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perbeschaffenheit der Skythen, die hierher gehörenden Bemerkungen des Hippokrates mit vielem Scharfsinne und sehr glücklicher Anführung überraschender Parallelen (aus der physischen Eigenthümlich. keit des heutigen Mongolen) erläuternd. Wenn der berühmte grie chische Arzt an dem betreffenden Orte Mehreres vermissen läßt, was die mongolische Rage wesentlich charakterisirt, so muß man einerseits festhalten, daß er nicht die Absicht hatte, eine Charakteristik der Menschen-Raçen zu liefern er wollte nur die Einwirkung des Klimas auf den Körper darthun andererseits, daß die damaligen Skythen schwerlich so ganz unvermischt waren, um sämmtliche Besonderheiten der Rage aufzuweisen.")

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Im weiteren Verlaufe dieser merkwürdigen Untersuchung antwortet der Verfasser auf den Einwand, daß die sogenannten mongolischen Züge nicht bei den Mongolen allein, sondern auch bei den Tungusen und selbst bei türkischen und finnischen Stämmen vorkommen. Er leitet diesen Umstand (wenigstens mit Bezug auf die Türken) aus der großen Verbreitung der Mongolenherrschaft seit dem dreizehnten Jahr. hundert, behauptet jedoch, die Türken hätten, der überwiegenden Mehrheit nach, einen von den Mongolen sehr abweichenden Typus; wo das nicht sei, da müffe er als Ergebniß der großen Völkermischung im Mittelalter betrachtet werden. Es hat aber in neuester Zeit immer mehr sich herausgestellt, daß alle türkisch redenden Stämme Afiens (ein Theil der kleinasiatischen und der sogenannten Tataren in Rußland ausgenommen) keinen kaukasischen, sondern den gemilderten mongolischen Typus aufweisen, und unmöglich kann dies überall Ergebniß einer Vermischung mit Mongolen fein, da z. B. felbft die rein türki schen Jakuten an der Lena, deren uralte Size weit außerhalb des Bereichs der mongolischen Weltstürme lagen, den Mongolen sehr ähnlich sind. Auch muß erinnert werden, daß Sprachen, die einmal zu Gliedern eines bestimmten Sprachgeschlechtes sich ausgeprägt haben, zwar mancher Veränderung, aber niemals einer wesentlichen Umgestaltung unterworfen find; ein altaisches Idiom kann sich z. B. mit arischen Idiomen stark vermischen; feine Grammatik kann verküm mern; es kann vollständig aus dem Leben verschwinden, aber so lange es lebende Sprache bleibt, verharrt es in den Gränzen feines Geschlechtes. Daher darf man dreift aussprechen, daß die türkische Sprache eben so wenig als die mongolische jemals aus einer arischen (indogermanischen) entstanden ist.

Bei der Frage über die Raçe, zu welcher das Volk der Türken ursprünglich gehörte, ist gewiß auch folgender Umstand beachtenswerth. Schon sehr lange vor Tschinggis-Chan's Zeitalter laffen chinesische Historiker das Gebiet der hochnasigen und großäugigen (d. h. arischen) Völker bald westlich vom Uigurenlande, bald erst westlich von Chotan anfangen, im leßteren Falle ausdrücklich bemerkend, daß die Bewohner dieses Landes noch sehr den Chinesen glichen, das heißt also: die Kennzeichen der mongolischen Naçe trügen. Die Folgerung ergiebt sich von selbst.**) Bulge

Montpereur's Hypothese, nach welcher die Irrfahrten des Odyffeus hauptsächlich den Pontus zum Schauplage gehabt, unterschreiben möchte. Die jonischen Griechen wurden gewiß von ihren seekundigen Nachbarn, den Kariern, frühzeitig auf jenes Binnenmeer aufmerksam gemacht, und so müssen wir annehmen, daß fie, denen Seefahrten überhaupt keine Scheu einflößten, vereinigt mit jenen verwegenen Piraten und als natürliche Erben derselben, frühzeitig den Pontus beschifft haben. Chronologische Angaben über die Gründung von Kolonieen wurden aber nur dann verzeichnet, wenn irgend ein bemerkenswerthes Ereignis den Anlaß zur Auswanderung bot, oder wenn diese in größeren Massen erfolgte und der Ansiedlung sofort eine gewisse Bedeutung verlieh. Vor allen Ansiedlungsversuchen lag jedoch offenbar eine längere Periode des bloßen Handels. Was man von der Ungaftlichkeit des Schwarzen Meeres gesagt, das bezieht sich nur auf die Zeit der NachtgleichenStürme; und sein ursprünglicher Beiname ä§evos (der übrigens schon früh ins Gegentheil, in ev§ewos, überging) beruht wahrscheinlich auf Entstellung des semitischen Wortes Aschtenas. Die ältesten unter nehmenden Befahrer dieses Meeres mochten übrigens den bösen Ruf, in welchen es durch jenes Epithet gekommen, zu ihrem Vortheil ausbeuten. Der Verfaffer ladet nun seinen Leser zu einer Umschiffung der nordpontischen Gestade: Städte, Faktoreien und Ankerpläge der alten Hellenen, wie sie zur Zeit der Blüthe des Kolonieenwesens bewohnt und besucht waren, öder Strand und romantisches Gebirgsufer werden an feinem Blicke vorübereilen." ... Diese Periegese, lehrreich in vieler Beziehung, verträgt keine Auszüge. Wir bemerken nur noch, daß zwei saubere Karten beigefügt sind: eine der Herakleotischen Halbinsel (des Chersonesos), nach Clarke und Dubois, und eine Generalkarte der griechischen Kolonieen am Nordgeftade, entworfen und gezeichnet vom Verfasser, dem es auch gelungen ist, falsche Annahmen, die geographische Lage gewiffer Punkte betreffend, zu berichtigen. Mit besonderem Interesse wird der Lefer an der Hand eines Führers, wie Herr Neumann, in solchen Gegenden Tauriens verweilen, denen gegenwärtig Europa voll Spannung seine Blicke zuwendet. SH...

Nord-Amerika.

Washington und die Gründung der Vereinigten Staaten.

(Schluß.)

Endlich ging aus allen diefen Debatten die Verfaffung der Union hervor, wie sie noch heutzutage befteht. Washington konnte mit der ihm eigenen Bescheidenheit im Urtheil sagen: „Ich wünschte sie vollkommener; glaube aber aufrichtig, daß sie die beste ist, die man heute erlangen könnte." Franklin rief mit der reizenden Wendung, die er feinen Gedanken zu geben wußte, indem er auf ein schlechtes Gemälde

Mit diesem Allem sei übrigens keinesweges gesagt, die Skythen im Saale, das einen Sonnen-Effekt darstellt, mit dem Finger zeigte:

des Alterthums dürften wohl eben so gut Türken oder jeder andere altaische Stamm gewesen sein. Die Ueberrefte ihrer Sprache machen es im Vereine mit dem, was von ihren Sitten berichtet wird, immer viel rathsamer, daß man sie als Mongolen oder wenigstens als ein den heutigen Mongolen näher verwandtes Volk betrachte. - Im etymologischen Theile seiner Untersuchungen, wobei ihm selbständig erworbene Kenntniß des Mongolischen sehr zu Statten kömmt, verfährt der Verfaffer mit derselben Vorsicht und Umsicht, wie überall; keine seiner Combinationen ist geschraubt oder abenteuerlich; die meisten haben den Charakter der Verläßlichkeit.""") Es folgt Etwas über „Umfang und Bevölkerung des Skythenlandes“, mit Berücksichtigung der unterjochten Stämme, der Sklaven u. s. w. Die an diesen sich reihenden Abschnitte über Leichenbegängniß der Fürsten, Grabhügel, Religion, Sitten und Lebensweise wird man mit großer Befriedigung lesen, da dem Verfaffer überall treffliche Parallelen, besonders aus den die Mongolen in Oft und Weft betreffenden Nachrichten, zu Gebote stehen. In einem Rückblicke zeigt Herr Neumann noch einmal, wie die Natur des Landes und der Charakter seiner Bewohner die beiden Hauptelemente bildeten, welche auf die griechische Kolonisirung einen beftimmenden Einfluß ausübten.

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Drittes Buch: die hellenischen Pflanzstädte. Als Einleitung dient ein höchft lesenswerther Artikel, Aeltefte Fahrten auf dem Pontos Eurinos". Schon aus Homer ergiebt sich die sehr frühe Bekanntschaft der Griechen mit diesem Meere, wenn man auch nicht Dubois de

*) Hartnäckige Vererbung der mongolischen Raçen-Merkmale zeigt sich nur da, wo Vater und Mutter nicht frei von mongolischem Blute find; if das Eine von Beiden rein faukasisch, so erhält der leztere Typus bald die Oberhand. **) Hoan-jü-ki, B. 181. Ma-tuan-lin, B. 336 und 337.

***) S. 195, Anm. 1 (3. 3) lese man vuorin-maan-sepät. Ebbs. (3.5) ist der Name Perm oder Biarmien auszuftreichen, indem dieser mit dem Namen der Arimaspen nichts zu thun hat; es ist das finnische päärmä (Rand, Gränze) und gleichbedeutend mit syrjä (woher die Syrjänen).

Verlaufe dieser Session, mitten in dem Hin- und Herwogen zwischen Furcht und Hoffnung, habe ich dieses Bild sehr oft angesehen, ohne herausfinden zu können, ob es eine aufgehende oder untergehende Sonne ist; Gottlob, ich sehe endlich, es ist eine aufgehende Sonne!“

Franklin hatte Recht; allein die Sonne sollte unter gar vielen Stürmen aufgehen. Nichts war so voll Schwierigkeiten und Arbeiten, nach innen und nach außen, als die ersten Jahre der Union. Glücklicherweise fielen sie unter die beiden Präsidentschaften Washington's. Seine stets ehrliche Geradheit und die stets gerade Ehrlichkeit waren nothwendig, den Bestand der neuen Republik zu sichern, und Keiner aus seiner Umgebung hätte an seinem Plage so viel Kraft und Klugheit entfaltet. Nachdem er den Unabhängigkeitskrieg gelenkt hatte, leitete er acht Jahre lang durch eine Fluth von Hinderniffen die Angelegenheiten feines Landes. Man kann wohl sagen, daß ihm der Ruhm geworden, es zweimal gerettet zu haben.

Seine erste Präsidentschaft beginnt mit dem Jahre 1789, bas durch die Gründung einer freien Regierung in Amerika und in Frankreich eine ruhmvolle Aera für beide Länder war. Aus dem verschiedenen Charakter Washington's und dem der damaligen Lenker Frankreichs ließe sich schon die Verschiedenheit des Erfolgs erklären, wenn auch nicht viele andere Ursachen zu dieser Verschiedenheit mitgewirkt hätten. Dort praktische Weisheit, hier edelmüthige Unerfahrenheit. Besonders war die Erziehung in beiden Ländern so verschieden: die Amerikaner waren für die Freiheit vorbereitet durch einen eigenen Stand der Dinge, der sie gelehrt hatte, sich selbst regieren; in Frankreich war jede Spur der Selbstregierung seit Jahrhunderten verwischt.

Der Kampf hatte zwischen den zwei einem Staatenbund so natürlichen Richtungen begonnen. Das Bedürfniß eines gewiffen Uebergewichts der Central-Regierung über die verbundenen Staaten und der Widerstand dieser gegen alle Centralisation, deren Haupt-Vertreter der Staat Virginien war diese beiden Gegenfäße riefen den Kampf der Föderalisten und Republikaner, die sich später Demokraten nannten, hervor. Washington sagte mit Recht, das demo

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tratische Prinzip sei auf verschiedene Prinzipien gegründet, aber um lokalen Interessen zu dienen."

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Herr de Witt, der diese Worte anführt, scheint, durch eine fremd. artige Begriffsbezeichnung verleitet, den Sinn nicht recht zu faffen, indem er den Demokraten die Konservativen entgegenseßt. Die Demokraten waren nicht minder konservativ, als ihre Gegner; ja, wollte man um diese Zeit, wenn auch nicht das beschloffene Vorhaben, so doch den dunkel vorschwebenden Gedanken eines Formwechsels in der Regierung wollte man, sage ich, eine Richtung gegen die Erhaltung des Gegenwärtigen finden: so müßte man das gerade bei gewiffen Föderalisten suchen. Washington, der früher auch seine Zweifel an der Vorzüglichkeit und Möglichkeit der Republik für sein Land gehabt hatte, hatte sie jest nicht mehr; er wollte sie aufrichtig und glaubte an fie. Was er für die Republik fürchtete, war die Anarchie, was er für die Einheit Amerika's fürchtete, war die unbeschränkte Unabhängig. keit der Staaten. Diese beiden Gefahren durch seine Festigkeit zu bekämpfen, noch mehr, sie durch seine Klugheit zu beschwören — dahin ging sein ganzes Trachten während seiner Präsidentschaft. Darin, kann man sagen, lag seine ganze innere Politik.

Die Hauptschwierigkeiten der Regierung Washington's aber kamen vom Auslande. Der neue Stand der Dinge, zu dessen Gründung Frankreich so wirksam mitgeholfen, fand sich gegenüber seiner nur zu bald ausgearteten Revolution, die in Gewaltthätigkeit ausschlug und die den wirklich freien Nationen Etwas aufdrängen wollte, was nur noch ein Schattenbild von Freiheit war. Andererseits sahen die Engländer die junge Republik, die noch vor kurzem ihre Kolonie gewesen, mit scheelen Augen an. Frankreich und England waren also ungerecht und anmaßend gegen Amerika. Von 1789 bis 1797 hatte Washington die politische Unabhängigkeit seines Landes aufrecht zu halten, einen Bruch mit der einen der beiden kriegführenden Mächte möglichst zu vermeiden, dem neugeborenen Staate Achtung zu verschaf. fen, ihn gegen die Ränke Englands und die ruheftörende Propaganda Frankreichs zu schüßen gesucht, ohne der Freiheit den geringsten Abbruch zu thun. Die schwierigsten diplomatischen Unterhandlungen wurden stets mit derselben Geradheit des Charakters, mit derselben Rich tigkeit des Urtheils geführt.

Washington stellte von vorn herein für die Union die Neutralität in den europäischen Angelegenheiten als Prinzip auf. „Ich hoffe“, fagte er,,,wir werden uns in das Labyrinth der europäischen Politik und der europäischen Kriege nicht verwickeln laffen. Die Politik der Vereinigten Staaten muß darin bestehen, den europäischen Nationen ihre Bedürfnisse zuzuführen, sich aber in ihre Zwiftigkeiten nicht zu mischen.“ ..... „So oft sich unter jenen ein wichtiger Streit erhebt, können wir, wenn wir die uns von der Natur verliehenen Vortheile zu gebrauchen verstehen, von ihrer, Thorheit Nugen ziehen.“ Die lettere Aeußerung dürfte für einen Washington ein wenig macchiavelistisch klingen; sie findet aber ihr Korrektiv in einer anderen: "Ich glaube, daß, wer sich die Noth Anderer zunußemacht - und das gilt von Völkern wie von Einzelnen in der Meinung der Men schen und für die Zukunft unendlich mehr verliert, als er im Augenblick gewinnt." Uebrigens war Washington aufrichtig als Staatsmann, aber kein offenherziger Diplomat. Es ift, Gott sei Dank, möglich, ehrlich und gewandt zugleich zu sein, und die Dummheit ist keine Bedingung der Tugend. Es fehlte Washington eben so wenig, wie Franklin und Lafayette, an Schlauheit, wovon einige seiner Depeschen Zeugniß geben. Seine Diplomatie war weit thätiger, gewandter, fruchtbarer an Auskunftsmitteln, glühender in der Verfolgung des Plans, die National-Macht zu vergrößern, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist.

Und dieser bisher unbeachtete Zug in der großartigen, histo rischen Gestalt wird besonders von de Witt hervorgehoben. Die Er folge der auswärtigen Politik ist man sonst geneigt, nur von solchen Regierungen zu gewärtigen, die sich stark nennen, weil sie unter keiner Kontrole stehen, und man ist in dieser Beziehung etwas mißtrauisch gegen solche Länder, wo die Regierung minder freie Hand hat, weil das Volk freier ist. Washington beweißt, daß die Freiheit ein guter Diplomat sein kann; denn er manövrirt stets mit großer Geschicklich keit zwischen Frankreich und England, bietet ihnen festen Widerstand, ohne es zu einem entschiedenen Bruch kommen zu lassen. Selten fand sich ein werdender Staat in einer verwickelteren Lage. Mit Frankreich sollte man in Freundschaft bleiben, deffen Doktrinen Amerika's Verfaffung bedrohten, deffen Gesandter, Bürger Genet, in den Vereinigten Staaten Freischaaren gegen Spanien organisirte, Raubschiffe gegen England rüftete, was doch wohl nicht geeignet war, mit diesen beiden Regierungen ein freundliches Vernehmen zu begünftigen. Washington unterdrückte diese Wühlereien. Beunruhigt über die Richtung, welche die französische Revolution genommen hatte, gab er immer nicht die Hoffnung auf, sie würde endlich doch zu Gunsten der Rechte der Menschheit ausschlagen. Allein seine Sympathie für die Sache und den Zweck der Revolution hielt ihn nicht ab, entschieden aufzutreten gegen

den nach Amerika verpflanzten Jakobinismus, der ihn tagtäglich aufsrohefte beschimpfte, gegen die dumme Demagogie, die mit der rothen Müße auf dem Kopfe und dem Citoyen im Munde nach beften Kräften die Entwickelung der wahren Freiheit hinderte. Es war gut, daß die Welt hier auf diesem Boden den Jakobinismus und die Freiheit neben einander sah, um den Gegensag in seiner ganzen Schroffheit zu fühlen.

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Da Washington das Auslaufen des „Petit-Democrate" verbot Genet hatte es öffentlich als Raubschiff gegen die Engländer rüßten laffen, mit denen die Union in Frieden war erklärte der Bürger Genet, daß er an das Volk appellire. Eine Erörterung über diesen Gegenstand mit dem Staatssecretair Jefferson zeigt, bis zu welchem Grade die demokratische Leidenschaft und die revolutionairen Gewohnheiten einen Mann seiner Einsicht in die Natur der Dinge berauben können. Genet sprach von einer Zusammenberufung des Kongresfes. ,,Aber", erwiederte Jefferson, „die unter uns erhobene Frage gehört nicht vor das Forum des Kongresses.",,Was, ist denn der Kongreß nicht souverain?" -,,Nein, der Kongreß ist souverain, Geseße zu geben; die exekutive Gewalt ist da, fie auszuführen, die rich. terliche, sie auszulegen.“ Nachdem er noch einige Einzelnheiten über die amerikanische Verfassung erörtert hatte, bezeigte Genet das größte Erstaunen und äußerte mit einer tiefen Verbeugung gegen Jefferson: „Ich kann Ihnen zu dieser Verfassung kein Glück wünschen."

Die übelwollende Stimmung Englands gegen Amerika wurde aber durch dieses weise Betragen nicht gemildert. Ein Befehl des Staatsraths erklärte, daß alle mit Produkten der französischen Kolonieen befrachteten Schiffe von den englischen Kreuzern aufgegriffen und an den Meistbietenden verkauft werden sollten. Der Unwille war in Amerika auf dem Gipfelpunkte, die Gereiztheit in England an der äußersten Gränze; die Aufrechthaltung des Friedens schien unmöglich. Washington seßte das Land in Vertheidigungsstand, und auf den Krieg gefaßt, schickte er Jay nach England, den Frieden zu unterhandeln. Ein Vertrag kam zum Abschluß, der, obwohl noch nicht bekannt, Gegenstand der leidenschaftlichsten und wüthendsten Angriffe von Seiten der französischen und revolutionairen Partei wurde. Jay wurde in effigie mit dem Traktat vor dem Hause des englischen Konsuls in Washington verbrannt. Einer der Demokratischen in Carolina erklärte, er sei dahin gekommen, den Mangel der Guillotine bedauern zu müffen. Washington wurde mit der äußersten Wuth angegriffen. Der Jakobinismus nahm eine biblische Färbung an; man warf sich vor, den Präsidenten wie einen Gott angebetet zu haben, in Gößendienst verfallen zu sein; gleich den schottischen Puritanern, schrie das Volk:,,Es ist Zeit, keinen anderen als den starken Gott zu haben!" Washington wurde beschuldigt, die Staatskaffe bestohlen zu haben. Mitten in diesem Sturme, gleichgültig gegen die persönliche Gefahr, erwog er nur die Gefahren, die sein Vaterland, er mochte thun, was er wollte, entweder von Frankreich, oder von England her bedrohten, und im Dafürhalten, daß die größere wäre, den jakobinischen Gewaltthätigkeiten nachzugeben, unterzeichnete er den Vertrag mit England.

Von Stund an war Frankreich in übler Stimmung gegen Amerika, und Washington hatte den Schmerz, gegen eine Nation zu kämpfen, an die ihn persönliche Sympathieen und die Erinnerungen an den Befreiungstrieg knüpften; aber es war keine Möglichkeit, sich der Täuschung hinzugeben. Das Direktorium, verlegt von der Annäherung der Union an England, ließ amerikanische Schiffe durch Kaper_angreifen; seine Agenten reizten die an Louisiana gränzenden Grafschaften, sich von den Vereinigten Staaten zu trennen und sich dieser Kolonie, die Frankreich so eben erworben hatte, anzuschließen.

Die beklagenswerthe Regierung, die Frankreich von innen durch Bestechlichkeit zu Grunde richtete, seßte nach außen durch ihre Ränke seine Würde aufs Spiel, und Washington sagte mit Recht: „Das Betragen Frankreichs gegen unser Land ist über jeden Ausdruck schmählich; Nichts berechtigt es dazu: nicht sein Vertrag mit uns, nicht das Völkerrecht, nicht die Grundsäße der Billigkeit; es hat nicht einmal die Achtung vor dem Schein für sich." — In diesem Moment stand Washington im Begriff, freiwillig abzudanken, und in seinem Abschiedsbriefe fühlte er sich gedrungen, das amerikanische Volk zu ermahnen, auf seiner Hut zu sein gegen die Vorliebe für Frankreich, die deffen Regierung nicht verdiene.

Zurückgezogen auf sein Landgut Mount-Vernon, nahm er wieder sein Pflanzerleben auf, ftand mit der Sonne auf, beaufsichtigte seine Tagarbeiter, besuchte seine Farmen und Bauten und empfing seine Freunde bei sich. Die Nachricht von dem neuen Staatsßtreiche des Direktoriums drang in seine Zurückgezogenheit. Er war empört darüber. Seltsam", sagte er und wie oft konnte man das seitdem wiederholen!,,diese Menschen, die nicht Schimpfworte genug gegen die exekutive Gewalt auftreiben konnten, die bei dem kleinsten Schritt, den ihre Einbildungskraft zu einem Mißbrauch der Autorität oder zu einer ufurpatorischen Handlung ftempelte, an der Sturmglocke zogen diese Menschen werden auf einmal die wärmsten Anwalte der von dem

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Direkt orium in Folge der Beschlüffe vom 4. September angenommenen Willkürmaßregeln. Sie nehmen sich nicht einmal die Mühe, die Verlegung der Constitution in Abrede zu stellen."

Inzwischen fingen die Amerikaner an, die Augen zu öffnen und gegen die Ränke des Direktoriums aufzulodern; man fürchtete einen Einfall der Franzosen. Der gesunde Sinn Washington's, ftets fern von Uebertreibungen, hielt diese Furcht für ein Hirngespinnst, so lange Frankreich mit dem Kriege gegen England beschäftigt sei; indeß forderte die Klugheit, sich auf den Fall eines Angriffs in Vertheidigungsstand zu sehen. Der Kongreß ermächtigte den Präsidenten J. Adams, im Nöthigungsfalle eine Armee von zehntausend Mann auszuheben, und die öffentliche Meinung bezeichnete Washington als den Führer. Mit der Willenskraft, die das Alter nicht geschwächt hatte, zwang er den Präsidenten, ihm die freie Wahl der Ober-Offiziere zu überlassen, und sprach sich dahin aus, daß der Krieg, wenn er einmal ausbreche, angreifend gegen Frankreich und Spanien geführt werden müßte, um durch das Eroberungsrecht in den Besiz Louisiana's zu gelangen.

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Mitten unter politischen Sorgen und Unruhen wurde Washington vom Fieber befallen. Anfangs achtete er nicht darauf; aber das Uebel verschlimmerte sich, und bald erfuhr er, daß seine Krankheit tödtlich fei. Sein Tod war ein ruhiger, und er starb wie ein ftoischer Philosoph. Der Augenblick ist da", sagte er, „ich gehe. Man begrabe mich anständig. Versenkt meine Leiche erst acht Tage nach meinem Tobe in die Gruft. Habt Ihr mich verstanden?" - „Ja.” — „Es ift gut." Sein Athem wurde dann etwas freier. Er fühlte sich an den Puls. Er wechselte die Farbe. Die taftende Hand fiel von der Pulsstelle, und er sank zurück. Frau Washington, die ihm ftets zärtlich ergeben war, zeigte sich in dieser Stunde eben so wortkarg, eben so gelaffen, wie er selbst. Ift er hingegangen?" fragte sie mit fester, gesammelter Stimme. Die Anwesenden standen in düsterem Schweigen. „Es ist gut", fuhr sie fort, „Alles ist vorbei, ich werde ihm bald folgen." Das ist schlicht, energisch, etwas trocken, etwas hart; kein Herzenserguß, nicht einmal ein Händedruck zwischen den beiden Gatten; kein Wort über Amerika, über den Ruhm, nicht ein Wort des Glaubens, obgleich Washington religiös war. „Es ist gut!" sagt der Ster. bende. Es ist gut!" sagt, die ihn sterben sieht und ihn nicht zu überleben hofft. So ist der Amerikaner, in deffen Charakter nicht die Ein bildungskraft und die Weichheit des Gefühls, sondern die Strenge und die Kraft vorherrschen.

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England.

Alfred Tennyson's neueste Dichtungen.

Für die Drawing-room-Tische der englischen Damen ist so eben Alfred Tennyson's neuefter Band:,,Maud and Other Poems. By Alfred Tennyson, D. C. L., Poet Laureate" erschienen. Als Ganzes und frischweg nach den ersten Eindrücken genommen, hat es den Erwartungen nicht entsprochen. Natürlich erkennt man den Dichter wie der in seiner eigenthümlichen Kraft und Frische, wie er fie allein befißt, Gefühle und Gedanken des neunzehnten Jahrhunderts dichterisch zu gestalten und zu kleiden, aber blos theil- und stellenweise; „Maud" ist ohne Guß und Fluß, ohne technischen und dialektischen Zusammenhang und außerdem ohne Schluß. Die anderen Gedichte“ sind zum Theil bestellte Arbeit, und die „Ode auf Wellington's Leichenbegängnis" klingt jest namentlich entseglich hohl und hypokritisch, zumal für Einen, der die Geldgier und den Wucher, der sich dabei in allen Häufern, Kirchen und Staatsgebäuden im Sißevermiethen entwickelte, und das nächste englische Nationalfest, die Triumphzüge Napoleon's durch dieselben Straßen und Engländer, mit angesehen hat und dieses beißendste Epigramm der Geschichte auf Großbritannien noch nicht in seine leßten Spißen ausgelaufen sieht. Die Krim-Ode („Charge of the Light Brigade"), obgleich fie Aufsehen erregte und die Runde durch alle Zeitungen machte, ist ebenfalls tönendes Erz, klingende Schelle. Obendrein war ja der spezielle Stoff dieser Ode kein Heldenmuth um ein Objekt, sondern nur Folge eines Mißverständnisses, eine brutale Selbstmörderei um Nichts, um einen Mangel an Construction, an Verstand von Seiten des Befehlshabers.

,,Der Bach" (,,The Brook") ist wohl die Perle in dem neuen Bande, Zeile für Zeile echter Tennyson, dichterische Analyse süßer Naturscenen und Eindrücke, wie sie eben Tennyson allein fühlen und sagen kann, eine organische Chemie, zu der noch kein Liebig, noch viel weniger ein moderner,,Stofftotaller" Reagentien und Retorten gefunden hat und finden kann, so daß er es sich bequem macht und sagt: ist gar nicht vorhanDer Priester der Wahrheit und des Schönen, der einen so furchtbaren, grausamen Ausdruck für die Lügen und Barbareien feiner Zeit und seines Volkes findet, Zeilen, die wie tödtliche Gefchoffe des

ben.

Añóhλwv dheğlxaxos in das Heer der Achäer, in das Krim-Lager und die gefeßlich organisirten Räuberhöhlen des Friedens und der Civilisation zuhause herabzischen, hätte mit dem Kothurn von Wellingtonstiefeln und dem muthwilligen, unsinnigen Balaklava-Selbstmord verschont bleiben müssen.

„Maud”, eine Liebesgeschichte (erzählt von einem Misanthropen, der sich dadurch gleichsam wieder aufwärmt in seinem noblen Herzen, mit reicher, durch Sorge und Leid gedämpfter Phantasie), ist reich an metrischer Grazie, musikalisch, klassisch in Form und Bild, d. h. immer schön aus eigenstem Wesen gestaltet und gefärbt, kurz, mit allen Lugenden ausgestattet, die wir an dem Dichter schon kennen und bewun dern gelernt haben.

An einer anderen Stelle schildert er einen breitkrämpigen Höker heiliger Dinge“, der den Frieden predigt und den Krieg abschaffen will. Baumwollengefütterter, goldberingter Heuchler und Narr“, ruft er aus,,,der im Stillen dem Klange seiner Pence horcht, ist der Krieg eine Ursache oder eine Folge? Nieder mit den Leidenschaften, welche die Erde zur Hölle machen, mit Habsucht, Eifersucht, Ehrgeiz, Lüge, Heuchelei! Denn Jeder ist mit der ganzen Menschheit im Kriege! kein ehrlicher Mann mehr unter, noch weniger über uns!"

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,,Ah God, for a man with heart, head, hand,
Like some of the simple great ones gone
For ever and ever by,

One still strong man in a blatant land,
Whatever they call him, what care,
Aristocrat, democrat, autocrat -one
Who can rule and dare not lie."

, Gott, blos einen Mann mit Haupt, Herz und Hand in diesem rede- und preßfrei blökenden Lande, der beffer regieren, als lügen kann!" Nur Einen! Nicht Einen? Nein! Wohl bekomm's Euch, Toryiten, Derbyiten, Peeliten und Palmerstoniten.

Und das ist derselbe Dichter, der uns die ganze Nacht im Blumengarten mit lebendigen Feenmärchen zu unterhalten weiß, deffen Held auf Maud wartet, bis der Ball vorüber ist. Sie hat ihm versprochen, nach dem Balle zu ihm unter die thauigen Blumen zu schlüpfen. Endlich wird es roth am Morgenhimmel, und der Mond wird blaß, die Blumen, welche schläfrig geduselt haben, richten sich auf und flüstern und kichern, denn sie wissen, daß das kleine Köpfchen, umsonnt von ftrahlenden Locken, bald kommen wird, um auch ihre Sonne zu sein. Die rothe Rose, die ganze Nacht über am wachsamften, duftet laut. Sie ist nahe.

,,She is coming, my life, my fate,

She is coming, my dove, my dear!"

Und die anderen Blumen flüßtern auch: Ich höre fie! Sie ist nahe! Horch! Seht! Ach, da kömmt sie wirklich! Schon gut, er braucht keine Anmeldungen: Mein Herz würde ihren ätherischen Schritt hören und schlagen, läg' es auch tief unter der Erde. Hätte ich ein ganzes Jahrhundert todt gelegen, ich würde erwachen und zittern unter ihren Füßen und erröthen rosig und purpur.“ Das ist eine gute ftarke Hyperbel der Liebe, die aber auch recht artig zu schmeicheln versteht, denn er braucht die geschwäßigen Klatschereien der Blumen nicht, um zu erfahren, auf welchem Wege sie über die Wiese nachHause ging.

,,I know the way she went Home with her maiden posy,

For her feet have touch'd the meadows, And left the daisies rosy."

,,Da, wo sich die Gänseblumen in Rosen verwandelt haben, hat ihr Fuß die Wiese berührt, da ist sie gegangen." So einen Wegweiser läßt man sich gefallen; man brauchte ihn auch in Preußen nicht erst schwarz und weiß anzuftreichen.

Mannigfaltiges.

Eine Frau, welche Geschichte machen will. In dem radikalen, deutschen „Pionier" von New-York tritt eine Dame, Luise Meyen (wir wissen nicht, ob Fräulein oder Frau) für die Emancipation der Frauen auf, indem sie den Männern vorwirft, durch ihre bisherige Alleinherrschaft den Staat und die Gesellschaft zu dem gemacht zu haben, was sie sind. Folgendes ist ein Pröbchen aus dem geharnischten Leitartikel der Dame: Ihr Männer habt Euer Examen im Geschichtemachen abgelegt, und Ihr habt schlecht bestanden, denn Skla verei, Rohheit, Unglück, Barbarei und Blutvergießen waren immer das Ende Eurer Weisheit. Wird es nicht endlich klar werden, daß die Mitberechtigung der Weiber das einzige Mittel ist, jene Weisheit zu vervollständigen, damit sie künftig ihr Examen beffer bestehe?"

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Böchentlich erscheinen 8 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Julande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 105.

für die

Bestellungen werden von jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstr. Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwallstr. Nr. 21), so wie von allen königl. Poft-Aemtern angenommen.

Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Berlin, Sonnabend den 1. September

Die großen Männer im Hauskleid. *)

Von Alexander Dumas.

Heinrich IV.

Unter obigem Titel hat Dumas' gewandte Feder eine lange Reihe Histörchen zusammengestellt, um daraus eine Historie zu machen. Er beginnt mit Heinrich IV., deffen Privatleben bekanntlich reich an pikanten Zügen ist, welche dazu dienen, den großen Mann nicht nur als solchen, sondern auch als Menschen zu charakterisiren und uns auch mit den Schattenseiten vertraut zu machen, die in der großen Geschichte gewöhnlich in den Hintergrund treten, sofern sie das Privatleben betreffen. In der That, wenn wir versichert wären, daß Alles, was Dumas über Heinrich erzählt, eben so wahr als interessant wäre, so müßte das Büchlein eine werthvolle Ergänzung der Geschichte sein. Wir fürchten aber, ein guter Theil dieser Anekdoten ist zu diesem Zwecke hergerichtet, entlehnt oder gar erfunden. Da Dumas natürlich nicht der Mann ist, der seine Quellen angiebt, so können wir ihm auch nicht näher auf die Finger sehen und müffen uns mit dem Genuffe ohne Kritik begnügen.

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Die

Er beginnt wörtlich ab ovo, indem er schon von dem Ungeborenen eine Geschichte zu erzählen weiß. Heinrich's Mutter, Jeanne, sagt er nämlich, wagte es, während ihrer Schwangerschaft mit ihrem Vater von dessen Testament zu sprechen. Schon gut, erwiederte dieser. Ich will Dir das Testament zeigen, wenn Du mir erst das Kind gezeigt hast; ich knüpfe aber noch eine Bedingung daran. - Welche? Daß Du während der ganzen Dauer des Gebärens ein Lied abfingst, damit Du mir kein weinerliches Kind auf die Welt seßeft. Sache geschah in der That so: Jeanne sang während der heftigsten Geburtsschmerzen, und man will wirklich bemerkt haben, daß Heinrich IV. im Gegensaße zu anderen Kindern lachend zur Welt kam. — Als das Kind geboren war, brachte der Großvater seiner Tochter das Testament und sagte, indem er jenes mitnahm: das gehört mir und das Dir. Dann trug er das Kind auf sein Zimmer, rieb ihm die Lippen mit einer Knoblauchzehe und goß ihm einen Fingerhut voll Wein von Cahors ein.

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Mehrere Züge des hochherzigen Knaben laffen auf den künftigen großen Mann schließen. Nur in Einem Punkte war Heinrich von der Natur schlecht behandelt: sie hatte ihn physisch feig gemacht, nur seine moralische Kraft wandelte ihn zum Helden um. Wenn er rufen hörte: Der Feind ist da! so kam eine Erschütterung über ihn, der er nicht immer Meister zu werden vermochte. In dem Treffen bei La Roche l'Abeille, einem der ersten, dem er anwohnte, rief er, als er fühlte, wie sein Körper, troßdem daß er noch ziemlich entfernt vom Feuer war, zu zittern begann: Ach, Du zitterst, elender Leib? Warte, Du sollst wissen, warum Du zitterst! — Und alsbald stürzte er sich mitten unter den Kugelregen. -Weniger wußte er sich in den Tagen vor der Bartholomäusnacht zu bezwingen. Als das Attentat auf Coligny gemacht wurde, schloß er sich ein. Seine Freunde fuchten ihn auf, um ihn zu beruhigen. Diesmal aber ließ er seinen Leib nach Belie ben zittern. Er hörte gar nicht auf ihre besänftigenden Worte, ja, er that Alles, um auch sie in Furcht zu jagen. Bleibt doch bei mir, rief um ́auch er, verlaßt mich nicht; wenn wir sterben müssen, wollen wir es wenig ftens beisammen thun. Als sie dennoch fortgingen, fiel er in Ohnmacht und wurde so elend, daß sie ihn zu Bett bringen mußten. Bei Coutras dagegen war er nur Held. Seine Anrede vor der Schlacht war: Was braucht es lange Worte? Ihr seid Bourbons, und bei Gott, ich will zeigen, daß ich Euer Aeltester bin. Und als nach der gewonnenen Schlacht die Leichname der beiden Joyeuse, seiner Gegner, im Schlosse ausgestellt wurden und ein Edelmann einen Wig darüber machen wollte, entgegnete ihm Heinrich streng: Still, mein Herr,

1855.

dieser Anblick ist ein thränenwerther auch für den Sieger. Aber gleich darauf schrieb er als echter Gascogner an König Heinrich III.: Sire, gnädigster Herr und Bruder, danken Sie Gott, ich habe Ihre Feinde und Ihre Armee geschlagen. Ein anderes Beispiel von Hochherzigkeit gab er bei Jory. Er hatte am Tage vorher den Obersten Schomberg, einen seiner treuesten Diener, durch ein hartes Wort vor der ganzen Armee gekränkt. Jeßt ritt er zu ihm hin und sprach mit so lauter Stimme, daß ihn Alle vernehmen konnten: Oberst Schomberg, wir haben eine Schlacht vor uns. Vielleicht falle ich darin: ich möchte aber die Ehre eines so braven Edelmannes, wie Sie sind, nicht mit mir nehmen. Ich erkläre also, daß ich Sie für einen Ehrenmann anerkenne, der unfähig ist, irgend eine Schlechtigkeit zu begehen. Umarmen Sie mich. Ach, Sire, erwiederte Schomberg, gestern hat mich Eure Majestät verwundet, heute tödten Sie mich, denn Sie legen mir die Verpflichtung auf, in Ihrem Dienste zu sterben. Er fiel in der That an diesem Tage in der Mitte der spanischen Carrés.

Es ist bekannt, wie gütig er gegen das belagerte Paris verfuhr; hier noch eine Anekdote darüber. Als ihm Herr von Gondi die in der Stadt herrschende Hungersnoth schilderte und zugleich erklärte, daß die Pariser so fanatisirt seien, daß sie sich bis auf den leßten Mann wehren würden, rief er aus: So weit soll es nicht kommen. Ich bin eine wahre Mutter Salomonis: ich will Paris lieber nicht haben als in Stücken.

Merkwürdig, daß in einer so großen Seele zugleich Plag für den schmuzigsten Geiz, ja, sogar für Betrüglichkeit war. Er ließ es sich aber auch gefallen, wenn man es ihm unter die Nase rieb. — Eines Nachts, erzählt d'Aubigné, sagte ich zu Herrn de la Force, mit welchem ich im Vorzimmer des Königs schlief: La Force, unser Herr ist ein Erzknaufer und der undankbarste Mensch von der Welt. Der schlaftrunkene La Force hörte nicht mehr recht und fragte daher: Was haft Du gesagt? — Auf dieses hier antwortete der König, der Alles mit angehört hatte: Er sagt, ich sei ein Erzknauser und der undankbarfte Mensch von der Welt. Du hast doch einen harten Schlaf, La Force.Den anderen Tag war Heinrich gegen d'Aubigné wie sonst; er gab ihm aber auch keinen Viertelsthaler mehr, als sonst.

Den größten Theil des Büchleins nehmen natürlich Heinrich's Liebes-Abenteuer ein, denn die Geschichte eines Königs, der, wie Dumas erzählt, statt einen gewonnenen Sieg zu verfolgen, nichts Angelegentlicheres zu thun wußte, als vor Allem seiner Geliebten die gewonnenen Fahnen zu bringen, um ihr ein Bett daraus machen zu lassen, muß natürlich zur Hälfte Liebesgeschichte sein. Er hatte freilich kein großes Glück mit seinen Gemahlinnen. Die erste, Marguerite, war wegen ihrer Galanterie berüchtigt. Von ihr heißt es, daß sie einen großen Wulst am Kleide trug, der ringsherum Läschchen hatte, in deren jede sie eine Büchse mit dem Herzen eines ihrer verstorbenen Liebhaber steckte; denn sobald einer todt war, ließ sie alsbald sein Herz einbalsamiren. Dieser Wulft wurde alle Nacht an einem Haken aufgehängt, der mit einem Vorlegeschloß an die Rückwand ihres Bettes befestigt war.

Wenn Heinrich Marguerite viel zu verzeihen hatte, so war fie auch wieder sehr nachsichtig gegen ihn. In ihren Memoiren erzählt fie: „Eines Tages bekam die Foffeuse (eine Geliebte Heinrich's) im Zimmer der Hofdamen ihre Wehen. Sie schickte sogleich nach dem Arzte und bat ihn, den König davon zu benachrichtigen. Wir schliefen in demselben Zimmer in verschiedenen Betten. Als der Arzt ihm die Nachricht mittheilte, gerieth er in große Verlegenheit, da er auf der einen Seite die Entdeckung der Sache am Hofe fürchtete und andererseits besorgte, fie möchte nicht die rechte Hülfe finden, denn er liebte sie sehr. Er entschloß sich also, mir Alles zu gestehen und mich zu bitten, ihr Beistand zu leisten, da er wohl wußte, daß ich unter allen Umständen stets bereit war, ihm gefällig zu sein. Er öffnete daher meinen Bettvorhang und sagte: Mein Schaz, ich habe Ihnen Etwas verheimlicht und muß es nun eingestehen. Ich bitte um Verzeihung. Aber haben Sie doch die Güte und stehen Sie auf und helfen Sie der Fosseuse. Sie wissen, wie ich sie liebe. Ich bitte, thun Sie mir die Gefälligkeit."- und Marguerite erhob sich sogleich vom Bett

*) Les grands hommes en robe de chambre, par Alexandre Dumas. Collection Hetzel. Bruxelles et Leipzig, Kiessling, Schnée & Cie., 1855. und stand der armen Fofseuse bei.

Der verliebte König fand aber nicht überall offene Arme, sondern auch manchmal einen unüberwindlichen Widerstand: so namentlich bei Fräulein v. Guercheville. Heinrich wußte diese Tugend zu würdigen, er verheiratete die Dame an den Grafen von Beaumont und sagte zu ihr: Da Sie in der That und Wahrheit eine Ehrendame find, so sollen Sie es auch bei der Königin werden, die ich auf meinen Thron erheben werde. - Die Gräfin Beaumont war wirklich die erste Ehrendame, welche der König Marie von Medicis als solche vorstellte. Sein Verhältniß zu Gabriele nimmt natürlich einen großen Raum ein. Auch bei ihr war er lange nicht glücklich, denn Gabriele liebte den Herrn von Bellegarde, dem sie auch nachher treu blieb wenn man so sagen darf. Der König war sehr eifersüchtig auf ihn und suchte ihn zu ertappen. Einst glückte es ihm beinahe. Als er zu Gabriele kam, war Bellegarde richtig da. La Rouffe, ihre Vertraute, hatte nur noch so viel Zeit, um, während jene dem Könige öffnete, Bellegarde in ihrem eigenen Schlafzimmer zu verbergen. Dann ging fie mit dem Schlüssel fort. Der König merkte Etwas; er that, als hungerte ihn, und verlangte zu Nacht zu speisen. Gabriele entschuldigte fich, sie habe den König nicht erwartet und deshalb Nichts vorbereitet. -Nun, so geben Sie mir von den Confituren, die Sie, wie ich weiß, in jenem Kabinet haben. — Gabriele that, als suche sie den Schlüffel; Gabriele that, als suche sie den Schlüffel; er wollte sich nicht finden lassen. — Man schickte nach La Rouffe, auch fie war verschwunden. — Nun, meinte der König, ich will aber einmal zu Nacht effen, da werde ich wohl die Thür einschlagen müssen. Er begann, sie mit Fußtritten zu bearbeiten. Die Thür wollte schon weichen, als La Rouffe eintrat und nach der Ursache des Lärms fragte. Der König theilte ihr seinen Wunsch mit. Aber warum öffnet Eure Majestät nicht lieber mit dem Schlüffel? Ventre Saint gris! eine saubere Frage! Ich habe ihn nicht. Da ist er, fagte die La Rouffe, indem sie ihre Gebieterin mit einem Blicke beruhigte. Heinrich trat ein und fand das Kabinet leer: Bellegarde war durch das Fenster entsprungen. - Diefe Scene hat Beaumarchais zum zweiten Akt der "Hochzeit des Figaro" benugt.

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Doch hatte sie auch ihn geliebt, das sah man bei ihrem leßten Abschieb. Sie sollten sich auf vier bis fünf Tage trennen und gleich nach Ostern wiederfinden. Eine so kurze Abwesenheit wollte bei Leu ten, die so oft getrennt gewesen waren, nichts heißen, und doch war nie ein Abschied schmerzlicher gewesen. Man hätte meinen sollen, als empfänden Beide ein gewiffes Vorgefühl des Todes, als sagte ihnen eine innere Stimme, daß sie sich nie wieder sehen würden. Sie konn ten sich lange nicht entschließen, von einander zu gehen: endlich schie. den fie Gabriele machte zwanzig Schritte, dann aber kehrte sie wieder um, um dem Könige ihre Kinder, ihr Gesinde zu empfehlen. Jest nahm der König Abschied von ihr, aber gleich darauf rief er sie wie der. Noch eine Stunde weit begleitete er sie, dann kehrte er tief betrübt und ganz verweint nach Fontainebleau zurück, während Gabriele eben so traurig und thränenschwer ihren Weg nach Paris fortseßte. Wenige Tage darauf starb sie dort; Manche meinten an Gift. Hein rich sah sie nie wieder. (Schluß folgt.)~

Das Eisenbahnwesen auf der Pariser Universal-Ausstellung. Die „mécanique spéciale des chemins de fer et des autres modes de transport" bildet die fünfte Klaffe der Erzeugnisse auf der Pariser Universal-Ausstellung. Am 8. August warb diese Abtheilung von dem Prinzen Napoleon Bonaparte besichtigt, der in Begleitung der angesehenften französischen und fremden Mitglieder der AusstellungsFüry eine Abtheilung nach der anderen befichtigt, worauf dann der Moniteur einen Bericht über diese Besichtigung zu liefern pflegt. Bei der Musterung des Maschinenwesens, des Wagenparkes, der Schienen und anderer dem Dienste der Eisenbahnen gewidmeten Gegenstände be. fanden sich in der Begleitung des Prinzen der Präsident der fünften Klaffe der Ausstellungs-Jury, Herr Geheimerath Hartwich aus Berlin, den der Moniteur als „General-Eisenbahn-Jugenieur im preußischen Handelsministerium“ bezeichnet, ferner Herr Ritter A. v. Burg, taiserl. österreichischer Kommiffarius, Herr Dupré, Ober-Jugenieur der Brücken und Chauffeen in Belgien, u. A. m. Aus dem Berichte, welchen der Moniteur über diese Besichtigung lieferte, theilen wit Nachstehendes mit:

„Alle denkenden Menschen beschäftigen fich heutzutage mit der Zu kunft der Eisenbahnen. Nicht blos den Gelehrten und Kapitalisten,

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sondern auch der Maffe des Volkes leuchtet es in unserer Zeit ein, daß man sich eben so vergeblich der fortschreitenden Civilisation, als der Entwickelung der Menschheit widerseßt. Die Eisenbahnen sind für unser Jahrhundert das, was für das sechzehnte Jahrhundert die Buchdruckerkunft, für das Mittelalter das Schießpulver war: eine vollständige Umwandlung der Gesellschaft. Man kann über die Art der Ausbeutung des Eisenbahnwesens, über dieses oder jenes neuerfundene, mechanische Hülfsmittel verschiedener Ansicht sein, doch über das Prinzip ist alle Welt einverstanden.

Die ganz kürzlich von einem berühmten Publizisten") aufgestellten Jbeen über die Exploitationsweise der Eisenbahnen haben über diese Frage ein neues Licht verbreitet und dürften in der Organisation und Construction des Eisenbahnen-Materials eine völlige Revolution hervorrufen. Die todte Laft vermindern zu Gunsten der nußenbringenden Last das ist das Problem.

,,Einige der auf der Ausstellung befindlichen Laftwagen bieten sehr glückliche Verbesserungen in dieser Beziehung dar. Der Prinz hat namentlich einen auf zwei Achsen montirten, französischen Kohlenwagen bemerkt, welcher 4200 Kilogramm wiegt, 12 Mètres kubischen Inhalt hat und eine Ladung von 10,300 Kilogramm aufnimmt, während die nach englischem Muster gebauten Wagen, ebenfalls auf zwei Achsen laufend, bei 3200 Kilogramm eigenem Gewicht, höchstens sechstausend Kilogramm Ladung zu tragen vermochten. Nach dem alten System war die todte Laft um 6,.. pCt. größer, als die Hälfte der Nuglast, während sie nach dem neuen dagegen um 18,44 pCt. kleiner ist. Das erlangte Resultat ift demnach erheblich. Bei derselben Achsenzahl, derfelben Wagenlänge und bei der Vermehrung der todten Laft um blos ein Drittel, trägt der Kohlenwagen eine doppelte Last. Dieser neue Wagen ist auch bereits seit vier Jahren auf mehreren franzöftschen Eisenbahnen an die Stelle der älteren, nach englischem Muster gebauten, getreten.

Die mächtigen Cramptonschen Lokomotiven, die leichteren Lokomotiven, diejenigen, bei welchen man seit einiger Zeit, nach dem Prinzipe der Engerthschen Maschine, vermittelst einer Gliederung eine Solidarität zwischen der Maschine und dem Tender hergestellt, so daß nunmehr alle Räder dieses verbundenen Wagenpaares aktiv auf den Zug wirken, haben auf der Ausstellung vortreffliche Vertreter. Frankreich, Belgien, England, Preußen, Oesterreich und Württemberg haben Maschinen von ausgezeichneter Arbeit, Lokomotiven für Schnellzüge, für große Laftzüge, Typen aller Art eingesandt, bei welchen die Modificationen der Hauptbestandtheile den verschiedenen Zwecken gemäß, zu welchen sie bestimmt, eingerichtet find.

,,Mitten unter diesen durchweg schmucken Lokomotiven, welche die Werkstatt nur verließen, um auf die Ausstellung zu kommen, bemerkt man auch eine, die bereits viele Dienstjahre auf französischen Eisenbahnen zählt. Dieser Eisenbahn-Veteran, der sein Dienstzeugniß mit sich führt, zeichnet sich durch seine ungeheuren Arbeiten und seine lange Laufbahn aus. Es ist eine vortreffliche Idee, das Verdienst überall zu ehren, wo es sich findet.

Die verschiedenen Formen der ausgelegten Schienen sind nicht alle von eben so praktischer Anwendbarkeit. Die gewöhnliche Schiene und die Barlow-Schiene find die einzigen, welche durch die Praxis sanctionirt sind. Was die gewöhnlichen Schienen betrifft, so zeugen die Verbindungs-Ausläufer, vermittelst deren jene jeßt an einander befestigt werden, von den Fortschritten, die man in diesem wichtigen Theile des Eisenbahnbaues gemacht hat.

,,Die Personenwagen bieten in ihrer inneren Einrichtung ebenfalls manches Interessante dar. So enthält der belgische Waggon Siße, die man wahrhafte Betten nennen kann, wiewohl sie vielleicht nicht so bequem sind, wie die Size in einigen Waggons der Paris-Straßburger Linie.") Der schweizer Salonwagen ist fast ein möblirtes Wohnzimmer zu nennen. Unter den französischen Waggons zeigt derjenige, dessen Gestell von Eisen ist, wohin jezt bei den neuen Constructionen gestrebt wird.

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„Indessen ist es nicht genügend, mächtige Maschinen, vortreffliche Wagen und eine gut unterhaltene Bahn zu besizen -es bedarf auch einer kräftigen, energischen Verwaltung, einer vereinfachten und beschleunigten Abfertigung des Verkehrs, wobei so viel als möglich Jrrthümer vermieden und Schwierigkeiten beseitigt werden. Auch in dieser Hinsicht liefert uns die Ausstellung einige schöne Zeugnisse: man betrachte hier die sinnreichen Maschinen, welche die Fahrbillets drucken und darauf die fortlaufende Nummer derselben in unvertilgbaren Zeichen angeben, wodurch eine sehr einfache Selbstkontrole des Billetverkaufs hergestellt wird. Diese Maschinen zählen und stempelu die kleinen Kartenbillets mit einer wunderbaren Genauigkeit und Schnelligkeit.

*) Michel_Chevalier.

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