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wären, würde der See ganz Holland in Gefahr gebracht haben. Man verwendete, um ihn in seinem Becken zu halten, so große Summen, als zu seiner Trockenlegung ausgereicht hätten. Indessen das Harlemer Meer fuhr fort zu bestehen, bis am 9. November 1836 seine Gewäffer durch einen wüthenden Westwind über die Dämme und Straßen bis an die Thore Amsterdams fortgewälzt wurden. Dieses Ereigniß entschied das Loos des Harlemer Meeres. Es hatte Amsterdam bedroht; Amsterdam sagte nun dem Meere: Du sollst verschwinden.

Es handelte sich von diesem Tage an nur noch um die Mittel, den Urtelsspruch auszuführen. Die Trockenlegung des Harlemer Meeres war schon öfter in Vorschlag gebracht worden. Im Jahre 1643 hatte ein Ingenieur und Mühlenbaumeister in Nord-Holland, Jan Adrian Leegh Water, die Gefahr erkennend, von der Holland bedroht war, wenn das Harlemer Meer zu bestehen fortfuhr, zu Amsterdam eine Schrift veröffentlicht, die mit den Worten schloß: Wir müssen uns von dieser zerstörenden drohenden Wassermaffe befreien, ergo delendum est mare!" Es waren diefer Schrift (,,Haarlemmer MeerBock") ein Entwässerungsplan und eine Karte beigegeben. Der Verfaffer hielt hundertvierzig Mühlen für nöthig, um das Waffer des Har lemer Sees in das Meer zu schaffen. Es konnten diesem Projekt manche Bedenken entgegengesezt werden; es wäre ein Wind nöthig gewesen, der lange Zeit dieselbe Richtung behielt, damit die Mühlen mit Erfolg hätten arbeiten können. Es wurden andere Vorschläge gemacht; aber fo lange eine von dem Wechsel der Atmosphäre unabhängige, dem menschlichen Willen vollständig unterworfene gewaltige Kraft nicht entdeckt war, waren alle diese Vorschläge unausführbare Jdeale. Erst nach Entdeckung der Dampfkraft konnte man die Trockenlegung des Harlemer Meeres auszuführen hoffen. (Schluß folgt.)

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Aber nun kömmt etwas Frisches, Eigenes, Wildfremdes und doch so gemüthlich Verständliches, als wäre es Verwirklichung kindlicher Träume und Ideale: polynesische Mythologie,®) natürliche, naive Gewächse einer alten, noch lebenden Antipoden-Kultur, die die englische Kolonial-Verwaltung noch nicht unter ihre Baumwollen-, Bibel- und Steuer-Einnehmer-Civilisation zu begraben vermochte. Neu-Seeland fand sogar in Sir George Grey einen Mann von Geschmack und Sinn für die ursprüngliche, beinahe an alte griechische Schönheitsgebilde erinnernde Religion, Literatur und Kunst seiner braunen, tättowirten Eingeborenen. Als Gouverneur von Neu-Seeland fühlte Sir George Grey sehr bald die Nothwendigkeit, sich mit der Sprache und der Anschauungs- und Denkweise seiner Unterthanen bekannt zu machen. Er überwand durch Fleiß und Ausdauer die Schwierigkeiten und arbeitete dann acht Jahre daran, die lebendig im Volke lebende Religion und Poesie aus dem Munde der Priester und Häuptlinge zu sammeln und theils im Original, theils in Uebertragung zu firiren. Sein acht jähriger Fleiß ward durch Abbrennen seines Hauses mit vertilgt. Er fing nun von vorn an und publizgirte später eine sehr umfangreiche Sammlung von Sagen und Gesängen feiner „Maoris", wie sich die Eingeborenen von Neu-Seeland nannten, in deren Ursprache. Das englische Werk ist ein Auszug in Uebersegung des Besten und unserer Anschauungsweise Zugänglichsten aus dieser größeren ersten Original Sammlung. So lernen wir auf die anmuthigste Weise die natürliche Denk, Dichtungs- und Handlungsweise einer rohen, simpeln eigenen Menschen-Race, als sie noch von keinem Atome europäischen oder sonftigen Einflusses berührt worden, und wie sie selbständig aus einem von aller Welt abgeschlossenen Boden und deffen Gebilden aufgewachsen war, in Gesängen und Sagen kennen. Einige derselben, wie z. B. ,,das Mädchen von Rotorua", sind ungemein schön und graziös und erinnern an die ältesten, naivften, mythologischen Anschauungen der Homerischen Zeit. Sie haben ihre eigene Schöpfungsgeschichte, ihre Götter, Feen und Heroen, ihre moralischen und sozialen Poesieen. In den Schöpfungssagen erkennt man zum Theil leicht poetisch-simpel eingekleidete geologische und physikalische Prozeffe wieder, so daß fie vielleicht naturwissenschaftlich von Nugen werden können. Natürlich erkennt man auch die ursprüngliche Rohheit und den naiven Kannibalismus der einzelnen Stämme sehr stark wieder. Daß man Feinde fing und in verschiedenen Zubereitungen mit Appetit verzehrte, war bei ihnen eben so ländlich sittlich, wie bei uns noch heute, freilich in verkappteren und raffinirteren Zubereitungen, in Rechts-, Gefeß- und Kriegswiffenschafts-Saucen. In dem ungeschminkten Kannibalismus der Maoris lag vielmehr eine Art Humanität aus Dekonomie: man erschlug nicht

*) Polynesian Mythology and Ancient Traditional History of the New-Zealand Race, as furnished by their Priests and Chiefs. By Sir George Grey, late Governor-in-Chief of New-Zealand. London, Murray.

mehr, als man mit Appetit glaubte verzehren zu können. Bei uns werden im Kriege mehr Menschen verstümmelt und zerschoffen, als man nachher nur begraben kann, und zwar zuweilen aus Gründen, wegen welcher die Maoris ihren Feinden noch keinen Finger abgeschnitten haben würden, aus Gründen, die auf friedliche und geseßliche Weise viel eher erledigt werden könnten, falls die Krieg führenden Parteien nur an Geseze appelliren wollten, die sie selbst so reichlich gegeben. Die neuseeländische Rage ist in jeder Beziehung merkwürdig. Sie bildet einen eigenthümlichen Schlag, mit dem die Ethnologen bis jetzt noch nicht aufs Reine kamen, sie ist ungemein befähigt und von Natur gut ausgestattet, namentlich das weibliche Geschlecht, aus welchen sich manche Engländer graziöse Frauen nehmen, die in Schönheit und natürlicher Anmuth, im Reiten, Schwimmen, Arbeiten, Tabackrauchen unsere schönsten Töchter weit hinter sich zurücklassen. Aus Sir George Grey's Buche lernen wir sie ganz genau kennen, selbst wenn man die Polynesischen Forschungen" von Ellis und Capitain Cook's Reisen schon gelesen haben sollte.

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So viel in leßterer Zeit auch über die Türkei geschrieben ward, finden wir doch in dem Werke von Gordon Trenery: Die Hauptstadt des Halbmondes mit Bildern aus dem Harem-Leben",") ungemein viel Neues und Interessantes. Trenery malt fast stets rosenfarbig, aber wahr, aus individueller Erfahrung und aus Erlebnissen, die ihn tiefer in das Privatleben der türkischen guten Gesellschaft führten, als bisher wohl je einen Europäer. Er schildert den gebildeten Türken wörtlich und wirklich in seiner Häuslichkeit, im Harem, eine um so interessantere Sphäre, als zugleich mit dem Erscheinen von „Giaurs" im Harem der dicke Schleier von den Köpfen der Frauen fällt und diese in aller ihrer Schönheit und naiven Herzlichkeit vor uns schweben, als wir schen, wie diese barbarische Integrität der Türkei" gebrochen wird und menschlichere, würdige Beziehungen zwischen beiden Geschlechtern sich geltend machen lernen. Der gebildete Türke von Stande, in deffen Haus wir zuerst eingeführt werden, ist ein PrivatGentleman, Mustapha Efendi, dessen Feen-Palast natürlich am Bosporus liegt. Weiße Marmorwände steigen unmittelbar aus deffen klaren Fluthen. Dahinter erheben sich malerische Gänge, Höfe und Gebäude von Marmor auf mosaikgepflastertem Boden. In der Mitte springt zwischen saftiggrünen, fruchtgoldenen und weißblühenden Drangen-Bäumen, Palmen und riesigen Blumen eine Fontäne mit tausend Strahlen. Das Innere erhebt sich in Terraffen mit Marmorstufen, ftrahlend und duftend von den herrlichsten Blumen und Zierpflanzen. In den Zimmern und offenen Hallen weißseidener Damast, blausammetne und goldgestickte Divans und Kiffen, himmelblaue, feidene Wolken mit goldenen Sternen über uns, Tische, mit Gold- und Silbergeweben bedeckt, orangenfarbige Teppiche mit rothen und grünen und purpurnen Blumen, Sophas, Kissen, Pfühle von weißem Sammet, Wände von fleckenlosem Glas mit goldenen Rahmen, schwarze Sklaven, glänzend in Gold und schneeweißer Draperie unter der weichen, klaren Sonne u. f. w.; endlich die zarte, weiße, leicht erröthende siebzehnjährige Herrin aller dieser Herrlichkeit, Yasumi, um die Schwester des Autors zu bewillkommnen: „Shekier Allâh! (Gott sei Dank), daß Du gekommen bist! Ich liebe Dich sehr! Ich hoffe, Du wirst die fimple Osmanli auch lieben. Darf ich Dich lieben?" -,,Wie werde ich mich freuen, wenn Du mich liebst!" antwortete meine Schwester. — „Und Du willst auch mich lieben?" „Und Du willst auch mich lieben?" —,, nur zu sehr." Und sie nahm das zarte Wesen in ihre Arme und küßte ihre Hand. — ,,Du bist sehr gut. Du sollst mein ganzes Herz haben. Nun komm, denn mein Gatte wird sonst ungeduldig, Euch zu sehen.“

Nun kömmt die Begrüßung, die beiderseitige Verlegenheit, was in England und was bei ihnen, den Türken, feine Sitte und Mode sei, bis man von beiden Seiten annimmt und aufgiebt und so einen neuen Boden gebildeten Verkehrs gewinnt und zunächst halb englisch, halb orientalisch ein Diner zu genießen sucht. Dieses Annehmen und Aufgeben zwischen den Bewohnern der Türkei und ihren abendländischen Rettern ist vielleicht der wahre Gewinn für beide Theile aus diesem Kriege. Ja wohl, wir können viel Lebens-Comfort, viel Würde und Ehrlichkeit von dem gebildeten Türken lernen, während sie, wie fie als Ganzes find, allerdings kaum mehr auf Duldung Anspruch machen können. Sie haben die schönsten, fruchtbarsten Theile Europa's und Kleinasiens in Wüßten und Ruinen, in Fieber-, Peft- und Räuberhöhlen, Städte, Hunderte ehemals blühender Städte und Tausende von Dörfern in Herbergen scheußlicher Reptilien, Schakale, Wölfe und anderer Wildnißthiere verwandelt durch ihre Würde, durch ihre fatalistische Gläubigkeit, durch ihre wollüftige, Kaffee effende und Taback rauchende Faulheit. Einige Hunderte leben, vegetiren, träumen im feenhafteften Lurus am Bosporus entlang, aber die Millionen find jämmerliche, kriechende, bettelhafte Schatten geworden. Die türkische Kultur hat nur noch Anspruch, in die moderne, für die ganze Menschheit sich heraus

*) The City of the Crescent, with Pictures of Harem-Life: or, the Turks in 1854. By Gordon Trenery. London, Skeet, 1855.

arbeitende Civilisation, die da arbeitet, produzirt und die Güter und Schönheiten des Lebens schafft und gestaltet, aufzugehen und ihre Stellung als,,Moment" einzunehmen. Zum Untergange ist sie zu schön, zu reizend und geschmackvoll, und sollte sie auch nur in neuer Poesie unserer vier Wände, in der Tapete, wieder aufleben. „Die Poefte der vier Wände!" Ich glaube, damit treffe ich das wahre, unsterbliche Wesen der türkischen und besonders maurischen Kultur. Sie, denen ihr Prophet Malerei und Skulptur verboten hatte, konzentrirten die ganze Energie und Phantasiefülle ihrer Aesthetik auf die Architektur, besonders auf die Poesie der Wände. Man muß so oft in der Alhambra, im Löwenhofe, in der Halle der Abencerragen des Krystall-Palastes geschwelgt haben, wie ich, auf dem rothen Kissen gelegen und in den herabgezogenen Himmel dieser Halle geblickt haben, um mit einem einzigen Blige der Vorstellung zu begreifen, was es heißt: Poesie der bloßen vier Wände, brennende, farbige, in tausend prismatischen Farbenspielen lebendige Poesie des bloßen, leeren, abgeschloffenen Raumes. Unter den goldenen Säulenpaaren des Löwenhofes mit den ganz unmerklich und doch so effektvoll zugespißten Rundbogen, zwischen welchen die Löwen unter prächtigen Blumen ihre Wasserbogen sprigen, treten wir auf dem zartesten Mosaikboden in die dunkle Halle der Abencerragen, in deren Leere nur in der Mitte eine feine Fontäne plätschert. Diese und die rothen, weichen Kiffen an der Seite bilden das ganze Mobiliar. Aber nun werfe man sich hin auf diese schwellende Elastizität und erhebe das Auge in die Kuppel hinauf, in diesen trichterförmig zusammengedichteten Himmel mit aller seiner goldenen und farbigen Herrlichkeit. O, wie die Lichter draußen in unaufhörlich metamorphosirenden Farben durch die Gläser spielen und an den Ecken, Kanten, Knöpfen und kleinen Höhlungen wie eine ewige, ätherische Schöpfung spielen! Und diese brennende Gluth, diese Fülle, diese Ruhe, diese gottselige Träumerei in den Tapetenmustern der Wände! Ich habe, glaube ich, in meinem Buche über den KrystallPalast diese maurische Poesie der Wände sehr genau geschildert und die ästhetischen Prinzipien derselben aus einander gefeßt. Aber genau weiß ich es freilich nicht mehr. Zu den vielen Opfern, die der Krieg hinwegraffte, gehört auch mein bestes Buch, das ich je geschrieben zu haben glaube. Es war fertig, als der Krystall-Palaft eröffnet ward. In fortwährender, freudiger Aufregung hatte ich das unerschöpfliche Material, welches man hier unter Glas und Rahmen seßte, zusammengebracht und es in nie ermattender Begeisterung rasch verarbeitet. Ein Jahr später etwa fand ich das Buch unter einem ganz anderen Titel: „Der Führer durch den Krystall-Palast bei Sydenham" (o, es sollte mehr ein Verführer sein) im Hinrichsschen Kataloge unter den künftig erscheinenden Werken! Neuerdings hörte ich ein dunkles Gerücht, daß es erschienen sei.°) Mein Ruhm, so ein Buch mit Eröffnung des Palastes geschloffen zu haben, ist dahin, vielleicht auch das Buch. Gott habe es selig. Es war aber wunderschön, so lange ich es schrieb. Das weiß keiner, so wie ich. Jedenfalls ist es noch gut dazu, zu zeigen, welche Begeisterung, welche kosmopolitischen Hoffnungen, welche Clairvoyance (meinetwegen lache man mich aus) diese großartigste Schöpfung aller Zeiten einzuflößen im Stande war. Noch heute verzeihe ich allen Engländern Alles, was ich je gegen sie gesagt und geschrieben, so oft ich in diese ihre großartigste, wunderbarste, erhabenste Schöpfung eintrete, die immer zauberhafter, immer reicher, immer neuer, immer unerschöpflicher an Genuß und Erhebung wird, je öfter man sich von ihr berauschen läßt. Die architektonischen, plastischen und monumentalen Meisterwerke aller Zeiten und Nationen, die Pflanzen, Bäume und Blumen aller Zonen und selbst der Gewässer und Meere, die ethnologischen Typen der Menschheit, die geologischen Gebilde der Erde, die schon vor Millionen von Jahren ausstarben, die Maschinerieen und Industrieen der Gegenwart (freilich bis jezt ein Fiasko), dies und unzählig Anderes aus der ganzen Welt zusammenzustellen, organisch neu zusammenzudichten und es auf dem zwanzig Meilen ringsum beherrschenden Penge-Hügel unter eine wahrhafte Zauberei von Glas und Eisen zu stellen, mit Blumen-Ampeln und Schlingpflanzen und lebendigen Teichen zu dekoriren, täglich achtzig bis neunzig Deutsche alle Meisterwerke der Tonkunft spielen zu laffen, Laufende von Wafferstrahlen daneben in die Höhe zu sprigen, daß die Blumen des Parks stets im Diamantenschmuck des Thaues neben den Statuen glänzen, täglich Tausende mit Dampf in diese Herrlichkeit fliegen und Kaffee, Thee, Bier, Wein, Hummersallat genießen zu laffen, als wäre diese ganze, märchenhafte Schöpfung eben nur ein wohl feiles Kaffeehaus mit falten und warmen Speisen das ist was ist denn das nun? Das rechte Wort für Würdigung dieser noch unaussprechlichen Thatsache wird erst die Zukunft lange nach dem Frieden finden.

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ja,

*) Es bildet unter dem Titel: Der Krystalls Palast von Sydenham, seine Kunsthallen, sein Park und seine geologische Insel" einen Band der überaus geschmackvoll ausgestatteten illustrirten Reise-Bibliothek von J. J. Weber in Leipzig. D. R.

Vorschläge zur Beförderung der Wissenschaften in England.

In der leßten Versammlung der British Association wurde ein aus den hervorragendßten Mitgliedern dieses Vereins bestehendes Comité niedergeseßt, um einen Bericht über die Maßregeln auszuarbeiten, die von der Regierung und dem Parlamente zur Beförderung und Popularifirung der Wissenschaften zu ergreifen wären. Dieser jezt vor uns liegende Bericht ist ein äußerst umfassendes Aktenstück; indessen lassen sich die in demselben gemachten Vorschläge in einigen Hauptpunkten resumiren.

Die eigentlichen Naturwissenschaften sind bekanntlich in den englischen Universitäten, namentlich in den älteren, Orford und Cambridge, bisher sehr schwach vertreten; man kann sogar behaupten, daß sie von dem Lehrkursus derselben ganz ausgeschlossen sind, indem fie beim Eramen unberücksichtigt bleiben und dieses sich einzig und allein auf die Mathematik und die klassischen Sprachen beschränkt. „Es ist traurig", bemerkt Herr Grove, „die Anzahl von Orforder Graduirten zu sehen, welche nicht die leisefte Ahnung von den Grundprinzipien haben, auf welchen die Construction eines Fernrohrs, eines Barometers oder einer Dampfmaschine beruht." „Ein Studirender", sagt Lord Roffe,,,der den Hauptpreis in literis humanioribus gewonnen hat, ist vielleicht mit den ersten Anfangsgründen der Physik unbekannt, unfähig, die Bedeutung der Mechanik und der Technologie zu begreifen oder die Kräfte und Hülfsquellen zu beurtheilen, welche die Macht dieser großen Nation geschaffen haben." Und Sir Charles Lyell zieht folgende Parallele zwischen dem wissenschaftlichen Zustande Deutschlands und seines Vaterlandes: Dort giebt es nicht nur in den Universitätsstädten, sondern auch fast in jedem Orte, in welchem sich eine nur etwas bedeutende Schul-Anstalt findet, wenigstens Einen Lehrer, der speziell damit beauftragt ist, Unterricht in der Physik und Naturgeschichte zu ertheilen, der ein physikalisches Kabinet unter seiner Obhut hat und der häufig der Verfasser gründlicher wissenschaftlicher Abhandlungen in einem der Fachjournale des Landes ist. In England ist dies so wenig der Fall, daß ich große Städte mit reich dotirten geistlichen Instituten besucht habe, ohne einen einzigen Menschen antreffen zu können, der sich mit irgend einem Zweige der Naturwiffenschaften beschäftigt hätte. Wenn es sich daher ereignet, daß die Einwohner einer Stadt, von dem benachbarten Adel und Klerus unterstüßt, die Errichtung eines Museums beschließen, so ist es ihnen unmöglich, einen wissenschaftlich befähigten Mann zur Anordnung und Leitung desselben aufzutreiben.“

Zur Abhülfe dieser Uebelstände schlägt das Comité vor, allmähliche Reformen in dem System derjenigen englischen Universitäten vorzunehmen, welche die Naturwissenschaften bisher nicht in ihren Studienplan eingeschloffen haben. Es müßten besondere Profefforen der Naturwissenschaft an den Universitäten angestellt werden und, wo solche schon vorhanden, ihre Zahl vermehrt, ihre im Vergleich mit den anderen Lehrstühlen sehr ungenügende Besoldung erhöht und für die Beseßung der einzelnen Zweige dieser Disziplin beffer gesorgt werden. Ferner wird empfohlen, Profefforen oder Lehrer zur Haltung von wiffenschaftlichen Vorträgen in den bedeutenderen Provinzialstädten zu gewinnen und öffentliche Eramina zu veranstalten, um die Fortschritte ihrer Zuhörer zu verifiziren, Museen und öffentliche Bibliotheken in solchen Städten auf Staatskosten zu gründen und nach und nach alle Steuern abzuschaffen, welche die Kostspieligkeit wissenschaftlicher Publicationen vermehren. Ob es dagegen rathsam sei, wissenschaftliche Bestrebungen durch Verleihung von Decorationen und Medaillen aufzumuntern, wird entschieden bezweifelt. „Ich kann zwar nicht behaupten", sagt Faraday, daß ich dergleichen Auszeichnungen nicht schäße; im Gegentheil lege ich ihnen einen nicht geringen Werth bei; ich glaube aber kaum, daß die Hoffnung darauf mich je bei meinen Arbeiten geleitet oder mich dazu angespornt hätte." Und der Bericht selbst spricht sich über diesen Gegenstand in folgenden Worten aus: So lange der Studirende fich in statu pupillari befindet, bietet die Belohnung durch Medaillen oder andere Ehrenbezeugungen wenig Schwierigkeit dar; bei reifen Gelehrten verhält es sich damit aber ganz anders. Unter den Einwendungen, die fich dagegen erheben, verdient namentlich eine unsere ernste Berücksichtigung: daß es nämlich schwer hält, eine allgemein gültige Norm für die Verleihung solcher Auszeichnungen aufzuftellen. Der Regierung kann hierüber kein kompetentes Urtheil zugestanden werden, und man wird es kaum für wünschenswerth halten, dem System, nach welchem die Pfleger der Wissenschaft sich gegen. feitig belohnen, eine weitere Ausdehnung zu geben. Selbst in ihrer gegenwärtigen beschränkten Form wird man von dieser Art, Auszeich nungen zu verleihen, nicht sagen können, daß sich dieselbe bewährt habe. Nur Fachgelehrte können über das in ihrem Fach zu belohnende Verdienst ein richtiges Urtheil fällen, und die Furcht, daß man die Richter, die zugleich Nebenbuhler sind oder es doch sein können, der Parteilichkeit zeihe, muß ihnen nicht nur die Entscheidung zu einer lästigen Aufgabe machen, sondern sie auch in der gehörigen Ausübung

ihrer richterlichen Functionen beeinträchtigen. Ueber dies möchte der Werth einer Theorie oder einer Entdeckung selten von den Zeitgenossen richtig gewürdigt werden; die Nachwelt allein kann entscheiden."

Die Herstellung eines an einem Centralpunkte Londons belegenen Gebäudes, in welchem die verschiedenen gelehrten Vereine der HauptStadt ihre Sizungen halten können, ist schon vor längerer Zeit angeregt worden und wird von dem Comité kräftig befürwortet. Eine an das Ministerium Aberdeen überreichte Denkschrift hat die Vortheile einer solchen Einrichtung auseinandergefeßt, und es ist einige Ausficht vorhanden, daß Lord Palmerston auf den Vorschlag eingehen werde, der allerdings mit den Centralisationsgelüften, die sich auch in England geltend zu machen anfangen, zusammentrifft. Die Wissenschaft", bemerkt Profeffor Forbes,,,muß ihren eigenen Wohnsig haben und etwas mehr als ein Name sein, ehe sie einen nachhaltigen Eindruck auf den etwas materiellen Geist John Bull's hervorbringen kann. Wie ein Mann ohne Domizil oder Referenzen in den Augen ehrsamer englischer Bürger als eine unzuverlässige und verdächtige Persönlichkeit erscheint, ist ihm die Wissenschaft eine zweifelhafte Mythe, so lange sie nicht mit einem sichtbaren Wohnplag versehen ist. Um daher den gebildeten und ungebildeten Maffen eine gebührende und heilsame Achtung für die Wissenschaft einzuflößen, wäre als erster Schritt die Vereinigung der namhafteren wissenschaftlichen Sozietäten in einem bequemen und central gelegenen öffentlichen Gebäude nothwendig, wo sie auf Kosten und unter dem Schuße des Staates sich häuslich einrichten könnten. Der Nimbus, den man so über die Wissenschaft verbreitete, würde fich bald auch auf ihre Priester ausdehnen."

Von noch größerer Wichtigkeit ist indeß der von dem Comité angeregte Gedanke, eine oberste wissenschaftliche Behörde (Board of Science) zu errichten, die zum Theil aus höheren Kronbeamten, zum Theil aus den ersten wissenschaftlichen Notabilitäten bestände und die Kontrole über die Verwendung der zur Beförderung der Wissenschaft bestimmten öffentlichen Gelder, die Anträge auf pekuniäre oder anderweitige Unterstüßung scientifischer Zwecke, überhaupt alle in dieses Gebiet einschlagenden Functionen, nebst denjenigen, welche Regierung und Parlament ihr etwa noch anvertrauen, übernehmen würde." Eine solche Körperschaft, erwartet man, würde dazu beitragen, daß den wissenschaftlichen Bestrebungen und Forschungen größere Aufmunteruns zu Theil werde, als sich dieselben bisher erfreut haben, und daß die Veröffentlichung und Verbreitung solcher Forschungen durch Anweisung der dazu erforderlichen Mittel ermöglicht werde; der Einfluß der aus. gezeichneten Männer, aus welchen sie zusammengesezt wäre, müsse hinreichen, um die Annahme aller von ihnen zum Besten der Wissen. schaft gemachten Vorschläge zu sichern, unpraktische und schädliche Unternehmungen zu verhindern, nügliche zur Ausführung zu bringen und im Allgemeinen der Wissenschaft den ihr gebührenden Plag im nationalen Leben einzuräumen. Die neue Behörde würde aus etwa fünfunddreißig Mitgliedern bestehen, da fie in mehrere Unter-Abtheilungen nach den verschiedenen Disziplinen zerfallen müßte. Es wäre gleich sam das französische Institut, auf englischen Boden verpflanzt, aber mit größerer Freiheit und Selbständigkeit und mit der praktischen Richtung, die vorzugsweise im englischen Geiste liegt.

Das Comité schließt mit der Bemerkung, daß es für seine Anträge um so mehr auf Berücksichtigung hoffe, da es in keinen derfelben ein Verlangen ausgesprochen habe, deffen Gewährung der Regierung, dem Parlamente oder den Universitäten ernsthafte Schwierig feiten verursachen würde.

Mannigfaltiges.

Eine Roman-Lücke. Nachstehendes Kuriosum, das die Beilage zur R. d. d. M. mittheilt, kann einen Begriff davon geben, auf welche lüderliche Weise in Frankreich Bücher fabrizirt und gedruckt werden. Man kennt im Buchhandel einen Roman aus der Feder eines nur allzu fruchtbaren Schriftstellers, von welchem zwei Bogen des Manuskriptes, als dasselbe gedruckt wurde, verloren gingen. Es entstand dadurch eine Lücke, und zwar nicht bloß in der ersten Ausgabe des Romans, sondern auch in allen folgenden Auflagen. Niemand hat jedoch jemals etwas von dieser Lücke gemerkt, an deren Ausfüllung auch weder der Verfaffer noch der Verleger im Geringsten gedacht. Und hat auch vielleicht einer oder der andere Leser gefühlt, daß hier ein Glied in der Kette, ein nothwendiger Uebergang in der Erzählung, fehle, so ist man doch andererseits in dieser Art Literatur an Extravaganzen und unnatürliche Sprünge so gewöhnt, daß man es nicht der Mühe werth gehalten, über jene Lücke eine Aufklärung zu Wahrscheinlich ist dieser Roman des fruchtbaren franverlangen." zösischen Schriftstellers auch ins Deutsche überseßt, und unsere em

sigen Leihbibliotheks-Leserinnen haben von der gedachten Lücke wahrscheinlich eben so wenig Notiz genommen, als unsere schnellfingerigen Ueberfeßer.

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Geschichte von Bearn. Herr Pemberton Hodgson, englischer Konsul in Pau, hat ein interessantes Werk über die Geschichte von Bearn und das Leben jenes Monarchen herausgegeben, auf den die Bearner mit so vielem Rechte stolz sind.") Der historische Theil des Buches ist allerdings zumeist aus früheren Schriftstellern entlehnt, aber der Verfasser hat seine Materialien zu einem höchft anziehenden Gemälde verwebt und sie durch zahlreiche, auf persönliche Beobachtung gegründete Bemerkungen über das Land und dessen Bewohner ergänzt. Mit den Kommentarien des Cäsar beginnend, erzählt er die mit diesem Theile Frankreichs verknüpften denkwürdigen Begebenheiten der alten Geschichte, zu welchen auch die romantischen Episoden aus den Tagen Karl's des Großen und Abderrahman's gehören. Am Hofe von Bearn lebte Froissart und schrieb dort viele von seinen glänzenden Schilderungen des Ritterthums. Gaston de Foir, Jeanne d'Albret, Magarethe von Valois und andere historisch berühmte Namen werden uns von Herrn Pemberton Hodgson vorgeführt; am längsten verweilt er jedoch bei der Biographie Heinrich'sIV., von dessen politischem Charakter und kriegerischen Thaten er mit warmer Begeisterung spricht, ohne seine Mißbilligung der persönlichen Lafter zu verbergen, welche das Leben eines der größten Fürsten der Neuzeit befleckten.

- Das Banquierhaus Strahan. Dieses englische Banquierhaus, das durch seinen großartigen Bankerott einen so wenig beneidenswerthen Ruf erlangt hat, ist mit Ausnahme der Herren Child & Comp., deren Geschäft aus dem Jahre 1640 datírt, das älteste in London, indem es schon zur Zeit der Republik unter der Firma Snow & Comp. existirte. Der jezige oder vielmehr gewesene Chef desselben stammt in direkter Linie von dem Gründer deffelben ab und heißt auch eigentlich Snow, welchen Namen er vor zwölf Jahren mit Strahan vertauschte, weil ihm ein reicher Verwandter (der Hofbuchdrucker Strahan in London) unter dieser Bedingung ein Vermögen von 180,000 Pfd. Sterl. hinterlassen hatte. Die Geschichte der fast zweihundertjährigen Laufbahn dieses Hauses würde ein höchst merkwürdiges Bild der Londoner Handelswelt liefern, wozu sich die Materialien in den Geschäftsbüchern desselben finden, die bis zum Jahre 1672 zurückreichen und dadurch noch interessanter werden, daß sich das Haus in der ersten Periode seiner Eristenz auch mit Pfandleihen abgab. Als im Jahre 1679 die Regierung Karl's II. auf alle in den Händen der Londoner Banquiers befindlichen Gelder Beschlag legte, traf diese Gewaltthat auch das Haus Snow & Comp., und es mußte deshalb, wie die meisten seiner damaligen Kollegen, feine Zahlungen einstellen, welches unverschuldete Mißgeschick natürlich die Achtung nicht beeinträchtigte, deren es noch mehrere Generationen hindurch bis zur jüngsten traurigen Katastrophe genoß.

Wie man im Haag die Noth lindert. Bei der jeßigen Theurung aller Lebensmittel, die unsere Armen mit bitterem Hunger bedroht, halten wir es für Pflicht, zur Beispielnahme einen Zweig der Armenpflege im Haag zu erwähnen. Es hat sich dort seit längerer Zeit ein Verein von Menschenfreunden gebildet, der eine Speise-Anstalt für die Armen eingerichtet hat. In einem geräumigen Lokale wird eine nahrhafte Suppe, worin auch Gemüse und Kartoffeln gemischt sind, gekocht und jeden Mittag portionsweise gegen Marken vertheilt. Eine Abtheilung der Hungrigen wird in dem Lokale selbst gespeist, da der Kochofen zugleich als Heizung desselben benußt wird. Die Obdachlosen, die Bettler, denen Speisemarken, statt des seine Bedenken habenden baaren Geldes, verabreicht worden, sigen hier an einem reins lich gedeckten Tische nieder, hören ein Gebet an und effen sich fatt. Eine andere Abtheilung erhält das Effen auch gegen eine geringe Bezahlung, um es in der eigenen Häuslichkeit zu verzehren. Dadurch kömmt die Wohlthat dieser Speise-Anstalt auch solchen armen Familien zu statten, die sich des Bettelns schämen. Die Kosten dieser wohlthätigen Einrichtung follen vollkommen gedeckt werden durch die Speisemarken, welche die Reichen kaufen, um sie den Armen zu schenken."") F. v. H.

*) Pyrenaica; or, a History of the Viscounts of Béarn, to the Death of Henry IV., with the Life of that Monarch. By C. Pemberton Hodgson, Esq.

**) Auch in Deutschland bestehen dergleichen Suppenvertheilungs-Anstalten in mehreren Städten schon seit längerer Zeit. Namentlich hat die Anstalt in Berlin, zu deren Gründern der verstorbene Staatsminister, Fürst v. Wittgens dieselbe auch im bevorstehenden Winter wieder ihre segenreiche Thätigkeit beftein, gehörte, vielen ähnlichen Anstalten als Muster gedient. Hoffentlich wird ginnen. D. R.

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Frankreich.

Berlin, Dienstag den 30. Oktober

Die Memoiren des Lieutenants Bellot.

Der Untergang des berühmten und unglücklichen Franklin selbst hat kaum allgemeineres Bedauern erregt, als das traurige Ende des jungen französischen Seemannes, der, von uneigennüßiger Menschenliebe getrieben, sich den lezten Expeditionen zur Aufsuchung des Verschollenen anschloß und im arktischen Eise seinen Tod fand. Seine kurze Laufbahn - er hatte erst das siebenundzwanzigste Jahr seines Alters erreicht wird in den Annalen der Humanität stets ein ehren volles Blatt füllen, und die von ihm hinterlassenen Aufzeichnungen, in welchen seine schöne Seele sich spiegelt, werden das Ihrige dazu beitragen, fein Andenken der Nachwelt zu erhalten.°)

Joseph René Bellot war einer jener merkwürdigen Menschen, die Alles, was sie werden, ihren eigenen Anstrengungen verdanken. Der Sohn eines armen Grobschmieds, wurde er, kaum zwanzig Jahr alt, als Offizier der französischen Marine wegen seiner in einem Gefecht auf Madagaskar bewiesenen Tapferkeit zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Von dem Verlangen ergriffen, zur Auffindung des von ihm hochverehrten Franklin mitzuwirken, bot er der Gattin des Verlorengegangenen seine Dienste an bei der auf Kosten derselben unter Leis tung des Capitains Kennedy ausgerüsteten Expedition. Lady Franklin kam seinen Wünschen freundlich entgegen, und die nähere Bekanntschaft mit der schwer geprüften Frau rief in ihm eine kindliche Anhänglichkeit hervor, die sie durch mütterliche Zärtlichkeit erwiederte. ,,Um elf Uhr", schreibt der junge Franzose am Morgen seiner Abreise von Strømneß,,,machte ich der Lady Franklin den Abschiedsbesuch. „Nehmen Sie sich in Acht", war Alles, was sie mir vor Weinen fagen konnte. Arme Frau! hättest Du in meinem Herzen lesen können, so würdest Du gesehen haben, wie sehr der etwas egoistische Wunsch, mich an einer außergewöhnlichen Reise zu betheiligen, einem wahren und leidenschaftlichen Eifer zur Erreichung des uns gesteckten Zieles gewichen ist. Ich muß Mutterstelle bei Ihnen vertreten", sagtest Du, Dich nach den von mir zur Reise getroffenen Anstalten erkundigend. Nun denn, so sollst Du in mir einen Sohn finden die ganze unerschöpfliche Hingebung eines Sohnes, der seinen Vater sucht; und was menschliche Kraft vermag, soll von mir gethan werden."

Es ist diese erste Reise am Bord des ,,Prince Albert", welche fiebzehn Monate dauerte, auf die sich das von Bellot hinterlassene Tagebuch bezieht. Er fühlte sich bald in seiner neuen Umgebung heimisch, widmete sich eifrigst den von ihm selbst übernommenen Berufspflichten, lernte Englisch und befreundete sich sogar mit dem englischen Sonntag. Die ganze Nacht hindurch", schreibt er nach seiner Ankunft in den arktischen Regionen, in den lezten Tagen des Juni, „ist es so hell, wie zu Rochefort im Sommer um sieben Uhr. Mit Ausnahme meiner Augen, deren Zustand mich nöthigt, eine blaue Brille zu tragen, bin ich schon vollständig akklimatisirt. Ich stehe zwischen fieben und acht Uhr auf und wasche mich, wie auch das Wetter sein mag, auf dem Verdeck, um keine Näffe in meine Kajüte zu bringen; alsdann nehme ich Beobachtungen des Stundenwinkels vor. Um acht Uhr, wenn man die Wache ablöst, wird gebetet, und dann geht es ans Frühstück, welches aus Kaffee oder Thee und etwas Fleisch besteht. Nach einer Promenade auf dem Verdeck, kehre ich zu meiner Arbeit zurück bis zum Mittag, wo ich die Breite bestimme. Die Berechnung der Schiffslage beschäftigt mich bis zum Mittagessen; es giebt Suppe und Fleisch, mit Kartoffeln statt des Brodes. Den Nachmittag widme ich dem Studium, um acht Uhr findet das Abendgebet statt, und ich beginne meine Wache. Ich lege mich nie vor ein Uhr nieder, nachdem ich mein Tagebuch geschloffen und Gott für seine gnädige Obhut gedankt habe. Meine lezten Gedanken gehören stets den theuren Freun den, die ich hinter mir gelaffen, und nach sechsstündigem Schlaf er wache ich, Dank dieser geregelten Lebensweise, gesund und kräftig.

*) Diesen von Herrn Lemer unter dem Titel: „Journal d'un voyage aux mers polaires, par Joseph René Bellot", veröffentlichten Memoiren wide meten wir schon in Nr. 98 des,,Magazin“ eine vorläufige Anzeige, D. R.

1855.

Die verschiedenen Zeitabschnitte sind so gut ausgefüllt, daß sie mit wunderbarer Schnelligkeit vorübergleiten, und ich bin höchlich erstaunt, fast zwei Monate seit meiner Abreise aus Rochefort verflossen zu sehen. ,,28. und 29. Juni. Meine Augen leiden mehr und mehr, und dies beunruhigt mich nicht wenig, wegen der Befürchtungen, die es mir für die Zukunft einflößt; indessen will ich alle möglichen Vorsichtsmaßregeln treffen, und mit Hülfe von Schneebrillen, grüner Gase :c. hoffe ich, das Uebel zu überwinden. Die Kälte beginnt, fühlbar zu werden, und ich muß schon wollene Strümpfe anziehen. Am Sonntag hatten wir, wie immer, Gottesdienst und, wie gewöhnlich, las ich eine Predigt vor. Es scheint, daß meine Aussprache nicht schlecht ist und daß ich namentlich den Accent nicht zu falsch anbringe. Der tägliche Gottesdienst besteht im Vorlesen einiger Psalmen, eines Kapitels aus der Bibel und in einem Morgen- und Abendgebet. Des Sonntags werden außerdem eine Predigt und Bruchstücke aus den zahlreichen Werken vorgetragen, die man uns mitgegeben hat. Wenn die Frömmigkeit unserer Leute nicht sehr aufgeklärt ist, so scheint sie ihnen doch wenigstens vom Herzen zu kommen, und wäre es bei ihnen auch nur Gewohnheits- Sache, so hat doch diese Gewohnheit auf sie einen vortrefflichen Einfluß. Ich kenne kein anregenderes Schauspiel als den Anblick einiger Menschen, die mitten in der Einsamkeit eines unermeßlichen Oceans das Lob Gottes singen; ich denke dabei an die Klöster des Orients, die wie Dafen in der Wüste liegen. Und in der That, was Anderes ist unser Leben am Bord mit seiner gemessenen Einförmigkeit als das Kloster, ohne dessen Unthätigkeit und ohne die Selbstsucht eines Menschen, der im Gebet nur sein eigenes Seelenheil erstrebt." - An einer anderen Stelle seines Tagebuchs schreibt Bellot:,,Obgleich nicht in Uebereinstimmung mit den Ideen, in welchen ich auferzogen worden, halte ich es jeßt für meine Pflicht, der Mannschaft mit dem Beispiel voranzugehen, den Sonntag als einen Tag der Ruhe zu heiligen, da ihre Religion ihr dieses gebietet; und außerdem sehe ich hierin nichts, als was vollkommen natürlich ist, und bin entschlossen, diesen Tag ausschließlich religiösen Studien zu widmen."

Die Naturwunder des Polarkreises machten einen lebhaften Eindruck auf unseren jungen Seefahrer. Der Sturz eines Eisberges wird in folgender Weise beschrieben: „Das Thermometer steht auf 55 Grad (10 Grad Reaumur); wir liegen regungslos in einem ölglatten Meere. Es ist nicht eine jener Windstillen, die mit einer Deining verbunden sind, die das Schiff rollen und die Segel schwer an den Masten hängen läßt. Alles scheint in Schlummer versunken, und die Leute sind unten, weil oben auf dem Verdeck nichts für fie zu thun ist. Aber Dank den tröstenden Strahlen, welche die glänzende Oberfläche der Eisberge vergolden, ist die Natur nicht todt; in dieser vollständigen Unbeweglichkeit macht sich das Leben fühlbar; es ist das Bild des Lebens, nicht des Todes. Von Zeit zu Zeit kündigt ein dumpfer Knall die ohne Zweifel durch die Hiße hervorgebrachte Ablösung einer Eismasse an. Man hört ein rollendes Geräusch, wie die Donnerschläge in unseren herbstlichen Gewittern, und wir sehen die Spiße eines Eisberges sich von dem Hauptkörper trennen und krachend in das Meer stürzen, indem sie Wolken von Schaum bis zu einer ungeheuren Höhe emporschleudert. Das Ungethüm schwankt mehrere Male hin und her, als wollte es sich wieder auf seiner Basis festseßen, oder vielleicht um die anderen Eisberge zu begrüßen; denn wer kann die geheimnißvolle Sprache der Natur verdolmetschen? Eine lange Furche geht ihm mehrere Meilen voran, um seinen Eintritt in die Welt zu verkünden; noch einige Augenblicke, und das, was eben erst das Anhängsel eines größeren Blockes war, ist selbst ein Mitglied dieser Riefenfamilie geworden.

„Ich habe mehr als einmal dem Vomstapellassen eines Schiffes, jenem bewundernswürdigen Resultat menschlicher Kraft und Mühe, beigewohnt; mein Herz schlug erwartungsvoll in dem Augenblick, wo auf das gegebene Signal es sich langsam vorwärts schob, während sein eichenes Gestell unter der Wucht feufzte, und ich klatschte freudig in die Hände, als ich die enorme Masse flott sah, deren Inbewegungsezen ich als das ne plus ultra des Mechanismus betrachtete; aber was ist ein solches Schauspiel im Vergleich mit dem heutigen? D,

Menschen, wie klein seid Ihr in der Welt! Wie schwach und gering. fügig find Eure größten Meisterstücke neben den Werken jener großen Künstlerin, die man Natur nennt! Was sind Eure zweihundert Fuß hohen Pyramiden, Euer Dom St. Petri, Euer Kreml! Hier sieht man Berge achthundert Fuß über dem Wasser, mit zweitausend Fuß tiefen Grundlagen, und Kuppeln und Dome in der Höhe von vierhundert Fuß. Man kann nicht umhin, bei dem Gedanken zu schaudern, wie leicht eine solche Maffe ein Schiff oder Boot zertrümmern würde, das fich in ihrer Nähe befände. Wir waren anderthalb Meilen von dem einstürzenden Eisberge entfernt, und doch gerieth das Schiff durch die Erschütterung in eine mehrere Minuten anhaltende Bewegung. Beechey erzählt, daß auf seiner Reise nach Spißbergen, die,,Dorothea", die vier Meilen von einem einstürzenden Eisberge auf der Seite lag, dadurch emporgehoben und das große Schiffsboot umgeworfen wurde." Der Wallfischfang ist schon oft beschrieben worden, indessen mag die von Bellot gegebene lebhafte Schilderung des dabei beobachteten Verfahrens hier einen Plaß finden:

„Wo sich nur eine Oeffnung in der Küste zeigt, schlüpft der „Prince Albert" hinein, da seine geringe Größe ihm in dieser Beziehung Vortheile gewährt, welche tiefer gehende Fahrzeuge nicht befigen. Machten übrigens nicht auch die Baffin, Hudson und Davis ihre Entdeckungen in noch kleineren Barken? Wer würde klagen Angesichts der verhältnißmäßigen Annehmlichkeiten, die wir genießen? Die meisten dieser Schiffe (Wallfischfänger) haben eine Equipage von funfzig Mann und einen Wundarzt. Die Wundärzte sind in der Regel junge Leute, die Medizin studirt haben, aber noch zu jung sind, um sich eine Praris erwerben zu können. Viele von ihnen kamen zu uns an Bord, und sie sprachen fast alle mit Enthusiasmus von den anregenden Zwischenfällen diefes neuen Lebens. In den Eisregionen segeln die Wallfischfahrer immer paarweise, um sich im Falle eines Unglücks gegenseitig Hülfe zu leisten. Einer von den Matrosen, der im Maftkorb Wache hält, giebt das Signal, daß ein Wallfisch in Sicht ist. Rasch werden die stets bereit stehenden Böte bemannt und in die See hinabgelassen, mit den Harpunen und Leinen, die man gleichfalls schon längst in Bereitschaft gehalten. Starke Ruderer, laßt Eure kräftigen Arme nicht müde werden, denn der Sieg gehört dem, der mit seiner Harpune zuerst den Wallfisch trifft! Das Boot, gleich einem feurigen Schlachtroß, scheint an der allgemeinen Begeisterung theilzunehmen; es durchschneidet die Wogen, eine lange Schaumfurche hinter sich laffend. Mit einer langen Hebestange bewaffnet, leitet es der erfahrene Steuermann, von dem der Erfolg des ganzen Unternehmens abhängt. Am Bug steht der Harpunirer, des Augenblickes gewärtig, wo das Thier ihm einen Theil seines Körpers zuwendet. Die Harpune ist geworfen; ein breiter, röthlicher Streif bedeckt die Oberfläche des Waffers. Hurrah! gut getroffen! Doch gebt Acht und laßt uns nicht auf unseren Lorbeeren schlummern; denn bisher war es kein Kampf, sondern ein Angriff. Das harmlose, verwundete Geschöpf stürzt sich in die Tiefe und verfolgt, vom Schmerz getrieben, mit rasender Eil feinen Weg in Regionen, wo es seinem Feinde auszuweichen glaubt. Von Zeit zu Zeit erhebt es sich zur Oberfläche des Waffers, um Athem zu schöpfen, indem es Fluthen von Schaum und Blut hervorspeit; neue Harpunen zwingen es nochmals, unter zutauchen und den Wettlauf fortzuseßen. Mit jeder Wunde hängt sich ein neuer Feind an seine Flanken, und es ist nichts Ungewöhnliches, einen Wallfisch in solcher Weise drei, vier oder fünf Böte nach sich schleppen zu sehen, für die dieser Augenblick voller Gefahr ist, denn so groß ist die Geschwindigkeit, mit der sie über das Meer fliegen, daß die Harpunen-Leine sich oft entzündet und man sie fortwährend mit Wasser beneßen muß. Erschöpft von seinen Anstrengungen, haucht das Thier endlich sein Leben aus und wird nach dem Schiffe bugfirt. Von einigen Wallfischfängern werden die Harpunen aus einer Kanone abgeschoffen, bei anderen find sie mit einem Mechanismus versehen, wodurch das Thier sogleich vermittelst einiger Tropfen Blausäure getödtet wird - eine Erfindung, welche dem Kampf seinen ganzen Adel benimmt. Der arme Wallfisch, in allen Richtungen verfolgt und ge= heßt, rächt sich durch Auswandern; seitdem der Fischfang begonnen, hat die Zahl dieser Thiere sich außerordentlich vermindert; sie suchen gemäßigtere Regionen auf. Wie der muthige Stier, den die fort währenden Angriffe des Picador belästigen, stürzt sich der Wallfisch zuweilen blindlings auf seine Feinde und zertrümmert mit einem ein zigen Schlage feines Schweifes ihre Böte, oder er vereitelt ihre boshafte Habgier, indem er die Leine mit einer verzweifelten Anstrengung entzwei reißt und in ein unbekanntes Asyl entflieht, um dort frei zu sterben. Armes Geschöpf! ist dies nicht der Kampf zwischen dem Löwen und der Mücke? Schmachvoll in Stücke geschnitten, füllt es mehrere Tonnen; das Fischbein wird ihm aus dem Schlunde genommen unter Schwärmen von Wallfischläufen und Rochen, welche sich von den Matrosen durchaus nicht stören laffen."

Der furchtlose Unternehmungsgeist, der ein hervorstechender Charakterzug Bellot's war und ihm zulegt verderblich wurde, stürzte ihn

auch vorher nicht selten in Gefahren, aus denen er sich nur mit genauer Noth rettete. So erzählt z. B. fein Tagebuch folgenden Vorfall : ,,12. Oktober. Durch fortwährendes Treiben und Drängen ist es mir endlich gelungen, mit den Zurüftungen zu unserer morgenden Expedition fertig zu werden; unsere Mocassins find zwar noch nicht alle im Stande, wir können sie aber in Port-Leopold vollenden. Der Schlitten ist beladen, und morgen früh um vier Uhr werden wir hoffentlich abreifen können. Unsere Bagage besteht hauptsächlich aus einem Zelte, in Ermangelung eines Schneehauses, aus einem kleinen Vorrath Holzkohlen zum Feuer-Anmachen und aus einer viel größeren Quantität Weingeift, als wir bei einem früheren Versuch mitnahmen. In Elwin-Bai werde ich Lebensmittel für neun Personen und die vier Hunde auf zwei Tage zurücklaffen und, nur mit frischer Wäsche und einigen Schuhen für unsere Freunde versehen, weiter gehen. Wenn das Eis gut ist, werde ich mich bemühen, morgen Abend an der Nordfeite von Elwin-Bai unser Lager aufzuschlagen. Am zweiten Tage, wenn ich nicht sicher bin, Port-Leopold zu erreichen, und eine Bucht sich als Zufluchtsort für die Nacht darbietet, werde ich etwas früher anhalten, um das Zelt nicht der Gefahr auszusehen, von einem Windstoß umgeweht zu werden. Ich habe auch drei Raketen mitgenommen, mit welchen ich am zweiten Abend unsere Ankunft verkündigen will, wenn wir uns nicht in zu großer Entfernung befinden. Die Gesellschaft besteht aus Dr. Cowie, zwei Matrosen und mir. Ich fürchte, die Gegenwart des Doktors wird dort nöthiger sein als hier, da Herr Kennedy sehr an Rheumatismus leidet, und diesmal bin ich den Wünschen Dr. Cowie's zuvorgekommen, indem ich ihn zu unserem Reisegefährten erwählte. Mit zwei paar Schneeschuhen werden wir uns einen Pfad bahnen können, falls der Schnee nicht zu dick ift. Im Ganzen ist diese Expedition vielleicht gefährlicher als die erste, aber ich täusche mich nicht über die Gefahr, weil es meine Pflicht ist, sie vorherzusehen. Ich baue auf Gottes Hülfe; hat er es anders bestimmt, so möge sein Wille geschehen. Ich begebe mich voll Hoffnung auf den Weg, nachdem ich noch einmal die Briefe gelesen und geküßt habe, die mich an die Heimat und die heimatlichen Bande erinnern. Lebt wohl; bis wann? Ich schreibe an Lady Franklin. (Schluß folgt.)

Etwas über die der Typographie förderlichen Industriezweige auf der Pariser Ausstellung.

Die Zweige der Typographie, bei denen auf der Pariser Ausstellung der Fortschritt am meisten in die Augen fallend ist, find: die Kunst, Vignetten in den Tert zu drucken und der Farbendruck. In dem Schriftdruck ist der Fortschritt auch nicht zu verkennen; aber er ist hier nicht in neuen Erfindungen, sondern in dem Umfange zu suchen, in welchem die guten Arbeiten um sich gegriffen haben und gewöhnlich geworden sind. Wirklich schlecht gedruckte Werke sind im Buchhandel fast nicht mehr zu finden. Dieser Fortschritt der Buchdruckerkunft, der sich in der gegenwärtigen Ausstellung zu Paris bemerkbar macht, ist um so anerkennenswerther, da er den Büchern von starker Verbreitung zugute kömmt.

Der bezeichnete Fortschritt der Buchdruckerei ist eben ein Ergebniß der Fortschritte, welche in den der Buchdruckerei zu Hülfe kommenden Industriezweigen gemacht worden find.

So hat zuerst die ihrer Natur nach die Aufmerksamkeit des Publikums wenig auf sich ziehende Fabrication der in der Buchdruckerei angewandten Linten in den legten Zeiten bedeutende Verbesserungen erfahren. Zu diesen Verbesserungen hat der Holzdruck, zu welchem sehr reine Tinten erfordert werden, nicht wenig beigetragen. Wenn auch das Urtheil über die Güte der Tinten seine Bestätigung erst durch die Zeit erhalten kann, so muß man doch jetzt schon anerkennen, daß die ausgestellten Druckproben sich durch reine und schöne Farben vor früheren auszeichnen.

Die in der Fabrication des Papiers gemachten Fortschritte find für den Fortschritt der Buchdruckerkunft auch von Bedeutung. In den lezten zwanzig Jahren hat dieser Industriezweig großartige Verbesserun gen erfahren, indem nach und nach faft für alle Operationen dieses Industriezweiges Maschinen in Anwendung gekommen sind. Das Papier, dessen Gebrauch zum Schreiben schon im hohen Alterthum vorkömmt und älter ist, als der des Pergaments, ist im Laufe der Zeit aus verschiedenen Stoffen gemacht worden: aus der Rinde der Papyruspflanze, aus Baumwolle, aus Linnen, aus Hanf u. f. w. In Folge des Mangels an leinenen Lumpen ist man in neuerer Zeit auf die Baumwolle zurückgekommen. Die Festigkeit, durch welche die Papiere der früheren Jahrhunderte sich auszeichnen, kann dem heutigen Maschinenpapier im Allgemeinen nicht nachgerühmt werden. Es fehlt indeffen heutzutage nicht an Bemühungen, den Papieren die frühere Festigkeit zu geben, ohne den billigen Preis zu steigern. Das Bleichen des Papiers ist Gegenstand fortdauernder Versuche.

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