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nun, auf Unkosten ihres Meisters, die Lehrer spielten, und auf diese Weise haben die großen reellen und gründlichen Dienste, welche Herr Rameau der Musik geleistet, zu gleicher Zeit die Unbequemlichkeit herbeigeführt, daß Frankreich sich von schlechter Musik und schlechten Musikern überschwemmt sah, weil jeder schon glaubte alle Feinheiten der Kunst einzusehen, sobald er mit den Elementen bekannt war, und alle nun Harmonien erfinden wollten, ehe die Erfahrung ihrem Ohr die gute zu unterscheiden gelehrt hatte.

Was die Opern des Herrn Rameau betrifft, so hat man ihnen zuerst die Verbindlichkeit, daß sie das lyrische Theater über die gemeinen Breter erhuben. Er hat kühn den kleinen Cirkel der sehr kleinen Musik durchbrochen, innerhalb dessen unsere kleinen Musiker sich, seit dem Tode des großen Lulli, immer herumtrieben, daß, wenn man auch ungerecht genug seyn wollte, Herrn Rameau außerordentliche Talente abzusprechen, man doch gestehen müßte, daß er ihnen einigermaßen die Laufbahn eröffnet, daß er künftige Musiker in den Stand gesetzt, die ihrigen ungestraft zu entwickeln, welches fürwahr kein geringes Unternehmen ist. Er hat die Dornen gefühlt, seine Nachfolger pflücken die Rosen.

Man beschuldigt ihn sehr leichtsinnig, wie mir scheint, nur schlechte Terte componirt zu haben: denn wenn diefer Vorwurf einigen Sinn haben sollte; so müßte man zeigen, daß er sich in dem Fall befunden, wählen zu

können. Wollte man denn lieber, daß er gar nichts gemacht hätte? Weit gegründeter ist der Vorwurf, daß er seinen Text nicht immer verstanden, daß er die Absicht des Poeten übel gefaßt oder nicht etwas Schicklicheres an die Stelle geseßt, daß er vieles widerfinnig ausgedrückt. Es war nicht seine Schuld, daß er schlechte Terte bearbeitete; aber man kann zweifeln, daß er bessere genugsam in's Licht gestellt hätte. Gewiß steht er, von Seiten des Geists und der Einsicht, weit unter Lulli, ob èr gleich ihm, von Seiten des Ausdrucks, fast vorzuziehen ist.

Man muß in Herrn Rameau ein sehr großes Lalent erkennen, viel Feuer, einen wohlklingenden Kopf, eine große Kenntniß harmonischer Umkehrungen und aller Mittel, die Wirkung hervorbringen; man muß ihm die Kunst zugestehen, sich fremde Ideen zuzueignen, ihre Natur zu verändern, sie zu verzieren, zu verschönern und seine eigenen auf vielfältige Weise umzudrehen. Dagegen hatte er weniger Leichtigkeit neue zu erfinden, mehr Geschicklichkeit als Fruchtbarkeit, mehr Wissen als Genie, oder wenigstens ein Genie erstickt durch zu vieles Wissen; aber immer Stärke, Zierlichkeit und sehr oft einen schönen Gesang.

Sein Recitativ ist nicht so natürlich, aber viel mannichfaltiger als das des Lulli, in wenigen Scenen bewundernswerth, übrigens schlecht fast durchaus. Vielleicht ist dieß eben so sehr der Fehler der Gattung, als

der feinige. Denn sehr oft, weil er sich der Declamation zu sehr unterwarf, ward sein Gesang barock und seine Uebergange hart. Håtte er die Kraft gehabt das wahre Recitativ zu fassen und bis unter die Schafheerde zu bringen; so glaube ich, er håtte das Vortreffliche leisten können.

Er ist der erste, der Symphonien und reiche Begleitungen gemacht hat; aber er ist darin zu weit gegangen. Das Orchester der Oper glich vor seiner Zeit einer Truppe blinder Musikanten, die von der fallenden Sucht ergriffen werden. Er hat ihnen einige Freiheit gegeben, und sie versichern, daß sie jetzt etwas auszuführen wisfen; aber ich sage, diese Leute werden niemals weder Geschmack noch Seele zeigen. Es ist immer noch nichts beisammen zu seyn, stark oder leise zu spielen und dem Acteur zu folgen, die Töne stärker, fanfter, gehaltener, flüchtiger vortragen, wie es der gute Geschmack oder der Ausdruck verlangt; den Geist einer Begleitung fassen, die Stimmen tragen und heben, das ist die Kunst aller Orchester der Welt, nur nicht unsers Opernorchesters.

Und ich sage, Herr Rameau hat dieses Orchester, es sey wie es will, mißbraucht; er machte die Beglei tungen so confus, so überladen, so häufig, daß einem der Kopf springen möchte bei dem unendlichen Gelårme der verschiedenen Instrumente, während der Aufführung seiner Opern, die man mit Vergnügen hören würde, wenn sie die Ohren weniger betäubten. Daher kommt

es, daß das Orchester, weil es immer im Spiel ist, nicht ergreift, nicht trifft und fast immer seine Wirkung verfehlt. Eigentlich muß nach einer recitirten Scene ein unerwarteter Bogenstrich den zerstreutesten Zuhörer aufwecken, ihn auf die Bilder aufmerksam machen, die ihm der Verf. darstellen will, ihn zu den Gefühlen vorbereiten, die er in ihm erregen will, und das wird kein Orchester leisten, das nicht aufhört zu kraßen.

Ein andrer, noch stärkerer Grund gegen die überladenen Begleitungen ist, daß sie gerade das Gegentheil von dem bewirken, was sie hervorbringen sollten. Anstatt die Aufmerksamkeit des Zuschauers angenehmer festzuhalten, so theilen sie solche um sie zu zerstören. Ehe man mich beredet, daß drey oder vier Motive, durch drey oder vier Instrumente übereinander gehäuft, etwas Lobenswürdiges seyen, so muß man mir erst beweisen, daß drey oder vier Handlungen in einer Komödie nöthig find. Alle diese beliebten Feinheiten der Kunst, diese Nachahmungen, diese Doppelmotive, diese gezwungenen Båsse, diese Gegenfugen sind nur ungestalte Ungeheuer, Denkmale des schlechten Geschmacks, die man in die Klöster verweisen soll, dort mag ihre lehte Zuflucht seyn.

Um schließlich nochmals auf Herrn Rameau zu kommen, so denke ich, niemand hat besser, als er, den Geist des Einzelnen gefaßt, niemand hat besser die Kunst der Contraste verbunden; aber zu gleicher Zeit hat er seinen Opern jene glückliche und so sehr gewünschte Einheit

nicht zu geben gewußt, und er konnte nicht dazu gelangen, ein gutes Werk aus vielen guten, wohl arrangirten Stücken zusammenzuseßen.

Rameau's Neffe.

Das bedeutende Werk, welches wir unter diesem Titel dem Deutschen Publicum übergeben, ist wohl unter die vorzüglichsten Arbeiten Diderot's zu rechnen. Seine Nation, ja sogar seine Freunde warfen ihm vor, er könne wohl vortreffliche Seiten, aber kein vortreffliches Ganze schreiben. Dergleichen Redensarten sagen sich nach, pflanzen sich fort, und das Verdienst eines trefflichen Mannes bleibt ohne weitre Untersuchung geschmålert. Diejenigen, die also urtheilen, hatten wohl den Jacques le fataliste nicht gelesen; und auch gegenwårtige Schrift gibt ein Zeugniß, wie glücklich er die hete: rogensten Elemente der Wirklichkeit in ein ideales Ganze zu vereinigen wußte. Man mochte übrigens als Schriftsteller von ihm denken, wie man wollte, so waren doch Freunde und Feinde darin einverstanden, daß niemand ihn, bei mündlicher Unterhaltung, an Lebhaftigkeit, Kraft, Geist, Mannichfaltigkeit und Anmuth übertrof= fen habe.

Indem er also für die gegenwärtige Schrift eine Gesprächsform wählte, sette er sich selbst in seinen Vortheil, brachte ein Meisterwerk hervor, das man immer mehr bewundert, je mehr man damit bekannt wird. Die

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