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No 108.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jágerftr. Nr. 25, und beim Spediteur Reumann, Riederwallflr. Nr.21), so wie von allen königl. Post-Aemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Sonnabend den 8. September

Literarische Kuriositäten Englands.

III.

Kuriositäten Londons.

Achthundert enggebruckte Oktavfeiten voll Londoner Kuriositäten oder „der seltenften und merkwürdigsten Gegenstände von Intereffe in der Metropolis".") Als ich vor einigen Monaten die Ankündigung dieses Buchs las, gelobte ich mir, es zu lesen und zu benußen, vorausgeseßt, daß ich es nicht zu kaufen nöthig habe. Die Guineen, die folche Bücher kosten, find mir schon allein „seltenfte Kuriositäten“ genug, da fie in meiner Kuriositäten-Sammlung nicht nur zu den koftbarsten Seltenheiten gehören, sondern auch die Eigenschaft haben, sich boskoschnell in Silber, dann in Kupfer und endlich in gar nichts zu orydiren, zugleich ein schlagender Beweis, daß Gold nicht zu den edlen Metallen gehört, da es schneller, als felbft falsche Shillinge und halbe Kronen (die man nie wieder loswird), von der Lebensluft immer sofort tödtlich angegriffen wird. Und ich bekam endlich das Buch in die Hände und las und las darin, bis ich zwölf Quadratmeilen breit und mehrere Taufend Fuß tief in lauter Londoner Kuriositäten begraben lag. Und dabei war wenig oder nichts von allen den Merkwürdigkei ten, die ich bisher für kurios gehalten, darunter: lauter versteckte, in dunkeln Neben- und Sackgäßchen der City verborgene „most remarkable curiosities", die man selbst in der Disraelischen Literatur-Kuriositäten-Compilation nicht findet.

London ist eine Welt in sich selbst, nicht nur der Gegenwart, sondern auch ein Britisches Museum im Großen. Auf seinen Straßen laufen Exemplare aller Raçen und Spielarten des Menschengeschlechtes und alle Grade und Stufen des sozialen Lebens vom finstersten Barbarismus bis zur luxuriösesten und höchsten Verfeinerung umher. Die merkwürdigsten Kuriositäten aus diesem seltsamen, dicht gedrängten Mikrokosmos zusammenzuhäufen und gleichsam achthundert Bände auf achthundert Seiten zu schreiben, war eine große Idee, die Mr. Timbs mit seinem geübten Combinations- und Compilations-Talent gut ausgeführt hat. Beim Lesen ist es uns, als drängten wir durch die wagen- und menschenerstickenden Hauptstraßen um Bank und Börse herum, um bald in diefem, bald in jenem versteckten „Court" und Nebengäßchen eine Stätte ausfindig zu machen, die einst ein guter oder großer Mensch betrat und die deshalb heilig ist.

Die meisten und interessantesten Kuriositäten reihen sich an Strand und Fleetstreet, der fieberhaftesten Hauptverkehrsader zwischen Trafal. gar-Square, wo,,Westend“ einmündet, bis zur Paulskirche, wo die Bureaus des Welthandels beginnen und sich in das fabelhafte „Ostende" verlaufen.

Versuchen wir einen Kursus durch diesen Herzbeutel Londons und fangen an der Südseite des „Strand“ mit „Northumberland-House“ am Trafalgar Square an, dem einsamen, schweigsamen, verschlossenen Fürsten unter der stolzen Industrie, die sonst alle Aristokratie Schritt für Schritt von der City her westlich vertrieben oder unterworfen hat. Es ward 1605 von Henry Howard, Earl of Northampton, gebaut und kam als Heiratsgut in die Familie der Percys von Northumberland. Hier unterhandelte General Monk 1660 mit Führern der Revolution um die Restauration Karl's II. Andere geschichtliche Merkwürdigkeiten find untergeordneter Art, und die jeßige Glorie des Palastes besteht in der überaus reichen Ausschmückung des Innern mit Decorationen und Kunstschäßen. Notorisch ist die doppelte Staatstreppe mit einer reichen Sammlung von Gemälden, Skulpturen und sonstigen kostbaren Kunstwerken, ferner der parkartige Garten dahinter auf einem Ter. rain, wo der Boden doppelt so viel Gold werth ist, als man neben

*) Curiosities of London. Exhibiting the most Rare and Remark able Objects of Interest in the Metropolis. By John Timbs, F. S. A. (Herausgeber des,,Year-book of Facts") London: David Bogue, 1855. A post-octavo volume of 800 pages, with subjects arranged in alphabetical order.

1855.

einander auf ihm aufzählen könnte, die drawing-rooms, welche mit denen der Königin wetteifern, und endlich die übliche Leere und mürrische Stille in dem ganzen Prachtbaue, während es um ihn herum allseitig unaufhörlich vom dichteften Leben tobt und toft. Vom Strand laufen eine Menge kleiner, enger Nebenstraßen nach der Themse hinunter, deren fast jede fich einer oder mehrerer berühmter historischer Erinnerungen freut. In,,Northumberland-Court" logirte Lord Nelfon, in Northumberlandstreet Ben Jonson, in Nr. 7 Cravenstreet B. Franklin als Seger (1731). In Nr. 31 Strand ward 1560 Lord Bacon geboren. Das leßte Haus der Westseite von Buckinghamstreet, jezt eine lüderliche, verrufene Straße, war (1684-1700) die Wohnung von Samuel Pepys, den Charles Dickens neulich als seinen Lieblings-Autor citirte. Gegenüber Nr. 15 wohnte Peter der Große 1698 Chambre garni. In dem mittelsten Hause der Adelphi Terrace Nr. 5 starb am 20. Januar 1779 David Garrick. Weiter hin an mehreren Straßen vorbei kommen wir in das einstige Savoyen, jest Mittelpunkt deutscher Kirchlichkeit in Savoystreet, wo der ehrwürdige, alte Dr. Steinkopf neben der tief unten sich erhebenden deutschen Kirche wohnt. Strand 142 ist,,Türkenkopfs-Kaffeehaus", das einft Dr. Johnson in Flor brachte,,,denn die Besizerin ist eine gute, höfliche Frau und hat nicht viel Geschäft.“ „Somerset-House", eine steuereinnehmende, gigantische bureaukratische Welt für sich, ift den Kuriositäten gegenüber zu bekannt, als daß wir uns hier darauf einlassen könnten. Nr. 217 Strand ist neuerdings in illustrirten Zeitungen abgebildet worden und die drei heiligen Geschäftsleute dazu, Strahan, Paul und Bates, weil sie sich den Ruhm erworben, etwa sechs Millionen Thaler anderer höchfter und vornehmer Personen, vom Premier Palmerston an, als Banquiers in Verwahrung zu nehmen und damit den „respektablesten“ Bankerott zu machen, der je vorkam. (Nachtrag des Berichterstatters zu Timbs.) Nach 405 Strand ward der berühmte Erfinder der noch heute schachtelweise verschluckten Lebenspillen,,Old Parr“ von Shropshire gebracht, weil ihn Karl I. als munteren Kerl von hundertzweiundfunfzig Jahren sehen wollte. Karl I. brachte ihm aber durch seine Huld eine Indigeftion bei, an der er starb.

Der unglückliche Günstling der Königin Elisabeth, Lord Effex, lebte in einem Palafte, aus welchem jezt Efferstreet geworden, wohin die Nachtwandlerinnen des,,Strand" ihre bezahlenden Günftlinge führen. Hier kömmt bald die Kirche „St. Clement Danes” mitten in dem unaufhörlichen Skandal des Strandes, von den Dänen erbaut, Ruhestätte des dramatischen Dichters Otway und Lieblingskirche Johnson's, deffen Stuhl noch heute steht und mit einer Inschrift versehen ist: „Hier wohnte manche Jahre lang dem Gottesdienste bei der berühmte Dr. Samuel Johnson, der Philosoph, der Dichter, der Lexikograph, der tiefe Moralift und Haupt-Autor seiner Zeit, geboren 1709, gestorben 1784." Diese Denktafel ward 1851 auf Kosten der Gemeinde angebracht. Hinter der Kirche fängt gleich die,,Heiligenquellstraße" (Holywell-street) an, aus der jezt zuweilen und immer wieder Buchhändler wegen Verkaufs der schmußigsten Bücher und Bilder vor Gericht gezogen werden, ohne daß die Straße aufhört, das große Magazin aller derartigen Literatur zu sein. Hier war einft wirklich die heilige Duelle", zu welcher die Jugend der City eilte, um hier „frische Luft“ zu schöpfen. Auf der Quelle selbst steht jezt die „Alte-Hund-Taverne“. Weiter östlich durch Templebar kommen wir vom Strand nach Fleetstreet, auf klassischeren Boden, in dickere Luft, in düsteres Gedränge. Der Strand ist ein Flickwerk verschiedener Zeiten zwischen der City und Westminster, einst offene Gegend, besternt mit einzelnen Schlöffern der Großen. Fleetstreet war von je her die wichtigste Straße der City von London und hat daher einen gleichmäßigen, antiken Charakter. Große Häuser und Firmen schultern sich einander in geschäftsmäßiger Weise, und auf einen Blick sehen wir, daß hier das eigentliche London lebte seit der Heptarchie, wenn nicht seit Cäsar. Fleetstreet war von je her die eigentliche Geschäftsgegend, besonders für die Literatur, deren Persönlichkeiten hier denn auch in Kneipen und Lavernen aus den verschiedensten Zeiten Andenken und Denkmale hinterlassen haben. Wir finden hier Kneipen, in denen man schon ein Jahrhundert vor der Entdeckung Amerika's trank wie heute, z. B. Bolt-in-Tun Inn, 1443

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gegründet. Die Tabarb-Kneipe, 75 Highstreet, Southwark, ist sogar noch viel älter. Hier sammelte Chaucer seine Pilgrime zur Reise nach Canterbury im Jahre 1383. Weiter östlich kommen wir an einen engen Eingang in Salisbury-Square. Hier schrieb Richardson seine,,Pamela" und druckte er selbst seine Romane, wobei ihn Goldsmith eine Zeitlang als Korrektor unterstüßte. Hier bekam Richardson Besuche von Hogarth, Johnson, Young u. s. w. Beinahe gegenüber auf der Nordseite von Fleetstreet haufte hauptsächlich Johnson, z. B. in BoltCourt, wo er Nr. 8 von 1776 bis zu seinem Tode 1784 lebte. In Wine-office-Court, nicht weit davon, schrieb Goldsmith feinen „,Vicar of Wakefield" und für die Zeitung: Public Ledger (1761). Auf der rechten Seite dieses Courts steht der „Cheshire-Käfe“, ein „, Chop"Speisehaus, wo man gerade noch so und so gut ist, wie Johnson und Goldsmith. Hier werden täglich in hölzernen Boxes" Hunderte von Dinners gegessen, eben so zart, eben so substantiell, wie sie Johnson rühmte. Noch täglich werden hier die Sägespäne so auf die Dielen gestreut, wie zu Goldsmith's Zeiten. Jede Neuerung und Vervollkommnung würde den Ruhm dieses Hauses stören. Die Welt mag ført schreiten, wie sie will, der „Cheshire-Käse“ verharrt in seinem Kreise. Ich selbst habe einige Male im „,Cheshire-Käse“ würde- und andachtsvoll die berühmten „,Mutton-chops" gegessen und dabei den alten Gentleman gesehen, der während der lehten vierzig Jahre alle Tage ohne Ausnahme hier zu derselben Stunde auf demselben Plaße sein „Dinner" nahm. Nur in England ist solche Affection für alte, historische Höhlen möglich. Ein paar Schritte, und Fleetstreet führt uns schnell ab in „Johnson's-Court“, wo in Nr. 7 Johnson von 1765 bis 1776 lebte. Etwas nördlich davon, in Gough-Square Nr. 17, vollendete Johnson sein unsterblichstes Werk, sein Lexikon, von 1748 bis 1758. Südlich gegenüber, in Mitre-Court, ist die berühmte „Mitre-Taverne", wo Johnson, Goldsmith, Percy, Hawksworth, Boswell u, s. w. allabendlich „kneipten“ und die Tour nach den Hebriden entwarfen. „Auf dem Wege nachhause überkam den gelehrten Dr. Johnson jedesmal ein seltsames nervöses Leiden, das er niemals anders kuriren konnte, als durch freundliches Verweilen in jeder Kneipe, die zwischen,,Mitre" und seiner Wohnung nach Osten war.“ Chamberlain Clarke, der 1831 im zweiundneunzigsten Jahre starb und Zeuge und Theilnehmer dieser nervösen Affection gewesen, war der lezte der Johnsonschen „Mitre"Kollegen. Doch diese Einzelnheiten und antiquarischen Kleinigkeiten, so interessant sie auch beiläufig sein mögen, ermüden durch ihre Masse. Wir gehen deshalb in die Verlängerung von Fleetstreet hinauf, Ludgatehill,,,durch welche voriges Jahr einmal binnen zwölf Stunden 8752 Wagen, 13,025 Pferde und 105,352 Menschen passirten“, und kriechen an der Paulskirche links ab in Paternoster-Row hinein, wo die Buchgroßhändler, die gewaltigen Verleger Englands, hausen und nie die Sonne sehen. Als solche Buchhandel-Mine müssen wir diese Straße besonders schildern, um eine Vorstellung davon zu geben. Hier lesen wir blos einige Kuriositäten aus. Paternoster-Row ist licht- und und luftlos eng, aber sehr gesund. In einem Nebenschlupfwinkel der Straße, Pannier-Alley, wo einst die Bäckerjungen mit Fahnen (panniers) Brod ausschrieen, ist ein Stein in die Mauer eingegraben, auf dem ein fliegender Brødhändler auf die Inschrift zeigt:

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When ye have sought the City round,

Yet still this is the highest ground."

Diese höchste Lage macht die Buchhändlerstraße so gesund, daß kein Buchhändler darin krank wird und selbst „Krebse" nicht gedeihen. Der Vater und König des Buchhandels ist hier die Firma Longman, Verleger der Werke Scott's, Mackintosh's, Southey's, Sydney Smith's, Moore's, Macaulay's u. f. w., über hundertfünfundzwanzig Jahr alt, 1853 mit einem Absaße von mehr als fünf Millionen Bänden. Von dem sich hier konzentrirenden Buchhändlergeschäft mit den beiden größten Kommissionären der Welt (Whittaker und Simpkin und Marshall) geben wir, wie versprochen, ein besonderes Bild.

Heizung und Ventilation.

Herr Babinet legte der französischen Akademie in einer ihrer leg ten Sigungen von Seiten des Dr. Neil Arnott in London ein neues Werk über Heizung und Ventilation vor. Folgende Notiz über dieses Werk ist vom Autor selbst:

„Der Verfasser meint, daß der Mensch zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit hauptsächlich vier Dinge nöthig hat: Luft, Temperatur, Nahrung und angemessene Bewegung, und daß die meisten akuten und schweren Krankheiten durch Fehler hinsichtlich der ersten beiden veranlaßt werden, die für weniger unterrichtete Personen gewöhnlich unsichtbar, unfühlbar und unbekannt sind. Er hat also dieses Werk in der Hoffnung abgefaßt, dadurch bessere Ideen über jene Dinge im Volke zu verbreiten, zu welchem Zweck er die Zeichnung verschiedener Heizungs- und Leitungs-Apparate beigefügt, die er

don die sogenannte Rumford-Denkmünze zuerkannt hat. Die wichtig. sten dieser Apparate sind folgende:

,,1) Ein Heerd, welcher den Brennstoff unterhalb der Flamme zugeführt bekömmt, statt, wie die gewöhnlichen, von oben, so daß aller Rauch und die von der Kohle befreiten brennbaren Gase durch die brennende Masse steigen müssen und dadurch gänzlich verbrennen. Demzufolge wird weder im Hause, noch in der Atmosphäre Rauch verbreitet, und es seht sich kein Ruß in die Kaminröhre.

,,2) Einfache Mittel, um zu verhüten, daß die verbrannte Luft oder der durchsichtige Rauch sich wie gewöhnlich vor dem Eintritt in den Rauchfang mit einer beträchtlichen Menge reiner und warmer Luft über dem Feuer mischt und dergestalt Wärme mit fortführt, die im Zimmer bleiben sollte; was also ein reiner Verlust ist. Die verbrannte, unvermischte Luft erfordert einen viel stärkeren Zug als den gebräuchlichen, und so kann man durch eine in der Mauer nahe der Decke angebrachte, mit einem Ventil versehene Deffnung nach Belieben die Luft des Zimmers rasch oder langsam verändern. Die durch das Athmen, den Geruch der Nahrungsmittel, das Brennen von Lichtern oder Lampen erwärmte und verdorbene Luft zieht zuerst hinaus. Die Ersparniß des Brennmaterials ist fast eben so bedeutend, wie beim Gebrauch von geschloffenen Oefen.

,,3) Ein Regulator für die geschlossenen Defen, der eine eben so gleichmäßige Wärme-Entwickelung bestimmt, wie der der Lampen die Entwickelung des Lichtes, und der genau den Grad der Verbrennungsthätigkeit sichert, den man erlangen will. Dieser Apparat gestattet ein Feuer, das Tag und Nacht während eines ganzen Winters brennt ohne irgend eine Nachhülfe, und braucht nicht mehr Bedienung, als eine Uhr. Man legt das Brennmaterial nur einmal in vierundzwanzig Stunden ein.")

,,4) Eine Luftleitungspumpe für große, abgeschlossene Räume, die so einfach ist, daß sie der erste beste geschickte Zimmermann bauen kann. Sie giebt die gewünschte Quantität Luft eben so genau an, wie der Gasometer das Beleuchtungsgas.

,,5) Eine einfache Vorrichtung von Röhren, die man an diese Pumpe anbringt, bewirkt, daß die verdorbene und heiße Luft, die man aus einem geschlossenen Raum entfernt, gezwungen ist, ihren Ueberfluß an Wärme der sie erseßenden einströmenden reinen Luft zu überlassen. Der Verfasser hat schon durch einen ähnlichen Apparat gezeigt, wie eine beliebige Quantität siedendes Wasser, wenn es durch eine gleiche Quantität eisigen Wassers fließt, fast zur Temperatur des Eises herabsinkt und dagegen das andere in fast kochenden Zustand verseßt.

„Diese Apparate sind dem Publikum ohne Patent- oder andere Beschränkung übergeben worden. Mehrere derselben sind seit Jahren schon in England im Gebrauch.“

Nord-Amerika.

Amerikanische Monats - Berichte. (Fortsehung.)

Die Theater haben in der legten Saison eine unglaubliche Vielseitigkeit entwickelt, da waren Dramen, Farcen, Shakespeare's Luftund Trauerspiele, Ballette, Spektakelstücke, englische, deutsche, äthiopische, italiänische Opern, Melodramen, Vaudevilles, Zauberpoffen, kurz, Alles, und im bunten Wirrwarr durch einander. Da mir nicht Raum genug bleibt, Alles zu sagen, was ich über dieses Thermometer öffentlichen Geschmacks sagen könnte, so will ich, da ich die eigentliche Volksliteratur diesmal habe abseits liegen laffen, aus Gerechtigkeitsliebe mit den Theatern, welche vornehmlich den Sammelplag der Plebejer in gesellschaftlicher Hinsicht abgeben, beginnen. Die Operas burlesque oder, wie sich die daran mitwirkenden Künstler in einem Anfluge von poetischer Laune zu nennen belieben, die Ethiopians, Serenaders øder Minstrels follen den Vorrang haben, da sie in der That eine charakteristische Erscheinung sind. Ich glaube, wenn New-York niederbrennte, auf den rauchenden Trümmern noch würden die Feuerleute aus halb verkohlten Balken eine Bude aufzimmern, um darin dem tiefgefühlten Bedürfniß nach dem Klappern der Castagnetten und dem Trampeln der Holzschuhe abzuhelfen. Allabendlich wandert die Einwohnerschaft New-Yorks, zahlreich und würdig repräsentirt von allen Klaffen der Gesellschaft, in die niedrigen, mager ausgeschmückten und schlecht beleuchteten Lokale der „Negro Minstrels" und horchen in trautem Zusammensein und gegen Ein gleiches Entreegeld den bezaubernden Tönen des Banjos und erfreuen sich an den schlechten Wigen der „Niggers". Diese „Niggers“ scheinen indeß bei ihrer Geburt von Mutter Natur sehr kärglich mit Schwärze bedacht zu sein, da ihre Bestrebungen, diesem schwer empfundenen Mangel an Teint zu begegnen,

*) Gin solcher sinnreicher Regulator befindet sich bereits seit mehreren Jahren in der englischen Bank, deren Dampfmaschinen-Heerd dadurch regulirt wird.

an ben Augenrändern und Lippen beutlich wahrzunehmen sind. Dem sei indeß, wie ihm wolle, die gefärbten Leute erfüllen ihre Aufgabe zur Veredelung des Gemüthes und Verfeinerung des Geschmackes mit undenklicher Hartnäckigkeit; jeden Abend dieselben Lieder, dieselben Wiße (?), dieselben Strampeleien, dieselben Klimpereien auf dem Banjo, dieselben Gesichtsschneidereien und Bockssprünge! In den besseren Lokalen, wo der vorn und hinten gescheitelte Mercuriusjünger mit seinem Ehegesponst in der Majorität ist gegen das Rothwollen hemd, entschlüpft mitunter dem erschlaffenden und erdrückenden Wuft der Geschmacklosigkeit eine reine Perle der Musik in Gestalt einer melancholischen Rückerinnerung an die ferne Heimat. Der PseudoNeger oder ein weiß gebliebener Neger erstaunt uns durch sein korrektes Violinspiel, dagegen werden uns auch dort Albernheiten geboten, von denen man in Europa kaum eine Idee hat. Ein Glück für die Mensch heit ist, daß Mozart, der bekanntlich als Kind beim Schall der Trompete in Krämpfe verfiel, niemals „Tilda Horn” hören mußte, er würde unwiderruflich den Konvulsionen erlegen sein. Es ist dies eine Nach ahmung des Trompetentones durch die menschliche Kehle, bei deren Anhörung man in Verlegenheit kömmt, was mehr bedauern, das beleidigte und in seltsam knurrige Stimmung und Schwingung verseßte Trommelfell, oder die arme Lunge, die solchen unterirdischen Tönen sich weihen muß. Ich beneidete das erste Mal einen musikalisch gebildeten Hund, dem die Etikette erlaubte, ob solcher Modulationen mit geStreckter Fahne das Weite zu suchen. In den an Nang niedriger ftehenden Lokalen begnügt man sich mit ausschließlicher Pflege des Komischen; schlimm nur, daß der schlüpfrige, tiefe, braungefärbte Fußboden auf die Sinne des Fremden einen tragischen Effekt äußert. Ist es zu verwundern, daß, wenn solche unverdauliche Speise den musikalischen Magen des Amerikaners verdorben und noch tagtäglich verdirbt, die zarten, schwebenden und zitternden Longebilde italiä nischer und deutscher und englischer Prima-Donnas, Barytonisten, Tenoristen gar zu homöopathische Arzneien sind und den abgeftumpf ten Gaumen nicht genug kißelu, vulgo, daß die Opernhäuser leer bleiben und bankerott werden? Nicht die Codfish-Aristokratie ist schuld am Untergange solcher Unternehmungen, wie der schreiende New-York Herald uns täglich einpauken will, sondern ganz besonders der verdorbene Geschmack des Volkes.

Von den eigentlichen Bühnen ist die des Bowerytheaters die am niedrigst stehende, obgleich der Manager derselben stets angenehmen Kaffen-Abschluß hat. Beim Eintritt ins,,größte Theater des Weltalls" bemerkt man gleich, daß vor dem Vorhang eben so viel zu lernen und zu sehen, wie hinter demselben. Am meisten fesselt das,,Pit“ oder „Parterre" den Blick, dessen Hauptpersonal Gentlemen of the Press, 3eitungsjungen sind, die sich, der entbehrlichsten Kleidungsstücke entledigt, der angelegentlichsten Unterhaltung, gewürzt mit laut aufschallendem Gelächter, Püffen und Kagbalgereien, hingeben. Diese Verbreiter" der Intelligenz find ein ganz eigenthümlicher Menschenschlag. Will man ,,Smartness" in ganzer Nacktheit bewundern, so betrachte man diese verschmitten Schlingel, denen keine Lüge frech genug, kein Betrug gemein genug, die sie nicht mit der unbefangenften Miene von der Welt begingen. Vielleicht, daß ich diese ehrbare Zunft, die in allen Schichten der Gesellschaft ihre Vertreter findet, später ausführlicher bespreche. Unter diesen schmußigen Kobolden sißen vereinzelt in stoischer Ruhe und mit wahrer Todesverachtung grimmige Seebullen, die sich nur zuweilen so weit aus ihren Betrachtungen reißen lassen, daß sie den andrängenden Menschenwogen mit einem kräftigen Ruck eine andere Richtung geben, die Vorfahren der „, Newsboys", rothwollenhemdige Feuerleute, die der Erinnerung der lost youth" noch nicht so baar find, um der freien Unterhaltung der lärmenden Nachkommen Einhalt zu thun, so lange sie selbst ungeschoren bleiben; kömmt ihnen aber so ein Kindlein wie ein Engel rein" zu nahe, so bedarf es nicht noch der besonderen Empfehlung: „Laßt es Eurer Huld empfohlen sein"; derbe Stöße und Tritte geben sofort die Huldbezeugungen ab. Da zwischen klettern von Bank zu Bank und kreischen die respektabelu Geschäftsfreunde der Zeitungsjungen, deren Altersgenossen, die die kaufmännische Carrière mit Candy (Stangenzucker) und Kautaback beginnen, und vor welchen der Tabackshändler den Vorrang genießt, da nicht nur sein Artikel von der voraustrebenden Jugend gesuchter, sondern weil der von seinen achtbaren Kunden mitunter beanspruchte Kredit fich bis zu sechs Cents versteigt. In den Logen und Family Circle ist schon gewähltere Gesellschaft, ihren ganzen Werth erkennende Porters und behäbige Car- oder Fuhrleute, die am Lage mit ihrem leichten Gefähr den Pflastersteinen Funken entlockten, sigen im Studium der Zeitung vertieft oder an der Seite ihrer besseren Hälften, deren Mutterliebe so unbegränzt ist, daß sie dem verlangenden,,Baby" auch auf jenem hohen Standpunkt die Erfüllung der zartesten Mutterpflicht nicht verweigern, in tiefes, tiefes Nachdenken versunken. Ein blasirter Löwe der Bowery giebt seine Verachtung für die ihn umgebende Mitwelt durch Hängen der mit zerrissenen Glanzlederstiefelchen bekleideten Beine über die Brüstung der Loge zu erkennen, wird aber sogleich der

Gegenstand konzentrirter Aufmerksamkeit der unter ihm versammelten Gentlemen of the press, die solchen Schimpf nicht erdulden mögen und mit ungeftümen Reden, resp. tumultuarischem Geschrei, nicht eher nachlaffen, bis die Aufseher des Theaters mit Hülfe von Riethstöcken ihnen Stillschweigen auferlegt und dem aus der Mode gekommenen Modehelden mit demselben Beweismittel die Unzulässigkeit der Behauptung des Geländers durch Beine plausibel gemacht haben. Alles dies geht unter dem Nollen der Augen und dem Fletschen der Zähne im „Paradiese“ vor sich; hier wie in allen anderen Theatern der hochgebildeten Stadt New-York werden,,Farbige Leute nur zur Galerie zugelassen", wo die Farbigen zu Allem, was sie sehen, ein füßes Lächeln bis hinter die Ohren haben. Da ertönt die Schelle, Alles wendet sich dem Vorhang zu, in der Eil bleibt eine Ohrfeige oder sonstige erlittene Unbill unvergolten, die Zeitungen sinken, die Hüte und Müßen werden gezogen, und sollte hier und da eine Kopfbedeckung dem widerspenstigen Haupte zu fest ankleben, so helfen die Aufseher mit einem ernst meinenden,,Caps off" und einer zierlichen Stockbewegung nach. Diese klopfenden Geister stellen sich nun, nachdem die Reihen ziemlich in Ordnung, nahe der Bühne auf, der sie durch Nichtbeachtung so wenig Achtung beweisen, wie dem Publikum durch Beachtung. Der Vorhang rollt auf, das Summen der Stimmen wird durch einige Schläge der klopfenden Geister auf die Bretterwand gedämpft, und das erste der auf heute Abend angekündigten fünf Mord-, Todtschlagund Geisterstücke beginnt. Von der Aufführung und den Stücken felbft will ich nur bemerken, daß die Frage, was am schlechtesten sei, das Stück, die Schauspieler oder die Scenerie, ernsthafte Verlegenheiten bereiten muß; daß indeß der Direktor den Anforderungen seines Publikums nicht entspreche, wage ich nicht zu behaupten. Wie jedes Publikum, so hat auch unser Pit seine Lieblinge; ein junger Artist mit kreideweißem Gesicht und einer pechschwarzen, bis zur Nase herabhängenden Pferdehaor-Perrücke und sehr frappanten Stellungen feffelte in der legten Zeit Young-America, bat fich troß des durch Tabackkauen bereiteten und sehr fatalen Hindernisses nicht abhalten läßt, seiner dankbaren Anerkennung für den gebotenen hohen Kunstgenuß durch wildes Geschrei Ausdruck zu geben. Lächerlich ist die Sitte, daß, bricht ob einer verzweifelten Stellung, eines vernichtenden Blickes, einer furchtbaren und zermalmenden Geberde, eines bitteren Geschluchzes 2c. ein lautes Beifallsgeschrei aus (bei anderen Gelegenheiten vernahm ich keinen ermunternden Zuruf), der oder die Bejubelte die Stellung ze. bis zur Legung des Sturmes beibehalten. Es entstehen dadurch die komischsten Scenen. Hat man nun bis Nachts ein Uhr den Schicksalen und Schickfälchen von fünf Helden und eben so viel Heldinnen seine ganze Theilrahme gewidmet, sich gefreut, daß das erste Stück so glücklich endete, bedauert, daß das zweite nichts Besseres vom Schicksal zu sagen wußte, sich entsegt vor dem wahrhaft tragischen Ausgang des dritten, wieder erholt durch die wunderbare Gunst des Zufalls beim vierten, im fünften sich höchlich gewundert über die unglaubliche Macht überirdischer Wesen, über die schlechte Maschinerie, und daß das bengalische Feuer so rasch abbrennt, so fühlt man sich so zerhauen wie eine Cotelette und gedenkt mit Schrecken der dünnblütigen Nachbarn, die doch derselben Spannung und Folter unterworfen waren. Aber, o Wunder über die restlesness der Amerikaner und Newsboys, wie ein Phönir sich mit neuer Kraft aus seiner Asche erhebt, so entsteigt der unverwüstliche Newsboy der ihm aufgedrungenen Stille mit wilderem Geschrei und eilt mit seinen Standesgenossen der entlegenen Zeitungs-Office zu, um nach zwei oder drei Stunden Schlaf oder ungestörter Unterhaltung in den Straßen rechtzeitig feinen „Stock" für den kommenden Tag aus den Händen der Angestellten zu entnehmen und nöthigenfalls von denselben Darreichungsmitteln tüchtige Ohrfeigen zu empfangen. Das andere ehrenwerthe Publikum verliert sich in die unzähligen Kneipen des,,Satans" oder wird vom ehrsamen Ehegemahl zur entfernten Wohnstätte eskortirt, denn länger darf doch nun das liebe Baby nicht der ,,Patent-Wiege" entzogen werden.

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Besser schon ist es um das National-Theater bestellt. Diese Bühne zeichnete sich in den lezten Jahren durch, ich weiß nicht, wie viele Hundert Mal wiederholte Darstellung von „Uncle Tom's Cabin" aus. Es geht Einem aber mit diesem Bühnenstück so wie mit manchem Geschichtewerk deutscher Profefforen; man muß die Geschichte" kennen, um es zu verstehen. Das fromme Werk der frommen Frau BeecherStowe ist so gewaltig beschnitten auf der einen Seite und auf der anderen mit so vielen Wigeleien wieder ausgebaut, daß Tante Harriet ein bitterböses Gesicht zu dieser Verkleidung ihres lieben Kindes, dem sie ja bekanntlich noch ein besiegeltes und beschworenes Berechtigungs-Attest zu seinem Dasein nachschickte, machen würde. Um übrigens den schlimmen Vorwurf des Abolitionismus möglichst fern zu halten, hat die Theater-Direction der verunglückten Erziehung des Negermädchens durch die methodistische Ophelia eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Wenngleich das Publikum schon gewählter ist und in den Logen sich schon Salesmen, auf gut Deutsch Ladenschwengel, zwischen gefteiften, geraden und umgekippten Vatermördern

und mit ihren Herzallerliebsten zeigen, so mag folgender Vorfall, der, wenn möglich, bei jeder Vorstellung wiederkehrt, Zeugniß ablegen von der Gemüthsrichtung der diesen Musentempel Besuchenden. Die kleine Evangeline liegt in den leßten Zügen, die ganze Scene trägt einen feierlich ernsten Charakter, da erfüllt mit einem Male ein fürchterliches Gelächter und Bravogeschrei das ganze Haus, denn vor dem Sterbebett, am Boden gekauert, giebt sich erwähntes Negermädchen den tollften Ausbrüchen des Schmerzes hin und zeigt dabei mehr als gebührlich die Beine. Ich meine, in diesem Falle entschuldigte die Geschmacklosig. keit des Publikums die Erbärmlichkeit der Direction nicht. Sonst zeich net sich diese Bühne noch durch ihre Anhänglichkeit an die deutsche Märchenwelt aus, indem sie ihre Gönner durch fürchterlich anzuschauende pappdeckelne Lindwürmer, redende Pferde, geftiefelte Kater und ungeheure Nasen, aber nicht bureaukratische, erquickt. Der Krug Fortu nat's mit seinen erschrecklich essenden, laufenden, blasenden und anderen erschrecklichen Dienern, so wie auch andere Erschrecklichkeiten, sind nicht vergessen. Man sieht es dem Ganzen an, es ist nur auf Kurzweil eingerichtet, den eigentlichen Zweck der Bühne, Veredelung des Geschmackes und des Gemüthes schiebt man wegen unvorhergesehener Hinderniffe" bis auf Weiteres hinaus.

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Die anderen Theater, Broadway, Burton's, Metropolitan, Wallack's, Niblo's Gardens und die „Academy of Music" gehören mehr der fashionablen Welt an und sind selbstverständlich in der Wahl ihrer Stücke, wie in der Ausführung respektabler, wenn auch amerikanisch; um indeß diesen Monatsbericht nicht gar zu weit auszudehnen, behalte ich mir eine Besprechung derselben noch vor. (Schluß folgt.)

Kalifornien.

Noch Etwas über die in San Francisco erscheinende
chinesisch-englische Zeitung.*)

Nach der uns vorliegenden Nummer dieser Zeitung (vom 11. Januar 1855) zu urtheilen, sind der chinesische und der englische Theil ganz unabhängig von einander; denn keine Mittheilung des einen wie derholt sich im anderen. Diese Unabhängigkeit gilt sogar mit Bezie hung auf die „Eingesandts“ (von Seiten europäischer Kaufleute). Auch giebt der Styl der in chinesischer Sprache verfaßten Artikel sie als echt chinesische Erzeugnisse zu erkennen. Es versteht sich, daß hier alle vorkommenden englischen oder spanischen Namen und Wörter in die ideographische Schrift des Mittelreichs umgeschrieben find; außerdem erleiden sie zum Theil so arge Verstümmelungen, daß nur der Zusam menhang errathen läßt, was für Orte oder Personen die Berichterstatter meinen. Bei solcher phonetischen Umschreibung liegt übrigens im mer der Dialekt von Canton zum Grunde, weil die meisten chinefischen Ansiedler in Kalifornien aus jener Provinz gekommen find und noch kommen. Unter den sehr wenigen politischen Artikeln der vorliegenden Nummer befindet sich nachstehender:

,,Ehe noch der Krieg der Oloß (Russen) wider das Reich Tekki (Türkei) zu Ende war, kamen Ingkili (Engländer) und Falansi (Franzosen) mit vereinter Macht den Tekki zu Hülfe und griffen die Oloß an. Am fünften Tage des eilften Monats vergangenen Jahres erfolgte eine Schlacht, in welcher die Oloß gezwungen wurden, sich in eine Festung zurückzuziehen, die sie seitdem standhaft behaupteten. Nach französischen Zeitungen war das Heer der Oloß 40,000, nach englischen aber 75,000 Mann stark gewesen und hatte an Todten und Verwundeten überhaupt 15,000 Mann eingebüßt. Obgleich nun die Oloß nach ihrer Niederlage in einer Festung Zuflucht gesucht, so kann man doch nicht behaupten, daß sie vollständig besiegt seien; denn im Kriege wechseln immer Siege mit Niederlagen. Was die Zukunft bringen wird, das läßt sich nicht vorher berechnen."

Ein anderer Artikel meldet den Tod und die feierliche Bestattung des Königs Kamehameha III. von Owaihi, nebst der Thronbestei gung seines Sohnes, von welchem gesagt wird, daß er England und das Reich der blumigen Fahne (d. i. die Vereinigten Staaten) besucht und Verfaffung, Sitten und Charakter dieser Länder studirt habe. Ein dritter Artikel verzeichnet den offiziellen Belauf des Dollar-Werthes aller Aus- und Einfuhr-Waaren der Vereinigten Staaten vom sechsten Monat 1853 bis zum sechsten Monat 1854, ingleichen aller in dieser Periode eingegangenen Zölle. In einem vierten und fünften Artikel find obrigkeitliche Vorschläge mitgetheilt, von denen einer zur Deckung des finanziellen Defizits Verringerung der Gehalte empfiehlt, der andere den motivirten Wunsch ausspricht, daß man keine chinesischen Einwanderer mehr in Kalifornien zulaffen möge. Sch...

*) Vgl. Nr. 37 des „Magazin".

Mannigfaltiges.

Stoff, Unglaube und Moral. An dem Kampfe gegen die absolute Naturgläubigkeit, gegen die Anbetung des Stoffes und der demselben inhärirenden Kraft nehmen auch die unter Karl Gußkow's Leitung immer mehr zu wahrhaften Household-Words (Worte für das Haus) sich gestaltenden Unterhaltungen am häuslichen Heerb" tapferen Antheil. In ihrer Nr. 47 bringen sie zuerst einen Artikel von Dr. August Weber über die zwiefache Natur des Menschen“ und demnächst eine Abfertigung der Schrift des Tübingischen Privatdozenten, Dr. Louis Büchner: „Kraft und Stoff" (Frankfurt a. M., 1855). Ganz vortrefflich sagt Dr. Weber: „Es giebt kein thörichteres Beginnen, als das Höhere aus dem Niederen, das Unendliche aus dem Endlichen herleiten zu wollen. Unser Bewußtsein mit seiner wunderbaren Phänomenologie läßt sich weder auf einen chemischen, noch auf einen mechanischen Prozeß zurückführen. Es ist ein Urphänomen des Geiftigen, wie die Crystallisation, die Organisation Urphänomene des Phyfischen sind. Als solches haben wir es von der Erfahrung hinzunehmen und denkend zu verarbeiten, nicht aber das Unmögliche zu versuchen, indem wir das Unendliche aus endlichen Elementen konftruiren. Bewußtsein und die innere Einheit, welche daffelbe in der Mannigfaltigkeit und Heterogenëität seines Inhalts behauptet, laffen sich nicht durch mechanische oder chemische Zusammenseßung machen; sie werden überhaupt nicht gemacht, sondern sind Das, was sie sind, von Haus aus und ursprünglich, und haben daher daffelbe Recht, mindestens auf unsere Anerkennung ihrer ursprünglichen Wesenheit, wie die leßten Elemente der Materie, die wir auch nicht zu machen vermögen.“

Dr. Louis Büchner wandelt auf den ausgetretenen Pfaden des ehemaligen Heidelberger Privatdozenten, Dr. Jakob Moleschott, indem auch er den Begriff einer besonderen Lebenskraft aus der Wissenschaft verbannt und es für erwiesen ausgiebt, daß das Leben nichts weiter fei, als das Produkt eines Zusammenwirkens der anorganischen Kräfte. Alle nicht blos physische, sondern auch moralische und intellektuelle Erscheinungen sind ihm nichts, als Ergebnisse verschiedener Stoffcombination, Stoffmetamorphose und Stoffwechsel. Natürlich kann dabei von keinen angeborenen Ideen und sittlichen Begriffen die Rede sein.` „Es ist“, sagt Herr Dr. Büchner, „für den Einzelnen durchaus nicht schwer, sich auf einen Punkt geistiger Betrachtung zu erheben, von welchem aus ihm überhaupt alle moralischen Begriffe als nicht bindend und unterschiedslos erscheinen, und dies beweist deutlich genug (?) für die Wahrheit, daß diese Begriffe unserem geistigen Wesen keinesweges immanent oder angeboren find. Von diesem Punkte aus kann es dem Einzelnen ganz gleichgültig für sich selbst oder sein Gewiffen sein, wie er handelt, vorausgeseßt, daß er die Konflikte mit der menschlichen Gesellschaft und ihren Geseßen vermeidet." Das ist allerdings, wie die „Unterhaltungen“ mit Recht bemerken, eine der „Bierbank“, nicht aber eine des Katheders würdige Auffaffung der Sittlichkeit.

,,Diesen Herren vom Tiegel muß beigebracht werden, daß bloße Chemie wohl zum Apotheker, aber nicht zum Philosophen befähigt.“

Wir wiederholen bei dieser Gelegenheit, was wir bereits früher einmal in diesen Blättern gesagt, daß die unphilosophische Naturforschung unserer Zeit durch ihre Urtheile über ein ihr fremdes Gebiet sehr lebhaft an die sogenannte Naturphilosophie zu Anfang dieses Jahrhunderts erinnert. Ganz so, wie Schelling ins Blaue hinein schoß und sein Ziel verfehlte, als er vom Gebiete des Geistes aus die Natur des Stoffes konstruiren wollte, haben auch die Herren Vogt und Konsorten sich blamirt, als sie vom Gebiete der Materie aus über metaphysische Fragen entscheiden wollten und unter ihren Retorten und Mikroskopen neben den Elementen des Stoffes auch die des Geistes fuchten. Ist es wohl ein Wunder, daß sie da Nichts gefunden haben? und kann es wohl eine lächerlichere Behauptung, als die, geben, daß, weil da Nichts vom Geiste, oder von der Seele, zu finden war, der Geist oder die Seele an sich gar nicht vorhanden sei?

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وو

Der Komponist von „Rule Britannia". Der Londoner Critic macht bei Gelegenheit der auch von uns kürzlich besprochenen Frage über den Komponisten von „, God save the King" darauf aufmerksam, daß zwar nicht die Melodie dieses Volksliedes, wohl aber die des „Rule Britannia” von Händel herrühre. Der angebliche Komponist des lezteren, Dr. Arne, hatte das Lied ursprünglich in Thomson's Schauspiel „Alfred" eingelegt, und zwar nach der von Händel zu der Arie,,Vostro sguardo" in der Oper Giustino" komponirten Musik. Die stolzen Worte,,Britannia rule the waves" werden also nach der Weise eines beleidigten italiänischen Liebhabers gesungen.

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 109.

für die

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Literatur des Auslandes.

Rußland.

Die Weisheit des Orients.

Berlin, Dienstag den 11. September

Schon einmal bei Gelegenheit einer Besprechung der „Solotyja Poslowizy" oder „,,goldenen Sprüche Fit Arari's, des Habessiniers" ist in diesen Blättern) von dem Unterzeichneten darauf hingewiesen worden, wie groß der Reichthum sei, den einige Klöster im Herzen Rußlands, und vor allen das bei dem Flecken Sergijewskoi Posad, achtundsechzig Werst von der alten Metropole des russischen Reiches belegene Troiskoi Monastyr oder Kloster zur heiligen Dreieinigkeit, an handschriftlichen Schäßen in sich bergen.

Die vorerwähnten „Solotyja Poslowizy”, von welchen der Verfasser dieser Zeilen einige Centurien zur Kenntniß der Leser des,,Magazin" brachte, waren ebenfalls einer der zahlreichen Handschriften jenes im Ansehen einer besonderen Heiligkeit stehenden Klosters entnommen, und es ward daselbst hervorgehoben, daß Fit Arari's Sprüche nur einen sehr geringfügigen Theil einer weit beträchtlicheren, mehr als zwanzig Bände umfassenden Sammlung bildeten, die unter dem Titel „, Gnomologitscheskija Knigi" („gnomologische Bücher") Aushebungen aus vielen orientalischen, namentlich türkischen, tatarischen, bucharischen, mongolischen, grusinischen, armenischen, persischen, sanskritanischen, chinesisch-japanischen, malaiischen, arabischen und habessinischen Werken enthält, die hier durch die Bemühungen des vormaligen Metropoliten von Moskau und Archimandriten dieses Klosters, des ehrwürdigen Platon, zusammengetragen und mittelst einer sehr fließen, den Version zum Gemeingute der russischen Nation oder vielmehr derer gemacht worden sind, welche jene Andachtsstätte bewohnen und besuchen — eine Zahl, die sich nach Hunderttausenden für das einzelne Jahr berechnen läßt.

Platon, deffen Familienname Lewschin war, hatte eine ganz besondere Vorliebe für die Sentenzenpoefie,°°) und sie eben war die nächste Veranlassung zu seinen großartigen gnomologischen Sammlun gen, zu deren Veranstaltung und gründlichen Ausführung die hohe Stellung, die er bekleidete, so wie die reiche Dotation des Klosters, dem er vorstand, und endlich seine vertraute Bekanntschaft mit den vorzüglichsten Gelehrten des Reichs ihm günftige Gelegenheit und ausreichende Mittel darboten.

Ein großer Theil jener „Gnomologitscheskija Knigi” mag die Herbeischaffung und Umwandlung ins Russische der unmittelbaren Bemühung Platon's verdanken, der nicht blos ein geschickter Kompilator, fondern auch ein ganz vortrefflicher Linguist war und der mehrere der orientalischen wie der occidentalischen Sprachen zum Gegenstand eines anhaltenden Studiums gemacht hatte. Es spricht sich sein universeller, der Kunst wie der Wissenschaft gleich feurig zugewandter, die Gebiete der Poesie wie der Profa mit derselben Wärme umfassender, der antiken Weisheit wie der der Jeßtzeit mit gleicher Inbrunst huldigender, über haupt für alles Große, Edle und Aesthetische wahrhaft erglühender Geist auch besonders in der Wahl aus, die ihn stets das Werthvollste aus den Gesammt-Literaturen herausgreifen ließ, welche er vor das Forum seiner Betrachtung zog.

So erscheint in seinen aus persischen Schriftstellern gezogenen Dichtungen und Sentenzen das Vortrefflichste und Bedeutsamste, was Dschelaleddin Rumi, Feridoddin Attar und Omar Chiam aus Nischabur, Jlahi, Sajib, Mewlana Dschami, Abul Hassan Rudegi, Ammar, Abulfaradsch aus Sistan, Dakiki, Farruchi, Firdussi aus Tus, Katran Emir Ben Mansur, Ewhadeddin Enweri, Nisami aus Gendsch, Senaj, Esfireddin Achestegi, Medschireddin Bilkani, Sahireddin Farjabi, Dsche

*) Vgl. Nr. 5-7 des ,,Magazin" vom laufenden Jahre.

**) In allen Werken Platon's, besonders aber in den zwanzig Bänden seiner Predigten“, welche viele Auflagen erlebt haben, spricht sich ein eigenthümlich bilder- und blumenreicher, mit Gnomen bunt durchwebter, man möchte sagen, orientalisch-sentenziöser Typus aus, der dem Autor durch seine stete Beschäftigung mit den didaktisch-gnomischen Schriftstellern des Orients wir wissen nicht, eb bewußt oder unfreiwillig - - zum Eigenthum und gleichsam zur anderen Natur geworden war.

1855.

maleddin Mohammed Abdorrisak aus Isfahan, Rokneddin Kobaji, Saadi aus Schiras, Emir Chosru aus Dehli, Emir Mahmud Ben Jemin Ferjumendi, Schemseddin Mohammed Hafis, Kiatibi, Scherefeddin Ali von Jesd, Hatifi aus Dscham, Mewlana Binaji, Hilali aus Astrabad, Mawlana Sail aus Demawend, Mirsa Taher oder Wahid, Mirsa Kassim aus Chorassan, Kemal Jbn Gajak, Molla Wahschi, Mewlana Nisam aus Astrabad, Feist und andere Koryphäen der älteren und neueren persischen Literatur gedacht und gedichtet haben.

So ist in jenen aus arabischen Werken von ihm gezogenen Sprüchen das Herrlichste gegeben, was der große Lokman, der schwungreiche Motenebbi, der geiftvoll wißige Hariri, der feurige Ali Ebn Abi Talebi und Andere mehr aus ihrem Genius schufen und was Meidani, Abu Obeid Alkaffem ben Salem, Albifeda, Zamachsjari, Abu Ismael Tograi, Timsalol Emsal, Almophaddel, der fezzanische Maur Dombai und verschiedene Andere mit interpretativem und zum Theil reproduzirendem Talent sammelten, fichteten, nachdichteten und erklärten.

Meist find die Namen der Schriftsteller und Schriftstücke getreu lich vermerkt, aus denen jener gigantische Thurmbau erwuchs, den Platon zur Ehre der ruffischen Literatur unternahm und der ihn ewig unvergeßlich machen wird im Herzen seines Volkes, ja, der geeignet sein dürfte, ihm einen europäischen Ruf zu begründen, wenigstens auf dem Gebiete des vielleicht noch allzu wenig angebauten Literaturzweiges der Didaktik, über die er als Zar mit blißendem Geiste herrschte, ähnlich jenem Hellenen, der über die Gebiete der Philosophie sein goldenes Scepter schwang.

Nicht immer aber mag es selbst einem Platon gelungen sein, den Namen und die Geburtsstätte jener Schriftsteller aufzuspüren, deren Werke und Worte er vielleicht schon durch die Hand anderer geschickter Sammler gesondert, gesichtet und in Kränze gebunden vorfand. Dahin rechnen wir auch eine sehr umfangreiche Sammlung arabischer Sentenzen, Marimen, Parabeln, Parömien, Aphorismen und anderer Arten von Gnomen, die unter der Aufschrift,,Mudrost' wostotschnaja", d. i. "Weisheit des Orients", durch Platon in einem besonderen Bande (dem eilften) seiner gnomischen Bücher niedergelegt ward und auf deren Titelblatt fich kein Verfasser angemerkt findet. Sowohl dieser Umstand, als die gewählte allgemeine Aufschrift: „Mudrost' wostotschnaja" selbst, sprechen dafür, daß wir es hier nicht mit der Dichtung eines einzelnen oder weniger vereinzelten, sondern daß wir es mit einem großen Sammelwerke vieler Autoren, vielleicht mit dem Gemeingute verschiedener Nationen zu thun haben. Denn wenn wir auch oben von „arabischen“ Gnomen sprachen, so wiffen wir ja aus der Geschichte des Chalifats, wie viele Völker im Laufe der Zeit der Lehre Muhammed's und dem Befehle seiner Nachfolger dienstbar wur den und nach wie vielen Regionen hin fich arabische Sprache und arabische Literatur machtvoll ausbreiteten. Die Sprüche aus der Weisheit des Drients" können demnach auf persischem, arabischem, ägyptischem, fezzanischem, marokkanischem und anderem Boden gesammelt oder entstanden sein, und sicher ist, daß ein sehr großer Theil dersel ben in einer Region erwuchs, die jener nicht fern liegt, wo Fit Arari, der Habessinier, seine goldenen Sprüche dichtete oder zusammenlas. Der Inhalt der oben gedachten, unter dem Namen „Weisheit des Orients" zusammengereihten Sentenzenlese spricht nämlich ganz entschieden dafür, daß besonders Aegypten, und theilweise auch Nubien, als das Vaterland derselben zu betrachten sei. Und so bilden sie ge wissermaßen einen Uebergang zu den habessinischen Sprüchen oder, wenn man will, einen Anhang und eine Fortseßung derselben und scheinen insofern einer nicht minderen Beachtung werth, als jene. Dazu kömmt, daß die „Sprüche der Weisheit“ noch in einer weit umfaffenderen und sorgfältigeren Ansammlung vorliegen, als jene „,,Solotyja Poslowizy" Fit Arari's, dessen Lese wenigstens im russischen Manuskript sich im Ganzen als etwas oberflächlich angelegt und, was die zweite Hälfte betrifft, als sehr fragmentarisch herausstellte. Denn, während die ersten fünf Centurien, wie wir a. a. D. zeigten, unserer Ansicht vollständig vorlagen, erwiesen die sechste und siebente einen Defekt von je 27, die achte einen Defekt von 4, die neunte von 21 und die zehnte

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