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Rameau's Neffe.

Ein Dialog von Diderot.

Aus dem Manuscript überseßt.

Goethe's Werke. XXXVI. BI,

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Vertumnis, quotquot sunt, natus iniquis. HORAT. Serm. Lib. II. Sat. VII. v. 14.

Es mag schön oder häßlich Wetter seyn, meine Gewohnheit bleibt auf jeden Fall um fünf Uhr Abends im Palais Royal spazieren zu gehen. Mich sieht man im: mer allein, nachdenklich auf der Bank d'Argenson. Ich unterhalte mich mit mir selbst von Politik, von Liebe, von Geschmack oder Philosophie, und überlasse meinen Geist seiner ganzen Leichtfertigkeit. Mag er doch die erste Idee verfolgen, die sich zeigt, sie sey weise oder thdricht. So sieht man in der Allée de Foi unsere jungen Liederlichen einer Courtisane auf den Fersen folgen, die mit unverschämtem Wesen, lachendem Gesicht, lebhaften Augen, stumpfer Nase dahingeht; aber gleich verlassen sie diese um eine andere, necken sie såmmtlich und binden sich an keine. Meine Gedanken sind meine Dirnen.

Wenn es gar zu kalt oder regnicht ist, flüchte ich mich in den Café de la Régence und sehe zu meiner Unterhaltung den Schachspielern zu. Paris ist der Ort in der Welt, und der Café de la Régence der Ort in Paris, wo man das Spiel am besten spielt. Da, bei Rey, versuchen sich gegen einander der profunde Légal, der subtile Philidor, der gründliche Mayot. Da sieht man die bedeutendsten Züge, da hört man die gemeinsten

Reden. Denn, kann man schon ein geistreicher Mann und ein großer Schachspieler zugleich seyn, wie Légal, so kann man auch ein großer Schachspieler und albern zugleich seyn, wie Foubert und Mayot.

Eines Nachmittags war ich dort, beobachtete viel, sprach wenig und hörte so wenig als möglich, als eine der wunderlichsten Personnagen zu mir trat, die nur jemals dieses Land hervorbrachte, wo es doch Gott an dergleichen nicht fehlen ließ. Es ist eine Zusammenseßung von Hochsinn und Niederträchtigkeit, von Menschenverstand und Unsinn; die Begriffe vom Ehrbaren und Unehrbaren müssen ganz wunderbar in seinem Kopf durch einander gehn: denn er zeigt, was ihm die Natur an guten Eigenschaften gegeben hat, ohne Prahlerey, und was sie ihm an schlechten gab, ohne Scham. Uebrigens ist er von einem festen Körperbau, einer außerordentlichen Einbildungskraft und einer ungewöhnlichen Lungenstärke. Wenn ihr ihm jemals begegnet, und seine Originalitåt hålt euch nicht fest, so verstopft ihr eure Ohren gewiß mit den Fingern, oder ihr entflieht. Gott, was für schreckliche Lungen!

Und nichts gleicht ihm weniger, als er selbst. Manchmal ist er mager und zusammengefallen, wie ein Kranker auf der letzten Stufe der Schwindsucht; man würde seine Zähne durch seine Backen zählen; man sollte glauben, er habe mehrere Tage nichts gegessen, oder er káme aus la Trappe.

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