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Den nächsten Monat ist er feist und völlig, als håtte er die Tafel eines Financiers nicht verlassen, oder als hätte man ihn bei den Bernhardinern in die Kost gegeben. Heute, mit schmußiger Wäsche, mit zerrissenen Hosen, in Lumpen gekleidet und fast ohne Schuhe, geht er mit gebeugtem Haupte, entzieht sich den Begegnenden, man möchte ihn anrufen, ihm Allmosen zu geben. Morgen, gepudert, chaussirt, frisirt, wohl angezogen, trågt er den Kopf hoch, er zeigt sich, und ihr würdet ihn beinah für einen ordentlichen Menschen halten.

So lebt er von Tag zu Tag, traurig oder heiter, nach den Umständen. Seine erste Sorge des Morgens, wenn er aufsteht, ist, sich zu bekümmern, wo er zu Mittag speisen wird. Nach Tische denkt er auf eine Gelegenheit zum Nachtessen, und auch die Nacht bringt ihm neue Sorgen. Bald erreicht er zu Fuß ein kleines Dachstübchen, seine Wohnung, wenn nicht die Wirthin, ungeduldig den Miethzins långer zu entbehren, ihm den Schlüssel schon abgefordert hat. Bald wirft er sich in eine Schenke der Vorstadt, wo er den Tag zwischen einem Stück Brot und Kruge Bier erwartet. Hat er denn auch die sechs Sous zum Schlafgeld nicht in der Tasche, das ihm wohl manchmal begegnet, so wendet er sich an einen Miethkutscher, seinen Freund, oder an den Kutscher eines großen Herrn, der ihm ein Lager auf Stroh neben seinen Pferden vergönnt. Morgens hat er denn noch einen Theil seiner Matraße in den Haaren.

Ist die Jahrszeit gelind, so spaziert er die ganze Nacht auf dem Cours, oder den elyseischen Feldern hin und wieder. Mit dem Tage erscheint er sogleich in der Stadt, gekleidet von gestern für heute, und von heute manchmal für den Ueberrest der Woche.

Dergleichen Originale kann ich nicht schäßen; andre machen sie zu ihren nächsten Bekannten, sogar zu Freun den. Des Jahrs können sie mich einmal festhalten, wenn ich ihnen begegne, weil ihr Charakter von den gewöhnlichen absticht, und sie die lästige Einförmigkeit unterbrechen, die wir durch unsre Erziehung, unsre gesellschaftlichen Conventionen, unsre hergebrachten Anståndigkeiten eingeführt haben. Kommt ein solcher in eine Gesellschaft, so ist er ein Krümchen Sauerteig, daß das Ganze hebt, und jedem einen Theil seiner natürlichen Individualität zurückgibt. Er schüttelt, er bewegt, bringt Lob oder Tadel zur Sprache, treibt die Wahrheit hervor, macht rechtliche Leute kenntlich, entlarvt die Schelme, und da horcht ein Vernünftiger zu und sondert seine Leute.

Diesen kannt' ich seit langer Zeit; er kam öfters in ein Haus, wo ihm sein Talent den Eingang verschafft hatte. Die Leute hatten eine einzige Tochter. Er schwur dem Vater und der Mutter, daß er ihre Tochter heirathen würde. Diese zuckten die Achseln, lachten ihm in's Gesicht, und versicherten ihm, er sey nårrisch. Doch sah ich den Augenblick kommen, wo die Sache gemacht

war. Er verlangte von mir einige Thaler, die ich ihm gab. Er hatte sich, ich weiß nicht wie, in einigen Häusern eingeschlichen, wo sein Couvert bereit stand, aber man hatte ihm die Bedingung gemacht, er solle niemals ohne Erlaubniß reden. Da schwieg er nun und aß vor Bosheit: es war lustig ihn in diesem Zwang zu sehen. Sobald er es wagte den Tractat zu brechen und den Mund aufzuthun, sogleich beim ersten Wort riefen alle Gäste: Rameau! Dann funkelte die Wuth in seinen Augen, und er fiel mit neuer Gewalt über das Essen her.

Ihr wart neugierig den Namen des Mannes zu wissen, da habt ihr ihn. Es ist der Vetter des berühmten Tonkünstlers, der uns von Lulli's Kirchengesang ge= rettet hat, den wir seit hundert Jahren pfalmodiren. Ein Vetter des Mannes, der so viel unverständliche Vifionen und apokalyptische Wahrheiten über die Theorie der Musik schrieb, wovon weder er, noch sonst irgend ein Mensch jemals etwas verstanden hat; in dessen Opern man Harmonie findet, einzelne Brocken guten Gesangs, unzusammenhängende Ideen, Lårm, Aufflüge, Triumphe, Lanzen, Glorien, Murmeln und Victorien, daß den Sängern der Athem ausgehen möchte; des Mannes, der, nachdem er den Florentiner begraben hat, durch Italiänische Virtuosen wird begraben werden, wie er vorausfühlte, und deßhalb mißmuthig, traurig und årgerlich ward. Denn niemand hat bösere Laune, nicht einmal eine hübsche Frau, die Morgens eine Blat

ter auf der Nase gewahr wird, als ein Autor, der sich bedroht sieht, seinen Ruf zu überleben, wie Marivaur und Crebillon, der Sohn, beweisen.

Er tritt zu mir: Ach, mein Herr Philosoph, treff ich Euch auch einmal! Was macht Ihr denn hier unter den Taugenichtsen? Verliert Ihr auch Eure Zeit mit Holzschieben? (So nennt man aus Verachtung das Schach- oder Damenspiel.)

Ich.

Nein, aber wenn ich nichts Besseres zu thun habe, so ist's eine augenblickliche Unterhaltung, denen zuzusehen, die gut schieben.

Er.

Also eine seltene Unterhaltung. Nehmt Légal und Philidor aus; die Uebrigen verstehn nichts.

Ich.

Und Herr von Bussi, was sagt Ihr zu dem?

Er.

Der ist als Schachspieler, was Demoiselle Clairon als Schauspielerin ist; beide wissen von diesen Spielen alles, was man davon lernen kann.

Ich.

Ihr seyd schwer zu befriedigen. Ich merke, nur den vorzüglichsten Menschen laßt Ihr Gnade wiederfahren.

Er.

Ja im Schach- und Damenspiel, in der Poesie, Re

dekunst, Musik und andern solchen Possen. Wozu soll die Mittelmäßigkeit in diesen Fällen?

Ich.

Beinahe geb' ich Euch Recht. Aber doch müssen sich viele auf diese Künste legen, damit der Mann von Genie hervortrete. Er ist dann der eine in der Menge. Aber lassen wir das gut seyn. Seit einer Ewigkeit habe ich Euch nicht gesehen. Ich denke niemals an Euch, wenn ich Euch nicht sehe. Aber es freut mich jedesmal, wenn ich Euch wiederfinde. Was habt Ihr gemacht?

Er.

Das was Ihr, ich und alle die Andern machen, Gutes, Bises und Nichts. Dann hab' ich Hunger gehabt und gegessen, wenn sich dazu Gelegenheit fand. Ferner hatt' ich Durst und manchmal hab' ich getrunken; indessen ist mir der Bart gewachsen, und da hab'ich mich rasiren lassen.

Ïch.

Daran habt Ihr übel gethan: denn der Bart nur fehlt Euch zum Weisen.

Er.

Freilich! meine Stirn ist groß und runzlich, mein Auge blikt, die Nase springt vor, meine Wangen sind breit, meine Augenbrauen breit und dicht, der Mund wohl gespalten, die Lippen umgeschlagen, und das Gesicht viereckt. Wißt Ihr wohl, dieses ungeheure Kinn,

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