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Arabien.

Berlin, Sonnabend den 13. Oktober

Burton's Pilgerfahrt nach Medinah und Mekka. Das heilige Land der Moslemin wird bekanntlich mit der größten Eifersucht überwacht. Ein Franke, der in diesen geweihten Umkreis einzudringen versucht, mag sich darauf gefaßt machen, es mit Gefahr seines Lebens zu thun. Er muß sich die Tracht und die Sitten der wahren Gläubigen aneignen, und der geringste Verstoß gegen die muselmännischen Gebräuche kann dem kühnen Fremdling verderblich werden.

Richard Burton, Lieutenant in der ostindischen Armee, Verfassfer des unten angezeigten Werkes,) ist außer Burckhardt - dem es übrigens nicht gelang, die heiligen Orte zu betreten der vierte Euro päer, der bis in das Allerheiligste der Moslemin gedrungen. Von der geographischen Gesellschaft in London, die es für einen Ehrenpunkt hält,,,den Schandfleck der modernen Reisenden, den großen leeren Raum, der bis zur Stunde die Karte von Ost- und Mittel-Arabien einnimmt", aus dem Wege zu räumen, auf alle mögliche Weise unterstüßt, überwand Burton alle Hindernisse, die ihm namentlich von Seiten der Dis rektoren der Ostindischen Compagnie in den Weg gelegt wurden sie hatten ihm aus dem menschenfreundlichen Grund, „daß die beabsichtigte Reise von einer zu lebensgefährlichen Natur sei“, den Urlaub verweigert und am 3. April 1853 segelte er, unter dem Charakter eines Arztes und als Perser verkleidet, von London nach Alexandrien. Einige Zeit hatte er damit zugebracht, sich an die Eigenthümlichkeiten der morgenländigen Sitten zu gewöhnen, mit welchen er übrigens durch einen langen Aufenthalt in Indien schon ziemlich vertraut war.

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,,Vierzehn Tage“, schreibt er,,,wurden mit Nugen dazu angewandt, mich in den orientalischen Gebräuchen einzuüben. Denn was der hösische Lord Chesterfield von dem Unterschied zwischen einem Gentleman und dessen Widerpart bemerkt daß beide dieselben Lebensgeschäfte in völlig entgegengeseßter Weise vollziehen läßt läßt sich noch weit mehr von der Lebensart des östlichen und westlichen Menschen sagen. Man sehe z. B. einen indischen Muselmann ein Glas Waffer trinken. Bei uns ist dies eine sehr einfache Handlung, aber bei ihm schließt die Ausführung nicht weniger als fünf Phasen in sich. Erstens ergreift er den Becher, als ob es die Gurgel eines Feindes wäre; zweitens ruft er dabei aus; Im Namen Allah's, des Mitleidigen, des Erbarmungsvollen!" bevor er seine Lippen negt; drittens trinkt er den Inhalt nicht, sondern schluckt ihn hinunter und endigt mit einem befriedigten Grunzen; viertens seufzt er, ehe er den Becher niederfest, ein „Gelobt sei Allah!“ hervor, das man in der Wüste vollständig begreifen lernt, und fünftens erwiedert er auf das höfliche Vergnügen und Gesundheit!" seines Freundes: Möge Allah es Dir angenehm sein laffen!" Auch hütet er sich vor der Gottlosigkeit, das reine Element stehend zu genießen, ohne jedoch die drei an erkannten Ausnahmen zu verzeffen: die Flüssigkeit der heiligen Quelle Zem-zem, Wasser, das als Liebesdienst vertheilt wird, und das, welches nach dem Wusu, der geringeren Waschung, übrig bleibt. Ferner verlernt man in Europa leicht den richtigen Gebrauch der rechten Hand, die Manipulation des Rosenkranzes, das Sigen ohne Stuhl, auf dem der echte Orientale fich so unbehaglich fühlt wie ein Matrose zu Pferde, den rollenden Gang mit ausgestreckten Zehen, den ernsten Blick und das Anbringen frommer Stoßgebete.

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1855.

gender Stimme säufelt. Und dies ist das wahre Kaïf des Arabers: die Empfindung der thierischen Existenz, der passive Genuß der Sinne, die angenehme Lässigkeit, die träumerische Ruhe, das Luftschlösserbauen, welches in Asien die Stelle des thatkräftigen, intensiven Lebens von Europa vertritt. Es ist das Resultat einer lebhaften, empfänglichen Natur, einer wollüftigen Erregbarkeit der Nerven, die in nordischen Regionen unbekannt ist, wo das Glück in der Anstrengung der geiftigen und physischen Kräfte besteht; wo es heißt:,,Ernst ist das Leben"; wo die spärlich hervorbringende Erde unaufhörliche Arbeit im Schweiße des Angesichts gebeut und die feuchte, schauerige Luft beständige Regsamkeit, Bewegung, Abwechselung oder Zerstreuung erfordert. Im Orient braucht der Mensch nur Ruhe und Schatten: am Ufer eines plätschernden Stromes oder unter dem Schatten eines aromatischen Baumes ist er vollkommen glücklich, wenn er seine Pfeife raucht, eine Tasse Kaffee schlürft oder ein Glas Scherbet trinkt und vor allen Dingen den Körper wie den Geist so wenig wie möglich derangirt, indem Sprechen und Denken zu den unangenehmsten Unterbrechungen des Kaïf gehören. Kein Wunder, daß Kaïf ein unüberseßbares Wort in unseren europäischen Sprachen ist!"

Nach einigen Paßschwierigkeiten und nachdem er sich mit allen Bedürfnissen zu einer so außerordentlichen Reise versehen hatte, ging er Ende Mai mit dem Dampfschiffe nach Kahira. Hier bestand seine Verkleidung fiegreich die erste strenge Probe. Zwei seiner Reisegenossen waren Offiziere in demselben Dienstfache wie er. „Als ich“, erzählt Burton, „den einen zufällig anstieß, fluchte er sein „damn” hörbar genug auf mein Augenpaar. Ich verzieh ihm den Tusch, in Anbetracht des Kompliments, daß er damit meiner Verkleidung machte.“

In Kahira wurde er mit einem gewiffen Hadschi Wali, „einem Burschen von unendlichem Humor“, bekannt, auf dessen Anrathen er den Charakter eines persischen Derwisch gegen den eines Afghanen vertauschte. Wenn Du als Schiit auftrittst" fagte der Hadschi so bringst Du Dich in allerlei Verlegenheiten. In Aegypten wirst Du verflucht, in Arabien geprügelt, weil Du ein Keßer bist, Du mußt das Dreifache gegen andere Pilger zahlen, und wirst Du krank, so kannst Du auf der Straße sterben." Diesem verständigen Rath folgte er, behielt aber dennoch den Charakter des Arztes bei. In dieser Eigenschaft wurde er von einem Sklavenhändler angegangen, einigen schönen Exemplaren seiner afrikanischen Menschenfleischwaaren Etwas zu verschreiben.

,,Es war im Durchschnitt der abyssinische Schlag, mit breiten Schultern, dünnen Schenkeln, zarten Händen und Füßen, ungeheuer starken Hüften. Keine hatte schöne Züge aufzuweisen. Der obere Theil des Gesichts, Brauen und Augen, da der Krauskopf unter einem Tuche versteckt ist, find ziemlich hübsch; dagegen drücken die hängenden Lippen, die breiten Backen, der hervorspringende Mund Rohheit und Geilheit aus; das Ganze ist eine Mischung von Keckheit und Sanftmuth. Eigen ist der verliebte Styl, in welchem sie sich unterhalten. „Wie schön bift Du, Mirjam! Welche Augen!" - ,,Nun denn, warum kaufst Du mich nicht?" pflegt die Dame zu erwiedern. ,, Marjam, Segen zweier Herzen!" mich nicht?".

,,Ei, warum faufst Du

In Kahira hielt es Burton für nöthig, sich in die moslemische Theologie einweihen zu lassen, und vertraut sich zu diesem Zwecke der Fürsorge Scheich Muhammed's an, von dessen Unterrichtsmethode er folgenden, höchst launigen Bericht giebt:

,,Sein Spott wurde beißend, wenn ich eine von der seinen ab. weichende Meinung, besonders in einem Punfte der Grammatik oder der Gottesgelahrtheit, über der sein Bart grau geworden, zu äußern wagte. Allah sei gepriesen! Welche Reden! Wenn Du Recht haft, vergrößere Deinen Turban und wirf Deine Arzneien weg; denn wahrlich, es ist besser, die Seelen der Menschen zu beleben, als ihre Leiber zu zerstören, o. Abdullah!" Als echter Orientale schmauft er sehr gern und giebt dabei guten Rath. „Du schreibst immerfort, mein wackerer Bursche; eine schlimme Gewohnheit, die Dich gewiß in den Ländern der Franken angesteckt hat. Leg fie ab!" Unerschöpflich ist er, wenn er über die Haushaltsrechnungen predigt. Oft bricht er

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(Gegen die Materialisten in der Naturwissenschaft.) Wir haben schon früher Zeiten gehabt, in denen Alles in der Welt materiell war, dann auch wieder Zeiten, wo alles Irdische ein Jammerthal, wo, um mit Luther zu reden, der Leib nur „Madensack der Seele", alles Materielle Schein des Wesens, des Geistes war und nichts als der Geist Anspruch darauf hatte, wirklich zu sein, zu eristiren. Dieser Idealismus baute sich in Deutschland am gründlichften aus. Von Cartesius an durch Kant, Fichte und Schelling hindurch erreichte er in Hegel seine höchste wissenschaftliche Aus- und Durchbildung. Dieser Idealismus war keine bloße Mode, keine stubengelehrte Schöpfung: der kategorische Imperativ Kant's braufte als französische Revolution über Europa bis Moskau; das scharfe, stolze, noble „Ich“ Fichte's wurde Tugendbund, der Freiheit und schlug die Schlachten bei Leipzig und Waterloo. Aus Hegel's bespotteten, dunklen, selten gelesenen, noch seltener verstandenen Büchern stammen die Ideen von 1848. Aber als konstituirende, Deutschland einigende fiel die Hegelsche Philosophie gründlich durch. Der Jdealismus hatte sich blamirt, und kein Mensch wollte mehr etwas von ihm wiffen. Das Gesunde an dieser Reaction ist die solide, naturwissenschaftliche Richtung, die sich als Gegensaß aus diesem einseitigen, unverdauten Idealismus der Hegel-Periode in Literatur und Leben Deutschlands entwickelt hat und die Maffen in den Stand feßt, die Materie zu verstehen, zu behandeln, zu überwinden. Die Idealisten wollten durch Revolution Geist in die Materie tragen, wie die Schild. bürger Licht in ihr fenfterloses Rathhaus. Sie wußten nicht, daß schon mehr Geist in der Materie ist, als in ihren Köpfen. Die Materie opponirte gegen diese groben Octropirungen, und zwar so siegreich, daß nichts geblieben ist aus jener Zeit, als Kladderadatsch. Die Materie opponirte so siegreich, daß man nun dem Geißte „zum Schure“ sagt: „Alles ist Materie, und Alles, was nicht Materie ist, ist Schwinbel, dummes Zeug, Mangel an Verdauung. Alles in der Welt besteht aus Sauerstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kalium, Natrium, Phosphor und Schwefelhölzern. Wir haben ein gutes Schock ,,Elemente", wobei wir auf jede Mandel eines zugeben, also vierundsechzig. Was nicht aus diesen vierundsechzig Elementen besteht, ist rein gar nichts." Das ist der direkte Weg zu einer ärgeren Einseitig keit, als der Idealismus war. Wir können materielle, gewaltige, ewige Existenzen und Lebensprozesse nicht auf die ziemlich willkürlich angenommenen vierundsechzig Elemente zurückführen, und ohne deren Kennt niß und Erkenntniß werden wir immer noch vor der Materie stehen bleiben, wie Petrus von fern, nachdem er dreimal den Herrn verleugnet. Was wir Staat, Familie, Sitte, Recht, Moral, Ehre, Liebe, Willen, Pflicht, Geift, Begriff, Jdee, ja, blos im Allgemeinen Leben" nennen, find gewaltige, materielle Existenzen und Elemente, die wir nicht auf Sauerstoff, Stickstoff, Käseftoff u. s. w. zurückführen können, zu denen wir mit den feinsten Waagen der Chemie, mit den tiefsten Berechnungen der Mathematik, den genauesten Forschungen des Physikers und Physiologen noch gar nicht einmal heran kommen können. Und gleichwohl wollen diese gewaltigen Lebensformen genau studirt und danach respektirt und behandelt sein, wenn uns der Materialismus nicht zu größeren Blamagen und in peinlichere Situationen verführen soll, als der Idealismus.

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Die Naturwissenschaft sollte vor allen Dingen bescheiden werden und eine der Wissenschaft würdige Haltung annehmen. Nichts ist anmaßender, unsinniger, als ihr Generalisiren, ihre Behauptung: Weil wir es nur mit der Materie zu thun haben und mit allen unseren Forschungen, Scheidungen, Wägungen, Messungen, Berechnungen nichts finden, als nur immer wieder Materie, ift überhaupt Alles Materie. Wie viel Materie kennt Ihr denn? Ein Billionstel von einem Stäubchen des materiellen Weltalls. Euer Schluß ist viel anmaßender und lächerlicher, als der Glaube des Mannes, der sein Haus verkaufen wollte und einen Ziegelstein als Probe mitnahm. Richtig ist blos, daß es die Naturwissenschaft blos mit Materie zu thun hat. Und hier finden wir gleich eine starke Aufforderung zur Bescheidenheit. Was ist Materie? Was körperlich ist. Was ist Körper? Was schwer, porös, undurchdringlich, Raum einnehmend ist u. s. w. Was ist Elektrizität, Magnetismus, Wärme, Licht, chemische Bewegungskraft, Lebenskraft oder Lebensthätigkeit? Alle diese für materiell gehaltenen Kräfte, die

auf den Begriff Materie nicht passen, speist man mit Namen ab, wie Imponderabilien, d. h. Körper, die sich nicht wägen laffen, also keine Körper find, besonders gern mit dem Titel,,Kraft". Die Naturwissenschaft sieht viel Geseße und Geheimnisse in ihre materielle Sphäre herein- und darüber hinauswirken, die sich allen Begriffen des Materiellen entziehen, sich nicht messen, nicht wägen, nicht erklären lassen. Was thut sie damit? Sie nennt sie Kraft". Alles, was ich nicht weiß, nenne ich Kraft. Daraus würde folgen, daß die wahre Kraft der Naturwissenschaft in Nichtwiffen bestehe. Sie ist in dieser Beziehung nicht weiser, als der naivste Wilde, nur daß sie viel heidnischer ist und an mehrere Götter glaubt, während der rothe Indianer Alles, was ihm unerklärlich erscheint, seinem Fetisch auf die Rechnung seßt.

Die Wissenschaft soll sich aber keine Gößenbilder machen und lieber an Gott glauben, wenn sie einmal gestehen muß, daß sie sich ringsum bis ins Unendliche von Unerklärlichem umgeben findet. Will fie atheistisch sein, muß sie wenigstens durch Ehrlichkeit ihren Mangel an Glauben möglichst erseßen. Sie müßte dann sagen: Woher dies und das kömmt, wiffen wir nicht, wohin es geht, wissen wir auch nicht; wir halten uns bescheiden in der sehr engen Sphäre des Wäg-, Meß- und Erklärbaren, der physikalischen, chemischen, mathematischen Materie. Da, wo das Leben anfängt, hört unser Wissen auf, so daß wir von dem Geiste, der höchsten Meisterschöpfung des Lebens, noch viel weniger wiffen. Wenn sie an die Stelle dieser Bescheidenheit und Ehrlichkeit die Behauptung seßt: es giebt kein Leben, Alles ist „Stoffwechsel", chemischer Prozeß, es giebt keinen Geist, Alles ist höchstens Elektrizität, Sauerstoff und Sauerkohl, so klingt das fölpelhaft und blödsinnig.

Sehen wir uns die Naturwissenschaften, welche dem Leben und dem Geifte am nächsten kommen, die Chemie und Physiologie, einmal genauer an, um uns zu überzeugen, durch welche ungeheure Kluft sie von den unendlichen Mysterien des Lebens und dessen unendlicher geiftiger Schöpfungskraft ausgeschlossen bleiben.

Die anatomische und chemische Maschinerie des lebendigen, durchgeistigten Körpers ist an sich schon ein so unübertreffliches, unendliches Wunderwerk, daß die Naturwissenschaft nicht nöthig hat, darüber hinauszuschlagen und Alles zu leugnen, was ihr darin unerreichbar bleibt. Der lebendige Menschenleib ist eine organisirte Combination aller mechanischen Kräfte, aller bestehenden und dampfenden und noch künftig konstruirten Maschinen. Er hat seinen unermüdlich heizenden und treibenden Dampfkessel im Magen, seine Hebel, Schrauben, hydrau lischen Pressen, seine Schwung- und Kammräder, seine Webe- und Spinnmaschinen, seine chemischen Fabriken, seine Schiffe, Frachtwagen, Flüsse und Kanäle, seine Handels-Bureaur für Ein- und Ausfuhr, seine Börse, seine Marktpolizei (Haupt-Bureau direkt über dem großen Hauptthore, dem Munde, unter der Nase), seine Ministerien, seine Gerichtshöfe, seine Straf-Anstalten, seine Apotheken und Aerzte, seine Sicherheits-Ventile, seine Nationalgarde, sein Militair und seinen Hofstaat - Alles, Alles in sich, und zwar viel beffer, als die Staatsweisen es sich träumen lassen. In dieser Welt im Kleinen läßt sich chemisch und physiologisch noch lange und viel studiren, so daß man getrost Alles ungeschoren laffen könnte, was den Männern von Fach" unerreichbar ist, so lange sie ihre Fach-Aufgaben nicht gelöst haben.

Am anmaßendsten ist die Chemie. Sie maßt sich alle Augenblicke Urtheile über das Leben an, obgleich sie davon auch nicht ein Atom in ihren Flaschen und Retorten sehen, wägen und zerseßen kann. Bekanntlich kann sich die Chemie nur durch die Annahme von Atomen Erklärungen für die chemischen Gefeße und Prozesse verschaffen, obgleich sie damit ganz gegen ihr erstes Grundgeseß, nur aus Erfahrungen, wirklich Gesehenem, Erprobtem, Schlüffe zu ziehen, verstößt und in der Erklärung des Wortes Atom selbst schon ein Widerspruch liegt. Atome find so klein, daß sie sich der feinsten chemischen Analyse entziehen. Noch Niemand hat ein Atom gesehen, geschweige untersucht. Die Körper bestehen aus Atomen, sagt die Chemie, d. h. aus kleinften Theilen, die sich nicht mehr theilen lassen. Ein Theil aber, und sei er noch so klein, läßt sich aber immer noch nur halb denken, in Vierteln, Achteln u. f. w. Sagt man dagegen: es sind eben die Achtel, die kleinsten Theile gemeint, so kömmt man naturwissenschaftlich, Iogisch auf das mathematische Atom, den Punkt, die Gränze einer Linie. Linie aber ist die völlig körperlose, gedachte kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten, welche also selbst nichts Körperliches find. Ein mathematischer Punkt ist durchaus etwas Körperloses, Unmaterielles. Durch Annahme von Atomen würde also die Chemie zu dem Geständniffe genöthigt werden: die Materie besteht aus Atomen, welche nicht materiell sind, da sie durchaus keinen Raum einnehmen. Ja, aber so ist es nicht gemeint, wir nehmen eben körperliche Atome an. Entgegnet man darauf, jedes kleinste Körpertheilchen lasse sich ja immer wieder getheilt denken, so machen sie jedem Streite dadurch ein Ende, daß sie behaupten: Atome seien kleinste Körpertheilchen, welche sich zwar noch als theilbar denken ließen, die aber die Natur nicht mehr theile. Woher wiffen sie denn das? Niemand hat es gesehen,

Niemand hat einen einzigen naturwissenschaftlichen Beweis, daß die Natur an irgend einer Gränze, und sei es bei dem Billionstel eines unsichtbaren Stäubchens, aufhöre, noch weiter zu theilen und zu verbinden. Das chemische Atom also ist ein Widerspruch, ein Unding. Man muß es aber haben, um damit zu erklären, zu beweisen, Wir kungen gewissen Ursachen zuschreiben zu können. Mit der Solidität und dem Wesen der Ursachen selbst giebt sie sich nicht ab. Gut, nehmen wir denn die Atome für baare Münze. Was sagt nun Liebig, der große Priester der organischen Chemie? Die orga. nischen Körper zeichnen sich dadurch vor den mineralogischen aus, daß fie Verbindungen höherer Ordnung find. Obwohl nur aus drei, vier oder höchstens fünf Elementen bestehend, sind ihre Atome doch weit zusammengesetter. Ein Kochsalztheilchen besteht allemal nur aus zwei Atomen, ein Zucker-Atom dagegen enthält sechsunddreißig, ein kleinstes Oliven-Del-Theilchen mehrere Hunderte einfacher Atome." Ferner: „Wir können chemisch unorganische Körper, wir können Kryftalle machen; aber ein Zuckertheilchen können wir nicht aus seinen Elementen zusammensezen, weil bei deren Zusammentreten die Lebenskraft mitwirkte, die unserem Willen nicht zu Gebote steht. Wir kön nen zwar organische Atome in chemische zerseßen, wir können aus schon organischen Verbindungen andere organische machen, z. B. Zucker aus Holz und Amylon, aus Zucker Oralsäure, Aldehyd u. s. w., aber keine einzige dieser Verbindungen aus ihren Elementen hervorbringen. Auf das Zusammentreten der Elemente zu einer chemischen Verbindung hat die Lebenskraft nicht den geringsten Einfluß; kein Element für sich ist fähig, zur Ernährung, zur Entwickelung einer Pflanze oder des thierischen Organismus zu dienen. Alle Stoffe, welche Antheil an dem Lebensprozeß nehmen, sind niedere Gruppen von einfachen Atomen, die durch den Einfluß der Lebenskraft zu Atomen höherer Ordnungen zusammentreten. Die Formen und Eigenschaften der einfachsten Gruppen von Atomen bedingt die chemische Kraft unter der Herrschaft der Wärme; die Formen und Eigenschaften der höheren, der organisirten Atome die Lebenskraft." (,,Chemische Briefe", S. 145 u. f. w.)

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Ueber diese Stelle liest der Mann von Fach" gewiß gedankenlos hin: es ist ja eine bekannte Sache. In seiner höheren Weisheit bemerkt er höchstens, daß Liebig mit seiner Annahme einer besonderen „Lebenskraft“ noch zurück sei gegen die modernste Naturwissenschaft, welche darin etwas von Geist vermuthet und deshalb sagt: Bekanntlich giebt es jezt keine besondere Lebenskraft mehr; was er Kraft nennt, ist bloße Thätigkeit des Lebens. So finde ich in einem neueften naturwissenschaftlichen Werke die Stelle: Die zusammengesetteren Substanzen heißen auch organische, und ihnen kömmt, sobald sie einen bestimmten Grad von zusammengeseßter Mischung erreicht haben, eine bestimmte, sogenannte organisirte Form zu und mit dieser Eigenschaften, welche man Lebensthätigkeiten zu nennen pflegt und früher einer ganz besonderen Kraft, der Lebenskraft, zuschrieb." Gut, also nicht Lebenskraft. Was ist aber das, was man Lebensthätigkeiten zu nennen pflegt? Thätigkeit seßt ein Thuendes, eine Ursache, eine Kraft voraus. Man weist die Lebenskraft aus der Wissenschaft aus, um Lebenskräfte dafür einzulaffen. Thätigkeiten find doch Kräfte. Sie sind eben so gut etwas Besonderes", wie die Liebigsche Lebenskraft, etwas sehr Besonderes. Den organisirten Substanzen kommen Eigenschaften zu, die man Lebensthätigkeiten zu nennen pflegt." Kommen zu? Was heißt das? Ist das ein wiffenschaftlicher Ausdruck? Woher kommen ihnen diese Eigenschaften? Sie kommen ihnen zu, also von außen? Wo staken sie denn? Warum tamen sie nicht früher? Wer schickte fie, denn bloße Eigenschaften an sich haben keine Beine und keinen Willen. Oder finden sich die Lebensthätigkeiten in den organisirten Substanzen schon vor, so daß sie blos bis zu einem bestimmten Grade von Mischung zu warten brauchen? Die Chemie giebt uns hierauf nicht die geringste Antwort. Genug, das Leben beginnt nach bestimmter Mischung. Die Pflanze wächst, das Thier läuft, der Mensch lebt und denkt. Woher kömmt das Alles? Die Chemie kann bekanntlich kein Zucker-Atom aus seinen Elementen zusammenseßen, geschweige einen Grashalm, ein Thier. Wer thut es denn? Die Chemie sagt: es macht sich von selbst: Sauerftoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor u. f. w., und da läuft der Hase, und da denkt der Mensch.,,Es kömmt, ihnen zu. Ift 'ne alte Gerechtigkeit." Liebig giebt den spezifischen Unterschied zwischen Chemie und Leben selbst an und weist aus dem reichsten Schaße von Forschungen und Experimenten nach, daß sich das Leben aus den Körpern selbst nicht erklären laffe. Woher es komme, weiß Niemand. Das Unbekannte muß aber einen Ramen haben, also Lebenskraft, also ein Wort für x, die unbekannte Größe. Die Weiseren sagen, die unbekannte Größe ist ja nichts, sie besteht blos aus Lebensthätigkeiten. Das heißt, um das Leben selbst bekümmern wir uns nicht, wir sehen es gleich thätig, in seinen Wirkungen, wie der Hase läuft, der Hund bellt, der Mensch erfindet, schafft, denkt, einen „Fauft" schreibt, einen „Hamlet“, liebt, haßt, Großes denkt, Schönes empfindet und ver

wirklicht - Alles aus Sauerstoff, Stickstoff, Fibrin, Albumin, Käsestoff und höchstens noch ein Bischen Elektrizität. Wird diese Weisheit, diese Vernüchterung, Verödung, Verblödsinnigung des Lebens, der Natur, der großen, unendlichen Gottes- und Menschenwelt, mit welcher jeder Realschüler der dritten Klasse schon seine gläubige Mutter, seine sinnige Schwester erschreckt, um zu zeigen, was für ein vorurtheilsfreier Held er schon geworden, den Materialisten der Naturwissenschaft nicht schon selbst zum Ekel? Kann die Materie jemals laufen lernen? Ihr sagt ja selbst: Trägheit ist eine allgemeine Eigenschaft aller Körper. Wie kömmt also der Hase zu seinen Läufen? Und wie kömmt nun gar der Mensch zum Sprechen, Empfinden, Erfinden, Schaffen, Denken?

Liebig hat nachgewiesen, daß die organischen Gebilde schon in ihrem rohesten ersten Lebens-Anfange über das Gebiet der Naturwissenschaft in ein ihr jenseitiges hinausgehen; wie weit gehen sie darüber hinaus in einem Faust, einem Shakespeare, einem Schiller, in jedem großen Gedanken, in jeder schöpferischen That, in jedem Willensakt des edelsinnigen Menschen? Daher sollte die Naturwissenschaft zunächst bescheiden werden und wenigstens nicht gemeiner sein, als der gemeine, niederträchtige Reineke Fuchs, der die Trauben, die ihm zu hoch hängen, doch blos sauer nennt, aber mein Lebtage sich nicht so blamirt, um zu behaupten, es feien gar keine Trauben vorhanden.

Central-Afrika.

Die Wüste und Central-Afrika.

Nach dem Grafen d'Escayrac de Lauture.

B.

Die Leser des „Magazin“ dürfen erwarten, daß sie über die wichtigsten und interessantesten Ergebnisse der großen Expedition, von welcher, Herr Dr. Barth jezt zurückgekehrt ist, bald werden in vollständige Kenntniß gesezt sein. Wir halten es darum aber nicht für überflüffig, die Leser dieser Blätter auch noch auf ein zu Ende des Jahres 1853 er. schienenes Werk aufmerksam zu machen, in welchem wir zum Theil dieselben Länder und Völker Afrika's, die in jüngster Zeit von Dr. Barth und seinen Gefährten besucht und erforscht worden sind, geschildert finden. Wir meinen das unter dem Titel: Le Désert et le Soudan" erschienene Werk des Grafen d'Escayrac de Lauture. Die von Herrn Dr. Karl Andree herausgegebene“) „Hausbibliothek für Länder- und Völkerkunde“ enthält in ihrem so eben erschienenen sechsten Bande eine deutsche Bearbeitung dieses Werkes. In dem Vorwort zu seiner Bearbeitung fagt uns Herr Dr. Andree, daß der Graf d’Escayrac de Lauture, nachdem er mit Eifer geographischen und linguiftischen Studien obgelegen und sich mehrere arabische Volksmundarten zu eigen gemacht, acht Jahre auf Reisen in verschiedenen Theilen Afrika's zugebracht hat. Er hat Madagaskar und die Komoro-Jnseln besucht, ist auf Zanzibar gewesen, hat längere Zeit in Marokko, in der Berberei und im Dattellande verweilt, hat Aegypten, Nubien, Kordofan und Sennaar durchzogen, hat sich in den Hafenpläßen am Rothen Meere aufgehalten und zulezt in Syrien und Palästina. „Die Persönlichkeit des Verfaffers gewinnt uns Theilnahme ab. Schon als Jüngling empfindet er Abneigung gegen das unruhige Treiben in der Hauptstadt seines Vaterlandes; er sehnt sich von der Seine weg an den fernen Nil; und in der bunten Pariser Gesellschaft mit ihren glänzenden Nichtigkeiten empfindet er einen unwiderstehlichen Hang, die gelbe einförmige Wüfte aufzusuchen. Nachdem er sich genügend vorbereitet hat, steuert er nach Afrika hinüber, wird ein Wanderer in der Sahara und ein Schiffer auf dem Ocean. Wir finden, daß er eine große Energie des Willens bethätigt; er besißt eine klare Anschauung der Dinge, ift frei von volksthümlichen und kirchlichen Vorurtheilen und dabei ein feiner Beobachter. Seine Auffassung ist eben so lebendig, wie seine Darstellung klar und leicht; er versteht es mit praktischem Sinn, auch für scheinbar geringfügige Einzelnheiten Theilnahme zu erwecken. Ueberhaupt schildert er unbefangen und freimüthig, was er gesehen hat. Die Hauptsache bleibt ihm der Mensch; er hat mit den Bewohnern der Wüste und der Nilländer gelebt, wie ein Araber oder Nubier. Den Muhammedanismus in Afrika betrachtet er nicht durch ein europäisch gefärbtes Glas, sondern er läutert ihn aus dem Boden heraus, auf welchem er entstand, und aus der Eigenthümlichkeit des Volkes, durch welches er im Orient zur Herrschaft gelangte. So ist er im Stande, dem Islam Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und, mit dem Koran in der Hand, dem Leser manches Vorurtheil zu benehmen. Ueberall spricht er als Augenzeuge, erzählt seine eigenen Erlebnisse.“

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Das hier vorstehend mitgetheilte Urtheil des Herrn Bearbei ters, welchem wir in allen Punkten beistimmen müssen, wird alle diejenigen, in welchen durch die neueste afrikanische Expedition das Intereffe für Afrika rege geworden und die Luft erweckt ist, diesen noch so wenig erforschten Erdtheil genauer kennen zu lernen, gewiß geneigt machen, auch das vorliegende Werk zu lesen. Wir wollen den Inhalt deffelben noch etwas genauer angeben. Es werden in sechs Kapiteln die folgenden Gegenstände behandelt: 1) die physikalische Geographie von Afrika, unter Anderem: die Klimate, die Winde, die Luft- und Wasserspiegelung; 2) der Sudan, d. i. das innere Afrika länge des südlichen Saumes der Wüste, mit seinen Regengränzen, seinen Seen und Fulas (d. h. den abwechselnd naffen und trockenen Ebenen), seiner Flora und Fauna; 3) der Islam und die Muhammedaner (der Islam als Religionssystem und als politisches System, die moralischen Zustände der heutigen Muselmänner, die Ursachen der Barbarei unter den Afrikanern); 4) die Araber - ihre Frauen, ihre Regierungen, ihre Kriege; 5) die schwarzen Menschen - die muhammedanischen und die heidnischen Schwarzen, ihre Sitten und Regierungsverhältnisse, die Sklaven-Raubzüge (Ghazwás); 6) der Handelsverkehr im Sudan die Geschichte deffelben, die Handelswaaren der Wüste und des Sudan, die Handelsbahnen, die Karawanenzüge und die Transportmittel in der Wüste.

Die Existenz der geschwänzten Menschen, von denen auch in diesen Blättern die Rede gewesen, stellt der Verfasser entschieden in Abrede. Ueber die Regierungsverhältnisse in den von türkischer Herrschaft un abhängigen muhammedanischen Reichen, unter denen Bornu, das der Fellatahs, Waday und Darfur als die bedeutendsten hervorgehoben werden, sagt der Verfasser Folgendes:

,,Die Regierung ist in der Theorie eine völlig unumschränkte, in der Ausübung jedoch muß sie gewiffe Gränzen innehalten. Der Herr scher und seine Werkzeuge werden von den Ulemas, den Mitgliedern der regierenden Familie und den Großen im Lande stets sorgsam über wacht. Eine Art Lehnwesen ist vorhanden. Bei der Einfeßung muß der zinspflichtige,Melek" (abgekürzt Mek) dem Herrscher ein Antritts geschenk geben, sodann alljährlich eine Gabe verabreichen, deren Betrag nicht immer fest und genau bestimmt ist, und von Zeit zu Zeit einige Sklaven, einige Säcke voll Getraide und einige Ochsen an das Hoflager schicken. Ein Mek, der sich empört hat und im Kriege den Kürzeren zieht, wird von einem Sklaven, einem Freigelassenen oder einem beliebigen Günstling des Herrschers ersetzt." "Die Gefeße über die Nachfolge in der Regierung sind auch im Sudan eben so mangelhaft und unvollständig, wie in der Türkei, in Persien und früher bei den Chalifen von Damaskus, Bagdad und Kahira. Daraus entstehen dann oft Umwälzungen und große Verlegenheiten für den Herrscher." Der Verfaffer begründet ausführlich die von ihm ausgesprochene Ansicht, daß diese Reiche im Sudan von europäischen oder türkischen Trup pen leicht zu bezwingen sein würden, obwohl sie durch die vielfachen Kriege unter einander sehr kriegerisch geworden sind.

Von Intereffe ist, was der Verfasser über die Schwierigkeit sagt, die es für Europäer hat, die südlich von Kordofan liegende Region (Taggeleh genannt) zu durchziehen.,,Ueberall, werden die Weißen wie wilde Thiere betrachtet; man glaubt, sie seien gekommen, um blutige Opfer zu holen. Die Schwarzen fliehen vor den Weißen und verrammeln ihre Dörfer. Am Ende müssen sie sich dem Zwange fügen, und wenn sie dann mit dem in Berührung kommen, was die überlegene Civilisation eben derselben Weißen hervorbringt, dann erblicken sie in ihnen eine Art von Göttern und find nun eben so 'unterwürfig, wie vorher troßig und mißtrauisch. In dem einen, wie in dem anderen Falle ist es nicht wahrscheinlich, daß sie Angriffe gegen die Weißen wagen. Aber sie ziehen sich vor ihnen zurück, verbergen vor ihnen die Lebensmittel, zeigen ihnen ihre Wafferpläge nicht. Solche Schwierigkeiten werden sich bei jedem Dorfe wiederholen, und ich halte daher den Plan, Afrika z. B. von Algier bis Zanzibar zu durchreifen, für ein Unding. Wer so etwas vorschlagen kann, beweist, daß er Land und Leute nicht fennt. Afrika ist nur zu durchreifen von Kaufleuten oder Missionären, die mit großer Vorsicht weiter gehen, unterweges Verbindungen anknüpfen, Etablissements gründen und im Jahre vielleicht dreißig Meilen vorbringen. Durch die Gränzgegenden, welche an die Gebiete der heidnischen Völker stoßen, kann man dagegen ohne Hinderniffe ziehen, weil sie, seit langer Zeit den Ghazwas preisgegeben, schon halb und halb unterworfen und an den Anblick weißer Menschen gewöhnt sind. Man dringt viel leichter in Central-Afrika ein, wenn man dem Laufe der großen Ströme folgt. Die Barken find wie schwimmende Festungen, welche von den Wilden nicht genommen werden können; sie sind gleichsam schwimmende Magazine, in welchen der Reisende Lebensmittel verwahrt. Aber auch in diesem Falle bleiben immer noch die gefährlichen Dünste, welche aus dem überschwemmten Boden aufsteigen."

In Betreff der Sklaven-Raubzüge weist der Verfasser nach, daß die Art und Weise, in welcher auf denselben Sklaven geraubt werden, vom Standpunkte des Islam durchaus als verwerflich und verbrecherisch anzusehen ist.

Sehr ansprechend sind die Schilderungen, welche der Verfasser über das Reisen in der Wüste giebt. Er schließt diesen legten Abschnitt seines Werkes mit folgenden Worten: Troß aller Gefahren und Anftrengungen bin ich der Wüste noch keinesweges überdrüffig, und ich gedenke sie abermals zu durchziehen. Es ist mit der Wüste, wie mit dem Meere. Bei lang anhaltendem schlimmen Wetter oder bei Windstillen verwünscht der Seemann wohl fein Element. Aber er möchte schon wieder in See gehen, sobald er eben ans Land getreten ist. Die geräuschvolle Stadt ermüdet einen bald, aber niemals wird man der Einförmigkeit des Weltmeeres oder der Einsamkeit der Wüste überdrüffig."

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Mannigfaltiges.

Henry Colburn. Einem der berühmtesten Londoner Verleger, Henry Colburn, der kürzlich in vorgerückten Jahren mit Lode abgegangen ist, widmet der Morning Advertiser folgenden ehrenvollen Nachruf: Colburn war ein Kaufmann ersten Ranges unter Gentlemen und ein Gentleman ersten Ranges unter Kaufleuten. Fast alle ausgezeichnete englische Schriftsteller neuerer Zeit, namentlich im Fache der Belletristik, sind unter seinen Auspizien vor das Publikum getreten, und kein einziger hat sich über ihn beklagen können, während er selbst Ursache hatte, sich über viele von ihnen zu beklagen, obgleich er es nie that. Colburn gehörte nicht zu jenen Buchhändlern, die ihren Wein aus den Schädeln der Schriftsteller trinken und die den Dichter Campbell zu dem Ausspruch veranlaßten, daß Napoleon durch Hinrichtung eines Buchhändlers sich ein unsterbliches Verdienst um die Menschheit erworben habe. Es ist merkwürdig genug, oder vielmehr ganz natürlich, daß seine Freigebigkeit ihm am Ende Gewinn brachte, denn trop ungeheurer Verluste war er immer wohlhabend und starb als reicher Mann. Bulwer, Disraeli, Hook, Marryat, Banim und Andere, bis zur Veteranin der Literatur, Lady Morgan, hinauf, die ihn tief betrauert, wurden durch Colburn der Welt bekannt, und obgleich in seinen eigenen Angelegenheiten so sorglos, daß ihn der Komiker Poole in seinem „Paul Pry" unter dem Namen Sir Hurry Scurry auf die Bühne brachte, war er doch ein Muster von Genauigkeit und Umsicht, sobald die Interessen seiner Klienten auf dem Spiele standen." In der englischen Literatur wird Colburn auch durch das von ihm um das Jahr 1820 gegründete (jezt von Ainsworth redigirte) New Monthly Magazine fortleben, welches, obwohl es seitdem in die Hände eines anderen Verlegers übergegangen, noch immer seinen Namen trägt.

- Die Senioren des Generalats. Die öffentlichen Blätter verkündeten, daß Marschall Radesky neunundachtzig Lebensjahre, darunter einundsiebzig Dienstjahre und funfzig Jahre als General zähle, folglich gewiß der älteste aller Generale in Europa sei. Darauf nun ergeht an das Pariser Siècle eine Reclamation von Seiten des Generals Despeaur, der diese Ehre für sich beansprucht. Er sei, sagt er, im Jahre 1761 geboren, demnach jest vierundneunzig Jahr alt, seit 1776 Soldat, also neunundsiebzig Jahre im Dienst, 1793 Brigade, im Jahre II der ersten Republik Divisions-General geworden, folglich seit einundsechzig Jahren General (doch aber emeritus).

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Gr. 8. VIH u. 650 Seiten. Preis: 3 Thlr. 15 Sgr.

Eine Geschichte der Preußischen Monarchie, seit ihrem Ursprung bis auf die Gegenwart, von einem Historiker ersten Ranges, der Forschung und Darstellung in sich vereinigt, geschrieben, war bis fegt in der deutschen Literatur nicht vorhanden. Wir freuen uns, den ersten Band eines solchen Werkes dem Publikum zu übergeben, der die Gründung des Staates (bis 1440) und ihr wichtigsten Grechen desselben, enthält. Der Herr Verfasser hat diesen ersten AbVerhältniß zur gleichzeitigen Geschichte des deutschen Reiches, in einer der schnitt eingehender behandelt, um die primitiven Grundlagen, auf denen Preußen ruht, und die Stelle seines Anfangs in der Gesammtgeschichte der Nation möglicht genau nachzuweisen. Die folgenden vier Bände werden durch die Jahre 1640, 1740 und 1806 begränzt werden. Berlin, im Oktober 1855. Beit & Comp.

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., balbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 124.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstr. Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Riederwall ft. Nr.21), so wie von allen königl. Post-Aemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

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Berlin, Dienstag den 16. Oktober

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Amerikanische Pobel-Politik. Die Natives und die Deutschen. Die Sün den Einzelner allen Deutschen aufgebürdet. Der wissenschaftliche Kongreß in Providence und der Frauen - Emancipations-Konvent in Saratoga. Agassiz über die Systematisirung in der Zoologie. Prof. Peirce über die Wissenschaft der organisirten Formen. Eine Association für Beförderung des Unterrichts und eine Union für freie Liebe. Literarische Erscheinungen. New-York, Anfangs September.

Mein leßter Bericht schloß mit der Hinweisung auf die Thatkraft und die Thaten der Amerikaner, mein heutiger muß leider mit der Hindeutung auf die Thätlichkeiten bei den Louisviller Wahlen begin nen, wodurch der Eingeborene dem noch nicht genug gewürdigten Zug seines Charakters, dem Fremdenhaß, Ausdruck gab. Die Wahl-Urnen haben zu allen Zeiten ein treues Bild des wählenden Volkes abgespiegelt, in ihnen zeichneten sich die männliche Entschloffenheit des Römers und deffen nachherige Verderbtheit, die würdevolle Ruhe des rothen Indianers ab, sie werfen eben so ein richtiges Bild des bedächtigen deutschen Pfahlbürgers und des gewaltthätigen, engherzigen Amerikaners mit seinem Fremdenhaß zurück. Die Vorgänge in Louisville würden dann nur eines der vielen Beispiele amerikanischer Raufluft sein, wie die mörderischen Kämpfe der Feuerleute in den Straßen Baltimore's und die zahlreichen Befehdungen des New-Yorker Pöbels in unserer Metropole, wenn sie nicht einzig und allein durch den blinden Fremdenhaß der Nation angefacht wären, wenn nicht die ScheinUntersuchungen der gerichtlichen Behörden den in Europa faum geahnten Grimm der Amerikaner gegen Ausländer so sehr befunde ten. Wie schon früher angedeutet, verdankt der Knownothings-Orden diesem Haffe seine Entstehung. Er ist nicht ein Erzeugniß der lezten Jahre, schon lange hat jenes Gefühl in der engen Amerikanerbruft gewuchert, aber immer noch wußte der praktische Sinn, der die trau rige Gewißheit einer wesentlichen Verminderung der Einnahme von Hlingender Münze durch Verminderung der Einwanderung vor Augen sah, dem schwellenden Unmuth gegen die andrängenden Foreigners rechtzeitig ein wohlthätiges Tuschbad beizubringen. Aber wenn der Yankee gern den baaren Vortheil, den Europa ihm durch seine Kinder zufließen läßt, einsäckelt, ist er doch weit davon entfernt, dem ftrebenden Ankömmling seine Sympathieen zuzuwenden. Die Väter der Republik mögen bei Abfaffung der Constitution aus dem Herzen gesprochen haben, als sie die Republik zur Freistätte für alle Nationen der Erde erklärten — wer weiß es; und wenn auch die „,farbigen Leute" gerechte Zweifel dagegen hegen, so wollen wir, als nicht dazu gehörig, es dennoch glauben; aber gleichzeitig müssen wir erkennen, daß die Aus legung jener Worte von Seiten des republikanischen Volkes dem geraden Sinn nicht entspricht. Daß der Einwanderer die urwäldliche Freistätte mit der Arbeit seiner kräftigen Muskeln und berben Knochen in ein fruchtbares, ergiebiges Land umwandle, daß er mit dem Erlös seines transatlantischen Befißthums den Reichthum des Bodens und die Schäße der Erde hebe, das Alles ist auch dem starrften Native genehm; aber den, der durch seine größeren, geistigen und körperlichen Kräfte, wenn auch aus Eigennut, das Land zu unglaublicher Ergiebigfeit gebracht, den, dem er seinen besten Stolz, seine Eisenbahn- und Kanalbauten zum größten Theil zu danken hat — denn wie lose würden die Maschen des Eisenbahn- und Kanalneßes sein, wenn nur schmächtige Native-Hände den Erdkarren geführt, nur eingeborene Börsen zum Aufwerfen der Wälle fich geöffnet — daß er den als ebenbürtig ansehen, daß auch der ihm so nügliche Fremde sein Mitbürger sein dürfe, das geht wider seinen Rechtssinn. Die Einwanderung hat dem Ameritaner einzig die Mittel geboten, seine großen Pläne ins Werk zu sehen; sein Billigkeitsgefühl sollte ihn aber auch lehren, daß das so brauch bare Mittel mehr ist, als todtes Werkzeug, und an und für sich Ach tung verdient.

Allerdings wurde kürzlich noch in einem der schroffften amerika. nischen Blätter ausgesprochen, daß z. B. nicht Deutschland, worin man

1855.

ben gewaltigen Führer tiefer Gelehrsamkeit und kühner Philosophie erblickte, sondern die einwandernden Deutschen angegriffen, und auch diese nicht sammt und fonders, da unter jedem Rudel, der hier ans Land gesezt würde, Einer oder Zwei sich befinden möchten, über deren Gegenwart fich jedes Land freuen könne, und dann sei auch der deutsche Bauer wegen seiner nüßlichen Arbeit recht willkommen. Gegen die in Deutschland auch wohl aufgetauchte Meinung aber, daß die Knownothings-Idee blos Irländer zur niederen Stufe des Geduldeten herabdrücken wolle, legen diese Blätter feierlichst Protest ein und erklären rund heraus, daß sie den Deutschen dabei, wenn nicht noch mehr, so doch eben so viel im Auge haben, denn die Gesammtheit der Deutschen sei eine geldgierige, unfultivirte und irreligiöse Masse. Der Masse. Amerikaner ist gewiß am wenigsten dazu berufen, anderen Nationen solche Vorwürfe zu machen. Könnte er die Gespräche der Deutschen in den verkeßerten Biergärten und anderen Erholungslokalen verstehen, er würde den Vorwurf, der Deutsche hierzulande sei ohne Bildung, hübsch an sich halten, denn er würde bald bemerken, daß gebildete und unterrichtete Mäaner nicht immer mit schwarzen Röcken, mit weißer Halsbinde, in pomphaft angekündigten Meetings vor einem dürftenden Auditorium aufzutreten brauchen, um ihre Ansichten über ernste Gegenstände mit denen ihrer Gesinnungsgenossen auszuwechseln, sondern unbeschadet ihrer Bildung und Würde bei einem Glase Bier sich besprechen können. Um indeß nicht in den Verdacht der Einseitigkeit zu fallen, muß ich bekennen, daß das ausschließliche Frequentiren der Wirthshauslokale seitens der hiesigen Deutschen ohne nachhaltiges Streben zu einer angemessenen Vereinigung für Ausbildung des Geistes auch manchem Deutschen peinlich ist. Wir wollen hoffen - doch im Monats-Bericht soll man nichts hoffen.

Was den Vorwurf der Irreligiosität anlangt, so muß er leis der dem oberflächlichen Amerikaner sehr begründet erscheinen. Als die Jahre 1848 und 1849 schreiende Atheisten und Sozialisten aus Deutschlands Gauen nach Nord-Amerika trieben, konnte der Amerikaner kaum anders als eine falsche Vorstellung von unserem Vaterlande und seiner Kultur faffen; die vorlauten und moralischen Raufbolde steckten die Firma „die Besten des Volks" auf, verhöhnten nicht nur die In- und Conftitutionen Deutschlands, sondern predigten laut und unverhohlen starren Atheismus und kraffen Unglauben. So willig nun auch der Yankee dem, der sich ihm als Freiheitskämpfer präsentirt, die Arme öffnet, eben so entrüftet stößt er aber den Atheis ften von sich und verachtet ihn aus dem ganzen Grunde seiner Seele. Kann es Wunder nehmen, daß er bei seiner Oberflächlichkeit die lautschreienden Einzelnen für die Repräsentanten des Ganzen hielt, daß er die deutsche Schmähpreffe, die nun allerwärts aufschoß, für den Ausdruck deutscher Kultur hielt und sich mit Widerwillen davon ab, wandte? Gar Mancher, der in jenen Jahren seinem Vaterlande geschadet, hat hier nicht aufgehört, den Kindern seines Volkes Böses zuzufügen. Wäre der seichte, Alles negirende Inhalt solcher Zeitschriften dort nicht schon fattsam bekannt, so müßte ich mich wohl der herben Aufgabe unterziehen, eines Weiteren darüber zu berichten, doch ein Jeder hat davon zur Genüge bekommen. Den Amerikaner müßte aber schon einige Beobachtung lehren, daß der Kern der deutschen Einwanderung jenen Ideen abgeneigt ist; klagen doch die Organe der deutschen Superradikalen selbst darüber, daß die überwiegende Mehrheit der Deutschen auch hier noch Billigung für Religion und Kirche ausspreche. Nur einige wenige und gewiß nicht gebildete Deutsche schließen sich z. B. einem gewiffen Louis Drucker, wenn ich nicht irre, von Berlin, an, der das Sonntags- und Liquorgeseß dadurch zu umgehen suchte, daß er im Priester-Ornat seine Gäfte mit Bier und Beefsteak bediente und seine schmußige Kneipe „Versammlungsort der deutschreformirten Gemeinde" nannte. Nahezu alle Deutschen fahen in dieser Profanation des heiligen Abendmahls ein Vergehen, nur wenige einen albernen Streich, Alle aber, denen der Amerikaner mit seinen Eigenthümlichkeiten bekannt, ein Unglück. Darauf nimmt aber der Amerikaner keine Rücksicht, Deutsche gehen nicht zur Kirche, deutsche Zeitschriften lächeln über Bibel und Gott und brüßten sich mit frechem Atheismus, Deutsche nehmen das Abendmahl zum Vorwand, um sich

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