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No 113.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstr. Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwall fir. Rr.21), so wie von allen königl. Post-Nemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

Nord-Amerika.

Berlin, Donnerstag den 20. September

Was wird aus den Mormonen?

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„Der Mensch denkt, aber Gott lenkt!" Dieser schöne Spruch wird von den Amerikanern nicht so häufig citirt, als von uns; nicht, weil sie weniger religiös find im Gegentheil sondern weil ihr Starter Wille und ihr Selbstvertrauen fie in den meisten Fällen in den Stand sezt, sich das Glück unterthan zu machen und ihr Ziel zu ers reichen. Dann und wann jedoch werden sie von unerwarteten Ereignissen überrascht, die sie an den eben angeführten Spruch erinnern, und sie wiederholen ihn alsdann mit der Andacht eines Volkes, das, auf seine Abkunft von den „Pilgern" stolz, den gottesfürchtigen Charakter der Vorfahren auch in unserer skeptischen Zeit nicht verleugnet. Ein solches Ereigniß ist jest eingetreten, und die Nation wendet ihre Blicke ab von den Zuständen der Parteien, und der Märkte, von der Fülle des Aerndtesegens und der Unfruchtbarkeit politischer Agitationen, um die Lage und das Geschick der Mormonen zu betrachten. Nicht nur, daß die Existenz eines ganzen Volkstheils auf dem Spiele steht und daß eine Hungersnoth in diesem von natürlichem Reichthum strogenden Lande ein eben so neues als furchtbares Schauspiel ist: die Amerikaner haben noch nähere Gründe, fich für das Schicksal der Bewohner von Utah und Deseret zu intereffiren.

Es ist eine Frage, die mit jedem Jahre an Wichtigkeit gewinnt, was man mit dem Mormonenstaat anfangen soll, wenn die Zeit heran. naht, wo er verfassungsmäßig seine Aufnahme in die Union verlangen kann. Außer der Sklavereifrage hat sich bisher in der Geschichte der Republik kaum ein so schwieriges und gewiß kein so seltsames Problem dargeboten. Wenn man nicht einen Augenblick daran denken kann, Volksvertreter mit schwarzer Gesichtsfarbe im Kongreß zuzuLaffen, obgleich sich eine derartige Farbenmischung in den legislativen Versammlungen der englisch-westindischen Kolonieen als ganz praktisch erwiesen hat, wie wird man sich entschließen können, die Abgeordneten einer Gemeinde von Polygamen aufzunehmen, welche ihre politische Macht zu theokratischen Zwecken gebrauchen und einen neuen Glauben mit Beseitigung des Christenthums einführen wollen? Es bestehen allerdings in den Vereinigten Staaten bereits so viele religiöse Formen, daß es nicht leicht ist, einen rechtmäßigen Grund zur Ausschließung der Mormonen aufzustellen. Die füdlichen Staaten berufen sich zur Vertheidigung ihrer eigenthümlichen Inftitutionen“ auf die Autorität der Patriarchen. Der Staat Connecticut rühmt sich einer Verfassung, die von den ursprünglichen Ansiedlern auf die jüdischen Geseße gegründet worden und die man erst später einigermaßen modifizirt hat, während in anderen Theilen der Union der Katholizismus das Uebergewicht befist. Kann man bei einer so heterogenen Gestaltung der politischen und sozialen Zustände Amerika's den Mormonen die bürgerlichen Rechte verweigern einer Sefte, die für alle ihre Absonderlichkeiten, von der Vielweiberei bis zur Concentration der geistlichen und zeitlichen Gewalt in der Person ihres Papstes, sich auf biblische und christ liche Autoritäten zu ftüßen weiß? Wenn aber die guten Christen der Vereinigten Staaten vor dem Gedanken zurückschrecken, einen Juden oder Muhammedaner im Kongreß erscheinen zu sehen, was müssen sie bei der Aussicht empfinden, eine Gemeinde unter sich einzubürgern, welche die bedenklichsten Eigenthümlichkeiten der Juden und Muhammedaner zu einem ungeheuerlichen Ganzen verbindet? Schon bei der entfernten Möglichkeit eines solchen Dilemma waren die Amerikaner in so heftige Aufregung gerathen, daß sie sich gegen die Mormonen erhoben und sie in die Wildniß trieben. Es war dies die unüberlegs teste Handlung, deren sie sich schuldig machen konnten, denn, wie bei allen religiösen Verfolgungen, wurde die Saat der Kirche durch das Blut der Märtyrer befruchtet. Man sah die von ihren Wohnsigen Vertriebenen über Prairieen und Bergrücken ziehen, durch reißende Ströme fezen und in brennenden Wüsten mit Durst und Hunger käm pfen, und der Muth und die Geduld, mit der sie ihre Drangsale ertrugen, die brüderliche Liebe, mit der sie sich gegenseitig unterstüßten und auf ihrer Wanderung innehielten, um für ihre nachfolgenden Religionsgenossen zu säen und zu pflanzen, ließ sie so verehrungswürdig

1855.

erscheinen, wie andere Dulder und Märtyrer; ja, vielleicht wird die Tradition ihrer Reise von ihren Nachkommen nicht minder heilig gehalten werden, wie die Reise der Mayflower" von den Söhnen der Pilger, und das Ufer des Utah-Sees einem künftigen Geschlecht ein eben so geweihter Boden sein, wie der Fels von Plymouth den Männern Neu-Englands.

Inzwischen waren die Mormonen in die Wildniß hineingetrieben, und zwar in eine solche Wildniß, daß ihre Feinde fich mit der gegründeten Hoffnung schmeicheln durften, fie nie wieder mit Augen zu erblicken. Die Seeküste lag weit entfernt; es gab in ihrem Lande weder einen schiffbaren Fluß, noch eine natürliche Straße von irgend einer Art. Und dennoch kamen sie wieder zum Vorschein; ja, sie schickten bald Deputationen nach Washington, mit der Bitte, nicht um Duldung, sondern um die Erlaubniß, sich zu einem Territorium zu konftituiren, als erster Schritt zur Aufnahme in die Union. In zehn Jahren war ihre Zahl auf über hunderttausend angewachsen, die sich, außer einer unerhört raschen natürlichen Zunahme, durch Einwanderung jährlich um Tausende und Zehntausende vermehrten. Man konnte an ihrer Lebenskraft nicht länger zweifeln. Sie ftellten zum merikanischen Kriege ein Bataillon Freiwilliger, und nach Ueberwindung unglaublicher Mühseligkeiten wurden sie allmählich reich. Sie hatten sich in einer Gegend niedergelassen, die nicht einen einzigen Baum aufzuweisen hatte und wo der sandige Boden die von den Schneegipfeln der Berge her. abfließenden Gewäffer einsog, ehe sie das That erreichen konnten. Einen ziemlich ansehnlichen Strom nannten fie Jordan und bauten sich Hütten an seinen Ufern. Das Thal ihres Jordan war dem paläftinensischen so unähnlich, wie man sich nur denken kann: dürr, öde und ohne Vegetation. Aber sie gruben Kanäle und bewäfferten das niedrige Land und legten ihre Stadt so an, daß sie Plaß ließen für mächtige Baumgänge und meilenweite Gärten. Ehe fie die Früchte ihrer Arbeit und Kunstfertigkeit genießen konnten, mußten fie bittere Noth erdulden und waren einmal sogar gezwungen, die Häute, mit welchen sie ihre Hütten bedeckt hatten, abzureißen und als Speise zu kochen. Seitdem ist bis in die neueste Zeit Alles glücklich von ftatten gegangen. Sie treiben Ackerbau und Viehzucht, und ihre Industrie und Geschicklichkeit hat die Ungunft des Bodens so glücklich überwunden und seine Vortheile so energisch ausgebeutet, daß man ihre materielle Wohlfahrt schon längst als gesichert ansah. Da trifft fie plöglich ein furchtbarer und unerwarteter Schlag, der ihre ganze Zukunft zu vernichten droht.

Die ersten Erforscher des Landes hatten einen anscheinend geringfügigen Umstand übersehen. Sie berichteten über die Salzseen diefer Region, über deren schlammige Ufer und fandige Untiefen, vergaßen aber, den Schlamm durch ein Mikroskop zu beobachten. Sie bemerkten von den Indianern ausgehöhlte Gräben, mit Spuren von Feuer auf dem Grunde, fragten aber nicht, was man darin gekocht habe. Wäre ein Naturforscher unter diesen Pionieren gewesen, so hätte er vielleicht die Existenz eines der eigenthümlichsten Völkchen gerettet und dem Geschick der amerikanischen Union eine andere Wendung gegeben. Jener mehrere Fuß dicke Schlamm, der fich über viele Morgen Landes ausdehnt, besteht aus den Larven verheerender Infekten; jene Gräben find die Vorrathskammern der Eingeborenen, zu welchen fie ihre Zuflucht nehmen, wenn die Heuschrecken alle Früchte der Erde vertilgt haben. Die Infekten werden alsdann in die Gräben hineingefegt und, nachdem man ihre Flügel und Springbeine abgebrannt, zu Speise benugt, wie in dem anderen Jordansthal. Heuer müssen auch die Mormonen von Heuschrecken leben oder verhungern, denn das räuberische Ungeziefer hat sowohl ihre Aerndten als ihren Viehstand vernichtet. Damals, als die Mormonen ihre Dächer einkochen mußten, waren sie, wie sie glaubten, durch ein Wunder von dieser Plage befreit worden. Eine Menge Vögel von seltsamer Gestalt hatten sich auf die Eilande des Sees niedergelassen, die Heuschrecken verzehrt und fie bald gänzlich ausgerottet. Die Jahreszeit ist aber jegt zu weit vorge rückt, als daß sich eine Wiederholung dieses Phänomens erwarten ließe, und eine Hungersnoth scheint unvermeidlich. Das Merkwürdigfte bei der Sache ist, daß dieses Unglück den Ruin der ganzen Kolonie herbeiführen dürfte. Wäre es auch möglich, Lebensmittel nach einer

Gegend zu schaffen, wo es weder schiffbare Ströme, noch fahrbare Wege giebt, so würde es doch auf die Dauer nichts helfen, da das Uebel in dem Boden, selbst liegt. Die ungeheuren Cicaden kommen aus der Erde hervor; die abscheulichen, drei Zoll langen Heuschrecken sind Eingeborene des Landes. Allem Anschein nach werden ihnen die Mormonen das Feld räumen müssen, und es entsteht nun die Frage, wohin fie gehen sollen und wie lange es währen wird, bis sie wieder an die Thür des amerikanischen Senats anklopfen. Wären wir Amerikaner, so würden wir abgesehen von dem abgesehen von dem Mitleiden, welches das Unglück dieser armen Leute einflößen muß — die Vertagung eines so intereffanten Experimentes eher bedauern. Das ftandhafte Festhalten an dem Föderationsprinzip, welches sich in der Zulassung der Mormonen kundgäbe, wäre an sich ein schönes Schau. spiel gewesen, während ihre Abweisung eine gewiffe Schwäche dieses Prinzips verrathen hätte. Eine übermäßige Ausbreitung oder längere Fortdauer des Mormonismus war nimmermehr zu befürchten; fein politisches und soziales System ist zu korrumpirt, als daß ihm die Berührung mit einer vernünftiger organisirten Gesellschaft nicht verderb. lich werden müßte. Das Verlangen der Mormonen, sich der Union anzuschließen, war selbstmörderisch; aber es hätte dieser Gelegenheit gegeben, die Macht und Elastizität ihrer Inftitutionen einer glänzen den Probe zu unterwerfen. (D. N.)

England.

Literatur-Briefe aus England. Neunter Monats-Bericht. 1855. (Schluß.)

Aber wer kauft dieses auf Leinwand verwüstete Del bei dieser allgemeinen Bildung und weftlichen Civilisation? Ich habe eine dunkle Erinnerung an ein deutsches Buch über englische Kunst (ich glaube, von Franz Kugler), worin den Anglo-Sachsen ein bestimmtes, phyfisches Defizit an Geschmack zugeschrieben wird, so daß sie selbst durch Uebung und Bildung keinen ästhetischen Sinn entwickeln fönnten. Daran ist wohl etwas Wahres, denn die in London aufgehäufte, zum Theil prächtige und fabelhaft kostspielige Geschmacklosigkeit in Architektur, Monumenten, Lurussachen, Kleidern, Möbeln u. s. w. scheint dies zu bestätigen. Und dann will ja der reich gewordene Spekulant, Fabrikant, Brauer, Fleischer u. f. w. — und es werden hier alle Tage ungebildete Leute reich - so schnell und wohlfeil als möglich einen drawing-room voll Delgemälde haben. Er hat Geld genug, aber übers Herz bringen kann er doch nicht, 1000-6000 Thaler für ein einziges Bild auszugeben; so kauft er sich alte, große, neuvergoldete Rahmen und die nöthigen Ellen beölte Leinwand hinein und fieht sich plöglich von ein paar Dußend großen Bildern umgeben, ohne daß ihm die ganze Herrlichkeit so viel koftete, als die Portraits von ihm und seiner Frau. Außerdem kauft Bruder Jonathan auch gern Kunft nach dem Flächeninhalte, außerdem nimmt die Bildung unter den Oft- und Westindiern, unter den Negern und Hotentotten so reißend überhand, daß auf den ausländischen Märkten zehnfach gewonnen wird, was die etwa zuhause zunehmende Aesthetik dieser Kunft verschließen mag. In dieser Richtung ist denn England allerdings rühmlich thätig. Der Krystall-Palast entstand als größtes Wunderwerk des Jahrhunderts rein aus Speculation auf das steigende Bedürfniß der Maffen für Geschmack und Bildung. Wandernde Museen, Galerieen und stehende Museen in den Provinzen, höhere Schulen und Kunft Juftitute sprangen während der lezten vier bis fünf Jahre überall in der Abficht auf, den Maffen Geschmack, Schönheitssinn, Bildung bei» zubringen. Liegt freilich nach Behauptung des deutschen Kunstrichters ein organischer Fehler im Oberftübchen der Anglo-Sachsen zu Grunde, wird alle Schule nichts helfen, zumal da die Alles überwuchernde National-Leidenschaft des Geldmachens immer wieder verdirbt, was im Aesthetischen etwa lehr- und lernbar sein mag. Nicht zu leugnen ist, daß der ästhetische Einfluß Deutschlands und Frankreichs in England fortwährend bedeutend steigt; aber die so entstehenden Bedürfnisse des Schönen können bis jest blos von deutschen und französischen Malern, Stubenmalern, Musterzeichnern, Ciseleurs und Modelleurs, Schneidern und Schustern, Mechanikern, Uhrmachern und selbst Bäckern befriedigt werden. Ja, felbft Bäckern. Es giebt Hunderte deutscher Bäcker hier, und nur zu ihnen kann der Engländer schicken, wenn er gute Formen von Backwerk auf den Tisch bringen will, und nicht blos das nationale, klobige Viereck des „Quartern-Loaf“, worin jezt nationalerweise in der Regel weniger Mehl als Gyps, Sägespäne, zerstoßene Gebeine, Alaun, Potasche und verdorbene Luft stecken. Ueberhaupt ist in England jezt Alles falsch, von der Palmerstonschen Politik an bis zu dem Farthing-Zuckerstängelchen, das die zärtliche Mutter ihrem Säugling zwischen die schreienden Lippen steckt. Thackeray hat eben seine vollendetste Figur, seinen edlen, wahren,,Colonel Newcome", vollendet. Er kennt die englische Gesellschaft beffer und feiner, als

irgend Jemand, und wo bringt die Gesellschaft diesen Mann der Wahrheit und Echtheit hin? Ins Charterhouse, wo verschämte Arme von anständiger Herkunft, wie Mönche, von dem öffentlichen Wohlwollen leben.

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Thackeray gilt mit seinen vollendeten,, Newcomes" als der literarische Heros der verflossenen Season, während Tennyson's ,,Maud" als eine mißlungene Schöpfung betrachtet wird. Sonst ist nichts Heroisches in der Literatur vorgefallen. Selbst die Heroen der Krim, geschildert von G. Ryan (,,The Lives of the Heroes of the Crimea"), entwickeln sich unter der Feder dieses Autors als Schwächlinge an Geift, Talent und Talent und Muth. Weißt er doch nach, daß der Held der Balaklava-Schlächterei, Lord Cardigan, wie wahnsinnig durch seine eigenen Dragoner hindurchgebrochen und geflohen sei. Seine Renommistereien bei Festessen zuhause wären nichts als Münchhausiaden. Die Preffe sagt, der edle Lord sei es seiner Stellung schuldig, diese Anklagen Lügen zu strafen; aber er gehört zu den Verächtern der Presse und behält seine Stellung und die Anklagen unwiderlegt. Von sonstigen literarischen Erscheinungen notire ich noch: Mrs. Norton's (,,des weiblichen Byron“) Brief an die Königin über die Sklaverei der Frauen in England (die immer nur noch nach Ehebruch, Prügel und Mißhandlung aller Art für den Preis von fünftausend Pfund durchs Parlament geschieden werden können): „A Letter to the Queen on Lord Chancellor Cranworth's Marriage and Divorce Bill",,,des Droschkenkutschers Feiertag" (,,The Cabman's Holyday") und „,Beatrice, or the Unknown Relations", von Katharine Sinclair, die in fromm-polemisirender Weise die Seelenrechte des Droschkenkutschers gegen die unheilige Geldmacherei seines Herrn vindizirt und in der „Beatrice“ eine Art ,,Onkel Tom“ gegen die Sklavenherrschaft des Papstes liefert, wobei fie freilich vergißt, daß der Papst nicht mehr das Recht hat, Seelen, die sich loskaufen wollen, zurückzubehalten, „Zenon", von dem Autor der,, Mary Catchpole", von dem es in einer Zeitung hieß, daß das Beste, was Bulwer je geschrieben, rubbish, Schund, dagegen sei (ich habe, Zenon" nicht gelesen),,,Gertrude oder Familienftolz“, von Mrs. Trollope; von der Memoiren-Literatur die Bellot's, der bekanntlich seinen tragischen Tod im arktischen Eise fand, den dritten und vierten Band der Memoiren des Herzogs von Buckingham über den Hof und die Kabinette Georg's III. (1800-10), „Die Heirat und das Grab Byron's mit einem vollständigen Führer zu und durch Newstead-Abtei" (,,The Home and the Grave of Byron"), in der Naturwissenschaft ein wichtiges Werk von Lindley Kemp: „Die Erscheinungsformen der Materie“ („,The Phases of Matter"), in geologischer und chemischer Beziehung als Erdschichten in unorganischer, organischer, chemiko-physikalischer, Lebens- und Kunstform (verdient, in Deutschland näher angesehen zu werden; der Verfasser ist Autor der „Naturgeschichte der Schöpfung“, „Natural History of Creation"); über Rußland ein wichtiges Werk vom russischen Geheimen Staatsrathe L. von Tengoborski: „Die produktiven Kräfte Rußlands" (aus dem Franzöfifchen), sehr ausführlich und detaillirt; eine Abhandlung über denselben Gegenstand im Augufthefte von Blackwood's Magazin, die hier viel Aufsehen erregte, da sie in bestimmtesten Zügen und Details die furchtbaren, ruinirenden Folgen des Krieges unter den produktiven Klaffen nachwies und darauf die Hoffnung baute, daß man den Feind bald erschöpft und reif zur Nachgiebigkeit gemacht haben werde, um so eher, als die englische Diplomatie sich bekanntlich verpflichtet hat, Rußland im Wesentlichen gar nicht zu verkürzen, und vollkommen damit zufrieden ist, die Kriegsschulden des Landes um zweihundert Millionen Pfund, auf runde tausend Millionen vermehrt, sich moralisch und die Türkei materiell vollends ruinirt zu haben. Auch das aus Erlebnissen an Ort und Stelle geschriebene „,,Rußland, wie es jezt ist“ („Russia as it is at the Present Time"), von James Carr, einem Arbeiter (er war mehrere Jahre Aufseher in einer Baumwollenspinnerei in Rußland), enthält eine große Menge Materialien, aus denen man Rußland beffer und näher kennen lernt, als aus Custine und anderen berühmten Werken.

Noch muß ich ein Werk über eine der faulsten Sphären des englischen Lebens, das Kirchliche, erwähnen: „Enthüllungen eines armen Predigers" (,, Revelations of a Poor Curate"), von dem Rev. W. Wickenden. Daß die wirklichen, aktiven englischen Geistlichen zuweilen Hunger leiden und auf Almosen angewiesen sind, während die Bischöfe und Stellenverkäufer in Taufenden von Pfunden schwelgen, in denselben Pfunden, welche den Predigerstellen selbst zukommen, ist bekannt. Schwerlich wird aber Jemand, der nicht schon vorher eingeweiht war, glauben, es für möglich halten, daß Corruption und Simonie so weit, bis zu dieser Frechheit und Unverschämtheit gehen, wie wir es in diesem Buche detaillirt und spezifizirt vor uns aufrollen sehen. Was sagt man zu der Liste der Hochkirch-Prediger, welche herumgingen und wohlhabende Nachbarn um abgelegte Kleider baten? Mit vierzig bis funfzig Pfund jährlich und starker Familie, mit oft gar nichts (insofern sie auf Avancement dienen und nur zuweilen für eine Predigt oder sonst einen geistlichen Dienst ein paar Shilling Douceur erhalten) läßt sich diese Bettelei um alte Sachen

und Brod leicht erklären. Der Bischof von London hat jährlich über eine Million Pfund Einkünfte(??), und die anderen Bischöfe beziehen entsprechende Gehalte, können aber nichts entbehren, da sie nichts zu thun haben und der Müßige von Stande stets mehr Geld braucht, als wenn er fleißig wäre. Die Klagen der öffentlichen Meinung und der Preffe über die schamlose Geldmacherei der Bischöfe und Kirchenftellen-Eigenthümer, über die Armuth und Bettelei der wirklichen Prediger u. s. w. sind alt und bilden in manchen Zeitungen ein stehendes Thema; aber die Macht der freien Presse“ bewährt sich auch hier so, wie ich fie in politischer Sphäre gefunden habe. Man hat kein Ehr und Schamgefühl gegen die Stimme der Preffe, die ja größtentheils von Leuten geschrieben wird, welche nicht zur Aristokratie gehören.

Literarische Kuriofitäten Englands.

IV.

Paternoster-Row und der „Magazin-Tag".") Paternoster-Row läuft als die dunkelste und engste Straße zwischen den prächtigen Läden im Norden der St. Paulskirche und dem Newgate-Central-Fleischmarkte hin. Man kann zehn Jahre lang vorbeigehen, ohne sie nur zu bemerken. Sie hat von Cheapside aus nur eine enge offene Einfahrt, die anderen Zugänge unter und zwischen Häusern durch Höfchen und Gäßchen hin kennt blos der Gelehrte, der Literat, der etablirte und der „fliegende" Buchhändler. Sie war ursprünglich eine verzettelte Reihe von morschen, dumpfen Holzhütten, in denen Perlen und Rosenkränze gedrechselt und „Paternosters, Aves, und Gebete" geschrieben und zum Verkaufe an die Andächtigen zuerst gemacht wurden, als die Buchdruckerkunft und der Protestantismus noch nicht existirten.

Als diese deutschen Gäste herüberkamen, verdrängten sie die frommen Drechsler und Abschreiber, die,,weißen, schwarzen und grauen Mönche“ („friars”, die noch in so vielen Straßennamen fortleben) zu nächst von ihrem „Brode“, dann auch aus Paternoster-Row felbft, um aus der engsten Straße den weitesten Weltbuchhändlermarkt zu machen. Zunächst wurde sie hauptsächlich Markt für die reichsten Kleiderstoffe, der jezt unmittelbar fich an der Kirche hinzieht, weil die Buchhändler die „Row" nach und nach ganz eroberten. Unter Königin Anno zogen fie sämmtlich aus einer anderen dunklen Straße (Little Britain) in die,,Row". Seit der Zeit wuchs der literarische und typographische Ruhm stetig mit jedem Jahre bis zu seiner jeßigen fabelhaften Größe. Die,,Row" wird jezt von mindestens funfzigtausend Autoren und tan. send Dampfpressen versorgt. Die Row versieht dafür die ganze eivilisirte Welt in Bogen und Bänden stets mit frischer Literatur, zu der die Longmans, wie erwähnt, in einem einzigen Jahre über fünf Millionen Bände beitrugen.

nem stets schwerer werdenden Sacke der fliegende Buchhändler, d. h. der Sammler von Bestellungen, die bei Buchhändlern in der weiten Stadt umher gemacht wurden, von Laden zu Laden, ohne Rücksicht auf den am Schaufenster vertieften Bücherwurm, der vom Sacke geradezu in eine Nebengaffe hinein oder auf den Fahrweg geschleudert wird, ohne Rücksicht auf Menschen- und Wagengedränge draußen in den Hauptstraßen, denn er hat nie Zeit, auszuweichen. Er muß bis um vier Uhr spätestens an unzähligen Orten gewesen und zwanzig englische Meilen zurückgelegt haben, damit die Bestellungen in Fieberhaft noch bis sechs Uhr zur Post oder Fuhre gebracht werden können.

Jeden Freitag stellt sich das Geschäftsfieber in Paternoster-Row ein. Freitags um die Poftstunde marschiren die unzähligen Karawanen von Säcken, Packeten und Bündeln der wöchentlichen Zeitungen und Journale, von denen die ,,Row" einen guten Theil publizirt oder we nigstens besorgt, nach dem General-Poftamte dicht dabei oder nach den Eisenbahnhöfen. Das schnelle Zusammenholen der Blätter, die Verpackung für die Agenten, die Addresstrung an Privatkunden, die Ausschreibung der Fakturen, das Binden und Packen,,in weniger denn feiner Zeit", damit die Jungen ihre Säcke und Ballen noch kurz vor dem Glockenschlage Sechs in das große offene Fenster hineinwerfen können (denn mit dem sechsten Schlage rollt mitten durch den Sadund Bündelregen eine eherne Mauer herab und schneidet jedesmal eine Menge Säcke, zum Gaudium der Umstehenden, die expreß zu diesem Zweck warteten, gleichsam mitten in der Luft durch, so daß die lezten krachend auf die Werfenden zurückprallen), alle diese Geschäfte sehen die ganze Mannschaft in jedem Geschäft in die fieberhaftefte Thätigkeit, da es zulezt auf die Minute, auf die Sekunde ankömmt. Mit dem sechsten Glockenschlage geht eine gewaltige elektrische Zuckung durch London, mit welcher alle Räder und Hebel und Schrauben und Fesfeln des Großgeschäfts von Tausenden fallen, so daß sie nun plöglich Menschen werden und plößlich fühlen, wie hungrig fie find.

Ein noch heißerer und fieberhafterer Tag stellt sich in der „Now" alle Monate einmal ein, der unter Buchhändlern, Buchbindern und Druckern unter dem Namen,,Magazin-Tag" gefürchtet und geliebt wird. Dieser leßte jedes Monats bringt die Row in eine Bewegung, wie ein Topf voll Mäuse. Jedes Haus vom Keller bis zum Dache ist in Bewegung, als brennte es und gälte es, den Flammen noch einige Schäße zu entreißen. Jedes Stäubchen im lezten Winkel be kömmt Flügel und irrt verdugt umher, da ihm nirgends ein Ruhe. plägchen gegönnt wird. Solch ein Reißen und Binden, Werfen und Schreien, Drängen und Stoßen ist wahrhaft fehenswerth. Der Magazin-Tag fängt jedesmal mit dem Abende vorher an und schwillt während der Nacht zu heißem, dichtem Kampfe an. Die Bestellungen der Provinzial- und Kolonial-Buchhändler find während des Tages alle angekommen. Danach müssen die Monatschriften und Magazine in aller Haft zusammmengeholt und die Fakturen ausgefertigt werden, größtentheils eine leichte und blißschnelle Arbeit, da gedruckte Listen der Magazine u. s. w. dazu gebraucht werden. Jeder Buchhändler und ordentliche Kunde hat sein besonderes „Taubenloch“, sein „Fach“, in welches die ausgefertigten Fakturen nebft Büchern u. f. w. deponirt werden. In manchem Geschäfte giebt es fünf. bis sechshundert solcher

füllt, geleert, gepackt und befördert werden müssen. Die Drucker haben ihre Blätter und Journale während der Nacht gesandt. Aus diesen naffen Ballen müssen die einzelnen „Taubenlöcher" gespeist werden. Das wäre Alles noch in den Gränzen des Thunlichen; da aber in der Regel jeder Provinzial-Buchhändler nur mit je einem in London verkehrt, muß dieser zugleich alle anderen Bestellungen aus allen Gegenden und Entfernungen Londons zusammenjagen lassen. Diese wilden Buchjäger bilden eine eigene Menschen- und Gewerbsklaffe, die merkwürdig genug ist, so daß fie ein Wort verdienen.

Die,,Row" sieht in der Regel von keiner Seite und es giebt deren eine ziemliche Menge durch alle mögliche, geheimnißvolle Zugänge und Schluchten — danach aus, als könnte hier ein Geschäft gedeihen oder ein außtändiger Kaufmann für den ganzen Erdglobus arbeiten. Ein krummes, melancholisches Gäßchen von Mörtel und Mauer,,Laubenlöcher“, die alle in den leßten vierundzwanzig Stunden gemit allen Arten von Baustylen und auch gar keinem Styl, mit einem Trottoir, nicht breit genug für einen dicken Herrn, und einem Fahrweg, an manchen Stellen kaum hinreichend für einen einzigen Wagen. Un ten ist Alles Buchhandelschaufenster, aber ohne Prätension und ohne die Koketterie des Kleinhandels. Geht man so zufällig hindurch, meint man, die Leute müßten hier alle mitsammt ihren Büchern verschimmeln. Nur hier und da geht ein fettgeschmierter Fleischerbursche hindurch und verschwindet in einen der vielen engen Schlupfwinkel, die manchmal nach Newgate, manchmal nach der Paulskirche, öfter auch nirgends wohin führen und einen Sack bilden; der andere schmußige Junge dort mit einem Sacke auf der Schulter ist ein fliegender Buchhändler. Und entdeckt man einen Gentleman, läuft er so schnell als möglich hindurch, oder er besieht sich blos gedankenlos einige Büchertitel und Bilder, ohne etwas zu kaufen. Rings herum donnert und dröhnt, rumpelt and raffelt es ununterbrochen vom dichtesten, leidenschaftlichsten Verkehr. Hier herrschte Todtenstille, wenn nicht auf dem einzigen Baume, der sich hier in einem besonderen Winkel seit einem Jahrhundert gehalten, die SperLinge Parlament hielten und nicht zuweilen deutsche Straßenmusikanten mit verrosteten Instrumenten und herzzerreißenden Mißtönen die Burschen und Clerks in den dunklen Geschäften inwendig entzückten. Wo bleiben denn nun aber die funfzigtausend Autoren, tausend Dampfpressen und die mindestens achtzig Millionen Bände und Publicationen, die im Durchschnitt jedes Jahr in die Welt gehen sollen? Das Ge schäft ist hier ein Wechselfieber und kehrt blos in bestimmten Zeiträu men zurück. Während der fieberlosen Zeiten kommen und gehen ziemlich unbemerkt blos die eigentlichen Verleger, deren Buchhändler und Agenten und Schriftsteller. Hier und da ächzt und schnaubt unter sei

*) Vgl. Nr. 108 des „Magazin“.

Der,,Collector", ein so unentbehrliches Glied in der Kette des Buchhandels, ist ein ganz anomales Subjekt, weder Mann, noch Junge, weder schmußig, noch anständig. Seine Müze hat entweder gar keinen Schirm, oder auf einer ganz ungewöhnlichen Stelle, sein Hut leidet ftets an einigen Dugend Brüchen und Entstellungen. Selbst sein großer Sack ist räthselhaft in Farbe und Form, und der Rock, der hier und da wie noch ein brauchbarer abgelegter Rock aussieht, hat gleichwohl so viel Riffe und Flecke, daß man nicht begreift, wie er in der Lite ratur noch eine so wichtige Rolle spielen kann. Gebt Acht, die Herren dort im Geschäft, die auf Niemand hören, ihn hören sie, ihm gehorchen fie, so grob und unsauber er auch ist. In seiner schmierigen Tasche drängen sich zuweilen mehr Goldstücke, als man in einem Jahre zum anständigen Leben brauchen würde. Jede seiner scharfen Bestellungen wird mit harter Kaffe bezahlt. Alle die kleineren Buchhändler-Artikel werden stets baar berichtigt. So muß ihm Jeder, der ihn brauchen will, das Geld vorschießen, so gewagt dies auch sein mag. Aber der Col. lector hat zu viel esprit de corps, er geht stets im Schuß und trifft stets. Jede Krümmung, jede Unehrlichkeit ist ihm ein Gräuel, ein Wahnsinn, da sie den ganzen Buchhandel und also auch ihn ruiniren würde. Er ist unentbehrlich, aber auch der Buchhandel ist ihm so

theilung über die Missionen auf den Gesellschafts-Inseln geschrieben, der wir das Folgende entnehmen.

nothwendig wie die Luft. Er hat nichts darin gelernt, als Büchertitel und deren Preise, und darin sucht er nach drei-, vierjähriger Dienstzeit seinesgleichen unter allen Bibliothekaren der Welt. Er weiß immer Die eigentlichen Gesellschafts-Inseln, im engeren Sinne des Worden nächsten Weg zu jeder Quelle und versteht es, sich mit seinem um tes, bilden drei verschiedene Staaten, die von dem französischen Profangreichen Sacke durch das dichteste Gedränge am Ladentische zu schietektorate über Tahiti und den dazu gehörigen anderen Inseln der Georg's, ben und Gehör zu verschaffen. Die anständigsten Gentlemen mit Gruppe gänzlich unabhängig sind. Diese drei Staaten bestehen aus weißem Halstuche und kirchlicher Physiognomie werden im Stiche ge- folgenden Inseln: laffen, um ihn zu bedienen.

,,,,Look alive, will you?" fchreit der Eine; „Pots of Manna" six, and,,Phials of Wrath" thirteen as twelve!"

Während Einer hinter dem Ladentische nach den „Fläschchen des Manna“ und „Töpfchen des Zornes" sucht, fordert ein anderer lattenförmiger Junge unter seinem Sacke hervor:,,,,Coming Struggles", 26 as 24, two „Devices of Satan", and one,,Little Tommy Tabbs"." ,,Do you keep the Pious Pieman?" Let's have a lot. Be quick! And a dozen,,Blaspheming Blacksmiths", thirteen, you know." ,,Nine,, Broken Pitchers and Jacob's Well", and ,,What's a Church"? and,,Wheat or Chaff"!"

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Ten Garments of Faith"! Fifty ,,Bands of Hope"!" ,,Two,,Two Thieves" and ,,Thoughts in Prison"!"

So schreit es in allen Lagen verschiedener Oktaven. Die kleinen frommen Traftätlein und Spißbubengeschichten, welche für die Provinzen und das Land so reißend abgehen, kommen rasch aus verschiede nen Winkeln hervor, das Geld klingt, das Herausgegebene verschwindet in schmuzige Taschen, die Bücher in Säcke, und die fliegenden Buchhändler sausen davon, um Anderen Plaß zu machen.

In Buchhandlungen, wo die Guineen-Bücher, die theuren,,Reviews" und,,Magazines" vorherrschen, geht es im Ganzen ruhiger her, selbst an diesem Tage, da die größten „Künstler" des Packens angestellt und thätig sind und mit einer wahrhaft wunderbaren Geschicklichkeit und Schnelligkeit lüderliche Haufen von Büchern und naffen Neuigkeiten ununterbrochen in die solidesten, kompaktesten braunen Packete verwandeln. Draußen hat sich inzwischen vom Westen her eine dichte Wagenburg von Fuhrwerken gebildet, welche sich mit den Packeten füllen und in öftlicher Nichtung einen Ausweg finden müssen, ein Kunststück, das niemals ohne Krieg und Streit unter den Roffebändigern ausgeführt werden kann, da sich immer einige Neulinge unter ihnen einfinden, welche mit Gewalt gegen Sitte und Nothwendigkeit westlich wieder ausfahren wollen, was niemals erlaubt wird.

Wenn die Literatur-Fuhrleute sich alle heraus- und durch das Rädergedonner von Cheapside hineingefunden haben, athmet die ganze „Row" tief auf, und Laffen Kaffee und Thee und,,Chops" und,,Steaks" werden von dienstbaren Geistern hereingetragen und mit verklärten Augen von denen bewillkommnet, die noch bis zum Schlusse der Laden aushalten müffen. Die Anderen sind wie der Blig in ihre guten Röcke gefahren und in allen möglichen Richtungen durch enge „Courts“ und Lanes" verschwunden. Einige Millionen Exemplare der neuesten Wochen- und Monats-Publicationen verbreiten sich nun über Nacht mit Dampf zu Waffer und zu Lande über das ganze vereinigte Königreich, zumal jeßt, da das Bleigewicht des Stempels nicht mehr an ihrem Preise hängt.

Aus dieser Skizze ergiebt sich von selbst der Grund, weshalb die Buchhändler in ihrer alten,,Row" so hartnäckig kleben bleiben, aus demselben Grunde, weshalb in jeder Straße der City fich gleichartige Geschäfte zusammengedrängt haben und hier den kleinsten, dunkelsten Winkel theurer bezahlen, als draußen und droben, zehn bis zwanzig Meilen davon ihre umblühte Villa.

Aber dem Welthandel ist es längst zu eng geworden in der City, am meisten dem Buchhandel, der sich deshalb aus Mangel an Plag in der,,Row" in den verschiedensten Stadttheilen ansiedeln mußte, so daß der fliegende Buchhändler oft wegen eines einzigen Büchleins meilen weit davonzuschießen genöthigt wird und troß aller Dampfkraft seiner Beine nicht immer zu rechter Zeit zurück ist. Deshalb gehen die großen Verleger mit dem Plane um, eine große ,,Publishers' Hall" im Mittelpunkte der Stadt, wahrscheinlich in der Nähe der „,,Row" zu errichten, in welcher alle gangbaren Verlags-Artikel stets so vertreten sein sollen, daß jede Bestellung sofort befriedigt werden kann.

Polynesien,

Der jezige politische Zustand der Gesellschafts-Inseln. *) Ein deutscher Missionär, Herr C. R. W. Krause, welcher seit funfzehn Jahren auf den Inseln der Südsee gelebt hat und sich gegen wärtig in San Francisco befindet, hat für den „,Oriental" eine Mit

*) Nach dem deutschen,,San-Francisco-Journal“, herausgegeben von Rühl, einem Blatte, das durch treffliche, wissenschaftliche Artikel seiner deutschen Redaction Ehre macht. D. R.

1) Nuahine und Maiao, oder Charles Saunders' - Inseln.
2) Raiatea (Ulietea) und Tahaa.

3) Boraborg, Maupti, Tupai, Maupihaa und Manuae. Die Unabhängigkeit dieser drei Regierungen wurde am 19. Juni 1847 burch eine Uebereinkunft zwischen England und Frankreich anerkannt. Wie auf allen Inseln des Stillen Meeres, waren auch hier die Häuptlinge oder Könige ursprünglich mit unbeschränkter Gewalt über das Leben und Eigenthum ihrer Unterthanen versehen. Im Jahre 1818 begann die Einführung des Christenthums, und 1820 waren sämmtliche Inseln dem Namen nach christlich. Es wurden nun Gefeße gegeben, aber die Häuptlinge meinten, daß dieselben nur für das Volk seien, und daß sie selbst über den Gesezen ständen. Sie waren indeffen günstig für Kirchen und Schulen gestimmt. Wie aber das Volk allmählich aufgeklärter wurde, wollte es sich die Tyrannei der Häupte linge nicht mehr gefallen laffen. Es machte sich ein zunehmender Widerstand bemerklich, und endlich, nachdem die mit der französischen Befiznahme von Tahiti in Verbindung stehenden Unruhen vorüber waren, bei welchen das Volk die Inseln vertheidigt und sich selbft fühlen gelernt hatte, rief die Tyrannei der Häuptlinge von Nuahine und Raiatea offene Revolution hervor.

Die Anhänger dieser Häuptlinge wurden in verschiedenen Gefechten geschlagen und diese selbst verbannt. Neue Häuptlinge wurden gewählt, die nun, indem sie ihre Gewalt dem Volke selbst verdankten, eine ganz andere Stellung einnehmen. Der von Nuahine hat sich bigher gut benommen. Der von Raiatea, welcher in despotische Gelüfte verfiel, wurde abgeseßt, und das Volk beschloß, den früheren Häuptling unter Bedingung und Garantie von Seiten des Häuptlings von Borabora zurückzurufen. Auch in Borabora brach zweimal eine Revolution aus, die aber keinen anderen Erfolg hatte, da der Häuptling dieser Inselgruppe keine begründeten Ursachen zur Klage gegeben hatte.

Die sämmtlichen Inseln stehen unter dem Einflusse protestantischer Missionäre, die von der Londoner Missionsgesellschaft geschickt werden. Unter den Missionären der Gesellschafts-Inseln stehen auch die Inseln der Austral-Gruppe. Von denen der Taumotu-Gruppe, oder des gefährlichen Archipels, sind sie durch die Franzosen ausgeschlossen worden, gerade so wie von Tahiti.

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Mannigfaltiges.

Copernicus als Arzt und Staatsmann. So eben ist wieder ein recht dankenswerther Beitrag zur Copernicus-Literatur und zur näheren Kenntniß der Kulturgeschichte Preußens unter dem ersten Herzoge erschienen. Das Schriftchen führt den Titel: „Nikolaus Copernicus in feinen Beziehungen zu dem Herzoge Albrecht von Preußen, von Dr. L. Prowe" (Thorn, 1855). Es ist ein Vortrag, den der schon als Biograph des Copernicus bekannte Verfaffer in der öffentlichen Sigung des Copernicus-Vereins für Wissenschaft und Kunft zu Thorn am 19. Februar d. J. gehalten und den dieser Verein jest als Festschrift zur sechshundertjährigen Jubelfeier der Stadt Königsberg dem Druck übergeben hat. Wir sehen in diesem Schriftchen den berühmten Frauenburger Domherrn nicht nur in dem Forschenszweige, der seinen Namen verewigt und mit dem er die erste Glorie auf sein Heimats. land, das bis dahin in den Wissenschaften kaum genannte Preußen, geworfen hat; wir sehen nicht nur den weithin geltenden Astronomen wirken, sondern wir finden ihn auch auf Gebieten thätig, wo wir von seiner Bedeutung bis jezt entweder keine oder doch nur geringe Kennt niß hatten. Das Schriftchen führt uns nämlich den Mann zugleich in seiner ärztlichen und in seiner staatsmännischen Thätigkeit vor. In allen diesen Beziehungen nämlich trat er dem geiftesfrischen und nach allen Seiten hin regsamen damaligen Haupte des herzoglichen Preußenlandes, dem Herzoge Albrecht, persönlich nahe, sei es, daß er von ihm zu Rathe gezogen oder an ihn vom Bischof von Ermland zu bestimm ten Verhandlungen entsendet wurde. So wird das kleine, aus zerstreuten Winken zeitgenössischer Berichterstatter und sonstigen Reliquien, welche aus der Zeit der schwedisch-polnischen Kriege in die Haupt-Archive des Landes, das Geheime Archiv zu Königsberg und das bischöfliche Archiv zu Frauenburg, gerettet worden, geschöpfte Schriftchen zugleich eine schäßenswerthe Ergänzung der im Jahre 1841 erschienenen trefflichen Monographie von J. Voigt über den schriftlichen Verkehr der berühmtesten Gelehrten des Reformationszeitalters mit dem Herzog Albrecht von Preußen. (Pr. C.)

Herausgegeben und redigirt von J. Lehmann.

Im Verlage von Beit & Comp.

Berlin, gedruckt bei A. 2. Hayu.

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 Egr., balbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 gr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird

No 114.

für die

Seftellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerfir. Nr. 25, und beim Spediteur Reumann, Riederwallfr. Rr.21), so wie von allen königl. Post-Aemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

Italien.

Berlin, Sonnaberd den 22. September

Die Katakomben des Kapuzinerklosters bei Palermo. Unter dem Titel „Aesthetische Wanderungen in Sicilien“ hat Dr. L. Goldhann °) die Erinnerungen an seine sicilische Reise zu einem ansprechenden Gesammtbilde zusammengefaßt und den Freunden der Kunst und schönen Natur als eine erfreuliche Gabe dargeboten. Er vergleicht im Vorwort das Entstehen seiner Arbeit mit dem Werden eines Kunstwerks und nimmt keinen Anstand, durch das Bekenntniß, daß sie ihn nach ihrer Vollendung mit einer gewissen „artistischen Befriedigung“ erfüllt habe, die Nachegeister der Kritik heraufzubeschwören und auch den Lesern, die genießen und nicht rezensiren wollen, eine argwöhnische Verstimmung einzuflößen. Aber ein feiner Sinn für Naturschönheit und eine warme, dem Zauber der Landschaft entfprechende Diction schmeicheln bald den Unmuth fort, den jene tecke Herausforderung erregen konnte, und erfüllen den Leser mit dem behaglichen Gefühl, daß er in der That, wenn nicht ein makelloses Kunstwerk, so doch eine durch Form und Inhalt gleichmäßig anziehende Schrift vor sich hat. Herr Dr. Goldhann beginnt seine Darstellung mit der Ueberfahrt von Neapel nach Palermo, verweilt längere Zeit in dieser Stadt und deren Umgegend, reift dann von hier durch das Innere der Insel nach Syrakus und führt uns dann längs der Ostküste nach Messina. Die landschaftliche Scenerie, das Volksleben und die Denkmale der Kunft, besonders der Architektur, das sind die Gegenftände, auf welche der Verfasser unsere Aufmerksamkeit hinlenkt; gefunde Empfindung, ein klares Auge und eine überaus glückliche Herr schaft über die Sprache befähigen ihn in hervorragender Weise, seinen landschaftlichen Gemälden den vollen Zauber der südlichen Natur einzuhauchen, die Genrebilder aus dem Volksleben mit aller charakteristi schen Lebendigkeit auszustatten und die merkwürdigen Bauten aus der Zeit der griechischen, farazenischen und normännischen Herrschaft mit ficheren Umrissen uns zu veranschaulichen. Aber die objektive Darstellung des Gesehenen ist nicht der alleinige Zweck des Verfassers; wie der Titel seines Buches andeutet, beabsichtigte er, einen Beitrag zur Aesthetik zu liefern, indem er sich überall den ästhetischen Gehalt der Erscheinungen und die Motive des äfthetischen Eindrucks durch Reflerionen klar zu machen sucht. Und diese zahlreich eingestreuten Raisonnements bilden an sich nicht nur den schwächeren Theil des Buches; sie stören auch den ruhigen Genuß und sind unserer Ansicht nach das Haupthinderniß, die anziehende Schrift für ein Kunstwerk zu erklären. Niemand wird, wie wir glauben, die da niedergelegten Betrachtungen ohne Interesse lesen; aber Wenige werden fie bei genauerer Erwägung für etwas mehr als geistreiche Spielereien halten. Und selbft solche wür. den wir gern hinnehmen, wenn sie uns weniger absichtlich und vor Allem nicht in kompakter Phalanx entgegenträten, sondern ungezwungener mit ihrem zierlichen Geflecht die Darstellung durchseßten und umrankten. Jest zerfällt das Buch in zwei heterogene durch einander geworfene Theile: Darstellung und angehängtes Raisonnement, die so lose verknüpft sind, daß das leßtere ohne Schaden für die erstere hätte fortfallen können; mitten in der Freude über eine gelungene Darstellung beschleicht uns das trübfelige Gefühl, daß im Hintergrunde ein peinliches ästhetisches Verhör auf uns lauert; und die Erfahrung zeigt uns bald, daß der Verfasser, weit davon entfernt, uns mit über legener Meisterschaft die Mysterien der Aesthetik zu erschließen, selbst noch im Dämmerlicht umhertappt und sich Resultate abquält, die, ganz davon abgesehen, daß auf diesem Gebiete die Subjektivität mit verschiedenem Maßstabe mißt, auch vom allgemeineren Standpunkte nicht als ftichhaltig betrachtet werden können. Dr. Goldhann legt auf solche Episoden augenscheinlich großen Werth; gleichwohl ist der feine Sinn für die innere Harmonie eines Kunstwerks, den er sonst überall zu erkennen giebt, diesen mit Unrecht bevorzugten Kindern seines Geistes gegenüber nicht vollständig ftumm gewesen; wir glauben vielmehr aus einer Anmerkung schließen zu dürfen, daß er selbst nachträglich an

*) Leipzig, F. A. Brockhaus, 1855.

1855.

einer dieser Digressionen Anstoß genommen hat. Hätte er das natürliche Gefühl, das ihn hier beschlich, ungehemmt wirken laffen; wäre er ihm auf den Grund gedrungen, so würde ihm vermuthlich klar geworden sein, daß es nicht rathsam war, seinen kunstreichen Schilderungen derartige weitschweifige Erklärungen anzuhängen, und müheloser würde er erreicht haben, was er erstrebte: den Ruhm einer meisterhaften Darstellung.

Da die,,Wanderungen in Sicilien" nicht nur ihres Inhalts, sondern auch ihrer vollendeten Form wegen alle Beachtung verdienen, wür den wir zu einer höchst einseitigen Beurtheilung Anlaß geben, wenn wir unseren Lesern zur Charakteristik des Buches statt eines farbenreichen lebenswarmen Gemäldes einen dürftigen Abriß bieten wollten, dem die Fülle der Anmuth fehlt, welche in dem ganzen Werke über die Darstellung ausgegoffen ist. Es wird den Lesern ein richtigeres Urtheil geben, wenn wir ein Fragment hervorheben. Die Wahl ist schwer, da das Buch so viel des Schönen enthält; die Rücksicht auf Kürze bestimmt uns, die Schilderung der Katakomben des Kapuzinerklosters bei Palermo mitzutheilen, zumal da Dr. Goldhann hier zeigt, daß seine weiche, anmuthige Sprache am angemessenen Ort einer sehr nachdrucksvollen Steigerung fähig ist.

,,In einem eigenthümlichen Zickzack zwischen ummauerten Gärten kreuzend, deren versteckte Herrlichkeit nur hier und da durch eine überhängende Palme oder hochaufstrebende Cypresse bemerkbar ward, erreichten wir bald das Kloster der Kapuziner, wo sich jene berühmten Katakomben befinden, die unter den Sehenswürdigkeiten Palermo's gewöhnlich in erster Reihe aufgezählt werden. Unser Wagen hielt im Schatten eines mächtigen Kaftanienbaumes, und da mein Freund, nach einigen dem Führer entschlüpften Aeußerungen, die Behaglichkeit einer kleinen Siesta dem in den Klosterhallen zu gewärtigenden Genusse vorzog, folgte ich allein dem Signor Gregorio nach der Eingangshalle, wo auf bloßes Kopfnicken der Pater Guardian erschien und über eine Treppe von ungefähr dreißig Stufen nach einer Art von Kellerthür voranfchritt, die sich sofort dröhnend aufthat. Ein wahrhaft mephitischer Verwesungsgeruch, der uns sogleich entgegenqualmte, war nur der harmlose Vorläufer eines nunmehr sich erschließenden Schauspiels, so gräßlich, so schauderhaft grotesk, wie nur die ausgelassenste Phantasie in Fieberhiße sichs erträumen könnte. Wer immer von Katakomben hört, denkt fich darunter durch hohes Alterthum geheiligte unterirdische Gänge, wo in geheimnißvollen Nischen schwere Sarkophage stehen, oder allenfalls blanke Skelette, in langer Folge an den Wänden gereiht, mehr Verwunderung als Grausen erregend, wie aus Schilderungen der Katakomben von Rom, Paris und anderen Städten der Begriff sich gebildet. Wer aber dachte jemals daran, einen monströsen Kirchhof, worin Tausende von Leichnamen jedes Geschlechts, Alters und Staudes, von den fernsten Jahrhunderten her bis auf die jüngsten Monate, alle Stadien des Verwesungs- oder richtiger des Verstaubungs-Prozesses zur Schau tragen, mit eigenen Augen bloß- und offengelegt zu finden? Das Kapuzinerkloster bei Palermo bietet diesen ungeheuerlichen Anblick. In einem unterirdischen Gewölbe, das aus vier weitläufigen, ein Quadrat bildenden Gängen mit von oben einfallendem matten Tageslichte besteht, sieht man die Todten Palermo's aller Zeiten, ge= kleidet und theilweise gepußt, wie es ihre Zeit- und Lebensverhältniffe mit sich brachten, in einer schauderhaften Versammlung vereinigt. In drei- bis vierfachen Reihen über einander stehen die Männer an den Wänden, die Frauen und Kinder dagegen liegen, nur durch Glastafeln sichtbar, ebenfalls in mehrfacher Uebereinanderstellung in hölzernen Kasten näher dem Boden. Man wandelt auf Lod, man berührt und athmet ihn; wohin das Auge flieht, nichts als gräßlich verzerrte Todtenfraßen, halbzerfreffene Schädel, einfinkende Gestalten, braune, hautumzogene Knochenhände, und alles das noch hundertfach schauriger gemacht durch die bunten Kleiderlappen und Pugflitter, welche um diese stockdürren Glieder und pergamentartigen Larven in barocker Mannigfal tigkeit schlottern. Aus wurmzernagten Kapuzinerkutten grinsen schwarze Gefichter mit leeren Augen, lederähnlich umspannten Knochenwangen und über den krampfhaft verbiffenen Mund noch zaufig hinabzottelndem Barte; leere Harnische wölben sich um verfallenes Gebein, das

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