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Während der ersten Regierungsjahre Alexander's blieb Raftoptschin in der Zurückgezogenheit; doch zeugt seine Korrespondenz von dem lebhaften Antheil, mit welchem er die ereignisvolle Geschichte jener Zeit verfolgte, und von den engen Beziehungen, die er zu einigen der hervorragendsten Männern des damaligen Rußland zu unterhalten fortfuhr.,,Nach den Worten Adam's",") schreibt er unter Anderem an Zizianov,,,dans six mois nous saurons à quoi nous en tenir au sujet de la Porte. Es läßt fich denken, daß man insgeheim auf einen günstigen Zeitpunkt speku. firt, um zur Theilung der in den lezten Zügen liegenden Türkei zu fchreiten; aber es ist unmöglich, daß der Wiener Hof sich über die Raubgier und den Unternehmungsgeist Bonaparte's verblenden kann.

einen unglücklichen Krieg mit Napoleon verwickelt, der sein patriotisches Gefühl um so mehr anreizte, als er sich in einer so ernsten Lage zur Rolle eines passiven Zuschauers verdammt sah. So stieg sein Haß gegen das Ausland, und namentlich gegen die Franzosen, immer höher. ,,Welches Unglück", schreibt er,,,daß Peter I. uns rasirt und Schuwalov veranlaßt hat, diese gottlose französische Sprache zu reden." Um diesen Gefühlen Luft zu machen, griff er zur Feder, und es entstand eine Reihe von Schriften, wie sie die russische Literatur noch nicht dar geboten hatte und die auf seine Landsleute einen mächtigen Eindruck hervorbrachten. Die erste derselben erschien 1807 in Petersburg unter dem Titel: Laute Gedanken des russischen Edelmanns Sila Andrejewitsch Bogatyrev auf der rothen Treppe in Moskau." Die Hauptidee dieser Broschüre giebt sich schon in ihren ersten Worten kund. Sila Andrejewitsch Bogatyrev, Rastoptschin's Ideal eines ruffischen Patrioten, hält im Angesicht des Kreml ein Selbstgespräch, in welchem er die blinde Vorliebe feiner Landsleute für die Franzosen beklagt und an ihren Nationalstolz appellirt. Gott sei uns gnädig!" fängt er an,,,wird das kein Ende nehmen? Wie lange wollen wir noch Affen sein? Ist es nicht Zeit, uns zu befinnen, zu uns zu kommen, ein Ge bet zu sprechen und, den Franzmann anspeiend, ihm zu sagen: Hebe Dich weg von mir, Satanas! geh in die Hölle oder in Deine Heimat, verweile nur nicht in Rußland." Der Nationalcharakter der Franzosen wird auf Grund der während der Revolution begangenen Erzesse in den schwärzesten Farben dargestellt. Im Verkehr", sagt Bogatyrev, "find sie Spigbuben und im Kriege Räuber. Sie haben nur zwei Grundsäße: Der Erfolg rechtfertigt Alles, und: Man nehme, was zu nehmen ist. Was haben diese Verfluchten in den lezten zwanzig Jahren angerichtet! Alles haben sie verwüstet, verbrannt und geplündert. Erst haben sie disputirt, geschimpft, gestritten, das Oberste zu Unterst gekehrt, die Gefeße mit Füßen getreten, die Tempel entweiht, den König enthauptet und was für einen König! Einen Vater. Die Köpfe mähte man wie Kohlstrünke; bald kam der eine, bald der andere Bösewicht ans Ruder; man träumte von Freiheit und Gleichheit, aber Niemand wagte den Mund aufzuthun, und um die Gerechtigkeit stand es schlimmer, als zur Zeit Schemjaka's.") Es gab nur zwei Urtheile: den Strang oder das Meffer. Nicht zufrieden, die Ihrigen erwürgt, erschossen, ertränkt, gemartert, gebraten und verzehrt zu haben, warfen sie sich auf die Nachbarn, begannen die Deutschen und Ungarn, die Italiäner und Spanier, die Holländer und Schweizer zu plündern und zu schinden, und diese mußten sich bei ihnen noch dafür bedanken. Und nun erschien Bonaparte, landete aus Aegypten, pfiff, und Alles schwieg. Er jagte den Senat in ein Mauseloch, nahm selbst die Zügel in die Hand, spannte Militair- und Civil, und geistliche Behörden vor und seßte sie dann Alle in Trab. Erst war ein Gemurmel, dann ein Geflüster, dann ein Kopfnicken, und endlich schrie man: Zum Teufel mit der Republik! Bonaparte sei Kaiser! Und so ergriff er das Scepter über die Franzosen, und sie hatten wieder Freiheit und Gleichheit - das heißt, Freiheit zu weinen und Gleichheit des Elends, während er selbst wie eine verbrannte Kaße aus einer Ecke in die andere stürzte, Italien ausplünderte, zwei Könige auf die Inseln trieb, die Kaiserlichen über den Haufen blies, die Preußen nackt auszog und die ganze Welt zu unterwerfen gedenkt. Ein schöner Alexander von Macedonien! Ein solcher Knirps, der zum Rekruten nicht taugen würde!"

Bonaparte wird die Engländer auf dem Meere plündern laffen und sich auf Italien werfen, der König von Preußen in Deutschland aufräumen, und Cobenzl sich der Moldau und Walachei bemächtigen. Wäre es nicht beffer, wenn die drei Mächte sich zur Theilung des otto manischen Reiches ohne Krieg verständigten und den Franzosen Aegyp ten überließen? Aber sichtlich ist es der Wilte des Schicksals, Bonaparte zur Geißel der Fürsten zu machen. Von diesem gelben Bauer (желмый мужичекь) sind noch manche Teufelsstreiche zu erwarten, and nachdem er sich in Mailand zum Könige von Italien gekrönt, durfte er sich wohl in Rom salben lassen. In einer Unterredung mit dem alten Woronzov°) sagte er mir, daß der Krieg unvermeidlich sei; über die Einzelnheiten habe ich ihn nicht befragt, weil wir in der Po. litik aus einander gehen; er hängt, aus Freundschaft für seinen Bru ber, an England, während ich überzeugt bin, daß Rußland sein eigenes System haben und entweder Audere verhindern muß, ihre Befizungen zu vergrößern, oder, ohne Rücksicht auf Andere, Alles erwerben, was es zu seiner Arrondirung nöthig hat. Das Beispiel Frank. reichs ist hinreichend; wenn dieses Land, mit seinem Volke von Wahnsinnigen, durch die Macht des Schwertes und der öffentlichen Meinung halb Europa unterwerfen konnte, was müßte nicht Rußland unternehmen können? ... Welch ein seltsamer Gedanke von Johann Potocki, nach Grusien zu gehen! Ich kenne ihn seit dem Jahre 84; es ist ein verschrobener, romanhafter Kopf: er schreibt, singt und tanzt, treibt sich in Aegypten umber, ist Hofmann, Profeffor, Lovelace, wie es ihm eben einfällt.***) Jeßt hat er eine schöne Gelegenheit zum Reisen, indem er mit dem Gesandten Golovkin sich nach China begiebt. Ohne Zweifel will man in Peking eine großartige Idee von unserer Pracht geben: man hat Scheremetjev's Hornmusik gekauft, schickt, außer den Beamten, 1500 Mann Soldaten, ein Panorama, welches den Zug Suworov's über die Alpen darstellt, eine Menge Geschenke u.f.w.... Du wirst aus den Zeitungen gesehen haben, in welchem kritischen Zustande sich England befindet. Wenn der König gestorben wäre, so würde die Lage nicht so bedenklich sein; aber er ist wieder verrückt geworden, und man wird einen Regenten oder einen Verwaltungsrath einsehen müssen. Diese Epoche ist vielleicht die Krisis der bisher so glück. lichen Politik Englands. Gewiß hätte Pitt den Frieden in Amiens nicht geschloffen oder, nachdem er ihn geschloffen, nicht so bald wieder gebrochen. Der leste Paffus ist besonders charakteristisch, und so grotesk uns Bonaparte wird allgemein beneidet, und er kann sich freilich glücklich auch die Beredtsamkeit Raftoptschin's erscheinen mag, fie war ganz dazu schäßen, daß Alle, die sich zu seiner Ermordung erbieten, zu sehr an geeignet, die von ihm beabsichtigte Wirkung zu erreichen. In wenigen ihre eigene Sicherheit denken, um den verheißenen Lohn zu verdienen. Wochen wurden über 7000 Exemplare der Flugschrift abgesezt, fie fand Es ist schade, daß Moreau sich in diese Sachen gemischt und, nicht eine Menge Nachahmer, und der Verfaffer selbst ließ ihr mehrere ähndamit zufrieden, der erste General zu sein, sich zum ersten Konsul_liche folgen, so wie ein Luftspiel: „Die Gerüchte, oder der lebendige machen wollte. So weit es sich nach den Leuten beurtheilen läßt, die aus England gekommen find, um den Korsen zu tödten, hat Whitworth, den man einen bomme loyal zu nennen pflegte, gewiß diese unschuldigen Pläne eingefädelt." - Lord Whitworth, früher englischer Gesandter in Petersburg und dann in Paris, ist, wohl mit Unrecht, beschuldigt worden, das Komplott angeftiftet zu haben, welches den Tod des Kaisers Paul herbeiführte. Daher die Animosität Raftoptschin's gegen diesen Diplomaten.

Im Jahre 1806 verlor Rastoptschin seinen Busenfreund Zizianov, der im Kaukasus umkam. Um dieselbe Zeit sah er sein Vaterland in

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Todte", eine Art von russischer,,School for Scandal", in welcher er die Klatschsucht der Moskauer Gesellschaft verspottete, ohne sein Lieblingsthema, die Gallomanie, aus den Augen zu verlieren. Zugleich wurde er Mitarbeiter an dem von Glinka herausgegebenen „Russkji Wjestnik", einer Zeitschrift, die vorzugsweise der Erweckung des Nationalgefühls gewidmet war, und in die er, außer anderen Auffäßen, auch seine Erzählung: Ach, die Franzosen!" einrücken ließ. Er wendet fich darin,,an alle Väter und Mütter, Witwer und Witwen, die Gott mit Kindern gesegnet hat; an alle kinderlosen Eheleute von nicht mehr als vierzig Jahren; an alle unverheirateten Mannspersonen von nicht über sich, daß sie von Abel sein müssen, weil dieser ehrenwerthe Stand die funfzig und alle Mädchen von nicht über dreißig Jahren. Es versteht Stüße des Throns und des Vaterlandes ist und vor Allem einer Warnung bedarf. Die Kaufleute und die Bauern hingegen, obwohl allen bekannten Krankheiten, mit Ausnahme der Nerven und der Melancholie, unterworfen, haben sich bisher von der Ausländerei ziemlich frei erhalten und sind von dieser Epidemie noch nicht angesteckt. Sie nennen die Franzosen noch heute Njemzy.“ Aus diesen Worten geht schon die Ten

*) Gin moskowitischer Thronräuber im funfzehnten Jahrhundert, dessen Tyrannei durch das Sprüchwort von dem Gerichte Schemjaka's (Sud Schemjakin) verewigt wird.

denz der Erzählung hervor. Wenn es mir gelingt", sagt der Verfaffer weiter,,,auch nur einen Vater, nur eine Mutter zu überzeugen und ihre Kinder vor der Verderbniß zu retten, so bin ich zufrieden und glücklich. Ich werde mich in meinen Lehnstuhl seßen, mit Wohlgefallen auf mein Tintenfaß blicken, mir die Stirn reiben und ausrufen: Ich habe eine gute That vollbracht! Gottes Barmherzigkeit ist groß!"

Die Popularität, welche Rastoptschin durch seine Schriften erlangte, war so außerordentlich, daß die Regierung bei Zeiten daran dachte, sich ihrer als Werkzeug in dem bevorstehenden neuen und entscheidenden Kampfe gegen Napoleon zu bedienen. Schon im Jahre 1810 erhielt er den Titel eines Oberkammerherrn, ohne jedoch bei Hofe zu erscheinen oder Moskau zu verlassen. Bald darauf schlug die Großfürstin Katharina Pawlowna mit ihrem Gemahl, dem Herzog von Oldenburg, ihre Residenz in Twer auf. Eine glühende Patriotin, verfammelte diese hochsinnige Frau bald einen kleinen Hofstaat von ausgezeichneten Männern um sich. An sie richtete Karamsin seine historische Abhandlung „über das alte und neue Rußland", in der er die Rachäfferei des Ausländischen mit scharfen Worten verurtheilte; bei ihr erschien auch Rastoptschin, der zu diesem Zwecke öfter nach Twer kam. Als endlich der Bruch mit Frankreich erfolgte und das Zarenreich sich in seinen innersten Tiefen bedroht sah, ernannte ihn Alexander zu dem hochwichtigen Posten eines Oberbefehlshabers der alten Hauptstadt Moskau, mit dem Range als General der Infanterie.

Hier beginnt für Raftoptschin eine neue Epoche, in der er seinem lang unterdrückten Thätigkeitsdrang freien Spielraum geben und die fast dämonische Energie seines Charakters im hellsten Lichte zeigen konnte. Während des Vorrückens der Feinde auf Moskau schrieb er feine berühmten Affichen, welche das russische Volk zu unerhörter Erbitterung aufftachelten und es zu Opfern befähigten, größer", wie Alison sagt, als sie die Annalen des Patriotismus bisher dargeboten hatten." Der Gouverneur von Moskau bereitete darin die Einwohner auf die ihnen drohende Invasion vor, sprach ihnen Muth ein und entflammte sie zu verzweifelter Gegenwehr. Man erkennt in diesen Aufrufen denselben Meister der russischen Volkssprache, denselben unverföhnlichen Gegner des Franzosenthums, der sich früher unter der Hülle „Sila Andrejewitsch Bogatyrev's" gezeigt hatte und der jezt im Zeit punkt der höchsten Gefahr von neuem auftrat, um die Massen durch die Kraft seiner eigenen Leidenschaft fortzureißen. Am 1. (13.) Juli 1812 erschien die erste gedruckte Affiche mit einem Holzschnitt, der den Geschworenen und Moskauer Bürger Kornjuschka Tschichirin darstellt, „welcher, nachdem er sich der Landwehr angeschloffen und einen Schluck über den Durst getrunken, von dem Zuge Bonaparte's gegen Moskau hört, in Wuth geräth, aus der Schenke tritt und zu dem unter dem Adler versammelten Volke spricht: „Wie? zu uns? wir bitten recht fehr! Ob zu Weihnachten oder zur Butterwoche, wir werden Euch zu empfangen wissen. . . . Wie werdet Ihr aber unser russisches Leben vertragen? Von unserem Kohl werdet Ihr aufschwellen, von unserer Kascha (Grüßsuppe) berften, an unserem Schtschi ersticken, und die noch zum Winter übrig bleiben, werden an unseren Neujahrsfrösten zugrundegehen; sie werden an den Thoren erfrieren, in den Höfen verrecken, in den Scheunen erstarren, in den Jsben (Bauerstuben) verröcheln, auf den Defen verbrennen. . . ." In diesem Tone geht es fort, und in gleichem Styl find fämmtliche von Raftoptschin veröffentlichte Plakate, dreizehn an der Zahl, gehalten, denen am 30. Oktober (11. November), d. h. nach dem Abzug der Franzosen aus Moskau, noch ein vierzehntes folgte. Ehe fie einrückten, hatte er mit eigener Hand sein vor der Stadt gelegenes Landhaus in Brand gesteckt, worauf er sich in das Hauptquartier Kutusov's zurückzog. Die meisten Einwohner hatte er in Sicherheit gebracht, die Staatsgelder, die Vorräthe des Arsenals, die öffentlichen Urkunden gerettet und sämmtliche Feuersprisen aus der Stadt entfernen lassen.

Nach dem Brande von Moskau und der Flucht des Feindes kehrte Nastoptschin auf den Aschenhaufen der Hauptstadt zurück, um sie von neuem aufzubauen, die Trümmer wegzuräumen und die Bürger zu unterstüßen, die die traurigen Reste ihrer Habe auf der rauchenden Brandftätte suchten. Aber seine Thätigkeit dauerte nur noch kurze Zeit; im Jahre 1814 nahm oder erhielt er seine Entlassung, und seine politische Laufbahn war definitiv geschlossen.

Man schrieb ihm die Zerstörung Moskau's zu und beurtheilte dieses Ereigniß in sehr verschiedener Weise. Einige verherrlichten es als eine That, der Helden des alten Roms würdig und sie an Großartigkeit übertreffend; Andere erblickten darin nur ein unnüßes Opfer, einen Ausbruch des blinden, fanatischen Hasses. In jedem Fall lastete auf Rastoptschin in der Meinung der Zeitgenossen eine schwere Verant wortlichkeit. Die Franzosen nannten ihn, nach dem Beispiele Napoleon's, einen Barbaren und den Mordbrenner seiner eigenen Vaterstadt. So vergingen einige Jahre; Raftoptschin verließ Rußland, ging nach Deutschland und England, wo man ihn mit Enthusiasmus empfing, und ließ sich endlich in Paris nieder! Derselbe Mann, der die

Gallomanie seiner Landsleute mit der blutigsten Satire gegeißelt hatte, der ihnen vorwarf, daß,,Paris für sie das Himmelreich sei", lebte mehrere Jahre hindurch ununterbrochen in Paris, glänzte in den Zirkeln der französischen Aristokratie durch echt französischen esprit, legte sich eine große Bibliothek ausschließlich aus französischen Büchern an und trat sogar als Schriftsteller in französischer Sprache auf, die er mit derselben Gewandtheit handhabte, wie früher die russische. Im Jahre 1823 gab er,,La Vérité sur l'incendie de Moscou" heraus, welche überall das größte Aufsehen erregte. Das Publikum sah zu seiner Verwunderung, daß Rastoptschin nach zehnjährigem Stillschweigen die Ehre, den Brand von Moskau veranlaßt zu haben, vollständig von sich ablehnte und dieses Ereigniß, an welches Freund und Feind seinen Namen geknüpft, als ein Werk des Zufalls darstellte. Trogdem fanden seine Versicherungen viele Ungläubige, und es können die Akten darüber noch immer nicht als geschlossen betrachtet werden. Um dieselbe Zeit schrieb Nastoptschin seine „Mémoires", einen artigen Scherz im Geschmack Voltaire's und Beaumarchais'. Eine Dame hatte ihn gefragt, warum er nicht sein Leben beschreibe, das so reich an Begebenheiten und in Manchem so räthselhaft sei. Er erklärte sich bereit, ihren Wunsch zu erfüllen, und brachte ihr am folgenden Morgen die ,, Mémoires écrits en dix Minutes".) Man muß diese sogenannten Memoiren im Original lesen, um sich einen richtigen Begriff von dem Wis und dem Humot des Verfaffers zu machen und von seiner Gewalt über eine Sprache, die nicht seine eigene war. Aber es blickt aus ihnen auch eine tief verwundete Eigenliebe hervor, die sich namentlich in der „Widmung an das Publikum“ kundgiebt. Sie lautet, wie folgt: ,, Chien de public! Organe discordant des passions! Toi qui élèves au ciel et qui plonges dans la boue, qui prônes et calomnies sans savoir pourquoi! Image de Tocsin! Echo de toi-même; tyran absurde, échappé des petites maisons; extrait des venins les plus subtils et des aromates les plus suaves! Représentant du diable auprès de l'espèce humaine! Furie masquée en Charité chrétienne! Public, que j'ai craint dans ma jeunesse, respecté dans l'âge mur et méprisé dans ma vieillesse; c'est à toi que je dédie mes Mémoires. Gentil public! enfin je suis hors de ton attente, car je suis mort, et par conséquent sourd, aveugle et muet. Puisses-tu jouir de ces avantages pour ton repos et celui du genre humain."

Nach langer Abwesenheit kehrte Raftoptschin wieder nach Moskau zurück, beschäftigte sich dort mit der Aufstellung seiner kostbaren Gemäldesammlung und anderer Kunstschäße, zeigte sich aber wenig in der großen Welt und verbrachte den größten Theil seiner Zeit in der Einsamkeit. Der Tod seiner Lieblingstochter versenkte ihn in tiefen Schmerz; er überlebte sie nicht lange. In den ersten Tagen des Jah res 1826 verschied er in seinem Palais zu Moskau. Auf seinem Grabe wurde ihm ein Monument errichtet mit der von ihm selbst verfaßten Inschrift: Inmitten seiner Kinder sucht er Ruhe vor den Menschen."

Mannigfaltiges.

Die Schriften der Prinzen von Orleans. Von den beiden interessanten Monographieen, die der Herzog v. Aumale über die,,Zuaven“ und die „Jäger von Vincennes" geschrieben und die in der Revue des deux Mondes vom 15. März und 1. April d. J. abgedruckt waren, ist in Brüffel eine besondere,,Édition autorisée en Belgique et à l'étranger, interdite en France" erschienen.°*) Wir haben dieser beiden Arbeiten, von denen auch bereits vollständige deutsche Ueberseßungen vorhanden, in unserem Blatte bereits gedacht und bemerken daher nur, daß sich der Brüffeler Abdruck durch seine Ausstattung sehr empfiehlt. In demselben Verlage ist früher auch ein Abdruck der von dem Prinzen von Joinville verfaßten,, Essais sur la marine française" erschienen.

- Villemain's akademische Reden und Schriften. Villemain, der ehemalige Minister des öffentlichen Unterrichts, der jest hauptsächlich in der französischen Akademie die alte royalistische Gefinnung vertritt, hat so eben eine Sammlung seiner akademischen Vorträge und kleineren literarischen Abhandlungen neu abdrucken laffen. ***) Es befinden sich darunter seine berühmten,, Eloges" von Montaigne und Montesquieu, seine Abhandlungen über Fenelon und Pascal, so wie sein Vortrag über die Verdienste und die Nachtheile der Kritik in ihrem Verhältnisse zur Literatur. Freunden einer belehrenden, geistreichen Unterhaltung können diese Schriften des berühmten Akade= mifers, der vor zehn Jahren bekanntlich eine Zeitlang geisteskrank war, jedoch seitdem wieder völlig genesen ist, mit Recht empfohlen werden..

*) Sie wurden erst im Jahre 1835 im Pariser Journal Le Temps ger druckt, aus welchem sie in alle europäischen Sprachen übersezt wurden. Wir haben sie damals auch in unserem „Magazin“ mitgetheilt.

**) Les zouaves et les chasseurs à pied, par S. A. R. Mgr. le dac d'Aumale. Bruxelles, Meline, Cans & Co.

***) Discours et mélanges littéraires, par M. Villemain. Paris, Didier, 1855.

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dem häuslichen, familiären Mittagsmahle entwickelte sich das Diner, das Festessen als große soziale und politische Institution, die so wichtig geworden, daß die festesten Throne davon abhängen (hätte sie Ludwig Philipp damals ruhig effen lassen, regierte er vielleicht heute noch als König des Friedens) und die neue Freundschaft zwischen Frankreich und England sich neulich nicht anders bewähren konnte, als durch eine faft ununterbrochene Reihenfolge von großen alliirten Mahlzeiten.

Das Guildhall-Napoleons-Frühstück in Einem Bande. Verschiedene Philosophen haben verschiedene Merkmale angegeben, Gesegnete Mahlzeit! Jezt sind wir bei der Sache, leider allerdurch welche sich der Mensch wesentlich vom Thiere unterscheide; aber dings nicht bei der Mahlzeit selbst, sondern bei der Literatur, dem alle hielten nicht Stich, bis ein Franzose das Richtige traf. Der großen Foliobuche derselben, des größten Festessens dieses JahrhunMensch ist das einzige Thier, das,,kocht", sagt er. In allen anderen derts nach dem ersten großen Wellington-Waterloo-Bankett, dem, guten und schlechten Eigenschaften und Fertigkeiten hat der Mensch Napoleon-Bankett, genossen in der Guildhall der City von London unter den Thieren Kollegen, Konkurrenten und sogar seine Meister; am 20. April d. J. Wir widerstehen hier der Verführung, höhere Beaber noch nie hat man unter den Weiseften der Thiere Arten oder trachtungen über das epigrammatische Zusammentreffen dieser beiden Exemplare gefunden, die ihre Mahlzeiten durch Feuer oder gar Sau- Banketts und der Niederlage des größten englischen Stolzes, der cen schmackhafter machen. "In der Kochkunst liegt also die einzige vierzig Jahr lang an die Waterloo-Banketts (wobei Blücher gar nicht wahre und wesentliche Tugend, worin der Mensch Mensch ist. Eben mehr erwähnt ward) knüpfte, anzustellen, da wir entschlossen sind, uns so ist die Art, wie der Mensch kocht oder vielmehr die Kunstwerke der rein literarisch an dieses merkwürdigste Produkt der englischen LiteraKüche verzehrt, die einzig wahre Elle der Civilisation. Die civilifirte tur zu halten. Es ist ein „voller, wahrer und genauer Bericht über Menschheit bezeichnet die Grade ihrer Civilisation wesentlich durch die das Frühstück, welches die City-Obrigkeit von London Sr. Majestät Art, wie sie soupirt und dinirt. In dem Grade, in welchem der dem Kaiser Napoleon III. in Guildhall“ gab. Man erstaunt hier über Mensch civilisirter wird, dinirt er. „Als wild' im Wald der edle die Erhabenheit und den Reichthum von Maschinerie, die in Bewegung Wilde rannt", wußte er nichts von wildartig geschmorter Hammelkeule gesezt werden mußte, um dieses Frühstück in Scene zu sehen und aufund war unschuldig der Schildkrötensuppe, wurden seine Träume nicht zuführen. durchkreuzt von Indigestionen aus pâtés chauds aux bécassines oder noix de veau en daube. Der edle Wilde" in seiner Höhle hatte keine Ahnung von den civilisirten Gefühlen eines Herrn, der am Morgen nach einem Festessen aufwacht, klingelt und zum Doktor schickt. Entweder kochte er gar nicht, oder wenigstens nicht wissenschaftlich, nicht künstlerisch, blos aus Nothwendigkeit. Er hatte erst den Hasen oder sonst einen Braten zu fangen, ehe er ans Kochen und Zurichten seines Mahles denken konnte. Oft hielt er sich auch nur den „besten Koch", den Hunger, und verschlang den Hasen oder sonst ein erwischtes Thier roh. Bei alledem hatte er nie eine Ahnung von unserem modernen civilisirten Diner. Wenn er aß, frühstückte er immer blos, insofern wir mit dieser Mahlzeit auch keine soziale Kunst verbinden. Zu dem gesellschaftlichen Essen mit mindestens drei Gängen, einigen Toasten und feurigen Reden, die hernach am folgenden Morgen in den Zeitungen stehen und so albern aussehen, bringt es selbst der civilisirte Wilde unserer Tage nicht.

Nein, der edle Wilde dinirte nicht. So wie sich Menschen zu einem gesellschaftlichen Mahle niederfeßen, haben sie aufgehört, Wilde zu sein. Was ist der Mensch ohne Appetit?" ruft ein großer deutscher Dichter. Was ist aber der Mensch ohne den gebildeten Appetit? Welcher gelehrte Denker ist weise genug, zu erforschen, was die Menschheit Alles der Erziehung des Appetites verdanke? Gleichzeitig mit der Entfaltung des Geschmacks an guten Speisen und gebildeten Getränken schwoll das Segel des Schiffes für große Handels-Unternehmungen, wegte sich der Wig, stählte und bildete sich der Arm, schärfte sich das Auge, bewaffnete sich die Wissenschaft und der forschende Gelehrte mit Mitteln und Werkzeugen zur Ausfindung von Naturgeheimnissen, durch welche es uns möglich ward, die rechten Mittel zum rechten Zweck, das richtige Fleisch zur richtigen Sauce zu wählen, um die beste Traube, das aromatischste „Deckblatt", gute Gährung und sogar Destillation nach der Aesthetik des Appetites zu lenten und zu leiten. Die Oberflächen und Höhen und Tiefen der Erde und des Oceans wurden durchsucht und erforscht, um neue Fleischsorten und unerhörte Delikatessen vor den Stufen des aller höchsten Thrones, dem Magen, niederzulegen und sie von ihm verzeh ren zu laffen, wie es die alten Götter thaten. Mit der Ausbreitung des Tischtuches breiteten sich Intelligenz und Verfeinerung der Sitten aus. Mit der Zeit ward der Mittagstisch tägliche Häuslichkeitsfitte. Verwandte Seelen lernten zusammen effen und trinken. Diese Kunst ward Mutter der Conversation und bildete die Höflichkeit zur Ge wohnheit aus. Selbstsucht und einsames Vertilgen ward ein barbarisches Laster. Man lernte zu Tische einladen, sich bei Tische beneh men und feine Karnivorität kontroliren, reguliren und ästhetisiren. Aus

Es beginnt mit dem Fundamente aller öffentlichen Lügend und Civilisation, der Polizei, dem Berichte der Polizei-Kommiffion, welche die äußerlichen Bedingungen des allerhöchsten alliirten Frühstückes schaffen und schieben mußte. Sie sandte eine Deputation, an den Mi-: nister des Innern, durch welchen sie erforschen mußte, zu welcher Stunde es den Herrschaften möglich sein würde, von ihrem anderweitigen Effen ein paar Stündchen für Guildhall abzumüßigen, eine Deputation zum Commandeur der Truppen, um die Straßen würdig mit rothem Tuch einzufaffen und die Wagen von allen Seiten zu umreiten, zum Master General der Kavallerie, um eine Anleihe von Pferden für den Lord-Mayor, die Aldermen und die Sheriffs zu machen, zu der Obrigkeit der modernen Templer-Ritter neben Temple-Bar, um den Gebrauch des Temple-Gäßchens als einer Pferdeftation zu erbitten; fie mußte die Ordnung der Prozession entwerfen; prüfen lassen. und deren Ausführung garantiren, alle interesfirten Parteien mit dem gedruckten Programm derselben versehen, ihre Kräfte disponibel machen und strategisch postiren. Dann folgen genaue Details über die Prozession, so genau, daß man nicht nur erfährt, wer in jedem Wagen saß, sondern auch wer rechts, wer links, wer vor, wer rückwärts. Dieselben Details giebt der Bericht über die zurückkehrende Prozession. Der erhabene Folioband läßt dann dankende Lobeserhebungen gegen eine Menge,,ausgezeichneter" Persönlichkeiten, die sich beim Frühstück und für die Glorie desselben durch besonderen Eifer hervorthaten, folgen und empfiehlt mehrere Superintendenten und Inspektoren zu Gratificationen". Der polizeiliche Theil dieser literarischen Produc-. tion schließt mit einem genauen Berichte über Decoration der Prozessionsstraßen, die Abschließung von Nebenstraßen, die Dessins, die Gravirung und den Druck der Einladungskarten, die Vertheilung der Policemen, Feuermannschaften, Spezial-Constabler, „Wächter" in Civil und unzählige andere Dinge, an die wir bei unseren Frühstücken gar nicht einmal denken.

Der zweite Haupttheil, Bericht der Unterhaltungs-Kommission", schildert die. Verdienste der Aldermen und City-Bürger, denen die Pflicht übergeben worden war, alle Freuden und Schönheiten, die sich irgend bei einem folchen Frühstück anbringen ließen, herbeizuzaubern. Ihre erste Mission war die Reinigung und Ausschmückung von Guildhall mit neuen patriotisch-alliirten Decorationen, die Einziehung neuer Gasröhren, die Herbeischaffung aller augenfälligen, kostbaren Insignien und Kleinodien der City-Innungen, die Erborgung goldener Geschirre von den Gilden, deren einige für mehr als eine Million Thaler Gold und Silber. in Tellern, Messern, Gabeln u. f. w. angelegt haben, die Herbeischaffung des Musikdirektors der Königin zur Leitung des AntiWater-Law - Alliance - Guildhall - Gabelfrühstück- Konzerts, dann Erfin

dung und Ausführung von Illuminationen und Fahnen-Decorationen in den Straßen, endlich die Erborgung von Waffen, Flaggen, Bannern u. s. w. aus den verschiedenen Kriegs-Departements und die Anbringung derselben im Frühstückslokale. Den dritten Haupt-Abschnitt bildet ein genauer Katalog aller anwesenden Gäste, unter denen kein einziger Name von Gewicht im ganzen vereinigten Königreiche fehlen soll: der Königlichen Familie, der Königlichen Herzoge und Herzoginnen, der Gesandten aller vertretenen Höfe, der höchsten Staatsbeamten, der höchsten Richter des Königreichs, der beiden Erzbischöfe, einige Kolumnen von Herzogen, mehrere Kolumnen von Lords und Earls, noch mehr Kolumnen von ,,Right Honourables" und endlich einen Katalog der höchsten City-Corporations- Beamten.

Nach der neuen Gesundheitslehre ist es vor allen Dingen erforderlich, zu den festen Speisen viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Eingedenf dieser Höhe der Makrobiotik hatte die City Obrigkeit 180 Dugend, d. h. 2160 Flaschen Claret, Burgunder, Hock und Champagner, und mehrere andere Dußende von Flaschen Tokayer, Sherry, Pararetta und Blanco-Tinto-Madeira anfahren lassen. Der Sherry war durchweg über hundert Jahr alt.

Aber wozu die Flüssigkeiten, wenn nichts darauf und darin schwimmen soll? Also war auch für entsprechende Speisen gesorgt, deren Liste aber viel länger ist, als der Homerische oder selbst der DundasBaltische, Kronstadt (in Acht) nehmende Schiffs-Katalog. Ich erwähne nur die Aufzählung von französisch benannten, völlig unübersehbaren, mir ganz dunkeln, kulinarischen Meisterwerken, über 2000 Turrinen und Schüffeln der allertransscendentesten Delikatessen, darunter 220 Turrinen echte Turtel-Suppe, 50 gekochte und 60 geröstete Truthähne, 80 Fasanen, 40 Schüffeln Rebhühner, 40 Schüsseln Kapaunen, 140,,Jelhe, 100 große Ananas, 200 Schüffeln frische Weintrauben, 200 Schüfseln Eis-Crême und eine entsprechende Anzahl anderer eßbarer Dinge, die sich von selbst verstehen.

Und doch kostete das Frühstück nicht mehr als etwas über 2000 Pfd. Sterl., höchstens 15,000 Thaler. Das war freilich das Wenigste, denn je civilisirter ein Festeffen ist, desto mehr ist das Effen, selbst das Trinken, Nebensache. Und so erfahren wir denn auch, daß die NebenAusgaben über 6000 Pfd., über 40,000 Thlr., betrugen, so daß wir nunmehr hier ein Gabelfrühstück für viel mehr als 50,000 Thlr. vor uns haben (d. h. im Geißte, im Buche, literarisch, denn sonst würde ich schwerlich so nüchtern gelehrt darüber schreiben).

Wie sich solche kleine Neben-Ausgaben bei solchen Gelegenheiten zusammenläppern, ist leicht zu begreifen. Die Arrangements für Tische und Stühle kosteten 1800 Pfd., die Decorateurs 1750, die Illumina tionen 1000 (die Sonne, in der heutzutage nur Sonnenbrüder effen, war als Plebejerin ganz und gar ausgeschlossen, so hell und rein fie auch gerade während der Zeit schien), die Trinkgelder 300, die Miethe für Blumen und dekorative Pflanzen 40 Pfd. Die übrigen Neben-Ausgaben gingen für Musik, Druck, Papier, Teller- und Geschirr-Miethe darauf.

Und dabei frühstückte man blos zwei Stunden, von zwei bis vier Uhr. Länger ging es nicht, da sonst die Mittagsbrodsuppe, die um fünf Uhr im Buckingham-Palaste aufgetragen ward, kalt geworden wäre. Merkwürdig aber ist und bleibt dieses Frühstück, nicht nur, weil es so viel kostete und so Vieles gekostet ward, was selbst die Königin, ja, selbst der Kaiser, sich nicht alle Tage kochen laffen kann, nicht nur, weil die Engländer nun nie wieder waterlooeffen können, nicht nur wegen der vielen Comités, Direktoren, Controleurs und Superin tendenten desselben, sondern auch oder vielmehr, weil es einen Historiker gefunden und als dicker Folio-Band in der Literatur eine ganz neue Stelle einnimmt und künftige Historiker nöthigen wird, ganz neue Ueberschriften, Paragraphen, Ausdrücke und Schilderungen zu erfinden und die ungeheuer schwere Nomenklatur französischer Kochkunft zu studiren. Was könnten künftige Raumer, Leo und Ranke mit dem Buche anfangen, wenn sie nicht wenigstens ein Semester die gigantischen Speisezettel der größten Pariser Restaurants vorher durch- und heruntereffen und sich Noten dazu machen? Ohne solche neue QuellenStudien wird eine gute Geschichte der neuen, westlich-civilifirten, und, wenn auch nicht Ruffen, so doch Russell vernichtenden Allianz gar nicht möglich sein.

Ja, dieser alliirte Gabelfrühstücksbericht ist ein Buch, das seines gleichen nicht hat und schwerlich je haben wird. Durch beigefügte Zeichnungen und Zahlen ist der Bericht so genau geworden, daß die spätesten Jahrhunderte noch ohne Schwierigkeit mathematisch genau beftimmen können, wo Mrs. Brown saß und wo Mr. Brown saß, wo Viscount und Premier aller Ruffenfeindschaft Palmerston mit Mrs. Copeland, Wein nahm" und wo John Johnson mit John Johnston „Civilitäten wechselte“. Kein Irrthum möglich unter diesen Hunder ten der Allerhöchsten und Höchsten Gabelfrühstück-Alliirten. Jeder bleibt fest und klar auf seinem Plaße, ewig lebensversichert gegen Vergessenheit, Verwechselung, Entstellung und sonstige Marotten der Geschichte. Während Tausende auf der Krim umkamen und John

Jones, wie er zeitlebens hieß, als Tom James in der Zeitung unter unaufhörlichen Listen von Todten verewigt ward, kann hier den alliirten Patrioten kein Haar entstellt werden, dafür sorgt das historische Folio-Buch der City-Corporation. Sie war gerechter gegen ihre Nekruten am Tische. Thun Sie Ihre Schuldigkeit und langen Sie zu, und ob Sie im Kampfe mit den Elementen des Weines und der soliden Schüsseln unterliegen oder ihn überleben, Sie sind und bleiben eingeschrieben auf die Rollen der Fama, und Ihr Name wird unrostbar von Geschlecht zu Geschlecht bis in das leßte Kapitel der Geschichte getragen, und dann können Sie sich noch in Geldverlegenheit darauf berufen und auf Ihren bloßen Namen geborgt bekommen.

Um schließlich zu unserem Anfange zurückzukehren und unseren Artikel abzurunden, bemerken wir noch, daß das große Frühstückgeschichtsbuch in der Einleitung frühere City-Bankette und deren Kostenverhältnisse erwähnt, aus denen der Fortschritt der Civilisation im Verhältnisse zur Spiritualifirung der Ausgaben für Essen und Trinken deutlich hervorgeht. Je weniger bei einem Festeffen fürs Effen ausgegeben wird, desto civilisirter ist es. Die City-Banketts kosten von je her 5000-20,000 Pfund. Das legte Bankett, wie wir es aus der Quelle historisch stizzirt haben, nahm blos etwa ein Viertel für den gastronomischen Theil in Anspruch. Früher, unter Georg III., ging ein ganzes Drittel auf diesen Theil, in einer noch früheren Periode wurde über die Hälfte aller Ausgaben direkt auf den Magen verwendet. Diese allmählichen Fortschritte beweisen, wie der intellektuelle, dekorative, demonstrative, ideale Theil der Banketts immer mehr in den Vordergrund trat, was in England viel ernsthafter zu nehmen ist als anderswo. England ist konservativer, als irgend ein anderes Volk der Erde, so daß es hier schwerer als irgendwo hielt, von dem nationalen Dogma: Essen, nur um zu essen, und zwar nicht nur gehörig, sondern auch gut - die Gemüther allmählich an eine höhere Auffaffung und Ausführung von Banketts zu gewöhnen und mit der ,,westlichen Civilisation" in Einklang zu bringen. Früher aß der Engländer blos, ohne dabei zu sprechen. Das Essen war ihm das A und O, die Sache selbst. Von diesem Standpunkte hat er sich bereits so weit erhoben, daß er selbst bei gewöhnlichen Mahlzeiten zuweilen sprechen soll, bei sozialen Konvivialitäten aber nicht nur ungeheuer viel Toaste ausbringt, sondern auch bis ins Unendliche Reden hält. Reden ist ihm so sehr zur Hauptsache geworden, daß bekanntlich der Lord-Mayor bei einem Festessen in Paris sich mit einem Alderman sofort boren wollte, weil dieser ihn mehrmals am Aermel gezupft, um ihm durch diese Blume zu verstehen zu geben, daß nicht er rede, sondern zu viel Wein in seinem Kopfe.

Was den Verfasser des hier besprochenen Geschichtsbuches betrifft, so ist darüber noch nichts Genaues bekannt. Bestimmt aber ist, daß er weder,,Klio" heißt, noch daß ihm diese Dame ihren Griffel dazu lieh.

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So wie man in die Vorhalle tritt, erhält man von einem Beamten (es ist hier Alles wie in einer großen Administration eingerichtet) eine gedruckte Speisekarte, auf welcher die zu habenden Gerichte und Getränke mit Angabe der Preise verzeichnet stehen. Man ist über die Billigkeit erstaunt und geht an ein paar Tischen, auf denen das rohe Fleisch erster Qualität ausgestellt ist, vorbei in den Speisesaal. Dieser bietet nun einen äußerst interessanten Anblick dar. Nechts und links lange Reihen kleiner Marmortische, rings herum breite Galerieen, auf denen ebenfalls gespeist wird. In der Mitte des Saales felbft stehen zwei große offene Dampfküchen, deren ökonomische Einrichtung und Sauberkeit bewundernswerth ist. Sehr anständig gekleidete Frauen von seltener Reinlichkeit holen aus den ungeheuren Töpfen die Speisen und die Stücke Fleisch heraus, schneiden ab, und man hat hier den Vortheil, der einem in Paris nicht immer zu Gebote steht: zu sehen, was man eigentlich ist. Sobald man eine Speise bestellt hat, macht der Kellner auf die Speisekarte, die man von der Thür mitbrachte, ein Kreuz. An jedem Marmortisch ist eine aufrechtstehende Röhre angegebracht, an welcher sich zwei Drücker befinden. Aus diesen Röhren, die unter den Tischen fortlaufen, ftrömt so viel Selterser-Waffer, als man trinken will, und für das Recht, diese Röhren bei Tische zu benußen, bezahlt man bei der allgemeinen Rechnung zwei Sous (kaum einen Sgr.). Ift man mit dem Effen fertig, so geht man mit seiner Karte hinaus. Man kömmt von selbst an den Comtoiren vorbei, an denen mehrere Damen fißen, welche im Nu die Rechnung, die man ihnen mit der Karte ja selbst präsentirt, zusammenaddiren. Hat man gezahlt, so erhält man die Karte zurück und giebt sie beim Herausgehen einem Controleur ab. Trinkgeld an den Kellner wird nicht verabreicht. Alle Speisen sind einfach zubereitet, aber äußerst geschmackvoll, und in

keiner Restauration von Paris kann man besseres Fleisch effen als hier. Anderthalb Francs (zwölf Sgr.) find zu einem Diner genügend. Der Erfolg dieses Etablissements ist so außerordentlich groß, daß zwischen sechs und sieben Uhr in der Regel achthundert Personen auf einmal in dem Saale effen, so daß man für kurze Zeit die Gitter schließen muß. Herr Duvel errichtet im Ganzen zwölf Anstalten der Art in Paris, und zwei kleinere existiren bereits in anderen Stadttheilen.

Meine jeßige Wohnung ist so bequem gelegen und gefällt mir so gut, daß ich, da in dieser Periode des Aufräumens mit alten Häufern ihre Tage gezählt sind, nicht umhin kann, ihr hier ein Denk mal zu sehen. Am Théâtre Français, das bekanntlich zum Palais Royal gehört, soll ein Plaß angelegt werden, welcher Place de l'Impératrice heißen wird, und ein Boulevard de l'Impératrice soll von da aus nach dem Eisenbahnhofe der Rue Saint Lazare führen. Deshalb muß der Theil der Rue de la Fontaine-Molière in welchem ich wohne, und ferner die Rue d'Argenteuil, die Rue l'évêque, die Rue des Frondeurs, die Passage Saint Guillaume u. f. w. fallen. Leßtere verdient dies am meisten, denn sie verunstaltet wirklich das ganze Viertel. In der Rue d'Argenteuil wird auch das Haus eingeriffen, in welchem Corneille gestorben ist, und so schwinden denn überhaupt die Zeugen alter Zeiten immer mehr. Das Haus, in welchem ich wohne, hätte noch ein paar Jahrhunderte stehen können, es stammt aus der Zeit Ludwig's XV. und ist ganz von Quadersteinen erbaut. Die Wohnungen sind hoch und geräumig, und ich würde sie weniger bedauern, wenn mir nicht bevorstände, jeßt auch in eines dieser neuen Häuser ziehen zu müssen, wo jeder Zoll Breite und Höhe zum Vortheil des Hauseigenthümers ausgemessen ist, wo man eine Kammer mit zwei Fenstern einen Salon nennt, und wo der Portier die Treppen täglich dergestalt mit Wachs polirt, daß man Hals und Beine darüber brechen kann. Diese Mode, die Treppen zu bohnen, ist ganz annehmbar, wenn man die Mitte der Treppe mit Teppichen belegt; ohne solche sind die glatten Treppen in Paris, besonders für Kinder, höchst gefährlich.

Es stehen uns in nächster Zeit noch andere sehr bedeutende BauUnternehmungen bevor. Von dem Boulevard du Centre, der den Straßburger Bahnhof mit der Seine in gerader Linie verbinden soll, habe ich Ihnen schon früher gesprochen. Man wird nun aber auch einen Boulevard du Nord in der Nähe des Nordbahnhofes anlegen und den Boulevard Malesherbes von der Magdalenen-Kirche bis zu der Barrière de Courcelle führen. Die Avenue de l'Impératrice, die den Triumphbogen direkt mit dem Gehölz von Boulogne verbindet, ist bereits eröffnet und wird, wenn sie einmal zu beiden Seiten mit Landhäusern besezt sein wird, einen reizenden Anblick darbieten. Die Anlage dieser großen Straße hat zwar auch die Zerstörung einiger Grundstücke nothwendig gemacht, aber da sie vor dem Thore liegt, so läßt sich die Zerstörung, die dort vorgenommen worden ist, mit der, welche bei neuen Anlagen in der Stadt selbst vorkommen, gar nicht vergleichen. Die geringste Veränderung kostet hier gleich Millionen. Der Justiz-Palast, der bereits seit Jahren vergrößert und reftaurirt wird, ist nach der Seite des Pont neuf hin von alten schmugigen Gebäuden umgeben, die ihn fast ganz verbergen. Alle diese Gebäude werden nun eingerissen, so daß der Palast auch nach dieser Seite vollständig frei dastehen wird. Die ganze Cité wird dadurch ` verschönert werden. Die Bau- und Verschönerungssucht geht jezt in Paris so weit, daß man sogar zu folgendem höchst originellen Projekte gekommen ist. Man findet nämlich, daß in Paris zu viel Wagen zirkuliren, und Philanthropen haben berechnet, daß täglich wenigstens ein Mensch als Opfer dieser Ueberfüllung an Wagen fällt. Man hat also ganz einfach die Anlage unterirdischer Eisenbahnen vorgeschlagen, welche, den Haupt-Adern der Stadt in entgegengeseßten Richtungen folgend, Waaren, Möbel, Steine u. f.w., die sonst den Lastwagen aufgebürdet werden, transportiren sollen. Der Plan scheint mir im Ganzen unausführbar, und am wenigsten würde man einen philanthropischen Zweck damit erreichen, denn bei regem, sehr komplizirtem Verkehr auf unterirdischen Eisenbahnen könnte doch allerlei Unglück vorkommen. Aber ich glaube, daß die Herren Pereire längst den Plan hatten, unter dem Boulevard de Strassbourg und dem diesen fortseßenden Boulevard du Centre in gerader Linie eine unterirdische Eisenbahn bis zu den Central-Hallen (Märkten) anzulegen, die ausschließlich zum Transport der Eßwaaren bestimmt sein soll. Eine solche Bahn ließe sich allerdings sehr wohl ausführen.

Bewundernswerth ist die Anlage der Rund-Eisenbahn um Paris, die ihrer Vollendung entgegengeht. Die Anlage der Stationen vereinigt Bequemlichkeit und Eleganz; auch sind die Preise äußerst niedrig und werden durch Abonnements noch niedriger gestellt. Die von Pferden bediente Eisenbahn, die von dem Concordien-Plaße nach Passy und Auteuil geht, hat außerordentlichen Erfolg. Anfangs wurde sie vom Publikum wenig beachtet. Der Unternehmer, wenn ich nicht irre, ein Amerikaner, transportirte die Leute eine Zeitlang gratis, und jest findet man die Einrichtung außerordentlich bequem. Auf dem

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Concordien-Plaße, ganz dicht an dem Langbau der Industrie-Ausstellung, sieht man den ganzen Tag einen Riesen-Omnibus stehen, der innen und oben, vorn und hinten dicht mit Menschen besezt ist. Dieser Omnibus steht auf Eisenschienen, und so wie der Zug, welcher von Paffy zurückkehrt, auf dem Concordien-Plage anlangt, fährt der auf demselben haltende ab. Der Eisenbahnhof ist hier die freie Straße, Diese Wagen sind äußerst bequem eingerichtet. Die inneren Size sind gepolstert und durch Thüren von zwei Balkons am vorderen und hinteren Theile des Wagens geschieden. Jeder Balkon enthält zwölf Stehpläge. Mittelst einer Treppe steigt man auf die obere Gallerie, auf der man ebenfalls sehr bequem sist. Nach Passy zahlt man nur drei, nach Auteuil vier Sous (14-2 Sgr.).

Alle diese Einrichtungen machen der jeßigen Administration alle Ehre. Noch nie hat man so bequem in Paris leben können, noch nie hat die Verwaltung einen so direkten Einfluß auf die Werth-Erhöhung des Privat-Eigenthums gehabt, als jezt. Paris selbst wird durch die Erleichterung in den Verbindungen seiner weit von einander gelegenen Theile größer, denn man wird jeßt wohnen können, wo man früher nur mit Mühe hinkam.

Die Omnibus-Gesellschaften sind seit kurzem zu einer einzigen zusammengeschmolzen worden. Die Stadt, das Publikum und die Unternehmer haben dabei ein gutes Geschäft gemacht: die Stadt, indem sie sich das Privilegium gut bezahlen läßt und sich gewisse Rechte vorbehält, das Publikum, indem es besser und billiger bedient wird, und die Unternehmer, indem sie bei einer der einträglichsten Industrieen keine Konkurrenz mehr zu fürchten haben. Die Einrichtung der Impériales, auf Deutsch Böcke, auf denen der Omnibus-Plaß nur drei statt sechs Sous kostet, ist namentlich für die unbemittelteren Klassen von großem Nußen. Uebrigens sieht man im Sommer auch sehr viel elegante Herren auf der Impériale, weil ihnen dort das Rauchen ge= stattet ist.

Vor einigen Tagen hat die Regierung die Fusion sämmtlicher Gas-Gesellschaften von Paris zu einer einzigen unterschrieben. Die Unternehmer sind wieder die Herren Isaac und Emil Pereire. Das Privilegium ist, glaube ich, auf funfzig Jahre ertheilt, und die Herren Pereire haben sich anheischig gemacht, troß der sehr bedeutenden Steuer und der 200,000 Francs, die sie der Stadt als Miethe für die unterirdischen Röhren zahlen, das Gas billiger zu liefern und, wenn der Reinertrag eine gewisse Höhe von Prozenten übersteigt, die Stadt davon profitiren zu laffen. Dadurch, daß die Gasbereitung in unternehmende Hände gekommen ist, wird jest in Paris das Gas auch zum Heizen und Kochen verwendet werden. Die Heiz- und Koch-Apparate von Elsner in Berlin, die jeßt im Industrie-Palaste ausgestellt sind und allgemeine Bewunderung erregen, find auch für die neuen Unternehmer der Gasbereitung für Paris von großem Interesse, und ich würde mich keinesweges wundern, wenn man diese Apparate zu Mustern nehmen würde. So viel für heute über die neuen Pariser Bauten und industriellen Unternehmungen; ein bald folgender, zweiter Bericht soll den neuen literarischen Erscheinungen und der Universal-Ausstellung gewidmet sein.

Holland.

Mittheilungen aus dem Gebiete der Kunst und Literatur. *)

Holland ist nicht, wie Frankreich, ein Land, in welchem man die ernsthaften Dinge mit Lachen und die Kleinigkeiten mit Ernst behandelt. In Holland ist man ernst, bedächtig, phlegmatisch. Man stelle sich einen alten reichen Mann vor, gut erzogen, sehr unterrichtet, mit gesundem Menschenverstande begabt, Kunstfreund von Natur und durch Erziehung; klug, aber weder philosophisch, noch erfinderisch, von Verehrung für seine Vorfahren erfüllt, welche große Männer waren, und sich für seine Person damit begnügend, ein rechtschaffener Mann zu sein. Einem solchen Mann ist das heutige Holland zu vergleichen. Man wird sich vorstellen können, wie seine Literatur beschaffen ist. Sie ist nicht mehr das schöne poetische Feuer des siebzehnten Jahrhunderts; sie ist ein anständiges Licht, welches nicht zündet, aber gehörig leuchtet und überall leuchtet. Sie hat ihre Größe in der Bildung; ihre Zukunft sind die angewandten Wissenschaften. Nach dieser Einleitung gebe ich die literarischen und artistischen Neuigkeiten, so viele ich ihrer habe zusammenbringen können.

Die Statue Wilhelm's II., die jezt einen der Pläge der Residenz schmückt, befriedigt diejenigen nicht ganz, die gemeint haben, Herr Eduard Georges würde eben so viel Poesie nnd Idealität in der Darstellung eines großen Charakters, als Geschicklichkeit in der materiellen Ausführung der Details an den Tag legen. Die vier allegorischen Figuren, welche das Piedestal umgeben, die königliche Würde, die Gefeßgebung, die den Wissenschaften und den Künsten gewährte

*) Nach einem Korrespondenz-Artikel im Athenaeum Français.

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