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vergänglich; die in dem Adreß-Kalender als berühmt aufgezählten Namen haben heute keine Bedeutung mehr.

Der Verfasser spricht auch über die in Ruf stehenden Heilsubftanzen. Er führt als solche an: „Das Engelwaffer (aus Pomeranzen blüthen), das Amarantenwaffer, das Orangen- und Thymianwaffer, und überhaupt die wohlriechenden Effenzen, welche die Physiker auf ihren Räucherpfannen verdunsten lassen, um die Luft der Zimmer zu reinigen und um die Krankheiten durch Sympathie zu heilen."

Der damals eben gegründeten ersten Kranken-Anstalt widmet der Verfaffer zwei ganze Seiten seines Buches und geht dann zur Besprechung der Bade-Anstalten und Schwigstuben über.

Ueber die Buchhändler heißt es in diesem Adreß-Kalender unter Anderem:

„Mit Ausnahme des Buches des Herrn de la Quintinie, welches bei Herrn Barbin, auf dem Perron de la Sainte-Chapelle, zu kaufen ift, werden alle anderen Bücher über Gärtnerei bei Herrn Charles de Sercy, im Großen Saal des Palais, verkauft; man findet hier außer dem auch einen neuen „königlichen und bürgerlichen Koch" und eine Anweisung, Konfitüren und Liqueure zu bereiten und Früchte einzumachen, und mehrere Bücher civil- und kirchenrechtlichen Inhalts." Aehnliche Kataloge giebt der Verfaffer für die Buchhandlungen: Barbin, Michallet, Nion u. f. w.

Die berühmte,,blaue Bibliothek“ ist in der folgenden Stelle angezeigt:

,,Die gewöhnlichen Kalender, in Troyes gedruckt, sind in Paris en gros und en détail zu haben, bei Herrn Raffie, Straße des Petit Pont, und bei der Witwe Dudot.

Wir übergehen das sehr willkürlich abgekürzte Verzeichniß der im Jahre 1691 gedruckten Bücher und die Aufzählung der verschiedenen Musiker von Paris, um mitzutheilen, daß der vorliegende Adreß-Kalender uns auch über die Besißer von Kuriositäten-Sammlungen Notizen giebt. Es begegnen uns hier große Herren, Behörden, Finanzmänner, Abbés, Herzoginnen und Präsidenten, welche alle irgend einer Liebhaberei ergeben sind. Unter Anderen wird genannt: Jabach, Neue Saint-Medéricftraße; er hatte viele Gemälde; mehrere Gemälde im Louvre rühren aus dieser Sammlung her; Herr de Gaignières; feine Sammlungen haben zur Bereicherung der Bibliotheken in Paris gedient.

Die Kuriositätenhändler folgen auf die Liebhaber und Sammler. Die Barometer, Thermometer, Hydrometer galten damals noch als Seltenheiten. Einer ist wegen seiner Geschicklichkeit, Gemälde zu reinigen, genannt; ein Anderer wegen seiner „Payottes" und Möbel aus China. Der Herr Salé, ein Maler, in der Straße de la Ferronerie, behauptet, ein optisches Geheimmittel gefunden zu haben, welches uns in den Stand seßt, in einem Gemälde außer den darin gemalten Gestalten nach Belieben auch alle anderen zu sehen." (?!)

In dem Abschnitt über die Schulen und Unterrichts-Anstalten lesen wir unter Anderem:,,Herr de la Croix, in der Nähe des VictoriaPlages, giebt Unterricht in der türkischen Sprache. In der arabischen Sprache unterrichten die Herren de Lipy, Onkel und Neffe, an dem Kollegium Cambray."

In dem Kapitel über die Gärtnerei heißt es: „Am Mittwoch und am Sonnabend wird auf dem Plaze de la Mégisserie eine Art von Markt für Blumen, Gefträuche und Bäume abgehalten; man findet daselbst auch Blumenkohlsamen. Herr le Febvre hält ein großes Lager von Sämereien und Zwiebeln.

Die Tapezirer übergehen wir. Aus dem Artikel: Fleisch und Fisch" ersehen wir, daß an den Fasttagen nur eine Fleischbank geöffnet war, und daß in der Fastenzeit der Detail-Verkauf von Fleisch, von Geflügel, von Wildpret nur zu Gunsten der Kranken Hotel-Dieu gehörte.

dem

Die Vorfahren des berühmten Gründers des „provençalischen Bazars" wohnten in der Sackgasse Saint-Germain-l'Auxerrois und verkauften en gros: Käse, Oliven, Sardellen, Feigen, Rosinen, NektarinPfirsiche, Mandeln und andere getrocknete Früchte der Provence.

Die Bäcker hatten damals schon sehr verschiedene Arten von Brod erfunden: das Gerstenbrod, das kleine Brod (flûte), das Milchbrod, das Weichbrod,,,das vortreffliche Tischbrod, aus allen Sorten von Mehl, welches man pain à la Joyeuse nennt, das Wirthschaftsbrød, das Kleinbrod mit übergestreuten Körnern für Kinder (le petit pain de mouton), das Brod Paget, das Bisquitbrod, welches man zu den Liqueuren ist."

Die großen Gasthöfe der damaligen Zeit waren: Das Hotel der Königin Margaretha, Seinestraße, und das Hotel de Bouillon, am Quai der Theatiner (Quai Voltaire). Die besten Tables d'hôte hatte man im Hôtel de Mantoue, Montmartrestraße (zu 40 alten Sous, d. i. etwas mehr als ein Thaler täglich) und im Hôtel de l'Isle de France, Straße Guénegaud (zu demselben Preise). Dann folgen die Mahlzeiten zu 30, zu 20, zu 15 und zu 10 Sous. Die Leute, welche sich noch mehr in ihren Ausgaben beschränken müssen, finden außerdem in allen Thei

len von Paris kleine Wirthshäuser, wo sie Suppe, Fleisch, Brod und Bier zur Genüge für 5 Sous bekommen."

Die verschiedenen Läden, in denen man Kleiderstoffe, Wäsche, Spizen, Treffen, kurze "Waaren kaufen konnte, befanden sich in den Stadttheilen, in denen man sie auch jezt noch findet; aber der Handel en gros und der en détail waren fast immer vereinigt. Die Detailliften haben sich seitdem überall etablirt; die Engros-Händler find faft alle in ihren alten Quartieren geblieben.

Die Genossenschaft der Haarkünstler hatte damals eine große Bedeutung. Herr Binet, Rue des Petits-Champs, machte dem Könige feine Perücken.

Die Bureaur für die, welche Stellen und Arbeit suchen, sind nicht eine neue Erfindung; die „Mütter" (Herbergen) der Handwerker sind sehr alt. Einige der Verkehrs- Derter sind heute noch dieselben wie damals. „Die Maurergesellen, Tage-Arbeiter, Limosins u. s. w., versammeln sich an allen Arbeitstagen von 4—6 Uhr Morgens auf dem Grèveplage, wo sie von denen, welche ihrer bedürfen, gesucht und gemiethet werden.“

Ueber den Preis der Schuhe erfahren wir Folgendes:,,Der Herr des Noyers, St. Annenstraße, macht Damenschuhe von ungemeiner Eleganz und verkauft sie zu 1 Louisd'or (der Louisd'or galt damals 12 Livres 10 Sous, nach dem heutigen Gelde mehr als 25 Francs). Le Poitevin, Mazarinstraße, macht Herrenschuhe, welche der Nässe gut widerstehen, und verkauft sie zu einem halben Louisd'or.“

Auf alle diese Artikel folgt ein Kapitel, in welchem Ergänzungen, Veränderungen, Verbesserungen ihre Stelle gefunden haben. Wir finden hier z. B. die Notiz: Herr Chartrin, dessen Adresse wir nicht haben, ist ein tüchtiger Lehrer für das Griechische."

Wir finden in diesem Kapitel auch die Vertheilung der Staatsverpachtungen, wie der General-Controleur der Finanzen dieselben gegen Ende des Jahres 1691 organisirt hatte.

Der leßte Theil des vorliegenden Adreß-Kalenders enthält: 1) was wir heutzutage Grund- und Reglements-Preise nennen (ein Kapitel, welches für den, der die Geschichte der Arbeit in Frankreich schreiben will, seinen Werth hat), und 2) sehr ausführliche Angaben über die Diligencen (Carosses de routes, wie man sie damals nannte), die Botenhäuser, Posten und Eilboten. Für denjenigen, der den Zustand der Communicationsmittel in Frankreich am Ende des siebzehnten Jahrhunderts kennen lernen will, dürften diese Angaben von Interesse sein.

Die Geschichte der Poesie, nach Karl Rosenkranz.

(Fortsegung.)

Ueber die westasiatische Gruppe, der das heroische“ Ideal zuerkannt wird, sagt der Verfaffer im Allgemeinen Folgendes:

Alle diese Völker, mit Ausnahme der Hebräer, sind Dualisten, d. h. fie faffen die Welt als Erscheinung des Kampfes zweier prinzipiellen Mächte, einer positiven und einer negativen. Die Folge da= von ist eine Tendenz zur Unruhe, zur Beweglichkeit, zum Kampfe. Die Poesie empfängt deshalb hier ein ganz anderes Ideal, ein heroisches. Der West-Aftate erkennt das Schlechte als daseiend an, erhebt sich zu dem Muthe, es aufzusuchen, und entschließt sich mit Freiheit, entweder mit ihm oder gegen es zu kämpfen. Die Thatenluft schafft hier eine Poesie der Wirklichkeit, eine dramatische Bewegtheit des unmittelbaren Lebens, welche in sich selbst schon Befriedigung findet. Darum finden wir bei diesen Völkern zwar riesige Bauwerke, üppige Lurusarbeiten, Musik, aber wenig Poesie. Die Parsen kämpften als Franier für den Lichtkönig Ormuzd, gegen die Turanier als die Diener des Nachtgottes Ahriman. Die Aegypter kämpften mit dem Sonnenund Nilgott Osiris gegen den Wüstengott Typhon. Die Semiten, ausgehend von einem siderischen Fatalismus, kämpften für ihren Genuß gegen ihre persönlichen Feinde. Die altarabische Poesie, die Verherrlichung der Blutrache, wurde die höchste Stufe dieses Prozesses.

Aus dem, was zur allgemeinen Charakteristik der europäischen Gruppe mit dem „Individualitäts-Ideal" gesagt wird, heben wir die folgenden Züge hervor:

Der Gegensatz der oftasiatischen und der westasiatischen Völker findet seine Lösung in den europäischen, indem diese in dem Prinzip individueller Freiheit sowohl das passive als aktive Moment vereinigen. Die Individualität, welche sich selbst Zweck wird, ist das Prinzip, in welchem ebensowohl die Empfänglichkeit für alles Wahlverwandte, als die Selbstbestimmung enthalten ist, durch Verarbeitung des Empfan= genen über dasselbe zu einer neuen Gestalt hinauszugehen. Die Griechen haben die Schönheit ihrer Erscheinung, die Römer die Kraft ihres Willens, die barbarischen Uebergangsvölker die Innerlichkeit ihres Gemüths zum Ausgangspunkt. Bei den ersten allein nimmt daher das Ideal einen schlechthin ästhetischen, bei den zweiten einen moralischen, bei den dritten einen dämonischen Charakter an.

In der historischen Darstellung der griechischen Poesie werden fol. Das eigentlich mittelalterige Ideal, welches uns als das zweite gende drei Perioden unterschieden: 1) die hellenische als die produk weltgeschichtliche Haupt-Ideal gilt, bezeichnet der Verfasser als das tive; 2) die alexandrinische als eine kritisch gelehrte; 3) die römisch-„romanische Ideal der Ritterlichkeit“, offenbar im Gegensah zu dem kosmopolitische als eine eklektische.

Aus der Charakteristik der hellenischen Periode heben wir einige Züge heraus.

Diese Periode enthält die konsequente Abfolge der Epik, Lyrik und Dramatik. Alles, wodurch die Griechen in der Poesie groß sind, gehört dieser Zeit an, in welcher die Kalokagathie, das Schöngute, das Ideal der Griechen war. Nur einmal in der Geschichte ist diese glück, liche Einheit von Natur und Geißt möglich gewesen. Als ein neues, freundliches, heimatliches Element tritt bei den Griechen das Meer auf. In dem die Darstellung der römischen Poefte einleitenden Abschnitt wird unter Anderem Folgendes gesagt:

Der Römer, als der nur in Thaten sich genugthuende, konnte in der Kunst nur ein prosaisches Ideal haben. Dies war die Moralität. Die einzige Form, in welcher die Moralität poetisch werden kann, ist die Kritik der Gesellschaft – die Satire. Im Uebrigen ist die römische Poesie nur Ueberseßung, Aneignung, Nachahmung der griechischen Poesie. Aber dennoch ist diese Poesie von einer unendlichen Wichtigkeit geworden, weil ihre Produkte zunächst für die romanischen Völker und durch diese lange Zeit auch für die germanischen die Musterbilder geworden sind. Die barbarischen Uebergangsvölker werden in ihrem vom Chriftenthum noch unberührten natürlichen Wesen treffend geschildert und alle Ueberreßte der Poesie dieser Völker ausführlich besprochen. Die Poesie der alten Germanen wird in folgender Gruppirung behandelt: 1) das skandinavische Epos (die ältere Edda, die Göttersage, die Heldensage, die Kunstpoesie der Skalden, die jüngere Edda, die Saga); 2) das sassische Epos (Beowulf, Gudrun); 3) das gothisch-burgundische Epos (die Nibelungen, Rother, Dietrich's Geschichte, Kämpfe der Gothen mit den Burgundern, die Verfälschung des deutschen Epos).

Bei den Kelten und Germanen angelangt, möchten wir bei diesen Völkern nun auch schon bleiben, um gleich auch die von eben diesen Völkern unter der Herrschaft der neuen hierarchischen römischen Weltmonarchie durch ihre phantastische Subjektivität zu Stande gebrachte mittelalterige Welt und die dieser Welt entsprechende romantische Poesie kennen zu lernen. Wir sehen keinen Grund, warum wir, durch die an Stoff und an Geist gleich reiche Darstellung des Verfassers in die vorchriftliche Poesie dieser Völker so tief eingeführt und dadurch so schön vorbereitet und gestimmt, das Wesen, die Bedeutung, die relative Wahrheit der romantischen Poesie des chriftlichen Mittelalters dieser gemüth- und phantasiereichen Völker zu erfaffen, uns nun erft noch zu den theistischen Völkern wenden sollen, die mit ihrer nur lyrisch-didak tischen Poesie und mit ihrem „Weisheits-Ideal“ den Kelten und Germanen das nicht bringen, was ihnen zur Hervorbringung ihrer romantischen Welt und Poesie noch nöthig gewesen.")

Um mit unseren Lesern im natürlichen Gedankengang zu bleiben, überspringen wir daher die vom Verfaffer an dieser Stelle dargestellten zwei theistischen Gruppen: „die Gruppe der hebräischen Stämme“ (?) und die Gruppe der muhammedanischen Stämme", nachdem wir nur dies bemerkt haben wollen, daß wir auch in Betreff dieser Gruppen den literarhistorischen Leistungen des Verfassers hohe Anerkennung zollen. Aus den Betrachtungen, mit welchen der Verfaffer uns in seinen dritten poetischen Kreis: in den der chriftlichen Völker, denen er im Allgemeinen das „Ideal der Freiheit" zuerkannt hat, einführt, haben wir Folgendes hervorzuheben:

,,germanischen Ideal der Selbstgewißheit". Es scheint uns aber nicht zweckmäßig zu sein, die weltgeschichtlichen Haupt-Ideale nach den Nationen zu benennen, in denen sie zuerst oder vorzugsweise aufgetreten find; es dürfte wohl beffer sein, fie ganz allgemein: das Ideal des Alterthums, das Ideal des Mittelalters, das Ideal der Neuzeit, oder: das antike, das romantische, das moderne

zu nennen.

Das byzantinische Ideal der Resignation hat die weltgeschichtliche Bedeutung nicht, die dem romantischen Ideal des Mittelalters und dem modernen Jdeal der Selbstgewißheit zuerkannt werden muß. Die byzantinische Welt ist auch nicht die Vorhalle, durch welche wir in die romantische Welt des Mittelalters eingeführt werden können. Erft nach dem Bruch mit der byzantinischen Staatskirche ist die römischkatholische Kirche die Weltkirche, die heilige Mutter der romantischen Welt des Mittelalters geworden. Die byzantinische Welt ist die frühreife schwächliche Frucht der oberflächlichen Verbindung, welche das verlebte Griechenthum mit der noch unentwickelten theistisch-chriftlichen Religion eingegangen. Die geschichtliche Bedeutung dieser Welt tritt sehr spät erst darin hervor, daß dieselbe das Erbe des griechischen Alterthums an die neue Welt übergiebt und vorher schon der Ausgangspunkt für die Chriftianisirung der slavischen Völker wird. Die russische Reichskirche ist die Fortseßung der byzantinischen Staatskirche. Der Logik der Weltgeschichte ist es gewiß nicht entsprechend, wenn man, wie der Verfasser thut, das sehr untergeordnete byzantinische Ideal und die zwei weltgeschichtlichen Haupt-Ideale: das romantische und das moderne, denen nur das antike als ebenbürtig vorangestellt werden kann, als koordinirte Unter-Ideale des einen und selben chriftlichen Ideals der Freiheit darstellen will.

In der durch eine treffende Charakteristik des Geistes der römischkatholischen Kirche eingeleiteten Darstellung des romanischen Ideals der Ritterlichkeit unterscheidet der Verfasser: 1) die Poesie der römischen Kirche; 2) die ritterliche oder höfische Romantik; 3) die klassische National-Poesie der romanischen Völker.

Die ritterliche Romantik erlangt ihre vollständige Ausbildung in der provençalischen Lyrik, in der nordfranzösischen Epik (dem fränkischkarolingischen Epos und dem bretonisch -häretischen Epos der Artusund Gralsage) und in der französisch-nationalen Poesie, in welcher neben der höfifchen Lyrik auch eine volksmäßige entsteht, die Phantastik der Ritterwelt sich auflöst und das Drama aus seiner kirchlichen Vorbildung sich zu ästhetischer Selbständigkeit emanzipirt. Die deutsche Ritter-Poesie (der Minnesänger) ist eine Nachahmung der französischen. In Spanien entwickelt sich im Kampfe mit den Sarazenen eine eigenthümliche nationale Ritter-Poesie.

Das antike Schönheits-Ideal in ihre christliche Romantik aufnehmend, entwickelten die romanischen Völker ihre besonderen nationalen Ideale, die Italiäner (Dante, Petrarca, Boccaccio, Tafso) - das „antik-romantische", die Spanier (Cervantes, Lope de Vega, Calderon und der portugiesische Dichter Camoëns) das,,katholisch-romantische", die Franzosen (Ronsard, der Gründer der „Pléjade française”, de Malherbe, de la Fontaine, Racine, Corneille, Molière) „novantike“ Ideal.

das

Die Geschichte dieser drei nationalen Ideale wird durch folgende Betrachtung eingeleitet:

Die Freiheit (das gemeinsame Ideal der christlichen Völker) indiDas Christenthum geht von der Anschauung der Menschwerdung_vidualisirte sich; das allgemeine Wesen des Christenthums brachte sich Gottes aus, sich durch ihre Vermittelung zum Begriff Gottes als des absoluten Geistes zu erheben. Es ist relativ zwar eine der vielen Religionen, aber an und für sich ist es die Religion schlechthin, die Weltreligion. Daraus folgt, daß auch die aus ihm sich entwickelnde Kultur wesentlich Weltkultur, die aus ihm entspringende Poesie also Weltpoesie werden muß. Die christlichen Völker müffen die Partikularität ihrer nationalen Besonderung in die Universalität des göttlichen Geiftes verklären. Das ästhetische Ideal des Christenthums ist das „sentimentale", nicht im Sinne schlechter Empfindsamkeit, sondern in dem der Innerlichkeit des Gefühls, das von der Anschauung des Gottmenschen erfüllt ist, wie er für die Befreiung des Menschengeschlechts lebt und liebt, leidet und stirbt. Das Christenthum ist perfektibel. In seiner Entwickelung reproduzirt es die ihm vorausgeseßten Standpunkte: den Theismus in der griechisch-orientalischen, den Ethnizismus in der lateinisch-romanischen Kirche, und erreicht sein wahres Wesen in ber germanisch-protestantischen Kirche. Die diesen Stufen entsprechen den Ideale der Poesie sind: das der Resignation, das der Ritterlich keit und das der Selbstgewißheit.

19.

*) Diese Ansicht des Herrn Berichterstatters können wir nicht theilen. Vielmehr sind auch wir mit Herrn Rosenkranz der Meinung, daß die Gottes-Idee der theistischen Völker einen sehr wesentlichen Einfluß auf die Poesie der mos dernen Völker geübt, wobei wir namentlich auch an den Einfluß der Araber in Spanien und Sicilien erinnern. D. N.

zur konkreten Erscheinung in einem besonderen Volksleben; aber mit dieser Incarnation war auch eine neue Trennung verbunden: das römisch-katholische und das germanisch-protestantische Ideal traten aus einander. Das römisch-katholische vollendete die Poesie des _roma= nischen Ritter-Ideals, indem es dasselbe mit der objektiven Klarheit des antiken Schönheits-Ideals vereinte. Das äußerliche Aufnehmen der antiken Formen war aber ungenügend und mußte sogar zu Widersprüchen führen. Es konnte nur eine Schule der Bildung sein. Man entfremdete sich der eigenen Nationalität, um sich ganz in die Alten hineinzuverlieren. Die zunächst entstehende lateinische KunftPoesie war eine Reflexions-Poesie, welche, fast gleichgültig gegen den Inhalt, die Form um der Form willen kultivirte. Die Folgen dieser lateinischen Kunst-Poesie waren: die Vernachlässigung der Nationalsprache, die Verdrängung der National-Poesie durch die Ueberseßungen der antiken Klassiker, die Aufnahme der griechisch-römischen Poesie, die Herrschaft der antiken Poetik.

Den Unterschied der romanischen Völker in ihrem Verhältniß zum klassischen Jdeal giebt der Verfasser folgendermaßen an:

Die Italiäner trugen als die unmittelbaren Nachkommen der Römer das antike Element als ein angeerbtes in sich. Der Sinn für plastische Schönheit wurde ihnen nunmehr in einem Grade zu Theil, wie ihn vorher nur die Griechen beseffen hatten. Sie wurden das Volk, welches die romantischen Stoffe in der Präzision

und Klarheit der antiken Form erfaßte. . Von den Italiänern ging die Formbestimmtheit zu den Spaniern über, welche sich niemals direkt durch die Antike bestimmen ließen und den romantischen Charakter der Poesie am reinsten bewahrten. Sie blieben die Träger des christ lich- romantischen Ideals, mit welchem sich bei ihnen orientalische Elemente in vollkommen homogener Weise mischten. Die Franzosen wurden in der Form ebensowohl als die Spanier durch die Italiäner bestimmt; das Unterscheidende ihrer Poefte lag aber darin, daß sie das griechisch-römische Ideal nicht, wie die Italiäner, in romantischen Stoffen, nicht, wie die Spanier, in der Abrundung der Form, sondern auch in antiken Stoffen und nach Regeln reproduzirten, in deren Be. schränktheit sie das wahre Wesen des Alterthums erfaßt zu haben glaubten. Sie ließen die Romantik gänzlich fallen und brachten das novantike Ideal hervor, dessen rhetorische Energie und verständige Faßlichkeit fast zwei Jahrhunderte hindurch von sich abhängig machte. (Schluß folgt.)

Polynesien.

Die Chinesen auf den Sandwich-Inseln.

Einer neueren Nummer der schon in diesen Blättern erwähnten chinesisch-englischen Zeitung „The Oriental, or Tung-ngai San-luk" entlehnen wir folgende Notizen über die chinesische Kolonie auf den Sandwich-Inseln:

,,Wer nach Honolulu kömmt, wird erstaunt sein, dort eine blühende kleine Gemeinde der „Yankees des Oftens“ zu finden. Die Straßen find mit ihren Läden beseßt, welche die nationalen, senkrechten, rothen Schilder zur Schau tragen, als ob die Eigenthümer sich ganz heimisch fühlten, was noch mehr durch die hübschen Villas in der Nachbarschaft der Stadt bewiesen wird, die mit Gärten voll chinesischer Blumen und Früchte und Goldfischteiche geschmückt sind und in denen sich Schaaren von kleinen Buben umhertreiben, deren Sprache eine Mischung des väterlichen Chinesisch mit dem mütterlichen Kanaka bildet. Einige von diesen Leuten find schon vor längerer Zeit mit Wallfischfängern auf ihren Kreuzfahrten durch das Stille Meer nach den Sandwich Jnseln gekommen; der größte Theil aber ist erst neulich hier einge wandert. Man zählt ihrer gegenwärtig auf der Gruppe etwa fünfbis sechshundert, wovon etwa dreihundert sich in Honolulu aufhalten und die übrigen in kleinen Gemeinden über die verschiedenen Inseln, namentlich Maui und Lahaina, zerstreut sind.

„Die chinesischen Kaufleute in Honolulu treiben einen recht bedeutenden Handel. An ihrer Spise steht das Haus Sam Sing, welches drei Theilnehmer (Compagnons) hat, wovon einer seit mehr als zwanzig Jahren sich hier aufhält. Sie haben zusammen ein Vermögen von funfzigtausend Dollars erworben. Das Haus Sing Lai ist gleichfalls wohlhabend und hat fünf oder sechs Kommanditen auf den anderen Inseln. Zwei andere Etablissements besigen Kapitalien von sechs bis achttausend Dollars. Außerdem giebt es im Orte etwa sechzehn andere Waarenlager und Kaufläden verschiedener Art. Ein kleiner Theil der zum Kauf ausgebotenen Waaren wird aus China eingeführt; die Hauptmasse kömmt aus Kalifornien und besteht vorzugsweise aus Gegenstän. den zum Gebrauch der Wallfischfahrer und aus Kleidungsstücken für die Eingeborenen, welche die in San Francisco etablirten chinesischen Kaufleute einschicken.

„Mehrere Chinesen haben Zuckerpflanzungen angelegt, zum Theil aber wieder aufgegeben. Doch bestehen noch zwei derselben, die von Sam Sing und Sam Tscho, beide auf Maui. Sie haben chinesische Aufseher und Arbeiter, welche den Zucker sieden und die schwierigeren Manipulationen vornehmen. Die anderen Arbeiten werden von Eingeborenen verrichtet, die ihre Dienste für geringeren Lohn anbieten. Einige von den amerikanischen Pflanzern hatten chinesische Arbeiter gemiethet, die sich anfangs zu ihrer Zufriedenheit benahmen, aber bald durch den Gebrauch des Opiums zu Grunde gingen, der ihnen auch in Kalifornien so verderblich geworden ist. Im Frühjahre kam ein Schiff aus China mit hundertsiebzig Arbeitern, welche sich verbindlich gemacht, die Koften ihrer Ueberfahrt allmählich abzutragen. Viele von ihnen find als Köche oder Bedienten in Familien untergebracht worden, wo sie den Eingeborenen vorgezogen werden.) Die meisten dieser Leute kamen aus der Gegend von Tschiu-tschau, im äußersten Often der Provinz Canton, und nur etwa funfzig aus der Nachbarschaft von Canton selbst. Die Mundart, die fie reden, ist daher den in Kalifornien

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lebenden Chinesen fast unverständlich; sie hat Aehnlichkeit mit dem Dialekt, der in Amoy gesprochen wird."

Die von den amerikanischen Missionären gemachten Versuche, die auf den Sandwich-Inseln domizilirten Chinesen zum Christenthum zu bekehren, find, wie es scheint, bisher ziemlich erfolglos geblieben.

Mannigfaltiges.

Lord's historisches Jahrbuch. Etwas spät ist der zweite Jahrgang dieses die politische Geschichte des Jahres 1854 umfaffenden Jahrbuches ausgegeben worden, deffen ersten Jahrgang wir in diesen Blättern angezeigt und nach Verdienst empfohlen haben. Wie der Verfaffer in dem Vorworte sagt, hat der Wunsch, überall die zuverläffigsten Quellen zu Rathe zu ziehen, verbunden mit der Schwierigfeit, die verwickelten diplomatischen Verhandlungen des vergangenen Jahres und die wichtigen Kriegsbegebenheiten deffelben in einen engen Rahmen zu faffen, ohne doch irgend ein vorwiegendes Moment zu übergehen, die Verzögerung herbeigeführt, die jedoch künftig vermieden werden soll. Das diesem Jahrbuch ähnliche „, Annuaire" der Revue des deux Mondes wird in Paris gewöhnlich im Oktober ausgegeben, schließt jedoch seine Jahres-Chronik bereits im Juli ab, so daß es vom Juli des einen bis zum Juli des anderen Jahres reicht, während das deutsche Jahrbuch immer ein volles Kalenderjahr umfaßt. Es zerfällt auch diesmal in folgende Abschnitte: 1) Politisch-statistischer Ueberfichtskalender sämmtlicher Staaten und Regierungen der Erde, worunter sogar die des Sudan, des Moskito-Landes und der SandwichInseln nicht fehlen; 2) Chronologischer Kalender des Jahres 1854, der mit dem am 1. Januar ins Leben getretenen Zoll- und Handelsvertrage zwischen Desterreich und dem Zollvereine beginnt und mit einem am 29. Dezember stattgefundenen Erdbeben in Piemont schließt. 3) Politische Geschichte des Jahres 1854, die das eigentliche Korpus des Buches bildet und mit anerkennenswerther Klarheit und Uebersichtlichkeit ausgearbeitet ist; 4) endlich ein nekrologischer Kalender, nach dem Alphabet geordnet und mit genügenden biographischen Notizen ausgestattet. Der Verfasser hat sich das ehrenwerthe Ziel gesteckt, dem Leser eine möglichst vollständige Chronik zu liefern, die ihm, wenn er bei der täglichen Lektüre der Zeitungen sich über die Entstehungsgeschichte der Tagesbegebenheiten aufklären will, als ein stets Rede stehendes Handbuch dienen soll. Die Leser werden dem Verfaffer gern das Zeugniß geben, daß er dieses Ziel erreicht habe.

Maurerische Literatur in Amerika. Die Buchhandlung Ino. W. Leonard & Co. in New-York widmet sich fast ausschließlich dem Verlage und Vertriebe der maurerischen Literatur. Es erscheinen in diesem Verlage zwei maurerische Zeitschriften: der Masonic Advertiser und das Freemason's Magazine, von denen das lettere, wie die meisten amerikanischen Monatschriften, wahrscheinlich Nachdruck einer ähnlichen, in England erscheinenden Zeitschrift ift. Von mehreren alten englischen Werken, namentlich von James Anderson's ,,Constitutionen der Freimaurer",") welches als die wahre maurerische Bibel" bezeichnet wird, von John Cole's „Illustrations of Masonry", von Alex. Lawrie's „Geschichte der Freimaurerei" und von der „Freimaurerei für Damen“ („Freemasonry for the Ladies") find Abdrücke in dieser Buchhandlung erschienen, welche zugleich ankündigt, daß sie nach und nach alle früher in England herausgekommenen maurerischen Werke von Werth republiziren werde. Eine Ueberseßung von C. Lenning's Encyklopädie der Freimaurerei (Leipzig, 1822, drei Bände) ist ebenfalls unter der Preffe.

Die Berühmtheiten auf dem Kirchhofe des Pater Lachaise. Der französische Akademiker Viennet hat eine neue Ausgabe feines im Jahre 1824 erschienenen Buches „Promenade au Cimetière du Père La Chaise" veranstaltet und daffelbe mit den Namen vermehrt, die in den einunddreißig Jahren diesen berühmten Kirchhof noch berühmter haben machen helfen. Im Jahre 1824 umfaßte das Buch hundert Namen; jeßt bringt es deren zweihundertundfiebzig. Abgesehen von dem Intereffe, welches das Buch für die Befucher der immer mehr sich ausdehnenden, bald bis an die Stadt der Lebenden, von der sie früher entfernt, oben auf der Anhöhe, lag, hinanreichenden Nekropole hat, ist demselben auch ein künstlerischer literarhistorischer Werth nicht abzusprechen, da Herr Viennet mit geiftreicher Auffassung eine lebendige, oft poetische Darstellung zu verbinden weiß.

*) The Constitutions of the Freemasons, containing the History, Charges, Regulations &c. of that most Ancient and Right Worshipful Fraternity. For the use of the Lodges. London, 1723.

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China.

Berlin, Sonnabend den 6. Oktober

Chinesischer Sozialismus und Kommunismus.

,,Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß die meisten jener sozialen Theorieen, welche die gegenwärtige Gesellschaft Frankreichs neuerdings in Gährung verfeßten und als erhabene Resultate des Fortschrittes menschlicher Vernunft dargestellt werden, nichts weiter sind, als bankerotte Utopien China's, welche das himmlische Reich vor Jahrhunderten bewegten."

Diese Stelle in Huc's „China“ brachte mir der Zufall vor die Augen, als ich das Buch zuerst durchblätterte. Das wäre doch interessant und merkwürdig genug, dachte ich, wenn Louis Blanc, Fourier, Cabet, Karl Marr, Willich u. f. w. in China längst ihre Meister gefunden, obgleich es bekannt genug ist, daß die Chinesen eine Menge ftolzer neuer Erfindungen und Philofopheme des Abendlandes schon längst gekannt, gemacht und sich an den Schuhen abgelaufen, als wir unsere Civilisation damit auf den Strumpf zu bringen glaubten.

Und richtig. Bereits im eilften Jahrhundert gab es Sozialisten und Kommunisten in China, wurde am himmlischen Reiche selbst vom Throne herab das Experiment in viel großartigerem Maßstabe gemacht, welches der kleine Louis Blanc nach 1848 in Frankreich im Kleinen versuchte. Zweimal wurde China zu einer Louis Blancschen National-Arbeitsstätte mit allem Zubehör von Garantieen für die Glückseligkeit aller Unterthanen umgewandelt, zweimal die großen und knotigen Fragen sozialer und politischer Dekonomie, die bei uns im Westen neuerdings so viel Papier, Tinte, Druckerschwärze, Blut, Gefängnißqualen, Gewerbe und Handel kofteten, in China gelöst und wirklich ein und durchgeführt. Sie begnügten sich nicht mit dem partiellen und verkappten Kommunismus, der in Form von Schußzöl. len noch alle Staaten der westlichen Civilisation mißhandelt, indem er die gewaltsame Vertheilung des Privat-Eigenthums fortwährend in gewaltsamer Besteuerung von Konsumenten zu Gunsten der Produzen ten (die aber leider dadurch nichts in die Tasche bekommen, sondern nur in den Stand gefeßt werden, unsinnige Kapitals-Anlagen zu er halten) zu bewirken sucht, ohne daß dieser Raub irgend einem Sterblichen zugutekömmt; die Chinesen nahmen die Sache gründlich und machten vollkommenen Ernst damit. Sie, die als versteinert in ihren politischen und sozialen Institutionen verschrieen sind, diskutirten und exekutirten schon vor beinahe acht Jahrhunderten über mehrere Menschen-Alter hindurch mit großer Leidenschaft und Ausdauer im Wesentlichen ganz dieselben gesellschaftlichen Erlösungstheorieen, welche neuer dings in Frankreich, Deutschland und England als ganz neue Heilande auftraten und ans Kreuz geschlagen wurden. Die chinesische Reform Partei versprach und versuchte damals eine radikale, sozial-kommuni Atische Umgestaltung des ganzen Eigenthums und der Production. Nach langer Agitation bekam der eigentliche Schöpfer und Leiter Mittel und Gelegenheit, seine Erlösungstheorie mit Hülfe der ganzen Staatsgewalt zu verwirklichen, also in einem Maßstabe, der zur Belehrung und zum apagogischen Beweise nichts zu wünschen übrig läßt. Dies giebt jenen Experimenten einen großen Werth für alle diejeni gen, die noch an kommunistischen Erlösungskrankheiten leiden, ohne fich durch Adam Riese und die klar erkannten Naturgeseze menschlicher Beziehungen belehren zu lassen.

Der Name des chinesischen Kommunisten-Chefs und zweimaligen ersten Staatsministers war Wang-gan-ché, ein Mann, noch heute berühmt in der chinesischen Geschichte wegen seines energischen, aus dauernden Heroismus in Ausführung seiner Reformen, wegen seiner Gelehrsamkeit, Intelligenz und romantischer Abenteuerlichkeit seines Schicksals. Man rühmte die Grazie und das Feuer seiner Beredtsamkeit und die Macht und den Zauber seiner ganzen Persönlichkeit, die es vermochte, eines der despotischsten, ältesten, konservativsten Staatengebilde so radikal zu erschüttern und selbst das Staatsober haupt zu seinem Diener und Werkzeuge zu gewinnen. Dies ist gewiß beispiellos in der Geschichte aller Völker und Herrscher. Chinesische Chroniken schildern feinen Privat-Charakter als durchaus musterhaft,

1855.

aber auch als leidenschaftlich ehrgeizig, als einen Mann, der jedes Mittel für gerecht hielt, wenn es galt, seine Reformen durchzuseßen, eigensinnig bis zur unbeugsamsten Halsstarrigkeit in seinen Meinungen, ftolz und voller Bewußtsein seiner Verdienste, voll Verachtung gegen Alles, was feinen Grundsägen und politischen Theorieen widersprach, fanatisch in Ausrottung aller früheren sozialen und politischen Institutionen und in Erseßung derselben durch seine eigenen Reformen.“ Dies heißt mit anderen Worten weiter nichts, als daß es ihm durchweg mit seinen Reformen unbedingter und voller Ernst war und kein Einfluß, keine Rücksicht vermochte, ihn von seinen Idealen abzubringen, für welche er ein langes Leben voller Arbeit und Entsagung geopfert. Um die alten Lebens- und Staatsansichten geistig auszurotten, übernahm er die heroische Arbeit, alle heiligen und klassischen Schriften China's mit neuen Kommentaren herauszugeben und dadurch seine Theorie im Volke vorzubereiten, ja, durch ein Wörterbuch, welches über hunderttausend der chinesischen Sprachzeichen umfaßte, die Bedeutung derselben so zu modifiziren, daß sie zu Gunsten seines Systems sprachen. Er war also gewissermaßen allein, was die geistigen Schöpfer der großen französischen Revolution, die Doctrinairs und Encyklopädisten. Da die ihm allein zugeschriebenen Arbeiten so gut wie physisch unmöglich auch für das fleißigste Genie erscheinen, wird er wohl auch Mitarbeiter gehabt haben, die nur mit der Zeit in dem einen Hauptnamen zusammenschmolzen, wie denn überhaupt bestimmtere Details seiner Geschichte fehlen, wenigstens in dem Buche unseres Gewährsmannes. Durch die großartigste, ausdauerndste geistige Vorarbeit gelang es ihm, sich von Stufe zu Stufe emporzuarbeiten und sich geistig und materiell seinen Weg zu bahnen, bis der Kaiser felbft, Chentsung, bewältigt von seinen brillanten Eigenschaften, ihm sein ganzes Vertrauen schenkte und ihm seine ganze Macht gab, um damit alle Chinesen vermittelst der neuen Erlösungstheorie glücklich zu machen. Wang-gan-ché beseßte alle Aemter und Tribunale mit seinen Jüngern und Anhängern und begann dann seine radikale Umgestaltung des Lebens geradeaus, durchgreifend und ohne Zaudern.

An der Spiße seiner Theorie stand der Saß: „Der Staat muß allen Unterthanen eine untrügliche, dauernde Glückseligkeit verschaffen. Die Mittel dazu liegen in voller Entwickelung und gleicher Vertheilung aller Schäße und Reichthümer des Landes. Die erste und wesentlichste Pflicht einer Regierung ist, das Volk zu lieben“, sagte er, „und deshalb ihm alle wahren Vortheile des Lebens zu verschaffen, diese aber find: Fülle und Freude. Um dies zu erreichen, würde es genügen, jeden Einzelnen mit den richtigen Grundfäßen der Rechtschaffenheit zu erfüllen; aber, da sich Niemand die ausnahmslose Gewißheit dieser Rechtschaffenheit in jedem Unterthanen verschaffen kann, muß der Staat bestimmen, in welcher Weise sie geübt werden muß, und unbedingten Gehorsam durch weise und strenge Gefeße erzwingen. Um Ungerechtigkeit und Unterdrückung des Einen durch den Anderen zu verhüten, muß der Staat alle Existenzquellen und Güter des Lebens in Besiz nehmen und der einzige Eigenthümer und Arbeitgeber werden. Der Staat muß daher auch allen Handel, alle Industrie, allen Ackerbau in seine Hand nehmen, um das „Wohl der arbeitenden Klassen" zu sichern und sie gegen die Reichen zu schüßen, daß fie dieselben nicht zu Staub zermalmen."

Man sieht hier, wie genau der Chinese des zwölften Jahrhunderts mit den französischen, deutschen und englischen sozialen Heilanden des neunzehnten übereinstimmt, so daß man meinen sollte, sie hätten aus den Schriften Wang-gan-ché's überseßt. Freilich Ueberseßung ist es, auch die Theorie Wang-gan-ché's, Ueberseßung aus der Noth eines dichten, civilisirten Lebens voller Gegenfäße, voller Noth und Elend, voller Lurus und Ueberfluß, voller Entbehrung und Hunger. Dieselben Jdeen und Ideale treten unter ähnlichen Verhältnissen wieder und immer wieder auf, so verschieden man sich die davon Ergriffenen sonst auch denken mag, just wie ein Chinese von eben derfelben Cholera befallen wird, wie ein Franzose oder ein Deutscher, wenn die Bedingungen in der Atmosphäre und in seiner körperlichen Beschaffenheit zusammentreffen. Jeder halbweg vernünftige Staats- und Rechtsmann würde deshalb auch gegen die unter uns seit Jahren graffirende kommu

nistische und sozialistische Krankheit sich mehr therapeutisch, als kriminal und hart verhalten, um so mehr, als der kommunistische Trieb, so verbrecherisch er auch gegen das Bestehende erscheint, aus der Noth der Zeit unter dem trügerischen Scheine einer Erlösung hervorgeht. Therapeutisch! Wo Kommunismus und Sozialismus endemisch und epidemisch auftreten, liegt allemal ein großes, grausames soziales Uebel zu Grunde.

Maffenhafte und Klaffen-Unzufriedenheit ist die nächste Folge, die nächste darauf Kommunismus, d. h. das Bestreben, gewaltsam erzeugte Eigenthumsverhältnisse auszugleichen, den Kommunismus des Staates auf den Kopf zu stellen, die Konsequenzen desselben im Namen einer Erlösungstheorie zu ziehen, eines politischen Ideals, wie z. B. der Demokratie, d. h. einer Despotie im Namen (nicht der) der Maffen. Klaffen- und Maffen-Unzufriedenheit, entspringend aus den gewalt. fam erzeugten Klüften zwischen verschiedenen Klaffen, aus Begünstigung dieser auf Kosten jener, rufen krankheitsgeseglich, durchaus nicht willkürlich, dieselben Begriffe und Phantasmagorieen von Heilung her. vor, in China dieselben, wie acht Jahrhunderte später in ganz anderen Ländern. Die Verschiedenheiten sind durchaus unwesentlich. So ist es z. B. durchaus Nebensache, daß die heutigen Kommunisten und Sozialisten unter dem Wahne einer demokratischen Erlösung leiden, während der Chinese im Namen eines absoluten Herrschers operirte. Die Vertilgung der freien Selbstbestimmung, der Naturgefeße, unter welchen Befih und Eigenthum entstehen und sich regeln, bleibt dieselbe, vb der Moloch, zu dessen Gunsten man operirt, ein tatarischer Despot auf dem Throne, oder eine Robespierresche, oder Karl Marrsche Idee fei. Die Gleichheit Beider liegt eben in dem Ideale Beider: Beide wollen alle Menschen gewaltsam glücklich machen.

Nur das hat, wie gesagt, unser chinesischer Heiland vor allen anderen Kollegen voraus, daß er seine Glückseligkeitstheorie verwirklichen konnte, verwirklichen mit aller Macht eines absoluten Thrones, zweimal verwirklichen. Zunächst organisirte er Tribunale durch das ganze Reich, welche den Preis von Lebensmitteln und Handelswerthen fixirten, wie es die Schutzöllner und die französische Regierung im Einzelnen auch thun, die Steuern von den Armen auf die Reichen legten und das Geld in den Staatsschaß sammelten, welcher es unter die Armen und Arbeiter ohne Arbeit zu vertheilen hatte. Der Staat ward zum ein zigen Grundeigenthümer erhoben. Als solcher vertheilte er den Grund und Boden durch seine Tribunale an die Ackerbauer, eben so die Saat in Art, Qualität und Quantität, unter der Bedingung, daß nach der Aerndte der Werth dafür oder die Saat felbft zurückgegeben werde. Um hier keiner Willkür Spielraum zu lassen und von jeder Sorte der Produkte das rechte Maß" zu bekommen, bestimmte die Staatsweisheit auch, wo und wie viel Reis, wie viel anderes Getraide, wie viel Bambus gesät und gepflanzt werden sollte, u. s. w. (Leßteres wird in den verschiedensten Zubereitungen als Gemüse gegeffen.)

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,,Es ist klar", sagte Wang-gan-ché, die Beweise unserer moder nen Sozialisten antizipirend,,,daß durch diese Reformen Fülle und Freude im ganzen Lande Jedem gesichert werden. Die, welche allein dabei leiden, die Wucherer und Monopolisten, die niemals versäumen, durch Hunger und Theurung sich zu mästen und die arbeitenden Klassen noch mehr zu ruiniren, leiden zum Vortheile der Allgemeinheit und zahlen auf diese Weise blos ihren Raub zurück. Von jezt an ist der Staat einziger Gläubiger, und der Staat nimmt keine Zinsen. Da er den Ackerbau überwacht und die Preise der Lebensmittel bestimmt, hat er es vollständig in seiner Gewalt, so viel zu produziren, daß er niedrige Preise stellen kann. Im Falle einer Mißärndte in dem einen Theile gleicht er das Fehlende durch den Ueberfluß in anderen aus, worüber das große Tribunal in Peking zu bestimmen hat. So wird keine Gegend, keine Klaffe mehr Mangel leiden, zumal da der Staat als einziger Kaufmann auch allein allen Profit zieht und diesen zu Werken allgemeinen Nußens verwenden wird. (Es sollte mich wundern, wenn hier im Urtexte nicht von Staats-Bauten gesprochen würde, der jezt noch beliebten Quacksalber-Medizin gegen,,Rehberger" und sonstige,,Nothleidende", welche darin besteht, daß man Lurus treibt, verschwendet, um Hungrige zu sättigen und Nackte zu kleiden.) (Schluß folgt.)

Die Geschichte der Poesie, nach Karl Rosenkranz.

(Schluß.)

Den Uebergang aus der Welt des romanischen Ideals in die Welt des germanischen Ideals macht der Verfasser in folgender Weise: In dem romanischen Ideal lag ein Dualismus. Die Ritter lichkeit war die opferfreudige Hingebung für die Verwirklichung der Freiheit. Diese Hingebung war das Große des Ritterthums, wie des Mönchthums. Das Ritterthum legte aber einen übergroßen Nachdruck auf physische Kraft. Die schwärmerische Frauenliebe, der es sich hingab,

veredelte, aber beseitigte nicht die Rohheit. Das Mönchthum weihte fich einem absoluten Spiritualismus. Der Atomistik der ritterlichen und mönchischen Jndividualität gegenüber entwickelte sich die bürgerliche Gemeinde, welche die Heiligkeit der Ehe voranstellte. Die Freiheit war sich ihrer Wahrheit nur im Gegensaß derselben bewußt. Der Chrift war sich seiner bewußt im Kampf mit den Ungläubigen, der Ritter im Kampf gegen den Bürger, der Patrizier im Gegensaß gegen den Plebejer, der Mönch im Gegensaß gegen die nur weltlichen Menschen. Es fehlt überall noch das Bewußtsein des allgemein Menschlichen. In dem Liebes-Ideal der Italiäner war die Liebe ent weder der ekstatische Traum eines transscendenten Idealismus oder der finnliche Rausch eines wollüftigen Realismus. Im Glaubens-Jdeal der Spanier war die Freiheit kritiklos der Autorität der sozialen Dogmen unterworfen und die Seligkeit des Menschen das Werk eines Wunders. Im Ideal der Ehre des gentilhomme oder des homme honnête der Franzosen war das Bewußtsein immer außer sich in der Reflexion auf das Bewußtsein Anderer.

Das Jdeal der Freiheit mußte den Dualismus von Selbstbestim mung und Fatalismus, von Selbstgewißheit und phantastischer Unsicherheit durch eine noch höhere Gestaltung seiner Realisation aufheben. Dies ist im germanischen Ideal der Selbstgewißheit geschehen. Der Verfaffer glaubt dieses Ideal auch als das „proteftantische“ bezeichnen zu können. Der Protestantismus, in Bezug auf welchen er es so nennt, ist ihm diejenige Form des Christenthums, in welcher dasselbe erst zur freien Gewißheit seiner Wahrheit, damit aber auch erst zur freien Wirklichkeit seiner Wahrheit gelangt“, „das durch perennirende Selbstkritik fich aus der Unendlichkeit seiner Perfektibilität fortbildende Christenthum", ober: „die Religion, welche die Vernunft der theoretischen und praktischen Freiheit zum Kriterium ihres Glaubens macht.“ „Ohne Philosophie", heißt es dann weiter, „versinkt der Protestantismus leicht in die Atomistik der Sektirerei, die entweder am Buchstaben der Schrift haftet oder vom Subjektivismus des Gefühls und der Phantasie ausgeht und zur Schwärmerei wird.“ „Jm römischen Katholizismus ufurpirt der Papst die Gottmenschheit Chrifti, und der Geist, der in steten Ansäßen durchbrechen möchte, wird als häretisch von der Kirche ausgeschlossen. Im Protestantismus ist der Begriff des Geistes der prinzipielle, weil in ihm die Gemeinde den Gegensaß der Kleriker und Laien aufhebt. Jeder Protestant hat das priesterliche Selbstbewußtsein."

Durch diese Andeutungen will der Verfaffer nur begreiflich machen, daß die protestantische Poesie wesentlich ein Ausdruck des Kampfes des Menschen um das Selbstbewußtsein der Entzweiung und der Versöhnung mit Gott ist. Man nehme die größten Dichter der neueren Zeit, Shakespeare, Milton, Voltaire, Klopstock, Goethe, Byron, so wird man bei ihnen allen die Tendenz finden, die ideale Jnnerlichkeit des Geistes in ihrer autonomischen Freiheit darzustellen. Shakespeare hat das Selbstbewußtsein der That bis zur Enthüllung ihrer verborgensten Genesis verfolgt. Milton hat den modernen Satan erschaffen, der sich im Selbstbewußtsein des unseligen Stolzes seines Abfalles von Gott spiegelt und dieses Bewußtsein als die wahre Hölle weiß. Voltaire hat im „Candide“ den Irrthum verfolgt, das Selbstbewußtsein der Freiheit durch Entäußeruug an den Mechanismus einer prästabilirten Harmonie zu zerstören. Klopstock schwelgt in der selbstbewußten Wonne der Erlösung und ist der erste Dichter, der den Namen der Freiheit schlechthin ausspricht und in ihm den das Ohr Tockenden Silberton vernimmt. Goethe hat in seinem Faust" die Geschichte des protestantischen Selbstbewußtseins gegeben, wie es sich vom Glauben skeptisch losreißt, böse wird, sich über sich erhebt und als strebendes Erlösung findet. Byron endlich hat das Mysterium des Selbstbewußtseins sowohl im Werden des Böfen als im Aufheben der Schuld in seinem „Kain“ und „Manfred“ mit unvergänglichen Zügen gezeichnet. Weil das Böse ein freies Produkt der in ihm ihre Nothwendigkeit selbst vernichtenden Freiheit ist, so wird es innerhalb des Ideals der Freiheit der absolut interessante Gegenstand". Die vorstehende Stelle zeigt unseren Lefern den Geist, in welchem der Verfasser die Poesie der Neuzeit auffaßt. Der Gang, den der Verfasser befolgt, ist, kurz angedeutet, folgender:

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,,Der Fortschritt in der Geschichte der Poesie, wie der Fortschritt überhaupt, wird durch die Deutschen, die Engländer und die Franzosen bewirkt. Bei den Deutschen folgt der Bruch mit der römischkatholischen Kirche in seiner ganzen Härte; die Reformation kann aber nicht die ganze Nation durchdringen. Die Nation zerfällt in Katholifen und Protestanten, und die Folge für die Poesie ist zunächst eine Anarchie der Tendenzen." Dem Meistergesang tritt das Volkslied gegenüber; in beiden, wie auch in den Volksbüchern, geht die Poesie aus der aristokratischen Gestaltung in die demokratische über; die neue Geistesrichtung spiegelt sich mit Entschiedenheit im lutherischprotestantischen Kirchenlied und in der satirischen Didaktik; der Entfremdung der Nation an das griechisch-römische Alterthum, an die französische und italiänische Literatur seßen die sogenannten Sprach

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