tischen Livonienser, denen das enge Aneinanderschließen auf der Universität Dorpat Gelegenheit gab, gemeinsam durch Wort und Schrift auf die Widerstandsfähigkeit des deutschen Elements kräftigend zu wirken, und die, auch umhergesprengt im weiten Reiche Nußland, sich geistig doch nimmer von ihrer Heimat zu trennen vermochten. Sterns Begabung brach sich in der Dichtkunst Bahn. In seiner Jugendzeit wußte manch Lied von ihm gleichbesaitete Seelen zu erfrischen. Der amtliche Beruf verschlug | ihn weit hinein in das Innere des Reichs, aber die Sehnsucht | nach der heimatlichen, der deutsch bewegten Luft zog ihn, nach Jahren streng durcharbeiteter Praxis, zurück nach dem baltischen Meere. Freilich mit krankem Körper wanderte er dort wieder ein, aber mit einem Gemüth, das sich ganz dem Genusse der neu erlangten deutsch-geistigen Kost überließ. Wie sehr er sich als Glied nicht allein des livonischen Deutschthums, sondern Deutschlands überhaupt fühlte, bewies er während des französisch-deutschen Krieges, dessen Verlauf ihn in die freudigste Aufregung versezte. Und die lange im Schlummer gelassene Dichtkunst regte sich wieder in ihm, freilich nur um wehmüthigen Betrachtungen Ausdruck zu geben. Am 7. August 1870 schrieb er das leßte Gedicht nieder, ein Lebewohl, ein dichterisches Testament seinem Heimatlande. Wir entnehmen daraus, mit Verlaub geehrter russischer Zensur, folgende Verse: Glady frères neu in einer Prachtausgabe erschienen, die durch das Zusammenwirken mehrerer Künstler zu einem geradezu fabelhaften Luruswerk geworden ist. Elzevirische Charaktere feinster Klarheit, Anmerkungen von Anatole de Montaiglon, Stiche von Leopold Flameng und Jules Jacquemart, Verzierungen, Initalen und Fleurons im Geschmack des 18. Jahrhunderts von Emil Reiber gezeichnet und von Pannemaker gravirt, japanesisches, ewig dauerndes Papier und das theuerste Lurusperga. ment machen das Werk zu einem in seiner Art einzigen. Nicht minder merkwürdig ist die Vorrede des neuen Akademikers | Alexandre Dumas, der durch die Dramatisirung eines verwandten Stoffes, la Dame aux Camélias, für die französische Bühne eine neue Aera herbeigeführt hat. Boelkel Aus dem Sommer-Verzeichniß der Vorlesungen der Akademie für moderne Philologie erwähnen wir folgende: Historische Grammatik der deutschen Sprache und Walther von der Vogelweide, W. Begemann. Angelsächsische und altenglische Übungen, Dr. Zernial. Historische Grammatik der englischen Sprache, Dr. Immanuel Schmidt. Die Lehrmethode der englischen Grammatik, Dr. van Dalen. Das Studium Chaucers, Dr. Th. Vatke. Spensers Faery Queene und Privatissima, Prof. Dr. Herrig. Shakespeares Hamlet, Prof. Dr. Leo. Dickens Christmas Carol, Dr. A. Hoppe. Johnsons Circle at the „Mitre", Prof. G. Boyle. Englische Stil- und Vortrags-Übungen, Mr. Wright. Französische Syntax, Stil- und Vortrags-Übungen, Dr. Goldbeck, Pariselle und Burtin. Historische Wortlehre des Französischen, Dr. G. Lücking. Französische Aussprache und Horace von Corneille, Dr. Benede. La chanson de Roland, Dr. Scholle. Les lettres provinciales · p. B. Pascal, Dr. Crouze. Provenzalische Grammatik und Gedichte, Prof. Dr. Mahn. Histoire de la littérature française und Exercices orthoépiques et prosodiques, Mr. Marelle. Italiänische Syntax und Dantes Paradiso, Dr. H. Buchholz. Spanische Grammatik und Don Quijote von Cervantes, Dr. Foerster. Komödien von Holberg, Dr. Chr. Rauch. Schwedische Grammatik und Tegnérs Frithjofssaga, Dr. von Nordenskjöld. Erscheint jeden Sonnabend. 44. Jahrg.] Inhalt. Deutschland und das Ausland. Das Licht. 273. leben Dresdens. 274. Begründet von Joseph Lehmann. Berlin, den 8. Mai 1875. Frankreich. Memoiren des Grafen Miot de Melito. Kleine literarische Rundschau. Mose und Zipora. 284. König, Dichter und Maler. 285. Erzählungen von L. Budde. 285. Nordische Blüthen. 285. Legouvés Pariser Vorträge. 286 Sprechsaal. Der große Krach. 289, Premiers lundis. 226. Maurice Blocks französisches Staatswörterbuch. 286. Baumgartens französische Bibliothek naturwissenschaftlicher Studien. 287. Kolonna am Kephisus in Attika. 287. Erklärung. 287. Deutschland und das Ausland. Das Licht. Die chemischen Wirkungen des Lichtes und die Photographie in ihrer Anwendung in Kunst, Wissenschaft und Industrie von Professor Dr. Hermann-Vogel bilden den fünften Band der bei F. A. Brockhaus in Leipzig erscheinenden Inkernationalen wissenschaftlichen Bibliothek. Der Verfasser, welcher als Lehrer der Photographie an der Gewerbe - Akademie zu Berlin seit Jahren. eifrig an der Ausbildung seiner Kunst arbeitet, giebt nach einer gedrängten Einleitung über die Lichtwirkungen im Allgemeinen und über die chemischen Wirkungen im Speziellen eine vollständige Geschichte der Erfindung der Photographie von ihren ersten Anfängen bis zu den neuesten Erfahrungen auf | diesem Gebiete. Die Darstellung ist eine fließende und auch für den Laien verständliche, so daß das Buch gewiß in weiten Kreisen Leser und Freunde finden wird. Was aber dem Buche einen ganz besonderen Werth verleiht, das ist die ausführliche und vollständige Darstellung der technischen und wissenschaftlichen Anwendungen der Photographie, sowie die sehr eingehenden Betrachtungen über die Punkte, welche der Photograph bei seinen Arbeiten beachten muß, um korrekte Bilder zu erhalten. Es gilt bei den meisten Leuten als eine unanfechtbare Wahrheit, daß Photographien „ähnlich“ sein müssen, und selbst die zahlreichen Bei-| spiele von photographischen Portraits, die mit dem besten Willen nicht ähnlich gefunden werden können, vermögen nicht, diesen Bahn zu erschüttern. Professor Bogel beschäftigt sich in seinem Buche eingehend mit diesem Gegenstand, er beweist durch Zeich nungen wie sehr verschiedene Bilder von einem und demselben Gegenstand auf photographischem Wege erzeugt werden können, und wie schwierig oft für den nicht geübten Photographen die Aufgabe ist, den richtigen Punkt für die Aufnahme zu finden. Der Photograph muß, ebenso wie der Maler, die Verkürzungen auf dem Bild richtig darstellen, d. h. so, wie sie unserem Auge erscheinen; geschieht dies nicht, so erhält man ein unwahres Bild. Damit der Photograph dies kann, muß er die Gesetze der Per spektive kennen, und der Verfasser macht in seinem Buche auf die Grundregeln derselben aufmerksam. Ebenso beschäftigt er sich mit den Schwierigkeiten, welche der Herstellung eines guten Porträts durch die Thorheit und Eitelkeit der Personen, deren Bilder an Preis vierteljährlich 4 Mark. [No. 19. gefertigt werden, bereitet werden, und dieses Kapitel möchten wir den Laien sowohl wie auch den Photographen zur aufmerksamen Lektüre empfehlen. Wir haben in dieser Beziehung wiederholt in kleinen und Mittelstädten die wunderbarsten Erfahrungen gemacht, am häufigsten die, daß der Photograph es demjenigen, der photographirt zu sein wünscht, vollständig freistellt, sich seine Stellung selbst zu wählen, wobei man natürlich in den meisten Fällen ein Bild erhält, welches nicht im geringsten den Anforde rungen entspricht, die man an eine gute Photographie zu stellen berechtigt ist. Man vergißt nämlich bei diesem Stellungnehmen und diesen Punkt hat der Verfasser nach unserer Ansicht nicht scharf genug betont gewöhnlich, daß man selbst gar nicht wissen kann, wie die graziöse" Stellung, die man nach sorg. fältigem Studium einnimmt, auf der Bildfläche der Camera obscura erscheint; das kann nur der Photograph sehen und wenn er dies nicht zu beurtheilen versteht, so versteht er auch seine Kunst oder vielmehr in diesem Falle sein „Handwerk“ nicht. Höchst interessant, und für Viele gewiß überraschend, ist der Theil des Buches, welcher von der Anwendung der Photographie im praktischen Leben handelt, aber so mannigfaltig auch diese Anwendungen schon sind, so stehen wir in dieser Beziehung doch erst am Anfang; es liegt noch ein reiches Feld der technischen Ausbeute vor uns, und hoffentlich bringt schon die nächste Auflage des Buches eine Vermehrung dieses Theiles. Ebenso bringt auch hoffentlich die neue Auflage des sonst so trefflich ausgestatteten Buches eine bessere Probe des photographischen Druckes aus dem Atelier der Gebr. Burchard in Berlin, als die auf Tafel V. gegebene Redukzion von einem Theile einer Wandkarte von Ungarn. Wir haben aus dem Atelier dieser Herren so treffliche Arbeiten gesehen, daß es uns leid thun würde, wenn durch eine nicht besonders gelungene Probe ein Vorurtheil gegen derartige Arbeiten erweckt werden sollte. Ausführlich behandelt der Verfasser die Anwendung der Photographie in der Astronomie, das Photographiren der Sonne, der Sonnenflecken, des Mondes, der Gestirne, der Nebelflecke, so wie die Antworten, welche uns hier die Photographie auf bisher unbeantwortbare Fragen giebt. Anschließend daran bespricht er auch den Venusdurchgang und die Aufgabe, welche der Photographie bei den Beobachtungen dieses Phänomens zuertheilt ist. Daran schließt sich dann eine Besprechung all der Dienste, welche die Photographie jezt schon auf den verschiedenen Gebieten der wissenschaftlichen Forschung leistet. Die Mannigfaltigkeit derselben ist erstaunlich; wir führen hier nur an, daß sie benutzt wird, um den Stand von Thermometern und Barometern regelmäßig zu registriren, daß man sogar eine Kontrolle über die Temperatur auf dem Grunde des Meeres durch sie ausüben kann, daß man im Dienste der Medizin Bilder von dem Innern des Auges, des Ohres und dergl. anfertigen kann und daß man schließlich durch die Photographie die Mikroskopie aus dem Stadium der subjektiven Bilder in das Stadium der objektiven Darstellung, deren absolute Richtigkeit nicht angezweifelt werden. kann, geführt hat. Zum Schluß möge uns der Verfasser die Berichtigung eines kleinen und an sich unwesentlichen Irrthums gestatten, der sich bei der Besprechung der Anwendung des Höllensteins als unaus Das deutsche Reich zählt der Mittelpunkte für Ausübung | der Tonkunst ganz zweifellos bei weitem mehr, als irgend sonst ein Land der Welt. Dennoch dürfte der eigentliche Heerd alles Musiktreibens im Vaterlande durch die drei großen, die Winkel eines unregelmäßigen Dreiecks bildenden Nachbarstädte Berlin, Dresden und Leipzig dargestellt werden. Unter diesen Städte-Rivalinnen gelangt wiederum unser deutsches Florenz zu vielfach eigenartigen und anderen musikalischen Resultaten, wie die Schwesterstadt an der Elster oder die Reichshauptstadt, und so dürfte es für Ihre Leser nicht ohne alles Interesse sein, ein allgemeines Bild der Stellung zu gewinnen, die Dresden, wenn man seine Leistungen im Großen und Ganzen überschaut, in der Gegenwart in der Tonkunst behauptet. Gewiß sind auch Geistesmittelpunkte wie Wien und München, oder Aufführungen, wie sie die Gürzenich-Konzerte zu Köln und die niederrheinischen Musikfeste bieten, mit in Betracht zu ziehen, wenn es sich um die vorzüglichsten musikalischen Leistungen im Vaterlande handelt. Wien jedoch gehört zur Zeit nicht zum Reiche und München und Köln zeigen jedenfalls keine ähnlich umfassende und in fast jeder Nichtung bedeutende musikalische Thätigkeit, wie Berlin, Dresden und Leipzig. | | | freuen. Doch ist es nicht mein Zweck, hier an die Vielseitigkeit des Berliner Musiktreibens zu erinnern, ich wollte nur darthun, daß Berlin in der Oper, also in einer besonderen Richtung, die entscheidendste Stellung im Vaterlande behauptet. Eine gleiche dominirende Stellung nimmt Leipzig für die klassische Instrumentalmusik in Deutschland ein. Seitdem Felix Mendelssohn den Gewandhaus-Konzerten einen Weltruf verschaffte, hat Leipzig nicht aufgehört, denselben bis zum heutigen Tage aufrecht zu erhalten. Dies findet zum Theil darin seinen Grund, daß auf Mendelssohn Männer in der Direkzion des trefflichen Gewandhaus-Orchesters folgten, die, wie Niels Gade, Ferdinand Hiller, Julius Rieß und Karl Reinecke, ganz in seinem Sinne weiter wirkten, und so ist es dabei geblieben, daß eine Sinfonie eines zeitgenössischen Komponisten, die in Leipzig Glück macht, heute noch in ganz Deutschland, als allseitiger Auffüh rung würdig, beglaubigt ist. Welche Spezialität besißt nun Dresden, die es eine ähnlich herrschende Stellung in einem besonderen Gebiete der Tonkunst in Deutschland einnehmen ließe? — Darauf müssen wir freilich zunächst antworten, daß es an einer solchen hier fehle. Die Parität, die wir Dresden troßdem mit Berlin und Leipzig zugestehen, muß sich daher in einer anderen Weise daselbst heraus, stellen. So sei es denn gleich gesagt, daß Dresdens hervor ragende musikalische Bedeutung weniger in einer ganz unvergleich lichen Vertretung irgend eines bestimmten Zweiges der Tonkunst, als in dem Zusammenwirken sehr verschiedenartiger musikalischer Momente, sowie in gewissen interessanten Tradizionen und in seinen Mauern allein aus der Vergangenheit her noch fortlebenden Leistungen und Geschmacksrichtungen an den Tag tritt. Dresden ist, wie kaum ein anderer Ort im deutschen Norden, zugleich die älteste und die jüngste Stadt in der Musik. Hier schuf im 17. Jahrhundert der 1585 geborene gewaltige Heinrich Schüß (nach der Sitte seiner Zeit Sagittarius genannt) seine hundert Robert Schumann die Apotheose des Goetheschen Faust und seine Genoveva; hier betrat, mit der im Jahre 1627 stattfindenden Aufführung der aus dem Italiänischen des Rinuccini die Bühne, und hier ging 1845 Richard Wagners Tannhäuser, der gleich Webers Freischüß in Dresden entstand, am frühesten in deutschen Landen in Szene. Aber damit nicht genug, sehen wir Sachsens Hauptstadt im 18. Jahrhundert, also in einer, zwischen der von uns berührten alten und modernen Zeit in der Mitte liegenden Epoche, auch eine der prunkvollsten Vertreterinnen des musikalischen Zopfzeitalters werden. Hasse, bekanntlich von den Italiänern il caro Sassone genannt, und der im benachbarten Blasewitz geborene Naumann, die beide entschieden mit zu den talentvollsten Repräsentanten jener im Übrigen so manierirten Kunstepoche gehörten, lebten und wirkten an hiesiger Bühne und Hofkapelle, und des Erstgenannten schöne und von aller Welt angebetete Gattin, die berühmte Faustina Bordoni, war Primadonna am sächsischen Hoftheater. Dresden erweist sich endlich auch als eine der Stätten in der Kunstgeschichte, auf denen die deutsche Muse am anhaltendsten und längsten mit der Niemand. wird z. B. leugnen können, daß Berlin in Deutschland von jeher der musikalische Vorort für entscheidende Erfolge | Passionen und Symphoniae sacrae, und hier komponirte im 19. Jahrin der Oper gewesen ist. Hier wurden nicht nur (namentlich, wenn man Wien und Prag ausnimmt) Mozart und Gluck zuerst, sowie Spontini, C. M. von Weber und die dramatischen Arbeiten Anderer am frühesten in Deutschland aufgeführt und anerkannt | überseyten Dafne, zum ersten Male eine Oper in Deutschland (ich erinnere nur an die in Berlin stattgefundenen ersten Repräsentazionen der Vestalin, des Cortez, der Preciosa, des Freischüß, des Czar und Zimmermann, des Sommernachtstraums, des Struensee, der lustigen Weiber, der Margarethe u. s. w.), hier wirkten nicht nur die Mara, Milder, Faßmann, Seydler, Sonntag, Schlegel-Köfter, Johanna Wagner, Paulina Lucca und Mallinger während ihrer Blüthezeit, sondern Berlin machte auch dramatischen Sängerinnen, wie Henriette Sonntag und Jenny Lind, ihren Weltruf, während es überdies unter seinen eingeborenen Söhnen Opern-Komponisten von dem Range eines Meyerbeer, Lorking zählt. So erklärt sich's, daß eine Oper, die dort gefällt, noch heute ihres Erfolges in ganz Deutschland sicher ist. Selbstverständlich leistet die Metropole auch nach anderen Richtungen hin Bedeutendes in der Tonkunst. Nirgends sonst findet unsere klassische Instrumentalmusik eine ähnlich reiche Vertretung in Volkskonzerten wie dort. Abgesehen von den Sinfoniesoiréen der königl. Kapelle sind dort in gleichem Sinne vier verschiedene | wälschen Tonkunft um ihre Eristenz ringen mußte. Zwar hat andere, trefflich geschulte große Orchester, und zwar allabendlich, die vaterländische Musik diesen, uns als Nazion beschämenden thätig. Um endlich darzuthun, wie sehr auch die klassische Chor- | Kampf fast in jeder deutschen Hauptstadt zu bestehen gehabt, da musik in Berlin gepflegt wird, bedarf es nur der Nennung must- | Hof und Adel überall zur wälschen Kunst schwuren und deutsche kalischer Institute von dem Rufe des königl. Domchors, des Konversazion oder gar deutschen Gesang für gemein hielten. Sternschen Vereins und der Singakademie, von denen die beiden Nirgend aber ist dieser Kampf wohl (wie die Geschichte der letzteren sich nahezu je eines viertel Tausend Mitwirkender er- Musik von J. S. Bach bis auf C. M. von Weber lehrt) unter entschiedener Hintanseßung deutscher Tonkunft von oben her ausgefochten worden, als hier. Daß derselbe dennoch zu einem endlichen glorreichen Siege der vaterländischen Muse führte, verdankt Dresden hauptsächlich dem langjährigen Wirken des genialen Tondichters des Freischüß in seinen Mauern, sowie den glänzenden Erfolgen der ersten den Ruhm desselben begründenden dramatischen Schöpfungen im benachbarten Berlin, die auch auf den fächsischen Hof und das Dresdener Publikum mächtig zurückwirkten. Seitdem freilich haben sich die Zeiten sehr geändert und in neuerer Zeit gehören gerade die sächsischen Herrscher mit zu den wärmsten Beschüßern des Einheimischen und Vaterländischen in der Tonkunst, wie ihre für Felix Mendelssohn und Richard Wagner gehegte Vorliebe bewiesen hat. Dennoch aber haben die von mir berührten und im Laufe der Zeiten hier einander ablösenden Wirkungen der verschiedensten Kunstelemente gewisse bis in die Gegenwart hineinreichende unverwischbare Spuren zurückgelassen. Hierin mögen ganz wesentlich die Gründe mit dafür liegen, daß eben Dresden keine ihm par excellence besonders eigenthümliche Richtung entwickelte oder in einer solchen eine Stärke erlangte, die seinem gesammten Musiktreiben, etwa so, wie dies durch die Gewandhaus-Konzerte in Leipzig geschehen, einen Mittelpunkt gegeben oder demselben ihr Gepräge aufgedrückt Kätte. Aber auch eine mitunter schärfer, wie an vielen anderen Orten, hervortretende und oft bis zum unversöhnlichen Gegensaß sich steigernde Verschiedenheit der Kunstanschauung, daneben ein, häufig aller historischen und musikwissenschaftlichen Vorkenntnisse ermangelndes, dennoch aber apodiktisch auftretendes Urtheil, sowie ein zwischen solchen Elementen hin- und herschwankender und seiner selbst ungewisser Dilettantismus, sind zum Theil als Nachwirkungen jener kontrastirenden Entwickelungsphasen anzusehen, welche das musikalische Dresden im Laufe der Zeiten durchzumachen hatte. Man findet daher neben dem ausgeprägtesten Wagnerianismus, der hier noch eine eigenthümliche lokale Färbung erhält, Anhänger der Klassizität, deren musikalisches Glaubensbekenntniß mit dem legten unserer geschiedenen Altmeister endet, die also in ihrer Einseitigkeit nicht besser sind, wie tie Zukünftler. Zwischen diesen Unversöhnlichen aber bewegt sich eine bunte Menge (hier noch durch die zahlreichen Fremden verstärkt), die alles hier Aufgetischte ohne Unterschied gut und schön findet, d. h. eben gar keine Meinung hat, oder sich heute von dieser, morgen von der anderen Seite her beeinflussen läßt. Dagegen findet sich glücklicher Weise, wie überall, so auch hier, ein Kreis ernster, nicht einer Partei, sondern der Sache dienender Musiker, und ihnen schließt sich das einsichtsvollere Publikum an, die weniger in Demonstrazionen, als in einem mit Liebe geübten treufleißigen Musiziren ihren Beruf suchen. Sie sind die Vertreter des Maßhaltens, das wiederum eins ist mit dem unrergänglich Schönen, in jeder Kunst, und verlassen somit selbst. verständlich den Boden nicht, auf welchem die deutsche Tonkunst das geworden, was sie heute in der Welt bedeutet. Mit andern Worten, ihre Kräfte sind in erster Linie der Darstellung der in ihrer unverwelklichen Lebensfrische durch Generazionen erprobten Meisterwerke der Heroen unserer vaterländischen Musik geweiht, ohne, daß sie darüber das Neue, im Falle dasselbe bedeutend oder interessant erscheint, vernachlässigen. Auf ihnen, den weder Einseitigen noch Charakterlosen, ruht unsere Hoffnung für die Heranbildung eines selbstständigen gesunden Geschmacks und Urtheils. Fragen wir uns nun, in welcher Weise sich die Musikzustände Dresdens, die wir bisher nur in ihrer Allgemeinheit oder mit Bezug auf ihre Vergangenheit ins Auge faßten, im Einzelnen, sowie in der Gegenwart darstellen und spiegeln, so werden sich unsere Blicke unwillkürlich zunächst der Oper zuwenden. Dieselbe nahm hier von jeher eine der vornehmsten Stellungen in Deutschland ein. Selbst in der Epoche ihrer Verwälschung leistete ste wenn man von ihrer damaligen antinazionalen Tendenz absteht Ungewöhnliches. Die die Bühne im 18. und bis ins 19. Jahrhundert hinein beherrschenden Meister Jomelli, Sacchini, Paefiello, Salieri, Cimarosa und Paer, welche, wenn sie auch den Sängern mehr zu Gefallen thaten, als sie verantworten konnten, doch eine gewisse große Manier, sowie viel Talent und Geschmack besaßen, wurden hier so trefflich, wie kaum anderswo außerhalb Italiens, und mit den besten zu beschaffenden Solokräften, sowie zugleich mit einem oft fabelhaften Aufwand und Pomp bezüglich der Dekorazionen, Kostüme und Ballets gegeben. Noch die Inszenirung einer der letzten dieser zu Hoffesten sich gestaltenden Prachtopern, die zur Vermählung des Kurfürsten Friedrich August gegebene Clemenza di Tito von Naumann, verursachte der Intendanz 50,000 Thaler Kosten. Natürlich waren auch (mit nur einigen Ausnahmen) die Dirigenten dieser Opern Italiäner. Erst im Jahre 1842 starb in Dresden Morlacchi, der lezte der dort angestellt gewesenen italiänischen Kapellmeister, unter dessen Vorgängern hier nur Albricci, Bontempi, Novelli und Perando angeführt seien. Mit dem nach den deutschen Freiheitskriegen von 1813 und 1815 in allen Geistesgebieten eintretenden Umschlag und dem Erwachen unseres nazionalen Bewußtseins erhielt in Dresden die deutsche Oper Gleichberechtigung mit der italiänischen, dann aber das Übergewicht über die lettere, bis sie dieselbe endlich völlig verdrängte und sie vorkommenden Falles nur noch in deutscher Übertragung zuließ. An die Stelle der italiänischen Meister und ihrer deutschen Nachahmer traten nun nach und nach Gluck, Mozart, Beethoven, Weber, Meyerbeer, Spohr, Marschner, Kreuzer u. s. w. Auch in dieser zweiten bedeutendsten Epoche ihrer Wirksamkeit behauptete die Dresdener Oper ihren alten Ruhm. Am glänzendsten stand sie vielleicht in den vierziger Jahren da, d. h. in einer Zeit, da die große geniale Wilhelmine Schröder-Devrient noch nicht von der Bühne geschieden war (die sie erst 1847 verließ), da Tichatschecks feuriger Heldentenor und Mitterwurzers Bariton noch in der Fülle ihrer dramatischen Kraft und ihres Wohlklangs ertönten, da Johanna Wagner in der ganzen Lieblichkeit holdester Jugend als Iphigenie in Aulis und Elisabeth ihre Erstlingslorbeeren zu pflücken begann und die Michalesi ebenso sehr durch die Schönheit ihrer Stimme, wie ihrer Erscheinung wirkte. Soll ich nun von der Dresdener Oper der Gegenwart sprechen, so kann ich mich nur auf die letzten beiden Jahre beziehen, in denen ich, wie ich dereinst genießender Antheilnehmer an den Leistungen der eben berührten Glanzeszeit war, so Zeuge ihrer jüngsten Leistungen gewesen. Da läßt sich denn freilich nicht verschweigen, daß jene Ära einer hohen und seltenen Blüthe musikalisch-dramatischer Leistungen nicht bis in unsere Tage nach allen Seiten hin festgehalten zu werden vermochte, wie dies ja auch jeder vorurtheilslose Dresdener willig zugesteht. Dennoch fehlt es auch heute nicht an Kräften, welche der hiesigen Oper eine Stellung unter den ersten musikalischen Bühnen DeutschLands anweisen. Von der königl. Kapelle, einem der gediegensten Kunstinstitute seiner Gattung im Vaterlande, von ihren beiden Kapellmeistern und dem Theaterchor, der nach meiner Überzeugung in der Gegenwart überhaupt ohne Gleichen ist, da ihm z. B. selbst die trefflichen Theaterchöre von Berlin und München nachstehen, sehe ich hierbei ganz ab und will nur der hiesigen Solo kräfte gedenken. Unter diesen stehen Seitens der Frauenstimmen die Damen Malten und Proska, Seitens der Männerstimmen die Herren Degele und Riese im Vordergrunde. Frl. Malten ist eine liebenswürdige Vertreterin der Pamina, Agathe und Elsa; in Partien leichteren Genres, z. B. als Mignon in der gleichnamigen Oper von Ambroise Thomas läßt die Künstlerin überhaupt nichts zu wünschen übrig und hält, im Verein mit unserer zierlichen Koloratursängerin Proska, diese fade Musik noch immer über Wasser. Herrn Rieses ausgiebiger Tenor ist uns sympathischer in der französischen und italiänischen Oper (z. B. im Tell, Postillon von Lonjumeau u. s. w.) als in der klassischen deutschen Oper, während in dieser wiederum die Herren Degele, Decarli und Koehler Erfreuliches leisten. Dagegen halten wir die hiesige Besetzung der Partie der Leonore im Fidelio für eine Versündigung an der Kunst und speziell an unserem erhabenen Meister Beethoven. Besser keine Aufführung, als eine durch eine derartige Besetzung der Titelrolle peinigende, zu welcher der Sängerin so ziemlich Alles fehlt, zunächst jede innere Beziehung zum Beethovenschen Genius. Wir müssen es ferner bedauern, daß einerseits das Vorwalten der Wagnerschen Opern, andererseits das der modernsten französischen Opernwaare, wie sie Thomas und Delibes liefern, ewige Meisterwerke vaterländischer Kunst ganz in den Hintergrund drängten, die zu den regelmäßig wiederkehrenden in den Repertoiren aller größeren und deutschen Bühnen gehören sollten. So entbehren wir schon seit zwei Wintern den Don Juan, auf den man uns immer wieder vertröstet, ohne daß derselbe bis jezt in Szene gegangen wäre. Und wenn es auch Lob verdient, daß vor Kurzem Mozarts Entführung aus dem Serail" neu einstudirt gegeben ward, so war die Sorgfältigkeit in der Besetzung derselben doch der Art, daß unsere Freude nur eine halbe blieb. Als Novitäten brachten die beiden lezten Jahre Kretschmars Folkunger, deren ich schon früher in Ihrem Blatte anerkennend gedachte, sowie neuerdings die komische Oper: „Der König hat's gesagt“ von Leo Delibes. Dieselbe ward sowohl hierorts, wie von Wien her im Voraus als etwas Außerordentliches angekündigt. Geschmack, Zierlichkeit, Eleganz und gefällige Koketterie ist indessen Alles, was man dem Werke zugestehen kann und solche Vorzüge sind freilich bei der komischen Oper nicht zu unterschätzen. Deshalb ist die Arbeit aber doch noch weit davon entfernt, sich, wie man behauptete, den gleichartigen von Adam und Auber oder gar von Boieldieu anzureihen. Es ist im Gegentheil in dieser Musik nichts von dem elegischen Ton, der zarten Ironie und der Frische und Jugendlichkeit der genannten Landsleute des Komponisten zu verspüren; sie ist kurzathmig und kurzlebig, von erschreckender modulatorischer Armuth und verfällt mitunter sogar in den Ton des Offenbachschen Kouplet. Für eine in ihrer Art klassische Komposizion kann diese Arbeit nur von solchen gehalten werden, welche zierliche Nippsächelchen, wie man sie auf Damentischen und eleganten Kaminsimsen findet, mit Kunstwerken verwechseln. Wenden wir uns den kirchlichen Aufführungen Dresdens zu, so ist unter denselben, als die bedeutendste des laufenden Winters, diejenige der Matthäus-Passion von Seb. Bach, welche in der Neustädter Kirche vor sich ging, zu verzeichnen. Es war fast zu einer Ehrenpflicht geworden, Bachs erhabene Tondichtung, eines der größten Meisterwerke aller Zeiten, wieder einmal zu Gehör zu bringen, da dies seit 34 Jahren in Dresden unterblieben war. Ja ja es ergeht unserem Altmeister und weiland Kantor an St. Thomas zu Leipzig immer noch ein wenig jo, wie vor Zeiten. Denn während damals ausländische Tonseßer, Kastraten, Primadonnen, Charlatans und Luftspringer hier Weih rauch und Haufen Goldes ärnteten, mußte der herrliche kernige Mann, der in der Gegenwart, da alle jene Scheingrößen in ihr Nichts versunken sind, als heller Stern am Himmel deutscher Kunst leuchtet, mit dem bescheidenen Plaße hinter seiner Orgel, einem dürftigen Gehalte und viel irdischer Plage und Noth vorlieb nehmen. Mit Dresden, vor Allem, hatte er Unglück. Ward ihm hier doch nicht einmal das Honorar, das ihm der Kurfürst als Lohn für das von ihm siegreich bestandene Tournier mit dem eitelen Franzosen Louis Marchand bestimmt haben soll, wirklich ausgezahlt. Den tonangebenden Kreisen aber galt er höchstens für einen tüchtigen Organisten und Klavierspieler, im Übrigen aber für einen ungenießbaren „tudesquen“ Tonseher. Der Meister selber hatte, dem gegenüber, freilich nur die ruhevolle heitere Ironie des Genius, ja, wenn man will, sogar eine gewisse Bonhommie, wie sie in der gelegentlich eines Ausflugs von Leipzig nach Dresden an seinen Sohn Friedemann gerichteten Frage liegt: „wollen wir uns nicht einmal wieder die hübschen Dresdener Liederchen anhören?" - In der hiesigen musikalischen königl. Privatbibliothek finden sich zwei weltberühmte Stücke, das Kyrie und Gloria, die den Unterbau zu Bachs spāterer H-moll-Messe bilden sollten, und zwar in des Meisters und der Anna Magdalena Bachin, seines getreuen Weibes Handschrift vor. Wir begreifen, daß das Erblicken eines solchen Unikums das Entzücken eines so geistvollen Kenners und Enthusiasten, wie es Ambros ist, bis zum Panegyrikus zu steigern vermochte. Möchten wir doch selber ausrufen: „Zu einem solchen einzigen Stück wünscht' ich dem größten Sammler Glück!" Was aber hat die Aufbewahrung dieser heiligen Kunst-Reliquie dem Bachkultus in Dresden genügt? Sie mochte ebenso weiter modern, wie alles, was sonst von des großen Tonsezers Werken hier auftauchte! Doch wollen wir nicht Elbflorenz allein einen Vorwurf hieraus machen, da es Bachs Arbeiten im Ganzen überall, einige Zeit nach seinem Tode, ähnlich erging. Auffallender dagegen muß es erscheinen, daß selbst, nachdem man die Werke des Meisters unter dem Schutt und Staub, welche die inzwischen abgeblühte musikalische Zopfzeit darüber gelagert, wieder hervor. gegraben hatte, nur zuweilen und jedenfalls ganz vereinzelt größere Vokalwerke Bachs in hiesiger Stadt zur Aufführung gelangten. Eine solche Thatsache erklärt sich jedoch zum Theil durch gewisse lokale Mißstände. Dresden, eine so gewaltige Stadt es auch geworden ist, fehlt troßdem immer noch ein Gesangverein von dem Umfang und der Bedeutung, wie solche weit weniger volkreiche Städte, z. B. Frankfurt am Main, Leipzig und Bremen besitzen. Einer der Gründe dafür mag darin zu suchen sein, daß man sich hierorts mit der Zeit daran gewöhnt hatte, für Kunst und Kunstgenüsse Hof und Intendanz sorgen zu lassen, sowie darin, daß die hier thätigen Kirchenkomponisten meist Vertreter des pomphaften katholischen Messenstyls der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren und sich daher an dem für die Hofkirche existirenden Kapellchor genügen ließen. Jedenfalls zersplittern sich die Sangeskräfte, die sich hier zu gemeinschaftlichem Wirken aus bürgerlichen Kreisen zusammengefunden, in eine Anzabl kleiner Vereine, von denen eigentlich keiner so viele Mitglieder zählt, um ein umfangreicheres Händelsches oder Bachsches Werk für Chor und Orchester mit genügenden Mitteln zu Gehör zu bringen. Um so dankenswerther erscheint es, daß sich Herr Blaßmann, der neue Dirigent der Dreißigschen Singakademie, die rühmliche, und man darf auch sagen, kühne Aufgabe stellte, ein Tongedicht, wie die Bachsche Matthäuspassion, das nicht nur eines der schwierigsten Chorwerke überhaupt ist und stellenweise elbst doppelchörig auftritt, sondern für welches überdies in |