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Er.

Ob ich es kenne? Wie oft habe ich mir gesagt: wie, Rameau, es gibt zehntausend gute Tafeln zu Paris, zu fünfzehn bis zwanzig Gedecken eine jede, und von allen diesen Gedecken ist keines für dich? Tausend kleine Schöngeister ohne Talent, ohne Verdienst, tausend kleine Creaturen ohne Reize, tausend platte Intrigants sind gut gekleidet, und du liefest nackend herum, so unfähig wårst du? Wie, du solltest nicht schmeicheln können wie ein andrer, nicht lügen, schwören, falsch schwören, versprechen, halten oder nicht halten, wie ein andrer? Solltest du nicht können auf vier Füßen kriechen wie ein andrer? Solltest du nicht den Liebeshandel der Frau begünstigen und das Briefchen des Mannes bestellen können, wie ein andrer? Solltest du nicht einem hübschen Bürgermådchen begreiflich machen, daß sie übel angezogen ist, daß zierliche Ohrgehänge, ein wenig Schminke, Spißen und ein Kleid nach Polnischem Schnitt sie zum Entzücken kleiden würden? daß diese keinen Füßchen nicht gemacht sind über die Straße zu gehen, daß ein hübscher Mann jung und reich sich finde, mit galonirtem Kleid, pråchtiger Equipage, sechs großen Lakayen, der sie im Vorbeigehen gesehen habe, der sie liebenswürdig finde, der seit dem Tage weder essen noch trinken könne, der nicht mehr schlafe, der daran sterben werde? Aber mein Vater? Nun nun, euer Vater, der wird anfangs ein wenig bdse seyn - Und meine Mutter? die mir so sehr

empfiehlt ein ehrbares Mädchen zu bleiben, die mir immer sagt, über die Ehre gehe nichts in der Welt-Alte Und mein

Redensarten, die nichts heißen wollen

Den seht ihr nicht mehr, oder wenn

Beichtvater? ihr auf der Grille besteht, ihm die Geschichte eures Zeitvertreibs zu erzählen, so kostet es euch einige Pfund Zucker und Caffee. Es ist ein strenger Mann, der mir schon wegen des Liedchens:,,Komm in meine Zelle" die Absolution verweigert hat- Nur weil ihr ihm nichts zu geben hattet. Aber wenn ihr vor ihm in Spizen erscheint - Spitzen also soll ich haben? -Gewiß und von aller Art! mit brillantenen Ohrgehången. Brillantene Ohrgehänge? - Ja! Wie die Marquise, die manchmal bei uns Handschuhe kauft? — Völlig so. In einer schönen Equipage mit Apfelschimmeln, zwey Bediente, ein kleiner Mohr hintendrauf und ein Laufer voraus, Schminke, Schönpflåsterchen und die Schleppe vom Diener getragen zum Ball? - zum Ball, zur Oper, — zur Komödie. Schon schlägt ihr das Herz vor Freude. Nun spiel' ich mit einem Papier zwischen den Fingern. Was ist das? — Nichts, garnichts — Ich dächte doch — Ein Billet - Und für wen? Für euch, wenn ihr ein bißchen neugierig seyd. Neugierig? ich bin es gar

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Das geht nicht-Wenn ihr in die Messe geht Mama begleitet mich immer. Aber wenn er ein bißchen früh

tåme. Ich stehe immer zuerst auf und bin von allen

zuerst im Comtoir.

Er kommt, er gefällt, und ehe man sich's versieht, zwischen Licht und Dunkel, ver= schwindet die Kleine, man bezahlt mir meine zwey taufend Thaler. Und ein solch Talent befizest du eben so gut und dir fehlt's an Brot? Schämst du dich nicht, Unglücklicher ? Da erinnerte ich mich eines Haufens Schelme, die mir nicht an den Kuorren reichten, strohend von Vermögen. Ich ging im Surtout von Baracan; sie waren mit Sammt bedeckt, sie lehnten sich auf ein Rohr mit goldenem Schnabelkopfe, sie haben Aristoteles und Plato am Finger. Und was waren sie früher? die elendesten Lumpenhunde; jezt sind sie eine Art Herren. Auf einmal fühlte ich mir Muth, die Seele erhoben, den Geist subtil und fähig zu allem. Aber diese glücklichen Dispositionen dauern, scheint es, nicht lange: denn bis jetzt habe ich keinen besondern Weg machen können. Dem sey wie ihm wolle, dieß ist der Text zu meinen öftern Selbstgesprächen. Paraphrasirt sie nach Belieben, nur ziehet mir den Schluß daraus, daß ich die Verachtung meiner selbst kenne, diese Qual des Gewissens, wenn wir die Gaben, die uns der Himmel schenkte, unbenußt ruhen lassen. Es wåre fast eben so gut nicht geboren zu seyn.

(Ich hörte ihm zu, und als er diese Scene des Verführers und des jungen Mädchens vortrug, fühlte ich mich von zwey entgegengesetzten Bewegungen getrieben: ich wußte nicht, ob ich mich der Lust zu lachen oder dem Trieb

Trieb zur Verachtung hingeben sollte. Ich litt. Ich war betroffen von so viel Geschick und so viel Niedrigkeit, von so richtigen und wieder falschen Ideen, von einer so völligen Verkehrtheit der Empfindung, einer so vollkommenen Schändlichkeit und einer so seltenen Offenheit. Er bemerkte den Streit, der in mir vorging, und frag= te:) Was habt Ihr?

Ich.

Nichts.

Er.

Ihr scheint verwirrt.

Ich.

Ich bin es auch.

Er.

Aber was rathet Ihr mir denn?

Ich.

Von etwas anderm zu reden. Unglücklicher! zu welchem verworfenen Zustand seyd Ihr geboren oder verleitet. Er.

Ich gesteh's. Aber laßt Euch meinen Zustand nicht allzusehr zu Herzen gehn; indem ich mich Euch eröffnete, war es meine Absicht nicht Euch weh zu thun. Ich habe mir bei diesen Leuten etwas gespart.

Bedenkt, daß ich gar nichts brauchte, ganz und gar nichts, und daß man mir für kleine Vergnügen noch so viel zulegte....

Hier findet sich im Manuscript eine Lücke. Die Scene ist verGoethe's Werke. XXXVI. Bd.

3

Andert und die Sprechenden sind in eins der Häuser bei dem Palais Royal gegangen.

(Da fing er an die Stirne sich mit der Faust zu schla= gen, die Lippe zu beißen und mit verwirrtem Blick an der Decke herzusehen. Dabei rief er aus:)` Nein, die Sache ist richtig; etwas habe ich bei Seite gebracht, die Zeit ist vergangen, und das ist so viel gewonnen.

Ich.

Verloren wollt Ihr sagen.

Er.

Nein, nein! gewonnen. Jeden Augenblick wird man reicher. Ein Tag weniger zu leben, oder ein Thaler mehr ist ganz eins. Der Hauptpunct im Leben ist doch nur frei, leicht, angenehm, häufig alle Abende auf den Nachtstuhl zu gehen. Ostercus pretiosum ! das ist das große Resultat des Lebens in allen Stånden. Im letzten Augenblick hat einer so viel als der` andre, Samuel Bernard, der mit Rauben, Plündern, Banquerott machen, sieben und zwanzig Millionen in Gold zusammenbringt und zurückläßt, so gut als Rameau, der nichts zurückläßt, Rameau, dem die Wohlthätigkeit das Leichentuch schaffen wird, womit man ihn einwickelt. Der Todte hört kein Glockengelånt; umsonst fingen sich hundert Pfäffen heiser um seinetwillen; umsonst ziehen lange Reihen von brennenden Kerzen vor ihm und hinter her; seine Seele schreitet nicht neben dem Ceremonienmeister. Unter dem Mar

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