflichen Abbildungen, die Berichte über die Erforschungs- und Vermessungs-Expeditionen der Vereinigten Staaten Regierung in mehr als 100 Duart- und Foliobänden, 500 Bände naturhistorischer Forschungen im Auftrage einzelner Staats-Regierungen und wissenschaftlicher Gesellschaften — größtentheils Werke, welche Namen der ausgezeichnetsten Fachgelehrten an der Stirn tragen- können sich zum Theil mit den besten Erzeugnissen der gleichnamigen Literatur der gebildetsten europäischen Nationen meffen, ja, einige derselben stehen einzig in ihrer Art da. Eine Bemerkung, welche der Geschichtschreiber Alison (ein Schotte) in seinem großen Werke über die literarische Befähigung der Amerifaner machte - ,,Literarische und geistige Fähigkeiten erster Größe find in Amerika verhältnißmäßig felten" — gab Herrn Putnam Veranlaffung zu einer Erwiederung, deren Eingang wir wörtlich anführen wollen, weil er den Beweis liefert, daß man Kenntniß der eigenen Schwächen und milde Beurtheilung ausländischer Einseitigkeit bei gebildeten Amerikanern eben so gut findet, wie bei gebildeten Europäern. Herr Putnam sagt:

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sehr geliebt wurde, daß er sie zu heiraten wünschte; da sie aber in den verbotenen Graden verwandt waren (Robert III., der Ur-Urgroßvater Jakob's, hatte nämlich eine Drummond zur Frau gehabt) und einer Dispensation vom Papste bedurften, so ließ der ungeduldige Monarch sich heimlich trauen, und aus dieser verstohlenen Ehe entsprang eine Tochter, die sich später mit den Grafen von Huntley vermählte. Als die Dispensation endlich ankam, beschloß der König, seine Hochzeit öffentlich zu feiern; allein die Eifersucht des Adels gegen das Haus Drummond gab Anlaß zu dem grausamen Plan, Margarethe durch Gift aus dem Wege zu räumen, damit ihre Familie nicht den Ruhm genießen möge, dem schottischen Throne zwei Königinnen zu geben. So viel ist sicher, daß Margarethe Drummond, so wie Euphemie und Sybille, ihre Schwestern, plöglich zur selben Zeit starben, unter Symptomen, welche starken Verdacht einer Vergiftung erregten, die, wie man glaubte, beim Frühstück stattgefunden haben müsse." Des größer.n Effekts halber, läßt der Verfaffer den drei Schwestern beim Abendmahl eine vergiftete Hostie beibringen ein Procedere, das, wie er aus historisch beglaubigten Vorgängen zeigt, in Schottland, wie in anderen Theilen Europa's (man denke an Heinrich VII.), nicht ganz ungewöhnlich war. In der Ausmalung solcher und ähnlicher Nachtstücke, z. B. der Ermordung König Jakob's III. auf der Flucht vor seinem Sohne und seinen empörten Vasallen, entwickelt Herr Grant ein nicht zu verachtendes melodramatisches Talent, das sich aber auch nirgends über das Melodramatische erhebt. Den Titel der „gelben Fregatte" führt das Buch von dem Flaggenschiff Sir Andrew Wood's, eines tapferen alten Seem nnes, dessen Thaten in manchen schottischen Volksliedern befungen werden und der, als Alles den unglücklichen Jakob verließ, ihm bis in den Tod getreu blieb.

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„Wir wissen Alle recht wohl, daß unter den Fehlern in unserem National Charakter, welche sie auch immer sein mögen, übermäßige Bescheidenheit in der Beurtheilung unserer eigenen Größe gerade nicht der hervorragendste ist. Wenn dieses Land in der That ein großes ist, so find wir nicht gewohnt, feine Größe zu übersehen oder der Welt **) The Yellow Frigate: or, the Three Sisters. By James Grant. zu gestatten, daß sie unsere Tugenden und größen Eigenschaften ver-London: G. Routledge & Co., 1855. Berlin, A. Asher & Comp. gißt. Unsere National-Eitelkeit läuft durchaus nicht Gefahr, aus

*) Vielleicht eine Bearbeitung des Romans 1812".

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Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und viertelfährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 132.

für die

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Literatur des Ausland ́es.

Italien.

Mailand im Jahre 1796.

Berlin, Sonnabend den 3. November

Aus den Erinnerungen H. Beyle's (de Stendhal's).°) ...Herr Robert, einer der schönsten Offiziere der französischen Armee, kam den 15. Mai 1796 nach Mailand, wurde in den Palast der Marquise A. einquartiert und von der Dame zu Tische geladen. Er zog fich sorgfältig an, bis auf die Schuhe, die ihm fehlten; wie gewöhnlich, wenn er in eine Stadt einrückte, befestigte er das von seinem Burschen wohlgewichste Oberleder mittelst kleiner Schnüre, allein von Sohlen nicht die Probe. Er fand die Wirthin so schön und war in solcher Angst, die bei der Tafel aufwartenden Lakaien in prachtvoller Livrée könnten seine Dürftigkeit merken, daß er ihnen beim Weggehen ein Sechsfrankenstück, seinen ganzen Reichthum, in die Hand drückte. Robert betheuerte mir, daß die drei Offiziere seiner Compagnie zu sammen nur ein Paar leidlicher Schuhe besaßen, die sie einem öfterreis chischen bei Lodi getödteten Offizier abgenommen hatten. So sah es auch in allen Halbbrigaden aus. Gewiß könnte man sich heutzutage von der Entblößung und dem Elend dieser alten französischen Armee schwerlich eine Vorstellung machen. Was der erfinderische Geist unserer jugendlichen Zeichner an seltsamen Karikaturen schafft, bleibt hinter dieser Wirklichkeit zurück. Die Reichen dieser Armee besaßen Affig naten, und die Affignaten waren in Italien ohne allen Werth. - Die ganze Garderobe zweier Offiziere der eine war Bataillonschef, der andere Lieutenant beide fielen später in der Schlacht am bestand, neben drei Hemden, aus einem Uniform Oberrock mit Klappen, einem Frack und einem Beinkleid von nuß braunem Kasimir, Alles an zehn Stellen jämmerlich geflickt. Sie mußten nun mit einander so wechseln, daß, wenn der Eine Frack und Hofen, der Andere den Oberrock zugeknöpft trug, um so die nackten Schenkel zu bedecken. In Piacenza erhielten sie das erste Silbergeld, ein piemontesisches Achtehalb - Sousstück, wofür sie die gemeinsamen Beinkleider anschafften.

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Ich übergehe andere derartige Einzelnheiten, die heute kaum Glauben fänden. Nichts, außer ihrer Tapferkeit und Beharrlichkeit, kam der Noth dieser Armee gleich. Begreiflich genug, da Soldaten and Offiziere in der Blüthe der Jugend waren. Mit Ausnahme einiger Husaren von Berching, die der brave Stengel aus dem Elsaß herbeigebracht hatte, gehörte die größte Mehrzahl dem Languedoc, dem Dauphiné, der Provence, dem Roussillon. Oft, wenn die Soldaten ihren schmächtigen und jugendlichen Feldherrn --- Napoleon war beim Einmarsch in Mailand noch nicht siebenundzwanzig Jahr alt - vorbeigehen sahen, bemerkten sie, er sei doch der Aeltefte unter ihnen.

Auch der erfahrenfte Philosoph hätte es schwerlich diesem jungen Feldherrn, der unter dem schönen Triumphbogen der porta Romana feinen Einzug hielt, angesehen, daß zwei Leidenschaften in seiner Bruft wogten: die feurigste Liebe, von der Eifersucht bis zum Wahnsinn geSteigert, und der glühendste Haß, von schwarzem Undank und bornirter Dummheit hervorgerüfen.

Der Feldherr sollte die eroberten Länder organisiren; die französische Armee hatte hier warme Freunde und wüthende Gegner; unter den letteren waren unglücklicherweise die meisten Weltgeistlichen und alle Mönche. Dagegen hing die Bürgerschaft und ein guter Theil des Adels der Freiheit an. Drei oder vier Jahre früher, vor den Schrecken thaten des Jahres 1793, war die gesammte Lombardei für Reformen und französische Freiheit begeistert. Die Zeit fing an, einen Schleier über die Verbrechen zu werfen, und doch plagte die erzherzögliche Regierung seit zwei Monaten aus Angst vor der Freiheit die Mailänder mit ihren Proclamationen, worin diese Freiheit aufs heftigste verflucht wurde. Nun aber muß man wissen, daß die Mailänder ihren

*) Oeuvres complètes de H. Beyle (de Stendbal). Der Verfasser hatte die Absicht eine Geschichte Napoleon's I. zu schreiben, woraus das Gegenwärtige eine interessante Episode ist. D. N.

1855.

Fürsten, der keine andere Leidenschaft hatte, als Kornwucher zu treiben, gründlichst verachteten. Und ein Volk in solcher Stimmung, das wollte der Erzherzog für das Haus Desterreich entflammen! Es ist spaßhaft, wenn der unglückliche Despotismus sich an Vernunft und Gefühl wendet. Der Einzug der Franzosen in Mailand war für Heer und Bürger ein Festtag.

Seit dem Tage bei Montenotte begleiteten die Wünsche des lom bardischen Volkes die Siege der Franzosen; bald erfaßte es eine Leidenschaft für sie, die noch dauert. Bonaparte zog durch das Spalier einer zahlreichen Nationalgarde, in die lombardischen Farben, grün, weiß und roth gekleidet. Diesen Beweis von Vertrauen in feine Erfolge rührte ihn. Was wäre aus den armen Leuten geworden, wenn Desterreich die Lombardei wiedererobert hätte! Wo hätte Herr von Thugut tiefe Kerker genug gefunden für die so Gekleideten, die Schneider, die Tuchhändler u. s.w.? Ueberdies wurde diese schöne Nationalgarde von einem der vornehmsten Edelleute des Landes, von dem Herzog von Serbelloni, kommandirt. Die,,Hoch" erschollen durch die Lüfte, die schönsten Frauen waren an den Fenstern. Von diesem Abend ab waren die französische Armee und das Mailändische Volk Freunde.

Der gleichmachende Despotismus hatte Volk und Adel näher gebracht. Der italiänische Adel hatte zudem mit dem dritten Stande in viel innigerer Berührung gelebt, als der französische und deutsche; er war nicht durch die Scheidewand verbriefter Vorrechte von diesem getrennt; man bedurfte nicht, wie in Frankreich, der Ahnenprobe, um Offizier zu werden. Die Lombarden hatten sich durch eine Geld-Abgabe vom Kriegsdienst losgekauft. Endlich war der Mailändische Adel ein hochgebildeter. Er zählte in feinen Reihen die Beccaria, die Verri, die Melzi und hundert andere minder berühmte, aber eben so wiffenschaftlich ausgezeichnete Namen. Die Mailändische Bevölkerung ist von Natur gut, und die Armee erhielt davon in dem ersten Moment einen sichtlichen Beweis: viele Landgeiftliche fraternifirten mit den Soldaten. Freilich erfuhren sie Lages darauf strengen Ladel von Seiten ihrer Vorgeseßten.

Beim Einmarsch der Franzosen erreichte die Bevölkerung Mailands kaum die Zahl 120,000. Man hatte es sorgfältig unter den Soldaten verbreitet, daß die Stadt 580 v. Chr. von Galliern gegründet, oft von den Deutschen unterjocht und im Kampfe für ihre Freiheit dreimal zerstört worden war. Die guten Mailänder, das sanfteste Volk Italiens, nur mit dem Lebensgenuß beschäftigt, haßten keine Menschenseele. Desterreich war erst seit 1714 im Befig dieser liebenswürdigen Stadt und der Lombardei; es hatte durchaus nicht gesucht, das Volk abzustumpfen, um es auf den gemein sinnlichen Genuß zu reduziren. Die Kaiserin Maria Theresia hatte die Lombardei vernünftig und wahrhaft mütterlich verwaltet. Sie wurde darin vortrefflich unterstüßt von dem General-Gouverneur, Grafen Firmian, der, weit entfernt, die ersten Männer des Landes einzusperren oder zu verweisen, gern auf ihren Rath hörte. Er pflog Umgang mit dem Marchefe Beccaria (Verfaffer des Werkes:,,Ueber Verbrechen und Strafen"), dem Grafen Verri, dem Pater Frift, dem Profeffor Parini u. A. Diese Männer strebten redlich, Alles, was man 1770 von den Regeln des Staatshaushalts und der Gefeßgebung wußte, auf die Lombardei anzuwenden.

Der gesunde Sinn und die Herzensgüte der Mailänder athmen in der Geschichte Mailands des Grafen Pietro Verri. Solche Werke erschienen nicht in Frankreich um das Jahr 1780, besonders wurde Frankreich nicht so wie die Lombardei verwaltet. Man vergeffe nicht, welche Verfolgungen Turgot zu bestehen hatte, weil er in die Kommunalverwaltung and in das inländische Zollwesen einige von den Regeln einführen wollte, die Graf Firmian und Marchese Beccaria der Verwaltung der Lombardei zum Grunde legten. Man kann fagen, der Despotismus sei in diesem Lande von den hellbenkendsten Männern gehandhabt worden und habe das Beste der Unterthanen in Despotismus gewöhnt, der seit Karl V. 1530 Mailand mit dem Stab der That gefördert; allein anfangs war man nicht an diese Milde des Wehe regiert hat. Der Sieg Beccaria's war freilich nicht gefahr

los; er fürchtete nicht ohne Grund eine unfreiwillige Sendung auf den zeitigen Spielberg.

Aus diesem Gesammtbilde von Thatsachen ergiebt sich, daß, bei der Abwesenheit schreiender Mißbräuche, eine blutige Reaction, eine Schreckenszeit von 1793, in der Lombardei von 1796 keinen Boden fand. Der Despotismus arbeitete gegen sich selbst, indem er Männer wie Beccaria und Parini ans Ruder stellte. Den weisen Rathschlägen des Erfteren, der trefflichen Erziehung, die der Leßtere dem ganzen Adel und der reichen Bürgerschaft gab, verdankte das Mailändische Volk die Befähigung, das, was in den Proclamationen Bonaparte's Ehrliches war, zu begreifen. Es sah sofort ein, daß man von dem jungen Feldherrn teine öffentlich aufgerichtete Guillotine in Permanenz, wie sie die Parteigänger Defterreichs in Aussicht stellten, zu fürchten habe. Ich vergaß, zu bemerken, daß der Despotismus, aus Angst vor einem 1793, in sein altes Treiben verfallen war und den verdienten Abscheu hervorgerufen hatte.

Die Begeisterung für die Franzosen war also in der ersten Zeit aufrichtig und allgemein; nur Einige vom Adel und der Prälatur machten eine Ausnahme. Später nahm die Begeisterung etwas ab; man wollte den Grund der herrschenden Noth in der Armee finden. Der gute Mailänder wußte nicht, daß die Anwesenheit eines Heeres, selbst eines befreundeten, stets eine große Last für Alle, nur nicht für die hübschen Frauen sei, die von dem Uebel der Langweile geheilt werden. Und eine Armee von lauter jungen Männern war ganz dazu geschaffen, den Freiheit liebenden Schönen die Köpfe zu verdrehen.

Da nach einem solchen langen Zwischenraum leider keine persönlich verlegende Indiscretion zu besorgen ist, so dürften hier einige romantische Erinnerungen eine Stelle finden.

Bald in den ersten Tagen machte ein Liebeshandel des Generals Berthier in der Armee von sich reden. Die schöne Fürstin Visconti soll anfangs den Versuch gemacht haben, ihre Pfeile gegen den Oberfeld herrn selbst zu richten; da sie aber noch zu rechter Zeit bemerkte, daß der schußfest sei, so nahm sie ihr Ziel eine Stufe tiefer, und hier war der Erfolg ein vollständig gelungener. Diese Liebe begleitete den Günftling Napoleon's bis in den Tod, der 1815 erfolgte. . (Schluß folgt.)

Frankreich.

Nichtpolitische Briefe aus Paris. (Schluß.)

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Während ich dies schreibe, haben die leßten Arbeiten der Jury über die Preis-Vertheilungen bereits angefangen. Der Kampf ist ein harter, denn die ausnahmsweise Belohnung durch die große goldene Medaille giebt zu so vielen Auslegungen und Reclamationen Veranlafsung, daß es sehr schwer hält, sich zu einigen. So hat z. B. eine Anstalt, die auf die große goldene Medaille Anspruch hatte, die Berliner königliche Porzellan-Manufaktur, diese Medaille nicht erhalten. Es sollen für Keramik nur zwei ausgetheilt werden, und zwar eine an die Sèvres-Fabrik und eine an Minton in London. Sèvres hätte billigerweise ganz ausgeschlossen bleiben können, denn es fällt Niemanden ein, dem Porzellan dieser mit den ungeheuersten Koften unterhaltenen kaiserlichen Fabrik den ersten Rang streitig zu machen, und was Minton betrifft, so sind seine Erzeugnisse allerdings bewundernswürdig, aber gleichwohl hat er keine solche Prachtstücke ausgestellt, wie die Vasen der Berliner königlichen Porzellan-Manufaktur. Das Publikum hat leßtere übrigens glänzend belohnt; denn mit Ausnahme der großen, sehr theuren Stücke ist fast Alles hier verkauft worden.

Noch größer sind die Schwierigkeiten in der Kunst-Ausstellung. Hier sollen im Ganzen nur fünf große Medaillen, und zwar drei für die Malerei, eine für Skulptur und eine für Architektur ausge theilt werden. Nun hat Preußen allein auf drei goldene Medaillen Anspruch gemacht, nämlich für Cornelius, Kaulbach und Rauch. Allem Anscheine nach, wird auf Preußen gar keine fallen. Die meiste Ausficht hätte allerdings noch Rauch. Cornelius und Kaulbach haben betanntlich nur Cartons zur hiesigen Ausstellung geschickt: Ersterer die bekannten apokalyptischen Reiter und die neue Jerusalem aus den Compofitionen des Campo santo, und Leßterer die Völkerscheidung, die Sage, die Geschichte und einen Theil des Frieses aus dem Treppenhause des neuen Museums. Bei keiner Gelegenheit konnte man ein solches Abweichen des französischen und des deutschen Kunst-Geschmackes, ein so gründliches Auseinandergehen der Richtung, des Urtheils, ja, der Begriffe von Schön und Unschön wahrnehmen, wie bei dieser. Wir Deutschen können auf unsere Kunstkritik stolz sein, wir sind die eigentlichen Kunst-Kosmopoliten, denn wir versenken uns in das Fremde so weit, daß wir oft das einheimische Verdienst darüber vergessen. Nun kommen auf einmal die Franzosen und sagen: wir wären alle Narren, Cornelius und Kaulbach wären keine Maler, Overbeck wäre eher einer, aber seine Kunstrichtung sei ebenfalls eine falsche. Man

glaube etwa nicht, daß ich übertreibe. Ich habe mit Bekannten, welche in Paris die große Feder führen, vor den vier apokalyptischen Reitern gestanden und einen von ihnen fagen hören: es giebt keinen Schüler der Pariser Ecole des beaux arts, der nicht beffer zeichnet, als Herr Cornelius. Von Kaulbach sagte mir neulich einer der bedeutendsten französischen Maler, derjenige, der vielleicht der deutschen Kunstrichtung am nächsten steht, daß er sich zu Cornelius wie ein Schüler zum Meister verhalte.

Jedes Urtheil fann an einen Punkt ankommen, wo eigentlich jeder Preis unmöglich ist: dieser Punkt ist nämlich der, wo der Gegner die Evidenz leugnet. Wer vor einem Spiegel steht und starr leugnet, einen Spiegel vor sich zu haben, dem ist die Existenz des Spiegels zu beweisen. Auch ist blutwenig geschehen, wenn man sich mit Spißfindigkeiten hilft, wie ein Gemälde soll kein Buch sein“ u. s. w., das wiffen wir Alles längst, ja, wir Deutschen haben einen Mann gehabt, der die Gränzen der Malerei für alle Zeiten und für alle Völker festgestellt hat; wir haben daher in diesem Punkte von den Franzosen nichts zu lernen.

Es ist möglich, daß ein Zögling der Pariser Maler-Schule richtiger zeichnet, als Cornelius, es ist sogar wahr, daß Horace Vernet, Delaroche, Ingres, ja, die unbedeutenderen französischen Maler beffer malen, als Cornelius. Und dennoch ist Cornelius ein Künstler ersten Ranges, dennoch ist sein Malen ein höheres als das der meisten französischen Maler, dennoch weht aus seinen Werken ein so erhabener Geist, wie es bei keinem der französischen Maler, Ingres nicht ausgenommen, zu finden ist. Ich gehe noch weiter und spreche aus meinem Innerften die Ueberzeugung aus, daß der Styl von Cornelius, gerade das viel getadelte Ueberfinnliche, wegen der ungeheuren Konsequenz, mit der es durchgeführt ist, wegen der vollständig abgeschloffenen Welt, die in ihm liegt, den Werken unseres deutschen Meisters eine längere Dauer zusichert, als den meisten französischen. Wollt Ihr es nicht Malerei nennen, so nennt es Zeichnung, Stizzirung, wie Ihr wollt, aber diese Zeichnungen aus der Geschichte der Kunst wieder auszukraßen, dürfte Euch doch etwas schwer werden. Ich geftehe, daß ich mit Wehmuth von einigen talentvollen deutschen Schriftstellern Del auf das Feuer habe gießen und die Werke von Cornelius habe herabwürdigen sehen. Ich begreife dies eben so wenig, als die Vergötterung des französischen Realismus, der, so groß sein Verdienst auch sein mag, für die Zukunft der Kunft eben so gefährlich ist, als der Abweg nach der spiritualistischen Richtung hin. Man sehe sich die vortreffliche wohlfeile Ausgabe des Campo santo, die bei Georg Wigand in Leipzig erschienen ist, an, ich bin überzeugt, daß man einen erhebenden Eindruck zurückbehalten wird.

Kaulbach spricht die Franzosen weit mehr an, als Cornelius, aber fie finden eben, daß er auf Cartons Bücher schreibt. Die ungeheure Aufgabe, welche Kaulbach gegenwärtig im Treppenhause des neuen Museums zu Berlin löft, und die darin besteht, die Entwickelung des Menschengeschlechtes in den Hauptphasen der Geschichte darzustellen, hat allerdings ein Zusammenziehen von Thatsachen nothwendig gemacht, die eine symbolische Stellung zu einander haben müssen und darum ein tieferes Eingehen auf die Absichten des Künstlers erfordern. Es ist nun wieder sehr leicht, diese Richtung Kaulbach's schlechtweg mit der Phrase zu verwerfen, daß diese Nothwendigkeit, sich die Absichten des Künstlers erst zu erklären, ein Fehler sei; ein Bild müsse vor allen Dingen verständlich sein. Dieses Leßtere zu leugnen, wird keinem vernünftigen Menschen einfallen; nur erlaube ich mir die Bemerkung, daß Kaulbach's Bilder sehr verständlich find, und daß man nur die Hauptbeziehungen zu dem Ereigniß, das er darstellt, zu kennen braucht, um das Bild vollständig zu verstehen. Bei dem Fries ist dies allerdings weniger der Fall, aber die Arabesken, die ihn bilden, find auch, ohne daß man den tieferen Sinn, der in ihnen liegt, þerausfindet, schön. Ich habe bemerkt, daß das französische Publikum Kaulbach's Werke mit großer Anerkennung betrachtet, nur die sogenannte Kritik, diese meißtentheils flache, in Spißfindigkeiten sich ergehende Journalisterei, hat Kaulbach's große Verdienste auzuerkennen, fich geweigert. Und doch hat die ganze französische Bilder-Ausstellung keine Composition, wie die Völkerscheidung, so wahrhaft großartig, so voll tiefer und erhabener Gedanken, und so herrlich, so rein plastisch ausgeführt. Ich habe die Völkerscheidung übrigens in Berlin ausgeführt gesehen und finde den Vorwurf, daß diese Composition nur in den Cartons Wirkung mache, vollständig unbegründet. Das Berliner Wandgemälde läßt das Gewaltige der Zeichnung noch weit mehr hervortreten. Auch der bei Arnold in Dresden erschienene Stich ist ganz vortrefflich. Gegenwärtig befindet sich der talentvolle Kupferstecher Louis Jacoby hier, um für das große, bei Alexander Duncker in Ber lin erscheinende Werk, das die sämmtlichen Kaulbachschen Bilder des Treppenhauses enthalten wird, die,,Hunnenschlacht“ zu stechen. Die Sage", diefe tiefpoetische Gestalt Kaulbach's, und das Gegenstück dazu, die „Geschichte“, verdanken wir bereits dem Griffel dieses zu den schönßten Hoffnungen berechtigenden Künstlers.

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Ein hiesiger Kunstverleger hat, wie ich höre, die Absicht, einen Stich von Karl Suhrlandt's Lauenburger Ele" (nach dem Märchen von Klemens Brentano) herauszugeben. Der Künstler, dessen Werk sich selbst noch auf der Kunst-Ausstellung befindet, nimmt aber, wie ich höre, Anstand, das Bild stechen zu lassen, bevor er nicht der ZuStimmung des einstigen Acquirenten sicher ist.

Eine der interessantesten Ausstellungen im Industrie-Palast ist die der deutschen und besonders der preußischen Buchhändler, Leipzig hat sich sonderbarerweise nur wenig betheiligt. F. A. Brockhaus hat von dort das bedeutendste Lager ausgestellt und einen sehr elegant ausgestatteten Katalog zur Verfügung des Publikums gestellt. Dieser französisch und deutsch gedruckte Katalog giebt als Einleitung eine er läuternde Notiz über das Haus und dessen Verlag. Die Ausstellung von Brockhaus zerfällt in vier Sectionen, die sich auch äußerlich durch verschiedene Einbände von einander unterscheiden. Die erste enthält die Zeitschriften, die encyklopädischen Werke und die Bibliographieen, die zweite die rein wissenschaftlichen Werke, die dritte die deutsche Literatur, und die vierte die auswärtigen Literaturen. Der ausgezeichnete Verlag von Brockhaus findet hier große Anerkennung. Hervor ragend find ferner Justus Perthes aus Gotha mit seinem berühmten geographischen Verlage; T. D. Weigel mit seinen Denkmalen deutscher Baukunft und mit den Holzschnitten berühmter Meister; Hirzel mit Grimm's Wörterbuch; Hinrichs mit seinem Tischendorff und mit dem Heinschen Atlas; Heinrich Keller (Schmerber) in Frankfurt mit seiner wundervollen Ausgabe der Kunstwerke und Geräthschaften des Mittelalters und mit den Costumes du moyen age chrétien. Diese Werke erregen hier allgemeine Sensation.

Am meisten hat sich in der Bücher-Ausstellung Berlin ausgezeich net. Die preußische Regierung hat ihr eine ganz besondere Sorgfalt zugewendet und von dem talentvollen, hier lebenden Architekten Hoffmann eine Loge eigens dazu erbauen laffen, die zu dem Geschmackvollften und Schönsten gehört, was die ganze Ausstellung befißt. Die hintere Wand dieser Loge ist ganz von den eingerahmten Blättern des Prachtwerkes „altchriftliche Baudenkmale von Konftantinopel" (Berlin, bei Ernst & Korn) und von den Vorlegeblättern für Künstler und Handwerker eingenommen, die von den Franzosen sehr bewundert werden. Zu beiden Seiten der Loge sieht man die Büßten von Schinkel und Beuth. Ernst & Korn (Gropius) in Berlin haben außerdem noch das bekannte vortreffliche Werk von Ternite über Pompeji, dann die Alterthümer des Hauses Hohenzollern von Freiherrn v. Stillfried, Hißig's Bauwerke und das architektonische Skizzenbuch ausgestellt.

Auf dem Tische, der sich unmittelbar an die Loge anlehnt, sehen wir den prachtvollen, in seiner Art unvergleichlich dastehenden Verlag von Riegel. Schinkel's Meisterwerke: der Entwurf zu einem Königs palaße auf der Akropolis und die Entwürfe zu dem Schloffe Orianda in der Krim, stehen in glänzenden goldenen Rahmen da und locken den ganzen Tag Maffen von Zuschauern und Bewunderern an. Franzosen hatten kaum eine Ahnung davon, daß bei uns der Geschmack für höhere Architektur in so hohem Grade ausgebildet ist. Schinkel's Werke sind ihnen zum großen Theile unbekannt, auch wußten sie nicht, daß wir solche Sorgfalt auf die Ausstattung der Werke unserer großen Architekten legen. Riegel hat sich durch seine zum Theil wirklich musterhaften Ausgaben ein wahres Verdienst erworben, und diese Ausstellung wird jedenfalls dazu beitragen, auch in Frankreich die Theilnahme an seinem Verlage zu erhöhen.

Dietrich Reimer in Berlin zeichnet sich durch verschiedenartige Verlagswerke aus. Sein Werk von Zahn über Pompeji und Herkulanum gehört zu den reichsten und schönsten, die wir je gesehen haben. Es dürfte schwer halten, den Farbendruck zu größerer Vollendung zu bringen. Kein Werk in der ganzen Ausstellung wird mehr durchblättert und bewundert, als dieses. Kiepert's Hand-Atlas erregt die Aufmerk famkeit der Gelehrten im hohen Grade, eben so deffen General-Karte des türkischen Reiches. Die Globen von Adami, ebenfalls aus Rei mer's Verlag, werden zu dem Vorzüglichsten gerechnet, was je der Art gemacht worden ist.

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Von dem preußischen Büchertische möchte ich noch ganz besonders des Verlages von Alexander Duncker erwähnen. Menzel's Helden Friedrich's des Großen“ haben sich bereits einen solchen Ruf erworben, daß ich sie hier nicht aufs neue zu loben brauche. Die Franzosen haben bisher noch keine Holzschnitte, wie diese Kretschmarschen, zu Stande gebracht und halten die merkwürdigen Bilder im ersten Augenblick wirklich alle für Kupfer-Radirungen. Die Kaulbachschen Stiche befinden sich leider nicht in dieser Loge, aber wenn ich nicht irre, hängen sie in der Kunst-Ausstellung. Vortrefflich, ja, originell, wenn auch in der Art des englischen Geschmackes ausgestattet, ist die biblische Geschichte in Bildern von Karl Derkel; eben so find kleinere Sachen von Puttlig aus Duncker's Verlag in allerliebsten Ausgaben da.

Mexiko.

Mexiko vor der spanischen Eroberung.*)

Wer ist der Aufgabe gewachsen, Meriko, das vorspanische Mexiko zu beschreiben? Nur Einer, der alle Wunder der Welt gesehen hat, und der seine Zuhörer aus Leuten wählt, die in Venedig und in Konstantinopel gelebt, von der Alhambra auf Granada niedergeblickt und die Ruinen Thebens mit seinen hundert Thoren, Babylons und Niniveh's erforscht haben.

Die Attribute der herrlichsten Städte auf der Erde waren hier vereinigt, und das, was der einzige Stolz manches weltberühmten Namens war, bildete nur einen der mannigfachen Reize dieser Königin unter den Städten. Kein Wunder, daß der rauhe spanische Soldat (Bernal Díaz) nichts Aehnliches zu finden wußte, als in den phantastischen Schilderungen seiner heimatlichen Romanzen. Wie Granada, von Bergen umgeben, aber nicht verfinstert; wie Venedig, von den Meeresfluthen gewiegt und geschmückt; großartig in ihren Bauwerken wie das alte Babylon, und reich an Gärten, wie Damaskus, war die große Stadt Meriko zu jener Zeit die schönste in der Welt und ist seitdem unerreicht geblieben. Gleich einem reizenden Weibe von edelster Herkunft, der Tochter zweier weit getrennten königlichen Häuser, welche die sanfte, feine, zarte Lieblichkeit des Südens mit der blonden, blauäugigen, erröthenden Schönheit des Nordens vereinigt und in den Herzen Aller thront, die sie erblicken, erhob sich Mexiko aus den Wogen, mit einem Diadem von funkelnden Thürmen, einem Gewande von blumigen Wiesen, einem Gürtel von majestätischen Bergen, und freute sich nach Weiberart des Abglanzes seiner Schönheit, der von seinen zahllosen Straßen, Höfen, Palästen und Tempeln wiederstrahlte.

Auch darin war diese Stadt so manchen ihrer Schwestern nicht ähnlich, deren Schönheit nur in der Entfernung den Reisenden anlockt, mit jedem Schritte der Annäherung aber zusammenschrumpft, bis fie in förmliche Häßlichkeit übergeht. Von weitem schön, bewährte sich ihre Herrlichkeit auch dann, wenn sie in nächster Nähe von dem Auge des kritischsten und nüchternsten Beobachters untersucht wurde. Sie war nicht nur die Metropole eines großen Königs, sondern auch eines betriebsamen und wohlhahenden Volkes.

Wenn wir zu Einzelnheiten herabsteigen, werden wir obige Beschreibung weder phantastisch, noch übertrieben finden. Mexiko lag in der Mitte eines großen Salzsees, der mit einem Süßwassersee in Verbindung stand. Man näherte sich ihm auf drei mächtigen Dammwegen, aus festem Mauerwerk erbaut, die, um uns der pittoresken Sprache der Spanier zu bedienen, zwei Lanzen breit waren. Einer von diesen Dämmen hatte zwei, ein anderer eine und eine halbe Legoa in der Länge, und diese beiden Heerstraßen trafen im Mittelpunkt der Stadt zusammen, wo sich der große Tempel erhob. Am Ausgang der Dämme befanden sich hölzerne Zugbrücken, vermittelst deren man die Communicationen mit der Stadt abschneiden und leßtere in eine Citadelle verwandeln konnte. Es gab auch eine Wasserleitung, die von dem Festlande nach der Stadt führte und aus zwei Kanälen von Mauerwerk bestand, damit, wenn der eine beschädigt würde, es den Einwohnern nicht an Waffer fehlen möchte.

Die Straßen hatten eine Mannigfaltigkeit in ihrer Bauart, wie man sie in keiner anderen Stadt der Erde gesehen hat. Einige waren auf festem Boden, andere ganz im Waffer; noch andere hatten gepflasterte Trottoirs, zwischen welchen ein Raum für Böte war, so daß die Fußgänger sich mit den auf dem Wasser Fahrenden unterhalten konnten. Man bemerke, daß eine in solcher Weise angelegte Stadt eine umfichtige und gesittete Bevölkerung erfordert.

Paläste giebt es überall, wo es Fürften giebt; aber die Behausungen der mexikanischen Könige hatten nichts gemein mit den ärmlichen Palästen nordischer Herrscher. Einer der aufmerksamsten unter jenen Spaniern, welche zuerst diese Wunder erblickten, spricht von einem Palaste Montezuma's, in dem sich ein Saal befand, wo dreitausend Personen mit Bequemlichkeit Plaß nehmen konnten und auf deffen terraffengleichem Dache man ein glänzendes Turnier hätte geben kön nen. Der Hauptmarkt war zweimal so groß als der der Stadt Salamanca und mit Säulengängen umgeben, in welchen funfzigtausend Menschen Raum zum Kaufen und Verkaufen hatten.

Der große Tempel trug eine verhältnißmäßige Pracht zur Schau. Auf einem Plane der Stadt Meriko, der in einer der ersten, in Nürnberg erschienenen Ausgaben der Briefe des Cortes fich findet und wahrscheinlich derselbe ist, den der Conquistador an Karl V. einsandte, wird dem Tempel ein zwanzigmal größerer Raum zugemeffen, als dem großen Marktplaß. In der That schloß die heilige Umzäunung

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eine eigene Stadt in sich, und Cortes, der in seinem furchtbaren Berichte nur selten innehält, um sich in Lobpreisungen oder unnöthigen Schilderungen zu ergehen, sagt, daß keine menschliche Zunge die Großartigkeit und Eigenthümlichkeit dieses Tempels ausdrücken könne. Cortes gebraucht das Wort „Tempel",") aber man konnte es eher eine heilige Stadt nennen, die nicht nur zahlreiche Tempel, sondern auch die Wohnungen aller bei denselben angestellten Priester und Jungfrauen, nebst einer Universität und einem Arsenal, enthielt. Sie war von hohen steinernen Wällen umgeben, und man betrat sie durch vier von Thürmen gekrönte Pforten. Innerhalb ihres Umkreises erhoben fich nicht weniger als zwanzig abgeftumpfte Pyramiden, wahrscheinlich mit Porphyr bekleidet, und hoch über alle ragte der dem Kriegsgotte gewidmete Haupttempel. Gleich den übrigen, hatte dieser die Form einer abgeftumpften Pyramide, war ringsum mit Leisten und auf dem höchsten Gipfel mit zwei Thürmchen versehen, in welchen sich die Bildsäulen des großen Kriegsgottes, Huigilopochtli, und des obersten aller Götter, Tezcatlipuk, des merikanischen Jupiter, befanden.

Wir müssen leider gestehen, daß der Eintritt in diese äußerlich so schönen Gebäude viel dazu beigetragen hätte, die Bewunderung zu verscheuchen, die man bis dahin für Meriko empfunden haben würde. Die Tempel und Paläste, die schlanken, glänzenden Thürme, die Vogelhäuser, die Terraffen, die Gärten auf den Hausdächern - von Farben stroßend und nicht gleich denen in Damaskus, wo man nur Rose und Jasmin wahrnahm; mit einem Worte, die ganze prachtvolle, lebhafte und liebliche Stadt würde vergessen worden sein über dem unsäglichen Widerwillen, der die Seele des Zuschauers erfüllen mußte beim Anblick der scheußlichen, blutbeschmierten Gößen, vor welchen die zuckenden Herzen der eben hingemordeten Schlachtopfer lagen und welchen die schwarzgekleideten, schmußigen, ungekämmten Priester scheußliche Mischungen von Teig und Menschenblut darbrachten. Möge der gefürchtete Cortes eintreten!" hätte man bestürzt ausgerufen, wenn man diese Gräuel betrachtet und an die bewaffneten Männer gedacht hätte, die kommen sollten, ihnen ein Ende zu machen. Und doch ist diese Zusammenkettung der Schönheit mit dem Verbrechen, der man in Mexiko begegnete, keine neue Erscheinung; etwas Aehnliches läßt sich überall in einigermaßen veränderter Gestalt entdecken. Die Civi. lisation Hand in Hand mit den entseßlichsten Gräueln - diesen Kontraft finden wir auch in unserer heutigen Zeit und vielleicht in unserer eigenen Brust. Und daher können wir mit einigem Gefühl des Mit leids, selbst für ein Volk von grausamen und blutdürftigen Gößendienern, die Ankunft des Rächers betrachten, der in Meriko einzieht.

Damit der Leser dem Historiker nicht allzu große Nachsicht gegen die Barbareien der Merikaner vorwerfe, möge er sich einen Augenblick vorstellen, daß das Christenthum in der neuen, statt in der alten Welt entstanden wäre, daß ein peruanischer Columbus seinen Weg über das Atlantische Meer von Westen nach Osten gefunden hätte und daß amerikanische Missionäre im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung nach Rom gekommen wären. Von dem Kaiser als die Gesandten eines Barbarenstaates geehrt und in seinem Gefolge nach dem Coliseum geführt, mit welchem Abscheu, mit welchem Entseßen würden diese frommen Männer das Schauspiel betrachtet haben, das fich ihnen hier darbot! Menschen, von wilden Thieren in Stücke zerriffen, und zwar nicht einmal aus dem verhältnißmäßig achtungswerthen Beweggrund eines wenn auch misverstandenen Religionseifers, fondern einzig und allein um einer krankhaften Vergnügungssucht zu fröhnen, die niedrigste Eitelkeit zu befriedigen und eine schmachvolle Popularität zu erlangen! Die Zuschauer so blutiger Spiele find in der That Wilde", würden unsere Missionäre ausrufen,,,und es befinden fich unter ihnen sogar auch Frauen! In unseren Augen haben die goldenen Paläste, die marmornen Säulengänge, die zahllosen, kunstvoll geformten Statuen, die wir bei diesem barbarischen Römervolk erblicken, ihre ganze Schönheit verloren. Laßt uns eilen, es zu bekehren!"

Und doch war die alte Welt stets stolz auf ihr Rom und spricht von ihren Römern noch immer als von den Meistern der Gefittung.

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tigkeit der Darstellung, die diese Arbeiten nicht immer zu charakterisiren pflegt, vollkommen Gerechtigkeit widerfahren. In einer gedrängten, aber ziemlich vollständigen Analyse des Werks legt er die Hauptresultate deffelben mit vieler Präzision vor und verweilt namentlich bei den von dem Verfasser zu Gunsten des mongolischen Ursprungs der Skythen aufgestellten Beweisgründen, die allerdings von so auffallender Art sind, daß kein Unbefangener sich ihres Eindrucks erwehren kann. Die Angaben über die Ausgrabungen griechischer Alterthümer bei Kertsch und an anderen Punkten der Krim erhöhen natürlich das ,,Bedauern über die Gleichgültigkeit der englischen (warum nicht auch der französischen?) Regierung in Betreff dieser werthvollen archäologischen Ueberreste“, die zur Zerstörung oder Zerstreuung derselben geführt hat. Für das englische Publikum wird das Werk des Herrn Neumann ohne Zweifel durch seine Beziehungen zum Schauplah britischer Thaten und britischer Leiden zu jenem klassischen Boden, wo neben dem alten Cherronesos die,,blutgetränkten Ruinen“ Sebastopols und im Hain der Hekate die zerschoffenen Mauern Kinburn's sich erheben an Interesse gewinnen, und find wir sogar überzeugt, daß auch britische Staatsmänner daraus manche Belehrung über Gegenstände schöpfen könnten, in Hinsicht deren sie bisher eine wirklich bedauernswerthe,,Gleichgültigkeit" - wir wollen nicht sagen, Unwissenheit an den Tag ge= legt haben.

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Eine neue Neberfeßung der „Sakuntala“. Von dem durch seine „English and Sanscrit Dictionary" (London, 1851) rühmlich bekannten Profeffor des Sanskrit am oftindischen Kollegium zu Haileyburg, Herrn Monier Williams, der im Jahre 1853 eine sorgfältige Ausgabe des Original-Textes der,,Sakuntala" besorgte, ift jezt eine englische Version dieses Meisterwerkes indischer Dichtkunst veröffentlicht worden.") Das Bedürfniß einer solchen hatte sich in England schon längst fühlbar gemacht, da die vor beinahe siebzig Jahren erschienene Profa-Uebersezung von Sir William Jonas nach einer neueren, inkorrekten Handschrift bearbeitet ist, in der, wie Herr Williams sagt, die kühne und energische Phraseologie Kalidasa's abgeschwächt, seine zarten Darstellungen reiner Liebe durch erborgten Schmuck entweiht und feine in ihrer Einfalt so großartigen Ideen durch Wiederholungen und Amplificationen entkräftet werden." Indeffen traten selbst in dieser mangelhaften Form die Schönheiten der Dichtung so glänzend hervor, daß sie Goethe zu dem bekannten, auch von Herrn Williams citirten Lobspruch begeisterten:

„Willst Du die Blüthe des frühen, die Früchte des späteren Jahres,
,,Willst Du, was reizt und entzückt, willst Du, was sättigt und nährt,
,,Willst Du den Himmel, die Erbe, mit einem Namen begreifen:
,,Nenn' ich, Sakuntala, Dich, und so ist Alles gesagt."

Deutsche Uebersezungen des Original- Tertes der „Sakuntala“ find in neuerer Zeit mehrere (von Boethlingk, Meyer u. A.) erschienen, und müssen wir es Sachkundigen überlaffen, den Werth derselben mit der uns vorliegenden englischen zu vergleichen, für deren Treue aber der Name des Uebersezers wohl bürgen dürfte. Die Mischung von Prosa und Verfen, welche das Drama Kalidasa's, wie die Shakespeareschen Stücke, bezeichnet, ift darin beibehalten worden, die verschiedenen indischen Versmaße jedoch, die sich in englischer Sprache unmöglich reproduziren lassen", durch ungereimte Jamben wiedergegeben. Aeußerst prachtvoll ist die typographische Ausstattung des Buches, das mit polychromatischen Jllustrationen nach indischen Mustern versehen ist, die sowohl durch ihre Originalität als ihre treffliche Ausführung Bewunderung erregen.

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Friedrichs-Literatur. Wie populär der Name Friedrich's des Großen immer noch im deutschen Volke ist, das beweist das gleich. zeitige Erscheinen einer neuen Auflage der Kugler-Menzelschen Lebensbeschreibung dieses Monarchen, einer ebenfalls mit artistischem Schmuck ausgestatteten, für das Volk bearbeiteten Geschichte des großen Königs, von Dr. Ludwig Hahn, und einer neuen, in viertausend Exemplaren veranstalteten, wohlfeilen Ausgabe der Erzählung Friedrich der Große und sein Hof", von L. Mühlbach.**) Die Forschungen und Arbeiten des Historiographen Friedrich Preuß haben allen diesen Werken und ihren Erfolgen die Wege gebahnt. Daß die romantische Darstellung der Frau L. Mühlbach auch in England mit Theilnahme begrüßt worden, haben wir in diesen Blättern bereits erwähnt. Die gegenwärtige zweite Auflage ist dem Herzog von Argyll, Kanzler der Universität Glasgow, gewidmet.

*) Sakoońtalá; or, the Lost Ring. An Indian Drama, translated into English prose and verse, from the Sanscrit of Kálidása, by Monier Williams. Hertford: Printed and published by Stephen Austin. 1855. Berlin, A. Asher & Comp.

**) Berlin, Verlag von Otto Janke. 3 Bändchen, Preis 221 Sgr.

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